Chriz Wagner

DIE EWIGEN

Stimmen aus der Zukunft

Folge 7

Für meine liebe Familie,

weil ihr immer bei mir seid, egal wo ich bin …

Thyri und Simon sind unsterblich.

Auf ihrer Reise durch die Jahrtausende verloren sie sich aus den Augen. Ihre Geschichten führen uns vorbei an mystischen Orten und magischen Begebenheiten auf der Suche nach dem Grund für ihr ewiges Leben.

Mein Name ist Simon.

Ich lebe ewig.

Solange ich zurückdenken kann, bin ich auf der Erde.

Ich habe außergewöhnliche Dinge gelernt, auf der Suche nach einer

Antwort auf die Frage:

Wer bin ich?

Ich kann nicht sterben. Ich darf nicht lieben.

Ich bin Simon.

Stimmen aus der Zukunft

I

Irgendwo in Kanada im Jahr 1971

Guten Morgen, ihr Murmeltiere und Frühaufsteher. Willkommen auf 89 City-FM – wo die Hits zuhause sind. Heute ist der 18. September 1971 und es ist verdammt kühl da draußen. Aber nun heize ich euch ein. Mein Name ist George Nolan und die nächsten zwei Stunden verbringen wir gemeinsam in der Beatbox. Wie immer habe ich die neuesten Kassenschlager aus dem Plattenschrank gezogen, aber auch ein paar Klassiker zum Tanzen und zum Kuscheln.

Den Anfang machen wir mit einem brandneuen Song, einer bezaubernden Ode an die Menschheit. Niemand Geringerer als Mister John Lennon persönlich hat ihn für uns aufgenommen. Und ich prophezeie: Dieser wundervolle Ohrwurm hat das Zeug dazu, ein ganz großer Hit zu werden.

Lasst alles stehen und liegen. Setzt euch, dreht den Empfänger lauter und schließt die Augen. Denn hier kommt die erste Singleauskopplung aus dem gleichnamigen Album – brandneu aus dem Äther und direkt zu euch in die Stube: John Lennon mit seinem Song Imagine.

Und das Radio spielt Imagine von John Lennon. –

Ich legte beide Arme gemütlich auf den Lehnen meines Sessels ab und ließ den Körper nach hinten fallen. Ich spürte, wie das Leder angenehm warm wurde und schwenkte den Blick über mein weißes Bücherregal, vollgestopft mit allerlei Klassikern. Und da war noch etwas. Etwas Unheimliches. Abscheuliches. Ein hinterhältiger, dunkler Fleck im glänzenden Regal. Nur das wollte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wahrhaben.

Ich schloss die Augen und lauschte den rhythmischen Klängen des Pianos. Von Anfang an mochte ich das Lied. Und als der ehemalige Beatle die erste Zeile sang, hatte ich mich restlos darin verloren. Auch ich hatte mir vorgestellt, die Welt könnte anders sein. Stell dir vor: keine Spielregeln, keine Zeit, kein Tod. Ein fürchterlicher Irrglaube. Eine halbe Ewigkeit war ich auf der Suche nach Menschen gewesen, die ebenso lange lebten wie ich. Ich wollte endlich einen Sinn hinter alldem entdecken. Aber das Einzige, was ich fand, waren noch mehr Mysterien, dunkle Geheimnisse, Machenschaften des Schicksals.

Nur diesmal trieb ich es auf die Spitze. Den Tod austricksen – das war mein Plan gewesen. Ein bitterböser Fehler. Ich hatte nicht wahrhaben wollen, dass ich in der Unendlichkeit gefangen war.

Der Herbstmorgen blies angenehm kühle Luft durch das gekippte Fenster in meinen Nacken. Und dennoch lief mir ein kalter Schauer über den Rücken.

Stell dir vor, es gäbe keinen Tod. Alle, die du liebst, könnten auf ewig mit dir zusammen sein. Bei dem Gedanken wurde mir schlecht. Und ich kämpfte darum, die Augenlider geschlossen zu halten.

Meine Erinnerungen kletterten hinab in eine bittere Vergangenheit. Ein paar Jahre nur. 1966. Schlimm genug. Und auch wenn mein Bewusstsein unerbittlich dagegen ankämpfte, ließ ich es geschehen. Tränen schossen in meine Augen. Ich merkte, wie sich mein Gesicht vor Schmerzen verzog. Aber ich wusste auch: Der Zeitpunkt, sich mit den Geschehnissen auseinanderzusetzen, war da. Heute. Jetzt.

Dann spielte das Radio die letzten Takte des Songs. Und ich ertappte mich dabei, froh zu sein, die Vorstellung an eine perfekte Welt nicht mehr ertragen zu müssen. Den Grund erzählt die folgende Geschichte …