Sphragis

Inhaltsverzeichnis

Und nun hab' ich ein Werk vollbracht, das Feuer und Eisen
Nimmer zerstört, noch Jupiters Zorn, noch zehrendes Alter.
Mag denn kommen der Tag, der nur am vergänglichen Leibe
Recht ausübt, und den Raum unsicheren Lebens beschließen:
Trotz wird bieten der Zeit und über die hohen Gestirne
Schweben mein besserer Teil und nie mein Name getilgt sein.
Rings, so weit Roms Macht sich erstreckt in bezwungenen Ländern,
Wird mich lesen das Volk, und wofern nicht trugen der Dichter
Ahnungen, werd' ich stets fortleben in ferneste Zukunft.

Erstes Buch

Inhaltsverzeichnis

Die Schöpfung

Inhaltsverzeichnis

Vor dem Meer und der Erd' und dem allumschließenden Himmel,
War im ganzen Bezirk der Natur ein einziger Anblick,
Chaos genannt, ein roher und ungeordneter Klumpen:
Nichts mehr, als untätige Last, nur zusammengewirrte
Und mißhellige Samen der nicht einträchtigen Dinge.
Niemals kreisete jetzt ein welterleuchtender Titan,
Noch erneuere Phöbe des Monds anwachsende Hörner.
Auch nicht schwebte die Erd' in rings umgossenen Lüften,
Wägend sich selbst durch eignes Gewicht; noch streckte die Arme
Weit um den Rand der Länder die mächtige Amphitrite.
Wo die Erde nun war, dort war auch Luft und Gewässer.
Nicht zum Stehn war jetzo das Land, noch die Woge zum Schwimmen,
Noch voll Lichtes die Luft: kein Ding hatt' eigne Gestalt noch.
Anderes war dem anderen feind: in dem selbigen Körper
Übete Kaltes den Kampf mit Hitzigem, Feuchtes mit Trocknem,
Weicheres rang mit Hartem, und Lastendes gegen das Leichte.

Solchen Streit hub endlich die beßre Natur und die Gottheit:
Welche vom Himmel das Land, von dem Land abtrennte die Wasser,
Und von der dunstigen Luft den gekläreten Himmel emporhub.
Dieses nunmehr entwickelt, und frei aus der blinden Verwirrung,
Schied sie in eigenen Räumen, und stiftete Frieden und Freundschaft.
Siehe die feurige Kraft des gewichtlos wölbenden Himmels
Schimmert' empor, und wählte den obersten Ort in den Höhen.
Ihm ist nahe die Luft, wie an Leichtigkeit, also an Wohnung.
Dichter denn beid' ist die Erd', und zog den gröberen Urstoff,
Niedergedrückt durch Schwere von sich; die umflutende Nässe
Nahm den äußersten Sitz, und band den gediegenen Erdkreis.

Als in Ordnungen nun, wer jener auch war von den Göttern,
Abgeschichtet den Wust, und die einzelnen Schichten gegliedert;
Formt' er die Erd' im Beginn, und schuf, daß nirgend ihr ungleich
Wär' ein Teil, die Gestalt der groß gerundeten Kugel.
Dann ergoß er die Sunde, damit sie empor in den Sturmwind
Schwöllen, und rings die Gestad' umwalleter Lande bestürmten.
Sprudel auch rief er hervor, Landseen und unendliche Sümpfe;
Und abschüssige Ström' umdämmt' er mit schlängelnden Ufern:
Die in verschiedenem Lauf teils untergeschlürft sich verlieren,
Teils in das Meer ausgehn und, geherbergt von dem Gefilde
Freierer Flut, anschlagen für grünende Borde den Felsstrand.
Weit auch streckt' er die Ebenen aus, und senkte die Täler,
Deckte mit Laube den Wald, und erhob die steinigen Berge.
Wie zwei Zonen zur Rechten, und zwei zur Linken den Himmel
Quer durchziehn, und dazwischen die heißere fünfte sich ausdehnt:
So begrenzte die innere Last mit der selbigen Anzahl
Sorgsam der Gott; und es ruhn gleichviel Erdgürtel darunter.
Die in der Mitte sich dehnt, ist unbewohnbar vor Hitze;
Zwei deckt türmender Schnee; zwei ordnet' er zwischen den beiden,
Welchen er Mäßigung gab, mit Frost die Flamme vermischend.
Über sie raget die Luft: die so viel, als gegen die Erde
Leichter wiegt das Gewässer, an Last vor dem Feuer gewinnet.
Dort auch hieß er die Nebel, und dort die Gewölke sich lagern,
Und, um menschliche Herzen zu bändigen, hallende Donner,
Und mit leuchtenden Blitzen die kalt anstürmenden Winde.
Diesen auch verstattete nicht der Erschaffer des Weltalls,
Wild zu durchschwärmen die Luft. Kaum jetzt wird ihnen verwehret,
Da doch jeder für sich herweht aus gesonderter Gegend,
Daß sie die Welt nicht zerreißen: so uneins toben die Brüder.
Eurus entwich zu Aurora, zur nabathäischen Herrschaft,
Und zu dem Persergebiet, und den Höh'n am Lichte des Morgens
Hesperus, und die Gestade, von westlicher Sonne gewärmet,
Sind dem Zephyrus nah. Der schaudernde Boreas nahm sich
Szythia samt dem Wagen des Pols. Im entgegenen Lande
Trieft aus stetem Gewölk der regenstürmende Auster.
Oben verbreitet' er dann die geklärete Reine des Äthers,
Ohne Gewicht, und ganz von irdischer Hefe geläutert.
Kaum nun hatt' er das alles verzäunt in sichere Grenzen,
Als, die lange gepreßt in der wirrenden Masse sich bargen,
Alle Gestirn' anfingen hervorzuglühen am Himmel.

Daß auch keinerlei Raum lebendiger Wesen entbehrte,
Herrschen Stern' auf himmlischer Flur, und Gestalten der Götter;
Eigen ward das Gewässer den blinkenden Fischen zur Wohnung;
Tiere durchstreiften die Erd', und die Luft ein Gewimmel von Vögeln.

Aber ein heiligeres, hochherziger denkendes Wesen
Fehlt' annoch, das beherrschen die anderen könnte mit Obmacht.
Und es erhub sich der Mensch: ob ihn aus göttlichem Samen
Schuf der Vater der Ding', als Quell der edleren Schöpfung;
Oder ob frisch die Erde, die jüngst vom erhobenen Äther
Los sich wand, noch Samen enthielt des befreundeten Himmels.
Aber Japetus Sohn, mit fließender Welle sich mischend,
Bildete jen' in Gestalt der allversorgenden Götter.
Und da in Staub vorwärts die anderen Leben hinabschaun,
Gab er dem Menschen erhabenen Blick, und den Himmel betrachten
Lehret' er ihn, und empor zum Gestirn aufheben das Antlitz.

Also ward, die neulich so roh noch war und gestaltlos,
Umgeschaffen die Erde zum Wunderbilde des Menschen.

Die Weltalter

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Erst entsproßte das goldne Geschlecht, das, von keinem gezüchtigt,
Ohne Gesetz freiwillig der Treu und Gerechtigkeit wahrnahm.
Furcht und Strafe war fern. Nicht lasen sie drohende Worte
Auf dem gehefteten Erz; nicht bang vor des Richtenden Antlitz
Stand ein flehender Schwarm: ungezüchtiget waren sie sicher.
Nie vom eignen Gebirg', um der Fremdlinge Welt zu besuchen,
Stieg die gehauene Fichte hinab in die flüssige Woge:
Außer dem ihrigen kannten die Sterblichen keine Gestade.
Noch umgürteten nicht abschüssige Graben die Städte.
Nicht die grade Drommete von Erz, noch gewundene Hörner,
Auch nicht Helm war jetzo, noch Schwert: und der Söldner entbehrend,
Lebeten nun sorglos in behaglicher Ruhe die Völker.
Selbst annoch, unbeschatzt, und dem Karst nie pflichtig, noch jemals
Wund vom schneidenden Pflug, gab freudiger alles die Erde;
Und mit den Speisen vergnügt, die sonder Zwang sich erhuben,
Pflückten sie Arbutusfrucht, und des Bergtals würzige Erdbeern,
Auch des rauhen Geranks Brombeer, und die rote Kornelle,
Und vom gebreiteten Baume des Jupiter fallende Eicheln.
Ewig waltete Lenz, und sanft mit lauem Gesäusel
Fächelten Zephyrus Hauche die saatlos keimenden Blumen.
Bald auch gebar Feldfrüchte der ungeackerte Boden,
Ohn' Auffrischung ergraute die Flur von belasteter Ähre.
Rings nun Bäche von Milch, rings walleten Bäche von Nektar;
Rings auch tröpfelte gelb aus grünender Eiche der Honig.

Als Saturnus versank in des Tartarus Dunkel, und herrschend
Jupiter lenkte die Welt; da erwuchs die silberne Zeugung,
Weniger köstlich denn Gold, doch mehr als rötliches Erz noch.
Jupiter engte nunmehr der Urwelt ewigen Frühling,
Sonderte Winter, und Gluten, und herbstliche Ungewitter
Vom kurzblühenden Lenz, und schuf vier Räume des Jahres,
Jetzo geschah, daß die Lüfte, von trockener Schwüle gesenget,
Glüheten, und vor dem Winde das Eis hartstarrend herabhing.
Jetzo suchten sie Häuser zum Schirm: ihr Haus war die Höhle,
Oder ein dichtes Gestaud', und mit Bast verbundene Reiser.
Jetzt ward Samen der Ceres in langgezogenen Furchen
Untergescharrt, und es seufzt' im drängenden Joche der Pflugstier.

Hierauf folgte das dritte Geschlecht, von eherner Zeugung,
Wütender schon von Natur, und gewandt zu schrecklichen Waffen;
Doch unsündig annoch. Darin schloß die eiserne Abart.

Stracks nun stürmte daher in die Zeit der schlechteren Ader
Jeglicher Greu'l: es entflohen die Scham, und die Treu', und die Wahrheit;
Deren Stell' einnahmen der laurende Trug und die Arglist,
Heimliche Tück', und Gewalt, und die frevelnde Sucht zu gewinnen.
Unbekannteren Winden entfaltete Segel der Schiffer;
Und da sie lang' untätig auf luftigen Bergen gestanden,
Wagten die Kiele den Sprung durch nie erkundete Wasser.
Auch die Erde, zuvor wie Luft und Sonne gemeinsam,
Zeichnete jetzt vorsichtig mit langer Grenze der Messer.
Auch nicht Saaten allein und schuldige Nahrung erzwang man
Herrisch vom reichen Gefild: man drang in die Tiefen der Erde,
Und wie sorgsam versteckt, und entrückt zu den stygischen Schatten,
Grub man die Schätze hervor, Anreizungen aller Verbrechen.
Schon war schädliches Eisen, und Gold, heilloser denn jenes,
Ausgewühlt; da erhub sich der Krieg, und kämpfte mit beidem;
Und in der blutigen Hand erschüttert' er rasselnde Waffen.
Nun lebt alles vom Raub, kein Gastfreund schonet den Gastfreund,
Noch der Eidam den Schwäher; auch liebende Brüder sind selten.
Meuchlerisch stellet das Weib dem Gemahl nach, dieser der Gattin;
Und Stiefmütter bereiten aus falbem Kraute den Gifttrank;
Selber auch späht voreilend der Sohn nach den Jahren des Vaters.
Frömmigkeit sank vor Gewalt; Asträa selber, die Jungfrau,
Floh, der Himmlischen letzte, die blutgefeuchteten Länder.

Lykaon

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Als von den obersten Höh'n Saturnius schaute die Greuel,
Seufzet' er auf, und was, neulich geschehn, noch wenig bekannt war,
Denkend den gräßlichen Schmaus des lykaonischen Tisches,
Faßt' er im Geist endlosen und Jupiters würdigen Unmut.
Schleunig beruft er den Rat; und es eilt die berufne Versammlung.

Hoch erstreckt sich ein Weg, am heitern Himmel erscheinend,
Der, Milchstraße genannt, durch schimmernde Weiße sich ausnimmt.
Hierauf gehn die Götter zur Burg des donnernden Vaters,
Und in den Königspalast. Rechts wimmeln und links an dem Wege
Vorhöf' edeler Götter mit offener Pforte des Saales.
Abwärts wohnt die Gemeinde; doch vorn die Gewalten des Himmels,
Groß an Macht und berühmt, in geheiligten Wohnungen hausend.

Als sich die Oberen dort im marmornen Raume gesetzet,
Drauf, erhabner an Sitz, mit elfenbeinenem Zepter,
Schüttelte dreimal und viermal des Haupts graunvolle Umwallung
Jupiter, daß ihm die Erde, das Meer und der Himmel erbebten.
Also entströmte nunmehr unwilligen Lippen die Rede:

Nicht um die Weltherrschaft war sorgenvoller in jenem
Laufe der Zeit mein Herz, da der Schlangenfüßigen jeder
Hundert Arme beschloß zum eroberten Himmel zu heben.
Denn so wild auch tobte der Feind, so hing doch von einem
Stande des Reichs, von einer gemeinsamen Quelle, der Krieg ab.
Jetzo muß ich, so weit als Nereus hallt um den Erdkreis,
Ganz austilgen das Menschengeschlecht. Bei den Fluten des Abgrunds
Schwör' ich, die unter der Erd' im stygischen Haine sich winden:
Alles versucht' ich zuvor. Doch unausheilbaren Schaden
Müsse der Stahl abschneiden, daß nicht mitkranke Gesundes.
Hab' ich ja doch Halbgötter, und ländliche Mächte, die Nymphen,
Faunen und Satyre auch, und das Berggeschlecht der Silvane:
Diese, von uns noch nicht der olympischen Ehre gewürdigt,
Sollten zum wenigsten frei die verliehene Erde bewohnen.
Glaubet ihr aber genug, ihr Oberen, jene gesichert;
Da mir selbst, der den Donner, der euch handhabe und lenket,
Meuchlerisch nachgestellt, voll ruchtbarer Wildheit, Lykaon?

Ringsum braust die Versammlung; in glühendem Eifer verlangt man
Ihn, der solches gewagt. Mit Hand und Stimme bezähmte
Jupiter jenes Gemurmel; und lautlos saßen sie alle.
Als nun schwieg das Geschrei, durch Königswürde gebändigt,
Brach von neuem die Stille Saturnius, also beginnend:

Schon hat jener die Straf' (entschlagt euch der Sorge!) gebüßet.
Aber die Missetat und die ahndende Rache vernehmt jetzt.
Unsere Ohren erreichte der Ruf des verdorbenen Alters:
Diesen gefälscht mir wünschend, entschweb' ich den Höhn des Olympus,
Und durchspähe die Erd', ein Gott in menschlicher Bildung.
Säumnis wär' es, wie groß die Verschuldungen rings ich gefunden,
Aufzuzählen; es war das Gerücht selbst unter der Wahrheit.
Über den Mänalus ging ich, den struppigen Nährer des Wildes,
Über Cyllene daher, und die Fichtenhöh'n des Lycäus.
Jetzt in den unwirtbaren Palast des Arkaderkönigs
Trat ich hinein, als Nacht der späteren Dämmerung folgte.
Zeichen gab ich, ein Gott sei genaht; und die Menge begann mich
Anzuflehn. Erst lachte des Flehns und Gelübdes Lykaon.
Bald: Es entscheid' ein Versuch, so redet er, ob er ein Gott sei,
Oder ein sterblicher Mensch; hier gilt's ungezweifelte Wahrheit
Mich im Schlummer bei Nacht durch plötzlichen Tod zu verderben
Trachtet er: also gefällt's den Versuch zu machen um Wahrheit!
Noch nicht hatt' er genug: vom molossischen Volke gesendet
War ein Geißel daselbst; dem bohrt' er den Dolch in die Gurgel;
Und die zerhauenen Glieder, die halb noch lebenden, kocht' er
Teils in siedender Flut, teils brät er sie über dem Feuer.
Wie er das Mahl auftischte, da warf ich mit rächendem Strahle
Auf die Penaten das Haus, die würdig waren des Eigners.
Doch der Erschrockene flieht; und die Stille der Flur nun erreichend,
Heulet er auf, und müht sich umsonst zu reden; es sammelt
Wut von ihm selber der Mund; und er rennt in gewöhnlicher Mordlust
Gegen das schwächere Vieh, und freut sich auch jetzo des Blutes.
Rauh in Zotten zergehn die Gewand', und in Beine die Arme.
Auch als Wolf behält er die Spur der vorigen Bildung:
Gleich ist die Gräue des Haars, und gleich der Trotz in dem Antlitz,
Gleich der funkelnde Blick, und gleich die Gebärde der Wildheit.

Hin ist geschwunden das Haus; doch nicht ein Haus nur verdient es,
Unterzugehn. Wo die Erde sich ausstreckt, tobt die Erinnys.
Alles rennt, wie verschworen zum Unheil. Alle sogleich denn
Sollen uns, was sie verdient, so will's die Gerechtigkeit, büßen!

Jupiters Rede verstärkt ein Teil durch Worte, die mehr noch
Fachen des Zürnenden Glut, die anderen deuten ihm Beifall.

Deukalion

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Jetzo beschloß der Vater, das frevle Geschlecht zu vertilgen
Unter der Flut, Platzregen vom ganzen Himmel entsendend.
Eilig sperrt er nunmehr in des Äolus Höhlen den Nordwind,
Und was sonst für Hauche den Zug der Gewölke verscheuchen.
Notus allein wird gesandt: und mit triefenden Schwingen entfleucht er,
Sein scheusäliges Haupt pechschwarz in Dunkel gehüllet;
Schwarz von Güssen der Bart; den greisenden Haaren entströmt Flut;
Nebel umlagern die Stirn, ihm taut's von Gefieder und Busen;
Und wie in breiter Hand abhängende Wolken er drückte,
Donnert es; dicht nun stürzen die Regenschauer vom Äther.
Auch die Botin der Juno, mit mancherlei Farben bekleidet,
Iris schöpft nun Gewässer, und reicht den Wolken die Nahrung.
Schon sind die Saaten gestreckt, schon liegen beweint des Bestellers
Wünsch' und Gelübd', und des Jahrs langwieriger Schweiß ist verloren.

Nicht vorn Himmel allein zürnt Jupiter; sondern ihm sendet
Sein blaulockiger Bruder des Meers mithelfende Fluten.
Schnell die Götter der Ströme berufet er. Als sie versammelt
Nun den Palast anfüllten des Königes: Langer Ermahnung,
Sprach er, bedürfen wir nicht. Willfahrt mit aller Gewalt nun!
Solches ist not! Eröffnet die Wohnungen eures Gestrudels,
Räumt die Dämme hinweg, und spornt die entzügelten Ströme!

Jener gebot's, sie kehren zurück, und lösen der Quellen
Mündungen; und mit Getümmel entrollen sie all in die Meerflut.
Selbst nun schwang in die Feste der Gott den gewaltigen Dreizack;
Und sie erbebt', und spaltet Raum weitbusigen Wassern.
Über die Bord' entstürzen durch offene Felder die Ströme;
Und mit der Saat Weinbäume zugleich, und das Vieh, und die Männer
Raffen sie, Wohnungen auch, und der Götter geheiligte Kammern.
Wenn ja der Häuser noch eins ausdauerte, und unerschüttert
Trotzte dem Jammergeschick; doch überwallte den Giebel
Höhere Flut, und es wankten im drückenden Strudel die Türme.
Nirgend erschien durch Grenzen das Meer und die Erde gesondert:
Offene See war alles, und flutete sonder Gestad' auf
Einer erklimmt den Hügel voll Angst; der andere rudert
Dort im gebogenen Kahn, wo er jüngst Pflugstiere gelenket.
Über die Saaten hinweg und das eingesunkene Landhaus
Schiffen sie dort und fangen den Fisch in dem Wipfel der Ulme.
Oft, wie es trifft, wird der Anker in grünende Wiesen geheftet,
Oft auch scharrt anstoßend der Kiel an dem unteren Weinberg.
Und wo eben ihr Gras die schmächtigen Ziegen gerupfet,
Lagern jetzt den gedunsenen Leib mißförmige Robben.
Nereus' Töchter erstaunen, die Hain', und die Städt', und die Häuser
Unter den Wellen zu sehn; in dem Bergwald hausen Delphine,
Springen in hohem Gezweig' und stoßen an bebende Eichen.
Schafe durchschwimmet der Wolf; gelbmähnige Löwen und Tiger
Führet die Flut; nichts frommt die Gewalt des Blitzes dem Eber,
Nichts dem enttragenen Hirsche der leichtgehobene Schenkel.
Lange nach Erd' umbiegend, wo auszuruhen vergönnt sei,
Sinkt mit ermatteten Schwingen ins Meer der streifende Vogel.
Über die Höh'n stieg tobend der Tief' unermeßlicher Aufruhr,
Und von befremdender Brandung erscholl das geschlagene Berghaupt.
Meist entrafft das Gewoge die Sterblichen: welcher die Woge
Schonete, diese bezähmt mit dürftiger Nahrung der Hunger.

Zwischen Hämonias Flur und der attischen breitet sich Phokis,
Ehmals fruchtbares Land, da es Land war; aber anjetzo
Meer, und ein breites Gefilde der schnell einbrechenden Wasser.
Siehe, da klimmt zu den Sternen ein Berg mit doppeltem Gipfel.
Schroff, Parnassus genannt, und überschauet die Wolken.
Als Deukalion hier (denn das übrige deckte die Meerflut)
Samt dem vermähleten Weib anhaftete, fahrend im Schifflein;
Flehn den korycischen Nymphen sie beid' und den Mächten des Berges,
Themis auch, der erhabnen Verkündigerin am Orakel.
Nie war besser gesinnt, noch mehr auf Billigkeit achtend,
Irgendein Mann, nie frömmer ein Weib in Verehrung der Götter.
Jupiter, der weitsumpfend den überschwemmeten Erdkreis,
Und nur überig sah von so viel Tausenden einen,
Und nur überig sah von so viel Tausenden eine:
Ganz unsträflich sie beid', und beid' Anbeter der Gottheit,
Trieb die zerstreuten Gewölk', und, die regnenden Lüfte mit Nordwind
Reinigend, zeigt er dem Himmel die Erd', und der Erde den Himmel.

Ausgezürnt hat endlich das Meer. Hinlegend den Dreizack,
Sänftigt der Herrscher die Wog'; und ihn, der empor aus dem Abgrund
Ragte, die Schulter bedeckt mit angewachsenen Muscheln,
Ruft er, den bläulichen Triton, heran; und die Schneckendrommete
Heißt er ihn füllen mit Hauch, und zurück durch lautes Geschmetter
Brandungen rufen und Ström'. Er faßt das gehöhlete Meerhorn,
Welches gedreht in die Breit' anwächst von der untersten Windung:
Welches Horn, wann Atem auch mitten im Meer es empfangen,
Alle Gestad' umhallt vom Niedergang bis zum Aufgang.
Jetzt auch, sobald es den Mund im triefenden Taue des Bartes
Rührte dem Gott, und gehaucht ausrief den befohlenen Rückzug,
Ward es von allem Gewässer der Land' und der Meere gehöret;
Und so weit das Gewässer es hörete, ward es gebändigt.

Schon hat Ufer das Meer; voll wallen die Ström' in den Betten;
Niedriger rollen die Bäche; hervor gehn sichtbar die Hügel;
Mählich steigt das Gefild', und wächst aus versiegenden Wassern;
Und nach daurender Frist hebt endlich der Wald die entblößten
Wipfel empor, und zeigt nachbleibenden Schlamm auf den Blättern.
Hergestellt war die Erde. Doch jetzt die Leere betrachtend,
Und wie in Totenstille der Welt Einöde verstummt war,
Sprach Deukalion so mit quellender Träne zu Pyrrha:

O du, Schwester und Weib, du einzige jetzo der Frauen,
Welche gemeinsamer Stamm mir erst, und vervetterte Sippschaft,
Dann das Lager verband, nun selbst die Gefahr mir verbindet!
Rings in den Landen der Welt, die der Morgen bestrahlt und der Abend,
Sind wir beide das Volk; das übrige raubte die Meerflut!
Nicht ist auch noch jetzo die Sicherheit unseres Lebens
Völlig gewiß; uns schrecken hinfort noch Wolken die Seele.
Was, wenn ohne den Gatten verschont dich hätte das Schicksal,
Was, Unglückliche, wäre dein Mut? Wie könntest du einsam
Dann ertragen die Angst? durch wessen Tröstung den Kummer?
Denn ich (glaube mir das), wenn dich auch hätte der Abgrund,
Folgete dir, o Gattin, und mich auch hätte der Abgrund!
Könnt' ich doch die Völker der Welt durch Künste des Vaters
Wieder erneu'n, mit Seelen gebildete Erde belebend!
Wir nun sind, wir beide, der Rest des Menschengeschlechtes,
(Also gefiel's dort oben!) und Beispiel' unserer Gattung!

Jener sprach's; sie weinten. Der Schluß war jetzo, die Gottheit
Anzuflehn, und Hilfe durch heilige Lose zu suchen.
Ohne Verzug nahn beide sofort den cephisischen Wassern,
Noch nicht lautere Bäche, doch schon bekannte, durchwatend.
Als sie nunmehr dem Sprudel entschöpfete Taue gesprenget
Auf die Gewand' und das Haupt; zum Tempel der heiligen Göttin
Wenden sie jetzo den Schritt: dem oben das Dach in des Mooses
Schändendem Wuste sich barg, und glutlos jeder Altar stand.
Dann den geweiheten Stufen genaht, sank nieder aufs Antlitz
Mann und Weib, und küßte das kalte Gestein mit Erzittern.
Und: Wenn billigem Flehn, so sagten sie, himmlische Mächte
Freundlich erweichen ihr Herz, wenn Zorn der Götter gebeugt wird;
Sag', o Themis, wodurch der Verlust der Sterblichen heilbar
Sei, und rette die Welt, o du Gütige, nun aus der Sintflut!

Aber die Göttin, gerührt, antwortete: Weicht aus dem Tempel;
Hüllt euch beide das Haupt, und löst die gegürteten Kleider;
Werft sodann die Gebeine der großen Erzeugerin rückwärts.

Lange stauneten sie; nun brach die schweigende Stille
Pyrrha zuerst, und versagte dem Götterspruche Gehorsam;
Und um Verzeihung bittet ihr ängstlicher Mund, wenn sie schaudre,
Durch zerstreutes Gebein der Erzeugerin Schatten zu kränken.

Beide durchdenken indes die in wirrendes Dunkel gehüllten
Worte des göttlichen Spruchs, und erwägen sie wohl miteinander.
Dann zur Epimethide begann der Sohn des Prometheus
Also mit sanfterem Laut: Entweder uns täuscht die Besinnung,
Oder Frömmigkeit will, nicht Freveltat, das Orakel.
Zeugerin ist ja die Erd', und die Stein' in dem Leibe der Erde
Sind, wie mir deucht, das Gebein: dies sollen wir hinter uns werfen.

Ihres Gemahls Auslegung vernahm zwar froh die Titanin,
Nur war in Zweifel die Hoffnung: so sehr mißtrauen sie beide
Noch dem Göttergebot. Doch harmlos wird der Versuch sein.

Talwärts gehn sie, verhüllen das Haupt, und entgürten die Kleider,
Heben gebotene Stein', und werfen sie hinter den Rücken.
Alles Gestein (wer glaubt' es, wofern nicht zeugte die Vorwelt?)
Legte die Härt' allmählich nun ab, und die trotzende Starrheit,
Schmeidigte mehr sich und mehr, und geschmeidiger nahm es Gestalt an.
Bald, als wachsend es schwoll, und mild schon seine Natur sich
Äußerte, schien es beinah, wie einige, noch unenthüllte
Menschengestalt; doch so, wie von angehauenem Marmor,
Nicht vollendet genug, und roheren Bildnissen ähnlich.
Welcher Teil des Gesteins mit etwas Safte gefeuchtet
War, und der Erde verwandt, der gab dem Leibe die Glieder;
Festeres, was unbiegsamer starrt, wird in Knochen verwandelt;
Was als Ader erschien, das bleibt gleichnamige Ader.
Und nur wenige Frist, so gewann durch Gnade der Götter
Alles Gestein, das der Mann aussendete, männliche Bildung,
Und dem Wurfe des Weibes entblühete weibliche Schönheit.
Drum sind wir ein hartes Geschlecht, ausdauernd zur Arbeit;
Und wir geben Beweise, woher wir zogen den Ursprung.

Daphne

Inhaltsverzeichnis

Phöbus liebte zuerst die peneïsche Daphne: wofür nicht
Blindes Geschick ihn entflammt, nein wütender Zorn des Kupido.
Delios schaut' ihn neulich, noch stolz von der Schlange Besiegung,
Als er das schnellende Horn einbog mit gestrengeter Senne;
Und: Was soll, mutwilliger Knab', ein so tapfres Gerät dir?
Spottet' er: das zu tragen geziemt nur unseren Schultern,
Die wir scharf das Gewild und scharf die Feinde verwunden!
Die wir ihn, der Hufen mit gräßlichem Bauche belastet,
Jüngst mit unzählbaren Pfeilen gestreckt, den geschwollenen Python!
Wenn dein Fackelchen dir, ich weiß nicht, welcherlei Liebe
Aufreizt, sei du vergnügt, ohn' unseren Ruhm zu begehren!

Drauf der Cypria Sohn: Und trifft dein Bogen, o Phöbus,
Alles; der meinige dich! So weit dir alles, was lebet,
Nachsteht, ebensoweit verschwindet dein Ruhm vor dem unsern!

Amor sprach's; und die Luft mit geschwungenen Fittichen schlagend,
Kam er in Eil', und stand auf dem schattigen Haupt des Parnassus.
Und er enthob zween Pfeile dem schmerzbeladenen Köcher,
Beide verschiedener Kraft: der scheucht, und jener erregt Glut.
Der sie erregt, ist golden, und blinkt mit spitziger Schärfe;
Der sie verscheucht, ist stumpf, und enthält Blei unter dem Rohre.
Diesen entsandte der Gott der peneïschen Nymphe; doch jenen
Schnellet' er durch die Gebein' in das innerste Mark dem Apollo.
Stracks ist einer verliebt; und den Liebenden meidet die andre,
Nur an Gehölz, und an Jagd, und an prangender Beute des Wildes,
Labend ihr Herz, nacheifernd der stets unbräutlichen Phöbe.
Jüngferlich fesselt ein Band die gesetzlos hängenden Haare.
Viel zwar warben um jene; doch sie, den Werbenden abhold,
Flüchtig und scheu vor dem Manne, durchstreift Einöden der Wälder;
Und nicht Hymen noch Amor bekümmert sie, noch die Vermählung.
Oftmal sagte der Vater: Gewähre mir, Tochter, den Eidam!
Oftmal sagte der Vater: Mein Kind, gewähre mir Enkel!
Jene, die gleich dem Verbrechen die ehliche Fackel verabscheut,
Färbt ihr schönes Gesicht mit schamhaft glühender Röte;
Und um den Hals dem Vater die schmeichelnden Arme geschlungen:
Gib mir, sprach sie, beständig, Geliebtester unter den Vätern,
Mädchen zu sein! Dies gab ihr Vater vordem der Diana!

Zwar willfährt dir jener; doch hemmt dir, Mädchen, die Anmut
Deinen Wunsch, und es strebt dem Gelübd' entgegen die Schönheit.

Phöbus liebt, und begehrt der gesehenen Daphne Vereinung;
Was er begehrt, das hofft er; ihn täuscht sein eignes Orakel.
Wie nach genommener Ähre die nichtige Stoppel verbrannt wird;
Wie von der Fackel der Zaun aufflammt, die der Wanderer sorglos
Näherte, oder vielleicht in dämmernder Frühe hinwegwarf:
Also entbrannt' in Flamme der Gott; durch Mark und Gebeine
Lodert er auf, und nährt unfruchtbare Liebe mit Hoffnung.

Kunstlos schaut er das Haar um den Hals ihr schweben: O was erst,
Rufet er, wär' es gelockt! Er sieht, voll strahlenden Feuers,
Äugelein, hell wie Gestirn; er sieht das rosige Mündlein,
Was nicht genüget zu sehn; er lobt die Finger und Hände,
Lobt die gerundeten Arm', und die halb vorscheinende Achsel.
Besser scheint das Verborgene noch. Sie entflieht, wie des Windes
Hauche dahin, nicht achtend des Flehenden, der sie zurückruft:

Bleib, peneïsche Göttin, o bleib! nicht feindlich verfolg' ich!
Göttliche, bleib! So fliehet das Lamm vor dem Wolfe, die Hindin
So vor dem Leun, und die Taube mit zitterndem Flug vor dem Adler;
Jedes dem Feind zu entgehn: mich nötiget Liebe zu folgen.
Wehe mir! falle doch nicht; und die Füß', unwürdig der Kränkung,
Ritze kein Dorn! nicht sei ich dir selbst Ursache des Schmerzes!
Rauh sind dort, wo du eilest, die Gegenden: mäßiger, fleh' ich,
Lauf', und hemme die Flucht; dann mäßiger folg' ich dir selber.
Wem du gefällst, erkundige doch! Nicht haus' ich in Berghöhn,
Nicht hier schalt' ich als Hirt, nicht weidende Rinder und Schafe
Hüt' ich in wüster Gestalt! Nicht weißt du es, Törin, du weißt nicht,
Welchen du fliehst: das macht dich entfliehn! Mir huldiget Delphos,
Klaros und Tenedos mir, und die pataräische Hauptstadt!
Jupiter zeugete mich! Was war, was ist, und was sein wird,
Weissag' ich, und heiße das Lied einstimmen den Saiten!
Treffend ist unser Geschoß; nur war ein einziger Pfeil noch
Treffender, welcher die Wund' in das ruhige Herz mir gebohret!
Ich erfand die heilende Kunst; Heilbringer und Retter
Nennt mich die Welt; und die Kraft der Genesungskräuter gehorcht mir!
Ach, kein linderndes Kraut erwächst für die Gluten der Liebe,
Und nichts frommt dem Besitzer die Kunst, die allen umher frommt!

Mehreres strebt' er zu reden; da ängstlichen Laufs die Penidin
Floh, und mit jenem verließ die unvollendeten Worte.
Hold erschien sie auch jetzt; es enthülleten Winde die Glieder,
Vor dem begegnenden Hauch entflatterten ihre Gewande,
Und ihr wallte das Haar rückwärts in dem leisen Gesäusel.
Eile vermehrte den Reiz. Nicht trug's der unsterbliche Jüngling,
Daß er noch länger umsonst liebkosete; sondern wie Amor
Antrieb, folgt' er den Spuren mit angestrengterem Schritte.
Wie wenn der gallische Hund im freieren Felde den Hasen
Sah, und jener um Raub sich beschleuniget, dieser um Rettung;
Immer erscheint anhaftend der Hund, nun, nun zu erhaschen
Hofft er, und streitet die Spur mit weit vorragendem Maule;
Jener dünkt sich beinah ein Gefangener, aber er reißt sich
Selbst aus den Bissen hinweg, und verläßt den berührenden Rachen:
Also der Gott und das Weib, die vor Angst hinstürmen und Sehnsucht.
Doch der Verfolgende rennt, wie mit Amors Fittichen fliegend,
Schneller daher, und versaget ihr Ruh; schon nahe dem Rücken
Hängt er, und atmet den Hauch in die fliegenden Haare des Nackens.

Jetzt, nach geschwundener Kraft, erblaßte sie, matt von der Arbeit
Jenes geflügelten Laufs, und schauend die Flut des Peneos:
Rette mich, rief sie, o Vater, wenn Macht euch Ströme beseelet!
Du, wo zu sehr ich gefiel, zerspalte dich unter mir, Erde!
Oder verwandele diese Gestalt, die mir Kränkungen bringet!

Kaum war geendet das Flehn; und gelähmt erstarren die Glieder.
Zarter Bast umwindet die wallende Weiche des Busens;
Grün schon wachsen die Haare zu Laub', und die Arme zu Ästen;
Auch der so flüchtige Fuß klebt jetzt am trägen Gewurzel;
Und ihr umhüllt der Wipfel das Haupt: nur bleibt ihr die Schönheit.
Phöbus liebt auch den Baum; und mit angelegeter Rechte
Fühlet er noch aufheben in junger Rinde den Busen.
Und mit zärtlichen Armen die Äst', als Glieder, umschlingend,
Reicht er Küsse dem Holz; doch entflieht vor den Küssen das Holz auch.

Jetzo sagte der Gott: Da du mein als Gattin nicht sein kannst,
Wenigstens sei als Baum du die Meinige! Immer umwind' uns
Du das Haar, und die Leier, und du den Köcher, o Lorbeer!
Du sei dem latischen Führer gesellt, wann froh der Triumphton
Hallt, und ein langer Zug hochfeierlich zum Kapitol steigt!
Selbst augustischen Pfosten hinfort der treueste Hüter,
Sollst an der Pforte du stehn, die umschlossene Eiche beschützend!
Und, wie jugendlich blüht mein ungeschorenes Haupthaar,
Trag' auch du beständig die dauernde Ehre des Laubes!

Päan endigte so; der jüngst entsprossene Lorbeer
Nickte dazu, und schien wie ein Haupt zu bewegen den Wipfel.

Io

Inhaltsverzeichnis

Einen hämonischen Hain, dem ringsher starret ein Bergwald,
Nennt man tempische Tale: wodurch Peneos, vom untern
Pindus hervorgestürzt, mit schaumigen Wogen einherrollt,
Und in gewaltigem Fall von flüchtigen Dämpfen umwallte
Wolken zusammenzieht, und hoch mit Bespritzung die Wälder
Übertaut, mit Getöse nicht bloß das Nähere müdend.
Hier ist Wohnung und Sitz, hier stehn die Gemächer dem großen
Stromgott: hausend allhier in der felsgewölbeten Grotte,
Gab er den Wogen Gesetz, und dem Nymphengeschlecht in den Wogen.

Dorthin kamen zuerst die versammelten Ströme des Landes,
Zweifelnd, ob Trost sie dem Vater, ob Glückwunsch, brächten um Daphne:
Dort Spercheos in Pappeln, und dort der Stürmer Enipeus,
Greisend Apidanos auch, und sanft Amphrysos und Äas;
Bald auch andere Ströme, die, wo sie das wilde Gelust trug,
Niederlenken ins Meer die der Windungen müden Gewässer.

Inachus fehlet allein. Denn tief in der Grotte verborgen,
Mehrt er mit Tränen die Flut: voll Schmerz, als eine Verlorne,
Klaget er Io, die Tochter. Er weiß nicht, ob sie noch lebe,
Ob bei den Manen sie sei. Doch sie, die er nirgendwo findet,
Scheint ihm nirgend zu sein; und er hegt nur düstere Ahnung.

Jupiter schaute jüngst, wie zurück vom Strome des Vaters
Io ging, und: o Mädchen, die, Jupiters würdig, ich weiß nicht,
Welchen Gemahl beseligen wird, komm, sprach er, zum Schatten
Jenes erhabenen Hains (und er wies den Schatten des Haines),
Während der Glut, die Sol von der Mittagshöhe daherstrahlt.
Wenn du zagest allein in die Lager zu gehn des Gewildes;
Sicher geleitet ein Gott dich tief ins geheimere Dunkel:
Und kein niedriger Gott; nein, der den Zepter des Himmels
Hält in gewaltiger Hand, der schlängelnde Strahlen entsendet.
Fliehe mich nicht! Denn sie floh. Schon Lernas grasige Weiden
Ließ sie zurück, und die Felder des baumbepflanzten Lyrkeos,
Siehe, da hüllte der Gott in umzogene Nacht die Gefilde
Weit umher, und hemmte die Flucht, und beschämte die Jungfrau.

Grad indessen herab auf die Gegenden schauete Juno.
Voll Verwunderung nun, wie aus flüchtigem Nebel gedrängt sei
Dunkele Nacht in der Helle des Tages, erkennet sie deutlich,
Daß kein Fluß das Gedünst, kein sumpfiges Land es gesendet.
Und, wo ihr Ehegenoß sich beschäftige, spähet sie ringsum,
Weil sie die Schliche verstand des oft ertappten Gemahles.
Als sie nirgend im Himmel ihn schauete: Trügt mich nicht alles,
Sprach sie, so werd' ich gekränkt! und im Schwung aus der Höhe des Äthers
Fuhr sie zur Erde hinab, und ein Wort verscheuchte den Nebel.
Ahnend der Gattin Besuch, verwandelte Jupiter plötzlich
Zur hellschimmernden Starke die inachidische Jungfrau.
Auch als Kuh ist jene noch schön. Saturnia lobet,
Ungern zwar, die Gestalt, und fragt, unkundig zum Anschein,
Wessen sie sei, und woher, und zu welcherlei Trift sie gehöre?
Aus der Erde gezeugt! lügt Jupiter, daß die Erkundung
Endige. Schenke sie mir! antwortet Saturnia schmeichelnd.
Was zu tun? Die Geliebte hinwegzuschenken, wie grausam!
Nicht zu verleihn, wie verdächtig! Ihn drängt zuratende Scham hier,
Dort abratende Liebe. Die Scham zwar wiche der Liebe:
Doch würd' ein leichtes Geschenk der Genossin des Stamms und des Lagers,
Eine Kuh, ihr versagt; nicht Kuh dann möchte sie scheinen.

Juno empfing die schöne Verführerin; dennoch entschwand nicht
Ganz ihr die Furcht; sie besorgte von Jupiter heimliche Tücke:
Bis sie Arestors Sohne die Hut vertraute, dem Argos.
Rings war das Haupt dem Argos mit hundert Augen erleuchtet,
Deren zween umeinander die wechselnde Ruhe genossen;
Wachsam spähten indes die übrigen, haltend die Obhut.
Wie er auch immer sich stellt', er schauete immer auf Io;
Und vor den Augen erschien, auch selbst dem Gewendeten, Io.
Weiden läßt er sie tags; doch sinkt die Sonne vom Himmel,
Schließt er sie ein, und fügt unwürdige Band' um den Nacken.
Sprossen des Erdbeerbaums und bittere Kräuter genießt sie;
Statt der schwellenden Lager, ein oft nicht grasiger Boden,
Dient der Armen zur Ruh'; und sie trinkt aus schlammigen Bächen.
Wann sie flehend die Händ' emporzustrecken zum Argos
Trachtete, hatte sie nicht emporzustreckende Hände;
Und wann Klagen ihr Mund anstimmete, scholl ein Gebrüll auf;
Und sie erschrak dem Getön, vor dem eigenen Laute sich fürchtend.

Jetzo kam sie zum Ufer, wo oft zu spielen sie pflegte,
Zum inachischen Ufer: sobald in der Flut sie die neuen
Hörner gesehn, da erschrak sie, und zuckte bestürzt vor sich selber.
Keine Najad' erkennt, nicht Inachus selber erkennt sie;
Dennoch folgt dem Vater sie nach, und folget den Schwestern,
Läßt sich auch gern anfühlen, und kommt den bewundernden näher.
Inachus reicht ihr gerupfetes Gras, der altende Stromgott;
Jene leckt ihn am Knöchel, und küßt die Hände des Vaters.
Kaum auch hält sie die Trän', und wenn die Worte nur folgten,
Ach, so flehte sie Hilf', und meldete Namen und Schicksal.
Aber ein sprechender Zug, den der Fuß im Staube gezeichnet,
Gab die traurige Kunde des umgewandelten Leibes.

Weh mir Armen, o weh! ruft Inachus; und an den Hörnern
Hangend der seufzenden Kuh, ihr den schneeigen Nacken umschlingend:
Weh mir! erneut er den Ruf. Bist du's, die in allen Gefilden,
Trautes Kind, ich gesucht? O du Nichtgefundene warst mir
Weniger Gram, denn entdeckt! Du schweigst, und versagest die Antwort
Unserem Wort; nur Seufzer, gepreßt aus der Tiefe des Herzens,
Gibst du, und, was du vermagst, dem Redenden brummst du entgegen!
Ich Unwissender sorgte für Hochzeitkammer und Brautkien,
Hoffend von dir den Eidam zuerst, dann blühende Enkel!
Jetzt von der Herd' ist ein Mann, von der Herd' ein Geschlecht dir beschieden?
Auch nicht endigen darf ich durch Tod mein Leiden; zum Unheil
Bin ich unsterblicher Gott! die verschlossene Pforte des Todes
Dehnt von Ewigkeit uns zu Ewigkeit dauernden Jammer!

So wehklaget der Greis; da entfernt ihn der funkelnde Argos,
Reißt von dem Vater sein Kind, und hinweg in entlegene Weiden
Schleppt er sie. Selber sodann abwärts auf ragendem Berghaupt
Wählt er den Ort, wo er sitzend die Gegenden alle durchspähet.

Jupiter, der nicht länger die Qual der phoronischen Jungfrau
Duldete, rief nun den Sohn, den ihm die helle Plejade
Einst gebar, und befahl, durch Mord zu vertilgen den Argos.
Ohne Verzug ist die Fers' ihm gefittichet, und in der Rechten
Sein schlafbringender Stab, und der schirmende Hut um die Haare.
Als er solches vollbracht, sprang Jupiters Sohn von des Vaters
Burg zu der Erde hinab. Dort legt' er den schirmenden Hut ab,
Auch die Flügel entfernt' er, und trug nur den Stab in den Händen.
Hiermit treibt er als Hirt durch wildernde Fluren die Ziegen,
Die er im Kommen geraubt, und bläst die geordneten Halme.

Zauberisch klang das neue Getön dem Junonischen Hüter:
Wer du auch seist, rief Argos, du könntest mit mir auf dem Felsen
Wohl ein weniges ruhn; denn üppiger wächst für die Herde
Nirgend das Gras; und den Hirten erfreut, wie du siehst, die Umschattung.

Neben ihm saß der atlantische Gott; durch mancherlei Reden
Hielt er den gehenden Tag; und die wohlvereinigten Rohre
Blasend, versucht er in Schlaf die bewachenden Augen zu tönen.
Jener sträubt sich indes dem sanfteinwiegenden Schlummer,
Und, wenn schon in Betäubung ein Teil der Augen dahinsank,
Wacht doch der andere Teil. Auch fraget er, denn die Syringe
War erst neulich entdeckt, auf welcherlei Art sie entdeckt sei.

Drauf erzählte der Gott: In Arkadiens kalten Gebirgen
War die berühmteste einst der nonakrischen Hamadryaden
Eine Najad' an Gestalt; die anderen nannten sie Syrinx.
Oft vereitelte sie nachstellender Satyre Hoffnung,
Und was sonst für Götter im schattigen Wald und im Fruchtfeld
Wohnen. Sie dienete treu der ortygischen Göttin mit Jagdlust
Und jungfräulichem Sinn. Auch geschürzt nach der Weise Dianas,
Täuschte sie leicht, und gölte sogar für Latonia, wenn nicht
Diese von Horn ein Geschoß, nicht jen' ein goldenes trüge.
So auch täuschte sie noch. Als einst vom Lykäus sie heimging,
Schauet sie Pan, und das Haupt mit stachlichter Fichte gegürtet,
Redet er. – Überig war, die geredeten Worte zu melden;
Und wie verachtend die Nymph' unwegsame Wüsten hindurchfloh,
Bis zum ruhigen Strom des sandigen Ladon sie endlich
Flüchtete, und, als dort ihr den Lauf abschnitten die Wasser,
Um Verwandelung bat die lauteren Schwesternajaden;
Und wie Pan, da er eben gehascht nun glaubte die Syrinx,
Statt der blühenden Nymphe das Rohr umarmte des Sumpfes;
Und, weil seufzend er stand, wie die wallenden Wind' in dem Rohre
Leises Geflüster erregt, der lispelnden Klage nicht ungleich;
Dann wie der Gott im Entzücken der neuerfundenen Tonkunst:
Diese Vereinigung soll mit dir mir bleiben! gesaget,
Und wie so, durch bindendes Wachs abstufende Rohre,
Wohl aneinander gereiht, des Mägdeleins Namen behielten.
Solches zu melden bereit, sah schon der Cyllenier sämtlich
Hingesunken die Augen, und tief umschattet von Schlummer.
Plötzlich hemmt er die Stimm', und kräftiger jene Betäubung,
Sanft mit zaubrischem Stabe die schmachtenden Augen berührend.
Rasch den Nickenden haut er mit sichelförmigem Säbel,
Dort wo dem Hals angrenzet das Haupt; und den Blutenden stürzt er
Nieder vom Fels, und rötet die zackige Klippe hinunter.

Argos, du ruhst, und das Licht, das so vielfach leuchtend dir strahlte,
Ward gelöscht; und zugleich die hundert Augen umhüllt Nacht.
Aber sie nimmt, und verschont dem Lieblingsvogel die Federn,
Juno, den Schweif anfüllend mit farbiger Steine Gefunkel.

Schleunig entbrannt' ihr das Herz, und sie eilte den Zorn zu vollenden.
Schweben vor Augen und Geist die Schreckengestalt der Erinnys
Hieß sie dem Mädchen von Argos, und drängt ihr Stacheln des Wahnsinns
Tief in die Brust, und scheuchte sie wild durch die Lande der Welt hin.
Du warst übrig zuletzt dem unendlichen Leiden, o Nilus.
Als sie auch diesen berührt', und matt an dem Borde des Ufers
Sank, die Kniee gebeugt, und, rückwärts hebend den Nacken,
Was allein sie vermochte, das Antlitz streckte zum Himmel,
Und mit Geseufz und Tränen und dumpf aufbrummender Wehmut
Jupiters Härt' anklagt', und ein End' erflehte des Jammers;
Jetzo seiner Gemahlin den Hals mit den Armen umschlingend,
Bittet er, daß sie die Strafe doch endige: Und für die Zukunft,
Saget er, zähme die Furcht: nie wird Ursache des Schmerzes
Jene dir sein; dies höre die Flut des stygischen Sumpfes!

Völlig gesühnt ist die Göttin; da kehrt in die vorige Bildung
Io, und wird, was sie war. Es entfliehn von dem Leibe die Zotten;
Mählich verwächst das Gehörn; dem Auge wird enger die Rundung;
Menschlicher zieht sich der Rachen; verjüngt blühn Schultern und Hände;
Und es zerspaltet die Klau' in fünf auslaufende Zehen.
Nichts von der Kuh ist übrig an ihr, die weiße Gestalt nur.
O wie vergnügt die Nymphe mit zwei aufstrebenden Füßen
Jetzo sich hebt, doch zu reden noch zagt, daß Rindergebrüll nicht
Schalle: vor Furcht abbrechend das Wort, und wieder versuchend!
Hoch nun prangt sie als Göttin im Volk leintragender Männer.

Zweites Buch

Inhaltsverzeichnis

Phaeton

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