Daniel Rechtschaffen

Die achtsame Schule - Praxisbuch

Leicht anwendbare Anleitungen
für die Vermittlung von Achtsamkeit

Aus dem amerikanischen Englisch
übertragen von Maria Harpner

Arbor Verlag
Freiburg im Breisgau

Für Taylor.
Meine Frau, meine Freundin,
meine Lehrerin, meine Gefährtin

Inhalt

Die ersten Schritte

Beginnen wir mit uns selbst

Sich Achtsamkeit zu eigen machen

Die Achtsamkeitskompetenzen

Arbeitsblatt: Innere Bestandsaufnahme

Eine erfolgreiche Achtsamkeitspraxis aufbauen

Arbeitsblatt: Eine Achtsamkeitspraxis aufbauen

Achtsamkeits-Empfehlungen von Lehrern

Die Kunst der Introspektion

Arbeitsblatt: Unsere eigenen Lehrer werden

II Mit Achtsamkeit bekannt machen
Ressourcen und Empfehlungen

Werkzeuge für den Achtsamkeitsunterricht

Unser Publikum ansprechen

Ein achtsames Klassenzimmer

Arbeitsblatt: Ein achtsames Klassenzimmer

Ein entwicklungsgerechtes Achtsamkeitsmodell

Arbeitsblatt: Achtsamkeit und Entwicklung

Diversität und das Hinterfragen von Annahmen

Traumakenntnisse für den Unterricht

Arbeitsblatt: Traumakenntnisse für den Unterricht

III Achtsamkeitsübungen für Schülerinnen und Schüler
Aktivitäten, Übungen und Techniken für den Unterricht

Lernziele der Achtsamkeit

Der Aufbau einer Achtsamkeitsübung

Schüler mit Achtsamkeit bekannt machen

Die fünf Bereiche der Achtsamkeitskompetenz

Arbeitsblatt: Achtsame Reflexion

Übungen zur Körperkompetenz

Schüttel es ab

Die Sprache der Sinneswahrnehmungen

Achtsamkeit Spielen

Tiefe Entspannung

Zeitlupen-Achtsamkeit

Übungen zur geistigen Kompetenz

Der Atemanker

Achtsames Sehen

Achtsames Hören

Popcorn-Gedanken

Das Ablenkungsspiel

Übungen zur emotionalen Kompetenz

Liebevolle Sätze

Die Wurzeln unserer Emotionen

Schwierige Emotionen

Dankbarkeit erzeugen

Positive Eigenschaften

Soziale Kompetenz

Genau wie ich

Achtsam Kommunizieren

Rose und Dorn

Annahmen hinterfragen

Achtsames Engagement

Globale Kompetenz

Achtsames Essen

Achtsamer Raum

Die Welt der Natur

Kenne deine Welt

Der Kreislauf des Lebens

Integrationsübungen

Wetterbericht

Stress-Check

Achtsame Prüfungsvorbereitung

Wer sitzt am Steuer?

Wer will eine Übung anleiten?

IV Empfehlungen zur Integration

Ein Tag im Leben einer achtsamen Klasse

Arbeitsblatt: Vorbereitung einer Achtsamkeitsübung

Achtsamkeit im Schulumfeld bekannt machen

Einsichten und Empfehlungen aus der Bewegung für Achtsamkeit in der Schule

Arbeitsblatt: Gute Gründe für Achtsamkeit

Nachwort

 

Literaturhinweise

Danksagungen

Die ersten Schritte

 

Achtsamkeit ist wie ein Ausflug in das Innere deines Körpers, der uns hilft, uns zu beruhigen.

 

Achtsamkeit bedeutet wirklich aufmerksam zu sein. Du hörst sogar die Ameisen auf dem Boden und spürst, wie das Blut in deinem Körper fließt!

 

Achtsamkeit ist ein Werkzeug, das du einsetzen kannst, wenn du mit jemandem streitest. Dann machst du einfach einige Staubsauger-Atemzüge und danach kannst dich wieder mit dem beschäftigen, was du eigentlich tun wolltest.

GRUNDSCHÜLER, SAN FRANCISCO

 

Die Bewegung für Achtsamkeit in der Schule

Schulen in aller Welt hoffen in der Achtsamkeit ein Gegenmittel zu ständig wachsendem Stress, emotionaler Dysregulation und Aufmerksamkeitsdefiziten gefunden zu haben. In Schulsystemen, die bereits mit Achtsamkeit arbeiten, stellte sich heraus, dass Lernende und Lehrende glücklicher, konzentrierter, mitfühlender, emotional ausgeglichener und weniger stressempfindlich waren (Zenner et al, 2014). Welche Schule würde schon eine Chance auf bessere Noten, weniger Streitereien und ein ganz allgemein friedlicheres Umfeld ausschlagen?

In South Burlington, Vermont, beginnen und beenden die Schülerinnen* jeden Tag mit einigen achtsamen Minuten. Sie konzentrieren sich auf ihren Atem und kräftigen ihre Achtsamkeitsmuskeln. In Baltimore, Maryland, begeben sich die Schüler in den Chill-Raum, um nach einer Stresssituation wieder zur Ruhe zu kommen und ihre Impulskontrolle und Kommunikation in Konfliktsituationen zu verbessern. In Sun Valley, Idaho, praktizieren die Kinder in der Schule Mitgefühl und widmen sich gemeinnützigen Projekten in ihrer Stadt, um sie in die Praxis umzusetzen, manche bringen sich mit emphatischem Engagement sogar an verschiedensten Orten auf der ganzen Welt ein. Schüler und Schülerinnen von Mexiko bis Israel und Ruanda lernen auf kreative und inspirierende Weise achtsam zu sein.

Apps und Online-Programme wurden entwickelt, um diese Konzepte zugänglich und interessant zu machen. Es gibt jetzt Programme für Achtsamkeit in der Schule, die mit Audio-und Videoaufnahmen arbeiten, bei denen der oder die Lehrende in der Stunde nichts machen muss, außer auf „Play“ zu drücken. Hip-Hop-Künstler bringen Alben für Kinder heraus, auf denen sie zeigen, wie man zu funkigen Rhythmen atmen und sich entspannen kann. Der Künstler und Achtsamkeitslehrer JustMe singt einen Song, mit dem Refrain: „I’m showing up every school day, being present without judgment is the new thing.“ (Jeden Schultag bin ich da, präsent und ohne zu urteilen, das ist das neue Ding.)

Achtsamkeit ist natürlich nicht nur etwas für Kinder. Manchmal kann man mit Schülern, die mit Achtsamkeit bereits vertraut sind, erstaunliche Erfahrungen machen. Sie sehen einen an und sagen: „Sie sehen gestresst aus. Brauchen Sie vielleicht einen achtsamen Augenblick, um sich zu entspannen?“ Es gibt jetzt viele Programme und Schulinitiativen, die die persönliche Entwicklung als Teil der beruflichen Entwicklung sehen und fördern. Wir, die Erwachsenen, müssen damit beginnen, gut für uns selbst zu sorgen, uns die Kunst der Aufmerksamkeit zu eigen zu machen und zu einem Gefühl der Zufriedenheit zu finden. Einige Achtsamkeitsprogramme für die Schule richten sich ausschließlich an die Lehrenden in der Annahme, dass wir durch unsere Vorbildfunktion am meisten bewirken können, wenn wir mit Burnout, sekundärer Traumatisierung und Aufmerksamkeitsdefizit umgehen lernen und die Schülerinnen so am meisten von uns lernen.

Wie funktioniert Achtsamkeit?

Das Gebiet der Achtsamkeit in der Schule ist jung, doch die Forschungsergebnisse bekräftigen schon jetzt, was Tausende von Lehrenden und Lernenden aus erster Hand erfahren. Für Lehrende wirkt Achtsamkeit stressreduzierend, fokussierend und macht sie zufriedener (Roeser et al., 2013). Lernende sind emotional ausgeglichener und aufmerksamer, auch ihre Noten werden besser. Die Klassenzimmer sind friedlicher, es gibt weniger Konflikte und die Kinder mögen einander mehr (Zoogman et al., 2014). Das sind die ersten Ergebnisse der Achtsamkeitsarbeit mit Kindern und Jugendlichen, ihre Auswirkungen bei Erwachsenen sind bestens bekannt: Eine Achtsamkeitspraxis hat erwiesenermaßen positive Auswirkungen auf die Struktur des Gehirns, das Immunsystem, die Emotionen, ja selbst auf die Gesundheit unserer Gene. (Tang et al., 2015).

Eine eindrucksvolle Beschreibung von Achtsamkeit liefert uns die weise, alte Schildkröte Oogway im Film „Kung Fu Panda“, als sie sagt: „Das Gestern ist Geschichte, das Morgen nur Gerüchte, doch das Heute ist die Gegenwart. Und die zu erleben ist ein Geschenk.“ Wir waren alle schon tausende Male achtsam und einige Leute, die noch nie von Achtsamkeit gehört haben, sind wirklich gut darin. Achtsam zu sein, bedeutet voll und ganz da zu sein, aufmerksam und mit offenem Herzen. Wir alle haben achtsame Momente mit unseren Schülern und Schülerinnen. wenn wir merken, dass wir etwas bewirken. Achtsamkeit ist nicht etwas, was wir künstlich erzeugen müssen, sie ist ein natürlicher Zustand des Geistes, zu dem wir zurückkehren, wenn wir uns wirklich in unserem Körper niederlassen und auf die Welt um uns herum einstimmen. Vertieft in das Wunder des Augenblicks sind Kinder oft wesentlich achtsamer als wir, selbst wenn sie ihre Aufmerksamkeit nicht unbedingt dem entgegenbringen, was wir für richtig halten.

Es gibt das einfache Achtsam-Sein und dann gibt es die Achtsamkeitsübungen. Achtsamkeitsübungen setzen wir ein, um unsere Aufmerksamkeit und unser Mitgefühl zu stärken. Wir nutzen unseren Atem als Heimathafen für unsere Aufmerksamkeit, zu dem wir immer wieder zurückkehren und dadurch nur mehr beschränkt ablenkbar sind. Wir denken an jemanden, der uns auf die Nerven geht, damit wir an Versöhnlichkeit und Mitgefühl arbeiten können. Freundlichkeit, Aufmerksamkeit und emotionale Ausgeglichenheit, die Eigenschaften also, die wir bei Kindern entwickeln möchten, können wie ein Muskel trainiert werden. Wir können eine bestimmte Eigenschaft herausgreifen, wie zum Beispiel Aufmerksamkeit, und eine Fokussierungsübung regelmäßig wiederholen, um diese achtsame Aufmerksamkeit zur Gewohnheit werden zu lassen. Das beständige Üben von Achtsamkeit hilft uns, den Anteil der Augenblicke zu vergrößern, in denen wir präsent sind, statt uns in Gedanken zu verlieren.

Die Beobachtung unseres eigenen Geistes macht uns zu Forschenden in unserer Arbeit mit unseren Schülerinnen. Wir wissen um unser Stresslevel, lernen, wann wir eine Pause brauchen oder unser Herz bestimmten Kindern gegenüber mehr öffnen sollten. Schüler werden befähigt, ihr eigenes Verhalten, ihre Gedankenmuster und Beziehungen zu untersuchen. Statt sich abzureagieren, lernen sie die subtilen emotionalen Trigger in ihrem Körper zu erkennen und sind in der Lage, innezuhalten, einen tiefen Atemzug zu nehmen oder um Hilfe zu bitten, bevor sie reagieren.

Klingt Achtsamkeit nicht nach einer Wunderpille? Nun, das einzige Problem ist, dass man sie nicht einfach mit einem Glas Wasser einnehmen kann. Die vielen Vorzüge der Achtsamkeit kann man nur durch eine konsequente Praxis und die Erforschung unseres Geistes, unseres Herzens und unseres Körpers ernten. Um uns zu entspannen, müssen wir Stress und Anspannung bewusst wahrnehmen. Um innere Ruhe zu finden, müssen wir den chaotischen Wirrungen unseres Gehirns und der Traurigkeit in unserem Herzen ins Auge blicken.

Wenn wir Achtsamkeit bloß als Beruhigungsmittel für emotional dysregulierte und hyperaktive Kinder sehen, laufen wir Gefahr, sie wie ein Medikament oder eine Technik zur Verhaltensregulation einzusetzen. Achtsamkeit aber ist kein Spiel, bei dem wir den Kindern sagen, wer am längsten still sitzen kann, hat gewonnen. Es geht nicht darum, sie zum Schweigen zu bringen, damit wir sie leichter in den Griff kriegen. Achtsamkeit eignet sich auch nicht als ein weiterer Punkt auf dem Lehrplan, der dann im nächsten Jahr vielleicht wieder entsorgt wird. Sie ist kein Fach, das man den Lernenden und Lehrenden aufzwingen oder gemäß gewisser Standards abprüfen kann.

Weltweit fördert Achtsamkeit Konzentration und Selbstregulation, so dass die Kinder ihre Mathematik-Arbeit leichter schaffen und ihre Impulse kontrollieren können. Da es jedoch sinnlos ist, unseren Schülern und Schülerinnen Achtsamkeit aufzudrängen, ist es sinnvoller uns tausenden von Lehrenden auf ihrer inneren Reise anzuschließen und durch unsere eigene Präsenz und unser Mitgefühl zu einem Vorbild für Achtsamkeit zu werden. Oft stellen Lehrende erstaunliche Veränderungen in ihren Klassenzimmern fest, nachdem sie selbst an einem Achtsamkeitstraining teilgenommen haben, und zwar nicht weil sie ihren Schülern irgendetwas beigebracht haben, sondern einfach weil sie selbst achtsamer sind. Das ist wie, wenn man einen Eiswürfel in eine Tasse mit heißem Wasser wirft und spürt, wie er ein wenig abkühlt. Dann beginnen andere Lehrende und Schuldirektorinnen sich dafür zu interessieren. „Was machen Sie da eigentlich? Ihre Klasse macht so einen entspannten Eindruck.“ Und schon ist die leise Revolution geboren. Keine von oben angeordnete Lehrplanreform, sondern eine organische, engagierte Gruppe bewusster Individuen, die Mitgefühl und Präsenz entwickeln und damit langsam aber unaufhaltsam die Welt verändern.

Die fünf Bereiche der achtsamen Kompetenz

Achtsamkeit ist eine Lebensart. Sie ist eine Anschauung, bei der wir Geist und Herz offen halten. Das können wir tun, während wir uns mit Freunden unterhalten, in unsere Klasse gehen oder Arbeiten beurteilen. Hier wollen wir erforschen, wie wir in allen unseren Lebensbereichen achtsam sein können, unserm Körper, unserem Geist, unserem Herzen, unseren Beziehungen und der Welt gegenüber. Zuerst lernen wir diese Fähigkeiten in uns selbst zu entwickeln und erst dann, wie wir diese fünf Bereiche der achtsamen Kompetenz an Kinder und Jugendliche vermitteln können.

Körperkompetenz

Erfolgreiche Sportlerinnen und Sportler, ja ganze Mannschaften praktizieren Achtsamkeit, weil sie herausgefunden haben, dass es ihnen hilft, sich zu entspannen und ihre Gedanken zu beruhigen, um in einen Zustand des „Flow“ zu kommen, in dem sie in ihrem Körper präsent und auf ihre Umgebung eingestimmt sind. Wenn wir Achtsamkeit erlernen, beginnen wir damit, unseren geschäftigen Geist zu entspannen und zu beruhigen. Damit unsere Schüler und Schülerinnen mit wachem und kreativem Geist agieren können, müssen wir dafür sorgen, dass ihre körperlichen Grundbedürfnisse gedeckt werden und sie sich in der Klasse sicher und geborgen fühlen. Auch Erwachsene beginnen ihre Achtsamkeitspraxis auf diese Weise. Wir reduzieren unser gewohntes Lebenstempo und begeben uns in einen Zustand der Entspannung und Introspektion. Körperkompetenzübungen wecken unsere Sinne und fördern ein Gefühl der Verbundenheit mit unserem Körper und der physischen Welt.

Geistige Kompetenz

Sobald wir ganz bewusst in unserem Körper anwesend sind, können wir unsere Aufmerksamkeit entwickeln. Wir kräftigen unseren Aufmerksamkeitsmuskeln, indem wir uns einen Fokus suchen, wie unseren Atem oder den Geschmack einer Orange. Dann beobachten wir die Widerspenstigkeit unseres Geistes, der sich ablenken lässt und vom einen zum anderen springt. Die Praxis der Achtsamkeit bedeutet, unsere Aufmerksamkeit immer wieder liebevoll zu unserem Fokus zurückzulenken. Auf diese Weise lernen wir die Funktionsweise unseres Geistes kennen und verbessern unsere geistige Leistungsfähigkeit. Kleinere Kinder lernen, ihre Gedanken wie vorbeiziehende Wolken zu beobachten, was besonders dann hilfreich ist, wenn die Umsetzung dieses Gedankens sie in Schwierigkeiten bringen könnte. Uns Erwachsene lehrt diese Praxis das Beobachten der Gedanken, dadurch weniger impulsiv zu sein und nicht in endlose Grübeleien zu verfallen.

Emotionale Kompetenz

Sobald wir mit der Sprache der Körperempfindungen und der Funktionsweise unseres Geistes vertraut sind, können wir uns der Sprache des Herzens zuwenden. Wir lernen ungesunde Gedankenmuster und die darunterliegenden Gefühle zu erkennen. Wenn wir unser Stresslevel und unseren emotionalen Zustand bewusst wahrnehmen, verbessert das unsere Impulskontrolle und die Emotionsregulation. Außerdem lernen wir, gesunde Emotionen wie Dankbarkeit, Empathie und Liebe zu entwickeln. Wut und Angst werden dabei nicht unterdrückt; wir öffnen vielmehr unsere mitfühlende Aufmerksamkeit für das gesamte Spektrum der Emotionen. Wenn wir mit all unseren Emotionen präsent sind, dann werden wir Zufriedenheit, Mitgefühl und Dankbarkeit verspüren, während Gefühle wie Wut, Angst und Depression an Gewicht verlieren. Das ist eine der erstaunlichen Folgen von Achtsamkeit. Einige Emotionen sind sehr schmerzhaft, doch wenn wir sie bewusst wahrnehmen, öffnet sich unser Herz und wir werden mitfühlender uns selbst und unserer Umgebung gegenüber.

Soziale Kompetenz

Nachdem wir Mitgefühl und Emotionsregulation geübt haben, können wir diese Fähigkeiten als Botschafterinnen der Achtsamkeit in die Welt tragen. Wir entwickeln Empathie für unsere Freunde, unsere Familie und irgendwann auch für die Menschen, die uns auf die Nerven gehen. Wir können Achtsamkeit dazu nutzen, um unsere Annahmen zu hinterfragen und andere Perspektiven zu verstehen. So sehen wir die Welt mit frischen, emphatischen und verständnisvollen Augen. Ob im Lehrerzimmer, in unseren Liebesbeziehungen oder der sozialen Dynamik auf dem Spielplatz, es gibt so viel zu lernen über emphatische Kommunikation und soziale Kompetenz. Wir lernen Achtsamkeit nicht nur, um in einer kriegerischen Welt zu innerem Frieden zu finden. Wir entwickeln unseren inneren Frieden, um vorzuzeigen, was alles möglich ist, und uns für Gleichberechtigung und Integration unserer Schüler und Mitmenschen einzusetzen.

Globale Kompetenz

Unser Mitgefühl muss nicht auf unsere unmittelbare Umgebung beschränkt bleiben. Mit der Zeit kann man Verständnis und Umsicht für alle auf diesem Planeten entwickeln – selbst für Vögel, Hirsche und Ozeane. Wenn wir unsere achtsamen Augen öffnen, beginnen wir die Vernetzung aller Dinge zu erkennen und verstehen langsam, wie unser Handeln die Welt beeinflusst. Wir begreifen auch, dass unsere Umgebung, unsere Stimmung und unsere psychische Verfassung zusammenhängen. Oft ist uns gar nicht bewusst, wie negativ das grelle, fluoreszierende Licht im Klassenzimmer auf unsere Schüler, Schülerinnen und uns wirkt. Durch ein besseres Verständnis, wie wir die Welt beeinflussen und von ihr beeinflusst werden, können wir mehr Verantwortung für unser Leben übernehmen. Wenn wir uns für eine globale Sicht der Welt öffnen, erweitern wir unser Mitgefühl und unser Verständnis auf all die Milliarden Wesen da draußen, die nach Geborgenheit, Gesundheit und Zufriedenheit streben, wie wir eben auch.

Wie nutzt man dieses Buch

Ziel dieses Praxisbuches ist es, Pädagoginnen zu befähigen, Achtsamkeit und emotionale Intelligenz in ihre Arbeit miteinzubeziehen und so positive Veränderungen im Leben einzelner und der Gemeinschaften zu bewirken. Um Achtsamkeit authentisch und effektiv unterrichten zu können, bedarf es einiger wichtiger Schritte, die wir hier zusammen durchgehen.

Der erste Abschnitt – Wir beginnen mit uns selbst – ist ein Mini-Achtsamkeitstraining, eine Möglichkeit für Erwachsene, ihre eigene Selbstwahrnehmung und inneren Ressourcen zu stärken. Bevor wir in der Lage sind, unsere Schüler anzuleiten, müssen wir selbst mit dem Gelände vertraut sein. In persönlichen Achtsamkeitsübungen erkunden wir das Gelände des Körpers, des Geistes, des Herzens, der Gesellschaft und der Ökologie. Übungen und Empfehlungen helfen uns eine Achtsamkeitspraxis aufzubauen, die dann als Grundlage für unseren Unterricht dient. In diesem Abschnitt lernen wir, dann achtsam zu sein, wenn es darauf ankommt: im alltäglichen Chaos unserer Klassenzimmer, bei drohendem Burnout und sekundärer Traumatisierung. Wir nehmen uns auch Zeit, um unsere emotionale Reife zu erkunden. Bevor wir Achtsamkeit vermitteln können, müssen wir uns selbst der Kunst der Introspektion und emotionalen Intelligenz widmen, damit wir in der Lage sind, Achtsamkeit vorzuleben, und nicht die eigenen Themen auf die Schülerinnen projizieren.

Im zweiten Abschnitt Schüler mit Achtsamkeit bekannt machen: Ressourcen und Anregungen lernen wir die Praxis, die wir selbst entwickelt haben, bei unseren Schülerinnen und Schülern anzuwenden. Wir erkunden Tools, um auf achtsame Weise zu unterrichten und den Schülern achtsamkeitsbezogene Themen nahezubringen. Wir überlegen auch, wie unsere Umgebung aussehen sollte, damit sich die Schülerinnen darin so zufrieden, entspannt und konzentriert wie möglich fühlen können. Dann überlegen wir, wie wir unsere achtsame Präsenz bei verschiedenen Altersgruppen und ethnischer Zugehörigkeiten, traumatisierten Kindern und Kindern mit speziellen Bedürfnissen einsetzen können. Wir lernen alle Kinder miteinzubeziehen und Achtsamkeit auf eine Art und Weise zu präsentieren, die den Kindern Spaß macht.

Der Abschnitt Achtsamkeitsübungen für Schüler: Aktivitäten, Übungen und Techniken für den Unterricht ist eine Sammlung von achtsamkeitsbasierten Unterrichsstunden. Bevor wir mit dem Programm beginnen, beleuchten wir zehn forschungsbasierte Achtsamkeitsaufgaben. Wir sehen uns auch an, wie man Achtsamkeit präsentiert, damit sie für die Schülerinnen zugänglich und interessant ist, und wie die folgenden 25 Übungen des Programmes strukturiert sind. Jede Übung enthält Lernziele, Vorschläge für unterschiedliche Altersgruppen und andere Hinweise zur praktischen Umsetzung. Die Abfolge der Übungen orientiert sich an den fünf Kompetenzen, körperliche, geistige, emotionale, soziale und schließlich globale Kompetenz. Dabei wird klar, warum diese Reihenfolge wichtig ist, denn die Übungen bauen auf die in den vorhergehenden Übungen erlernten Fähigkeiten auf. Schließlich gibt es fünf Integrationsübungen, die hilfreich sind, um die Übungen in den Schulalltag einfließen zu lassen.

Der letzte Abschnitt – Empfehlungen zur Integration – zielt darauf ab, die Inhalte in unserem Leben und unserer Arbeit umzusetzen. Arbeitsblätter und Empfehlungen in diesem Kapitel liefern praktische Unterstützung. Sie finden dort Empfehlungen von anderen Lehrenden und führenden Persönlichkeiten der Bewegung für Achtsamkeit in der Schule, sowie Arbeitsblätter für die Gestaltung ihrer eigenen achtsamkeitsbasierten Stunden und die Präsentation von Achtsamkeit für ein größeres Publikum. Im letzten Abschnitt erkunden wir, wie man Achtsamkeit effektiv und fließend in den Schulalltag integriert.

Zeit für Achtsamkeit finden

Oft wissen Lehrende nicht, wie sie die Zeit für eine Achtsamkeitsübung finden sollen, bei denen die Kinder einfach nur dasitzen und nichts tun. Doch sobald die Lehrenden sich diese Zeit einmal genommen haben – und sei es auch nur ein paar Minuten am Anfang jeder Stunde – merken sie, dass die Schülerinnen viel aufnahmefähiger sind und sie deswegen auch schneller mit dem Stoff vorankommen. Das ist, wie wenn wir sagen, wir wollen unser Essen nicht kauen, bevor wir es schlucken, weil das zu viel Zeit kostet. Selbst wenn es uns gelingt, das Essen schneller in unsere Mägen zu befördern, wäre es weder gesund noch genussreich. Wenn wir uns die Zeit nehmen, achtsam zu sein, finden wir mehr Leichtigkeit im Sein, statt gestresst von einer Sache zur Nächsten zu hetzen.

Wenn Wissenschaftler das Gehirn von Menschen scannen, die intensiv und seit vielen Jahren Achtsamkeit praktizieren, dann sehen sie eine weitgehende Integration von Gehirnregionen (Vestergaard-Poulsen et al., 2009). Nun zeigen Forschungen, dass in nur acht Wochen regelmäßiger Achtsamkeitspraxis positive Veränderungen in den für Lernen, Emotionsregulation und Selbstgewahrsein zuständigen Gehirnregionen nachweisbar sind (Hölzel et al., 2011). Statt stundenlang zu sitzen, können wir zu Beginn einfach öfters kurze Achtsamkeitspausen einlegen. Keinesfalls sollten wir Achtsamkeit zum Anlass für ein schlechtes Gewissen nehmen, wie wir das tun, wenn wir zu wenig Bewegung machen oder ungesund essen. Das ist keine innere Gefängnisstrafe. Irgendwann werden Sie vielleicht bei 40 Minuten Sitzen und Atmen angelangt sein, doch beginnen Sie mit bekömmlichen und angenehmen Zeitspannen. Achtsamkeit kann Spaß machen!

Ich versuche Wege zu finden, um Achtsamkeit in der Schule zu einem ansprechenden Spiel zu machen. In einer Klasse präsentierte ich einmal ein neues „Achtsamkeitsspiel“, bei dem es darum ging, wie viele Geräusche wir hören konnten. Ein Schüler dieser dritten Klasse sagte plötzlich: „Das ist doch kein Spiel.“ Es ist sinnlos, eine langweilige Übung als Spiel zu betiteln. Wir wollen, dass die Schüler es wirklich spannend finden. Wir müssen Wege finden, um Achtsamkeit zu einer wundersamen Lernerfahrung zu machen.

Achtsamkeit sollte Spaß machen und interessant sein, doch es bedarf auch einer gewisse Entschlossenheit, damit unser achtsames Bewusstsein wachsen kann. Um in unserer schnelllebigen Zeit Aufmerksamkeit und Mitgefühl zu entwickeln, ist es nötig, gegen den Strom zu schwimmen.

Es gibt eine Unzahl an Möglichkeit zur digitalen Zerstreuung und die Nachrichten strotzen nur so vor tragischen Ereignissen. Ohne eine entschlossene, regelmäßige Achtsamkeitspraxis ist es leicht, unser Herz zu verschließen und Ziele und Visionen aus den Augen zu verlieren.

Wir müssen die richtige Balance finden, so dass Achtsamkeit Spaß macht aber doch ihre transformative Wirkung tut. Vielleicht beginnen Sie damit, jeden Morgen fünf Minuten zu sitzen und gönnen sich diese wenigen Augenblicke als „Zeit für mich“. Sie können sich auch hinlegen, wenn Ihnen das lieber ist, in der Morgensonne sitzen, oder auf einem für Sie perfekten Kissen. Wir nehmen uns fest vor, diese Zeit in Stille zu verbringen und bauen dann nach und nach weitere achtsame Momente in den Tagesablauf ein – einen Moment vor dem Essen, um zur Ruhe zu kommen und zu reflektieren, einen Moment im Auto, bevor wir den Motor anlassen, einen Moment vor dem Abendessen, einen Moment mit einem unserer Lieben. Wenn wir diese Zeit nicht fix reservieren und uns dann auch daran halten, dann nehmen die Dinge ihren Lauf nach dem Motto: horror vacui – „Die Natur verabscheut das Vakuum“. Nur zu leicht werden diese wenigen Augenblicke von einigen Textnachrichten oder dem inneren Wiederkäuen irgendeines Gesprächs verschlungen. Wir müssen uns wirklich entscheiden, uns selbst dieses Geschenk der Präsenz zu machen, und uns den inneren Raum geben, um bei unserem Atem und in unserem Herzen einzukehren.

Je mehr solcher achtsamer Augenblicke wir fix in unseren Tagesablauf einbauen, desto besser. Das bedeutet, dass wir regelmäßig innehalten und die innere Wetterlage unseres Geistes, unseres Körpers und unserer Gefühle wahrnehmen. Wir können diese achtsamen Momente mit bestimmten Tätigkeiten verbinden, damit wir uns leichter daran erinnern, beim Duschen zum Beispiel das Wasser auf unserer Haut bewusst zu spüren, auf die Stufen beim Eingang der Schule zu achten oder mit jedem Schüler, der oder die die Klasse betritt, Augenkontakt aufzunehmen und sie oder ihn wirklich zu sehen. Finden Sie Achtsamkeitsübungen, die für Sie funktionieren, Wege, um den kreisenden Gedanken eine Pause zu gönnen und im Jetzt anzukommen. Vielleicht besteht Ihre Achtsamkeitspraxis aus einem Spaziergang am See, dem Bestaunen von Marienkäfern oder aus achtsamem Stricken. Unser vorrangiges Ziel ist ein Unternehmen „Jetzt“ zu finden, das wir genießen.

Wenn wir die Auswirkungen einer Achtsamkeitspraxis dann einmal am eigenen Leib erfahren haben, können wir sie langsam ausweiten. In diesem Buch erkunden wir viele Achtsamkeitspraktiken für Körper, Geist, Herz, unsere Beziehungen und die Welt. Sobald wir Gefallen an der Praxis gefunden haben, können wir uns der Entwicklung unserer Achtsamkeit intensiver widmen, unsere Grenzen ausloten, länger sitzen und tiefer blicken.

Im Abschnitt „Wir beginnen bei uns selbst“ haben wir die Möglichkeit, eine kontinuierliche Achtsamkeitspraxis aufzubauen, die machbar und angenehm ist.

Intentionen setzen

Intentionen sind äußerst wichtig, sowohl bei unserer eigenen Praxis, als auch im Unterricht. Wir wählen die Richtung bereits, wenn wir die Segel setzen und halten uns dann beständig an das, was der Kompass vorgibt. Selbst wenn wir vom Kurs abkommen, was regelmäßig passieren wird, erinnern wir uns daran, was unser Ziel ist. Unsere Intention bei Achtsamkeit ist es, uns selbst und dem jeweiligen Augenblick gegenüber präsent und mitfühlend zu sein und unsere Schülerinnen beim Entwickeln von Präsenz und Mitgefühl zu unterstützen. Wir wollen alle entspannter, konzentrierter und glücklicher sein. Auch unseren Schülern wünschen wir diese grundlegende Lebenskompetenz. Diesen Wunsch können wir auch ausdehnen auf die Hoffnung, dass Lehrende und Lernende auf der ganzen Welt lernen achtsamer zu sein, und uns vorstellen, wie die Welt wohl aussähe, wenn die nächste Generation achtsamer aufwachsen würde. Wählen wir also unsere Intention bereits, wenn wir die Segel setzen.

Wie wollen wir uns persönlich entwickeln, wenn wir die Kunst der Achtsamkeit erlernen? Vielleicht möchten wir weniger impulsiv reagieren, zufriedener sein oder einfach besser schlafen können.

Und was sind unsere Hoffnungen und Intentionen, wenn wir unseren Schülern und Schülerinnen Achtsamkeit vermitteln? Vielleicht wünschen wir ihnen, dass sie innere Ruhe finden, ihre Aufmerksamkeit halten können oder liebevoller mit sich selbst und anderen umgehen lernen. Hier können wir aufschreiben, welche Auswirkungen wir uns vom Achtsamkeitsunterricht erhoffen.

Schließlich lenken wir unsere Intentionen auf die Welt. Wie hoffen wir unserem Planeten inmitten all der sozialen, ökologischen und politischen Turbulenzen zu helfen, wenn wir Achtsamkeit an unsere Schülerinnen weitergeben? Wir könnten sagen, wir hoffen, dass Schüler, die inneren Frieden finden, auch zum Weltfrieden beitragen. Schreiben Sie auf, welche Auswirkungen auf die Welt sie sich vom Lesen dieses Buches und Teil dieser Bewegung zu sein, erhoffen.

Im Bemühen um achtsame Gendergerechtigkeit verwenden wir wo immer möglich neutrale Formen oder wechseln zwischen männlichen und weiblichen Sprachformen ab. Wurde ein bestimmtes Gender verwendet, sind i.d.R. alle anderen Gender jeweils mit gemeint (Anm. d. Lekt.).

I

Beginnen wir mit uns selbst

 

Leute, die mich seit Jahren nicht gesehen haben, sagen, dass ich Ruhe. ausstrahle. Stell dir vor! Meine Achtsamkeitspraxis ist zur Gewohnheit geworden, wie Zahnseide verwenden, doch mit wesentlich offensichtlicheren Ergebnissen. Ich liebe die Praxis und ich liebe, wie ich mich dadurch fühle.

GREGORY DAVID, GRUNDSCHULLEHRER, NEW YORK CITY

Sich Achtsamkeit zu eigen machen

Nach fünfzehn Jahren im Klassenzimmer, graute Teresa vor jedem Schultag. Noch nie hatte sie eine Klasse mit so vielen dysregulierten und gestressten Kindern unterrichtet. In manchen Augenblicken eines Schultages, hin- und hergerissen von den mannigfaltigen Bedürfnissen und Ansprüchen ihrer 25 Zweitklässler, merkte sie, wie ihr Herz raste, ihre Gefühle rotierten und sie sich am Rande eines Nervenzusammenbruchs bewegte. Bei dem Kurs zur achtsamkeitsbasierten Stressreduktion, an dem sie teilnahm, lernte sie zu entschleunigen, ein wenig Abstand von ihren angsterfüllten Gedanken zu gewinnen und mit den aufgewühlten Gefühlen, die in ihrem Körper aufstiegen, Freundschaft zu schließen. Langsam erkannte sie, dass sie sich in ihrem Inneren selbst wie eine aufgeregte Zweitklässlerin fühlte, und lernte, das verschreckte innere Kind in die Arme zu schließen, wenn die Panik in ihr hochstieg.

Erstaunlicherweise fühlte sie sich durch ihre Praxis nicht nur selbst wesentlich ruhiger und friedlicher, sondern mit ihr schienen sich auch ihre Schüler und Schülerinnen zu entspannen. Wenn sich nach dem Turnunterricht das übliche Chaos breit machte und Teresas Anspannung wuchs, hielt sie inne, ließ sich in das Gefühl fallen und versuchte es anzunehmen. Und irgendwie entspannten sich die Kinder mit ihr. Als hätte sie einen Eiswürfel in ein Glas heißes Wasser fallen lassen. Die erhitzten Gemüter beruhigten sich.

Und Teresas Achtsamkeitspraxis zeigte nicht nur bei ihren eigenen Schülerinnen Wirkung, nach einiger Zeit bemerkten es auch die Nebenklassen. Ihre Kollegen sagten etwas wie: „Hast du ihnen eine Happy-Droge verpasst? Kannst du mir zeigen, wie ich das mit meinen Kindern machen kann?“ Die Zauberkunst, die Teresa erlernt hatte, lautete: wenn wir Verantwortung für unsere eigene, innere Transformation übernehmen, können wir auch bei der Welt um uns Großes bewirken. Wenn wir zu dem Frieden werden, den wir in unserem Klassenzimmer sehen wollen, fühlen sich die Schüler und Schülerinnen friedlich, wenn sie in unserer Nähe sind.

Geschichten wie die von Teresa höre ich immer wieder von Pädagoginnen, die an ihrer persönlichen Entwicklung arbeiten und schon allein dadurch anderen den Weg weisen. Ich höre jedoch auch Folgendes ständig: „Ich versuche meinen Schülern und Kollegen Achtsamkeit zu vermitteln, damit sie entspannter und zufriedener sein können, doch sie hören mir einfach nicht zu.“ Manchmal fühlt man sich wirklich alleine, wenn man ein Lehrer ist, der sich in Achtsamkeit verliebt hat und alle mühsam kämpfenden Schüler und Kolleginnen an den positiven Auswirkungen teilhaben lassen möchte. Und doch kann man niemandem Achtsamkeit aufdrängen. Achtsamkeit ist nicht der nächste Trend in der Lehrplanentwicklung, den wir den Schulen aufzwingen. Sie ist ein organischer Prozess, der mit unserer persönlichen Entwicklung beginnt und sich durch echtes Interesse und Offenheit weiterverbreitet.

Vielleicht kommt die Schulinspektorin in unsere Klasse und ist so begeistert, dass sie uns bittet allen Lehrenden in ihrem Bezirk Achtsamkeitsunterricht zu erteilen. Oder wir verbringen unser gesamtes Berufsleben in einem einzigen Klassenzimmer, in das alle Kinder gerne kommen, weil sie es als sicheren Hafen für ruhiges und kreatives Lernen empfinden und keine einzige andere Lehrerin oder Administrator merkt etwas davon. Wir können nichts erzwingen. Die Verantwortung für sein eigenes Leben zu übernehmen birgt jedoch eine unglaublich transformative Kraft.

In einem späteren Abschnitt dieses Buches widmen wir uns dem Achtsamkeitsunterricht. Bevor wir jedoch zu unserer beruflichen Weiterentwicklung kommen, beginnen wir mit unserer persönlichen Entwicklung. Dazu sollten wir uns zunächst bewusst machen, dass alles, was wir mit Achtsamkeit erreichen wollen, bereits hier ist. Wir müssen nirgends hingehen und nichts kaufen – Achtsamkeit ist eine innere Angelegenheit. Ruhe, Zufriedenheit, Ausgeglichenheit und Präsenz sind Seinszustände, die wir in uns tragen und stärken, wenn wir innehalten und uns unserer inneren Welt zuwenden. Selbst ohne jegliches Achtsamkeitstraining können wir unsere alltäglichen Gedanken, Gefühle und Empfindungen hier und jetzt fließen lassen und einen Augenblick innehalten, gerade lang genug, um unserem Bewusstsein eine kleine Pause zu gönnen und wahrzunehmen, was um uns herum passiert. Nehmen wir alles einige Minuten lang in uns auf und betrachten die Wetterlage des gegenwärtigen Augenblicks.

In den folgenden Übungen befassen wir uns mit den Bereichen des Körpers, des Geistes, des Herzens, der Gesellschaft und der Ökologie. Bei jedem Innehalten und bei jeder Reflexion spielen alle diese fünf Bereiche eine Rolle, doch ohne achtsame Präsenz zieht oft viel von dem, was in unserer Welt passiert, an uns vorüber. Auch wenn wir diese fünf Dimensionen hier zunächst getrennt betrachten, ist unser eigentliches Ziel, sie zu einem integrierten Ganzen zusammenzuführen.