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Deutsche und Europäische Juristen aus neun Jahrhunderten

Eine biographische Einführung in die Geschichte der Rechtswissenschaft

herausgegeben von Gerd Kleinheyer und Jan Schröder

Mohr Siebeck GmbH & Co. KG

6., neu bearbeitete und erweiterte Auflage

Inhaltsverzeichnis

Copyright / Impressum

UTB Band 578

ISBN print 978-3-8252-0578-2

e-ISBN EPUB 978-3-8385-4526-4

Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

© 2017 Mohr Siebeck Tübingen.

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e-ISBN EPUB978-3-8385-4526-4

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Sofern im Register Seitenzahlen genannt sind, beziehen sich diese auf die Printausgabe. In dieser EPUB-Ausgabe führt ein Link zum Beginn der entsprechenden Textstelle.

|V|Vorwort

Für diese sechste Auflage wurden die Einleitung und alle Artikel überarbeitet. Der Anhang ist um mehrere Beiträge, vor allem über Juristen der alten Bundesrepublik Deutschland, ergänzt, Hans Kelsen in den Hauptteil aufgenommen worden. Die bibliographischen Angaben sind in der Regel auf dem Stand von Herbst 2016.

Frau stud. iur. Hjørdis Petersen, M.A., danken wir für die Aktualisierung der Register, Frau Jana Trispel vom Verlag Mohr Siebeck für die gute Zusammenarbeit bei der Herstellung. Für die freundliche Übernahme des Buches in das UTB-Programm seines Verlages sind wir Herrn Dr. Franz-Peter Gillig sehr zu Dank verbunden.

 

Bonn und Tübingen, Ostern 2017Die Herausgeber

|VII|Vorwort zur 4. Auflage

Die vierte Auflage der „Deutschen Juristen aus fünf Jahrhunderten“ erscheint unter einem neuen Titel und in einer stark erweiterten Form. In den letzten Jahrzehnten ist die Einsicht in den historischen Zusammenhang der europäischen Jurisprudenz mehr und mehr gewachsen, so daß nach unserer Ansicht die Geschichte der (deutschen) Rechtswissenschaft nicht mehr ohne die Verbindungslinien zur gesamteuropäischen Entwicklung dargestellt werden sollte. Wir haben deshalb die Neuauflage um 34 Biographien nicht deutschsprachiger europäischer Juristen vermehrt und in der neugefaßten Einleitung die Einbettung der deutschen in die gesamteuropäische Jurisprudenz deutlich zu machen versucht. Nur dies, daß das Buch nach wie vor als Einführungs- und Nachschlagewerk zur Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft – nun aber im europäischen Kontext – konzipiert ist, soll der neue Titel „Deutsche und europäische Juristen aus neun Jahrhunderten“ zum Ausdruck bringen.

Die Trennung von Hauptteil und (nunmehr gleichfalls erweitertem) Anhang haben wir beibehalten. Der Hauptteil enthält die wichtigsten Stationen der deutschen und europäischen Rechtswissenschaft, wie sie in der Einleitung, gewissermaßen als Wegbeschreibung, skizziert sind. Im Anhang stehen weitere bedeutende Juristen, die nach unserem Urteil aber für die Gesamtentwicklung weniger repräsentativ sind, so daß hier auch die Werk- und Literaturhinweise erheblich knapper gehalten werden konnten. Damit behält das Buch die doppelte Funktion, die es auch bisher schon gehabt hat, nämlich einerseits zusammenhängend und detaillierter über die Schwerpunkte der Rechtswissenschaftsgeschichte zu informieren, andererseits aber auch demjenigen nützlich zu sein, der nur einige Lebens- und Werkdaten nachschlagen will.

Frau Heidi Jung hat das Manuskript zum Zwecke der elektronischen Datenverarbeitung erfaßt und bis zur druckfertigen Fassung weiter betreut, Herr Dr. Bernd Mertens und Frau Assessorin Anne Katrin Körner haben die seit der dritten Auflage erschienene Literatur gesammelt, Herr Assessor Thomas Moosheimer hat die Register auf den neuesten Stand gebracht, Herr Kartograph Günter Koch die Druckvorlagen für die neu hinzugekommenen Abbildungen hergestellt. Ihnen allen danken wir herzlich. Dem C.F. Müller Verlag, namentlich Herrn Dr. Martin Cramer und Frau Regine Enzmann, sind wir für die verständnisvolle Kooperation dankbar.

 

Bonn, Tübingen, am 1. Mai 1996Die Herausgeber

|IX|Vorwort zur 1. Auflage

Dieses Buch soll in einer auch für Nichtjuristen und juristische Studienanfänger verständlichen Weise in die Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft einführen. Deshalb stellt es die Jurisprudenz der letzten fünfhundert Jahre in einer Folge von alphabetisch angeordneten Biographien bedeutender deutscher Juristen dar. Den sachlichen und zeitlichen Zusammenhang, in dem die einzelnen Biographien zu sehen sind, versucht eine kurze Einleitung klarzumachen. In dieser Form kann das Buch, wie wir hoffen, den oft schwierigen Einstieg in wissenschaftsgeschichtliche Probleme erleichtern.

Aufgenommen sind (mit Ausnahme Eike von Repgows) nur Juristen aus den letzten fünf Jahrhunderten; auf die Behandlung noch lebender Juristen haben wir ganz verzichtet. Im übrigen waren für die Auswahl vor allem zwei Absichten leitend: Einmal wollten wir möglichst viele Epochen der Rechtswissenschaft mit wenigstens je einem Repräsentanten vorstellen. Dann wollten wir aber auch das breite Spektrum juristischer Tätigkeiten sichtbar machen und nicht nur die Leistungen der „Wissenschaft“ im engeren Sinn: daher sind nicht nur Hochschullehrer, sondern auch Richter, Verwaltungsbeamte, Rechtsanwälte und sogar einige Staatsmänner aufgenommen, wenn sie speziell die Rechtsentwicklung beeinflußt haben. Da im übrigen solche Zusammenstellungen immer subjektiv bleiben, rechnen wir für unsere Auswahl von 73 Juristen mit dem Verständnis der Leser; notwendigste Kurzinformationen über die etwa 130 weiteren im Text erwähnten deutschen Juristen vermittelt ein Anhang, auf den die Hochzahlen im Text verweisen.

Die einzelnen Biographien sind mit dem Anfangsbuchstaben ihres Autors signiert. Sämtliche Biographien sind von den Herausgebern überarbeitet worden.

Für die wegen der unterschiedlichen Vorlagen oft nicht ganz einfache Herstellung der Reinschrift danken wir Zenka Freiin von Fürstenberg herzlich.

Bonn, im August 1975Die Herausgeber

|XV|Abkürzungen

|XVII|ABF

Archives biographiques françaises

ABGB

Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch für die deutschen Erbländer der österreichischen Monarchie von 1811

AcP

Archiv für die civilistische Praxis

ADB

Allgemeine Deutsche Biographie

ALR

Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794

AÖR

Archiv für öffentliches Recht

ARSP

Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch (Deutschland) von 1896

BIMAE

Bibliotheca iuridica medii aevi

Brauneder, JiÖ

W. Brauneder (Hrsg.): Juristen in Österreich 12001980, 1987

CCB

Constitutio Criminalis Bambergensis

CCC

Constitutio Criminalis Carolina

Coing: Hdb.

H. Coing (Hrsg.): Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privat-rechtsgeschichte, I 1973, II/1 1977, II/2 1976, III/1 1982, III/2 1982, III/3 1986, III/4 1987, III/5 1988

Conrad: DRG

H. Conrad: Deutsche Rechtsgeschichte, I 21962, II 1966

DBGI

I. Birocchi u.a.(Hrsg.): Dizionario biografico dei giuristi italiani, XII-XX Secolo, 2013

DBI

Dizionario biografico degli Italiani

Dict.Hist.

P. Arabeyre u.a. (Hrsg.): Dictionnaire historique des juristes français, XIIe – XXe siècle, 22015

DJJH

Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, hrsg. v. H. Heinrichs u.a., 1993

DJZ

Deutsche Juristenzeitung

Döhring: GDtRPfl

E. Döhring: Geschichte der deutschen Rechtspflege seit 1500, 1953

DöV

Die öffentliche Verwaltung

DRiZ

Deutsche Richterzeitung

DVBl.

Deutsches Verwaltungsblatt

FamRZ

Zeitschrift für das gesamte Familienrecht

FBPG

Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Neue Folge

FS

Festschrift

GD

Die großen Deutschen. Deutsche Biographie, 21956/57

HDStW

Handwörterbuch der Staatswissenschaften

HDSW

Handwörterbuch der Sozialwissenschaften

Hist. Wb. Philos.

Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsg. v. J. Ritter u. K. Gründer, 1971ff.

HRG

Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 119711998, 22004ff.

HZ

Historische Zeitschrift

IRMAE

Ius Romanum Medii Aevi

JhJb

(Jherings) Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts

Jur.

Juristen. Ein biographisches Lexikon. Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, hrsg. von M. Stolleis, 2001 (Beck’sche Reihe)

Jur.Univ.

Juristas Universales, 4 Bände, hrsg. von R. Domingo, 2004

JuS

Juristische Schulung

JZ

Juristenzeitung

KZfSS

Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie

Lange

H. Lange: Römisches Recht im Mittelalter, I, 1997

Lange/Kriechbaum

H. Lange/M. Kriechbaum: Römisches Recht im Mittelalter, II, 2007

Larenz: ML

K. Larenz: Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 51983

LexMA

Lexikon des Mittelalters

LThK

Lexikon für Theologie und Kirche

MA

Mittelalter

MDV

Männer der deutschen Verwaltung, 1963

MGH

Monumenta Germaniae Historica

MIÖG

Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung

NDB

Neue deutsche Biographie

Ndr.

Neudruck, Nachdruck

Nds.Jur.

Niedersächsische Juristen, hrsg. von J. Rückert und J. Vortmann, 2003

NJW

Neue juristische Wochenschrift

OLG

Oberlandesgericht

PdV

Persönlichkeiten der Verwaltung, hrsg. v. K.G.A. Jeserich u.a., 1991

Quad. Fior.

Quaderni Fiorentini per la storia del pensiero giuridico moderno

QNPG

Quellen zur neueren Privatrechtsgeschichte Deutschlands

RabelsZ

(Rabels) Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht

Rg

Rg. Rechtsgeschichte (Zeitschrift)

RGG

Religion in Geschichte und Gegenwart

RHDF

Revue historique du droit français et étranger

Rössler-Franz BWDG:

H. Rössler und G. Franz: Biographisches Wörterbuch zur Deutschen Geschichte, 219731975, bearb. v. K. Bosl, G. Franz, H.H. Hofmann, 3 Bde.

Savigny: GRRM

F.C. v. Savigny: Geschichte des Römischen Rechts im Mittelalter, 7 Bde., 218341851

Schmidt: Einf.

Eberhard Schmidt: Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 31965

Schmollers Jahrb.

Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich

v. Schulte: Gesch.

J.F. v. Schulte: Geschichte der Quellen und Literatur des canonischen Rechts, 3 Bde., 18751880

Sinzheimer: JK

H. Sinzheimer: Jüdische Klassiker der deutschen Rechtswissenschaft, 21953

StaatsRL

P. Häberle u.a. (Hrsg.): Staatsrechtslehrer des 20. Jh.s, 2015

StGB

Strafgesetzbuch (Deutschland) von 1871

StGra

Studia Gratiana

Stintzing-Landsberg: GdtRW

R. v. Stintzing: Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, 1. Abt. 1880, 2. Abt. 1884, 3. Abt. von E. Landsberg: 1. Halbband 1898, 2. Halbband 1910

StL

Staatslexikon der Görres-Gesellschaft, 71985ff.

Stolleis: Gesch.

M. Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, I 1988, II 1992, III 1999, IV 2012

TRE

Theologische Realenzyklopädie

TRG

Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis

unv.

unverändert(er)

Wesenberg: PRG

G. Wesenberg: Neuere deutsche Privatrechtsgeschichte im Rahmen der europäischen Rechtsentwicklung, 41985 bearbeitet von G. Wesener

WGGB

Bürgerliches Gesetzbuch für Westgalizien von 1797

Wieacker: PRG

F. Wieacker: Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 21967

Wolf: Rechtsdenker

Erik Wolf: Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte, 41963

ZEuP

Zeitschrift für europäisches Privatrecht

ZevKR

Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht

ZGB

Schweizerisches Zivilgesetzbuch von 1907

ZGE

Zeitschrift für geistiges Eigentum

ZhF

Zeitschrift für historische Forschung

ZHR

Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht

ZNR

Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte

ZRG

Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte,

GA = Germanistische Abteilung

KA = Kanonistische Abteilung

RA = Romanistische Abteilung

ZStrW

Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

ZStW

Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft

ZZP

Zeitschrift für Zivilprozeß

|1|Einleitung

I. Von der Rezeption bis zum Ausgang der Aufklärung

Das Recht ist so alt wie die menschlichen Gemeinschaften. Viel weniger weit zurück reichen unsere Möglichkeiten, das Wirken einzelner Persönlichkeiten im Dienste des Rechts, wie es dieses Buch für Deutschland im europäischen Kontext darstellen will, quellenmäßig einzufangen.

Das mittelalterliche Recht, seiner Natur nach ungeschriebenes, mündlich überliefertes Gewohnheitsrecht, allenfalls einmal in Statuten für einen örtlich und sachlich eng begrenzten Bereich festgelegt oder in Privilegien, d.h. subjektiven Vorrechten für Einzelpersonen oder Korporationen, sich niederschlagend, bot schon seiner Art nach kaum einen Ansatz zu schöpferischer Gestaltung. Erst als mit den Rechtsspiegeln die Brücke zum geschriebenen Recht geschlagen wird, vermag sich in diesen noch privaten Rechtsaufzeichnungen das Ingenium ihrer Autoren niederzuschlagen und Einfluß auf die Rechtsentwicklung zu gewinnen. Solche Aufzeichnungen des jeweiligen Landesrechts entstehen im 12. und 13. Jahrhundert an vielen Stellen in Europa. In Deutschland fixiert  Eike von RepgowEike von Repgow (zw. 1180 u. 1190 – nach 1232) im „Sachsenspiegel“ das Land- und Lehnrecht, in England stellen  GlanvilleGlanville, Ranulf de (1120/30–1190) und  BractonBracton, Henry de (1200/1210–1268) das „common law“ dar. Bahnbrechend für das kanonische Recht wird die Sammlung und Systematisierung der kirchlichen Rechtsquellen durch  GratianGratian (Ende 11. Jh. – um 1150).

Darüber hinaus schaffen die Wiederentdeckung der Digesten im 11. Jahrhundert und ein verändertes politisches und kulturelles Klima die Voraussetzungen für eine gemeineuropäische Rechtswissenschaft. Kurz nach 1100 beginnt in Bologna  IrneriusIrnerius (vor 1100–1125) mit Vorlesungen über die Digesten, das Kernstück des justinianischen „corpus iuris“. Einen Höhepunkt erreicht die von ihm begründete Schule der „Glossatoren“, die ihre Aufgabe darin sah, das römische Recht durch Worterklärungen, Verweise, Auflösung von Widersprüchen usw. glossierend zu erschließen, in  AzoAzo (vor 1190–1220), ihren Abschluß findet sie in der „Glossa ordinaria“ des  AccursiusAccursius (um 1185–1263). Auf dieser Grundlage wirkten die italienischen und mehr und mehr auch die französischen Juristen des 14. und 15. Jahrhunderts – früher als „Postglossatoren“, heute meistens (im Hinblick auf die von ihnen bevorzugte Literaturgattung) als „Kommentatoren“ bezeichnet – auch zunehmend auf die Praxis ein. Ihre bedeutendsten Vertreter sind  BartolusBartolus de Saxoferrato (1313/14–1357) und  BaldusBaldus de Ubaldis (1319/27–1400).

|2|Die Rezeption, die Aufnahme des römisch-kanonischen Rechts, die, im 12. Jahrhundert beginnend, im 15. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreichte, ermöglichte und erzwang dann auch in Deutschland eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Recht. An den seit dem 14. Jahrhundert (zuerst in Prag 1348) auch auf deutschem Reichsboden entstehenden Universitäten konnte zunächst kanonisches, seit dem 15. Jahrhundert auch römisches Recht studiert werden (in Köln seit 1388). Das einheimische Recht fand an diesen Universitäten noch keine Pflegestatt, und so ging die Bewältigung der Probleme, die sich aus dem oft unvereinbaren Nebeneinander der beiden Rechtsmassen des rezipierten und des einheimischen Rechts sowie aus der fehlenden juristischen Bildung des Rechtspflegepersonals für die Rechtspraxis ergaben, von anderer Seite aus.

Im 15. und 16. Jh. entsteht in Deutschland ein reiches populärwissenschaftliches Schrifttum. Es will die in der Rechtspflege tätigen Laien über das rezipierte Recht belehren und muß sich zu diesem Zweck der deutschen Sprache bedienen,  Sebastian BrantsBrant, Sebastian (1457–1521) Ausgabe des „Klagspiegels“ und  Ulrich TenglersTengler, Ulrich (um 1447 – um 1522) „Laienspiegel“ gelten als bedeutendste dieser Laienunterweisungen, die übrigens auch den Beitrag der Erfindung des Buchdrucks zur Förderung der juristischen Bildung unterstreichen.

Noch intensiver sind die legislatorischen Bemühungen, rezipiertes und einheimisches deutsches Recht zu harmonisieren. Die zunächst in bedeutenderen Städten und mehreren Territorien entstehenden Stadt- und Landrechtsreformationen zeigen sich zwar dem hergebrachten, einheimischen oder rezipierten Recht noch durchaus verpflichtet, erweisen sich aber zugleich wegen der Notwendigkeit des Ausgleichs der heterogenen Rechtsmassen als Mittel rechtlicher Gestaltung. Sie geben so dem schöpferischen Wirken bedeutender Juristenpersönlichkeiten Raum, unter denen der Freiburger  Ulrich ZasiusZasius, Ulrich (1461–1535), der Frankfurter  Johann FichardFichard, Johann (1512–1581), der zu den Schöpfern des württembergischen Landrechts gehörende  Johann SichardtSichardt, Johann (1499–1552) und  Melchior KlingKling, Melchior (1504–1571), der Bearbeiter des sächsischen Landrechts, hervorragen. Sie alle und daneben der Basler  Bonifacius AmerbachAmerbach, Bonifacius (1495–1562) sind hier zugleich als typische Vertreter der humanistischen Jurisprudenz und als Zeugen der Reformation, die auf ihr Leben und Werk tiefgreifenden Einfluß ausgeübt hat, aufgenommen. Das Zentrum der humanistischen Rechtswissenschaft im 16. Jahrhundert war freilich Frankreich seit dem Wirken von  AlciatusAlciatus, Andreas (1492–1550) in Avignon und Bourges und Budaeus in Paris, und die französischen humanistische Rechtswissenschaft erreicht im späten 16. Jahrhundert |3|mit  CujasCujas, Jacques (Cuiacius, Jacobus) (1520–1590) und  DonellusDonellus, Hugo (Doneau, Hugues) (1527–1591) zwei Gipfel, denen in Deutschland nichts Vergleichbares zur Seite steht. In der Folgezeit wird dann die antiquarisch-elegante gemeinrechtliche Jurisprudenz mit besonderem Erfolg in den Niederlanden gepflegt ( HuberHuber, Zacharias (1669–1732); niederl. Jurist,  NoodtNoodt, Gerard (1647–1725),  BynkershoekBynkershoek, Cornelis van (1673–1743)). In Frankreich entsteht aber auch durch  Dionysius GothofredusGothofredus, Dionysius (Denis Godefroy) (1549–1622) die in Europa für lange Zeit maßgebliche Ausgabe der Digesten und des corpus iuris überhaupt.

Während das Reich keinen Anteil an der eigentlichen Rezeptionsgesetzgebung hatte, weil es kaum die notwendige politische Kraft, aber auch in Anbetracht der örtlich sehr unterschiedlichen Anpassungsprobleme die gesetzgeberischen Möglichkeiten hierzu nicht besaß, gelang ihm mit der Peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532, dem Werk des fränkischen Edelmannes und Bambergischen Hofrichters  Johann v. SchwarzenbergSchwarzenberg, Johann v. (1465–1528), ein großer Wurf. Der Vorgang der mittelalterlichen Landfriedensgesetze, die Herleitung der Strafjustiz aus dem Blutbann des Kaisers und die von der Strafgerechtigkeit besonders dringlich geforderte Rechtseinheit waren wohl in gleicher Weise Veranlassung für die Strafrechtskodifikation von Reichs wegen, die durch feste Verfahrensformen die Verankerung des Schuldprinzips und deutliche Anweisungen an die Laienrichter Rechtssicherheit zu schaffen suchte. Vorbild vieler territorialer Strafgesetzgebungen und später als ergänzender Bestandteil des Corpus Juris Civilis angesehen, wurde die Carolina als erstes deutsches Gesetz Gegenstand wissenschaftlicher Bearbeitung, noch über den bedeutendsten Repräsentanten der gemeinen Strafrechtswissenschaft,  Benedikt CarpzovCarpzov, Benedikt (1595–1666), hinaus bis ins 18. Jahrhundert.

Das deutsche Staatsdenken der frühen Neuzeit erhielt theoretische Anregungen besonders von der Staats- und Völkerrechtslehre der spanischen Spätscholastiker ( VitoriaVitoria, Francisco de (1480/1492–1546),  SuárezSuárez, Francisco (1548–1617)) und von  Jean BodinBodin, Jean (1529/30–1596). In der Sache mußte vor allem die neue staatsrechtliche Situation bewältigt werden, die durch die Reformation entstanden war. Sie leitete die Entwicklung einer spezifisch protestantischen Staatslehre ein, als deren Vertreter  Johann OldendorpOldendorp, Johann (um 1488–1567) und  Johannes AlthusiusAlthusius, Johannes (1557–1638) hier vorgestellt werden. Darüber hinaus verlangten einerseits die politischen Auseinandersetzungen zwischen den Religionsparteien, die die Ablösung der bisher einheitlichen religiösen Grundlage der Reichsverfassung durch den religiösen Dualismus anzeigten, andererseits die Provokation des Bodinschen Souveränitätsbegriffs und damit des neuen absolutistischen Staatsdenkens das Ringen um ein neues Verständnis der Reichsverfassung. Die Reichspublizistik, als deren |4|Be gründer  Dominicus ArumaeusArumaeus, Dominicus (1579–1637) gilt, erlebt während des 30jährigen Krieges, nicht zuletzt wegen ihrer Bedeutung für die politische Praxis, in  Johannes LimnäusLimnäus, Johannes (1592–1663),  Jacob LampadiusLampadius, Jacob (1593–1649),  Dietrich ReinkingkReinkingk, Dietrich (1590–1664), aber auch dem glänzenden Agitator in schwedischen Diensten  Bogislaus von ChemnitzChemnitz, Bogislaus Philipp v. (1605–1678) eine Blüte. Später wird die Nähe von wissenschaftlicher Beschäftigung mit dem Staatsrecht und politischer Tätigkeit noch einmal besonders fruchtbar bei  Johann Jacob MoserMoser, Johann Jacob (1701–1785), der zugleich die der Reichspublizistik allgemein zu dankende Modifikation des absolutistischen Souveränitätsdenkens personifiziert. Als zweite bedeutende Leistung ist der Reichspublizistik, hier vor allem durch  Christoph BesoldBesold, Christoph (1577–1638) und den bedeutenden Theoretiker und Universitätslehrer  Johann Stephan PütterPütter, Johann Stephan (1725–1807) repräsentiert, die Entwicklung des Bundesstaatsbegriffs zuzuschreiben, in dem besonders die Struktur des Heiligen Römischen Reiches für moderne Staatenorganisation fruchtbar geworden ist, eines Reiches, das  PufendorfsPufendorf, Samuel (1632–1694) berühmter Kritik als einem Monstrum ähnlich erschien.

Bis ins 17. Jahrhundert hinein wurde die Geltung des rezipierten römischen Rechts in Deutschland aus der „translatio imperii“, der Fortsetzung des römischen Kaisertums in der Kaiserwürde des Heiligen Römischen Reiches, hergeleitet. Mit dem Autoritätsverlust des Kaisertums infolge des Religionszwiespalts, der sich insbesondere aus der Zurechnung des habsburgischen Kaisers zur katholischen Religionspartei ergab, mußte auch die Geltungsbasis des rezipierten Rechts ins Schwanken geraten. So ging denn auch der Angriff gegen die bisherige Annahme einer legislativen Rezeption von dem reichsständisch gesinnten Protestanten  Hermann ConringConring, Hermann (1606–1681) aus, dem der Nachweis einer nur gewohnheitsrechtlichen Geltung des römischen Rechts in Deutschland gelang. Damit war einer freieren wissenschaftlichen Behandlung des der legislativen Autorität entkleideten rezipierten Rechts und einer stärkeren Berücksichtigung einheimischen Rechts gemäß den Bedürfnissen der Praxis im „usus modernus pandectarum“ der Weg geebnet.

Zu einem bedeutenden Einflußfaktor wurde dabei das neue, säkularisierte Naturrecht des 17. und 18. Jahrhunderts. Nachdem  Hugo GrotiusGrotius, Hugo (Huig de Groot) (1583–1645) im „Ius belli ac pacis“ den Entwurf eines weltlichen Universalrechts vorgelegt und ausgesprochen hatte, daß sich das Naturrecht auch ohne Gott denken lasse, entwickelten in England  HobbesHobbes, Thomas (1588–1679) ein radikal absolutistisches und  LockeLocke, John (1632–1704) bereits ein bürgerlich-liberales Naturrecht. Liberale und altständische Züge zugleich trägt in Frankreich  MontesquieusMontesquieu, Charles de Secondat, Baron de la Brède et de M. (1689–1755) „Esprit des lois“. In Deutschland halten sich die |5|Naturrechtslehren  PufendorfsPufendorf, Samuel (1632–1694),  ThomasiusThomasius, Jakob (1622–1684); dt. Philosoph,  WolffsWolff, Christian (1679–1754) und Achenwalls politisch noch im Rahmen des Ständestaates oder bestenfalls eines aufgeklärten Absolutismus. Sie legen aber den Grund für ein liberales Privatrecht, das z.B. durch  Samuel StrykStryk, Samuel (1640–1710),  Justus Henning BöhmerBöhmer, Justus Henning (1674–1749) und  ThomasiusThomasius, Jakob (1622–1684); dt. Philosoph auch Eingang in die Rechtspraxis findet. Versuche mit naturrechtlich inspirierten Systemen des positiven Rechts findet man nun vielerorts in Europa, etwa in Frankreich bei  DomatDomat, Jean (1625–1696) (noch auf der Basis eines christlichen Naturrechts), in England bei  BlackstoneBlackstone, Sir William (1723–1780).

Freilich mußte die Ungewißheit über das im einzelnen geltende Recht letztlich den Gesetzgeber auf den Plan rufen. Seitdem in Deutschland der Westfälische Frieden die weitgehende Unabhängigkeit der Territorien vom Reich bestätigt hatte, wurde allenthalben der schon nach dem Augsburger Religionsfrieden auf der Grundlage des Religionsbestimmungsrechtes und des landesherrlichen Kirchenregiments einsetzende Ausbau des Absolutismus in den Territorien verstärkt fortgesetzt. Wollte sich die landesherrliche Macht unter Ausschaltung der ständischen und patrimonialen Zwischengewalten voll zur Geltung bringen, so verlangte dies in erster Linie eine Vereinheitlichung der Rechtsordnung und die strikte Bindung der Gerichte und sonstiger Behörden an die Gesetze. Die daher nun verstärkt einsetzende territoriale Gesetzgebung zeigt seit dem 18. Jahrhundert, daß die bisherige sakrale Basis der Rechtsordnung unter dem Einfluß des Religionszwiespalts, insbesondere aber der Entwicklung der Naturwissenschaften brüchig geworden ist. Die Säkularisierung der Rechtsordnung unter dem Einfluß der profan-naturrechtlichen Systeme schreitet zunächst auf dem Wege der Einzelgesetzgebung voran, während die großen Justizreformer der Jahrhundertmitte,  Samuel CoccejiCocceji, Samuel v. (1679–1755) in Preußen und  Wiguläus Xaverius Aloysius v. KreittmayrKreittmayr, Wiguläus Xaverius Aloysius v. (1705–1790) in Bayern, ihre Kodifikationen noch überwiegend am gemeinen Recht orientieren. Die großen Kodifikationen am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts jedoch zeigen sich – unter dem Einfluß von  MartiniMartini, Karl Anton Frhr. v. (1726–1800),  SonnenfelsSonnenfels, Josef v. (1733–1817) und  ZeillerZeiller, Franz v. (1751–1828) in Österreich, von  SvarezSvarez, Carl Gottlieb (1746–1798) in Preußen,  FeuerbachFeuerbach, Paul Johann Anselm (1775–1833) in Bayern und  PothierPothier, Robert-Joseph (1699–1772) und  PortalisPortalis, Jean-Etienne-Marie (1746–1807) in Frankreich, deutlich naturrechtlich und aufklärerisch-liberal geprägt. Wie stark sich dieses Denken auch ohne gesetzgeberische Vermittlung durchzusetzen vermochte, zeigte das Wirken  HommelsHommel, Karl Ferdinand (1722–1781) in Sachsen.

Nach dem Zusammenbruch des ancien regime und des Heiligen Römischen Reiches unter den Schlägen der französischen Revolutionsheere verbindet sich der Neuaufbau in Preußen mit dem Namen des |6|Freiherrn  Karl vom SteinStein, Karl Frhr. v.m (1757–1831), in Bayern dem des Grafen  von MontgelasMontgelas, Maximilian Josef Graf (1759–1838). Diese beiden Reformer, deren Wirken teilweise noch heute spürbar ist und damit jenseits der politischen auch ihre juristische Bedeutung bestätigt, werden hier als Repräsentanten unterschiedlicher Prinzipien staatlichen Neuaufbaus vorgestellt, wie sie den Frühkonstitutionalismus in Deutschland geprägt haben.

II. 19. und beginnendes 20. Jahrhundert

Zu Anfang des 19. Jahrhunderts wandelte sich auch, mindestens im „Selbstverständnis“ der Juristen, die Rolle der Rechtswissenschaft. In deutlicher Reaktion gegen den etatistischen Rechtsbegriff der französischen Revolution, der der Jurisprudenz nur eine bescheidene Aufgabe zuwies, entwickelte sich nun die Vorstellung von der schöpferischen Funktion der Rechtswissenschaft. Eindringlichster Theoretiker dieser Richtung war  SavignySavigny, Friedrich Carl v. (1779–1861). Seine Gedanken von der gegenüber staatlicher Rechtssetzung selbständigen Bedeutung der Rechtswissenschaft sind über die sie begünstigende politische Zeitströmung (Restauration) und die mit ihr verbundene Rechtsquellenlehre hinaus bis in die Gegenwart wirksam geblieben, wie überhaupt die Wissenschafts- und Bildungsgläubigkeit des frühen 19. Jahrhunderts (Humboldt, Fichte, Schleiermacher). So erscheinen von nun an Wissenschafts-, Rechts- und politische Geschichte stärker als vorher gegeneinander verselbständigt; die Geschichte der Rechtswissenschaft seit Beginn des 19. Jahrhunderts läßt sich daher weitgehend in den auch für die anderen „Geisteswissenschaften“ geltenden Kategorien beschreiben. Sie bilden auch den gemeinsamen Bezugspunkt für die Rechtswissenschaft in den verschiedenen europäischen Ländern, deren gemeinsame Quellenbasis mit der Zurückdrängung des Naturrechts und der Ersetzung des römischen „ius commune“ durch die einzelstaatlichen Kodifikationen nun verloren gegangen war.

1. Historische Schule

Für die deutsche Privatrechtswissenschaft im 19. Jahrhundert wurden die von  SavignySavigny, Friedrich Carl v. (1779–1861) aufgestellten Grundsätze der „historischen Schule“ maßgebend, nach denen das Recht historisch-systematisch, ohne Beimischung philosophischer, „naturrechtlicher“ Prinzipien bearbeitet werden sollte. Bei  SavignysSavigny, Friedrich Carl v. (1779–1861) Nachfolgern verdrängte dann allmählich |7|das systematische Element ganz das historische, so schon bei  PuchtaPuchta, Wolfgang Heinrich (1769–1845); Justizamtmann, später Landrichter, noch entschiedener bei  JheringJhering, Rudolf von (1818–1892) (in seiner ersten Periode) und bei  WindscheidWindscheid, Bernhard (1817–1892), der diese Epoche abschließt und dessen Pandektenlehrbuch von großem Einfluß auf das deutsche BGB von 1896 war. Die historische Schule ist früher dem „Rechtspositivismus“ zugeordnet worden, aber zu Unrecht. Mit ihrer Vorstellung, daß das Recht ein organisches, vernünftiges und aus sich selbst heraus ergänzbares Ganzes ist, trägt sie idealistische Züge, die allerdings eine „formalistische“ Abschließung gegenüber Politik, Wirtschaft und Gesellschaft begünstigten. – Wie die Bearbeiter des römischen Rechts standen auch die meisten Germanisten – entsprechend den verschiedenen Quellen des Zivilrechts blieb diese Unterscheidung bis zum BGB, das beide Rechtskreise verschmolz, bestehen – unter dem Einfluß  SavignysSavigny, Friedrich Carl v. (1779–1861). Das gilt vor allem für dessen Zeitgenossen  EichhornEichhorn, Karl Friedrich (1781–1854), aber auch für jüngere Deutschrechtler wie Albrecht und Homeyer. Etwa von der Mitte der dreißiger Jahre an setzte sich aber eine starke Gruppe gemäßigt ( BeselerBeseler, Georg (1809–1888)) bis radikal (Reyscher) liberaler Germanisten von den Romanisten, die theoretisch und praktisch das nationalpolitische Anliegen nicht genügend zu vertreten schienen, ab. Ihre Bewegung mündete nach den Germanistenversammlungen von 1846 (Frankfurt) und 1847 (Lübeck) ziemlich gradlinig in der Paulskirchenversammlung, der u.a.  BeselerBeseler, Georg (1809–1888) (sehr einflußreich),  Jacob GrimmGrimm, Jacob (1785–1863) und  MittermaierMittermaier, Karl Josef Anton (1787–1867) angehörten. Zu einer wirklich neuen Rechtstheorie führten die Arbeiten dieser jüngeren Germanisten aber nicht, so daß sich auch noch ihr letzter bedeutender Vertreter, der 1841 geborene  Otto v. GierkeOtto (1815–1867); bayer. Prinz, König v. Griechenland, der Rechtslehre  SavignysSavigny, Friedrich Carl v. (1779–1861) verbunden fühlen konnte.

Weitgehend unter dem Einfluß der historischen Schule standen auch die nun verstärkt einsetzenden Bemühungen um die partikularen Privatrechte. Am meisten gilt das für Wächters Bearbeitung des württembergischen Privatrechts (anders die Arbeit Reyschers), mit gewissen Einschränkungen auch für Falcks Darstellung des schleswig-holsteinischen und die des preußischen Privatrechts durch Bornemann, Koch und Dernburg. Am wenigsten von der historischen Schule beeinflußt blieb verständlicherweise das rheinische Recht (code civil, K.S. Zachariä,  DanielsDaniels, Heinrich Gottfried Wilhelm (1754–1827)).

Auch in Österreich und der Schweiz wurde die historische Schule bedeutsam.  BluntschliBluntschli, Johann Caspar (1808–1881), der Schöpfer des Zürcher Privatrechtsgesetzbuches von 185355, auf das noch  Eugen HubersHuber, Zacharias (1669–1732); niederl. Jurist schweizerisches Zivilgesetzbuch von 1907 zum Teil zurückgriff, war ein Schüler  SavignysSavigny, Friedrich Carl v. (1779–1861). Für Österreich hat man geradezu eine „Rezeption“ der |8|deutschen Pandektenwissenschaft durch  UngerUnger, Josef (1828–1913) gesehen, der das ABGB ( ZeillerZeiller, Franz v. (1751–1828)) von 1811 „romanisierte“. Einflüsse der historischen Rechtsschule zeigen sich aber auch etwa in Dänemark ( ØrstedØrsted, Anders Sandøe (1778–1860)) und Schweden ( SchlyterSchlyter, Carl Johan (1795–1888)). Generell stellte in der europäischen Rechtswissenschaft des frühen 19. Jahrhunderts die historisch-systematische Richtung das „wissenschaftliche“ Gegengewicht zu den „exegetischen“ Schulen dar, die sich nach den Kodifikationen vor allem in Österreich und Frankreich gebildet hatten.

Schließlich waren auch den großen Darstellungen des Handelsrechts (Thöl, Levin Goldschmidt), durch die dieses Fachgebiet neben dem allgemeinen Zivilrecht selbständigen wissenschaftlichen Rang erhielt, die Prinzipien der historischen Schule zugrunde gelegt.

Gleichwohl läßt sich von einer völligen Herrschaft der historischen Schule im deutschen Sprachraum keineswegs sprechen. Auch abgesehen von den abtrünnigen Germanisten der vierziger Jahre gab es von Anfang an unterschiedliche, z.T. mehr praktisch ( ThibautThibaut, Anton Friedrich Justus (1772–1840)), z.T. mehr philosophisch (die Hegelschule, vor allem Gans) akzentuierte Gegenströmungen.

Im Strafrecht ließ das an der Wende zum 19. Jahrhundert besonders heftig diskutierte Problem der philosophischen Grundlagen die Wendung zu einer historischen Betrachtungsweise nicht ohne weiteres zu. Immerhin hatte  FeuerbachFeuerbach, Paul Johann Anselm (1775–1833), der Schöpfer der aufklärerisch-liberalen „psychologischen Zwangstheorie“, in seiner zweiten Periode (etwa ab 1810) sehr starke empirische Interessen. Ganz in den Vordergrund traten diese bei seinem Schüler  MittermaierMittermaier, Karl Josef Anton (1787–1867). Gleichzeitig entwickelten sich jedoch, sehr viel stärker als im weniger ideologieanfälligen Zivilrecht, hegelianische Vorstellungen (Köstlin, Berner). Durch sie wurde gegenüber der  FeuerbachFeuerbach, Paul Johann Anselm (1775–1833)schen Generalpräventionstheorie die Vergeltungstheorie wieder herrschend; das Interesse an Aufklärung der tatsächlichen Voraussetzungen des Verbrechens und des Strafvollzugs trat zurück. Die Vergeltungstheorie wurde schließlich auch noch festgehalten, als ihre philosophische Begründung verblaßt und die Strafrechtslehre in eine rein positivistische Behandlung des StGB von 1871 eingeschwenkt war ( BindingBinding, Karl (1841–1920)).

Die Staatsrechtswissenschaft stand nach dem Ende des alten Reichs und der Durchsetzung konstitutioneller Ordnungen in den Einzelstaaten vor einer völlig veränderten Aufgabe. Unter den Bearbeitungen der Partikularstaatsrechte ragt  MohlsMohl, Robert v. (1799–1875) gemäßigt liberales württembergisches Staatsrecht hervor. Es war noch unbeeinflußt vom Formalismus der historischen Schule, der, wesentlich später als im Zivilrecht, |9|(ver mittelt durch Gerber) auch für die Darstellung des Reichsstaatsrechts durch  LabandLaband, Paul (1838–1918) maßgeblich wurde und zu einer scharfen Trennung von Politik und Staatsrecht führte.

Ähnlich ist die Entwicklung in der erst im 19. Jahrhundert ausgebildeten Verwaltungsrechtswissenschaft. Auch hier stellte  MohlMohl, Robert v. (1799–1875) mit seiner „Polizeiwissenschaft“ (die ältere, von einem umfassenderen Polizeibegriff als die Gegenwart ausgehende, Bezeichnung) einen Anfang dar, der auch rechtspolitisch, durch seine Ansätze zu der dann von  GneistGneist, Rudolf v. (1816–1895) durchgesetzten Forderung nach einer selbständigen Verwaltungsgerichtsbarkeit, von Bedeutung war. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte sich dann auch hier endgültig die juristisch-formalistische Betrachtungsweise mit dem „Klassiker“  Otto MayerOtto (1815–1867); bayer. Prinz, König v. Griechenland durch, der gegenüber die mehr soziologische Erfassung der Verwaltung (im 19. Jahrhundert repräsentativ vor allem  L. v. SteinStein, Lorenz v. (1815–1890)) zurücktrat. Erst die moderne „Verwaltungslehre“, deren Wurzeln bis zu  SeckendorffSeckendorff, Veit Ludwig v. (1626–1692) zurückreichen, hat diese wieder belebt.

Auch das Kirchenrecht verdankt der historischen Schule eine wissenschaftliche Neubelebung. Zwei der bedeutendsten Anhänger der Schule ( EichhornEichhorn, Karl Friedrich (1781–1854),  PuchtaPuchta, Wolfgang Heinrich (1769–1845); Justizamtmann, später Landrichter) verfaßten umfangreiche Darstellungen, und auch das erfolgreiche Werk Richters ist nach den Schulengrundsätzen gearbeitet. Das unvollendete „System“  HinschiusHinschius, Paul (1835–1898)’ gehört gleichfalls noch in diesen Zusammenhang. Schwerer einzuordnen ist der grundlegende Neuansatz  SohmsSohm, Rudolf (1841–1917) am Jahrhundertende.

2. Soziologischer und strikter Rechtspositivismus

Schon in der ersten Jahrhunderthälfte hatte die Übernahme naturwissenschaftlicher Vorstellungen, vor allem des Kausalitätsprinzips, zu den Anfängen einer selbständigen Gesellschaftswissenschaft (Comte, John Stuart Mill, Spencer) geführt. Deren Vorstellungen waren dann etwa von der Jahrhundertmitte an auch in andere „Geisteswissenschaften“, etwa in die Literaturwissenschaft (Scherer), eingedrungen. In der Jurisprudenz wurden sie in sehr unterschiedlicher Weise und Intensität aufgenommen. Allgemein läßt sich sagen, daß an die Stelle des Idealismus der historischen Schule und der Erklärung der Rechtssätze aus dem vernünftigen inneren System des Rechts eine empirisch-positivistische Rechtswissenschaft treten sollte. Diese konnte dann als soziologischer Positivismus und kausale Erklärung der Rechtssätze aus ihren gesellschaftlichen Grundlagen (bzw. als unmittelbarer Rückgriff auf diese als Rechtsquelle) auftreten, aber auch – wie später in |10| Kelsens „Reiner Rechtslehre“ – als von allen sozialen und idealen Elementen gereinigter strikter Rechtspositivismus. Ganz herrschend war zunächst die soziologische Variante, die auch neue Wissenschaftszweige wie Rechtssoziologie und Kriminologie hervorgebracht hat.

Im Privatrecht hat man schon immer in der Wendung  JheringsJhering, Rudolf von (1818–1892) von der „Begriffs-“ zur Zweckjurisprudenz den Beginn der neuen Richtung gesehen. Neben ihr, aber ihr verwandt, entwickelte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in vielen europäischen Ländern eine soziologische Bewegung, deren bedeutendster Vertreter wohl der Franzose  GényGény, François (1861–1959) war. In Deutschland blieb unter dem unglücklich gewählten Namen „Freirechtsschule“ das wirkliche Anliegen eher verborgen ( KantorowiczKantorowicz, Hermann (1877–1940),  EhrlichEhrlich, Eugen (1862–1922),  FuchsFuchs, Ernst (1859–1929)). Es bestand darin, Lücken des gesetzten Rechts (die als sehr häufig dargestellt wurden) durch Rückgriff auf die gesellschaftlichen Rechtsvorstellungen zu schließen. Die in dieser Forderung vorausgesetzte Identität von Recht und gesellschaftlicher Ordnung war auch die Grundlage für  EhrlichsEhrlich, Eugen (1862–1922) Rechtssoziologie; sie trieb neue Wissenschaften wie die privatrechtliche Rechtstatsachenforschung (Nußbaum) hervor. Im Zivilrecht drangen diese Ansätze jedoch nur in gemäßigter Form durch, einerseits als „Interessenjurisprudenz“ ( HeckHeck, Philipp (1858–1943), der unmittelbar an  JheringJhering, Rudolf von (1818–1892) anknüpfte), andererseits als weniger scharf ausgeprägte „Zweckjurisprudenz“.

In den beiden ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entstanden auch die großen Darstellungen des Arbeitsrechts (Lotmar, Sinzheimer) und des Wirtschaftsrechts (für das Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht: Kohler), überwiegend von Juristen geschrieben, die der soziologischen Richtung zumindest nahestanden. Durch sie wurden weitere privatrechtliche „Nebengebiete“ gegenüber dem allgemeinen Zivilrecht verselbständigt.

Der strafrechtliche „Schulenstreit“ bezeichnet die parallele, allerdings auf andere Sachprobleme gerichtete Diskussion. Ganz im Sinne des soziologischen Positivismus sah die „moderne“ Schule  LisztsLiszt, Franz v. (1851–1919) in der kausalen Erklärung von Verbrechen (Kriminologie) und Strafe („Pönologie“) die eigentlichen Aufgaben der Strafrechtswissenschaft. Damit rückte auch der spezialpräventive Strafzweck, den zu Beginn des 19. Jahrhunderts  GrolmanGrolman, Karl Ludwig v. (1775–1829) gegen die liberalen Ansichten  FeuerbachsFeuerbach, Paul Johann Anselm (1775–1833) nicht durchsetzen konnte, wieder in den Vordergrund.  LisztsLiszt, Franz v. (1851–1919) einflußreichster Schüler  RadbruchRadbruch, Gustav (1878–1949) hat ihn auf der Grundlage seiner neukantianisch inspirierten Rechtstheorie weiter begründet. Das dogmatische Strafrecht blieb allerdings bei  LisztLiszt, Franz v. (1851–1919) erstaunlich formal und wenig |11|beeinflußt von den soziologischen Tendenzen; zu „teleologischen“, „materialisierenden“ Betrachtungsweisen versuchte man erst in den nachfolgenden Jahrzehnten zu kommen.

Nicht so leicht ist der Einfluß des soziologischen Positivismus im öffentlichen Recht nachzuweisen.  GierkesGierke, Otto v. (1841–1921) Kritik an  LabandsLaband, Paul (1838–1918) staatsrechtlichem Formalismus verband noch idealistische mit empirisch-historischen Vorstellungen,  PreußPreuß, Hugo (1860–1925), der Schöpfer der Weimarer Verfassung, knüpfte weitgehend an  GierkeGierke, Otto v. (1841–1921) an. Am ehesten paßt noch der wie auch  KantorowiczKantorowicz, Hermann (1877–1940) und  RadbruchRadbruch, Gustav (1878–1949) dem Heidelberger Neukantianismus nahestehende  Georg JellinekJellinek, Walter (1885–1955) in diesen Zusammenhang.

3. Rechtsphilosophie, Rechtstheorie und Rechtsgeschichte

Die deutsche Rechtsphilosophie entwickelte sich im frühen 19. Jahrhundert: an die Stelle des mehr und mehr zurückgedrängten alten, als praktische Rechtsquelle angesehenen, Naturrechts trat eine nur noch theoretische Betrachtung der inhaltlichen Anforderungen an das Recht und seiner Struktur. Begründet wurde diese neue Disziplin der Rechtswissenschaft durch  HugoHugo, Gustav (1764–1844), bei dem, in Anknüpfung an den Kantschen Skeptizismus, Rechtsphilosophie erstmals als eine Art theoretischer Rechtspolitik erscheint. Unterschiedlichste Systeme entstanden sodann im Anschluß an die nachkantische idealistische Philosophie. Die selbständigste Stellung haben hier  StahlStahl, Friedrich Julius (1802–1861) (von Schellings später Philosophie beeinflußt) und der Gesellschaftstheoretiker  Lorenz v. SteinStein, Lorenz v. (1815–1890) (von Hegel beeinflußt). Demgegenüber bildete sich in England schon früh im 19. Jahrhundert eine positivistische „analytische“ Rechtstheorie aus ( BenthamBentham, Jeremy (1748–1832),  Austin, im 20. Jahrhundert vor allem Hart), während der deutsche Rechtspositivismus erst im 20. Jahrhundert eine repräsentative Darstellung in  KelsensKelsen, Hans (1881–1973) „Reiner Rechtslehre“ fand. Eine Wiederbelebung der idealistischen Rechtsphilosophie versuchte der Neukantianismus der Marburger ( StammlerStammler, Rudolf (1856–1938)) und Heidelberger ( RadbruchRadbruch, Gustav (1878–1949)) Richtung, später tritt konkurrierend ein Neugelianismus (Erich Kaufmann, Binder, Larenz) hinzu. An  RadbruchRadbruch, Gustav (1878–1949) orientierte sich die Naturrechtsrenaissance nach dem 2. Weltkrieg.

Auch die Rechtsgeschichte im modernen Sinn beginnt eigentlich erst mit den Gründern und Anhängern der historischen Schule. Für die römische Rechtsgeschichte wurden  HugosHugo, Gustav (1764–1844) (vorjustinianische Zeit) und  SavignysSavigny, Friedrich Carl v. (1779–1861) (Mittelalter) Arbeiten grundlegend; für die deutsche Rechtsgeschichte  EichhornsEichhorn, Karl Friedrich (1781–1854) (Staats- und Rechtsgeschichte) und  Jacob GrimmsGrimm, Jacob (1785–1863) (Rechtsaltertümer) Werke. Jedoch war das Verhältnis der |12|historischen Schule zur Rechtsgeschichte etwas ambivalent, da sie zwar Rechtsgeschichte als unerläßlich zum Verständnis des gegenwärtigen Rechts ansah, andererseits aber gerade dieses praktische Interesse der reinen historischen Erkenntnis gefährlich werden konnte. So liegt der Höhepunkt der rechtshistorischen Forschung des 19. Jahrhunderts erst in der zweiten Jahrhunderthälfte, als für die Erkenntnis des geltenden Rechts der historische Gesichtspunkt zurückgetreten war. Für die römische Rechtsgeschichte stehen hier die Arbeiten  MommsensMommsen, Theodor (1817–1903) und seiner Schüler im Zentrum; ein bedeutender Nachfolger auf mediävistischem Gebiet war  KantorowiczKantorowicz, Hermann (1877–1940). Im deutschen Recht hatten Heinrich Brunners „Deutsche Rechtsgeschichte“ und  Gierke, Otto v. (1841–1921)(Stutz)MaineMaine, Sir Henry James Sumner (1822–1888)MaitlandMaitland, Frederic William (1850–1906)

BrunnerMommsenMommsen, Theodor (1817–1903)