Andere Länder, andere Sitten

Marie Sonnenfeld

Ein zufriedenes Lächeln umspielte Thomas’ Mundwinkel. Er legte den Füllfederhalter beiseite, mit dem er soeben seine Unterschrift unter den Vertrag gesetzt und damit seiner Firma einen äußerst lukrativen Auftrag gesichert hatte. Inzwischen war es Abend geworden. Die anwesenden Herren in ihren dunklen Anzügen erhoben sich von ihren Plätzen im klimatisierten Konferenzraum der Konzernzentrale.

Die Verhandlungen hatten sich scheinbar endlos hingezogen. Thomas verspürte die Erleichterung über das erreichte Ende ebenso stark wie seinen knurrenden Magen. Kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende gebracht, vernahm er bereits die Einladung seines asiatischen Geschäftspartners, das Ergebnis ihrer erfolgreichen Verhandlungen nach einem üppigen Abendessen bei einer weiteren, für Körper und Sinne überaus wohltuenden Einkehr zu feiern. Über die Gesichter der übrigen Anwesenden breitete sich ein anzügliches Grinsen aus, vermischt mit offensichtlicher Vorfreude, das Thomas auf Anhieb zu deuten vermochte. Er wusste um die fernöstliche Gepflogenheit, zufriedenstellende, geschäftliche Übereinkünfte in einem Bordell zu besiegeln. Allerdings hatte er es bisher lediglich von anderen Kollegen gehört. Die Vorstellung, noch in dieser Nacht selbst einmal dieser fremden Sitte beizuwohnen, erschien ihm überaus reizvoll. Und nicht nur das, es würde generell das erste Mal sein, das er sich der käuflichen Liebe hingab. Von einer aufsteigenden Erregung begleitet spürte Thomas schnell das wohlbekannte, warme Ziehen in seinen Leisten, das ihn daran erinnerte, das sein letztes erotisches Stelldichein bereits einige Zeit zurücklag. Lange Arbeitszeiten, kurzfristige berufliche Reisen und wenig Freizeit, die er fast ausschließlich in seinem Büro verbrachte, trugen nicht unbedingt zu einem erfüllten Sexleben bei. Von einer funktionierenden Partnerschaft ganz zu schweigen.

Bereits während des Essens, das sie auf dem Boden sitzend einnahmen, drehte sich das Thema um den bevorstehenden Besuch in dem kleinen, wie Thomas erfuhr, sehr exklusiven Freudenhaus. Vielsagende Blicke erreichten den deutschen Geschäftsmann und mit gesenkter Stimme schwärmten seine Gastgeber von den jungen, hübschen Mädchen, die für solvente Kunden dort ihre atemberaubenden Körper anboten. Seine Erwartung stieg, ebenso seine Lust. Die unverhohlene Selbstverständlichkeit, mit der die asiatischen Huren dort zum krönenden Abschluss eines guten Geschäfts gehörten, steckte ihn an. Sie war wie ein Vibrieren in der würzigen Luft des kleinen Restaurants spürbar.

Rotes, gedämmtes Licht von tief hängenden, lampionartigen Leuchten erhellte den Vorraum des Bordells nur schwach. Wie zuvor in der Gaststätte, zog die kleine Gruppe von Geschäftsleuten auch hier vor Eintritt des Etablissements ihre Schuhe aus. Thomas atmete tief durch. Sein Herzschlag beschleunigte sich. Das Wissen um den bevorstehenden Liebesakt wühlte ihn auf. Ein Gemisch aus Adrenalin und Testosteron machte sich bereit, durch seinen Körper zu jagen. Er spürte deutlich seine sich füllende Erektion.