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Table of Contents

»Die Flotte der Freiheit«

Was bisher geschah

Prolog

Der Anfang …

1. Das sind ja schöne Aussichten

2. Ein Pfeil ins Herz

3. Nicht totzukriegen

4. Planetensterben

5. Ein Hagel aus Pfeilen

6. Von Alpha zu Alpha

7. Ohne Gnade

8. Der letzte Pfeil

9. Die Ruhe nach dem Sturm

10. Die Schatten der Zukunft

11. Gemeinsam oder allein

12. Im Namen der Freiheit

13. Was hat das zu bedeuten?

14. Kommandanten unter sich

15. Machen Sie sich bereit

16. Eine sterbende Welt

17. Eine Hölle namens Mars

18. Der Abschied

19. Der Aufbruch

20. Das fremde Gesicht im Spiegel

… vom Ende

21. Ins Verderben

22. Ein Blick nach vorn, ein Blick zurück

23. Mit einem Lächeln auf den Lippen

24. Die Messlatte

25. Ideen sind gefragt

26. Das erste Glied der Kette

27. Kein Zurück mehr

28. Alles oder nichts

29. Angriff

30. Kampf um Alpha Centauri

31. Das Ultimatum

32. Eine letzte Chance

33. Keine Gnade

34. Was ist ein Leben wert?

35. Neuntausend Seelen

36. Sieg oder Niederlage?

37. Ein Schwarm Moskitos

38. Der letzte Schuss

39. Wenn man es am wenigsten erwartet

Vorschau

Seriennews

Die Charaktere

Impressum


Heliosphere 2265

Band 48

»Die Flotte der Freiheit«


von Andreas Suchanek

 

 

Was bisher geschah

 

Anfang des Jahres 2270 haben sich die Fronten der galaktischen Machtblöcke verhärtet. Das bisher übermächtige Imperium unter Björn Sjöberg musste zahlreiche Rückschläge hinnehmen. Der Mars ist unter der Kontrolle von Rebellen, Randwelten wurden aufgegeben. Trotzdem herrscht die Inner Security Police mit eiserner Hand.

Die Interstellare Allianz konnte sich stabilisieren und den Großangriff der Ash’Gul’Kon zurückschlagen. Menschen, Rentalianer, Kybernetiker, Aaril und Parliden bilden eine immer stärker werdende Gemeinschaft. Eine Verteidigungsflotte wurde errichtet, die Infrastruktur ausgebaut.

Kirby, Sienna McCain und Ian McAllister erreichen nach einer abenteuerlichen Reise den Mars. Mit Entsetzen erkennen sie, dass niemand anders als Juri Michalew der Rote Vater ist und damit der Anführer des marsianischen Widerstands.

Commodore Cross und die Crew der HYPERION werden unterdessen der Flotte der Freiheit zugeteilt: Der Sturm auf das Imperium soll beginnen.

Niemand ahnt, dass Sjöbergs Projekt Arrows in vollem Gang ist und dem Imperator kein Zug der Allianz verborgen bleibt.

Auf Hope erkennt Yuna Ishida, dass der Fixpunkt gekommen ist und sich das Schicksal der Galaxis entscheiden wird.

 

 

 

 

 

»Nehmen Sie Platz, Captain Cross.«

(Admiral Sjöberg, 01. November 2265, SOL-22)

 

 

 

 

Prolog

 

»Laser auf Streuung.«

»Aye, Commodore«, bestätigte Lieutenant Commander Tess Kensington, während ihre Finger bereits über die Touch-Oberfläche Waffenkonsole glitten. »Erste Salve erreicht Bandit I in zwei Minuten, Mirage-Gondeln sind aktiv.«

»Lasermuster?«

»Abgleich erfolgreich, PRISMA ist aktiv.«

Beeindruckt nahm Jayden die Wirkung zur Kenntnis. Der neueste Prototyp aus der Schmiede von Alzir-12 erwies sich als genau das, was ihnen bisher gefehlt hatte. Laser waren eine Möglichkeit, schnell zu feuern, doch ihre Wirkung lag weit hinter jenen von Torpedos. PRISMA war eine leichte und relativ billig herzustellende Komponente, die aus speziellen Verstärkerprismen bestand. Eingehende Laser wurden in ihrer Stärke potenziert. Falls mehrere Schiffe ihre Laser in das Prisma leiteten, konnten ganze Lasergitter erzeugt werden, die zwischen den Komponenten gespannt wurden. Bewegten diese sich im nächsten Schritt auf ein Ziel zu, kollabierten die Schutzschilde von Schiffen innerhalb von Sekunden. Leider waren die Gondeln leicht zu zerstören.

»Die APOLLO und die IONE KARTESS leiten ihre Laser zu«, verkündete Commander Jane Winton. Die achtzigjährige Sensorspezialistin saß wie immer elegant und mit dem Hauch eines Lächelns hinter ihrer Konsole. »Das Gitter steht.«

»Erhöhtes Kommunikationsaufkommen bei feindlichem Verband«, meldete Lieutenant Michael Larik. Der Marsianer lauschte in sein Headset und nahm immer wieder Einstellungen an den Kommunikationsströmen vor. »Reaktion steht kurz bevor.«

»Gondeln losschicken«, befahl Jayden.

Während die HYPERION an der Spitze der gebildeten Linie unter die Systemekliptik tauchte, schossen die PRISMA-Gondeln auf den gegnerischen Verband zu. Das Lasergitter wanderte über die Schilde von Bandit 1-3 und erzeugte aufblitzende Entladungen.

»Torpedos erreichen ihr Ziel«, meldete Kensington. »Die Schilde unserer Gegner sind kollabiert.«

Damit stand den Torpedos außer der Hüllenpanzerung nichts mehr entgegen. Die Laserlafettengefechtsköpfe brannten sich in die ungeschützten Seiten der Leichten Kreuzer und des Dreadnoughts. Röntgen- und Gammastrahlen zerstörten, zerfetzten und vernichteten. Flechette-Partikel radierten die Nahbereichsabwehr aus.

»Einheiten zerstört«, meldete Kensington.

»Gute Arbeit«, lobte Commander Noriko Ishida. Die Kommandantin der HYPERION saß neben Jayden, hatte die Schlacht auf ihrer Kommandokonsole verfolgt und hier und da eingegriffen.

Jayden wollte etwas sagen, doch ein lauter Warnton riss ihm die Worte von den Lippen.

»Energiesignaturen werden aktiv«, meldete Winton und blickte mit gerunzelter Stirn auf ihre Sensoranzeige.

Im Zentrum des Kreises aus Konsolen und des Kommandopodestes aktualisierte sich die Taktiksphäre. Vierzehn neue Icons leuchteten auf und zeugten von den Raumschiffen, die ihre Systeme soeben aktiviert hatten. Die Holosphäre mit dem visuellen Datenstrom der Kameras enthüllte das Äußere gewaltiger Raumschiffe der Imperiumsklasse.

»Verband wenden!«, brüllte Jayden.

Lieutenant Commander Task hatte bereits gehandelt und das Kommando eingegeben. Synchron wurde es über das Gefechtsnetz an die übrigen Schiffe des Verbands übermittelt. Wie ein Fischschwarm veränderten die Raumer gleichzeitig ihren Kurs.

»Vier weitere Verbände geortet«, meldete Winton.

»Sie stoßen vom Systemrand zu uns vor«, erklärte Kensington. »Die drei Raumer waren ein Honeypot. Wir sollten angelockt und gebunden werden.«

»Alle Fluchtvektoren sind geschlossen«, führte Task die negativen Punkte weiter aus. »Fluchtkurs unmöglich. Konfliktpunkt wird in zwei Minuten und sechsunddreißig Sekunden erreicht.«

Nach außen hin gab Jayden sich gelassen, doch innerlich kochte er. Sie hatten eine vollständige Systemaufklärung mit Kieseln und ÜL-Plattformen betrieben. Die APOLLO hatte zudem JETs mit neuen Sensorwellengeneratoren ausgeschickt. Alles vergeblich.

»Wie konnten die das bewerkstelligen?« Ishida wirkte nicht minder verblüfft.

»Ein neues Stealth-System, nehme ich an.« Jayden verzog abschätzig die Lippen. »Admiral North meinte es wohl ernst, als sie sagte, dass wir auf alles vorbereitet sein müssen. Selbst das Unmögliche kann geschehen.«

»Also das ist doch unfair«, blaffte Sarah McCall. Die Zeitreisende und Sondereinsatzoffizierin, die seit Kurzem wieder eine Uniform tragen durfte, hatte bisher im hinteren Bereich der Kommandobrücke beim Kampf assistiert. Durch ihre körperlichen Erweiterungen konnte sie Analysen doppelt so schnell auswerten wie Offiziere ohne Inserts. Genau wie Jayden, der dies zur taktischen Unterstützung von Tess Kensington genutzt hatte.

»Miss McCall«, sagte Ishida seufzend.

»Ist doch wahr.« Sie verschränkte die Arme wie ein trotziges Kind. »Da, schauen sie nur hin, gleich sind wir tot.«

Die gesamte Taktiksphäre war von Lichtpunkten ausgefüllt, die sich auf den Verband zubewegten. Sekunden später verschwanden die Darstellungen der fünf Verbandsraumer aus der Taktiksphäre.

»Die Einheiten der Interstellaren Allianz wurden vollständig zerstört«, verkündete CARA. »Und ich finde es ebenfalls unfair. Ich würde natürlich überleben, weil ich vor jedem Kampf ein Back-up meiner Selbst an die KSI übermittle. Ihr alle wärt jedoch tot. Zerfetzte Körper, die traurig im All dahintreiben und eines Tages in den Ausläufern eines Sterns lodernd ihr Ende finden.«

Jayden barg das Gesicht in den Händen. »Du hast wieder diese Buchreihe gelesen.«

Ishida blickte angelegentlich auf ihre Finger. Sie war ebenfalls ein Fan von Sternengeflüster. Die Space Soap war eine der ersten Reihen gewesen, die ein Autor auf Hope geschrieben hatte. Unter den Offizieren war sie sehr populär, vermengte sie doch spannende Sci-Fi-Elemente mit Charakterentwicklungen und einem Hauch Soap Opera. Er selbst konnte damit gar nichts anfangen und verfluchte Cliffhanger sowieso, die an jedem Romanende auftauchten.

»Aber natürlich«, verkündete CARA. »Das Finale steht schließlich kurz bevor. Und ich möchte wissen, ob Chavalette und Ivan ein Happy End bekommen oder einer von beiden stirbt.«

»Nun, wenn die beiden sich am Ende so anstellen, wie wir gerade eben, werden sie eines jämmerlichen Todes sterben«, blaffte Jayden.

Ein Schluchzen drang aus den Lautsprechern.

»Das ist doch nicht wahr«, grummelte Jayden.

»Also ehrlich gesagt, macht die Reihe durchaus Spaß«, begann Peter Task, verstummte jedoch sofort, als Jayden ihm einen giftigen Blick zuwarf.

»Eingehender Phasenfunkspruch von Admiralin Jansen«, verkündete Lieutenant Commander Larik.

»Wunderbar.« Jayden seufzte.

»Sagen Sie ihr gefälligst, dass es unfair war«, rief McCall. »Simulationen sollen schließlich das taktische Zusammenspiel des Verbands stärken und uns nicht ständig demoralisieren.«

Womit sie recht hatte. Trotzdem verzichtete Jayden darauf, ihr das zu sagen, denn generell war es keine gute Idee, McCall zu bestätigen. Das verschlimmerte deren Auftreten nur noch mehr.

»Stellen Sie die Admiralin durch«, befahl Jayden. »Und beenden Sie den Simulationsmodus.«

 

 

 

 

 

 

I

 

Der Anfang …

 

 

 

 

 

1. Das sind ja schöne Aussichten

 

IL HYPERION, HIDEAWAY-System, 01. September 2270, 09:00 Uhr

 

Der Raum war kreisrund und angefüllt von schlechter Laune.

Die gesamte Führungscrew war anwesend, ebenso Doktor Petrova, L.I. Lorencia, Sicherheitschef Alpha 365 und Bordpsychologe Janis Tauser.

Noriko saß direkt neben Commodore Cross und streckte ihre geistigen Fühler aus. Die Fähigkeit, Emotionen anderer aufnehmen zu können, war Segen und Fluch zugleich. Allzu oft geschah es, dass sie den Gefühlszustand anderer, wenn er geballt und ungefiltert zu ihr herüberdrang, zu ihrem eigenen machte. Im aktuellen Fall hätte das ihrer Laune nicht gutgetan.

Admiralin Jansen hatte deutlich gemacht, dass ihr das aktuelle Abschneiden der Verbände nicht gefiel.

»Wenn diese dämlichen Programmierer nicht ständig eine Überraschung einbauen würden, sähe das anders aus«, merkte McCall an.

»Fairerweise muss man sagen, dass in der Vergangenheit immer wieder genau solche Überraschungen für Verluste sorgten«, wandte Kensington ein. »Als Taktische Offizierin ist es an mir, alle potenziellen Variablen zu erkennen.«

Commodore Cross schüttelte den Kopf. »Nicht in diesem Fall. Das Szenario ist wohl dazu gedacht, allzu euphorische und von sich selbst überzeugte Crews auf den Boden der Tatsachen zu holen. Man kann es nicht gewinnen.«

»Toll, noch ein Eriin-7«, warf Lorencia ein. Wie stets zeigte sich kein Staubkorn auf der Uniform der Chefingenieurin, dafür war ihre Laune das Gegenteil von Glänzend. »Nur weil wir eine herausragende Crew sind, die regelmäßig Unmögliches zuwege bringt, muss man doch nicht solche Torpedos auffahren.«

»Auch wir haben Gefühle«, warf Alpha 365 ein, nur um sich kurz darauf seiner Worte bewusst zu werden. »Entschuldigung, Commodore. Das war ein … bedauerlicher emotionaler Ausbruch.« Das Haar des Sicherheitschefs lag wie immer akkurat zurückgelegt an.

Während er normalerweise über keine Emotionen verfügen sollte, tat er dies mittlerweile durchaus – auch wenn er es absolut nicht mochte. Hinzu kam, dass der Alpha genau wie Jayden, Kirby, Tess Kensington und Peter Task zu den relativ Unsterblichen gehörte; ihr Alterungsprozess war angehalten worden.

»Ich habe mein Bedauern über dieses unschöne Szenario der Admiralin mitgeteilt«, erklärte Jayden. »Die nächsten Übungen werden wieder realistischer.«

»Übungen, Übungen, Übungen«, warf Larik ein. »Wann geht es endlich los? Seit gut einem Monat sind wir Teil dieser Flotte und unser Verband arbeitet ausgezeichnet zusammen. Immer wieder gibt es Gerüchte, dass es endlich losgeht. Worauf warten wir?« Der Marsianer verschränkte die Arme.

»Eine berechtigte Frage«, meldete sich Alpha 365 zu Wort. »Wir haben alle Grundlagen gelegt, um losschlagen zu können. Die Flotte hier im System ist beeindruckend, die genetischen Soldaten Sjöbergs verenden und mit TEMPUS liegt ein Mittel gegen die Nanokiller vor.«

Argumente, die Noriko nahezu jede Nacht mit Giulia im Bett diskutierte.

Der Geheimdienst hatte zweifelsfrei festgestellt, dass die genetischen Soldaten des Imperators starben. Auf allen Welten und Schiffen. Mittlerweile musste selbst der dümmste I.S.P.ler kapiert haben, dass dies der Infiltration eines Republik-Teams geschuldet war.

Trotz zahlreicher Rückschläge war zudem ein Mittel gefunden und weiterentwickelt worden, um das Problem mit den Nanokillern anzugehen. TEMPUS war ein Atto-Virus das sich in besagte Nanokiller schalten und sie verzögern konnte. Gab Sjöberg also den Auslösebefehl oder kam das Reset-Signal nicht an, verzögerte TEMPUS die Auslösung der Killorder. Damato und sein Team aus Wissenschaftlern hatten die Zeit mittlerweile auf ein Jahr erhöht. Bis dahin mussten die Nanokiller aus dem Körper des Betroffenen entfernt worden sein.

»Die Admiralität weiht mich nicht in ihre Pläne ein«, erklärte Commodore Cross. »Wir halten uns bereit und warten. Ich habe Admiralin Jansen zu bedenken gegeben, dass Sjöberg vermutlich längst neue genetische Soldaten produzieren lässt. Ich gehe davon aus, dass der Einsatz in Kürze beginnt.«

»Das Opal-Team hat mir einen Bericht zugeschickt«, warf Larik ein. »Sie hoffen darauf, die Kommunikationseinrichtung zu knacken. Möglicherweise wartet die Admiralität daher ab. Wenn das gelingt, könnten wir die Nanokiller abschalten.«

»Und vergessen wir nicht das eigentliche Problem«, gab Kensington zu bedenken. »Wir besitzen mit TEMPUS zwar eine Zeitverzögerung gegen die Killorder, aber das Mittel muss erst einmal zu den Menschen gelangen. Es gibt hunderte von Welten im Imperium, von den Raumern ganz zu schweigen. Wie soll es verteilt werden?«

Eine weitere Diskussion, die Noriko schon tausendmal geführt hatte. Selbst wenn Offiziere des Imperiums zur Republik überlaufen wollten, konnten sie das nicht tun, solange die Nanokiller aktiv waren. Der E.C. an Bord würde sie kurzerhand töten. Doch wie sollte TEMPUS in einer Schlacht an Bord eines gegnerischen Raumers gelangen?

Darüber zerbrachen sich zahlreiche Offiziere den Kopf und auch der PRISMA-Prototyp war auf der Basis dieses Problems entwickelt worden. Gelang es, mit einem Lasergitter die Schilde angreifender Raumschiffe zu deaktivieren, konnte TEMPUS an Bord transloziert werden.

Auf diese Art ließen sich Leben retten und als Bonus die eigene Flotte vergrößern.

»Wir werden auch dafür eine Lösung finden«, erklärte Commodore Cross mit einem Lächeln. »Denken Sie zurück, wie alles angefangen hat. Wir waren ein isoliertes Schiff und Pendergast besaß nicht mehr als eine Flotte aus Trümmerschiffen. Wir waren Rebellen. Aus einem Haufen geschlagener und gebrochener Menschen wurde die Republik. Uns ist es gelungen, verlorenes Vertrauen wiederherzustellen und eine Interstellare Allianz zu schmieden, trotz aller Attacken, die Sjöberg uns entgegengeworfen hat. Aus einer Keimzelle ist längst etwas weitaus Größeres geworden. Wir haben erstmals eine echte Chance gegen das Imperium und gegen die Ash’Gul’Kon.«

Bei der Erwähnung der Spinnenskorpione zuckte Tess Kensington kurz zusammen und ein Gefühl der Wut schwappte zu Noriko herüber. Die Anführerin der Aliens war eine Kopie von Kensington, deren DNA mit jener der Spikos vermischt worden war.

Seltsamerweise beunruhigte Noriko die Tatsache, dass die Ash’Gul’Kon sich so sehr zurückhielten mehr, als wären diese mittlerweile wieder aktiv geworden. Was planten Stimme, Hand und Geist? Und wie war es zu der Allianz zwischen ihnen und dem Imperium gekommen, die erst kürzlich offenbart worden war?

Nein. Sie mochten zwar zum ersten Mal die Hoffnung auf einen Sieg in Reichweite haben, doch gewonnen war dieser Krieg noch lange nicht. Möglicherweise war das Szenario, das die Admiralität der HYPERION vorgesetzt hatte, weitaus realistischer, als alle annahmen.

Die Gespräche drehten sich noch eine Weile im Kreis. Mal um die Chancen gegen das Imperium, mal gegen die Ash’Gul’Kon. Sjöberg kam zur Sprache, ebenso wie Abigail Rosen, die auf der Most-Wanted-List direkt hinter dem Imperator rangierte.

Doktor Petrova legte einen kurzen Bericht über die neuesten Entwicklungen auf der Krankenstation vor, Doktor Tauser gab einen Überblick über die aktuelle Moral an Bord – natürlich unter exakter Beachtung der Datenschutzverordnung. Lorencia machte ihrem Ärger Luft, dass ein paar Ersatzteile auf sich warten ließen und Sarah McCall warf ein paar Provokationen ein.

Alles war wie immer.

Trotzdem spürte Noriko ein seltsames Kribbeln, das ihre Schulter hinabkroch. Alles war wie immer und doch auch nicht. Unter der Schicht aus Normalität brodelte es. Jeder spürte, dass die Entscheidung bevorstand, dass es bald losgehen würde.

Schließlich beendete Cross die Sitzung.

Sie gingen zurück an ihre Arbeit.

Das Warten ging weiter.

2. Ein Pfeil ins Herz

 

Die holografische Zahl wuchs weiter.

Überall um Jayden herum wurde gekeucht und er stand dem in nichts nach. Es war, als würden die Offiziere und Mannschaftsdienstgrade sowohl ihre überschüssige Energie loswerden, als auch gestählt in die Schlacht ziehen wollen.

Der Fitnessraum an Bord der HYPERION war überfüllt. Und während Doktor Petrova im Normalfall jede körperliche Ertüchtigung guthieß, fluchte sie in den letzten Tagen lautstark, da es viele Männer und Frauen maßlos übertrieben und auf der Krankenstation landeten.

Hinab gedrückt von der erhöhten Schwerkraft, joggte Jayden weiter. Der Boden unter seinen Füßen war ein Laufband, das sich kontinuierlich bewegte. Die Elektroden an seinen Muskeln sorgten für eine Intervallspannung und die Nanoinjektionen erhöhten Stoffwechsel, Muskelaufbau und Giftstoffabbau.

In den letzten Tagen waren seine Muskeln hart und größer geworden.

Sein Blick fiel auf Lieutenant Commander Michael Larik. Der Marsianer wirkte wie ein Wandschrank. Seine breiten Schultern gingen über in einen schmalen Rücken, die Arme waren dick. Sein Sportsuit lag hauteng an. Zahlreiche bewundernde Blicke trafen den Kommunikationsoffizier, doch er ignorierte sie alle.

Seit dem Tod von Lukas Akoskin, seinem besten Freund, stürzte Larik sich in die Arbeit. Er schulte Geist und Körper, visierte zielstrebig die Kommandolaufbahn an. Zweifellos würde er in wenigen Jahren auf dem Stuhl des Captains sitzen, wenn er sich nicht selbst ausbrannte.

»Es ist immer wieder schön, anderen bei der Arbeit zuzusehen«, erklang die Stimme von Sarah McCall.

»Sie hier?«

»Aber natürlich. Regelmäßig.«

Zwischen zwei keuchenden Atemzügen fragte Jayden: »Welches Level?«

»Oh, ich trainiere doch nicht.« Sie winkte ab. »Meine Inserts erledigen das. Das ist mehr eine intensive Begutachtung der Männer und Frauen hier. Diese engen Trainingsanzüge sind eine fantastische Erfindung.«

Beinahe hätte Jayden aufgelacht. Es kam wohl niemand auf die Idee, den Fitnessraum für eine Fleischbeschau zu verwenden. Andererseits … Zum ersten Mal schaute er genauer hin. Die Blicke, die gewechselt wurden, waren angefüllt von Pheromonen und Leidenschaft.

Wer hätte das gedacht? »Ich dachte, Sie und Mister Task …«

»Er ist wirklich gut.« McCall nickte, ein schmutziges Grinsen auf dem Gesicht. »Aber wir sind da beide eher locker. Er will noch viel nachholen und ich zeige ihm alles, was es im Bett zu lernen gibt. Darüber hinaus schauen wir beide uns anderweitig nach Spaß um.«

Obgleich es Jayden beeindruckte, dass dies ohne Eifersucht und Probleme einherging, konnte er es sich nicht für sich selbst vorstellen. Die Gesellschaft war offener und liberaler geworden und so waren die unterschiedlichsten Arten des Zusammenlebens entstanden. Über Geschlechtergrenzen hinweg gab es alle möglichen Kombinationen aus monogam, offen und sehr variabel in der Anzahl. Er selbst wollte Kirby ganz für sich allein und ihr erging es glücklicherweise genauso. Nicht, dass das einer von ihnen hätte verbergen können, immerhin ermöglichte das BioTat eine sehr intime Verschmelzung, die über alles Körperliche hinausging.

»Sie denken zu viel.«

McCalls Stimme holte ihn zurück in die Wirklichkeit. »Wie bitte?«

»Ich habe Sie in den letzten Tagen beobachtet. Auf der Kommandobrücke, wenn Sie durch die Gänge marschieren, um die Moral hochzuhalten, im Fitnessraum und auf dem Erholungsdeck. Sie schalten nie wirklich ab.«

In jenen Augenblicken bemerkte Jayden stets aufs Neue, dass man McCall nie unterschätzen durfte. Sie nahm jedes Detail auf und hatte nicht umsonst viele Jahrhunderte überlebt. »Ich bin der Commodore.«

»Und genau deshalb sollten Sie etwas lockerer werden. Was uns bevorsteht, wird jedes Quäntchen Kraft erfordern.« Sie ließ einen der Besucherstühle aus dem Boden wachsen und setzte sich breitbeinig darauf. »Ich habe das am Anfang auch getan.« Ihr Blick wanderte ins Nirgendwo. »Nur noch an die Mission gedacht. Kein Leben, kein Atmen, den Blick immer auf das Ziel gerichtet. Aber manchmal muss man loslassen und die Konsequenzen aus tausend und einem Gedanken einfach mal nicht beachten.«

»Jetzt spricht die alte Frau aus ihnen.«

Doch sie ließ nicht zu, dass er ihre Worte ins Lächerliche zog und den Dialog auf diese Art beendete.

»Keiner von uns weiß, wie dieser Krieg endet. Ganz zu schweigen von der Fixpunkt-Sache. Leben Sie ein wenig. Vielleicht bleibt weniger Zeit, als Sie denken.«

»Sie mögen recht haben, aber ich pflege, das Ganze etwas weniger pessimistisch zu sehen.«

»Commodore Cross auf die Kommandobrücke«, erklang die androgyne Stimme des Hauptcomputers.

McCall erhob sich und breitete die Arme in einer habe-ich-es-nicht-gesagt Geste aus.

»Fitnessprogramm cooldown«, sagte er.

Die Stimmensteuerung veranlasste die Normalisierung der Schwerkraft innerhalb weniger Minuten. Da kein Alarm ausgelöst worden war, konnte er sich diese Zeit nehmen. Er bemerkte, dass auch Larik seine Übung beendete. Natürlich wollte der Marsianer auf der Kommandobrücke sein, falls es dort zu einem Problem kam.

Das Handtuch um den Hals geschlungen und noch immer in seinem Sportsuit, verließ Jayden den Fitnessraum und eilte zur Kommandobrücke.

»Bericht!«, verlangte er direkt beim Eintreten.

Captain Ishida erhob sich. »Sir, wir haben etwas entdeckt.« Sie deutete auf die Taktiksphäre.

Mit wenigen Schritten saß Jayden in seinem Sessel und betrachtete die Darstellung. »Ein Asteroid? Zusammensetzung liegt innerhalb der Norm.« Fragend blickte er zu Ishida.

Die Kommandantin forderte Winton auf, zu sprechen.

»Sir, ich habe im Zuge der neuen Sicherheitsprotokolle die Daten der Beobachtungsphalanx abgerufen. Wie Sie wissen, wurde das HIDEAWAY-System monatelang observiert, bevor die COMMAND-Station hier aufgebaut und die Interstellare Flotte stationiert wurde.«

Mit einem knappen Nicken zeigte Jayden, dass ihm diese Fakten durchaus bekannt waren.

»Ich habe den Sensorcomputer angewiesen, alle gefundenen Asteroiden zu analysieren, sowie Vektor und Geschwindigkeit zu extrapolieren. Dadurch kennen wir den Weg, den diese genommen haben.« Mit einer Fingerbewegung aktivierte Winton eine blaue Linie, die sich durch die 3D-Ansicht der stellaren Projektion zog. »Die Daten der Phalanx zeigen jedoch, dass der Asteroid nicht da war, wo er in den letzten Tagen und Wochen hätte sein sollen.«

Jayden atmete tief durch. »Es ist also einer Richtung und mit einer Geschwindigkeit hierhergekommen, die ein Asteroid nicht an den Tag legt.«

»Weil es kein Asteroid ist«, sagte Winton mit einem Nicken.

»Gemäß dieser Daten geht der Taktikcomputer davon aus, dass es sich um ein getarntes Raumschiff handelt«, meldete sich Commander Kensington.

»Verdammt!« Jayden wischte sich mit dem Handtuch den Schweiß von der Stirn.

Der Moment, den sie alle gefürchtet hatten. Die Existenz der Flotte war offenbart. Blieb nur die Frage, welche Macht das Schiff geschickt hatte und ob es seine Daten bereits nach Hause hatte transferieren können.

»Lieutenant Commander Larik«, wandte Jayden sich an den Marsianer, der bereits wieder seinen Platz eingenommen hatte, »übermitteln Sie COMMAND diese Sensordaten und sprechen Sie unsere Empfehlung aus, umgehend das Infiltrationsprotokoll zu aktivieren.« Er atmete tief ein und wieder aus. »Wir wurden entdeckt.«

3. Nicht totzukriegen

 

Mars, SOL-System, 01. September 2270, 16:02 Uhr

 

Die weiten Sanddünen schienen sich bis ins Unendliche zu erstrecken. Der Anblick erinnerte Kirby an das Mars-2-System, wo vom ursprünglichen Mars weitaus mehr erhalten geblieben war als hier. Durch Terraforming hatte der rote Planet nicht nur eine Atmosphäre erhalten, es gab auch weite grüne Flächen und kleine Meere.

Für die Archäologen und teilweise aufgrund des Mangels an finanziellen Mitteln, waren weite Teile jedoch in ihrer ursprünglichen, sandigen Form erhalten geblieben.

Um ein wenig Abstand zu gewinnen, hatte Kirby sich mit Lieutenant Commander Sienna McCain und Lieutenant Ian McAllister an diesen Ort zurückgezogen. Hier gab es keine Anhänger des Roten Vaters.

Der Schock saß ihr noch immer in den Knochen, obwohl gut vier Wochen seit der Enthüllung vergangen waren. Zu dritt hatten sie es geschafft, sich in das Militär des Imperiums einzuschleusen, waren bis auf die ABIGAIL vorgedrungen und schließlich bis nach Terra.

In einer geheimen Anlage unter dem Kensington Tower waren sie auf eine Datenbank zu den Ash’Gul’Kon gestoßen und hatten erfahren, dass Kevin Rosenbaum noch lebte. Er hatte den Körper von Abigail Rosen übernommen, sich allerdings tief in deren Bewusstsein zurückgezogen. Von innen heraus hatte er die Diktatur zerstören wollen, was offensichtlich jedoch nicht funktioniert hatte.

Die Republik wusste nichts darüber und bisher hatte Kirby die Informationen auch nicht übermitteln können. Genau so wenig wie das Ansinnen des Roten Vaters. Niemand anders als der ehemalige Admiral, Juri Michalew, verbarg sich hinter ihm. Nach seiner Flucht aus der Republik war er hierhergelangt, hatte ein altes Depot des marsianischen Widerstandes entdeckt und einen Kult aufgebaut. Tatsächlich war es ihm gelungen, den Mars der Kontrolle von Sjöberg zu entziehen.

Nun bot Michalew dem Widerstand seine Hilfe an. Natürlich zu einem Preis.

»Vollständige Immunität für alle begangenen Verbrechen und ein Teil des Mars.« Sie schüttelte den Kopf.

»Er war schon immer größenwahnsinnig.« Ian McAllister stand neben ihr.

Das Technikgenie war schlanker geworden in den vergangenen Wochen, nur die natürliche Schulterbreite war geblieben. Das rote Haar war kurzgeschnitten, die Sommersprossen verliehen ihm einen fröhlichen Touch. Doch in seinen grünen Augen lag eine Ernsthaftigkeit, die nur der Krieg mit sich bringen konnte. In einer ruhigen Minute hatte er Kirby offen gestanden, dass er seine beiden Partner, Ariane Arlington und Petro de Silva vermisste. Sie verrichteten ihren Dienst auf der JAYDEN CROSS II und rätselten darüber, ob er noch am Leben war.

»Aber dieses Mal könnte er damit durchkommen«, gab Kirby leise zurück. »Er hält alle Trümpfe in der Hand. Wenn die Flotte es bis Terra schafft, benötigt sie den Mars als ersten Posten. Sjöberg wird uns alles entgegenwerfen, was er hat und von den Planeten Sols ist der Mars die einzige terraformierte Welt.«

Sie hatte ihren Companion allerlei Szenarios durchspielen lassen, doch kein Ergebnis bot einen Ausweg. Die Allianz benötigte den Mars. Auch für Projekt BACKDOOR. Michalew würde seine Leute auf sie hetzen und zweifellos einen guten Grund dafür finden, falls sie ihm nicht gaben, was er verlangte.