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Make them go!X

Essenz aus dem
Coaching für Spitzensportler

Hans-Dieter Hermann

Jan Mayer

Inhalt

»Make them go!«

Make them go 1
Motivationsanreize setzen

Make them go 2
Teamentwicklung aktiv steuern

Make them go 3
Rollen verändern sich

Make them go 4
Systemisch denken

Make them go 5
Transformational führen

Make them go 6
Grundlagen der ­Kompetenzüberzeugung

Make them go 7
Aufbau von Kompetenzüberzeugung

Make them go 8
Kompetenzüberzeugung ­stabilisieren

Make them go 9
Alles ist Kommunikation

Make them go 10
Die kollektive ­Kompetenzüberzeugung

Literatur

Über die Autoren

Impressum

»Make them go!«

Das erste Training des Profiteams in der neuen Saison steht an. Eine gewisse Spannung ist zu spüren. Wie sind die Spieler in Form? Harmoniert die Mannschaft? Gemeinsam mit dem Manager und Teilen des Funktionsteams – Manager, Arzt, Physio­therapeut, Zeugwart – beobachten wir das Geschehen. Plötzlich zeigt der Manager Richtung Spielfeld, schaut zu uns herüber und meint: »Make them go! Das ist euer Job«. Damit ist alles gesagt. »Make them go!« – das bringt die Anforderungen, die an Trainer im Spitzensport gestellt werden, knapp auf den Punkt: andere zur Höchstleistung zu bringen. Das heißt, Bedingungen zu schaffen, damit sich andere zur Höchstleistung entwickeln können, und aus individuellen Höchstleistern ein effektives Team zu formen.

Wir beschäftigen uns in diesem Buch mit Höchstleistung. Dabei vor allem natürlich mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen Sportler – oder in der Übertragung Mitarbeiter – bereit und in der Lage sind, immer wieder bis an die Grenzen ihres Leistungsvermögens zu gehen. Als eine grundlegende Voraussetzung hierfür hat sich in unserer Arbeit mit Hochleistungssportlern die Entwicklung einer stabilen Kompetenz­überzeugung erwiesen, mit der nichts anderes gemeint ist als die feste Gewissheit in jedem Einzelnen und jedem Team, auch hohen Anforderungen kompetent und leistungsfähig begegnen zu können. Kompe­tenz­überzeugung zu verankern ist ein Prozess, der nicht nur Zeit, sondern auch ein erhebliches Maß an Fingerspitzengefühl erfordert – insbesondere beim Trainer. Deshalb kann dieser Prozess auch nur dann gelingen, wenn der Trainer selbst (respektive die Führungskraft) sich Kompetenzüberzeugung erarbeitet hat.

In unserem Buch Make them go! Was wir vom Coaching für Spitzensportler lernen können* haben wir Grundlagen und Erkenntnisse unserer sportpsychologischen Arbeit ausführlich und an vielen konkreten Beispielen veranschaulicht dargelegt. Nun wollen wir hier im Sinne eines Praxis-, aber vor allem eines Denkanstoßes einen verdichteten Überblick bieten über die für unsere Arbeit grundlegenden theoretischen Zusammen­hänge und praktischen Ableitungen daraus.

* Murmann Publishers, 198 Seiten, 24,99 Euro, ISBN 978-3-86774-379-2

Make them go 1
Motivationsanreize setzen

Im Eishockey gibt es den Spruch: »Die Macht sitzt in der Kabine!« Er macht deutlich, wie abhängig ein Trainer von der Performance und der Bereitschaft zur Performance seiner Spieler ist. »Sein« Erfolg ist der Erfolg »seiner« Spieler. Also braucht er den Zugang zu jedem einzelnen Spieler – eine Grund­vo­raussetzung für den Erfolg.

__Im Laufe unserer Zusammenarbeit mit hochklassigen Trainern von National- und Vereinsmannschaften oder Profi­klubs unterschiedlicher Sportarten sind wir auf vergleichbare, sogar identische Kriterien hinsichtlich des erfolgreichen Führungsverhaltens gestoßen. Wir konnten feststellen, dass es eben nicht so sehr darum geht, was ein Coach mit Spielern oder der Mannschaft im Einzelnen macht, sondern welche grundlegenden Einstellungen oder Haltungen er an den Tag legt und vermittelt. Sie nämlich machen den Unterschied, heben die erfolgreichen von den weniger erfolgreichen Trainern ab.

__Dauerhaft erfolgreiche Trainer zeichnen sich dadurch aus, dass sie ein großes Interesse an ihren Sportlern zeigen und sich ernsthaft mit ihnen beschäftigen. Denn erst im Aufbau einer echten Verbindung zu jedem Spieler erfährt ein Trainer, wie und wodurch er indviduell die notwendige Kompetenz­überzeugung stabil entwickeln kann. Erst dann kann es auch zur Verankerung einer kollektiven Kompetenzüberzeugung kommen. Für eine kontinuierliche Höchstleistung des Teams ist also viel weniger die starke Hand oder eine geschliffene Rhetorik gefragt als vielmehr eine aktive und auf Werteorientierung ausgerichtete behutsame Steuerung der Teamprozesse, die zwischen den Beteiligten ein tragfähiges Vertrauensverhältnis etablieren hilft.

__Demnach lautet der Trainerauftrag, eine Mannschaft so zu formen, dass sie konsequent ihr Potenzial entfaltet. Es gilt die Leistung aus jedem Einzelnen »herauszukitzeln«, um ein Team zum Erfolg zu führen. Etwas herauskitzeln zu müssen suggeriert aber schon, dass es sich dabei um keine einfache Sache handelt, sondern sehr viel Fingerspitzengefühl und Ausdauer verlangt ist. Eben dies setzt voraus, dass ein Trainer jeden Einzelnen und das, was ihn antreibt, sehr gut kennt, um aus verschiedenen Talenten mit ihren Stärken und Schwächen ein optimales Team zu formen.

__Viele Sportler betreiben einen enormen Trainingsaufwand, Tag für Tag, oftmals ohne dabei irgendeine Aussicht auf internationale Titel, olympisches Edelmetall oder öffentliche Anerkennung zu haben. Ganz zu schweigen von der oft wenig Anreiz bietenden finanziellen Seite. Die tägliche Motivation ziehen die meisten daraus, ihre eigenen Grenzen – physische und psychische – kennenzulernen. Den Kräfte messenden Vergleich, den Erfolg, suchen sie selbstverständlich auch, aber der sportliche Antrieb resultiert vor allem aus dem Wunsch, sich selbst in seiner Leistung immer wieder zu übertreffen.

__Wissenschaftlich unterscheidet man in der Motivation zwischen zweck- und tätigkeitsorientierten Anreizen. Tätigkeitsorientierte Anreize betreffen den Vollzug, zweckorientierte Anreize den mit einer Tätigkeit beabsichtigten Effekt. Anhand von vier grundlegenden Faktoren – der realisierten Situation, der sich daraus ergebenden Handlung, dem erwartbaren Ergebnis und den daraus wahrscheinlich resul­tierenden Folgen – wird im inneren Monolog geklärt, ob es zu einer Handlung kommen wird oder nicht. Anhand dieses zunächst theoretischen Modells lassen sich sowohl Mo­tivationsanreize als auch mögliche Motivationskiller ­ableiten.

 // Motivationskiller vermeiden:

Nr. 1: Eine Person geht davon aus, dass ein Hand­lungsergebnis durch die Situation bereits feststeht, im Grunde also nichts mehr zu machen ist.

Nr. 2: Eine Person traut sich die in einer Situation nötige Handlung im Moment nicht zu, oder sie hat gar nicht die Fähigkeit, sie durchzuführen.

Nr. 3: Eine Person schätzt die Folgen des erwartbaren Ergebnisses als nicht wichtig genug ein.

Nr. 4: Für eine Person ergeben sich aus dem Resultat nicht die erwünschten Folgen. Sie sind im Gegenteil eventuell sogar unerwünscht.

Nr. 5: Für eine Person ist eine Handlung nicht attraktiv, es macht keine Freude, keinen Spaß, sie auszuführen.

__Insgesamt zeigen die Erkenntnisse der Motivationspsycho­logie deutlich: Die Grundlage von sportlicher Höchstleistung – auch eines Teams – ist immer in jedem Einzelnen zu suchen und diese Grundlage sollte vorrangig durch einen tätigkeitsbezogenen Anreiz gebildet sein. Dabei kommt in einem Team der Umstand hinzu, dass nicht allein die sportliche Betätigung an sich attraktiv und reizvoll sein muss, sondern mindestens genauso die Betätigung (Training, Wettkampf) mit den anderen zusammen. Wenn die Tätigkeit gemeinsam keine Freude macht, macht sie häufig auch an sich keine Freude. Dabei liegt die Attraktivität des gemeinsamen sportlichen Engagements nicht im harmonischen Gruppenerlebnis, im Vordergrund steht immer die Leistung. Die Ausrichtung auf ein leistungsorientiertes Ziel macht das Team zum Mittel, es ist nicht der Zweck.

__Damit ist eine Grundbedingung für erfolgreiche Teams erfüllt: Der Einzelne muss die Tätigkeit an sich und das Umfeld, in dem die Tätigkeit ausgeführt wird, attraktiv finden.

__Weitere Erfolgsfaktoren sind:

  1. Es besteht ein ausgeprägtes Maß an innerem Zusammenhalt (Wirgefühl). Das bedeutet, nicht nur das gleiche Trikot zu tragen, sondern sich füreinander einzusetzen.
  2. Es wird ein gemeinsames Ziel verfolgt und die Zielerreichung stellt den Existenzzweck dar. Jeder Einzelne in der Gruppe verfolgt dieses Ziel und möchte es unbedingt erreichen, weshalb er ihm vieles, manchmal auch alles, unterordnet. Wenn die Gruppe das Ziel erreicht, muss auch jeder Einzelne es erreicht haben.
  3. Die Teammitglieder stehen gleichberechtigt nebeneinander und tragen füreinander Verantwortung. Kern der wechselseitigen Verantwortung sind aufrichtige Versprechen der Teammitglieder, die Engagement füreinander und gegenseitiges Vertrauen beinhalten.
  4. Die Mitglieder übernehmen verschiedene Rollen und kom­munizieren miteinander, um sich zu koordinieren. Nur so kann das Team etwas schaffen, das über die Summe aus den Einzelleistungen hinausgeht.
  5. Teams brauchen Zeit. Ein echtes Team hat eine gemein­same Geschichte durchlebt, zu der Misserfolge, Nieder­lagen, Durststrecken und schwierige Zeiten genauso gehören wie die Erfahrung, dass man gemeinsam erfolgreich sein kann und gute Leistungsergebnisse erzielt wurden.

__Diese grundlegenden Faktoren sind die Voraussetzung dafür, dass eine Mannschaft nicht nur einen Zusammenschluss von Spielern darstellt, sondern dass sie zusammen eine neue und größere Einheit bilden – synergetisch wirken.

 // Der Anfang von allem

Jeder dauerhaft erfolgreiche Trainer weiß, dass effek­tives Arbeiten mit Höchstleistern nur funktioniert, wenn er im intensiven Kontakt mit jedem Spieler/Sportler steht und dessen Motivationsanreize erschließen kann.

Make them go 2
Teamentwicklung aktiv steuern