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Das Buch

Sie sind in der Erde, in der Luft, in unserem Körper. Pilze sind überall, aber man übersieht sie leicht. Sie halten uns am Leben, bauen Schadstoffe in der Atmosphäre ab und verändern das Verhalten von Tieren. Sie beeinflussen, wie wir Menschen fühlen und denken, und sind für alle Lebensformen unverzichtbar. Sie existieren an der Grenze zwischen Leben und Tod. Der größte bekannte Pilz umfasst etwa die Größe von Zypern, wiegt 35.000 Tonnen und ist 2.000 Jahre alt. Pilze verfügen über eine eigene Intelligenz ohne zentrales Gehirn und können ihre Umwelt manipulieren.

Mit wahrem Forschergeist dringt der renommierte Wissenschaftler Merlin Sheldrake ein in das verborgene Netzwerk der Pilze.

Der Autor

Der preisgekrönte Wissenschaftler MERLIN SHELDRAKE, Jahrgang 1987, ist studierter Biologe, lehrte aber auch Geschichte und Wissenschaftsphilosophie in Cambridge.

Er schrieb seine Dissertation über das Netzwerk der Pilze in Panama und präsentierte seine Ergebnisse u.a. in Cambridge, Marburg und der FU Berlin. Merlin Sheldrake forscht mit Leidenschaft und schreckt vor Selbstversuchen mit Pilzen nicht zurück.

MERLIN SHELDRAKE

VERWOBENES
LEBEN

WIE PILZE UNSERE WELT FORMEN
UND UNSERE ZUKUNFT BEEINFLUSSEN

AUS DEM ENGLISCHEN VON
SEBASTIAN VOGEL

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Verlagsqualität Ullsteinbuchverlage

ULLSTEIN

Die Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel

Entangled Life bei Bodley Head, Penguin, London.



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ISBN: 978-3-8437-2426-6


© 2020 Merlin Sheldrake

© der deutschen Ausgabe

Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2020

Covermotiv: © Penguin Random House UK

Umschlaggestaltung: zero-media.net, München, nach einer Vorlage von Penguin Random House UK

Satz: Red Cape Production, Berlin

E-Book: LVD GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten.

Gewidmet voller Dankbarkeit
den Pilzen, von denen
ich so vieles gelernt habe.

PROLOG

ICH BLICKTE DEN BAUM HINAUF. Aus seinem Stamm sprossen Farne und Orchideen, die sich in der Krone zwischen den verworrenen Lianen verloren. Hoch über mir erhob sich ein Tukan flatternd und krächzend von seinem Ausguck, und ein Trupp Brüllaffen steigerte sich in ein tiefes Heulen. Es hatte gerade aufgehört zu regnen; die Blätter über mir ließen schwere Tropfen in plötzlichen Schauern auf mich herabregnen. Tief über dem Boden hing der Nebel.

Die Wurzeln des Baumes schlängelten sich vom Stamm aus in alle Richtungen und verschwanden schon bald in der dicken Schicht aus herabgefallenen Blättern, die den Urwaldboden bedeckte. Mit einem Stock klopfte ich auf den Boden, um Schlangen aufzuschrecken. Eine Tarantel lief davon. Ich kniete mich hin und tastete mich vom Stamm an einer Wurzel entlang bis zu einer schwammartigen Masse. Hier mündeten die feineren Wurzeln in ein dichtes, rot-braunes Geflecht. Ein üppiger Duft wallte auf. Termiten kletterten durch das Labyrinth, ein Tausendfüßer rollte sich zusammen und stellte sich tot. Meine Wurzel verschwand im Boden. Mit einer Schaufel räumte ich den Bereich rund um die Stelle frei. Schließlich lockerte ich mit bloßen Händen und einem Löffel die oberste Erdschicht und grub, so vorsichtig ich konnte; langsam legte ich es frei: Ausgehend vom Baum lag es gewunden unmittelbar unter der Bodenoberfläche.

Nach einer Stunde war ich ungefähr einen Meter vorangekommen. Meine Wurzel war jetzt dünner als ein Seil und hatte sich stark verzweigt. Sie weiterzuverfolgen war schwierig, denn sie war mit ihren Nachbarn verknotet. Also legte ich mich auf den Bauch und senkte das Gesicht in den schmalen Graben, den ich ausgehoben hatte. Manche Wurzeln riechen scharf und nussig, andere bitter und nach Holz, aber wenn ich mit dem Fingernagel in die Wurzeln meines Baumes ritzte, strömten sie einen würzig-harzigen Duft aus. Mehrere Stunden kroch ich über den Boden, kratzte und schnupperte alle paar Zentimeter und vergewisserte mich, dass ich den Faden nicht verloren hatte.

Im Lauf des Tages fand ich weitere Fasern, die aus der ausgegrabenen Wurzel entsprangen. Einige von ihnen verfolgte ich bis zu ihren Spitzen, mit denen sie sich zwischen Fetzen aus verrottenden Blättern oder Zweigen vergraben hatten. Ich tauchte die Enden in ein Gefäß mit Wasser, um den Schmutz abzuwaschen, und betrachtete sie unter einer Lupe. Die Würzelchen zweigten von ihnen ab wie von einem kleinen Baum, und ihre Oberfläche war von einer Art Film bedeckt, der frisch und klebrig wirkte. Diese empfindlichen Strukturen wollte ich genauer untersuchen. Von den Wurzeln verzweigte sich ein Pilz-Netzwerk im Boden und um die Wurzeln benachbarter Bäume. Ohne dieses Netz aus Pilzen könnte mein Baum nicht existieren. Und ohne ähnliche Netze aus Pilzen könnte keine Pflanze irgendwo existieren. Alles Leben an Land, auch mein eigenes, ist auf solche Netzwerke angewiesen. Ich zog ein wenig an meiner Wurzel und spürte, wie der Boden sich bewegte.



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