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Gesine Manuwald

Römisches Theater

Von den Anfängen bis zur frühen Kaiserzeit

A. Francke Verlag Tübingen

Inhalt

Vorwort

Diese Einführung zum römischen Theater zur Zeit der Republik und in der frühen Kaiserzeit möchte Lesern, die am römischen Theaterwesen interessiert sind, einen Überblick über diesen Bereich der römischen Kultur vermitteln und einen Zugang zu den weithin nur fragmentarisch erhaltenen Textzeugnissen erleichtern. Damit liegt nun eine kompakte moderne Darstellung in deutscher Sprache vor. Die Ausführungen entsprechen teilweise denen, die in meinem Buch Roman Republican Theatre (2011) publiziert sind, und überschneiden sich mit der Zusammenstellung aufschlussreicher römischer Textbelege in Roman Drama: A Reader (2010). Für diese Einführung wurden die in den genannten Büchern vorgestellten Überlegungen und Textbeispiele überarbeitet, neu angeordnet, ergänzt, auf den aktuellen Forschungsstand gebracht und um die Entwicklungen in der Kaiserzeit und (selektiv) in der Rezeptionsgeschichte erweitert. Da in diesen Einführungswerken vom Narr-Francke-Attempto-Verlag/UTB keine intensive Auseinandersetzung mit den jeweiligen wissenschaftlichen Diskussionen vorgesehen ist, sei dafür auf die kommentierte Bibliographie am Ende dieses Buchs und (für die republikanische Zeit) auf die Nachweise in Roman Republican Theatre verwiesen.

 

Zu großem Dank verpflichtet fühle ich mich Tilmann Bub vom Narr-Francke-Attempto-Verlag, der die Anregung zu diesem Buch gegeben und sein Entstehen durchgängig mit weiterführenden Hinweisen begleitet hat, sowie allen Helfern, die die Mühe des Korrekturlesens auf sich genommen haben, vor allem Julia Buchholz. Zu danken ist ferner allen Institutionen, die eine Erlaubnis zur Reproduktion für die Abbildungen gewährt haben.

 

London, Sommer 2016 G. M.

1. Einleitung

Das römische Drama ist eine der ersten literarischen Gattungen, die sich in Rom etablierten, als sich in republikanischer Zeit eine römische Literatur zu entwickeln begann. Dieses Genre erhielt wesentliche Impulse durch die Kontakte Roms mit anderen Kulturen während seines Aufstiegs zur bedeutendsten Macht im Mittelmeerraum. Daher ist die Geschichte des frühen römischen Dramas nicht nur von literarischem Interesse, sondern auch von politischer, sozialer und kultureller Relevanz: So bedingte etwa die Einführung dramatischer Aufführungen Änderungen im Format der öffentlichen Spiele. Im Laufe der Zeit kam es zu einer Aufgliederung der Gattung des römischen Dramas in eine Reihe von untereinander verschiedenen dramatischen Formen, wobei die römischen Dichter auch ihrem persönlichen Stil oder den Erfordernissen historischer Umstände entsprechend Stücke in unterschiedlicher Weise präsentierten. Von der späten Republik an ist zu beobachten, dass antike Wissenschaftler chronologische und terminologische Fragen in Bezug auf Dramen als Themen von eigenständigem Interesse diskutierten. Im Übergang von der Republik zur Kaiserzeit veränderten sich die Bedingungen für Aufführungen im Theater, und die Dramatiker passten sich dem Publikumsgeschmack und der gewandelten politischen Situation an. Deswegen besteht die literarische Gattung des Dramas in der Kaiserzeit zunächst fort, hat aber nicht mehr dieselbe Relevanz für das öffentliche Leben. Die Betrachtung der damals entstandenen Dramen ermöglicht zugleich einen Einblick in die literarischen und historischen Bedingungen der frühen Kaiserzeit. Für die spätere Kaiserzeit kann man von einem römischen Drama im eigentlichen Sinne nicht mehr sprechen, weswegen der vorliegende Überblick über das römische Drama die Republik und die frühe Kaiserzeit behandelt.

 

Trotz der Bedeutung dieses literarischen Genres haben die Gattung bzw. die verschiedenen einzelnen Formen des römischen Dramas bei Lesern und Forschern nicht immer dasselbe Interesse gefunden wie andere Gattungen der römischen Literatur. Das hängt nicht zuletzt mit der Überlieferungssituation zusammen. Denn ein großer Teil der römischen dramatischen Literatur ist nicht erhalten. Namen von Dramen-Dichtern, Titel von Dramen, Testimonia (Zeugnisse zu den Dichtern und ihren Stücken) und Fragmente einer begrenzten Zahl von Dramen ist alles, was für einige Zeitabschnitte und/oder einzelne dramatische Gattungen vorhanden ist. Die einzigen vollständig erhaltenen Dramen der klassischen römischen Periode sind die Komödien von Plautus und Terenz aus der republikanischen Zeit und die Tragödien des jüngeren Seneca (darunter wahrscheinlich eine unechte) und die anonyme Praetexta Octavia (überliefert im Corpus der Dramen Senecas) aus der frühen Kaiserzeit.

In diesem Buch wird der Versuch gemacht, als Ergänzung zu ausführlicheren und/oder auf einzelne dramatische Gattungen oder Epochen beschränkten Überblicken, eine Einführung zum römischen Drama in seiner Gesamtheit zu geben, wobei sowohl die Republik als auch die frühe Kaiserzeit und sowohl die vollständig erhaltenen als auch die fragmentarischen Stücke berücksichtigt werden (mit einem Schwerpunkt auf der Situation in Rom). Dabei sind aufgrund der sachlichen Gegebenheiten (z.B. Überlieferungssituation, Aufführungsmodalitäten) manche Aspekte mehr für die Republik und andere mehr für die frühe Kaiserzeit relevant sowie manche mehr für vollständig erhaltene und manche mehr für fragmentarisch erhaltene Stücke von Bedeutung, sodass der Fokus nicht in allen Abschnitten derselbe sein kann. Um die Entwicklung der Gattung des römischen Dramas als Ganzes bzw. die der einzelnen dramatischen Gattungen in ihrer jeweiligen Eigenart herausarbeiten zu können, werden die Dramatiker und ihre Stücke in den historischen, kulturellen und praktischen Kontext eingeordnet und Dramenaufführungen als Teil der römischen Festkultur interpretiert, was im eigentlichen Sinn nur für die republikanische Zeit gelten kann. Dabei ist es unvermeidlich, dass einige zentrale Fakten in mehreren Kapiteln erwähnt werden.

Um die Entwicklung und Eigenarten des römischen Dramas möglichst ganzheitlich zu erfassen, wird auch den fragmentarisch erhaltenen dramatischen Gattungen gebührende Aufmerksamkeit gewidmet, werden sie mit denen, für die Dramen vollständig erhalten sind, in Beziehung gesetzt und beide in demselben Kontext betrachtet. Es darf daher nicht erstaunen, wenn die dramatischen Gattungen und Dichter in den entsprechenden Kapiteln in chronologischer Folge abgehandelt und den besser bekannten nicht notwendigerweise mehr Platz zugestanden wird, zumal etwa für Plautus, Terenz und Seneca zahlreiche spezielle Abhandlungen zur Verfügung stehen.

Da das Buch als Einführung gedacht ist, sind detailliertere Diskussionen sprachlicher Entwicklungen oder metrischer Details eher knapp gehalten, und es gibt keine Fußnoten oder eine explizite Auseinandersetzung mit Sekundärliteratur. Die kommentierte Bibliographie am Ende des Buchs (mit einem Schwerpunkt auf einführenden und überblickshaften Beiträgen auf Deutsch oder Englisch) enthält Hinweise auf einschlägige Literatur und vermittelt Anregungen für weitere Lektüre.

Um einen direkten Eindruck von den Werken der römischen Dramatiker und der antiken Diskussion über Fragen des Theaters zu ermöglichen, sind in größerem Umfang durchgängig ausgewählte wörtliche Zitate aufgenommen, die Charakteristika der einzelnen Dramatiker oder des Theaterwesens erkennen lassen (im Stellenverzeichnis am Ende aufgelistet). Für diese Zitate ist neben den Originaltext eine deutsche Übersetzung gestellt, die hauptsächlich als Verständnishilfe gedacht ist und daher versucht, relativ nahe am Originaltext zu bleiben; knappe Erläuterungen und/oder verständnisfördernde Zusätze sind in eckigen Klammern eingefügt. Die Zitate (mit T und fortlaufender Nummerierung gekennzeichnet) sind in grau unterlegten Kästen vom Haupttext abgesetzt, der auch als solcher ohne intensiveres Studium der Textbeispiele gelesen werden kann. Zur besseren Übersichtlichkeit des Haupttexts sind die Themen der einzelnen Abschnitte im Fettdruck hervorgehoben.

Angesichts der Tatsache, dass Nachrichten über das Theaterwesen der Römer verstreut und die fragmentierten Dramentexte nur in begrenzter Zahl und aus dem ursprünglichen Zusammenhang gerissen erhalten, manchmal nicht eindeutig zu verstehen und möglicherweise unzuverlässig sind, ist eine Überblicksdarstellung des römischen Dramas in besonderer Weise mit dem Problem der Quellen konfrontiert. Sofern man diese jedoch mit der gebotenen Vorsicht überprüft, interpretiert und für das Gesamtergebnis auswertet, kann es vielleicht gelingen, immer mehr über die Geschichte der römischen Dramas zu ermitteln, auch wenn man akzeptieren muss, dass es Bereiche gibt, in denen sich wegen des zur Verfügung stehenden Materials keine sicheren Antworten finden lassen.

 

Was die Terminologie angeht, so werden die frühen Dichter und die frühe Periode des römischen Dramas als ‚republikanisch‘ und nicht als ‚archaisch‘ bezeichnet: ‚Republikanisch‘ kann eher als eine neutrale chronologische Bezeichnung verstanden werden, während ‚archaisch‘ eine Bewertung aus späterer Sicht impliziert. Entsprechend werden Autoren, die sich nach der republikanischen Zeit über diese äußern, als ‚später‘ bezeichnet (sofern keine genauere Datierung notwendig ist). Außerdem werden die Begriffe ‚Nation‘ und ‚national‘ wegen ihrer anachronistischen Implikationen so weit wie möglich vermieden; wenn sie in Ermangelung einer besseren Bezeichnung verwendet werden, soll das nicht eine ‚nationalistische‘ Perspektive implizieren und eine Vereinfachung der komplexen Situation in Rom bedeuten, sondern auf eine sich entwickelnde Literatur verweisen, die in der eigenen Sprache der Römer geschrieben ist und sich mit Themen befasst, die für Rom wichtig sind.

Zur Unterscheidung der zwei Haupttypen dramatischer Dichtung sind die Bezeichnungen ‚ernstes Drama‘ und ‚leichtes Drama‘ verwendet, die jeweils verschiedene Formen von erhabenen, möglicherweise tragischen bzw. unterhaltsamen, mehr bodenständigen Stücken umfassen. Diese Beschreibungen anstelle von ‚tragischem Drama/Tragödie‘ und ‚komischem Drama/Komödie‘ sind gewählt als möglichst umfassende Bezeichnungen, die Assoziationen mit bestimmten dramatischen Gattungen oder speziellen Charakteristika minimieren.

 

Die vorliegende Einführung beruht in vielen Fragen, etwa der Textgestaltung oder der organisatorischen Aspekte des Theaterwesens, auf Ergebnissen früherer wissenschaftlicher Forschung (▶ Auswahl in Bibliographie), auch wenn das nicht im Einzelfall dokumentiert ist. Für die Textzitate in diesem Buch seien nur einige Angaben zu den Quellen gemacht.

Die Texte der fragmentarisch überlieferten Dramatiker sind zusammengestellt in den Ausgaben von O. Ribbeck aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Seine Sammlungen der tragischen und der komischen Fragmente (2. Aufl., 1871/1873; 3. Aufl., 1897/1898) sind weiterhin die einzigen kritischen Editionen, die alle Dichter und dramatischen Gattungen beinhalten. Ribbeck gibt außerdem wichtige Hinweise auf sein Verständnis der Stücke in den Einführungen zur zweiten Auflage seiner Ausgaben und in seinem Buch Die römische Tragödie im Zeitalter der Republik (1875). Die Fragmente der bedeutenderen republikanischen Dramatiker sind vielleicht leichter zugänglich in E.H. Warmingtons zweisprachiger Ausgabe als Teil der Remains of Old Latin der Loeb Classical Library (1930er Jahre), da dieses vierbändige Werk (jetzt auch digital zugänglich) englische Übersetzungen, kurze Einführungen zu den einzelnen Autoren und Dramen sowie Hinweise auf den Kontext jedes Fragments (in der Sicht des Herausgebers) enthält. Die Reihe der Remains of Old Latin wird gegenwärtig überarbeitet unter dem neuen Titel Fragmentary Republican Latin. Die kritische Ausgabe von O. Ribbeck wird für die Tragödien nach und nach ersetzt durch die vierbändige Edition Tragicorum Romanorum Fragmenta (TrRF), wovon die ersten beiden Bände (Livius Andronicus, Naevius, Tragici minores, Fragmenta adespota; Ennius) bereits erschienen sind (2012).

Bei den Textzitaten von Fragmenten in diesem Buch ist die benutzte Ausgabe durch die Initiale der Herausgeber nach der jeweils übernommenen Zählung identifiziert (Angaben in der Bibliographie). Zitate aus den vollständig erhaltenen Dramen von Plautus, Terenz und Seneca, für die jeweils eine Reihe von Editionen, Kommentaren und Übersetzungen in moderne Sprachen vorliegt, folgen den gängigen Ausgaben.

Die Abkürzungen für die Namen antiker Autoren und die Titel ihrer Werke orientieren sich an den Konventionen in Der Neue Pauly. Die für die Namen der Dramatiker und die Titel der vollständig erhaltenen Dramen verwendeten Abkürzungen sind in Appendix 1 aufgeführt.

2. Frühe römische Dramendichtung im Kontext

2.1. Kulturelle Entwicklungen

Nach römischer Tradition soll die Stadt Rom 753 v. Chr. gegründet worden sein. Als das literarische Drama in Rom in der Mitte des dritten Jahrhunderts v. Chr. aufkam, waren die Römer jedenfalls bereits über mehrere Jahrhunderte in Kontakt mit anderen Völkern in Italien und anderswo im Mittelmeerraum und hatten deren jeweilige politische Organisationsform, Lebensweise und Kultur kennengelernt. Diese Situation führte zu einem regen Austausch, wie sich an Handelsbeziehungen und der Übernahme von Bräuchen und Kulturgut durch die Römer zeigt. Zu den Völkern, mit denen die Römer direkten Kontakt hatten, gehören Griechen, Karthager, Etrusker und Osker.

Abb. 1

apulische Vase

Rotfiguriger Volutenkrater, dem Darius-Maler zugeschrieben, aus Apulien, ca. 340320 v. Chr. (London, British Museum, Inv.-Nr. 1856,1226.1)

Auf der abgebildeten Seite der Vase ist im oberen Register eine Götterversammlung dargestellt (mit Pan, Apollo, Athene, Aphrodite, Poseidon). Im unteren Register erschrecken eine Furie und ein Stier den von seinem Vater Theseus verfluchten Hippolytus auf dem Wagen; ein alter Diener eilt verstört hinterher. Die Abbildung dieser Szene lässt darauf schließen, dass griechische Mythen bereits vor Abfassung der ersten lateinischen literarischen Dramen in Italien bekannt waren (sie basiert vielleicht auf Euripides’ Hippolytus).

Griechen waren seit der Kolonisation der Küstengebiete im Süden des Festlands und der benachbarten Inseln (Magna Graecia) im achten bis sechsten Jahrhundert v. Chr. in Italien präsent. Importierte griechische Vasen vom sechsten Jahrhundert v. Chr. an sowie in Italien hergestellte (bes. in Apulien, Lukanien, Kampanien), vor allem seit Anfang des vierten Jahrhunderts v. Chr., zeigen aus dem griechischen Mythos bekannte griechische Helden und Heldinnen. Nachdem unter Führung Athens 444/443 v. Chr. die Kolonie Thurioi am Golf von Tarent von Griechen neu besiedelt worden war (und Tarent 433/432 v. Chr. die griechische Stadt Herakleia in Lukanien als Kolonie neu etabliert hatte), wurden die kulturellen Beziehungen zwischen Griechenland und dem italischen Festland enger. Bis zum Ende der Kriege gegen Pyrrhus (Schlacht bei Beneventum 275 v. Chr.) gelangten die meisten Städte in Magna Graecia unter römische Kontrolle. Auch der Erste Punische Krieg (264241 v. Chr.), von dem ein großer Teil in Sizilien ausgetragen wurde, hatte den Nebeneffekt, dass viele Römer griechische Kultur näher kennenlernten.

Seit dem späten dritten Jahrhundert v. Chr. intensivierten sich die Verbindungen zwischen Griechen und Römern und veränderten sich zugleich. Das hing damit zusammen, dass sich nach den Eroberungszügen Alexanders des Großen die ‚Hellenistische Welt‘ herausbildete, in der die griechische Kultur weniger ‚griechisch‘ wurde und sich weit über Griechenland hinaus ausdehnte, sowie mit den damaligen politischen Entwicklungen, vor allem Roms Eroberung vieler Gebiete des Mittelmeerraums. In dieser Anfangsphase der verstärkten Kontakte mit Griechenland scheinen Bestandteile der griechischen Kultur in Rom übernommen worden zu sein, vermutlich vor allem weil Rom durch diese Übernahme von Kennzeichen der als höher angesehenen Zivilisation seine Position im Mittelmeerraum zu sichern bemüht war.

Die Beziehungen zwischen Griechen und Römern lassen sich am ehesten als ein dynamischer Prozess in einer Kontaktzone beschreiben. Dass die Wirkungen in der römischen Kultur deutlicher wahrzunehmen sind, ist wahrscheinlich die Folge davon, dass in kultureller Hinsicht die Römer sich gegenüber den ‚etablierten‘ Städten in Griechenland in der Position der Nehmenden befanden, verbunden mit einer erstaunlichen Offenheit und Flexibilität der Römer gegenüber Einrichtungen anderer Völker (Pol. 6,25,11; vgl. auch Cic. Tusc. 1,16; 4,17; Sall. Catil. 51,3738). Die Römer waren daher das erste Volk in Europa, das seine eigene Kultur auf der Basis einer anderen vollentwickelten europäischen Kultur formte.

Das Ende des Dritten Makedonischen Kriegs (171168 v. Chr.) brachte in einer neuen Welle griechische Kunst- und Literaturwerke sowie viele gebildete Griechen nach Rom, die Zugang zu politisch und intellektuell führenden Kreisen bekamen. Von nachhaltiger Wirkung waren die Vorträge des pergamenischen Grammatikers und (stoischen) Philosophen Krates von Mallos, als er als Gesandter des Königs Attalos II. 168/167 v. Chr. in Rom war. Er war einer der Lehrer des stoischen Philosophen Panaitios von Rhodos (ca. 185109 v. Chr.), der lange Zeit in Rom lebte und mit P. Cornelius Scipio Aemilianus Africanus (ca. 185129 v. Chr.) und dessen Freunden Kontakt hatte. Ähnliches gilt für den griechischen Historiker Polybios (ca. 200120 v. Chr.), der als eine von 1000 griechischen Geiseln nach dem Dritten Makedonischen Krieg nach Rom kam und ebenfalls mit Scipio Africanus in freundschaftlichem Verhältnis stand. Ein weiteres entscheidendes Ereignis für den griechisch-römischen Kulturaustausch war 155 v. Chr. eine athenische ‚Gesandtschaft‘ von drei Philosophen nach Rom, die aus dem Akademiker Karneades, dem Stoiker Diogenes von Babylon und dem Peripatetiker Kritolaos bestand.

Diese kulturellen Transfers führten dazu, dass Rom als neues intellektuelles Zentrum des Mittelmeerraums in Erscheinung trat, zusätzlich zu politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen. In dieser Periode, der dynamischsten der kulturellen Adaption, kam ein Bewusstsein des Unterschieds zwischen der griechischen und der römischen Lebensweise auf. Im ersten Jahrhundert v. Chr. begannen römische Intellektuelle dann, Roms kulturelle Leistungen im Vergleich mit denen der Griechen zu messen und über ihre eigenen Traditionen zu reflektieren.

 

Die ersten Aufführungen literarischer Dramen in Rom in der Mitte des dritten Jahrhunderts v. Chr. fallen in eine größere hellenisierende Phase, und die ersten Dramatiker in Rom waren Griechen oder ‚Halb-Griechen‘ (Suet. gramm. 1,2), das heißt, sie kamen aus Gebieten außerhalb Roms, die unter griechischem Einfluss standen (vor allem über die griechischen Siedlungen in Magna Graecia). Zwar sind auch italische Darstellungstraditionen in die dramatische Dichtung der Römer eingegangen, vor allem aus der etruskischen und der oskischen Kultur (▶ Kap. 2.3), aber die Etrusker und die Osker fungierten zugleich als indirekte Übermittler der griechischen Kultur. Süditalien kann als ein Schmelztiegel einer kulturellen Mischung bezeichnet werden, die ein signifikanter Faktor bei der Herausbildung der letztlichen Form des römischen literarischen Dramas war.

Während diese kulturellen Erfahrungen die ersten Dramatiker in Rom beeinflusst haben werden, gibt es kaum Spuren ihrer lokalen Sprachen in den erhaltenen Texten, obwohl Latein erst zu einer Literatursprache ausgestaltet werden musste, als das römische Drama aufkam. Hingegen übernahmen andere Völker des Mittelmeerraums mit Elementen der griechischen Literatur auch die griechische Sprache. Stattdessen entschieden sich die Römer bei der Einführung literarischer Dramen für deren Umsetzung ins Lateinische. Dadurch entfaltete sich die Sprache der Römer zu einem literarischen Idiom; auf dieser Basis konnten eine Nationalliteratur auf Latein und eine römische literarische Tradition entstehen.

2.2. Das griechische Theater und Rom

Aufgrund der unmittelbaren Konfrontation mit den spezifischen Darstellungsformen der Nachbarvölker und dem hochentwickelten Theaterwesen der Griechen durchliefen die Hauptgattungen des römischen Dramas nicht eine allmähliche und eigenständige Entwicklung von kleinen Anfängen bis zu komplizierten Formen; vielmehr folgte auf vorliterarische und schattenhafte Anfänge unmittelbar ein relativ fortgeschrittenes literarisches Stadium, das in römischen Versionen von Dramen bestand, die aus einem anderen kulturellen Kontext mit einer langen literarischen Theatertradition übernommen wurden.

Durch die Umsetzung griechischer Stücke ins Lateinische führten römische Dichter die Kunst der literarischen Übersetzung als einen künstlerischen Prozess in Europa ein, also ‚Übersetzung‘ nicht im Sinne einer wortwörtlichen Umsetzung, sondern als Übertragung der Bedeutung und Struktur von Szenen oder ganzer Dramen. Durch diesen kulturellen Transfer schufen sie selbstständige Werke, die auf Modellen in einer anderen Sprache basierten. Die sich entwickelnde Literatur Roms entstand also durch den Entschluss, literarische Werke einer anderen europäischen Kultur zu adaptieren. Entsprechend demonstrieren die Entscheidungen der ersten Dichter, was sie adaptierten und wie sie es für die römische Gesellschaft umsetzten, ihre ersten eigenständigen künstlerischen Schritte.

Als die Römer anfingen, sich mit dem griechischen Drama auseinanderzusetzen, hatte dieses bereits seine kosmopolitische Anziehungskraft erwiesen. Denn das griechische Drama (besonders die Tragödie und die Neue Komödie) konnte trotz seiner Verankerung im griechischen Mythos bzw. Ambiente wegen seines Potenzials für Universalität und Adaption gut von anderen Völkern übernommen werden. Dass sich Stücke bei Wiederaufführungen vom Original entfernen mögen, etwa durch Schauspielerinterpolationen, ist für Athen erkennbar an den Bemühungen des Lykurgos in der Mitte des vierten Jahrhunderts v. Chr., ein offizielles Exemplar der Texte der drei großen Tragiker zu erstellen ([Plut.] vit. X orat. 841F). Da Wiederaufführungen klassischer athenischer Dramen in der griechischen Welt außerhalb Athens in hellenistischer Zeit in Bezug auf Textform und Aufführungspraxis an den zeitgenössischen Geschmack angepasst gewesen sein werden, wird das griechische Drama, das die Römer im hellenisierten Süditalien kennenlernten, sich von den klassischen athenischen Versionen unterschieden haben.

Auf jeden Fall ergab sich so ein direkter Zugang zu griechischen Dramen, wenn vielleicht auch nicht in ihrer ursprünglichen Form. Denn um eine Auswahl der zu übertragenden Dramen treffen zu können, müssen römische Dichter mit griechischen Stücken vertraut gewesen sein, durch Aufführungen oder die Lektüre von Dramentexten. Auch wenn für einige römische Dramen mit einer auf einer griechischen Geschichte basierenden Handlung kein bekanntes griechisches Vorbild zu finden ist, ist feststellbar, dass den meisten, für die sich griechische Modelle identifizieren lassen, Stücke von Dramatikern zugrunde liegen, die bereits in Griechenland etabliert und zu Theaterklassikern geworden waren. Römische Tragödien, die auf weniger bekannten Mythen basieren, folgen entweder ‚nachklassischen‘, ‚nach-euripideischen‘ bzw. ‚hellenistischen‘ Vorbildern oder sind selbstständige römische Schöpfungen, entwickelt auf der Basis mythischer Erzählungen nach dem strukturellen Modell griechischer Stücke. Eine besondere Rolle nicht-klassischer griechischer Stücke bei der Auswahl mythischer Geschichten und Versionen lässt sich nicht nachweisen. Das zeitgenössische griechische Theater hatte vermutlich mehr Einfluss auf den Aufführungsstil als auf das Repertoire.

Abb. 2

Karte

Karte des Römischen Reiches mit Grenzen des 1.–2. Jh.s n. Chr. und Eintragung aller bekannten antiken Stätten mit griechischen oder römischen Theatern

2.3. Italische Traditionen

Neben ihrer Funktion als indirekte Übermittler griechischer Kultur hatten die Etrusker eine eigene kulturelle Tradition, mit der die Römer in Berührung kamen. Da es kaum schriftliche Quellen der Etrusker gibt, müssen Details anhand archäologischer Zeugnisse und Bemerkungen nicht-etruskischer Autoren erschlossen werden. Daher bleiben, auch wenn moderne Forscher von einem bedeutenden Einfluss der etruskischen Kultur auf das römische Drama ausgehen, Einzelheiten schwer zu bestimmen.

Nach den archäologischen Befunden waren die Etrusker seit dem achten Jahrhundert v. Chr. mit den Protagonisten griechischer Mythen vertraut. Jedenfalls finden sich bei ihnen bildliche Darstellungen griechischer Mythen, die sie offenkundig interessant fanden oder in denen sie Probleme behandelt sahen, die für ihr Zusammenleben relevant waren.

Außerdem scheinen die Etrusker wichtige Ereignisse ihrer Geschichte abgebildet zu haben. Bilder in der Tomba François in Vulci (ca. 330310 v. Chr.) zeigen eine Kombination von Szenen aus dem griechischen Mythos, Repräsentationen des Etruskers, der das Grab bauen ließ, sowie Kämpfe zwischen Vertretern verschiedener etruskischer Städte. Solche Bilder weisen auf ein Bestreben hin, historischen Ereignissen einen künstlerischen Erinnerungsrahmen zu geben. In Rom sollte die künstlerische Repräsentation historischer Ereignisse für Bildkunst und Literatur charakteristisch werden. Die Repräsentation griechischer Mythen, die einen Bezug zu lebensweltlichen Problemen ermöglichen, einerseits und lokaler bedeutender Persönlichkeiten andererseits entspricht den beiden Formen des ernsten Dramas in Rom (Tragödien und Praetexten).

Etruskische Gemälde zeigen ferner, dass die Etrusker seit dem sechsten Jahrhundert v. Chr. eine ausgeprägte Festkultur hatten, mit feierlichen Prozessionen, sportlichen Wettkämpfen, Gladiatorenkämpfen, Zirkusspielen, von Musik begleiteten Tänzen und mimetischen Tänzen maskierter Schauspieler. Etruskische Feste waren offenbar mit dem politischen und religiösen Leben verbunden. Oft fanden sie als Spiele beim Begräbnis bedeutender Individuen statt. Nach einer Bemerkung bei Livius galt es in Etrurien als Frevel, die Riten der Spiele zu unterbrechen; ein König tat das jedoch einmal aus Verärgerung und entfernte die Künstler (die fast alle seine Sklaven waren) mitten in einer Aufführung (Liv. 5,1,35). Eine solche Aktion setzt eine institutionalisierte Festspielkultur voraus sowie Schauspieler von niedrigem sozialen Status. Die römische rituelle Prozession zum Platz der Aufführungen (pompa circensis), die zur Eröffnung von Festspielen stattfand, wobei in bestimmter Folge ausgewählte Mitglieder der römischen Gesellschaft, Akteure, Priester und Statuen von Göttern zum Veranstaltungsort gebracht wurden (Dion. Hal. ant. 2,71,34; 7,72), soll letztlich von den Etruskern kommen, auch wenn sie sich später weiterentwickelte und griechische Bräuche inkorporierte.

Da Livius berichtet, dass man in Rom 364 v. Chr. – angesichts einer langdauernden Pest – neben anderen Maßnahmen durch die Herbeiholung etruskischer Tänzer den Zorn der Götter zu besänftigen suchte (Liv. 7,2,34 [▶ T 1]), scheinen die Etrusker dieser Zeit aus römischer Sicht eine Aufführungskultur gehabt zu haben. Linguistische Belege zeigen, dass etruskischer Einfluss zur Formung des römischen Theaters beitrug (vgl. auch Liv. 7,2,6 [▶ T 1]): Wichtige Theaterwörter im Lateinischen (belegt seit Plautus) wie histrio (‚Schauspieler‘), ludius (‚Schauspieler‘), persona (‚Maske‘, ‚Rolle‘) und scaena (‚Bühne‘) kamen wahrscheinlich aus dem Etruskischen ins Lateinische.

Nach Livius’ Bericht stellten bei den etruskischen Aufführungen, wie sie anfangs von den Römern übernommen wurden, die (zu Musikbegleitung vorgeführten) Tänze nicht unmittelbar eine zusammenhängende Handlung dar (Liv. 7,2,4 [▶ T 1]). Auch wenn Varro einen Volnius erwähnt, der ‚etruskische Tragödien‘ (tragoediae Tuscae) schrieb (Varro, ling. 5,55), ist es unsicher, ob die Etrusker ursprünglich szenische Darbietungen eigentlicher Dramen oder erzählender Dichtung hatten. Jedenfalls sind die Begriffe für dramatische Gattungen lateinisch oder abgeleitet aus dem Griechischen (z.B. fabula, comoedia, tragoedia), während die etruskischen Wörter praktische Aspekte betreffen, die für alle Arten von Theateraufführungen gelten. Der etruskische Einfluss scheint sich also eher auf die Einrichtung und die Organisation der Festspiele ausgewirkt zu haben. Etruskische Traditionen haben darüber hinaus wahrscheinlich zu der großen Rolle von Musik, Theatralität und Spektakel im römischen Drama beigetragen.

Die Etrusker müssen die griechische Theaterkultur schon vor den Römern zumindest gekannt oder sogar übernommen haben. Seit der hellenistischen Zeit lassen Darstellungen dramatischer Szenen auf etruskischen Kunstwerken Reflexe griechischer dramatischer Versionen und deren Themen erkennen. Die Häufigkeit nicht nur mythischer Szenen, sondern auch von Bühnenkonstellationen, verbunden mit einer Tendenz, Handlungen auf der Bühne zu zeigen, die im griechischen Drama erzählt werden, erlaubt die Schlussfolgerung, dass es in Etrurien eine eigene Theaterkultur gab.

 

Neben den griechischen und den etruskischen gab es vor dem Aufkommen des literarischen Dramas auf Latein eine Reihe anderer Aufführungstraditionen in Italien. Vor allem die dramatischen Traditionen im multikulturellen Süditalien (die ihrerseits in direktem oder indirektem Kontakt mit der griechischen Kultur standen) blieben nicht ohne Nachwirkung für die Entwicklung in Rom.

Der deutlichste Hinweis auf dramatische Aufführungen im Süditalien des vierten Jahrhunderts sind Vasenbilder, vor allem die sogenannten ‚Phlyakenvasen‘. Diese Vasen, die zumeist aus der Zeit von etwa 380 bis 340 v. Chr. stammen, wurden in Sizilien und Süditalien, vor allem Apulien, gefunden. Sie zeigen eine Vielfalt von Szenen, Charakteren und Masken, die sich auf (komische) Dramenaufführungen beziehen. Die Darsteller werden mit hässlichen Theatermasken, ausgestopften Zottelgewändern und einem umgeschnallten Phallos gezeigt. Die Benennung ‚Phlyaken‘ basiert auf einer angenommenen Verbindung mit den späteren literarischen Werken von Rhinthon, der als Verfasser von Phlyaken-Stücken, eines besonderen Typs des leichten Dramas, betrachtet wurde (s.u.).

Abb. 3

Phlyakenvase

Apulischer rotfiguriger Glockenkrater, 370360 v. Chr., dem Cotugno-Maler zugeschrieben (The J. Paul Getty Museum, Inv.-Nr. 96.AE.113)

Darstellung einer Parodie von Zeus’ Liebesabenteuern, der sich (mit Krone und Zepter) lüstern einer hässlichen alten Frau nähert, während ein Sklave zuschaut. Die Szene spielt sich auf der einfachen Phlyakenbühne ab; die männlichen Figuren tragen das spezifische Phlyakenkostüm (Maske, ‚Strumpfhose‘, ausgestopftes Gewand, großer künstlicher Phallus).

Entsprechend wurden diese Vasen früher als Beleg für die Existenz populärer Farce in Süditalien angesehen. Jedoch haben jüngere Arbeiten nachgewiesen, dass sie eher als Repräsentanten der attischen (Mittleren oder Alten) Komödie des vierten Jahrhunderts betrachtet werden sollten, vor allem da Inschriften auf ihnen im attischen (und nicht im lokalen dorischen) Dialekt abgefasst sind, Masken und Kostüme denen ähneln, die in Athen üblich waren, und einige Darstellungen als Szenen in erhaltenen griechischen Komödien identifiziert werden können. Außerdem scheinen Vasen, die komische Szenen oder Masken zeigen, vor allem in Tarent hergestellt worden zu sein, wo sich ein spezifischer tarentinischer Stil entwickelte. Daher muss in Tarent ein besonderes Interesse am Theater bestanden haben (bereits in der Antike sprichwörtlich), aber nicht anderswo, was der Annahme einer weitverbreiteten Präsenz und Popularität einer lokalen ländlichen Komödie widerspricht.

Auch wenn diese Vasen damit nicht mehr Belege für einheimische komödienhafte Aufführungen in Italien sind, können sie weiterhin als Zeugen für die Beliebtheit von Theater und die Aufführungspraxis in Süditalien gelten: Sie lassen erkennen, dass es wandernde Schauspieler gab, die einfache Bühnen und Requisiten mit sich führten, und zeigen eine verbreitete Kultur mimetischer Repräsentation im vierten Jahrhundert v. Chr., die sich wahrscheinlich über die griechischen Städte Süditaliens nach Latium und Etrurien erstreckte. Weitere süditalische Vasenbilder, die essenzielle Elemente bestimmter griechischer Mythen oder identifizierbarer Szenen aus griechischen Tragödien abbilden, deuten auf die weitverbreitete Bekanntheit und Popularität der griechischen Tragödie hin. Solche Illustrationen mögen auch auf eine Einstellung zum Theater hinweisen, die sich von der im klassischen Athen unterscheidet, wo Vasenbilder in der Regel nicht bestimmte Theateraufführungen darstellten. In Süditalien hingegen wurden Dramenaufführungen als eine etablierte Kunst übernommen und nicht als Element des bürgerlichen und politischen Lebens entwickelt wie in Athen. Dramenaufführungen hatten daher eher den Status von vergnüglicher Unterhaltung, die auch als Dekoration von Vasen fungieren konnte.

Die lokale dorische griechische Komödie in Italien erhielt literarische Form im fünften Jahrhundert v. Chr. durch Epicharmus (Epicharmus, T 1, 18 Kassel/Austin). Er scheint hauptsächlich komische Stücke über mythische Helden verfasst zu haben.

Wenn man auch nicht mehr glaubt, dass die sogenannten Phlyakenvasen mit den Phlyaken-Stücken, den Vorläufern der literarischen fabula Rhinthonica, in Beziehung stehen, gab es, unabhängig davon, eine solche Form der rustikalen Komödie, die Burlesken, Travestien von Mythen, Parodien von Tragödien und alltägliche komische Szenen vorführte, wie sich aus erhaltenen Fragmenten erschließen lässt. Diese Dramenform wurde wahrscheinlich von dorischen Siedlern nach Italien gebracht und hat einige Merkmale mit der griechischen Mittleren Komödie gemeinsam. Eine literarische Form erhielt diese Art von Drama durch Rhinthon, der aus Syrakus kam und um 300 v. Chr. in Tarent tätig war. Seine Stücke waren offenbar Tragödienparodien, genannt tragikoi phlyakes, hilarotragoediae oder (später) fabulae Rhinthonicae (Rhinthon, T 13, 5 Kassel/Austin). Spätantike Wissenschaftler definieren fabulae Rhinthonicae als eine Form des komischen und/oder lateinischen Dramas (Don. com. 6,1; zu Ter. Ad. 7; Euanth. fab. 4,1; Lyd. mag. 1,40; [Caes. Bass.], GL VI, p. 312,79 [= Rhinthon, T 5 Kassel/Austin]). Diese Lokalisierung basiert wahrscheinlich auf der Beobachtung, dass Dramen dieser Art in Italien aufgeführt wurden. Es gibt jedoch keine eindeutigen Belege für die Präsenz der fabula Rhinthonica in Rom.

Ein anderer Typ unterhaltender Bühnenpräsentation, der Mimus, wurde in Italien durch Griechen im Süden und in Sizilien eingeführt: Mimen gab es in Griechenland seit der archaischen Zeit, und sie deckten ein weites Spektrum von Aufführungen ab, im Wesentlichen basierend auf Improvisation und Virtuosität. Griechische Mimen benutzten eine einfache dorische Sprache; sie beinhalteten Gesang, Tanz, Imitation alltäglicher Situationen und pantomimische Repräsentationen mythischer Szenen (z.B. Xen. symp. 9,17). Die Themen waren in der Regel erotisch, burlesk oder fantastisch; die Handlung spielte oft in der schlichten Umgebung durchschnittlicher Familien und Handwerker. Der Mimus wurde durch den Sizilier Sophron im fünften Jahrhundert v. Chr. literarisch, während vorliterarische improvisierte Mimen vermutlich weiterbestanden. Auch wenn der Mimus nie den Status und die weite Verbreitung der athenischen Tragöde und Komödie erreichte, wurde er als ein unabhängiges dramatisches Genre geschätzt und überlebte lokal. Vom dritten Jahrhundert v. Chr. an wurde der Mimus über die dorischen Siedlungen in Süditalien und Sizilien in ganz Italien bekannt (▶ Kap. 4.6).

Bei den Oskern gab es ebenfalls eine Version des populären leichten Dramas, fabula Atellana, benannt nach der oskischen Stadt Atella in Kampanien, wo diese Gattung nach den Angaben späterer römischer Autoren herkam (Liv. 7,2,1112 [▶ T 1]; Val. Max. 2,4,4; Diom. ars 3, GL I, pp. 489,14490,7; Euanth. fab. 4,1). Die oskische Atellane scheint ursprünglich eine burleske Farce gewesen zu sein, die merkwürdige Erlebnisse stereotyper komischer Figuren zeigt (Tac. ann. 4,14,3). Schon die Typen verweisen auf einen derben Charakter und einen auf Lächerlichkeit abzielenden Inhalt. Ursprung und Details der Einführung der Atellane in Rom sind unsicher: Sie mag sich unter dem Einfluss von Formen des griechischen leichten Dramas entwickelt haben, und es ist vermutet worden, dass oskische Handwerker, vor allem Walker, die Atellane im Verlauf des dritten Jahrhunderts v. Chr. nach Rom gebracht haben (▶ Kap. 4.5).

Im frühen Rom gab es die sogenannten Fescenninischen Verse, wahrscheinlich benannt nach der faliskischen Stadt Fescennia. Dabei handelt es sich um improvisierte und responsive Wechselgesänge in Versen mit Spott und Scherz. Sie wurden als rustikal betrachtet und besonders bei Hochzeiten oder Erntefesten aufgeführt; ursprünglich scheinen sie apotropäische Funktion gehabt zu haben (Liv. 7,2,7 [▶ T 1]; Hor. epist. 2,1,145149; Porph. zu Hor. epist. 2,1,145; Fest., p. 76 L.; Macr. Sat. 2,4,21; Serv. zu Verg. Aen. 7,695; Diom. ars 3, GL I, p. 479,13).

 

Als erstmals Dramen in Rom aufgeführt wurden, die nach einer griechischen Vorlage gestaltet waren, werden die Römer also bereits sowohl eine eigene Bühnentradition gehabt haben als auch mit anderen italischen Traditionen in Berührung gekommen sein. Dabei handelt es sich eher um burleske, komische, improvisierte Aufführungen, mit einer bedeutsamen Rolle von Musik und Tanz, drastischen und einfachen Kostümen und einer schlichten Bühne, aber ohne eine lineare narrative Handlung. Das (im Vergleich zum griechischen Drama) verstärkte musikalische Element in der literarischen Komödie in Rom und die Vorliebe für Szenen mit Situationskomik werden häufig als Reflexionen des populären italischen Dramas angesehen.

2.4. ‚Literarisches‘ Drama in Rom

Die Römer haben sich selbst mit der Frage beschäftigt, wie es dazu kam, dass in ihrer Kultur das ‚römische literarische Drama‘ entstand. Die ausführlichsten, aber auch schwierigsten Quellen für das vorliterarische und frühe literarische Drama in Rom sind ein Kapitel bei dem Historiker Livius (Liv. 7,2 [▶ T 1]) und die parallele, jedoch leicht abweichende Darstellung bei Valerius Maximus (Val. Max. 2,4,4), die wahrscheinlich beide auf Werke des spätrepublikanischen Gelehrten Varro zurückgehen (vgl. auch z.B. Hor. epist. 2,1,139167; Aug. civ. 2,8; Oros. 3,4,5; Tert. spect. 5,5; Plut. qu. R. 107 [289D]). Elemente des von Livius geschildeten Ablaufs stimmen überein mit Informationen in anderen literarischen Quellen oder mit dem, was generell für das Aufkommen dramatischer Aufführungen plausibel ist. Auch wenn Details des Szenarios auf Rekonstruktionen von Interpreten aus spätrepublikanischer und frühaugusteischer Zeit basieren, mag eine solche Darlegung einen Kern authentischer Information enthalten.

Livius beschreibt, wie zunächst als Reaktion auf eine Pestepidemie 364 v. Chr. in religiös motivierter Absicht etruskische Tänzer nach Rom geholt wurden, wo Schauspiele außerhalb des Circus vorher nicht bekannt waren, sich dann allmählich in Auseinandersetzung mit bestehenden Traditionen die verschiedenen Formen des republikanischen Dramas entwickelten und das Theater in Rom zu einer einflussreichen Einrichtung wurde.

T 1 Livius 7,2

[1] et hoc et insequenti anno C. Sulpicio Petico C. Licinio Stolone consulibus pestilentia fuit. eo nihil dignum memoria actum, [2] nisi quod pacis deum exposcendae causa tertio tum post conditam urbem lectisternium fuit; [3] et cum vis morbi nec humanis consiliis nec ope divina levaretur, victis superstitione animis ludi quoque scenici – nova res bellicoso populo, nam circi modo spectaculum fuerat – inter alia caelestis irae placamina instituti dicuntur; [4] ceterum parva quoque, ut ferme principia omnia, et ea ipsa peregrina res fuit. sine carmine ullo, sine imitandorum carminum actu ludiones ex Etruria acciti, ad tibicinis modos saltantes, haud indecoros motus more Tusco dabant. [5] imitari deinde eos iuventus, simul inconditis inter se iocularia fundentes versibus, coepere; nec absoni a voce motus erant. [6] accepta itaque res saepiusque usurpando excitata. vernaculis artificibus, quia ister Tusco verbo ludio vocabatur, nomen histrionibus inditum; [7] qui non, sicut ante, Fescennino versu similem incompositum temere ac rudem alternis iaciebant, sed impletas modis saturas descripto iam ad tibicinem cantu motuque congruenti peragebant. [8] Livius post aliquot annis, qui ab saturis ausus est primus argumento fabulam serere, idem scilicet – id quod omnes tum erant – suorum carminum actor, [9] dicitur, cum saepius revocatus vocem obtudisset, venia petita puerum ad canendum ante tibicinem cum statuisset, canticum egisse aliquanto magis vigente motu quia nihil vocis usus impediebat. [10] inde † ad manum cantari histrionibus † coeptum diverbiaque tantum ipsorum voci relicta. [11] postquam lege hac fabularum ab risu ac soluto ioco res avocabatur et ludus in artem paulatim verterat, iuventus histrionibus fabellarum actu relicto ipsa inter se more antiquo ridicula intexta versibus iactitare coepit; unde exorta quae exodia postea appellata consertaque fabellis potissimum Atellanis sunt; [12] quod genus ludorum ab Oscis acceptum tenuit iuventus nec ab histrionibus pollui passa est; eo institutum manet, ut actores Atellanarum nec tribu moveantur et stipendia, tamquam expertes artis ludicrae, faciant. [13] inter aliarum parva principia rerum ludorum quoque prima origo ponenda visa est, ut appareret quam ab sano initio res in hanc vix opulentis regnis tolerabilem insaniam venerit.

[1] Sowohl in diesem als auch im folgenden Jahr (unter dem Konsulat des C. Sulpicius Peticus und C. Licinius Stolo [364 v. Chr.]) grassierte eine Seuche. Daher geschah nichts der Erwähnung Wertes, [2] außer dass damals, um den Frieden der Götter zu erflehen, zum dritten Mal seit Gründung der Stadt eine ‚Göttermahlzeit‘ [lectisternium] stattfand. [3] Und als die Gewalt der Krankheit weder durch menschliche Ratschläge noch durch göttliche Hilfe gemildert wurde, sollen, da die Gemüter dem Aberglauben erlegen waren, auch Bühnenspiele – eine neue Sache für das kriegerische Volk, denn es hatte nur Spiele im Circus gegeben – neben anderen Mitteln zur Besänftigung des göttlichen Zorns eingeführt worden sein. [4] Im Übrigen war die Sache auch klein, wie fast alle Anfänge, und sie war auch noch ausländisch. Ohne jeglichen Dichtertext, ohne dass man solche Inhalte durch Gebärdenspiel dargestellt hätte, boten aus Etrurien geholte Tänzer, zu den Weisen des Flötenspielers tanzend, nicht unelegante Bewegungen nach etruskischer Art dar. [5] Dann begannen die jungen Leute sie nachzuahmen, indem sie gleichzeitig untereinander in kunstlosen Versen Scherze von sich gaben; und die Bewegungen waren nicht unpassend zu den Worten. [6] Und so wurde die Sache angenommen und durch häufigere Ausführung etabliert. Den einheimischen Künstlern wurde, weil der pantomimische Tänzer mit einem etruskischen Wort ister genannt wurde, die Bezeichnung histriones [‚Schauspieler‘] verliehen. [7] Diese warfen sich nicht, wie vorher, dem Fescenninischen Vers entsprechend, ungestaltete und rohe Verse aus dem Stegreif im Wechselgesang zu, sondern führten Potpourris [saturae] auf mit Melodien, wobei der Gesang bereits für den Flötenspieler aufgeschrieben war und die Tanzbewegung dazu passte. [8] Nach etlichen Jahren soll Livius [Andronicus], der als erster den Schritt wagte, über die Potpourris hinausgehend ein Drama mit einem Handlungszusammenhang zu konstruieren [240 v. Chr.] – er war, versteht sich, zugleich, was damals alle waren, Schauspieler seiner eigenen Dichtungen –, [9] als er, mehrmals wieder auf die Bühne gerufen, seine Stimme heiser gesungen und, nachdem er die Erlaubnis erbeten hatte, einen Jungen zum Singen vor den Flötenspieler gestellt hatte, die Dichtung mit erheblich lebendigerer Tanzbewegung dargestellt haben, weil der Gebrauch der Stimme ihn nicht hinderte. [10] Von da fing es an, dass andere zu den Darbietungen der Schauspieler sangen [Text unsicher] und lediglich die Dialoge für ihre eigene Stimme blieben. [11] Nachdem sich die Sache durch diese Art dramatischer Dichtung von Witz und losem Scherz entfernt und sich das Spiel allmählich in Kunst verwandelt hatte, begann die Jugend, nachdem die Aufführung von Dramen den Schauspielern überlassen war, selbst untereinander nach alter Sitte in Verse gefasste Scherze vorzutragen; daraus entstand, was später ‚Nachspiele‘ [exodia] genannt und besonders mit Atellanen verbunden wurde. [12] An diesem Genre von Spielen, von den Oskern übernommen, hielt die Jugend fest und ließ nicht zu, dass es von den [berufsmäßigen] Schauspielern verunreinigt würde. Daher besteht noch die Regelung, dass die Schauspieler der Atellanen nicht aus ihrer Tribus ausgestoßen werden und Kriegsdienst leisten, als ob sie nichts mit der Schauspielkunst zu tun hätten. [13] Unter die kleinen Anfänge anderer Dinge scheint auch der erste Ursprung der Spiele einzuordnen zu sein, damit klar wird, wie eine Sache von einem vernünftigen Anfang zu dem jetzigen kaum für reiche Königreiche zu ertragenden Wahnsinn gekommen ist.

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