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„Einheit“

Was bisher geschah

Prolog

Alzir-System, NOVA-Station, 24. Oktober 2268, 04:32 Uhr

Alzir-System, Hospitalschiff MED I, 24. Oktober 2268, 09:02 Uhr

Alzir-System, NOVA-Station, 26. Oktober 2268, 09:51 Uhr

Alzir-System, Hochsicherheitsgefängnis auf einem namenlosen Habitat

Alzir-System, in der Nähe der NOVA-Station, 26. Oktober 2268, 10:08 Uhr

Alzir-System, an Bord der IONE KARTESS, 26. Oktober 2268, 14:05 Uhr

Alzir-System, PRÄSIDIALE RESIDENZ, 26. Oktober 2268, 15:08 Uhr

Alzir-System, Hospitalschiff MED I, 26. Oktober 2268, 16:12 Uhr

Im interstellaren Leerraum, an Bord eines nicht identifizierbaren Shuttles, 28. Oktober 2268, 18:04 Uhr

Alzir-System, an Bord der „Jacht“, 02. November 2268, 14:22 Uhr

IL HYPERION, vor und bis zum Einflug ins Alzir-System, 02. November 2268, 17:59 Uhr

Kurz zuvor

24 Stunden später

Alzir-System, MED I, 06. November 2068, 11:55 Uhr

Epilog – Sie haben dich nicht kommen sehen

Vorschau

Seriennews

Die Charaktere von Heliosphere 2265

Impressum


Heliosphere 2265

Band 35

Einheit“


von Andreas Suchanek

 

 

Die neue HYPERION

Was bisher geschah

 

Anfang des Jahres 2268 herrscht Chaos in der Milchstraße. Das übermächtige Solare Imperium, mit Imperator Björn Sjöberg an der Spitze, hält seine Welten im Würgegriff. Gleichzeitig greifen die zurückgekehrten Ash’Gul’Kon, Spinnenskorpione, die ihrem temporalen Gefängnis entkommen konnten, alle Völker an.

Um überhaupt eine Chance gegen die Widersacher zu besitzen, versucht die Präsidentin der Solaren Republik, Jessica Shaw, eine Allianz zwischen den kleineren Sternennationen zu formen. Parliden, Aaril, Rentalianer und Kybernetiker sollen mit der Republik in einer interstellaren Gemeinschaft vereint werden. Doch das Ziel ist fern, die Hürden sind hoch.

Fernab der Politik formt die Space Navy einen Verband, bestehend aus der SJÖBERGS UNTERGANG, der IKARUS, der IONE KARTESS und der HYPERION. Im NORTHSTAR-System kommt es zu einem Kampf gegen einen imperialen Schiffsverband unter dem Kommando von Admiralin Kendra Ironstone. Während seine Leute entkommen, ergibt sich Commodore Jayden Cross der feindlichen Admiralin, erschießt sich jedoch kurz vor der Gefangennahme selbst. Einzig dem bioneuralen Tattoo in seinem Körper ist es zu verdanken, dass die Verletzungen geheilt werden können. Er wird an Imperator Sjöberg übergeben.

Im Alzir-System hat Alexis Cross ebenso erfolgreich wie heimlich den Körper mit Präsidentin Shaw getauscht. Sie regiert unerkannt als Staatsoberhaupt die Solare Republik; mit nur einem Ziel, das sie rücksichtslos verfolgt: Sie will Republik und Imperium vereinen. Um Chaos zu säen, entlässt sie Isa Jansen. Die Admiräle Juri Michalew und Yoshio Zhang werden wieder in den Admiralsrat eingegliedert. Nun steht die größte Herausforderung an. Sie muss verhindern, dass die Interstellare Allianz Realität wird.

Auf Terra wird Commodore Cross von Imperator Sjöberg massiv gefoltert – physisch und psychisch. Doch als sein Geist neuronal restrukturiert wird, macht das bioneurale Tattoo die Veränderung kurz darauf wieder rückgängig.

Cross kann seine Peiniger überwältigen und einen Orbitalkampfjet in das SOL-CENTER steuern. Damit zerstört er das Wahrzeichen des Imperiums und tötet Doktor Florian von Ardenne. Imperator Sjöberg hat genug! Er lässt Cross nach Alpha Centauri bringen, wo ihm ein Schauprozess gemacht werden soll. Die Todesstrafe wartet. Zuvor soll das bioneurale Tattoo extrahiert werden. Als Ishida diese Information erhält, beschließt sie zu handeln. Sie will die Unterstützer der HYPERION-Crew vereinen, um ihren Vorgesetzten und Freund gemeinsam zu befreien. Nach anfänglichen Mühen gelingt das Vorhaben, und der Schiffsverband kann heimlich ins Alpha-Centauri-System eindringen. Jayden Cross wird befreit. Zwar können die Schiffe entkommen, doch Admiralin Kendra Ironstone erhält den Befehl, die Verfolgung aufzunehmen. Fünfunddreißig Raumschiffe des Imperiums bleiben dem HYPERION-Verband auf den Fersen, um den letzten Kampf vor der Haustür der Republik auszufechten.

Im Alzir-System versammeln sich mittlerweile die Verschwörer Sam Drake, Admiral Pelsano, Siu Damato und Außenminister Wallrich um Isa Jansen. Sie alle kennen die Wahrheit: Dass Alexis Cross mit der Präsidentin den Körper tauschte, um die Republik zu übernehmen. Sie wollen Shaw befreien und den Körpertausch rückgängig machen. Ein gefährliches Spiel, das nicht unbemerkt bleibt. Dem Außenminister gelingt es – gegen den Willen von Alexis –, die Interstellare Allianz zu gründen. Damit sieht diese sich in die Ecke gedrängt …

… und schlägt gnadenlos zurück.

Prolog

 

Stille. Allumfassende Stille. Am Kopfende des länglichen Tisches saß Admiral Mario Pelsano. Sein dichtes braunes Haar, die olivfarbene Haut, seine tiefe Stimme – der Mann war nicht nur kompetent, er wickelte auch jeden Gesprächspartner mit Charme und gutem Aussehen um den Finger.

Mich allerdings nicht. Admiral John Colson seufzte. Zwar war er für den Charme des Offiziers vor ihm unempfänglich, seine Kompetenz sprach jedoch für sich. Umso unverständlicher mutete das Geschehen heute an.

„… Präsidentin entschieden, mich von meinen Pflichten zu entbinden“, kam der bisherige Leiter der Space Navy zum Ende. „Ab sofort wird Admiral John Colson diese Position einnehmen.“

Ringsum flogen verblüffte Blicke hin und her. Nach Isa Jansen war Mario Pelsano nun der Zweite, der seinen Stuhl räumen musste. Leslie Perkins – aus dem Bereich angewandte Forschung – und Rebeca Sirkov – Geheimdienst – wirkten vollkommen überrascht. Michael Powel, der für die Waffenkonstruktionen zuständig war, nahm es gelassen zur Kenntnis. Er besaß keinen Sinn für Politik.

Admiral Michalew schaute seltsam zufrieden drein. Seine Anwesenheit stieß jedem am Tisch bitter auf. Es war offiziell nicht bewiesen, dass er vor fast drei Jahren den Staatsstreich ausgelöst hatte, doch nahezu jeder glaubte es. Umso unverständlicher mutete es an, dass Präsidentin Shaw ihn in den Rat setzte.

Der zweite Neuzugang, Admiral Yoshio Zhang, saß gelassen an der Seite und hörte lediglich zu. Er war einer der wenigen Überlebenden der Zukunftsrebellen. Seine Sternennation war von den Ash’Gul’Kon ausgelöscht worden. Glücklicherweise konnte die Republik nun auf sein Wissen zurückgreifen.

Yoshio Zhang besaß einen fortschrittlichen Kommandochip aus der zweiten Zeitlinie, der prall gefüllt war mit Daten über Technologie. Einen Großteil hatte der Admiral bereits mit den Ingenieuren auf Alzir-12 geteilt. Auf dieser Grundlage wurden Neuentwicklungen geplant, Prototypen entwickelt, neue Denkansätze geprüft.

„Was soll das alles?“, fragte Leslie. „Nichts gegen dich, John, aber du bist für die Schiffskonstruktion zuständig. Bis du dich eingearbeitet hast, vergehen Monate.“

Innerlich konnte Colson dem nur zustimmen. Das zu sagen hätte die Moral allerdings völlig untergraben. „Die Präsidentin hat mich auf diese Position berufen, das werde ich nicht hinterfragen. Jeder von uns gibt sein Bestes. Wir leben in stürmischen Zeiten.“

Mario nickte. „Letztlich muss die Navy darauf vertrauen, dass die Präsidentin das Richtige tut. Weiterhin viel Glück euch allen.“

Gemessenen Schrittes verließ er den Raum.

John sah ihm gedankenverloren nach. In der Zeit seit der Übernahme der Kommandoposition hatte Mario Pelsano keinen Fehler begangen. Er hatte effektiv gehandelt, sich zügig eingearbeitet, in Isas Namen Entscheidungen getroffen. Fast wirkte es, als wolle die Präsidentin das nun verurteilen. Admiralin Jansen, die Frau, die den Widerstand auf Terra organisiert und die Familien der Rebellen gerettet hatte, war in Ungnade gefallen.

Was auch immer hinter den Kulissen vorgeht: Es wird täglich offensichtlicher, dass jemand aufräumt.

John fragte sich unweigerlich, wann er an der Reihe war. Würde man ihn ebenfalls entfernen, nachdem er ein paar Monate lang am Steuer der Navy gesessen hatte? Die Zukunft würde es zeigen. Er vertrieb die müßigen Gedanken. Mit einer Handbewegung schleuderte er mehrere stilisierte Akten aus seinem privaten, auf der Touch-Oberfläche des Tischs abgebildeten Speicher vor die anderen. Die Daten expandierten mit einem wabernden 3D-Effekt vor den übrigen Admirälen. „Wir haben neue Befehle von Präsidentin Shaw erhalten. Die Navy wird ab sofort auch stärker im Inneren aktiv, um bei der Umverteilung der Befreiten zu helfen. Die neu gefertigten Sammeltender …“

 

 

Alzir-System, NOVA-Station, 24. Oktober 2268, 04:32 Uhr

 

Isa sank müde auf einen der Stühle. Ihre rechte Hand zitterte ein wenig, als sie den ViKo-Becher an die Lippen führte. Das Aroma kitzelte ihre Nase. Unweigerlich entspannten sich ihre Muskeln, Wärme stieg in ihrer Brust empor. Schnell nahm sie einen Schluck, bevor ihre Augen zufallen konnten. An Schlaf war jetzt nicht zu denken. Zu viel stand auf dem Spiel. Alles, um genau zu sein.

Sie beobachtete Doktor Siu Damato, der an einer der Konsolen saß und eifrig arbeitete. Seine Aufgabe bestand darin, den Transfer nachzuvollziehen, der den Geist von Präsidentin Shaw in den Körper von Alexis Cross transportiert hatte; und umgekehrt.

Neben ihm saß ihr Adoptivsohn Joey, mit gekrümmtem Rücken neben Damato, beobachtete alles, was das Wissenschaftsgenie tat. Auf seinem Kopf eine Kappe in dunklem Navyblau, auf der mit weißen Lettern stand: Voll Cross. Isa musste lächeln. Der Junge war aufgeweckt, sie konnte stolz sein.

Außenminister Jan Wallrich war nicht anwesend. Er wusste zwar von dem Körpertausch, ging jedoch weiter seinen Aufgaben nach. Innerhalb der Regierung konnte er sie am besten auf dem Laufenden halten. Es schien allerdings so, als habe Alexis Cross ihn von allem abgeschnitten, der Minister war bis auf wenige treue Verbündete isoliert.

Sam Drake behielt über einen sicheren Kanal seine Agenten im Auge, die überall im Imperium oder auf Schiffen und Einrichtungen der Republik stationiert waren. Die Spione des Exekutivkommandos sollten die demokratischen Grundwerte verteidigen. Dass Alexis Cross unter seiner Nase die Kontrolle über die Republik übernommen hatte, traf den Mann schwer.

„So nachdenklich?“, fragte Admiral Mario Pelsano. Er nahm neben ihr Platz und nippte an einem Wasserglas.

„Ich frage mich nur, wie ich immer wieder in die Position rutsche, einen Widerstand anzuführen.“

Ein leises Lachen antwortete. „Vielleicht machen Sie Ihre Arbeit einfach so gut, dass das Schicksal Sie stets aufs Neue in der gleichen Rolle positioniert.“

Sie nahm einen tiefen Schluck. „Dann kann ich das Schicksal absolut nicht leiden.“

„Wer kann das schon? Aber letztlich müssen wir unser Bestes geben. Andernfalls haben wir bereits verloren.“

Es waren diese Momente, mitten in der Nacht in einer ausweglosen Situation, in denen Isa an sich selbst zweifelte. All die Dinge, die Mario sagte, waren logisch nachvollziehbar und alternativlos. Trotzdem fühlte sie sich müde. Eine weitere Herkulesaufgabe wartete. „Leider hat Alexis Cross gute Arbeit geleistet. Um den Tausch rückgängig zu machen, benötigen wir sie, Shaw und die Maschine. Außerdem muss CABAL den Transfer durchführen. Die gewaltige Datenmenge eines Bewusstseinstransfers kann nur von einer K.I. gesteuert werden.“

„Ich habe nie davon gesprochen, dass unsere Chancen gut stehen“, sagte Mario grinsend.

„Wie schaffen Sie das nur?“

„Was denn?“

„Ein echtes, herzliches Lächeln aufzusetzen, während wir alle über dem Abgrund hängen“, erklärte Isa. „Ich bin ja nicht unbedingt pessimistisch eingestellt, aber in diesen Situationen macht mein Optimismus Urlaub.“

„Ach, Sie müssen sich einfach sagen: Schlimmer geht es immer. Insofern stehen wir doch noch ganz gut da.“

„Gehören diese Worte nicht in die Rubrik: Niemals laut aussprechen?“

Mario zuckte mit den Schultern. Er stellte sein Wasserglas in ein Servicefach und ließ es neu auffüllen. „Sind Sie denn abergläubisch? Ich bin es nicht. In meinem Leben sind schon verdammt viele Dinge schiefgelaufen. Am Ende hat sich doch wieder alles zum Guten gewendet. Manchmal benötigt man nur eine andere Perspektive.“

„Ha! Die des Underdogs? Die wäre nicht neu.“

Mario lachte. „Sehen Sie, Sie haben doch noch Humor. Auch wenn er leicht bitter angehaucht ist.“

„Leicht?“

„Nun ja, das war diplomatisch ausgedrückt.“

„Dachte ich mir.“ Isa stürzte den Rest ihres ViKos hinunter. „Also gut, genug des Selbstmitleids. Schauen wir mal, was unsere schlauen Mitverschwörer bisher ausgeheckt haben.“

„Das klingt schon besser.“

Gemeinsam gingen sie zu Damato und Joey, um sich auf den neuesten Stand bringen zu lassen.

 

*

 

Die Schwärze war allumfassend.

„Sie sind tot“, erklang eine Stimme.

Ein Stöhnen drang an seine Ohren, ausgestoßen von einer trockenen Kehle. Vorsichtig öffnete er die Augen. Gedanken, zähflüssig wie Sirup, entstanden aus dem Nichts. Er lag auf hartem Untergrund. Einem Boden vermutlich. Seine Gedanken klärten sich nur langsam. An der Wand lagerten Frachtkisten, Dämmerlicht schien aus Leuchtstreifen herab.

Neben ihm stand eine Frau. Sie trug ein schwarzes Businesskostüm, darunter eine blaue Bluse und feine Schuhe. Das blonde Haar war elegant frisiert, an ihren Ohren baumelten Saphirohrringe.

Was tut die Präsidentin in meiner Zelle?

Im nächsten Augenblick schoss Janos Akoskin in die Höhe. Das hier waren nicht die wenigen Quadratmeter Lebensraum, die ihm seit der Ermordung von Santana Pendergast gewährt worden waren. Gleichzeitig begriff er, dass seine Inserts deaktiviert waren.

„Das hier ist ein Lagerraum auf der NOVA-Station“, erklärte Jessica Shaw. „Sobald ich gegangen bin, erlischt das Dämpfungsfeld, Ihre Inserts arbeiten dann wieder. In dieser Kiste“, sie deutete auf einen weißen, etwa vier Quadratmeter großen Behälter, der eine kleine Touch-Fläche aufwies, „befindet sich Ausrüstung. Sie kennen die Zielpersonen. Liquidieren Sie alle, und Sie sind frei.“

Er folgte ihrem Blick. An seinem linken Fußgelenk war ein Band aufgeklebt. Es umschloss das Bein einmal ringsum. Das Material fühlte sich leicht an. „Ein Sender?“

Sie nickte. „In das Material wurden Titanmoleküle eingesetzt. Sie werden es nicht zerstören können. Versuchen Sie es doch, wird ein Kontaktgift abgesondert, gegen das selbst Sie nicht immun sind.“

„Ich verstehe.“

„Das hoffe ich“, sagte Shaw. „Offiziell sind Sie tot, Janos. Niemand wird Sie suchen, niemand Sie vermissen. Enttäuschen Sie mich nicht.“ Damit wandte die Präsidentin sich um und verließ den Frachtraum.

Er kam nicht umhin festzustellen, dass er Jessica Shaw unterschätzt hatte. Gleichzeitig fühlte Janos sich bestätigt. Letztlich waren alle Staatsoberhäupter gleich. Machtversessene, gierige Diktatoren, die sich der jeweiligen Struktur unter ihnen einfach nur bedienten.

Nun gut, einstweilen musste er mitspielen. Immerhin ging es bei den Zielsubjekten um Menschen, die seinem Bruder Lukas nahestanden. Insofern war es ein Bonus, gerade sie zu töten. Lukas würde leiden. So leiden, wie Janos es einst getan hatte.

Mittlerweile hatte er gelernt, die Bilder zu vertreiben. Sie suchten ihn manchmal noch im Schlaf heim, doch er ließ sie nicht an sich heran. Luzides – bewusstes und gesteuertes – Träumen war längst zur Norm für ihn geworden.

„Also gut.“ In Gedanken rief er sich die Namen all jener ins Gedächtnis, die auf Jessica Shaws Todesliste standen. „Wie erledigen wir das am besten?“

 

*

 

Alzir-System, Hospitalschiff MED I, 24. Oktober 2268, 09:02 Uhr

 

Zwischenspiel 1 – Ein trauriger Fund

 

Doktor Ralf Boden war am Ende seiner Kräfte angelangt. Dass er noch aufrecht stand, verdankte er nur einer eisernen Konstitution und einem leichten Aufputschmittel. Langsam, aber sicher erreichte er das Limit dessen, was möglich war.

Als ranghöchster Mediziner auf MED I besaß er quasi die Befehlsgewalt. Gleichzeitig trug er den Rang eines Commanders. Seit die Parlidentender die ehemals von Rüstungen versklavten Menschen hierher ins Alzir-System gebracht hatten, war er im Einsatz. Die heute nur noch als Befreite Bezeichneten brachten die Republik nach wie vor an die Belastungsgrenze. Die Politik schien außerstande, eine vernünftige Lösung zu finden. Da Pearl nicht bewohnbar war, standen die Habitate täglich am Rand des Abgrunds.

Wohnraum, Nahrung, Medizin – alles war knapp. Nur langsam kam Bewegung in die Versorgungssituation, wurden Strukturen aufgebaut, medizinische Versorgung geregelt. Ein Teil der Befreiten war zu den Aaril gebracht worden, mehrere Hundert, soweit er wusste. Die übrigen verteilten sich über das System.

Der daraus entstandene Mangel fachte die Wut eines Teils der Menschen an. Sie wollten nichts von dem hergeben, was sie sich hart erarbeitet hatten. Dass es um die Rettung der eigenen Brüder und Schwestern ging, spielte da nur eine untergeordnete Rolle. Man habe ja nicht die Diktatur überlebt, um jetzt an ehemaligen Sklaven kaputtzugehen. Kirkov sah sich im Aufwind. Obgleich er die Wahl verloren hatte, trieb er durch beständigen Populismus, den er in jedes Kamerafeld brüllte, die Regierung vor sich her. Eine Lösung, die im Einklang mit den Menschenrechten und der Grundrechtecharta der Republik stand, bot er dabei allerdings nicht an.

Umso entsetzter war Ralf darüber, wie die Präsidentin auf dieses Problem reagierte. Hatte sie auf der einen Seite erfolgreich die Interstellare Allianz zuwege gebracht, die auf lange Sicht Unterstützung bewirkte, errichtete sie nun diese schrecklichen Tender. Massenlager, auf denen jene Menschen zusammengepfercht wurden, die doch zuvor in Rüstungen eingesperrt gewesen waren.

Er schüttelte den Kopf.

Als Arzt sah er jeden Tag die Schrecken in den Augen der Menschen, die er behandelte. Panisch aus dem Schlaf hochschreckende Männer und Frauen, Kinder, die im Dunkeln schrien, sich die Arme aufkratzten. Er und seine Kollegen besuchten die Tender, verarzteten, halfen, spendeten Trost. Marjella Cruz, die ehemalige Psychologin von Angelica Sjöberg, die mittlerweile in der Republik ihr Zuhause gefunden hatte, war meist mit an Bord. Sie koordinierte den Psychologenstab.