image

weissbooks.w

image Impressum

Jey Jey Glünderling

Traumberuf Marktschreier

Slams & Stories

© Weissbooks GmbH Frankfurt am Main 2017

Alle Rechte vorbehalten

Konzept Design

Gottschalk+Ash Int’l

Satz

Publikations Atelier, Dreieich

Umschlaggestaltung

Julia Borgwardt, borgwardt design

unter Verwendung eines Motivs von

© ALXR/fotolia.com

Foto Jey Jey Glünderling

© Klaus Engelhardt

Erste Auflage 2017

image ISBN 978-3-86337-140-1

weissbooks.com

facebook.com/gluendi

Jey Jey Glünderling

Traumberuf Marktschreier

Slams & Stories

image

image

Traumberuf
Marktschreier

Für Mama (Zwar kein Kinderbuch, aber nah dran.)

Inhalt

Schach

Kochabend

Du bist Deutschland

Freibad

Hollister

Der Kampf um die Armlehne

Backpacker

WG gesucht

Makler in Frankfurt

Hugh Grant

Snowboard

Böller

Flipper (Nein, nicht der Delfin)

Kippenmann

Süßigkeiten

Wie dumm wir doch mit siebzehn waren

Sören-Hendrik

Elternbrief I

Elternbrief II

Abitur

Jahrgangstreffen

Magisterarbeit

Mein Weg zur Arbeit

Tastatur-Tortur

Keilriemen-Otto

Die Weisheits-Zahnfee

Valentinstag

Gina

Tinder

Künstlernamen

Schach

Schach ist das intelligenteste Spiel der Welt. Schach birgt über 1046 mögliche Züge. Das sind zehn Septilliarden. Eine mies hohe Zahl. Komplexer geht es nicht. Schach verbindet zudem ganze Generationen und Kulturen miteinander. Alle lieben Schach, denn Schach macht schlau. Aber das ist falsch. Schach macht nicht schlau. Schach macht scheiße. Schach ist unfassbar asozial und politisch höchst inkorrekt. Schach ist kein Spaß. Schach ist Krieg! Das Spielprinzip ist brutal simpel: Der Gegner muss völlig vernichtet werden. Eine andere Konfliktlösung wird überhaupt nicht aufgezeigt. Nee, nur voll in die Fresse. Und als Erstes werden die Bauern in den Krieg geschickt. Klar, mit denen kann man es ja machen. Erst mal die armen Arbeiter verheizen und dann weitergucken. Und die Bauern werden alle einzeln vorwärts ins Verderben gerückt. Fahnenflucht ist unmöglich, denn Zurückziehen gibt es nicht.

Das ist barbarisch. GTA 5 ist ein Scheiß dagegen. Schach ist gewaltverherrlichend hoch Zehn. Und noch viel schlimmer ist der rohe Rassismus dahinter. Denn Schach ist ein Krieg zwischen Schwarz und Weiß. Hat sich die AFD das ausgedacht? Mein Gott! Und klar, Weiß darf immer anfangen. Die Weißen haben ja immer das Vorrecht. Aber man braucht sich gar nicht wundern. Jede Figur bleibt ja auch nur in ihrem klar abgesteckten, viereckigen Feld. Jeder chillt nur in seiner Privat-Parzelle, in seiner Filter-Bubble, ohne mal »out of the box« zu denken. Wie soll Völkerverständigung da überhaupt funktionieren? Kein Kontakt zur Außenwelt – klare Folge: Schwarz-Weiß-Denken.

Schach ist gefährlich. Schach gehört nicht mehr in unsere Zeit. Oder wer hat ernsthaft Bock auf Monarchie? Der große, arrogante König versteckt sich immer schön hinter seiner Gefolgschaft und lässt andere für sich kämpfen. Faul wie ein Schwein bewegt er sich auch immer nur in gemächlichen, kleinen Schritten. Und wenn es dann mal eng wird, ZACK! Rochade. Dann mauert sich der Monarch einfach ein. Nun gut, er ist ja auch der King. Und mal wieder ist es ein mächtiger Mann, um den sich alles dreht. Wobei, es gibt beim Schach ja immerhin eine Dame. Wow! Schach, du bist so fortschrittlich. Rein statistisch beträgt der weibliche Anteil der Figuren beim Schach ja ganze 6,25 Prozent. Willst du mich verarschen? Frauenverachtender geht’s ja wohl nicht. Doch! Denn die einzige Dame auf dem Feld darf man auch noch easy schlagen. Man wird beim Schach fürs Frauen-Schlagen sogar regelrecht belohnt. Was ist das für eine Welt?

Und der ganze Sexismus setzt sich ja auch auf sprachlicher Ebene fort. Wird der König bedroht, heißt es »Schach«. Ist die Dame hingegen in Gefahr, sagt man »Gardez«. Allein der Klang macht die Rollen ja schon deutlich: Mann hart, Frau weich. Hallo, Heteronormativität. Wie schäbig! Und auch der Umgang mit Homosexualität ist schlichtweg diskriminierend. Erreicht ein Bauer das andere Ufer, wird er sofort zur Dame. Klar, jeder Schwule ist ja auch total weiblich. Was für ein Scheiß! Schach ist in jeder Hinsicht absolut menschenverachtend. Und es geht ja noch weiter. Beim Schach zählt der Bauer einen Punkt, der Läufer drei und der Turm fünf Punkte. Aha, Gebäude sind also mehr wert als Menschen. Interessant.

Aber Schach richtet sich nicht nur gegen Menschen, sondern auch gegen Tiere. Beim Pferd kann ja wohl nicht ernsthaft von artgerechter Haltung sprechen. Stets eingepfercht in einem kleinen Feld, muss es pausenlos auf Kommando springen. Und zwar um die Ecke. Wie das auf die Gelenke geht. Das ist Tierquälerei. Schach ist Schuld an so was wie Pferde-Lasagne. Da wird komplett auf die Tierwelt geschissen. Und übrigens auch auf die Natur. Denn woraus besteht Schach? Genau, Holz. Schach befeuert dadurch massiv den Klimawandel. Schach tötet Bäume. Schach verhindert Fotosynthese. Schach nimmt uns die Luft zum Atmen. Aber wen erstaunt das wirklich? Allein der Name »Schach« ist ja schon Programm. Da braucht man nur mal genau hinschauen: Schach hat sechs Buchstaben. Genau wie die Wörter Teufel oder Hitler.

Ja, da macht auf einmal alles Sinn. Und ich war in der siebten Klasse in der Schach-AG. Da sieht man mal, was für ein Choleriker aus mir geworden ist. Ich fordere daher hiermit ein internationales Schachverbot. Und zwar sofort! Auch wenn Schach eigentlich vergleichsweise harmlos ist. Denn richtig mies wird es erst bei Spielen wie Uno oder Activity, aber das ist ein anderes Thema.1

1 An alle Klugscheißer: Ja, der Text enthält zwei logische Fehler. Einen König, den man schon bewegt hat, kann man bei akuter Gefahr nicht mehr in die Rochade befördern. Und ein Bauer, der die andere Seite des Brettes erreicht, wird nicht automatisch zur Dame. Man kann auch jede andere Figur wählen, aber das macht kein Mensch. Egal, der Rhyme ist fett.

Kochabend

Arbeit und Freizeit muss man voneinander trennen. Wer dieses Credo strikt befolgt, hat weniger Stress, heisst es. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Denn eine solche Trennung bringt einem unter Kollegen schnell einen asozialen Ruf ein, was wiederum zu Stress führt. Bei meiner Arbeit hielten mich daher alle für einen Asi. Ich merkte so etwas zum Beispiel an E-mails von Kollegen, in denen stand: »Du, Asi!«

Ich musste etwas ändern. So nahm ich zum ersten Mal die 43. Einladung zu Freizeitunternehmungen von Konrad Gluck an, mit dem ich mir seit zwei Jahren ein Büro teile. Konrad hat eine Lache wie Goofy auf Crack und spricht, wenn er vom VFL Wolfsburg redet, immer von »wir«. Und statt »Guten Morgen« benutzt er stets dieses furchtbare »Mosche«.

Es ist Mittwochabend, als ich an Konrads Tür klingele. Stolz stellt er mir seine Freundin Cordula vor. Kochabend bei Konrad und Cordula – das kann ja heiter werden. Cordula sieht aus wie das Stereotyp einer Brigitte-Leserin und hat exorbitant große Füße. Kurz darauf stehen wir im Flur mit Hugo in Stielgläsern. Wenn man will, dass Menschen eigentümlich steif erscheinen und angespannt künstlich über schlecht rezitierte Loriot-Sprüche lachen, dann muss man ihnen nur ein hohes Stielglas in die Hand drücken und sie durch Mangel an Sitzgelegenheiten zum Stehen zwingen. Cordula liebt das. Während sie irgendetwas sagt, das mich nicht interessiert, kuschelt sich Konrad an ihren Hals, flüstert etwas in Babysprache und zuppelt wie ein kleiner Junge an ihr rum. Diese Frei-Kuschel-Kultur vor Fremden empfinde ich als äußerst unprofessionell.

In der Küche steht kistenweise Evian in Glasflaschen. Ja, das passt. Konrad und Cordula sind genau die Menschen, die Angst vor Leitungswasser haben und stattdessen lieber literweise Evian-Glasflaschen hoch in den dritten Stock schleppen. Wahrscheinlich putzen sie sich sogar die Zähne damit. Abends Elmex mit Evian und morgens Aronal mit Volvic. Immerhin soll es Spaghetti Bolognese geben. Doch die Nudeln entpuppen sich als Vollkornspaghetti. Von jedem Essen, das geil ist, gibt es eine beschissene, gesunde Version und Vollkornspaghetti sind ein hervorragendes Beispiel dafür.

Das Wasser kocht bereits. Ich eile Konrad zu Hilfe, breche die Spaghetti in der Mitte und werfe sie in den Topf. Stille. Entsetzte Blicke. Und schon beginnt diese nervige Ich-tue-so-als-wär-ich-Italiener-und-breche-daher-keine-Spaghetti-Diskussion. Es ist anstrengender als die dummen Debatten im Schullandheim, ob es nun die, der oder das Nutella heißt. Sogar der Duden bezieht dazu keine Stellung. Der ist schlau. Ich bin dumm und lasse mich auf die Spaghetti-Diskussion ein.

Dies führt schlussendlich dazu, dass ich mit bestimmter Höflichkeit zum Schnippeln verdonnert werde. Beim Schnippeln handelt es sich um die undankbarste Küchen-Aufgabe, denn am Ende wird immer der Koch gelobt, nie aber der Schnippler. Es sei denn der Schnippler ist ein Kind. Dann wird die Schnippelei hoch gepriesen. Schnippelt aber ein Erwachsener, wird dies als eine belanglose Selbstverständlichkeit abgetan. Der Koch rührt nur in einem Topf rum und kippt Gewürze rein, aber im Schnippeln, da liegt doch die eigentliche Gefahr. Beim Rühren kann man sich keinen Finger abhacken.

Nachdem ich wie ein trotziger Sohn den Tisch gedeckt habe, alles fertig ist und ich gerade anfangen will, steht Konrad auf. Er sagt großmütig »Fangt ruhig schon an« und verschwindet. Das ist natürlich eine perfide Farce, denn es gibt ja dieses tolle ungeschriebene Gesetz, dass man erst mit dem Essen beginnt, wenn alle am Tisch sitzen. Konrad kackt schon seit zehn Minuten. Statt mit Cordula zu reden, kümmere ich mich liebevoll um mein Tamagotchi und füttere es.

Als Konrad zurückkehrt, besitzt er auch noch die Dreistigkeit zu sagen: »Och, ihr hättet ruhig anfangen können.« Nein, das hätten wir nicht. Ich schlinge die Nudeln in mich rein und verbrenne mir direkt die Zunge. Auf den zweiten Bissen puste ich daher mit der Intensität, mit der man früher Game Boy-Spiele vom Staub befreit hat. Nach dem Schokopudding, den Konrad als Mousse au Chocolat deklariert, macht Cordula einen riesigen Fehler, als sie sagt: »Hey, lasst uns doch eine Runde Monopoly spielen.« Sie hat nicht den blassesten Schimmer, was sie da gerade anrichtet. Monopoly und ich – das ist eine sehr, sehr unschöne Kombination. Das beliebteste Gesellschaftsspiel der Welt ist nichtmal im Ansatz ein geselliges Spiel, es sollte stattdessen den Slogan tragen »Wecke den Hurensohn in dir«.

Konrad nimmt als Spielfigur freiwillig den Fingerhut und Cordula schnappt mir den Rennwagen vor der Nase weg. Ich muss mich also mit dem Schiff zufriedengeben, das dauernd umkippt. Ich würfle zu Beginn eine Vier und muss direkt Einkommenssteuer zahlen. Als nächstes kauft Cordula ernsthaft das E-werk. Das E-werk!! Nur Trottel kaufen Werke! Sie verschmäht zusätzlich die orangen Straßen, weil sie die Farbe nicht mag. Aber die braune Badstraße, die gönnt sie sich dann.

Nach zwei Runden ist meine Laune komplett im Arsch. Von jeder Straße habe ich nur eine und halte einen kleinen Regenbogen in der Hand. Als Konrad auf das Wasserwerk kommt, kauft er es und schenkt es Cordula mit einem ekligen Ich-möchte-endlich-mal-wieder-Sex-mit-dir-haben-Lächeln. Konrads Bahnhöfe umgibt das Stockholmsyndrom. Tut mir nicht gut, aber ich komme trotzdem immer wieder. Ich überlege bereits in Konrads Straßen die Chaostage zu iniitieren, Autos anzuzünden und Häuser zu besetzen, um die Mieten zu senken. Zusätzlich bezweifeln beide, dass man aus dem Knast Miete einstreichen kann. Wir spielen hier in Frankfurt, natürlich kann man aus dem Knast Miete einstreichen! Dieses Pups-Pärchen spielt wie die letzten Amateure, aber macht trotzdem mies Cash.

Gerade habe ich die Straßenausbesserungen mit Hypotheken knapp überstanden, da ereilen mich die fünf schrecklichsten Worte: »Rücke vor bis zur Schlossallee.« Ich bin raus und erfüllt von tiester Schmach, während Konrad seiner Freundin ständig die Miete erlässt. Es ist offiziell regelwidrig, jemandem die Miete zu erlassen! Cordula bekommt mitgeteilt, dass sie Zweite beim Schönheitswettbewerb geworden ist. Sie tut beleidigt. »Sei doch froh! Selbst das wäre unverdient«, denke ich und sage es aus Versehen laut.

In Konrads Büro bin ich seit neuestem eine Persona non grata. Keiner geht mehr mit mir essen und »Du, Asi« war noch die freundlichste Mail von Kollegen. Aber selbst schuld, wenn man Arbeit und Freizeit nicht voneinander trennt.

Du bist Deutschland

Spanien. Aufgeblähte, behaarte Bierbäuche, die der Sonnenbrand in die Farben der Telekom getaucht hat. Darunter knallenge, rote Speedo-Badehosen, aus denen zu allen Seiten Schamhaare quellen. Kackbraune Tennissocken in Sportsandalen mit Klettverschluss und halbrunder, gesunder Abrollsohle. Spanisches Hotelpersonal, das konsequent auf Deutsch angesprochen wird. So könnte man Deutschland beschreiben, aber das ist nicht die Realität. Das ist nur die nach Schrecklichkeit schreiende, nach Stereotypen stinkende Subkultur jener Orte, die man von Flughäfen wie Frankfurt Hahn aus erreicht.

Das echte Deutschland ist viel subtiler, versteckter und ich machte mich auf es zu suchen. Es war eine lange und beschwerliche Recherche, bei der mich Bob Andrews von den Drei Fragezeichen tatkräftig unterstützte. Und eines Tages wurde ich endlich fündig. In Meppen. Genauer gesagt im Besucherbuch des Meppener Kunstvereins. Dort entdeckte ich einen unfassbaren Eintrag.

»Hallo!!

Der Besuch in ihrem Museum war leider eine unzumutbare Zumutung.

1. Die Dielen knarzen. Ein immenser Störfaktor des Kunstgenusses.

2. Die Schilder neben ihren Bildern sind sehr niedrig angebracht. Wahrscheinlich wegen Rollstuhlfahrern. Wir als Nicht-Behinderte haben nun Rückenschmerzen. Vielen Dank!

Harald Nospe aus 16189 Lückinghausen bei Ülzen«

Harald Nospe hieß Deutschland also. Harald Nospe aus Lückinghausen bei Ülzen. Deutscher ging es nicht. Ich sah sofort Haralds gesamtes Leben bildlich vor mir. Ich sah den angeschwitzten Audioguide, der ihm um den Hals baumelte, als er in dem Besucherbuch ausrastete. Ich sah all seine mintgrünen, kurzärmeligen Busfahrer-Hemden von Tom Tailor in seinem Schrank. Und ich sah auch seinen Bürotisch aus Glas und darauf das Foto von ihm, seiner Frau und dem Labrador in einer Schneekugel. Das Bild seiner beiden Kinder daneben als Mousepad. Harald war ein waschechter Apotheken-Umschau-Abonnent. Er war der Nachbar von gegenüber, den man morgens beim Katerfrühstück durch das Fenster sieht und der nur ein T-shirt trägt, sonst nichts. Männer, die nur ein T-shirt tragen sind mit gigantischem Abstand das unattraktivste der Welt. Was bei Frauen richtig geil aussieht, zerstört ein baumelnder Penis mit schrumpeligen, hängenden Eiern sofort.

Im Alltag wies Harald niemanden zurecht und er maßregelte auch nicht. Nein, Harald erzog! Harald war exakt derjenige, der hinter dir in der Supermarktschlange steht und verächtlich schnaubt, wenn du das Fließband-Trennungselement nicht ordnungsgemäß hinter deinem Einkauf platziert hast. Harald legt seine Einkäufe dann so nah an deine ran, dass es aussieht, als gehörten sie zu deinem Zeug. Mit dieser eklig unterschwelligen Geste voll geplanter Beiläufigkeit zwingt er einen dann reumütigst das Fließband-Trennungselement zwischen die Einkäufe zu quetschen. So einer war Harald. Man fragt sich ja häufig, welche Menschen ernsthaft die Fragen bei gute-frage.net beantworten. Harald.

EZB