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Table of Contents

»Das letzte Fragment«

Was bisher geschah

Wo der Anfang …

Prolog

1. Die Trümmer eines Lebens

2. Nur ein Ausweg

3. Sprung in die Vergangenheit

4. Terra

5. Hallo, Isa

6. Verhandlungen

7. Tausend Arme und mehr

8. Ikarus

9. Körper wechsel dich

10. Erwachen mit Schrecken

11. Erste Schritte

12. Der Assassine

13. Ein alter Plan

14. Lange nicht gesehen

15. Verfolgungsjagd

16. LEVIATHAN

17. Der Sturz

18. Gegen die Zeit

19. Lagebesprechung

… auf das Ende trifft.

20. Das letzte Ziel

21. Spiel, Satz, Sieg

22. Der Sonne entgegen

23. Die nächsten Schritte

24. Das letzte Gefecht

25. Atem aus Feuer

26. Gespräch mit einer Toten

27. Riskanter Einsatz

28. Die Rückkehr

29. Kampf um die Zukunft

30. Opfergang

31. Der letzte Flug der HYPERION

32. Abschiede

33. Fixpunkt

34. Leben und Sterben im Licht der Sterne

35. Es ist vorbei

36. Paris

Epilog

Seriennews

Die Crew der HYPERION

Impressum


Heliosphere 2265

Band 50

»Das letzte Fragment«


von Andreas Suchanek

 

 

Was bisher geschah

 

Der Kampf um Terra beginnt.

Die Interstellare Allianz konnte ihren Plan vollenden und befindet sich auf dem Weg zur Wiege der Menschheit. Auf SOL-1 enthüllt Kevin Rosenbaum seine Identität und zündet im Körper von Abigail Rosen die Nanokiller. Zwar kann die Crew der HYPERION den Merkur infiltrieren und anschließend SOL-1 zerstören, doch die tödlichen Naniten sind aktiviert. Um auch jene Menschen zu erwischen, die mit TEMPUS immunisiert wurden, lässt Rosenbaum die Verteidigungssatelliten auf die Oberfläche der Kolonien feuern. Admiralin North teilt die Flotte, um den Orbit der betroffenen Welten zu säubern. Trotzdem gehen die Opferzahlen in die Millionen. Auf SOL-1 trifft Jayden auf Lukas Akoskin, der aus jenem Zwischenraum zurückgekehrt ist, in den auch Präsidentin Kartess und Santana Pendergast übergegangen sind. Er ist hier, um zu helfen und warnt vor einer noch größeren Gefahr.

Unterdessen wird die NOVA-Station von LEVIATHAN angegriffen. Sjöbergs Kriegsprojekt ist ein gewaltiges Kampfschiff, in das die Technologie der Ash’Gul’Kon geflossen ist. Jede Gegenwehr scheitert. Das Alzir-System und Hope scheinen dem Untergang geweiht.

Admiral Juri Michalew, der sich über viele Monate als der »Rote Vater« ausgab, flieht von Bord der JAYDEN CROSS II, bevor diese dem HYPERION-Verband zugeteilt wird. Zusammen mit der APOLLO sollen die Schiffe ins Heimatsystem der Ash’Gul’Kon vordringen.

Diese haben aus temporalen Blasen Fragmente aus anderen Zeitlinien geborgen und damit ein weiteres TRION-Artefakt geschaffen. Mit diesem Zeittunnel wollen sie in die Vergangenheit reisen und Jayden Cross töten. Damit würden all seine Siege neutralisiert. In der Folge würde eine neue Zeitlinie entstehen, in der die Ash’Gul’Kon triumphieren. Der Plan von Stimme, Hand und Geist scheint aufzugehen.

Der HYPERION-Verband erreicht sein Ziel …

… und droht mit einem unbekannten Objekt zu kollidieren.

 

 

 

 

 

 

I

 

Wo der Anfang …

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nach ewigen, ehernen,

Großen Gesetzen

Müssen wir alle

Unseres Daseins

Kreise vollenden.

 

(Johann Wolfgang von Goethe)

 

 

 

Prolog

 

Sein bewusstes Denken kehrte schlagartig zurück.

Der Körper um ihn herum, erschaffen aus dunklem Metall und ungebändigter Zerstörungskraft, umhüllte ihn wie ein schützender Panzer. Er war nicht länger gebunden an die fragilen Gebilde, in denen seine winzigen Geschöpfe ihr Dasein fristeten – die Archen.

Sein Geist tastete hinaus in die Dunkelheit.

Ja, er konnte die Kriegshand spüren. Gebunden an einen menschlichen Körper wie es auch die Stimme war. Sie, der Hybrid der zwischen zwei Welten wanderte, hatte die Flammen über die Galaxis gebracht.

Bis hierher hatten sie das Ziel erreicht, doch es war nicht annähernd genug. Ein einziger Fehler hätte alles zunichte gemacht, wenn die Schöpfer nicht auch für diesen Fall einen Ausweg vorgesehen hätten.

Sein neuer Körper war bereit.

Würfelförmige Schächte, die einen Würfel durchzogen. Metall, dazu gedacht, temporale Energie zu kanalisieren und Risse im Gewebe von Raum und Zeit zu erzeugen.

Die Menschen nannten es: Menger-Schwamm der vierten Iterationsstufe.

Oh ja, er kannte den Inhalt ihrer Datenbanken. Mit einem winzigen dunklen Fragment hatte alles begonnen. Er würde dafür sorgen, dass es mit einem letzten Fragment endete. Mit dem Tod von Jayden Cross. Seine Siege würden ausradiert, umgeformt zu Niederlagen für die Menschheit.

Was normalerweise eine Unmöglichkeit war, wurde durch den Fehler einer Frau erst möglich. Yuna Ishida hatte zwei Fixpunkte erschaffen, weshalb einer ausgelöscht werden konnte. Genau das würde er tun.

Das Ende zog herauf.

Sein Körper nahm die Arbeit auf. Energiekerne gingen an den Start, die vorbereitete Schaltung wurde aktiviert.

Dies war der Tag, an dem Captain Jayden Cross starb, sterben würde und gestorben war.

1. Die Trümmer eines Lebens

 

HYPERION-Verband, IL-HYPERION, 10. Oktober 2270, 16:08 Uhr

 

»Ausweichmanöver!«

Jayden starrte auf die Holosphäre, in der die Trümmerstücke aufgetaucht waren. Mehrere hundert Kilometer lagen zwischen diesen und dem Verband, was einer Flugdauer von wenigen Sekunden entsprach.

Einzig den Reflexen von Peter Task war es zu verdanken, dass die HYPERION den Vektor ausreichend änderte. Das größte Trümmerteil glitt an ihnen vorbei.

»Trümmerfeld geortet«, erklärte Commander Jane Winton von der Sensorkonsole. »Auswertung geht an die Navigation. Es handelt sich um Wrackteile mit Stealth-Legierung.«

»Die Beobachter.« Captain Ishida nahm Eingaben auf ihrer Kommandokonsole vor. »Signatur wird berechnet.«

Während die Sensoren die Trümmerteile ringsum soweit möglich erfassten, steuerte Peter Task das Schiff virtuos zwischen den treibenden Wrackteilen hindurch. Wo er Hilfe benötigte, aktivierte Commander Tess Kensington die Laser und zerstörte das Material.

Lukas Akoskin trug wie alle einen Skinsuit, doch Jayden konnte sehen, dass es in dem Assassinen arbeitete. Er wollte helfen und war dank seiner Inserts sogar problemlos dazu in der Lage.

»Commander Akoskin«, sprach Jayden den ehemaligen Taktik- und Waffenoffizier an, der von den Toten zurückgekehrt war. »Unterstützen Sie Commander Kensington bitte an der Sekundärstation.«

»Aye, Sir.« Zufrieden eilte der breitschultrige Hüne zur Konsole.

»Falls sich jemand für die anderen Schiffe interessiert, denen geht es gut«, meldete sich Sarah McCall zu Wort. Sie saß an einer der Wissenschaftsstationen im rückwärtigen Teil der Kommandobrücke. »Die APOLLO ist zwar nicht wendig, hat aber eine dicke Haut. Was die JAYDEN CROSS II angeht, der dortige Navigator ist auf Zack.«

Die HYPERION ließ die letzten Ausläufer des Trümmerfelds hinter sich. »Ist unser Stealth aktiv?«

»Positiv«, meldete Ishida sofort. »Inwieweit er uns nutzt, ist die andere Frage. Scheinbar hat er den armen Seelen an Bord der Beobachterschiffe nicht geholfen.«

»Haben diese nicht weiter Anfragen der Admiralität beantwortet und behauptet, alles hier entspräche den Erwartungen?«, wollte Michael Larik wissen.

Der Marsianer wirkte energiegeladen und strotzte vor Kraft. Dass sein bester Freund wieder unter den Lebenden weilte, hatte die Düsternis in seinem Blick zurückgedrängt.

»Ich nehme an, dass eine entsprechende Simulation inklusive Hologramm kein Problem darstellt«, überlegte Jayden.

»Mit ausreichend Input bekomme ich das auch hin«, drang CARAS hilfsbereite Stimme aus dem Interkom. »Ich habe in verschiedenen Situationen auf das Hologramm von Jayden zurückgegriffen. Aus Autoritätsgründen.«

»Du hast was?!«, fragte er entsetzt.

»Ich habe ein sehr schönes Hologramm von dir entwickelt«, erklärte CARA stolz. »Möchtest du es sehen?«

»Nein«, erwiderte Jayden nachdrücklich. »Und ich möchte, dass du es auch nicht mehr einsetzt. Weitere Diskussionen verschieben wir auf später. Commander Winton, ich brauche einen Bericht.«

Die Mundwinkel der Sensoroffizierin zuckten, doch es gelang ihr, das Lachen zu unterdrücken. »Aye, Sir. Die Kiesel sind ausgeschleust, aber auf breiten gestreuten Vektoren, minimiert in der Anzahl. Auf diese Art wird das Entdeckungsrisiko auf ein Mindestmaß reduziert. Allerdings denke ich, dass die Ash’Gul’Kon uns derzeit selbst dann nicht entdecken würden, wenn wir in unmittelbarer Nähe an ihnen vorbeifliegen.« Sie berührte ein Icon, worauf die zentrale Holosphäre aktualisiert wurde. »Ich kann bestätigen, dass ein Menger-Schwamm geschaffen wurde. Soweit ich das beurteilen kann, wächst der Energiepegel im Inneren aktuell massiv an.«

»Er wurde noch nicht aktiviert«, stellte Lukas Akoskin fest. »Andernfalls gäbe es uns alle bereits nicht mehr. Der Tunnel würde in die Vergangenheit führen, wo die Ash’Gul’Kon Jayden Cross töten. Damit würde eine neue Zeitlinie entstehen. Sobald das Artefakt dann deaktiviert wird, überschreibt die alte die neue Zeitlinie. Alles hier würde aufhören zu existieren.«

»Aber solange das Artefakt noch aktiv ist, wären wir hier im Inneren einer geschützten Blase. Selbst wenn unsere Zeitlinie stirbt, bliebe uns genug Zeit, es zu bemerken. Danach würden wir sterben«, merkte McCall an.

»Wie beruhigend. Dann sollten wir doch optimalerweise dafür sorgen, dass ich nicht sterbe«, schlug Jayden vor. »Oder genauer: Dass ich nicht bereits vor vielen Jahren gestorben bin.«

»Was die Frage aufwirft, wie wir den Menger-Schwamm zerstören«, überlegte Ishida laut. »Ideen?«

»Ich habe die Pläne studiert, die wir auf Grundlage aller Sensoraufzeichnungen vom alten Artefakt gemacht haben«, erklärte Commander Giulia Lorencia. Sie hatte den Maschinenraum verlassen, um beim Einflug in das System der Ash’Gul’Kon auf der Kommandobrücke zu sein. »So einfach wird das nicht möglich sein. Schon gar nicht, bevor die Energie vollständig zur Verfügung steht.«

»Im Augenblick der vollständigen Aktivierung werden die Spikos umgehend ein Shuttle durch den Vortex schicken«, merkte McCall an. Ihre Augen wirkten müde. »Dann ist es vorbei.«

In diesen Augenblicken konnte Jayden ganz deutlich Annika Magnus erkennen. Die Frau, die vor vielen Jahrhunderten ein ganz normales Leben als Wissenschaftlerin geführt hatte. Ihre Entdeckung war es gewesen, die alles veränderte. Seitdem war sie eine Getriebene. Jägerin und Beute. Freundin und Feindin.

»Können wir das Shuttle aufhalten?«, fragte Jayden. »Mister Task, synchronisieren Sie unseren Kurs mit der APOLLO und der JAYDEN CROSS II. Ich will so nahe wie möglich an den Vortex heran, damit wir ein Shuttle gegebenenfalls abschießen können.«

»Aye, Sir. Kurs liegt an. Wir sind auf dem Weg.«

»Selbst wenn wir nur wenige hundert Meter von einem feindlichen Shuttle entfernt Position halten, werden wir nicht feuern können«, merkte Tess Kensington an. »Die Fraktalstrahlung würde das unmöglich machen. Der Torpedo würde partiell aus dem Raum-Zeit-Kontinuum verschwinden, im Torpedowerfer detonieren oder auf uns selbst zufliegen. Das ist keine Option.«

»Damit hätten wir abgehandelt, was wir alles nicht können. Rammen ist vermutlich auch keine Option?«, hakte Jayden nach.

»Nein!«, blaffte Lorencia. »Was haben Sie nur immer wieder damit, das Schiff zu beschädigen? Wir werden das Shuttle auf keinen Fall rammen, das wäre zu gefährlich. Falls wichtige Systeme der HYPERION beschädigt werden, würde das nur dafür sorgen, dass ein zweites Shuttle problemlos in den Vortex fliegen könnte. Wir benötigen eine dauerhafte Lösung.«

Vermutlich bemerkte Giulia gar nicht, dass sie eine der Konsolen streichelte.

Glücklicherweise konnte Jayden sein Schmunzeln als Räuspern maskieren. Andernfalls hätte die L.I. ihn wohl angebrüllt. Vor Autoritätspersonen hatte sie noch nie Diplomatie bewiesen, was er gleichzeitig sehr an ihr schätzte. Was auch geschah, Lorencia würde niemals Lügen, um einen Konflikt zu vermeiden. Zudem war sie im Maschinenraum ein Genie.

»Möglicherweise kann ich etwas beitragen«, erklärte Alpha 365, der sich bisher ruhig verhalten hatte.

Alle Blicke richteten sich auf den Sicherheitschef.

»Nur zu«, bat Ishida.

»Ich habe keine Lösung«, erklärte der Sicherheitschef wie immer völlig emotionslos. »Aber er.« Damit deutete er auf Lukas Akoskin. »Commander Akoskin verschweigt uns etwas.«

Köpfe ruckten herum.

Augen fixierten den ehemaligen Assassinen.

»Das ist richtig«, gab dieser zu. »Ich wollte mich jedoch erst von den aktuellen Parametern am Zielort überzeugen. Ich möchte Sie, Commodore Cross, Captain Ishida und Captain Belflair um ein privates Gespräch bitten. Unter acht Augen.«

»Der Sicherheitschef des Schiffes -«, setzte Alpha 365 an.

»Als eine der Zeitreisenden -«, haspelte Sarah McCall.

»Bevor Sie wieder auf zerstörerische Ideen kommen -«, warf Giulia Lorencia ein.

»Ruhe!«, verschaffte Jayden sich gehör. »Bitte gewährt, Commander Akoskin. Captain Ishida, Holokonferenzraum. Commander Kensington, Sie haben die Kommandobrücke.«

Mit wenigen Schritte erreichte er das Schott, das mit einem pneumatischen Zischen zur Seite fuhr.

Was hatte Lukas Akoskin ihnen verschwiegen?

2. Nur ein Ausweg

 

Die Photonengeneratoren unter den lichtdurchlässigen dunklen Bodenfliesen nahmen ihre Arbeit auf. In einem Regen aus Holopartikeln entstand Kirbys Abbild.

Sie schenkte ihm ein freudiges Lächeln.

Jayden hätte sie gerne in den Arm genommen, wenn auch nur für wenige Sekunden. Ihnen schien nie genug Zeit vergönnt, bevor die nächste Katastrophe zuschlug.

Er erklärte kurz, weshalb sie hier zusammengekommen waren.

»Dann bin ich gespannt.« Kirby verschränkte die Arme. »Raus damit, was haben Sie für sich behalten? Was waren das noch für Zeiten, als einfach jeder seinem vorgesetzten Offizier die Wahrheit sagte?«

Jayden schenkte ihr einen spöttischen Blick. »Na klar.«

»Ich weiß, ich war die Schlimmste. Mit mir hat die Geheimniskrämerei angefangen.« Sie zwinkerte ihm ironisch zu.

»Es geht um den TRION-Tunnel«, erklärte Akoskin. »Wir können ihn nicht auf die Schnelle zerstören, nicht ohne mehr Feuerkraft und Material. Ein ausgesandtes Shuttle ist nicht aufzuhalten. Es gibt jedoch einen Ort, an dem beides möglich ist.«

»Aha«, kommentierte Jayden.

»Sie sind verrückt«, erklärte Kirby mit Nachdruck, die scheinbar schneller verstanden hatte, als er.

»Eine Reise durch den Tunnel«, sprach Akoskin unbeirrt weiter. »Aber nicht das Schiff. Nur Sie beide.« Er deutete auf Jayden und anschließend Kirby. »Es gibt eine Möglichkeit. Wie Sie wissen, existiert eine Blase, ein geschützter Raum, in dem alle Personen noch leben, die eigentlich nicht hätten sterben sollen. Auf diese Art konnte ich zurückkehren. Dort wird man uns helfen. Die notwendigen technischen Parameter für eine Manipulation am Translokator besitze ich bereits. Ihre Körper werden innerhalb des Artefaktes verbleiben, während ihre Bewusstseinsinhalte in ihre jüngeren Körper transferiert werden.«

Jayden starrte Akoskin an, als sei dieser wahnsinnig geworden. »Sie wollen, dass wir in unsere jüngeren Ichs springen? In die Vergangenheit?«

»Temporär. Für Ihre jüngeren Ichs wird es am Ende so sein, als hätten Sie einen Blackout gehabt, wofür natürlich eine entsprechende Erklärung erfolgen muss. Auf diese Art können Sie Ihr eigenes Leben schützen. Die Ash’Gul’Kon werden zuerst ein Shuttle aussenden, das getarnt auf der Erde landet und Captain Cross tötet. Ich habe das bereits als Schatten der Zukunft gesehen. Ebenso die Folgen.«

»Was ist, wenn wir etwas verändern und selbst eine neue Zeitlinie schaffen?«, fragte Kirby. »Ich halte Sie übrigens immer noch für verrückt.«

Akoskin lächelte dezent. »Kieselsteine. Sie beide werden lediglich die Ash’Gul’Kon davon abhalten, zu töten. Darüber hinaus wird sich Ihre Interaktion auf ein Minimum beschränken. Wir wissen, dass dies keine neue Zeitlinie auslöst. Falls Sie intensiver mit jemandem interagieren, werden Sie dessen Gedächtnis löschen, wofür ich Ihnen die Konstruktionspläne für Neuralsuppressoren mitgebe.« Er tippte sich an die Schläfe.

Ishida deutete ein Nicken an. »Klingt nach einem grundsätzlich machbaren Plan. Was ist, wenn die Ash’Gul’Kon es merken?«

»Deshalb benötigen wir eine Gravitationsbombe«, erklärte Akoskin. »Sie beide werden sie in der Vergangenheit bauen und in das andere Ende des Tunnels werfen – der Teil, der nicht bewacht wird.«

»Das ist«, Jayden wechselte einen Blick mit Kirby, »tatsächlich ein Plan, der funktionieren könnte. Vielleicht. Unter Umständen.«

»Vorausgesetzt, Sie machen nicht versehentlich ein Wahrzeichen kaputt oder etwas ähnliches«, merkte Ishida an. »Von diversen Unwägbarkeiten gar nicht zu reden.«

»Es ist unsere einzige Chance«, bekräftigte Akoskin. »Ich habe gesehen, was die Spikos angerichtet haben. An dem Ort, an dem ich war, ist Zeit etwas Flächiges. Ich kann es nicht erklären, vermochte aber beide Wege zu betrachten. Jener, den wir aktuell beschreiten und jener, den die Spikos erzeugen möchten.«

Es fiel Jayden schwer, die Konsequenzen aus dem Plan des ehemaligen Assassinen zu verarbeiten. Sie sollten in den Tachyonenstrom transloziert werden, in der Vergangenheit ihre eigenen Körper lenken und die Spinnenskorpione davon abhalten, Chaos auf einer ungeschützten Erde anzurichten. Ging auch nur eine Sache schief, würde die gesamte Zeitlinie nicht mehr existieren. Einfach so. Genau wie das Leben von Annika Magnus und die düstere Zukunft unter der rigiden Herrschaft von Richard Meridian würde auch alles ausgelöscht werden, was sie hier geschaffen hatten.

Endliche Unendlichkeit.

Die Zeit war eine schreckliche Waffe. Mehr als einmal hatten sie das bereits festgestellt.

»Die Frage ist, ob wir eine Wahl haben«, sprach Kirby leise in seine Richtung. »Wenn wir sie nicht aufhalten, ist alles umsonst gewesen. Der Kampf um Terra, der Aufbau der Rebellion, der Republik, der Allianz – nichts wird mehr da sein.«

»Was können wir mitnehmen?«, wandte sich Jayden an Akoskin.

»Nichts«, erwiderte dieser. »Ich kann Ihnen rudimentäres technisches Wissen in jenen Teil Ihres Gehirns ablegen, den man ›Tote Zone‹ nennt. Die Informationen werden mit transferiert und können in der Vergangenheit abgerufen werden. Darüber hinaus werden Sie einfach in jüngeren Körpern stecken. Kein BioTat, keine Inserts.«

»Und wenn wir dort sterben?«, fragte Kirby. »Einer von uns?«

»Das würde die Zeitlinie bereits irreparabel beschädigen«, erklärte Akoskin. »Um Ihre beiden Körper innerhalb des Tachyonenstroms müssten Sie sich keine Sorgen mehr machen, es wäre dann vorbei.«

»Sie sind schon ein kleiner Optimist«, stellte Kirby fest.

»Realist«, konterte Akoskin. »Ich bin gestorben und ins Leben zurückgekehrt. Insofern hätte ich wohl allen Grund Optimist zu sein. Andererseits ist der Grund für meine Rückkehr das Armageddon. Eine von den Ash’Gul’Kon ausgelöste Apokalypse.«

»Ist ja gut, der Punkt geht an Sie.« Kirby streckte die Waffen. »Es ist ehrlich gesagt ein gruseliger Gedanke.«

»Bitte bedenken Sie auch Folgendes«, ergänzte Akoskin, »Sie dürfen keine Ereignisse Ihres Lebens verändern. Egal wie negativ diese waren.«

Innerlich zuckte Jayden zusammen. Er wusste von dem Unfall, der Kirby ihre gesamte Familie gekostet hatte. Bei einer Reise in die Vergangenheit, falls es weit genug zurückging, würde diese noch Leben.

»Eine solche Änderung würde Ihren Werdegang, Ihren Charakter, einfach alles verändern. Noch schlimmer: In Ihrem Fall würde das dafür sorgen, dass Sie nicht zum Fixpunkt werden, Captain Belflair. Wir wissen, dass aller Wahrscheinlichkeit nach Captain Ishida Ihren Platz eingenommen hätte. Damit wäre alles anders geworden. Ich will gar nicht erst anfangen, die Konsequenzen aufzuzählen.«

»Verstanden«, sagte Kirby nur. Von ihrer Fröhlichkeit war nichts mehr geblieben.

»Wie alt werden wir sein?«, fragte Jayden. »Falls die Ash’Gul’Kon uns als Babys töten, werden wir im eigenen Körper nicht viel ausrichten können.«

»Anfang zwanzig«, erklärte Akoskin.

»Also schön. Was müssen wir tun?«, fragte Jayden.

»Für den nächsten Schritt benötigen wir Hilfe«, gab Akoskin zurück.

Damit war es beschlossen.

Sie würden es wagen.

Und zurückgehen an den Anfang.

3. Sprung in die Vergangenheit

 

Doktor Irina Petrova stand seitlich neben der Translokatorplattform und wirkte ungehalten. »Als wir vor einigen Jahren in den Zeitstrom vordrangen, taten wir das mit einem Raumschiff. Was ich davon halte, zwei Menschen direkt dort hinein zu translozieren, sage ich besser nicht.«

»Aber das taten Sie hiermit doch, Doktor«, sprang Alpha 365 hilfreich ein. »Auf eine sehr unterschwellig-aggressive Art, möchte ich betonen.«

»Schön, dass Sie darauf hinweisen.«

»Gerne.«

Die HYPERION befand sich in einem ausreichenden Sicherheitsabstand zum Vortex, dessen Strahlungspegel sich zunehmend glätteten. Die KI schien mittlerweile die Kontrolle über die Generierung des Tachyonentunnels zu erhalten.

»Ich habe die Zielkoordinaten eingegeben«, erklärte L.I. Lorencia von der Steuerkonsole. »Allerdings stimme ich Doktor Petrova zu, eine Translokation ist normalerweise völlig unmöglich. Die vorhandene Strahlung zerstört jeden Zielfokus. Ich kann also nicht sagen, ob das Ausstiegswurmloch Sie beide am korrekten Punkt absetzt.«

»Das wird es«, warf Lukas Akoskin ein.

Jayden ließ seine Offiziere diskutieren. Die Entscheidung war bereits getroffen, doch es half, den inneren Druck abzubauen. Bedauerlicherweise steigerte es auch seine Skepsis, da abgesehen von Akoskin jeder gegen die Mission argumentierte.

»Ich bin mit der Kommandobrücke gekoppelt«, ergänzte Lorencia. »Sobald die Sensoren eine vollständige Glättung der Energiekurve bemerken, können wir den Transfer einleiten. Auf diese Art sind Sie beide in den nächsten Sekunden am Ziel.«

»Vergessen Sie dabei aber nicht, dass das Shuttle der Spinnenskorpione direkt hinter Ihnen sein wird. Es dürfte wenige Minuten nach Ihnen den Vortex verlassen«, erklärte Akoskin. »Wo auch immer dieser in der Vergangenheit ist, die Spinnenskorpione werden umgehend die Erde ansteuern. Vor der damaligen Technologie können sie sich problemlos verbergen.«

»Was passiert, wenn sie doch entdeckt werden?«, fragte Jayden.

»In diesem Fall hätte die Space Navy bereits früh von den Ash’Gul’Kon erfahren und damit auch wir. Es würde umgehend eine neue Zeitlinie entstehen«, erklärte Akoskin. »Was auch immer geschieht, es dürfen keine größeren Einflüsse auf wichtige Punkte stattfinden. Falls das doch geschieht, werden Sie beide die Ersten sein, die es bemerken.«

»Da wäre noch etwas«, warf Kirby ein. »Wird für Sie hier an Bord viel Zeit vergehen?«

»Die temporale Synchronisation pendelt sich erst ein, aber wie auch bei unserem Flug in die Zukunft, besteht eine Verbindung. Wenn Sie beide zwei Wochen in der Vergangenheit sind, vergehen auch hier zwei Wochen. Wie gesagt, nach der Synchronisierung. In der Anfangsphase variiert es stark, daher kann ich es nicht exakt voraussagen. Es wird Differenzen geben.«

»Habe ich schon einmal erwähnt, dass mich dieser Zeit-Mist nervt?«, meldete sich Jayden zu Wort. »Ich hätte jetzt wirklich gerne die Flotte hier, um den ganzen verdammten Menger-Schwamm in Stücke zu schießen.«

»Ich bin ausnahmsweise auch ganz für die Zerstörung«, merkte Lorencia an. »Es würde die Sache sehr vereinfachen. Aber wie das so ist, gehen die Dinge in Ihrer Gegenwart nur dann kaputt, wenn sie ganz bleiben sollen, Sir.«

Das unverschämte Grinsen, das auf diese Worte aus Richtung von Kirby erfolgte, ignorierte Jayden vollständig. Da er über die BioTat-Verschmelzung erfahren hatte, dass auch sie öfter Dinge in einem Aufwasch zerstörte, konnte er bei nächster Gelegenheit …

»Die Strahlung sackt ab!«, rief Lorencia. »Auf die Plattform! Bereithalten für Translokation!«

Gemeinsam mit Kirby trat Jayden durch das geöffnete Schott der transparenten Zwischenwand auf die Plattform. Dank seines Companion, der im BioTat integriert war, pegelte er seine Aufregung nach unten. Das schärfte seine Konzentration. Einmal mehr war er dankbar für die Erweiterungen, die er in sich trug.

Natürlich würden diese gleich fort sein.

Die spannende Frage blieb, wann genau sie landen würden. In welches Jahr exakt ging die Reise? Er konnte sich natürlich nicht mehr an Details aus der damaligen Zeit erinnern, nicht auf den Tag oder Monat genau. Erinnerungen wurden zu einer Fläche.

»Bereit«, meldete Kirby.

»Bereit«, fügte auch Jayden hinzu.

»Ich hoffe sehr, Sie haben sich nicht geirrt«, wandte sich Lorencia an Akoskin. »Diese Koordinaten ergeben für mich so gar keinen Sinn.«

»Ich meinerseits hoffe, dass Sie kein verkleideter Ash’Gul’Kon sind, der es geschafft hat, uns alle an der Nase herumzuführen«, merkte Alpha 365 an.

Alle starrten Akoskin an.

»Ich versichere Ihnen, ich bin ein Mensch aus Fleisch und Blut. Und weiteren Komponenten.«

»Außerdem habe ich ihn bis auf Atto-Ebene untersucht«, erklärte Doktor Petrova. »Wir haben unseren guten alten Lukas Akoskin wieder.«

»Nehmen wir Admiral Pelsano -«, begann Alpha 365.

»Oder Tess Kensington«, warf Lorencia ein. »Sie war quasi durch eine neuronale Schaltung -«

»Schluss jetzt«, schritt Jayden ein. »Diskutieren Sie das doch einfach später. In wenigen Sekunden werden wir beide nämlich durch ein Wurmloch geschickt und ich würde gerne wenigstens die kleine Hoffnung erhalten, dass das Ganze eine minimale Aussicht auf Erfolg hat.«

Betretenes Schweigen machte die Runde.

Immerhin Schweigen.

»Noch wenige Sekunden«, meldete Lorencia. »Ich habe den Fokus entsprechend ausgerichtet und die Störstrahlung so gut wie möglich ausgeglichen.«

»Alle verbliebenen Varianzen sind mit einkalkuliert«, erklärte Akoskin.