Klara G. Mini


Künstlerdämmerung





Kassel-Krimi







Prolibris Verlag





Für meine Lieben und Liebsten,
auf dass wir heiter und mit wilder Kraft
unser Leben meistern.

Besonders für meinen Bruder.
Du weißt, warum.




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auch die des auszugsweisen Nachdrucks
und der fotomechanischen Wiedergabe
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ISBN E-Book: 978-3-95475-159-4
Dieses Buch ist auch als Printausgabe im Buchhandel erhältlich.
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In Kassel hat Kunst Tradition. Und so könnte es eine Foruminarte geben, die Besucher aus aller Welt in die Fuldametropole locken würde. Die Abkürzung steht übrigens für »Forum animalium mundi in arte«. Laut Ausstellungskonzept will die Foruminarte der Natur, insbesondere den Tieren dieser Welt, einen Platz in der Kunst geben und ein Sprachrohr für sie sein.
Kunstfreunde mögen mir eine laienhafte Schnodderigkeit nachsehen, wenn ich über den Kunstbetrieb schreibe. Die erwähnten Kunstwerke sind ebenso wie die Künstler und andere Personen dieser Geschichte erfunden, Ähnlichkeiten mit noch oder ehemals lebenden wären völlig zufällig und keineswegs beabsichtigt.

Klara G. Mini
»Als ich Kind war, hatte ich zwei verschiedene Teller. Sie glauben ja gar nicht, wie schnell ich die Suppe ausgelöffelt habe, um herauszufinden, welches Bild jeweils zum Vorschein kam. Mit derselben Vorfreude gehe ich heute in Ausstellungen – besonders, wenn etwas von mir dabei ist.« – Daniel M. Ritzelbeck
15. August

Xenia:

»Kein Blitz! No flash, please.« Ich fasste den japanischen Touristen am Arm und versuchte, meiner Bemerkung durch ein versöhnliches Lächeln die Schärfe zu nehmen.
Weiß nicht, welcher Teufel mich geritten hatte, mich als Aufsicht zu bewerben. »Die Abteilung Aufsichtsdienst der Foruminarte stellt für die Bewachung der Kunst weiterhin ein. Die Arbeitsstunde wird mit 8,50 Euro entlohnt. Gearbeitet wird in zwei Schichten von jeweils fünf Stunden. Absolut erforderlich ist die Bereitschaft, auch an Wochenenden zu arbeiten. Interessenten, die über Englischkenntnisse verfügen, richten ihre Bewerbung an: Foruminarte, Aufsichtsdienst, Friedrichsplatz 18b.« Falls Sie diese Adresse jemals suchen, das ist neben dem Sexshop. Hätte man mir das so erklärt, hätte ich gleich gewusst, wohin ich musste. So war ich etwas zu spät. Trotzdem wurde ich prompt genommen. Nur leicht eingestaubtes Schulenglisch, ein freundliches, zuvorkommendes Wesen. Meistens jedenfalls.
Milan, mein Freund, arbeitet wie ein Wilder, auch an den Wochenenden. Der hat nämlich ein gut gehendes Restaurant am Königsplatz in Kassel Stadtmitte. Statt dauernd im »La Paloma« zu kellnern, bewachte ich nun Kunstwerke. Und recherchierte dabei. Ich war entschlossen, einen Krimi zu schreiben. Auf so einer Kunstausstellung bekommt man eine Menge interessanter Leute zu sehen und viele Buchideen frei Haus geliefert.
»No flash, please.«
»Why?«
Warum wusste ich eigentlich auch nicht. Hier gab es ja nur wenige alte Meister, deren Farben unter Lichteinfluss leiden konnten. »It’s not allowed.«
Farid trabte herüber. Er ist 1,85 Meter groß, und das Leibchen mit der Aufschrift »Guard« spannte sich über seinen imposanten Brustmuskeln. »Everything’s okay?«
»Oh, yes.« Der Japaner packte schnell den Fotoapparat ein und ging weiter.
»Thank you, ich meine, danke.« Ich schenkte Farid ein strahlendes Lächeln. Er ist ein Schatz. Intelligent (er hat gerade sein Abi mit 1,0 gemacht), aufmerksam und zudem noch eine echte Augenweide mit schwarzen Haaren, braunen Samtaugen und durchtrainiertem Body. Etliche Besucherinnen streckten den Busen heraus und zogen den Bauch ein, wenn sie an ihm vorbeigingen. Ich dachte, dass das nicht viel nutzte. Ich beobachtete nämlich immer wieder, wie er Männerpärchen beim Herumschlendern vor den Exponaten mit Blicken verfolgte. Irgendetwas zwischen Freude, Angst und Sehnsucht.
Wir waren im ersten Raum links im Museum Fridericianum. Farid sollte »Hölle, Arsch und Hirn« bewachen, ein ziemlich wüstes Machwerk in Öl von einem Mann namens Nandor Schneider. Im Vorfeld hatte dieses Kunstwerk für großen Wirbel gesorgt. Besonders bei Fundamentalisten, die die Darstellung nackter Körper in nicht ästhetisierter Weise inmitten furchteinflößender Fabelwesen auf das Schärfste ablehnten. Gucken wollten trotzdem alle. Viele Leute standen mit blitzenden Augen davor und guckten still oder regten sich auf über den »Schweinkram«. Ich würde mir das nicht ins Wohnzimmer hängen. Aber malen konnte der Kerl.
Eines meiner Lieblingsbilder hing auf der Rückseite dieser Wand. Von Che Rubino. »L’amore che cos’è?«, eine Frage, die ich mir mitunter auch stellte. Ein Mann und eine Frau waren darauf in einem etwas surrealen Wald in verschiedensten Grüntönen zu sehen. Je nachdem wie man gerade drauf war, konnte man unterschiedliche Stimmungen in dem Bild finden. Heute war ich geneigt, ein Liebespaar zu sehen, dass der Freude an- und übereinander Raum gab. Mit Entdeckerlust. Wie Milan und ich letzte Nacht. Wir waren jetzt schon längere Zeit zusammen und immer noch schwer verknallt.
Ich schlenderte zurück zu meinem eigentlichen Standort. Vorbei an den filigranen Webarbeiten, die eine Künstlerin aus den Haaren ihrer Maine Coon Katzen in zahlreichen Naturtönen gefertigt hatte, zum Eingang. Dort stutzte ich. In der überdimensionierten »Mausefalle« saß ein Löwe, ein Plüschtier unten auf dem Metallgerüst, das in eine der leeren Bierflaschen linste, die überall herumlagen und soweit ich wusste, zur Installation gehörten. In einer befand sich tatsächlich ein Mäuseskelett und wurde in der Beschreibung des Werkes als Fundsache des Künstlers auf einem Kalkhalbtrockenrasen ausgewiesen. Den Todeskampf der armen Kreatur mochte ich mir gar nicht vorstellen und hoffte, dass ein gnädiger Herzinfarkt sie dahingerafft hatte.
»Guck mal, wie süß.« Ein kleines Mädchen zupfte seine Mutter am Ärmel und zeigte auf das Stofftier, dem man in der Tat am liebsten über die Mähne streicheln wollte. »Den würde ich gerne mitnehmen.«
»Das geht nicht, Emily.«
»Warum nicht?«
»Das ist Kunst und gehört zur Ausstellung.«
»Sieht aber genauso aus wie der von Sophie.«
»Es gibt Alarm, wenn du den wegnimmst.« Das überzeugte Emily endlich.
Als Mädel und Mutter sich den Katzenhaarstoffen zuwandten, bückte ich mich und hob den Plüschlöwen auf. Der stand definitiv nicht im Foruminarte-Katalog. Er sah billig und niedlich aus, der Typ, der mitunter in Discountern massenweise angeboten wird. Aus China, wie auf dem Streifen zu lesen war, der aus dem Ohr heraushing. Hatte ihn einer der tausendeins Landsleute von Ai Weiwei seinerzeit hier vergessen? Wohin damit? Ich konnte meinen Posten nicht verlassen. Ich beschloss, das Entsorgungsproblem zu verschieben und lagerte das Objekt hinter der Gardine auf der Fensterbank. Was kümmerte mich eigentlich die »Werktreue« der Installation? Mir sagte das Ganze mit oder ohne Kuscheltier herzlich wenig. Die Mausefalle war ein originalgetreues, allerdings etwas größeres Modell als man es im Baumarkt kaufen kann. Vielleicht zwei mal vier Meter. Innendrin hingen Fotos an durchsichtigen Fäden. Touristenhotels in der Steppe, vermutlich irgendwo in Afrika. Grinsende weiße Jäger mit ihren Trophäen, Holzfäller im Regenwald bei der Arbeit und solche Sachen. Ich hatte mir als Interpretation zusammengereimt, dass die Menschen durch ihre Eingriffe nicht nur den Löwen und Antilopen ihren Lebensraum klauten, sondern auch sich selbst. Keine Ahnung, ob das der Intention des Künstlers entsprach. Was wohl die anderen Besucher davon hielten? Gerade rollte eine Busladung an.
»Kein Blitz! No flash, please.«
Einer der Kunstbegeisterten stellte sich flink in die Installation.
»He, das geht nicht. Raus da! Würden Sie bitte aus dem Gerüst klettern!«
»Schon gut, schon gut.« Ein Kumpel hatte das Bild bereits im Kasten. Mit Blitz natürlich. Ich knirschte mit den Zähnen.
»Wissen Sie, der ist etwas impulsiv, Sternzeichen Löwe«, erklärte der Fotograf.
»Ich auch«, entfuhr es mir, »aber das ist noch lange kein Grund …«
»Henner, mach doch ein Foto von zwei Löwen vor der Mausefalle.«
Flugs hatte der Typ seinen Arm um mich gelegt und Henner die Digitalkamera im Anschlag.
»Ohne Blitz, bitte!«
Bis zum Abend blieb es turbulent. Als die letzten Besucher den Raum verließen, kam Farid herüber.
Mir fiel das Stofftier wieder ein. »Ich muss dir was zeigen.«
Als ich die Gardine zur Seite zog, war der Löwe weg. »Merkwürdig.«
Farid runzelte seine schöne Stirn, als ich ihm die Geschichte erzählte. »Kann ich mir keinen Reim drauf machen. Vielleicht wollte jemand das Kunstwerk etwas aufpeppen.«
»Manche Leute behaupten, Kassel lebe nur alle paar Jahre für wenige Monate. Und sonst vergehe einfach irgendwie die Zeit. Das halte ich für Quatsch. Ist Leben etwa nur das, was im Äußeren passiert?« – Daniel M. Ritzelbeck
7. September

Xenia:

Gestern Abend hatte ich noch ein langes Telefonat mit Luise geführt. Sie hatte es ja so eilig, mit Fricko loszukommen. Als ob wir den armen Hund gefoltert hätten. Jedenfalls war keine Zeit geblieben. Über die Ermittlungen zu Ritzelbecks Tod erzählte sie leider nichts, aber dafür wohl alles, was sie über die Sabotageakte herausgefunden hatte. Offensichtlich schloss sie einen Zusammenhang nicht aus. Ich sollte weiterhin Augen und Ohren offen halten. Was ich natürlich ohnehin tat. Wenn ich entscheidende Informationen zur Ergreifung des Mörders beitragen könnte, gäbe es ja vielleicht sogar einen Teil der Belohnung in Höhe von zehntausend Euro, die von einem Kunstliebhaber ausgesetzt worden war und von der ich heute früh in der HNA gelesen hatte.
Von meiner Begegnung mit Lewinsky hatte ich Luise übrigens nichts berichtet. Der ist für sie ein rotes Tuch. Sie war froh, dass er einen Tag nicht da war.
Ich verstehe meine Schwester nicht immer. Sie ist eine verdammt gute Polizistin. Sie kann Leute zusammenfalten, die es verdienen, aber bei Autoritäten und Arbeitskollegen klappt das nicht. Ich empfahl ihr, dem Kerl mal so richtig die Meinung zu sagen, vielleicht würde das was nutzen. Sonst machte der doch, was er wollte.

Ich hatte Frühschicht. Auf zur Foruminarte. Grete begleitete mich. Ihr war aufgefallen, dass die Ausstellung in gut zwei Wochen endete und sie, als Ureinwohnerin der Fuldametropole, bisher nichts davon mitbekommen hatte. Grete stellte sich in die Schlange am Kassenhäuschen. Sie hatte sich vorgenommen, außer dem Fridericianum die documenta-Halle und die neue Galerie zu besichtigen, und deshalb extra ihre nachmittäglichen Geigenschüler auf Donnerstag vorverlegt. Ich hielt es für reichlich unrealistisch, so viele Gebäude abzuklappern, aber meine Freundin ist ja schon groß und kann selbst entscheiden.
Heute war ich in einem superlangweiligen Raum eingeteilt mit lauter Retro-Kunstwerken. Warum wird eigentlich in fast jeder modernen Kunstausstellung Minimal Art gezeigt? Obwohl die schon ziemlich alt ist? Da ich nicht besonders auf die Bilder achten musste, ließ ich meine Blicke schweifen. Der Mensch, der die Sabotageakte unternahm, war das ein Mann oder eine Frau? Mit Nadel und Faden zu hantieren, traute ich eher einem weiblichen Wesen zu, wohingegen es wohl eher Männersache war, ein Plüschtier zu einem sehr platten Exemplar zu machen. Die Ketchup-Nummer erinnerte mich an einen Kindergeburtstag.
Der Mann, der gerade sein Stativ aufbaute, kam mir definitiv bekannt vor. Er lungerte ein wenig herum, wahrscheinlich in der Hoffnung, die geführte Gruppe, die den gesamten Raum einnahm, würde endlich verschwinden, und hatte Glück. »Wenn Sie nun hier hinübergehen zu der Arbeit von Mike Mc Mood. Minimal Art. Aus den 60er Jahren.« Die sah wenig spektakulär aus, mehr wie meine Wohnzimmerwand. Großflächig, einfarbig. Das junge Mädchen, das ihre hellbraunen Haare zurückstrich und sich soeben an die Besuchergruppe anschloss, hatte ich ebenfalls schon gesehen. Jeder, der mehrmals hierherkam, war verdächtig. Aber es verschwand, ohne dass etwas passiert wäre.
Am Ende der Schicht traf ich Moritz, Cora und Farid im Gespräch. »Ich bin total erledigt. Für diesen Hungerlohn die dauernden Auseinandersetzungen mit den Knipsern«, stöhnte Cora.
»Heute war doch nichts los«, widersprach Moritz.
»Das hast du vielleicht nur nicht mitgekriegt«, stichelte ich. »Irgendwelche Plüschlöwen?«
Alle schüttelten die Köpfe.
»Ist euch aufgefallen, dass es keine Zwischenfälle mehr gegeben hat, seit Ritzelbecks Tod bekannt geworden ist?«, sagte Farid.

Luise:

Krause hatte scheinbar auf mich gewartet, als Fricko und ich am Morgen eintrafen. »Chefin, mit dem Günter Pollmeier, da ist was nicht ganz koscher.«
»Wer ist das?«
»Na, der Porschefahrer, nach dem Sie neulich gefragt haben. Da sind eben zwei Typen gekommen. Ich habe sie festgehalten. Dachte, Sie wollten sie befragen.«
»Warum sollte ich?«
»Weil die was erzählen wollen über Günter Pollmeier und Ritzelbeck.«
Das war natürlich etwas anderes. Die Männer dünsteten schon auf dem Flur, wo sie herumsaßen, ihre persönliche Geruchskomposition, bestehend aus Männerschweiß und Restalkohol, aus.
»Tach, Chefin«, begrüßte mich der eine. Chefin! Hatten die mit Schulze und Krause einen Club aufgemacht?
Ich bugsierte die beiden in einen Vernehmungsraum, bat Rubisch hinzu und eröffnete das Gespräch: »Mein Kollege sagte, dass Sie eine Aussage machen möchten über Günter Pollmeier und Herrn Ritzelbeck.«
»Genau. Das ist nämlich so. Wir spielen in unserer Stammkneipe immer mit Pollmeier Skat. Wir drei. Ja, und da erzählt man sich auch so einiges. Und obwohl wir mit Günner schon fünf Jahre spielen, können wir jetzt einfach nicht die Klappe halten, ne, Manni?«
Manni nickte.
»Moment mal, wir fangen von vorne an. Ihre Namen, bitte.«
»Also ich bin der Dieter Kleinmann, und das da ist der Manfred Fredebusch.«
Fredebusch räusperte sich, aber dann schwieg er doch.
»Vor drei Wochen«, nahm Kleinmann den Faden wieder auf, »da hatte der Günner nen Unfall mit seinem Porsche. Ist ihm so’n Viehzeug gegengelaufen, war ne Menge kaputt. Er hat die Bullen gerufen, ich mein’ natürlich die Polizei, und die haben kein Viehzeug gefunden.«
»Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche, aber das ist uns bereits bekannt. Er hat ja, wie Sie sicherlich wissen, Anzeige erstattet. Wenn Sie sich bitte auf das Wesentliche konzentrieren würden.« Worauf wollten die bloß hinaus?
»Ja, also der Günner hatte sich gemerkt, dass der dunkle Mercedes aus Kassel war. Er kennt da so ’n Mäuschen von der Zulassungsstelle und die hat für ihn die passenden Autos rausgesucht, ihm den Namen und die Adresse der Besitzer gegeben. Die hat er dann alle abgeklappert. Und als er zu der Adresse einer Frau kommt, trifft er diesen Ritzelbeck dort an. Das war genau vor einer Woche am Freitagnachmittag. Hat er uns abends beim Skat erzählt. Der Ritzelbeck war in der Garage zugange mit so ’m Waschbär. Inner Garage, da hat er das Viech ausgenommen und alles in die Biotonne …«
»Ich verstehe noch nicht so ganz, was das mit unseren Ermittlungen zu tun hat.«
»Na, der Günner war doch sauer, wegen dem Schaden am Auto. Ne, Manni? Und da hat er dauernd gesagt, man müsse dem Typ eine Lehre verpassen. Dem Ritzelbeck. Und hat den beobachtet. Er wollte, dass der seinen Schaden am Porsche übernimmt.«
»Und dann?«
»Ja, und jetzt ist unser Skatkumpel verschwunden, seit Tagen vermissen wir ihn. Genau genommen, seitdem der Ritzelbeck ermordet worden ist. Als ob er untergetaucht ist.« Er sah mich herausfordernd an. Ich ging nicht darauf ein.
»Manni, äh, Herr Fredebusch, haben Sie etwas zu ergänzen?«
»Ne, alles so, wie Dieter gesagt hat.«
»Gut, wenn Sie bitte hier unterschreiben würden.« Ich brachte es nicht fertig, mich bei ihnen für ihre Aussage zu bedanken. Rubisch gähnte.

In der Soko-Runde fragte ich, was die anderen inzwischen herausbekommen hatten.
»Frau Professor Wohlgemuth ist ein Ritzelbeck-Fan«, berichtete Tina, »sie hält ihn für einen Ausnahmekünstler. Als solcher habe er natürlich auch Neider. Erik Lens zum Beispiel. Die zwei hätten dauernd konkurriert. Beflügelt dadurch, dass beide dieselbe Frau mochten. Sie hat uns nicht verraten, wer das war. Ich hatte den Eindruck, sie war selbst in Ritzelbeck verknallt.«
»Tolle Zeugin«, merkte Rubisch an.
»Was ist denn an der Sache mit Günner dran?«, fragte Huber.
»Ich finde es komisch, dass die Skatrunde ihren Kumpel verpfeift. Wahrscheinlich haben sie von der ausgesetzten Belohnung gelesen. Wir müssen auf jeden Fall nach Günner suchen. Die Fahndung ist schon raus. Obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass jemand einen umbringt wegen eines Schadens am Auto, den zudem vermutlich die Versicherung früher oder später bezahlen wird.«
»Sag das nicht«, wandte Lewinsky ein, der wieder genesen und seltsam fügsam erschien, » für manche Leute ist das Auto eine heilige Kuh.«

Xenia:

Als ich im La Paloma eintraf, hatte Milan diesen extrem dynamischen Blick, wie so oft seitdem er mit dem Erbe seines Vaters das Haus gekauft hatte und ungestört dem seit Längerem fälligen Sanierungsbedarf nachgehen konnte. Er konnte nach Herzenslust im gesamten Gebäude schalten und walten, weil der Vorbesitzer, ein Spekulant aus Frankfurt, alle Mieter vergrault hatte. Als Erstes hatte er einen Dachgarten mit Spezialzaun rundherum angelegt, in dem nun seine dreifarbige Katzendiva Esmaralda residierte. Auf die muss man besonders aufpassen. Vielleicht liegt es an dem etwas sperrigen Namen, dass sie so schlecht hört. Aber wir probierten es auch mit Smaralda, Ralda und Esma, und die Resultate waren nicht viel besser. Ich habe mal in einem Ratgeber gelesen, dass Katzen auf Namen mit »i« gut reagieren. Sehe ich doch an meinem Kasimir. Der ist übrigens Esmaraldas Bruder. Und beide sind Kinder von Pünktchens Maunzi und Metzger Maiers Ahlewurscht.
Im Außenbereich vor dem Lokal, also auf dem Königsplatz, hatte Milan einen Biergarten eröffnet. Lief auch gut, entsprach aber noch nicht ganz seinen Vorstellungen. »Abends möchten die Menschen Stimmung, keine Leuchtreklame, sie wollen abschalten und langsam in eine Traumwelt eintauchen.« Die wollte er in dem Innenhof errichten. Er liebte die unverputzten Wände dort, in deren Nischen im Frühsommer Mauersegler brüteten. Jetzt waren die längst in den sonnigeren Süden abgehauen. – Und er hatte eine Holzkonstruktion mit Laubeneffekt errichten und sie mit diversen geeigneten Pflanzen beranken lassen, so dass sich die Gäste beschützt und behaglich fühlen könnten. Leider fehlten immer noch die gemütlichen Tische und Stühle aus Robinie, die Milan aus ökologischen Gründen denen aus Teak und Bankirai vorzog.
Die großen Gewächse und die geschmackvolle Bestuhlung waren natürlich nicht ganz billig. Ich glaube, ich erwähnte schon, dass Milan ein nennenswertes Erbe von seinem Vater erhalten hatte, das solche Extras ermöglichte. Mit dem Rest davon hatten er und seine Mutter Johanna eine Stiftung gegründet, die Geld für verschiedene soziale Projekte zur Verfügung stellte. Aber Milans Priorität galt seinem Restaurant.
»Die Möbel für den Biergarten im Innenhof sind endlich angekommen, ist alles schon eingerichtet«, verkündete er nach einer kurzen Begrüßung und einem flüchtigen Küsschen. Milan war es nicht gelungen, einen weiteren verlässlichen Mitarbeiter einzustellen, den er jetzt noch mehr brauchen würde. Es war also klar, worauf es hinauslief. Auch wenn Milan in dem Hinterhof nicht annähernd so viele Tische unterbringen konnte, wie er gewollt hätte, ich lief mir die Sohlen ab und servierte, was das Zeug hielt, sogar drei Teller auf einmal, weil es einfach sonst nicht zu schaffen war. Hatte kaum Zeit, mich mit Milans Patenonkel zu unterhalten, der regelmäßig zum Essen kommt. Für meinen Freund ist Norbert Bayer eine Art Ersatzpapi. Er hat ein weitaus größeres Herz als Milans unter merkwürdigen Umständen verstorbener Erzeuger. Das darf ich natürlich nicht laut sagen. Milan ist in dieser Hinsicht etwas empfindlich.
Norbert ist ein lebenskluger, grauhaariger Senior mit Charme und Esprit, Psychologe seines Zeichens. Ich plaudere gern mit ihm. »Wenn ich jünger wäre und keine Knieprobleme hätte, würde ich heute einspringen«, sagte er, als ich ihm die Gemüselasagne servierte.
»Es ist wirklich der Teufel los«, bestätigte ich. »Hast du gleich noch Patienten?«
»Erst am Montag wieder.«
»Sag das bloß nicht Milan. Der ist derzeit gnadenlos.«
Norbert grinste. »Bekommt das eurer Beziehung?«
»Frag lieber nicht!«
Enzo war auch gestresst. Zwischendurch kriegte er sich mit Paolo in die Wolle. Zum Großteil wurde ihre Auseinandersetzung auf Italienisch geführt. Sehr musikalisch, Enzos Bassbariton und Paolos hohe Tenorstimme. Auf meine Bitte erläuterte Enzo in Deutsch, dass Paolo jemandem am heiligen Sonntag auf einem Wanderparkplatz eine Delle ins Auto gefahren habe. Statt zu warten, habe er lediglich einen Zettel unter den Scheibenwischer des gegnerischen Wagens geklemmt mit Adresse und Telefonnummer. Das sei Fahrerflucht. Wir seien schließlich nicht in Sizilien. Dummerweise hatte Paolo Enzos Fiat benutzt. Klar, dass der sich jetzt aufregte. Paolo argumentierte, bisher habe sich doch niemand gemeldet, und das sei doch alles schon fünf Tage her. Enzo solle nicht solch ein Theater machen. Der konterte, eventuell habe der Wind das Papier verweht, der Regen die Schrift verwaschen. Aber meist gebe es ja irgendeinen Zeugen, und bald stehe bestimmt die Polizei vor seiner Tür. Ich hielt das für Quatsch. Vielleicht war die Macke verschwindend klein und der Unfallgegner weder Autofetischist noch raffgierig, versuchte ich, Enzo zu beschwichtigen, und ging wieder meinem Kellnerinnenjob nach.
Ziemlich spät abends lag ich mit Milan im Bett in seiner Dachwohnung. Es gibt dort ein riesiges, schräges Fenster, das die Sterne hereinlässt. Wir hatten es gekippt, den Kasseler Nachthimmel über uns. Innenstadtfrischluft flutete herein, vermengt mit entfernten Autogeräuschen, vereinzelten leisen Sprachfetzen von Nachtschwärmern. Smaralda hatte sich zu unseren Füßen zusammengerollt. (Kasimir wusste ich von Grete und Pünktchen wohl versorgt.)
»Milan, ich weiß, du wünschst dir, dass ich mich sehr für das Restaurant engagiere. Ich tu, was ich kann. Mehr geht nicht. Ich will damit sagen, das La Paloma ist dein Lebenstraum. Ich finde es gut, aber ich habe auch eigene Pläne. Den Krimi, zum Beispiel. Ich stürze mich nicht mit dem gleichen Herzblut in die Gastronomie wie du. Kannst du das verstehen?«
Eine Weile war es still. Ich lag in Milans Arm, und wir lauschten den nächtlichen Geräuschen.
»Ich meine, dass es eine optimale Partnerschaft ist, wenn beide Ideale teilen, an einem Strang ziehen. Die Kraft wird dann verdoppelt.«
»Das kann ich nicht. Mein Lebensziel ist es nicht, ein möglichst gut gefülltes Restaurant zu führen. Ich will noch andere Dinge erforschen. Und ich bin gern mit dir zusammen. Ich liebe dich.«
»Xenia, ich liebe dich auch.«
Warum nur hörte ich ein Aber heraus?
»Man muss den Kopf leeren, und wenn man kaum noch damit rechnet, entsteht aus dieser Leere Fülle.« – Daniel M. Ritzelbeck
8. September

Luise:

Günter Pollmeier hatte nur mal eine Spritztour gemacht, wie er sagte. Er strich mit einer Hand über die lichten, fettigen Haare und wandte mir sein teigiges Gesicht zu. Er roch, als hätte er während dieses Trips nie die Klamotten gewechselt. Die Ausdünstungen waren schwer zu ertragen.
»Einen Moment.« Ich ging hinaus in Lewinskys und Rubischs Büro. Beide saßen untätig herum.
»Es gibt Arbeit. Quetscht den Typ im Vernehmungszimmer nach Strich und Faden aus! Was er die letzten Tage gemacht hat und am Sonntag im Besonderen. Welcher Art sein Kontakt zu Ritzelbeck war. Bitte einen wortgetreuen Bericht nachher.«

Drei Stunden später überreichte mir Lewinsky einen USB-Stick. »Du wolltest das doch wörtlich haben. Habe ich mitgeschnitten. Hier ist die schriftliche Einwilligung von Pollmeier.«
»Danke.« Ich war echt überrascht. Was war nur in Lewinsky gefahren? In seiner Äußerung steckte nicht ein Hauch von Spott. Das irritierte mich geradezu.
»Soll ich dir in groben Zügen erzählen, was er gesagt hat?«
»Das wäre schön.«
»Pollmeier hat mithilfe einer Mitarbeiterin der KFZ-Stelle das Auto ermittelt, so dass er die Adresse der Halterin erfuhr. Er also hin. Er wusste, dass er richtig war, als er den Wagen auf der Straße stehen sah. Er klingelte, aber niemand öffnete ihm. Dann hörte er Geräusche aus der Garage. Durch das seitliche Garagenfenster erkannte er den Mann, der den Waschbär mitgenommen hatte. Mit Plastikhandschuhen operierte er an Tierkadavern herum. Das weckte Pollmeiers Wut. Aber bevor er die an Ritzelbeck auslassen konnte, kam ein Nachbar vorbei und beäugte ihn kritisch. Der sollte nicht mitbekommen, was er mit Ritzelbeck tun wollte. Deshalb haute Pollmeier erst einmal ab und versuchte sein Glück am nächsten Tag wieder. Und die ganze Zeit kochte die Wut weiter in ihm. Da der Nachbar sich nicht zeigte, ging er in die Garage, wo Ritzelbeck wieder an seinem Kadaver hantierte, und stellte den Mann zur Rede. Machte ihm klar, dass die Delle an seinem Porsche noch nicht als Wildschaden anerkannt worden war, weil er das dazugehörige Wild eingesammelt und dadurch für jede Menge Scherereien gesorgt hatte. Die Reparaturkosten betrügen mindestens zweitausend Euro. Als der Mann sich uneinsichtig zeigte, kam es zu einem Handgemenge, in dessen Verlauf Pollmeier seinem Kontrahenten einige Faustschläge verpasste. – Hast du die Obduktionsakte schon gelesen? Der komplette Bericht von Bruno. Habe ich dir auf den Schreibtisch gelegt.«
Das wurde ja immer schöner. War Lewinsky einer Gehirnwäsche unterzogen worden? Ich schob ein paar Aktendeckel zur Seite und entdeckte darunter einen aus der Rechtsmedizin.
»Da ist die Rede von Prellungen im Bereich des Brustkorbs und des Kinns, die auf diese Weise wohl erklärt werden können. Der Mann fiel hin und stand nicht gleich wieder auf. Da bekam es Pollmeier mit der Angst zu tun. Immerhin ist er auf Bewährung wegen Körperverletzung. Also ist er abgehauen.«
»Wann war das?«
»Am frühen Samstagabend, einen Tag, bevor Ritzelbeck ermordet wurde.« Triumph in Lewinskys Stimme.
»Hältst du Pollmeier für den Täter?«
»Wir können ihn nicht ausschließen. Er hat kein stichhaltiges Alibi für die mutmaßliche Tatzeit. Und behauptet, er sei nach der Begegnung in der Garage mit dem Porsche herumgefahren. Dann habe er einen alten Kumpel in Felsberg besucht, bei dem er angeblich bis heute Morgen geblieben ist. Der hat übrigens die HNA abonniert, und darin hat Pollmeier am Mittwoch das Foto von Ritzelbeck gesehen und seinen Kontrahenten wiedererkannt.«
»Hat er ein Jagdgewehr?«
»Nein, aber ich habe den Namen seines Kumpels in den Computer eingegeben. Der ist ein polizeibekannter Waffennarr und -sammler.«
»Oh. Gute Arbeit, Lewinsky. Kannst du dich an den mal dranhängen?«
Lewinsky grinste schief. Man muss die Leute auch mal loben, wenn sie es verdienen.
»Noch was. Mir kommt das ziemlich komisch vor mit Kleinmann und Fredebusch. Dass die den verpfiffen haben.«
»Mir ebenfalls.«
»Soll ich die mangeln?«
»Nimm Rubisch mit.«
Kaum hatte er den Raum verlassen, stürzte ich mich auf Eierchens Gutachten. Ich verstand höchstens die Hälfte, aber Folgendes war immerhin zusammenzureimen. Ritzelbeck war an dem Sonntag gestorben, irgendwann zwischen drei und zehn Uhr abends. An seinem Körper waren Blutergüsse und Prellungen festzustellen, die er sich vor seinem Tod zugezogen hatte. Todesursache war ein Schuss mit einem Jagdgewehr, Kaliber 7x64. Die Eintrittswunde maß 0,7 Zentimeter, die Austrittswunde 4,9 Zentimeter. Mir fiel Urs Rimbach ein. Was hatte der noch erzählt über verschiedene Munitionen? Ich meinte mich zu erinnern, dass dieses Wundmuster auf normale Jagdmunition schließen ließ. War nicht bei Scharfschützenmunition Ein- und Ausschussloch identisch? Und auch keine Patrone zu finden? Da der Schütze ein Splittergeschoss verwendet hatte, konnten einige Überreste in Ritzelbecks Körper sichergestellt werden. Damit könnte man vielleicht die Tatwaffe identifizieren. Bloß – wo sollten wir die suchen?
Ich legte den Aktendeckel auf den Tisch zurück, blickte durch das gekippte Bürofenster hinüber zum Kulturbahnhof und wunderte mich einmal mehr über Lewinskys Sinneswandel. War das eine neue Strategie? So tun, als würde er mit mir zusammenarbeiten. Und dann? Irgendwie wartete ich auf die nächste Attacke.

Xenia:

Lustlos schleppte ich mich durch die Foruminarte-Schicht. Zu meiner Laune trug nicht bei, dass ich wieder für den No-No-Raum eingeteilt war. Zu Hause angekommen, schrie ich wie am Spieß. Urschrei-Therapie. Kasimir flüchtete unter das Küchensofa. Aber mir ging es etwas besser. Kurz nach meinem finalen Brüll klingelte es. Vielleicht auch schon vorher. Jedenfalls stand Pünktchen vor der Tür. Mit besorgtem Blick: »Alles in Ordnung?«
»Komm rein und lausche dem Lamento einer frustrierten Frau, wenn du es aushältst.«
Pünktchen lässt sich nicht so leicht erschüttern und nahm wenig später einen Schluck Eistee aus einem beschlagenen Glas. Wir saßen auf dem Küchenbalkon, die Füße auf der Brüstung.
»Milan liebt dich. Der ist im Moment etwas gestresst, weil er den Foruminarte-Rahm fett abschöpfen will.«
»Hoffentlich. Ich fürchte, da ist was Fundamentaleres im Gange. Eine grundsätzliche Einstellung zu einer Liebesbeziehung.«
Pünktchen nippte an seinem Eistee und beobachtete eine Amsel, die soeben auf einem der Kaninchenställe im Hinterhof gelandet war.
»Milan meint, es sei erstrebenswert, wenn beide dieselben Ziele verfolgen. Aber ich kann und will mich nicht verbiegen!«
Musst du nicht. Es gibt keine Alternative zum eigenen Weg. Das, was stimmig ist, hat Bestand. – Oma Xenia hatte sich lange nicht bei mir gemeldet, von wo auch immer ihre Seele sich nun befand. Umso tröstlicher ihre Präsenz jetzt. Danke, Oma. Ich werde diesen Krimi schreiben.
Pünktchen bewegte die Zehen auf der Balkonbrüstung und schaute in sein Glas.
»Wegen meines Foruminarte-Krimis, Pünktchen. Die Grundzüge habe ich dir schon erzählt. Gänseliesel klauen. Aber wie kann man den Alarm abstellen?«
Pünktchen wandte mir sein sommersprossiges Gesicht zu, das übrigens für den Spitznamen verantwortlich ist. »Ich kenne mich ja eher mit Computern aus. Du hattest doch an einen Stromausfall gedacht. Keine Ahnung wie das funktioniert.«
»Ja, und das Notstromaggregat muss ebenfalls außer Funktion gesetzt werden. Dann könnte man das Bild aus dem Rahmen holen …«
»Ich sehe da noch ein weiteres klitzekleines Problem bei deinem Raub. Massen von Touristen schauen zu, wie der Dieb das Bild aus dem Rahmen schneidet und damit verschwindet?«
»Na ja, tagsüber so eine Aktion zu starten, wäre ziemlich dämlich. Da müsste man schon warten, bis alle weg sind.«
»Was passiert da normalerweise?«
»Um zehn vor acht gibt es eine Durchsage. Die Besucher werden gebeten, die Ausstellung zu verlassen. Die mit den Installationen verbundenen Rechner haben einen Timer, der sie herunterfährt. Wir Ordner gucken, ob irgendwo jemand herumspringt, und bitten ihn freundlich zu gehen. Dann verschwinden wir auch, der Hausmeister kontrolliert und schließt ab.«
»Um danach noch einmal hereinzukommen, bräuchtest du also den Schlüsselbund vom Hausmeister.«
»Könnte der nicht mitmachen?«
»Den hätten die Bullen doch sofort am Wickel. Wer die Schlüsselgewalt hat, ist immer verdächtig. Selbst wenn er gefesselt in der Ecke säße. Die Nummer kennt man schon von diversen Geldtransporter-Überfällen.« Pünktchen hat im Internet einige News-Ticker abonniert.
»Schlüsselbund kurzfristig ausleihen, Schlüssel nachmachen.«
»Kannst du vergessen. Das sind bestimmt Sicherheitsschlüssel. Unkopierbar ohne Genehmigung. Wie viele Türen gibt es eigentlich?«
»Muss ich morgen zählen.«
»Meinst du, das reicht für einen Krimi? Die Leute sind heutzutage Thriller gewöhnt, Mord, Verfolgung, permanent zunehmende Bedrohung. Ein simpler Raub lockt keine Maus hinter dem Ofen hervor.«
Ich vergaß zwischendurch immer wieder, dass Pünktchen mit mir jahrelang Germanistik studiert hatte und somit vom Fach war. »Ich will keinen Thriller schreiben. Aber ein bisschen mehr geht ja vielleicht. Wie würdest du das denn angehen?«
»Du hast von den Plüschlöwen erzählt. Wie wär’s mit einem Psychopathen, der auf der Foruminarte sein Unwesen treibt? Sich sukzessiv steigert und auf ein Zielobjekt zusteuert. Das müsste am besten die ermittelnde Beamtin sein. Oder ein anderer Mensch, an dem der Psychopath seine abstrusen Ideen ausprobieren möchte. Du kannst ja als Autorin von der Realität ein wenig abweichen und jedem Exponat einen festen Wächter zuordnen. Hauptsache, die Atmosphäre stimmt. Das Opfer ist dann der Ordner für das Kunstwerk, das in ihm diesen Trieb zu töten ausgelöst hat, beziehungsweise wohinein er seinen Wahn projiziert hat.«
»Da wird mir ja angst und bange.«
»Außerdem hat es doch schon einen Toten gegeben. Den würde ich auch noch einbauen«, sagte Pünktchen ungerührt. Manchmal ist er wirklich erstaunlich abgebrüht.