Buchcover

Tulla Hagström

Das Jahr mit meinem Pony

SAGA Egmont




Tulla Hagström sagt über ihr erstes Pony: „Am liebsten würde ich Strolch für immer behalten, immer für ihn da sein und vor allem Bösen beschützen. Aber er gehört mir nicht mehr. Ich bin zu groß für ihn.


Vielleicht werde ich irgendwann wieder ein Pferd besitzen. Vielleicht werde ich noch einmal diese besondere Freundschaft zwischen Pferd und Reiter erleben und das tiefe Vertrauen zwischen ihnen spüren.


Strolch war für mich das große Abenteuer und die besondere Aufgabe: ein Pferd zu haben, es zu reiten und zu versorgen und mit ihm vertraut zu werden. Erst später habe ich verstanden, wie viel wir beide voneinander gelernt haben.“

Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast.

Antoine de Saint-Exupéry „Der Kleine Prinz“

Verzaubert

Nein, ich wollte jetzt kein Pferd haben, nicht einmal geliehen, nicht zu diesem Zeitpunkt. Und schon gar nicht dieses kleine, komische Pony mit dem Namen Strolch.

Aber ich darf mit ihm eine Runde an der Doppellonge gehen, nachdem ich schon einmal hier bin. Wir zäumen ihn auf und führen ihn aus dem Stall. Auf einmal entdecke ich, was für ein nettes, lustiges Tier er ist.

Dann ziehen wir los. Sehr kleine Hufe beim Trab, schwarze, fast im Takt wehende Mähne. Ein kleines Pferd, aber doch stark genug, um dem früheren Besitzer durchzugehen und fast die Zügel zu zerreißen, als Strolch einmal zwischen zwei Bäumen angebunden war. Aber er läßt sich willig von mir führen.

Verwelkte Grasbüschel, Nieselregen und einfallende Dezemberdämmerung. Ich singe für Strolch In the early morning rain. Und was hat er für mich gesungen? Was ist eigentlich geschehen bei diesem kurzen Spaziergang damals um das Schloß von Taxinge?

Ich wollte kein Pferd haben. Aber ich war kaum wieder nach Hause gekommen, da fing ich an, ganz gezielt nach einem Stallplatz für Strolch zu suchen.

Hier eingestellt

Wir starren uns über die neugezimmerte Tür der Box an. Verschwunden sind alle Träume, die Wirklichkeit hat mich eingeholt. Ein zottiges, braunes Jungpferd, hier im Stall eingestellt, und niemand beachtet ihn. Er sieht mich unter seiner Stirnlocke hervor an. Ich sehe ihn ebenfalls an. Auf was, in aller Welt, habe ich mich da eingelassen?

Wie klein und zart er mir schien, als er aus dem Transporter kam! Auf diesem kleinen Tier kann man doch nicht reiten, dachte ich. Reiten? Er ist nicht geritten worden bis jetzt, nur gefahren. Vier oder fünf Leinen soll er aufgearbeitet haben … ob ich mit ihm zurechtkomme? Ein Ausbund an Pflegebedürftigkeit auf vier Beinen soll er sein. Werde ich mit ihm umgehen können? Die glänzenden Augen unter der Stirnlocke sehen mich an. Ich will ihn nicht enttäuschen.

Warten

Fünf vor sechs stehe ich vor Silverringens Warenlager. Hinter meinem Rücken schlagen hellerleuchtete Türen zu. Große Lebensmittellieferungen kommen, bestimmt für die Haushalte in Jacobsberg, für die Brauerei und für die Lieferwagen auf dem Parkplatz, die in der Stadt ausliefern.

Ich beobachte die Autoscheinwerfer, die in der Kurve hinter der Hecke auftauchen. Jedes Lichterpaar weckt Hoffnungen, die beim Näherkommen enttäuscht werden. Nie kriechen die Minuten so langsam dahin wie beim Warten.

Es ist sechs Uhr. Oder wollten wir uns etwa um halb sieben treffen? Nein, um sechs, da bin ich ganz sicher! Eine Minute nach sechs, zwei Minuten, kommt da nicht Gittans Volvo? Nein, es ist kein Volvo. Fünf nach sechs. Und wenn Gittan sich in der Zeit geirrt hat? Es wäre einfacher, sich immer um die gleiche Zeit zu verabreden, anstatt jeden Tag neu. Zu Fuß ist es eine halbe Stunde bis zum Stall. Eine halbe Stunde auf der Landstraße mit hohen Schneewällen. Ich kann froh sein, daß Gittan mich immer mitnimmt, wenn er seine Töchter zu ihren Ponys fährt, die auch beide in diesem Stall stehen.

Elf Minuten, zwölf Minuten nach sechs. Da kommen wieder ein paar Autos … endlich! Der alte Volvo blinkt und hält an. Ich springe hinein und bin auf dem Weg zu Posan und Strolch.

Fritte

„Fritte heiße ich! Und das war die Reise unseres Lebens!“

So begrüßte er mich, der Besitzer des Stalles, als er mit seiner Familie aus Mexiko zurückkehrte.

Während der folgenden Monate erzählt er mir von einem Unfall in seiner Kindheit und daß er seitdem einen Schienbeinknochen aus Kunststoff und Stahl hat.

Er erzählt mir von den Sicherheitsbeamten auf dem Flugplatz, die ihm das nicht glaubten und vergeblich nach einer Ursache suchten für die Signale ihres elektronischen Suchgerätes. Er erzählt mir von der Ranch seines nach Mexiko ausgewanderten Sohnes und zeigt mir Fotos von Pferden und großen Stieren.

Fritte sieht immer gleich aus mit seinen alten Stiefeln und den grauen Hosen. Über seinem bemerkenswerten Bauch spannt sich eine grüne Strickjacke mit verschiedenen Knöpfen, darunter trägt er oft ein elegantes, in Mexiko gekauftes Seidenhemd. Er hat graue Haarborsten und sehr blaue Augen. Wenn er böse wird, blicken diese Augen drohend, und man glaubt, einen gereizten Eber vor sich zu haben. Fritte hat seine eigenen Ansichten. Er ist oft laut, aber mit Tieren ist er ruhig und behandelt sie gut.

Um die richtige Temperatur in seinem Stall ist er sehr besorgt. Man muß sein Pferd so schnell wie möglich hinausführen, und kaum ist der Schweif draußen, soll die Tür wieder geschlossen werden.

Sonst streckt Fritte den Kopf aus dem Fenster und schreit: „Tür zu!“ Aber wenn ich dann am Abend Strolch versorge, kommt er oft vorbei und sagt: „Komm rein und trink eine Tasse Tee mit uns, wenn du fertig bist!“

Und wenn ich über die Türschwelle gehe, bellt Frittes Hund wie wild, läuft dann aber rasch unter den Küchentisch, in der Hoffnung, gekrault zu werden oder ein Stück Wurst zu kriegen.

Das Wasser zum Kochen kommt noch aus einem Brunnen und wird immer mit einem uralten Pumpenschwengel heraufgepumpt. Ich weiß nicht, ob die Anlage den modernen Richtlinien der Stadtverwaltung entspricht, der Tee schmeckt jedenfalls immer ausgezeichnet.

„Iß, Tulla!“ fordert mich Fritte immer wieder auf und geht mit gutem Beispiel voran.

Das letzte, was er jeden Abend tut, ist, hinüber in den Stall zu schlurfen und Strolch mit ein paar freundlichen Worten eine gute Nacht zu wünschen.

Zwischen den Deichseln

Ich leihe mir einen alten Schlitten für Strolch aus, kann ihn aber ohne fremde Hilfe nicht anspannen. Wenn ich allein bin, bewege ich ihn, indem ich ihn an der Doppellonge führe. Ich soll ihn noch nicht gleich reiten. Das hat Zeit.

Eines Tages bieten mir Sven und Ulla, die Kinder auf dem Hof, ihre Hilfe an. Der Schlitten steht vor dem Stall, schon in Fahrtrichtung gestellt. Endlich haben wir Strolch soweit, daß er zwischen den Deichseln steht. Ich rede beruhigend auf ihn ein und gebe ihm etwas Hafer, während Sven und Ulla je eine Deichsel hochheben, den Lederriemen durchziehen und gleichzeitig spannen.

„Brav, Strolch“, lobe ich das Pony und lasse den Kleinen noch ein bißchen fressen.

Dann mache ich einen Schritt zur Seite, um den Futtereimer abzustellen. Strolch wirft sich herum, versucht, mit dem Schlitten hinter sich zu wenden und steigt in seiner Aufregung mitten hinein in den verschneiten Gerümpelhaufen an der Scheunenwand.

Ich erwische die Zügel und bringe ihn in die richtige Richtung. Von einem seiner Vorderbeine tropft es rot in den weißen Schnee. Er hat sich verletzt.

Ulla muß ihn halten, während ich die Wunde untersuche. Der Schnitt scheint zwar nicht tief zu sein, außerdem ist er verdeckt von den dichten Zottelhaaren. Aber das Blut tropft weiter. Wir können nicht mit einem Pferd ausfahren, das eine Blutspur hinter sich herzieht. Strolch muß verarztet werden. Zum Glück weiß ich Bescheid.

Gittans Töchter leihen mir eine Binde, die ich ihm um das Bein wickele. Endlich startklar! Bis zur großen Straße gehe ich neben dem Schlitten, dann halten wir einen Augenblick an. Ulla begleitet mich. Da keine Autos zu sehen sind, schnalze ich, und Strolch zieht den Schlitten über die Straße. Willig geht er weiter, bis wir einen kleinen Schneewall überwinden müssen. Das Ziehen wird mühsamer, Strolch fängt an, wilde Kapriolen zu machen und zerrt an den Deichseln.

Erst als wir auf die geräumte Dorfstraße kommen, können wir uns auf den Schlitten setzen und mitfahren. Hier gleiten wir leicht dahin. Die hübschen, unbeschlagenen Hufe des Ponys traben eifrig; die Enden der weißen Bandage flattern mit den Bewegungen der schmalen, dunklen Beine. Ohne weitere Zwischenfälle kommen wir wieder zurück. Am nächsten Tag helfen mir Sven und Fritte. Ich führe den unwilligen Strolch am Zügel zwischen die Deichseln, halte ihn, und Sven und Fritte heben die Deichseln an.

Strolch steigt, er wehrt sich gegen die erhobenen Deichseln. Mir stockt der Atem, als ich sehe, wie er über den beiden Männern steht. Der runde, braune Rücken, die struppige, schwarze Mähne auf dem gebogenen Nacken, die Vorhand hoch in der Luft … dann stürzt er rückwärts – seitlich auf den festgetretenen Schnee; sein Nacken trifft eine Handbreit neben den spitzen, nach oben gebogenen Schlittenkufen auf den Boden.

Rasch wälzt er sich auf die Seite und kommt wieder auf die Füße, jetzt mit dem Kopf zu mir gewandt. Ich halte ihn schnell fest und rede beruhigend mit ihm.

„Wenn er so eine Angst vor den Deichseln hat, ist es sinnlos, ihn anzuspannen!“ stellt Fritte fest, als ich die verwirrten Leinen ordne. „Du mußt ihn erst besser an die Deichseln gewöhnen, bevor wir wieder fahren können. Und spanne ihn bitte nicht allein an! Das ist gefährlich für euch beide!“

Nie im Leben hätte ich ihn allein angespannt. Zu deutlich sehe ich die spitzen Schlittenkufen vor mir. Ich bin so froh, daß meinem Pony nichts passiert ist. Wir werden in aller Ruhe mit ihm üben.

Aufsitzen

Heute werde ich aufsitzen. Nicht hinauf gehoben werden, während ein anderer das Pferd festhält!

Ich führe Strolch den Hofweg hinunter, überquere die große Landstraße und halte dort an, wo die Dorfstraße in einen Pfad übergeht. Ich ziehe die Steigbügel herunter und rede mit Strolch, rede ganz beruhigend auf ihn ein. Zum erstenmal spürt er mein Gewicht im Steigbügel. Langsam und vorsichtig ziehe ich mich hoch.