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Sascha Bechmann

Sprachwandel – Bedeutungswandel

Eine Einführung

A. Francke Verlag Tübingen

Inhalt

Fußnoten

1.2 Warum sprechen wir so und nicht anders? — Eine sprachhistorische Spurensuche

Identifikation ist neben der Verständigung eine der wesentlichsten Funktionen von Sprachen im Allgemeinen und von sprachlichen Variationen wie den Sondersprachen (z.B. Jugendsprache) im Speziellen.

Unter einer Standardvarietät versteht man beispielsweise das Standarddeutsch im Gegensatz zu den deutschen Dialekten. Während die Dialekte, aus denen die Standardvarietät entstanden ist, natürliche Gebilde sind, werden Standardvarietäten immer durch äußere Eingriffe geformt. Als Merkmale sind hier zu nennen Kodifizierung (z.B. Orthografie-Normen), Allgemeinverbindlichkeit, Polyvalenz (ausdifferenzierter Wortschatz) und stilistische Differenzierung (verschiedene sprachliche Stile).

Die indogermanische Ursprache (auch Urindogermanisch) ist nicht erschlossen, weshalb die Begriffe der indogermanischen Ursprache in dieser Übersicht lediglich als Rekonstruktion betrachtet werden dürfen.

Ähnlich verhält es sich z.B. auch mit den deutschen Worten Tragbahre und gebären – beide Begriffe leiten sich wie Eimer und Zuber von dem althochdeutschen Verb beran ab.

Sprachhistorische Zusammenhänge auf lexikalischer Ebene lassen sich am besten mithilfe eines etymologischen Wörterbuches erfassen (z.B. FRIEDRICH KLUGEs Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache).

Ist Sprache ein Zeichensystem?

Das Verhältnis von Syntagmen und Paradigmen kann als ein Modell „horizontaler“ Syntagmen (= zusammenhängende Elemente, z.B. eines Satzes) und „vertikaler“ Paradigmen (= austauschbare Elemente) gedacht werden. Wörter, die zusammen in einem Syntagma stehen können, stehen in syntagmatischer Beziehung zueinander und bilden einen sinnvollen Satz. Sprachliche Elemente, die an derselben Stelle eines Syntagmas eingesetzt werden könnten, stehen zueinander in einer paradigmatischen Beziehung, sie sind also austauschbar, ohne dass der Satz an Sinn verlieren würde. Beispiel: Ich/Du/Er/Sie (Paradigma der Personalpronomina) spiele/spielst/spielt (Flexionsparadigma) Fußball (Syntagma: Personalpronomen, Verb und Substantiv stehen in einer syntagmatischen Beziehung zueinander, die nicht beliebig geändert werden kann). Die Syntax dieses Satzes ist Teil des Sprachsystems und regelhaft.

Da es sich bei Regenschirm um einen zusammengesetzten Begriff handelt, ist die Kenntnis der Wortbedeutungen von Regen und Schirm zudem notwendig und wird hier vorausgesetzt.

Dieses kleine Märchen stammt von RUDI KELLER und wird hier nur verkürzt wiedergegeben (vgl. KELLER 2003: 37ff.). In gleicher Form ist dieses Märchen abgedruckt in BECHMANN 2014.

Dieses kleine Märchen stammt von Rudi Keller und wird hier nur verkürzt wiedergegeben (vgl. Keller 2003: 37ff.). In gleicher Form ist dieses Märchen abgedruckt in Bechmann 2014.

Ist Sprache ein Werkzeug?

Órganon bedeutet im Griechischen so viel wie Werkzeug. Unsere menschlichen Organe sind so benannt, weil sie funktionale Teile des menschlichen Körpers sind. Somit sind menschliche Organe Werkzeuge des menschlichen Organismus. Wie Werkzeuge eines Handwerkers sind auch menschliche Organe durch ihre Gestalt und durch ihre Funktion bestimmt.

In Platons Dialog bezeichnet Sokrates das Wort als Organon und bestimmt dadurch die Sprache insgesamt als ein Werkzeug, mit dessen Hilfe man sich anderen mitteilen kann. BÜHLER entwickelt seine Theorie anhand dieses Vergleichs.

Vgl. BÜHLER 1933: 74f. und 1934: 24.

Welche Sprachen wandeln sich (und welche nicht)?

Das Beispiel entstammt der Seite www.ithkuil.net, die von JOHN QUIJADA zwischen 2008 und 2011 angelegt wurde. Wenn Sie viel Zeit haben, können Sie sich ja mal daran versuchen, durch die Prinzipien dieser hypothetischen Sprache zu steigen – viel Erfolg!

Welchem Prozess folgt der Sprachwandel?

„,Methodologischen Individualismus’ nennt man die erkenntnistheoretische Position, welche besagt, daß kollektive Phänomene (wie Recht, Staat, Sprache, Sitte, Geschmack, Mode usw.) in einer Theorie mit explanativem Anspruch nicht als ,gegeben’ hingenommen werden dürfen, sondern zurückzuführen sind auf Entscheidungen und Handlungen der sie erzeugenden Individuen“ (KELLER 1996: 423).

LÜDTKEs universelles SprachwandelgesetzSprachwandel-gesetz

Im Deutschen wurde aus hodie das Wort heute, das gegenwärtig lautlich oft zu [heut] verkürzt wird.

Sprachwandel als kognitives Phänomen

Die Beispiele stammen von RUDI KELLER.

Sprachwandel als Phänomen menschlicher KreativitätKreativität

Bei den Wörtern des Jahres handelt es sich um „Wörter und Wendungen, die das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben eines Jahres sprachlich in besonderer Weise bestimmt haben“ (Website der GfdS). Die meisten dieser Wörter sind Resultate kreativer Spracharbeit, also bewusster Einflussnahme auf das Sprachsystem durch die Erfindung und Verbreitung von Wortneuerungen.

An welche Absichten ist Bedeutungswandel geknüpft?

Vgl. auch den Ausdruck Sabrieren als Fachbegriff für das Öffnen von Champagnerflaschen mit einem sog. Champagnersäbel (von frz. sabre = Säbel).

11.1 Vom hässlichen Entlein zum schönen Schwan — werden Wörter besser oder schlechter durch Bedeutungswandel?

Für das Wort Dirne ist die Bedeutungsentwicklung höchst interessant, weil die ursprüngliche Bedeutung gar nicht ferner der heutigen hätte gewesen sein können: Während wir heute von Dirnen sprechen und damit Prostituierte meinen, bedeutete Dirne im Althochdeutschen (thiorna) so viel wie Jungfrau. Eine deutlichere Bedeutungsverschlechterung, die man geradezu als Bedeutungsumkehr bezeichnen kann, ist wohl kaum denkbar, ist doch die Prostituierte das genaue Gegenteil einer Jungfrau.

DiathesenwandelDiathesenwandel

Für eine genaue Herleitung der Bedeutungsentwicklung, mit der ein Diathesenwandel verbunden war, s. BECHMANN 2013: 282ff.

Vorwort

Nichts ist so beständig wie der Wandel.

HERAKLIT VON EPHESOS (etwa 520460 v. Chr.)

Der gegenwärtige Zustand unserer Sprache gibt Anlass zu vielfältigen Betrachtungen, bisweilen ist er auch Auslöser solcher Ängste und Sorgen, die deutsche Sprache könne an Schönheit und Wohlklang verlieren. Mehr noch: Manche Menschen glauben, die Sprache werde durch uns Sprecher dem Verfall anheimgegeben, weil wir schändlich mit ihr umgingen. Nun, stimmt das? Verfällt unsere Sprache mehr und mehr zu etwas, was KomplexitätKomplexität und Schärfe verloren hat und in Zukunft nur noch basale Bruchstücke von alter sprachlicher Eleganz und Würde aufweist?

Sprache ist nicht statisch, sie ist dynamisch – ohne dass sie selbst aber in irgendeiner Weise lebendig wäre. Hier irren die Sprachpuristen, denn sie gehen von einem organischen Bild der Sprache aus, so wie es im 19. Jahrhundert populär wurde. Begriffe wie „SprachverfallSprachverfall“ oder auch „Wortschöpfung“ zeugen noch heute davon. „Lebendig“ ist eine Sprache im Grunde nur so lange, wie die Sprecher einer Sprache lebendig sind. Das Leben, also das Werden, Wachsen, Schrumpfen und Vergehen einer Sprache, ist stets gekoppelt an das Sein der Sprecher. So verwundert es kaum, dass auch der Wandel irgendwie an die Sprecher gebunden sein muss. Aber wie? Auf diese Frage sucht und findet diese Einführung Antworten.

Wenn Sie wissen wollen, wie das Sein und das Werden der Sprachen funktionieren, dann lesen Sie dieses Buch. Sie werden sehen, dass es eine lohnenswerte Reise ist durch die Welten der Sprachwissenschaft, bei der wir immer auch andere Wissenschaften streifen werden. So ist Sprachwandel durchaus auch ein Phänomen, das z.B. Soziologen ebenso interessiert wie Politologen und Kulturwissenschaftler, denn Sprachwandel findet auf allen Ebenen der Sprache und in allen Wirkungsbereichen statt. Kurzum, sprachliche Veränderungen lassen sich überall finden: im Internet, in sozialen Netzwerken, in der Literatur und in den Fachsprachen. Das Wesen des Wandels ist, dass er stetig und unaufhaltsam ist. Und es ist äußerst spannend, sich diesem Wesen Schritt für Schritt zu nähern. Dieses Buch soll Ihnen in Ihrem Studium Fahrplan und Kompass durch die oft undurchsichtigen (und wissenschaftsgeschichtlich alten) Fahrwasser der Sprachwandelforschung und der Historischen Linguistik sein.

Dieses Buch betrachtet Sprache als ein veränderliches System und es will zeigen, auf welche Weise Sprachen sich verändern und auf welchen Ebenen Wandel feststellbar ist. Aber: Dieses Buch ist keine Sprachgeschichte (des Deutschen oder einer anderen Sprache), sondern eine thematische Hinführung aus einer handlungstheoretischen Sichtweise.

Mit diesem Studienbuch wird eine Lücke geschlossen, die bislang in der Einführungsliteratur zu beklagen ist: Gegenwärtig existiert keine didaktisch auf die Erfordernisse der gestuften Studiengänge ausgerichtete Einführung in dieses klassische Themenfeld. Dies ist umso erstaunlicher, als dass Fragestellungen der historischen Linguistik noch immer zu den grundlegenden WissensbeständenWissensbestände in den linguistisch ausgerichteten Fächern zählen und in den Curricula fest verankert sind. Diachrone Betrachtungen von Sprache gehören ebenso wie neuere diskursanalytische Fragen auch heute noch zum Kernbestand der linguistischen Schule an allen deutschen Universitäten. Dabei stehen in der modernen Sprachwissenschaft nicht mehr in erster Linie die Prinzipien oder sprachlich universalen Gesetze des Sprachwandels im Fokus, dafür umso mehr Ansätze, die der neueren Pragmalinguistik zugeordnet werden können.

Zu den Hauptproblemen der Lehre in diesem Bereich zählt die Tatsache, dass die bislang zu diesem Thema verfügbare Literatur äußerst heterogen – und in vielen Fällen für das Selbststudium ungeeignet – ist. So stehen Studierende wie auch Lehrende vor dem Problem, Informationen aus unterschiedlichen Lehr- und Fachbüchern extrahieren und bündeln zu müssen. Die beiden Themengebiete Sprach- und Bedeutungswandel werden in zahlreichen sprachhistorischen Einführungen zwar aufgegriffen, geraten dort aber ins Hintertreffen; die Ausführungen sind oftmals verkürzt, was das Verständnis komplexer Sachverhalte erschwert. Auf der anderen Seite gibt es viele Fachbücher ohne didaktische Ausrichtung, die entweder auf einer hohen theoretischen Abstraktionsebene operieren oder das Thema in einer für Studienanfänger schwer überschaubaren Dichte und Breite behandeln. Sowohl theoretisch abstrakte als auch thematisch dichte Lehrbücher, wie etwa die hervorragende Sprachgeschichte des Deutschen von WEGERA und WALDENBERGER oder diejenige von NÜBLING et al., sind für das Bachelorstudium nur bedingt geeignet. Dasselbe lässt sich über diejenigen Bücher sagen, die lediglich Teilaspekte thematisieren. Auch sie taugen nur eingeschränkt für die Wissensvermittlung im Grundstudium.

Aus diesen Gründen ist dieses Studienbuch als leicht lesbare Einführung konzipiert, die sich sowohl für das Selbststudium eignet als auch als Grundlage für ein einsemestriges Grundseminar taugt.

Dabei wurde eine inhaltliche Zweiteilung des Buches umgesetzt, die sich bereits im Titel widerspiegelt: Die Bereiche Sprachwandel und Bedeutungswandel werden getrennt betrachtet, auch wenn der Bedeutungswandel als Spezialfall des Sprachwandels zu klassifizieren ist. Zum einen soll damit dem Umstand Rechnung getragen werden, dass in der akademischen Lehre das Thema Bedeutungswandel häufig isoliert betrachtet wird; zahlreiche Seminare befassen sich ausschließlich mit historisch-semantischen Fragestellungen. Zum anderen ist diese Zweiteilung sinnvoll, weil es sehr spezielle Erklärungsmodelle (insbesondere moderne gebrauchstheoretische Ansätze) gibt, die dem Bedeutungswandel einen eigenen Status zuweisen. Zwar kann der Bedeutungswandel im Speziellen nicht isoliert von einer Theorie sprachlichen Wandels im Allgemeinen gedacht werden, so dass die Kenntnis solcher Theorien für das Verständnis des Bedeutungswandels notwendig ist. Aufgrund der KomplexitätKomplexität semantischer Veränderungen und der dahinter stehenden Prozesse ist sie aber allein nicht hinreichend.

Zum Schluss erlauben Sie mir ein paar persönliche Worte. Mein großer Dank gilt Anke Peters aus der Germanistischen Mediävistik an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, deren geschultes Auge mir geholfen hat, das Manuskript zu diesem Buch möglichst frei von Tippfehlern an den Verlag geben zu können. Manche Sätze in diesem Buch sind erst durch sie in eine lesbare Form geschliffen worden. Zudem war mir ihr sprachhistorisches Wissen an vielen Stellen eine Hilfe.

Dieses Buch ist zudem der Ausdruck meiner eigenen wissenschaftlichen Prägung, für die ich meinem Lehrer und Doktorvater Rudi Keller dankbar bin. Er war es, der im Studium mein Interesse für linguistische Fragestellungen geweckt und später stets gefördert hat. Besonders seine Theorie zum allgemeinen Sprachwandel und seine Gedanken zum Bedeutungswandel bei deutschen Adjektiven haben mich früh in ihren Bann gezogen. Wenn man mich heute fragt, wie und warum ich Sprachwissenschaftler geworden bin, dann ist die Antwort leicht: Weil ich mich irgendwann dafür zu interessieren begann, wie das alles funktioniert. Das mit dem Wandel der Sprachen. Heute weiß ich: Sprache ist Gewordenes aus Gewesenem und so wird es auch in Zukunft sein. Als Sprecher befinden wir uns heute auf einer schmalen Entwicklungsstufe unserer Sprache. Wir stehen dabei in einer direkten Traditionslinie mit unseren Vorfahren. Und wir formen die Sprache durch unser Handeln zu dem, was sie einmal sein wird. Das finde ich unheimlich spannend. Sie auch? Dann wünsche ich Ihnen viel Spaß bei der Lektüre.

 

Düsseldorf, im August 2016    Sascha Bechmann

Hinweise zur Lektüre

Bevor wir uns dem eigentlichen Kern des Sprach- und Bedeutungswandels zuwenden können, möchte ich noch einige Informationen zur Lektüre und zum richtigen Umgang mit diesem Buch voranschicken.

Dieses Studienbuch versteht sich als Arbeitsbuch und ist in erster Linie für das Selbststudium geschrieben. Ich habe versucht, Komplexes einfach darzustellen. Das bleibt nicht ohne Folgen. Wissenschaftliche Unschärfe hier und da mögen mir meine Fachkolleginnen und -kollegen nachsehen. Denn: Für diese Leserschaft ist dieses Buch nicht geschrieben worden. Der Anspruch an dieses Buch lautet: Es kann weitestgehend ohne Vorwissen gelesen werden. Dass eine diesem Anspruch verpflichtete Einführung nicht möglich ist, ohne das ein oder andere zu verkürzen und zu simplifizieren, ist klar – und eher eine Stärke als eine Schwäche dieses Buches.

Selbstgesteuertes Lernen soll dazu dienen, einen möglichst nachhaltigen Lernerfolg zu erzielen. Die Leser werden dazu befähigt, sich die wesentlichen Inhalte selbstständig anzueignen. Dazu werden die Inhalte anschaulich und unter weitgehendem Verzicht auf (für das Verständnis unnötige) Fachterminologie vermittelt. Die hohe Kunst der fachsprachlichen Reduktion gerät bei basalen WissensbeständenWissensbestände unseres Faches aber an ihre Grenzen. Ich empfehle daher, vor der Lektüre eine Einführungsveranstaltung in die Sprachwissenschaft zu besuchen.

Als begleitendes Nachschlagewerk zu dieser Einführung empfehle ich Ihnen das „Lexikon der Sprachwissenschaft“ von HADUMOD BUSSMANN. Darin lassen sich alle nicht vermeidbaren Fachwörter nachlesen – es ist zudem ein unabdingbarer Begleiter durch Ihr sprachwissenschaftliches Studium. Dieses Lexikon ist nicht nur deshalb von unschätzbarem Wert, weil darin die wesentlichen Begriffe der Sprachwissenschaft präzise erklärt werden, sondern auch, weil sich eine reichhaltige Fülle an Literaturempfehlungen zu jedem Einzelaspekt finden lässt. Alternativ kann ich Ihnen das hervorragende linguistische Wörterbuch von THEODOR LEWANDOWSKI aus dem Jahr 1994 ans Herz legen, das aber leider nur noch antiquarisch zu beziehen ist. Wesentliche Begriffe, die heute zum Wissensbestand der Sprachwissenschaft zählen, fehlen zwar darin, dennoch ist es ein wertvolles Hilfsmittel.

Die vorliegende Einführung soll Ihnen als Kompass und als Richtschnur dienen, damit Sie erste (eigene) Wege durch das spannende und weite Feld des Sprach- und Bedeutungswandels finden können. Dafür benötigt es eine sinnvolle Struktur. Wie ein roter Faden ziehen sich deshalb einige Aspekte durch dieses Buch, die helfen sollen, sich zurecht zu finden. Dies sind im Wesentlichen folgende Elemente und Strukturen:

Wichtige Grundbegriffe sind im Text durch Fettdruck hervorgehoben. Die linguistischen Theorien und Modelle in diesem Buch sind an der konkreten sprachlichen WirklichkeitWirklichkeitsprachliche ausgerichtet. Anschauliche Beispielsätze und historisches Datenmaterial werden das Verständnis erleichtern. Zudem werden wissenschaftstheoretische Kernthesen in diesem Buch optisch hervorgehoben. An manchen Stellen werden Ihnen zudem bedeutende Vertreter einer Theorie oder eines Faches in einem kurzen Who is who vorgestellt.

Kernthesen und präzise Merksätze, die das Verständnis erleichtern, werden durch Textboxen optisch hervorgehoben. Die Boxen sind durch dieses SymbolSymbol markiert: .

Alle Kapitel beginnen mit dem Abschnitt „Ziele und Warm-up“. Hier finden Sie eine kurze Erläuterung des Gegenstands des jeweiligen Kapitels sowie die avisierten Lernziele. Unter dem Aspekt Warm-up sollen intuitiv zu beantwortende Impulsfragen zum ersten Nachdenken über die dann folgende Thematik anregen. Sie erkennen das Warm-up an diesem SymbolSymbol: .

Hinweise zu weiterführender Literatur zum Inhalt des vorangestellten Lehrstoffs runden jedes Kapitel ab. Dabei handelt es sich um eine Auswahl, die weder einen Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Exklusivität erhebt. In aller Regel werden hier nur diejenigen Werke empfohlen, die in einem unmittelbaren Bezug zu den Inhalten des Kapitels stehen. Erkennbar sind diese Literaturhinweise an diesem SymbolSymbol: .

Beiden Teilen dieses Buchs ist mit Kapitel 7 und Kapitel 14 jeweils ein eigener Wiederholungs- und Übungsteil gewidmet (Repetitorium). Dort finden Sie kurze und prägnante Zusammenfassungen der Kapitel. Sie können die Repetitorien im Ganzen durcharbeiten – oder jeweils im Anschluss an die einzelnen Kapitel. Sie selbst bestimmen, wann und wie Sie Ihr Wissen festigen. Übungsaufgaben dienen der Selbstüberprüfung des Wissens und lassen sich ohne weitere Hilfsmittel in angemessener Zeit beantworten. Auf Lösungen kann und soll bewusst verzichtet werden, da Standardlösungen und -antworten nicht gewünscht sind. Vielmehr sollen die Fragen der Beschäftigung mit dem vermittelten Stoff dienen und sind so konzipiert, dass sie eindeutig zu beantworten sind. Sie erkennen die Übungsaufgaben an diesem SymbolSymbol:

Kapitel 7 und 14 bieten zudem Arbeitshilfen für Dozierende wie mögliche Klausurfragen zur zielgerichteten Überprüfung der Lernziele oder Vorschläge für Hausarbeitsthemen. Hinweise für Dozierende finden sich auch an anderen Stellen des Buchs und sollen Anregungen für die akademische Lehre liefern, sofern diese Einführung in der universitären Lehre verwendet wird.

Dem Textteil ist ein ausführliches Literaturverzeichnis angefügt. Es bildet die Beiträge zum Forschungsfeld in weiten Teilen ab, erhebt aber ebenfalls keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Zusätzlich gibt es ein hilfreiches Verzeichnis mit Grundlagenliteratur zum Sprachwandel.

Das Studienbuch enthält im Anhang ein Sachwortverzeichnis, das den Zugriff auf wichtige Begriffe vereinfacht. Ein Glossar mit wichtigen linguistischen Grundbegriffen rundet den Band ab.

Hinweis für Dozierende:

Die Gliederung des Studienbuches in 14 Kapitel ermöglicht es Lehrenden, das Buch zur Grundlage eines einsemestrigen Seminars zu machen. Dabei kann jedes Kapitel Inhalt einer Sitzung sein und z.B. durch historisches Datenmaterial, Übungstexte, Originalarbeiten o.Ä. ergänzt werden. Hier empfehlen sich beispielsweise das umfangreiche Textkorpus zum Frühneuhochdeutschen (Bonner Frühneuhochdeutsch-Korpus; online verfügbar unter www.korpora.org/fnhd) oder das Korpus zur mittelhochdeutschen Sprach- und Literaturgeschichte der Universität Trier (Digitales mittelhochdeutsches Textarchiv; online verfügbar unter http://mhgta.uni-trier.de).

Die Inhalte der einzelnen Kapitel können im Hochschulunterricht in teilnehmerorientierten Sozialformen (Einzelarbeit, Gruppenarbeit, Partnerarbeit, offene Moderation) gewinnbringend und aktivierend erarbeitet werden. Da Kapitel 7 und 14 der Wiederholung dienen, wäre es anzudenken, die Sitzungen 7 und 14 für Zwischen- und Abschlussprüfungen zu nutzen.

Der besseren Lesbarkeit halber werden Personenbezeichnungen in diesem Buch in der maskulinen Form genannt. Verstehen Sie dies bitte einzig unter dem Aspekt der sprachlichen ÖkonomieÖkonomie – die im Übrigen eine wichtige Bedingung für Sprachwandel ist. Auf einer Waage, die zwischen sprachlicher political correctness einerseits und guter Lesbarkeit von Texten andererseits pendelt, bevorzuge ich stets den Ausschlag zugunsten der Prägnanz.

I Sprachwandel

Sprachen sind bei Weitem das wichtigste Vehikel

kultureller Entfaltung und zugleich das wichtigste Element

nationaler, übrigens auch persönlicher, Identität.

Helmut Schmidt (19182015)

1 Was ist Sprache — und woher kommt sie?

Wer fremde Sprachen nicht kennt, weiss nichts von seiner eigenen.

JOHANN WOLFGANG GOETHE (17491832)

Ziele und Warm-up

Der Begriff Sprachwandel begegnet uns nicht nur im wissenschaftlichen Diskurs, sondern auch im Alltag (z.B. in den Medien). Besonders im Zusammenhang mit Stil und „gutem Ausdruck“ wird oft intensiv diskutiert, in welchem Zustand sich unsere Sprache befindet. Sprachwandel wird immer dann zum Thema, wenn Veränderungen auffällig werden. Solche Veränderungen werden gerne als Fehler oder zumindest als Abweichungen von der sprachlichen Norm interpretiert. Vor allem im Vergleich zu früheren Sprachzuständen werden diese Abweichungen als Wandel offensichtlich. Aber was ist das eigentlich, was sich da wandelt?

Ebenso, wie man nur verstehen kann, was ein Regenschirm oder eine Taschenuhr ist, wenn man weiß, was Regen, Schirm, Tasche und Uhr sind, kann man nur begreifen, was Sprachwandel bedeutet, wenn man weiß, was Sprache und Wandel eigentlich sind. Deshalb sehen wir uns in einem ersten Schritt den eigentlichen Gegenstand einmal genauer an, mit dem sich dieses Buch beschäftigt. Wir müssen uns zum Einstieg nämlich die Fragen stellen: Was ist Sprache? Und wozu haben wir sie eigentlich?

In diesem ersten Kapitel werden wir zunächst gemeinsam überlegen, welcher Gegenstand überhaupt zu betrachten ist, wenn vom Wandel in der Sprache die Rede ist. Diese Überlegungen werden wir dann im zweiten Kapitel mit der Frage verknüpfen, wie Sprache und Wandel miteinander in Beziehung gesetzt werden können. Wir nähern uns also über die nachfolgenden Definitionen der Grundbegriffe dem Phänomen des allgemeinen Sprachwandels, das in diesem ersten Teil der Einführung im Fokus stehen soll. Zudem dienen die Ausführungen dazu, das spezielle Phänomen des Bedeutungswandels im zweiten Teil dieses Buches besser verstehen zu können.

Dazu kreisen wir in diesem Kapitel zunächst den Begriff Sprache ein. Beantworten Sie bitte zum Einstieg die folgenden Fragen und machen Sie sich gerne auch stichwortartige Notizen dazu:

1.1 Brauchen wir Sprache und wenn ja, wozu?

Was Sprache ist, lässt sich eigentlich ganz leicht beantworten: Sprache ist all das, was übrigbleibt, wenn man weiß, was Sprache alles nicht ist. Sprache müssen wir uns also nur einmal wegdenken, dann sehen wir, was noch da ist und dann wissen wir, was Sprache ist. Klingt das plausibel? Nun, dann überlegen Sie doch einmal, was alles keine Sprache ist. Denken Sie sich die Sprache dabei einfach weg aus der Welt.

Vielleicht denken Sie jetzt an einen Baum oder an ein Fahrrad oder an viel abstraktere Dinge wie Ihren letzten Urlaub. Sie haben recht: All das ist keine Sprache. Aber Sie haben einen Fehler gemacht: Sie haben sich die Sprache nicht weggedacht, als Sie darüber nachgedacht haben, was alles keine Sprache ist. Aber das ist nicht Ihr Fehler, denn ich habe Sie vor eine unlösbare Aufgabe gestellt. Sprache lässt sich nämlich nicht wegdenken, denn zum Denken selbst brauchen Sie die Sprache. Ohne Sprache wären Sie nämlich gar nicht in der Lage, an einen Baum zu denken. Zumindest wüssten Sie nicht, dass man ihn Baum nennt. Dass man Dinge überhaupt benennt, wüssten Sie nicht. Sie wüssten noch nicht einmal, was Sie überhaupt wüssten. Denn: Sprache und Denken hängen untrennbar miteinander zusammen.

Unsere Denkweise prägt die Art und Weise, wie wir sprechen. Komplexe Gedanken erfordern komplexe sprachliche Ausdrucksmittel. Der Einfluss wirkt aber auch in der Gegenrichtung: Bringt man Menschen etwa neue Farbwörter bei, verändert das ihre Fähigkeit, Farben voneinander zu unterscheiden. Lehrt man sie, auf eine neue Weise über Zeit zu sprechen, so beginnen sie, auch anders darüber zu denken.

Man kann sich der Frage auch anhand von Menschen nähern, die zwei Sprachen fließend sprechen. Nachweislich ändern bilinguale Personen ihre Weltsicht je nachdem, welche Sprache sie gerade verwenden. Ein anderes Beispiel: Für Europäer, die von links nach rechts zu schreiben gewohnt sind, liegt früher links von später; Araber ordnen die Zeit hingegen von rechts nach links; für Aborigines liegt früher im Osten (vgl. BORODITSKY 2012).

Die Menschen sprechen in den vielen Ländern dieser Welt auf mannigfaltige Weise miteinander, und jede Sprache verlangt von ihren Benutzern ganz unterschiedliche kognitive Anstrengungen. Die kognitive Linguistin LERA BORODITSKY beschreibt das so:

Angenommen, ich möchte Ihnen mitteilen, dass ich Anton Tschechows Drama „Onkel Wanja“ auf einer Bühne in der 42. Straße New Yorks gesehen habe. Auf Mian, das in Papua-Neuguinea gesprochen wird, würde das Verb aussagen, ob das Stück soeben, gestern oder vor langer Zeit gespielt wurde. Das Indonesische dagegen gibt damit nicht einmal preis, ob die Aufführung bereits stattfand oder noch bevorsteht. Auf Russisch enthüllt das Verb mein Geschlecht. Wenn ich Mandarin verwende, muss ich wissen, ob Onkel Wanja ein Bruder der Mutter oder des Vaters ist und ob er blutsverwandt oder angeheiratet ist, denn für jeden dieser Fälle gibt es einen speziellen Ausdruck. (BORODITSKY 2012)

Was wir also Denken nennen, ist offenbar in WirklichkeitWirklichkeit eine komplexe Verschaltung linguistischer und nichtlinguistischer Prozesse. Demnach dürfte es wohl kaum Denkprozesse geben, bei denen die Sprache keine Rolle spielt. Ein Grundzug menschlicher Intelligenz ist ihre Anpassungsfähigkeit – die Gabe, Konzepte über die Welt zu erfinden und so abzuändern, dass sie zu wechselnden Zielen und Umgebungen passen. Sie sehen also:

Alles Denken ist Sprache und nichts ist ohne Sprache denkbar. Denn: „Ohne Sprache gibt es kein Denken!“ (DÖRNER 1998: 41) Und ohne Denken gibt es keine Sprache.

Dieser Gedanke ist auch für das Thema unseres Buches interessant. Veränderte Sprachmuster führen demnach auch zu veränderten Denkmustern und umgekehrt. Diesen Umstand bezeichnet man als Linguistischen DeterminismusDeterminismus. Etwas salopp formuliert ließe sich sagen:

Sprachwandel führt zu Denkwandel und Denkwandel führt zu Sprachwandel.

Aber beantwortet das bereits die Frage, was Sprache genau ist? Wenn wir darauf Antworten bekommen wollen, müssen wir uns ansehen, wie die Sprache in den Wissenschaften betrachtet wird. Wir müssen schauen, welche Auffassungen von der Struktur und Funktion von Sprache vorherrschen. Und wir müssen überlegen, wie die Verschiedenheit der Sprachen zu erklären ist. Diese letzte Frage können wir am ehesten mit einem Blick in die Sprachgeschichte klären.

Exkurs: Die Sapir-Whorf-Hypothese — oder: Wie bestimmt die Sprache unser Denken (und Handeln)?

 

Wenn man davon ausgeht, dass unser Denken über sprachliche WissensbeständeWissensbeständesprachliche in unserem Gehirn organisiert ist und wenn wir weiterhin davon ausgehen, dass wir uns mit unserem Denken in einem ständigen Austausch mit unserer Umwelt befinden, dann ist es plausibel anzunehmen, dass hier Wechselwirkungen bestehen zwischen dem Denken und der Sprache auf der einen und der Welt um uns herum auf der anderen Seite.

Die sogenannte Sapir-Whorf-Hypothese besagt, dass die Art und Weise, wie wir denken, durch die Bedingungen unserer Sprache, also durch die lexikalische und grammatische Struktur unseres Sprachsystems, determiniert wird. Nach dieser Auffassung ist es prinzipiell unmöglich, dass wir uns mit einem Menschen, der eine andere Sprache als wir spricht, so verständigen können, dass wir uns verstehen. Die Hypothese geht davon aus, dass es bestimmte Gedanken einer einzelnen Person in einer Sprache gibt, die von jemandem, der eine andere Sprache spricht, nicht verstanden werden können.

Zudem ist es nicht möglich, etwas zu denken, für das wir den Begriff nicht kennen — was wir nicht sprachlich konzeptualisieren können, können wir schlicht und einfach auch nicht denken.

So definiert bedingt die Fähigkeit, Sprache benutzen zu können, unsere Fähigkeit, denken und die Welt wahrnehmen zu können. Die Sapir-Whorf-Hypothese geht also davon aus, dass die semantische Struktur einer Sprache die Möglichkeiten der Begriffsbildung von der Welt entweder determiniert oder limitiert.

Wenn man diese Hypothese weiterdenkt, bewirken bewusste Eingriffe von außen (z.B. durch das ideologische Besetzen bestimmter Begriffe durch die Politik) eine Veränderung der Denkstrukturen, wodurch Sprachveränderungen (= geplanter Sprachwandel) über Denkveränderungen unmittelbare Auswirkungen auf die außersprachliche WirklichkeitWirklichkeit haben können. Viele Begriffe der Nazi-Ideologiesprache beispielsweise haben dazu geführt, dass Denkmuster durch z.B. EuphemismenEuphemismus so gesteuert wurden, dass das Denken zu konkretem Handeln führen konnte.

Gelenktes kollektives Sprachhandeln spiegelt sich demnach über den Prozess der Veränderung des Denkens bisweilen auch in konkretem Handeln wider.

 

Diese kontrovers diskutierte Annahme wurde von BENJAMIN WHORF aufgestellt, der sich auf den Sprachwissenschaftler EDWARD SAPIR berief und die Hypothese gemeinsam mit ihm vertrat. Ansätze zu einer Theorie des linguistischen Relativismus finden sich schon weit früher bei WILHELM VON HUMBOLDT. Die Sapir-Whorf-Hypothese führt neben den genannten Aspekten auch zu der Annahme von der grundsätzlichen Unübersetzbarkeit fremdsprachlicher Texte.

BENJAMIN LEE WHORF (18791941)

war zunächst Chemieingenieur und Experte für Brandschutz, bevor er amerikanische und indianische Linguistik mit dem besonderen Interesse für uto-amerikanische Sprachen bei EDWARD SAPIR studierte.

WHORF wurde (posthum) bekannt für seine Arbeiten zur Sprache der Hopi und für das nach ihm und seinem Lehrer SAPIR benannte linguistische Relativitätsprinzip (Sapir-Whorf-Hypothese).

Aus seinen Forschungen zur Hopi-Sprache leitete er ab, dass die Sprache, die ein Mensch spricht, den Weg seines Denkens maßgeblich beeinflusst: Die Struktur der Sprache beeinflusse die Wahrnehmung der Welt (s. Exkurs).

Auch wenn nach seinem Tod seine Darstellung der relevanten Aspekte der Hopi-Grammatik und andere Vorstellungen zu semantischen Aspekten der Hopi-Sprache widerlegt worden sind, blieben seine Gedanken zum Verhältnis von Sprache und Denken bis heute einflussreich — und werden in der Gegenwart kontrovers diskutiert.