Die vermögende Amerikanerin Dora Bernstein und ihr fünfzigjähriger Sohn Ben besuchen Iași. Eine junge Frau, Suzy, zeigt ihnen die Sehenswürdigkeiten der Stadt. Wenig später macht Ben ihr einen Antrag. Sie heiraten, doch statt in Washington Partys zu feiern, fängt Suzy an, sich für die Geschichte ihrer neuen Familie und die ihrer alten Heimat genauer zu interessieren.

Dabei stößt sie auf ein Mädchen, das im Herbst 1947 im Alter von 17 Jahren nach Wien gekommen ist. Als Einzige einer angesehenen und wohlhabenden Familie ist es ihr gelungen, das Pogrom in ihrer Heimatstadt Iași im Nordosten Rumäniens, die Deportationen und den Holocaust zu überleben. Im Wiener Rothschild- Spital findet sie Unterschlupf und erweist sich als geschickte Schneiderin. Dort trifft sie einen GI, der beginnt, ihr den Hof zu machen.

 

Zsolnay E-Book

Cãtãlin Mihuleac

 

OXENBERG & BERNSTEIN

 

Roman

 

Aus dem Rumänischen von Ernest Wichner

 

 

 

 

 

Paul Zsolnay Verlag

 

 

 

In Erinnerung an die Opfer des Pogroms vom Juni 1941 in Iași, verbunden mit der Hoffnung, dass, wer durch diese Seiten wandert, an den damals stattgefundenen Schrecken denkt und alles in seiner Macht Stehende unternimmt, damit sich solch ein Geschehen niemals wiederholt.

 

Suzy Bernstein & Cătălin Mihuleac

PROLOG

Amerika reinigt. Amerika faltet zusammen. Amerika verpackt. Amerika spendet. Wohltätige Organisationen warten auf die Gaben. Das Rote Kreuz, die Heilsarmee, Planet Aid, Goodwill. Was sie einsammeln, erdrückt sie beinahe. Sie übernehmen, was sie von den amerikanischen Bürgern kriegen. Sie laden die Container voll und verkaufen es weiter. Es gibt Wohltätigkeitsgesellschaften, denen geht es allein um den Dollar. Seit dem Jahr 2000 arbeiten sie auch mit der kleinen Firma meiner Familie Bernstein Vintage Ltd. zusammen.

Für ihre Sozialprogramme benötigen sie Geld. Für die Alkoholiker, die homeless, die ehemaligen Strafgefangenen, für die Kriegsveteranen. Zu deren Gunsten wird Geld gesammelt. Amerika bemüht sich, sie zu rehabilitieren und wieder zu integrieren. Das kostet pro Person etwa 40.000 Dollar. Das ist viel Geld, kein Spaß. Und selbst dann kann niemand dafür die Hand ins Feuer legen, dass das Programm erfolgreich verläuft. Aber versucht wird es.

Wir führen streng Buch. Haben große Register, Bücher mit Quittungen, Bestandslisten und Verzeichnisse. Haben Ablagen. Alles wird schwarz auf weiß festgehalten. Wir kaufen monatlich fünfzig bis sechzig Container mit gespendeter Ware. 45 spanischsprachige Angestellte wissen vor Arbeit nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht. Sie entladen, sortieren, packen in Kisten. Fünfzig Stunden die Woche. Sie arbeiten, arbeiten, arbeiten. Währenddessen pfeifen und singen sie. Wir erlauben es ihnen, wir sind human. Nicht wie der Antisemit Henry Ford, der Ahnherr der Automobilindustrie. Er hat seinen Arbeitern nicht erlaubt, zu pfeifen und zu singen.

Wir sortieren die Ware. Kleidung zu Kleidung, Schuhe zu den Schuhen. Die Samsonite-Koffer und die Nichtsamsonite-Koffer finden ihre Paare. Elektronik, Bücher, Vinylplatten. Sessel, Gabeln, Gemälde, Möbelstücke, Skier, Krücken, Rollstühle und Fahrräder. Was es auch immer sei. Die Vintage-Ware wandert in eine besondere Abteilung. Die Vintage-Ware ist der Star. Ihr gebührt die Business Class.

Von hier aus reisen die Kleider und die anderen Gegenstände weiter. Die Säcke werden in Container verladen, um sich auf den Weg zu den Second-hand-Kunden zu machen. Ein Container fasst zehn Tonnen. Die Kunden befinden sich in Lateinamerika, in Afrika und in Asien. In West-, aber insbesondere in Osteuropa. Jeder Weiler mit seinen eigenen Bräuchen. In Holland will man die alten Vinylplatten haben sowie alles, was sehr amerikanisch ist. Angefangen mit Levi’s Jeans. Japan will nur Vintage-Ware. Die Japaner sind süß, so süß, wie sie eben sein können als Japaner. Länder wie Rumänien bestehen darauf, dass aus den USA stammende Waren ausgeräuchert werden. Die armen Schlucker sind rührend. Rumänien fürchtet sich vor amerikanischen Furunkeln. Wir bringen das Zeug zu einer auf Ausräucherungen spezialisierten Firma. Vorsicht, die Containerklappen werden geöffnet! Ein paar Gastabletten werden hineingeworfen. Sie explodieren ohne sonderliche Wirkungskraft. Vorsicht, die Klappen werden geschlossen! Für 24 Stunden. Dann werden sie wieder geöffnet. Für weitere 24 Stunden. Und wieder geschlossen. Wir bringen ein Siegel an, und basta. Die Ware ist desinfiziert und insektenfrei. Haben die Katze am Schwanz gezogen.

Der Amerikaner spendet, weil er ein gutes Herz hat. Und weil ihm dafür jährlich fünfhundert Dollar Steuerermäßigung gewährt werden. Der Amerikaner kauft, hat aber keinen Platz mehr in den Regalen. Er muss Sachen wegwerfen, um noch mehr kaufen zu können. Er schaut in den Schrank und sagt fuck. Was für ein boring Pullover. Und dieses Kleid, was will es uns sagen? Ob es noch von der früheren Frau hier hängt? Frauen hinterlassen Spuren. Zu Goodwill oder zum Roten Kreuz damit.

Alkoholiker, Drogensüchtige, homeless, Kriegsveteranen. Hängen auf der Straße herum und warten darauf, dass man sie wieder integriert. Ohne Firmen wie unsere könnten sie lange darauf warten. Ich sage zu meinen Kindern: Seid nett zum Drogenabhängigen, zum Veteranen und dem homeless. Sie ernähren uns. Sie haben uns die Autos gekauft. Die Drogenabhängigen und die homeless zahlen für unseren Lexus. Sie bezahlen unseren Urlaub in Europa. Sie werden eure Uni-Gebühren tragen. Ohne sie hätten wir ein schweres Leben. Wie sie.

Hin und wieder gehen wir hinaus auf die Straße und mischen uns unter sie. Bringen ihnen Kleidung und Zigaretten. Über Bens Schreibtisch hängt ein gerahmtes Foto. Ein homeless dankt ihm für die erhaltenen Kleider. Er hat einen Fes auf dem Kopf und im Mund eine Zigarette. Ben lächelt charmant in die Kamera. Ben ist mein Mann. Er hätte auch der Mann einer anderen Frau sein können. Aber er ist mein Mann. Ich werde erzählen, wie das gekommen ist. Ich werde ganz gemächlich loslegen.

Amerika stiftet. Wenn dem nicht so wäre, würde dieses Buch nicht geschrieben werden.

 

Warum habe ich Cãtãlin Mihuleac dazu bestimmt, diesen Zeilen eine einigermaßen literarische Form zu verleihen? Weil er als Einziger auf der Liste der rumänischen Schriftsteller, die mir zur Verfügung gestellt wurde, bereit war, ohne die Vermittlung eines Literaturagenten mit mir zu sprechen. Ehrlich gesagt, glaube ich ja gar nicht, dass er es sich leisten kann, einen Literaturagenten zu bezahlen. Aber das ist schon ein anderes Paar Schuh. An ihm habe ich noch geschätzt, dass er keinen Bauch hat. Auf den nun folgenden Seiten werden Sie sehen, warum ich kein Vertrauen in einen dickbäuchigen Künstler haben kann. Er hatte eine zweifache Aufgabe. Zuerst einmal musste er die von mir geschriebenen Seiten einigermaßen ziselieren. Ohne ihnen den buchhalterischen Stil auszutreiben, der für mich steht. Und zum Zweiten hatte er meine Geschichte so mit einer anderen Geschichte zu verflechten, dass die Spannung des Buches erhalten bleibt. Jene andere Geschichte habe ich als fertige Geschichte geschenkt bekommen, Sie werden sehen, wann und wie. Schließlich habe ich ihm erlaubt, das Werk mit seinem Namen zu versehen. Damit er sein Ego befriedigen kann, gewiss, in seiner Zunft, aber auch zu meinem Schutz. Ich mag, in einem Dschungel, den ich nicht kenne, kein Risiko eingehen.

Es versteht sich von selbst, dass ich nicht wissen kann, in welchem Maße sich mein auserwählter Literat seiner Pflicht entledigt hat. Ich weiß nicht einmal, inwieweit mein Roman catchy ist. Ich gestehe, dass es zwischen mir und dem Autor Momente solcher Angespanntheit gegeben hat, dass vereinzelt auch Vorwürfe und Kündigungsdrohungen geäußert wurden. Auch hat es etliche schwerwiegende Wortwechsel gegeben, die ich nunmehr stillschweigend auf sich beruhen lassen will. Ich betrachte die Dinge aus dem Blickwinkel der Geschäftsfrau und will gerne glauben, dass die zwischen uns entstandene Spannung konstruktiv war und beiden Seiten zum Besten ausgeschlagen ist.

Ich beschließe diese Vorbemerkung nicht, ohne Ihnen meinen intimsten Wunsch mitgeteilt zu haben. Meine Hoffnung, dass ich nach der Lektüre dieser Seiten zu Ihren Seelenfreundinnen zähle.

 

Suzy Bernstein

Washington, D.C.

ERSTER TEIL

Bernstein ist ein gelber Edelstein

 

Jacques Oxenberg, der Gynäkologe mit den Beethoven-Fingern