Über Oliver Geissen

Foto: www.redpoint.tv/Wischmeyer

Oliver Geissen gehört zu Deutschlands bekanntesten und beliebtesten Fernsehmoderatoren. Er moderierte u.a. Die Oliver Geissen Show, Die ultimative Chartshow, mehrfach die Echo-Verleihungen sowie Deutschland sucht den Superstar. Er lebt mit seiner Frau, drei Söhnen und einer Tochter in Hamburg.

Walt Disney

Die Nacht war lau und sternenklar. Der Mond hing gelb am Himmel. Ein älterer Herr schlich zwischen zwei hochgewachsenen Palmen hindurch. Hätte ihn jemand in diesem Augenblick beobachtet, dann wäre ihm eine gewisse Geschmeidigkeit in den Hüften aufgefallen. Der Mann hielt kurz inne und lächelte. Damals war die Lässigkeit seiner Hüftbewegungen sein Markenzeichen gewesen und hatte jedes Publikum in Ekstase versetzt. Doch das war lange her. Und für immer vorbei? Nicht, wenn sein Plan aufging.

Der Mann hatte nun den Weg erreicht, der zum Strand führte. Dort befand sich auch der Flughafen. Der »Flughafen« war eigentlich nur ein kleiner Anleger, vor dem ein Wasserflugzeug auf seinen Kufen sanft in der Dünung schaukelte. Der Mann wusste, dass seine Schuhe mit den Kreppsohlen kaum ein Geräusch machten, dennoch schlich er auf Zehenspitzen an den Hütten vorbei. Nirgendwo brannte noch Licht, und niemand saß auf der Veranda.

Der Mann überlegte fieberhaft. Was, wenn jetzt jemand aufgewacht ist und mich gesehen hat? Dann ist mein ganzes Vorhaben für die Katz. All die heimlichen Vorbereitungen – vergebens.

Doch zum Glück rührte sich niemand.

»Gute Nacht, John«, murmelte er erleichtert, denn er wusste natürlich, wer in dieser Hütte so laut schnarchte. Dann ging er weiter auf den Strand zu. Jetzt konnte er das zweimotorige Wasserflugzeug sehen, das im Mondlicht glänzte.

Der Mann inspizierte die Umgebung gründlich. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass er allein bei dem Flugzeug war, warf er einen Blick auf die Hütten, die sich schemenhaft in der Nacht abzeichneten. Dort war noch immer alles ruhig. Da er im Augenblick nichts anderes tun konnte, als zu warten, kletterte er auf einen der Schwimmkörper, die das Flugzeug über Wasser hielten. Er setzte sich, lehnte sich mit dem Rücken an die Verstrebungen, sah auf den glitzernden Ozean und hing seinen Gedanken nach.

Er erinnerte sich, wie er als junger Mann mit seinem Lastwagen über die Landstraßen gefahren war und dabei aus voller Kehle die Lieder aus dem Radio mitgesungen hatte. Egal, welcher Sender, welcher Stil oder welches Genre. Er liebte

Der Lichtstrahl einer Taschenlampe glitt ihm über den Nacken und über die Wange. Er drehte sich um. Diesen Lichtstrahl hatte er früher oder später erwartet. Er erkannte einen schlanken Mann, der eine Taschenlampe in der Hand hielt. Der Hinzugekommene war vielleicht dreißig Jahre jünger, und seine anmutigen Bewegungen ließen auf eine Vergangenheit als Bühnentänzer schließen.

»Wolltest du mich erschrecken?«

Der Jüngere schüttelte den Kopf. »Schau dir diesen wunderbaren Mond am Himmel an. Da musste ich mir vorstellen, wie leichtfüßig man dort oben wohl herumlaufen könnte! Ich glaube, das könnte ich sogar.«

»Riesenidee«, entgegnete der Ältere, »ich würd’s dann Moonwalk nennen …«

Die beiden lachten los, hielten sich jedoch gleich die Hände vor die Münder. Waren sie etwa zu laut gewesen? Aber die Sorge war unbegründet. Die Insel lag so still und schweigend da wie zuvor.

Der Jüngere sprang ebenfalls auf den Schwimmkörper, und sie hangelten sich in den Rumpf des Flugzeugs. Die Kabinentür war unverschlossen. Die Kanzel des Piloten kümmerte die Männer nicht. Ihr Ziel war der Frachtraum. Im

Sie klappten den Deckel der Kiste auf. Sie war von innen gepolstert, und auf dem Boden lagen eine Proviantbox und ein Schlafsack. Der Ältere nickte zufrieden.

»Du hast an alles gedacht.«

Das Lob tat dem Jüngeren gut. Er wusste, dass er oft wegen seiner etwas höheren Stimme und etwas zögerlichen Art unterschätzt wurde, und das gefiel ihm nicht. Der Ältere hingegen gehörte zu den Menschen, die ihm vorbehaltlos vertrauten.

»Und du bist ganz sicher, dass morgen ein Flug zur großen Insel ansteht?«

Der Jüngere nickte in der Dunkelheit. »Keine Sorge, ich habe den Plan zweimal gecheckt.«

»Gut.«

»Du willst es also tatsächlich durchziehen?«, fragte der Jüngere, und seine Stimme klang ein wenig besorgt.

»Ja, manchmal muss ein Mann einfach tun, was ein Mann tun muss. Das weißt du doch, mein Sohn.«

»Schwiegersohn«, korrigierte der Jüngere.

Der Ältere grinste. Dieser Wortwechsel – Sohn, Schwiegersohn – war ihr Running Gag.

»Pass auf dich auf, ja? Und übertreib es nicht«, sagte der Jüngere mit leicht belegter Stimme.

Im Licht der Taschenlampe kroch der Ältere in die Kiste. Der Jüngere schloss den Deckel. Dann ging er zur Kabinen

Der Mann in der Kiste schloss die Augen und kontrollierte seinen Atem, bis er einen Zustand von innerer Balance und Zufriedenheit erreichte. Wenn er eines auf dieser Insel gelernt hatte, dann das.

Er versank in einen leichten Schlummer und wurde erst wieder wach, als die Piloten die Kabine enterten. Die Besatzung kontrollierte den Frachtraum nur kurz. Der Kopilot löste die Leinen und stieg dann zu seinem Chef in die Kabine. Als die Maschine sich weit genug vom Ufer entfernt hatte, drehte der Pilot sie mit der Nase in den Wind und warf die Propeller an.

Noch bevor sie ihre Reiseflughöhe erreicht hatten, war der Mann schon wieder eingeschlafen. Sein letzter wohliger Gedanke vor dem Wegdämmern war: Aloha, aber diesmal nicht von Hawaii.

Guten Tag, oder wie wir in meiner Heimat zu sagen pflegen: Namaste. Das bedeutet wörtlich: Verehrung dir. Was perfekt zu meinem Beruf passt. Mein Name ist Adschei – und ich bin Butler.

Bei aller Bescheidenheit, ich erlaube mir jetzt, Ihnen ein Versprechen zu geben. Die Geschichte, die ich Ihnen zu erzählen habe, wird Sie auf die wohl ungewöhnlichste Reise Ihres Lebens führen. Auf eine Insel, die einzigartig ist. Eine Insel, die mein Leben verändert hat. Eine Insel, die das Leben eines jeden verändert, der auf ihr lebt.

Wer zu uns auf die Insel kommt, lässt die Welt und den Trubel seines bisherigen Daseins hinter sich. Bei uns achtet jeder auf sich wie auch auf die anderen. Wir lassen es uns schmecken, kennen das rechte Maß, denn wir wissen nicht nur aus Erfahrung, dass in diesem Leben alles seine Zeit hat. Die lauten und großen Momente genauso wie die leisen und kleinen. Und dass ich, mit Verlaub, trotz meines fort

Wichtig ist natürlich, dass man mit sich selbst im Reinen ist. Früher – bevor ich auf die Insel kam – habe ich Leute gesehen, die sich emsig wie Hamster in Laufrädern abstrampelten, immer schwitzend, immer hechelnd, weil sie meinten, der Sprung auf die nächste Sprosse der Karriereleiter sei der Schritt zum ganz großen Glück. Hin und wieder kommt mir zu Ohren, dass es solche Leute noch immer geben soll. Ganz ehrlich: Über solche Biographien muss ich den Kopf schütteln, und am Ende tun mir diese Menschen einfach leid. Ich bin niemand, der sagt, nur Verzicht mache glücklich. Aber es ist wichtig zu wissen, was im Leben wirklich zählt. Und oft sind es die kleinen Dinge, die das große Gelingen ausmachen – sei es ein kleiner Spaziergang in der Morgensonne oder ein kurzer Blick auf den abendlichen Tanz der Seeschwalben.

Man sollte wissen, wer man selbst ist. Und wie man seine innere Mitte findet. Ich zum Beispiel nähere mich ihr jeden Morgen aufs Neue mit dem Sonnengruß. Ich trete hinaus auf meine kleine Veranda, kurz bevor die ersten Strahlen sie erreichen. Wenn der Himmel von seinem Schwarz über ein sattes Indigo allmählich in immer stärker leuchtendes Blau übergeht, stehe ich da und atme. Ein und aus.

Sobald dann der erste Sonnenstrahl auf meine Füße trifft, beginne ich. Strecke mich und beuge mich. Genau zwölf Mal wiederhole ich die zwölf Asanas des Sonnengrußes, und

Das geht nicht nur mir so.

Alle Bewohner unserer Insel – das lässt sich mit Fug und Recht behaupten – sind glücklich. Gelassen und glücklich auf ihre ganz eigene Art und Weise. Das bedeutet natürlich nicht, dass wir alle mit einem Heiligenschein herumwandeln. Jeder bei uns ist ein Mensch aus Fleisch und Blut, alle haben ihre Stärken und Schwächen. Und jedem muss es zugestanden sein, seine Launen und Marotten auszuleben. Aber die Inselbewohner wissen, dass sie am ehesten glücklich sein können, wenn sie erleben, dass es ihren Nachbarn genauso gut geht.

Das ist nicht selbstverständlich. Vielleicht kennen Sie die Geschichten von Meutereien aus fernen und nicht so fernen Tagen oder von Leuten, die auszogen, um in Eintracht und Frieden zu leben – und sich dann früher oder später bis aufs Messer bekriegten. Es braucht natürlich etwas mehr als nur guten Willen und paradiesische Strände unter Palmen, um wirklich glücklich zu sein.

Sir Richard, mein verehrter Arbeitgeber, sagte mir kürzlich: »Adschei, zum vollkommenen Glück braucht es besondere Menschen, Menschen wie dich.«

Ehrlich gesagt, hat mich dieses Lob überrascht (Sir Richard lobt selten, wie die meisten Vorgesetzten) und ver

Vielleicht fragen Sie sich nun, weshalb Sie von einer Insel, die so paradiesisch ist wie die unsere, noch nie gehört haben. Ist sie möglicherweise von geheimen Mächten vor den Blicken der Menschheit versteckt, mit allerlei neuzeitlichen Mitteln geradezu unsichtbar gemacht worden?

Mitnichten. Unsere Insel liegt mitten im Indischen Ozean, und sie ist auf allen Karten verzeichnet. Wer schon einmal auf sie gestoßen ist und etwas recherchiert hat, wird vor allem zwei Dinge erfahren haben. Erstens: Für Laien gibt es auf ihr nichts Interessantes zu entdecken (was ein Irrtum ist). Zweitens: Sie ist ein Naturschutzgebiet, welches nicht betreten werden darf (so die offizielle Sprachregelung).

Allerdings gibt es keine reguläre Karte von unserer Insel. Dafür ist sie einfach zu klein. Aber das ist kein Problem. Seit einiger Zeit existiert erstmals eine Skizze, die den Zwillingen einen Überblick über die Insel gibt. (Welchen Zwil

Oberflächlich betrachtet, erinnert unsere Insel an ein luxuriöses Ferienresort, von denen es in Äquatornähe so einige gibt. Wir haben zwei Strände: einen im Westen mit einer Strandbar und einen im Osten, wo die Hütten stehen. Wir nennen sie »Hütten«, dabei handelt es sich um exklusiv ausgestattete Bungalows, die, ehrlich gesagt, mehr mit einer Villa als mit einer Hütte gemein haben. Aber »Hütte« klingt heimeliger. Wir pflegen auf unserer Insel ein gewisses Understatement, und unsere Bewohner sind aus ihrem früheren Leben so viel Luxus gewöhnt, dass es ihnen darauf kaum noch ankommt. Die Einrichtung ist zeitlos und gediegen, und ich muss sagen, das hat sich bewährt.

Im Süden der Insel gibt es eine Plaza, wo sich die Inselbewohner zum Gespräch oder Gedankenaustausch treffen können. Daneben liegen das Fitnesscenter und ein komfortabel ausgestatteter Spa. Unweit davon ist das Personal in einer kleinen separaten Siedlung untergebracht. Bei uns ist es nicht wie in manch anderen Fünf-Sterne-Resorts, wo für die Gäste alles exquisit und perfekt hergerichtet ist, das Personal dagegen bei der Unterbringung deutliche Abstriche machen muss. Das würde der Philosophie von unserem ehrenwerten Sir Richard zutiefst widersprechen. Auch all seine Mitarbeiter sollen sich auf unserer Insel wohl und heimisch fühlen. Wie sonst könnten wir für unsere Bewohner freudig und selbstverständlich jeden Tag Bestleistungen erbringen?

Im Norden der Insel gibt es noch eine kleine Krankenabteilung, die wunderbarerweise so gut wie nie gebraucht

Es ist mir beinahe etwas unangenehm, ich möchte nicht den Verdacht bei Ihnen erregen, ein Angeber zu sein. Aber wenn Sie unsere Strände auch nur einmal gesehen hätten, diese warmen, sonnenüberfluteten Flächen aus weißem, puderfeinem Sand … Ich bin mir sicher, auch Sie würden gern davon erzählen! Stellen Sie sich vor, der Sand ist so weiß, dass es bei Vollmond am Strand beinahe taghell ist. Man kann von einem Ende zum anderen sehen, weil der Sand das Mondlicht reflektiert. Der Himmel über unserem Eiland leuchtet blau, nur selten zieht ein kleines Wölkchen vorbei, und das Meer schillert in atemberaubenden Türkistönen. Die Temperaturen bewegen sich – höchst angenehm – zwischen fünfundzwanzig und dreißig Grad, und falls es tatsächlich doch einmal Regen gibt, dann fällt er so sanft und derart wohltemperiert auf die Erde, als wollte er sich bei uns für seine Existenz entschuldigen. Doch dafür gibt es keinen Grund. Wir heißen jeden Schauer als Abwechslung für die Natur willkommen. Unter uns Inselbewohnern heißt der Regen »flüssige Sonne«.

Meine Position als Butler ist nicht ganz einfach zu beschreiben. Als ich vor Jahrzehnten anfing, war das noch anders. Ich war ein einfacher Bediensteter und hatte schlichte Aufgaben zu erfüllen: Wäsche machen, putzen, kleine Besorgungen erledigen, Drinks und Essen servieren … all das. Doch im Laufe der Jahre kamen immer weitere Aufgaben

Unsere Fitnesstrainerin Lulu sagt manchmal, dass ich für die Inselbewohner auch ein Kummerkastenonkel oder Gutelaunebär bin. Gespräche über mich und meine Fähigkeiten versuche ich möglichst zu vermeiden, aber das trifft es jedenfalls nicht. Auch wenn ich selbstverständlich ein offenes Ohr besitze und das ein oder andere aufmunternde Wort parat habe – Sie werden sicher verstehen, dass ich mich weder als Onkel noch als Bär sehe. Für einige – vielleicht sogar für alle unserer Bewohner – bin ich so etwas wie ein Lebensmensch. Das liegt vermutlich daran, dass ich mich immer ganz besonders um unsere Neuankömmlinge gekümmert habe. Die ersten Tage und Wochen auf unserer Insel bedeuten einen besonderen Einschnitt im Leben. Eine sensible Phase. Denn viele – ich wage sogar zu behaupten: alle – Inselbewohner waren in ihren früheren Leben nicht richtig glücklich. An materiellen Gütern mangelte es ihnen nicht. Was ihnen aber fehlte, war eine Balancierstange für den Drahtseilakt des Lebens, eine Orientierung und Trost. Auf jeden Fall das Gefühl, dass es Menschen gibt, die sie so sehen, wie sie wirklich sind. Und die sie trotzdem lieben.

Vielleicht klang es bis jetzt tatsächlich so, als würde ich

Gestatten Sie bitte, dass ich für einen kurzen Moment feierlich werde: Unsere Insel darf als das größte Geheimnis des 20. und 21. Jahrhunderts gelten. Unsere Bewohner haben ihr altes Leben verlassen, um bis ans Ende ihrer Tage bei uns zu bleiben. Adam und Eva wurden aus ihrem Paradies vertrieben. Bei uns kann das nicht passieren.

Und der Rest der Welt sieht natürlich eine ganz andere Seite der Medaille. Für jeden Menschen, der nicht auf unserer Insel wohnt, weilen unsere Gäste nicht mehr unter den Lebenden.

Ich werde Ihnen jetzt offenbaren, wer zu den Bewohnern unserer Insel gehört. Darf ich mich vergewissern, dass Sie gut sitzen? In Ordnung, und jetzt halten Sie sich fest! Die Namen unserer Bewohner lauten, in der Reihenfolge, wie sie auf der Insel eingetroffen sind:

Marilyn Monroe.

Elvis Presley.

John Lennon.

Bob Marley.

Kurt Cobain.

Michael Jackson.

Und last but not least: Amy Winehouse.

Ja, Sie haben richtig gelesen. All diese Ausnahmekünstler, von denen Sie glauben, sie seien tot – sie sind es nicht. Nicht im Geringsten. So wahr ich Adschei heiße. Es geht

Vor über fünf Jahrzehnten, am 5. August 1962, traf Marilyn Monroe bei uns ein. Damals wollten viele Frauen so sein wie sie, viele Männer verehrten sie. Auch ich habe sie bewundert, obwohl ich damals noch ein sehr, sehr junger Mann war und nicht viele ihrer Filme habe sehen können. Mittlerweile ist Marilyn eine betagte Dame, aber sie lässt noch immer ihren unvergleichlichen Charme spielen. Dass dies seine Wirkung nie verfehlt und die Männerwelt nur allzu gerne mitspielt, weiß sie nur zu genau.

Sir Richard, mein verehrter Vorgesetzter, hat uns ermuntert, sie in diesem Glauben an ihre immerwährenden Reize zu bestärken. Aber das war gar nicht nötig. Es fällt überhaupt nicht schwer, sie mit Komplimenten aufzuheitern, denn Marilyn ist eine wahrhaft bezaubernde Frau. Und diesem Zauber kann die Zeit nichts anhaben. Ein eher kleiner Prinz sagte mal, dass man nur mit dem Herzen gut sieht, doch ich möchte in aller Bescheidenheit hinzufügen, dass es eine außergewöhnliche Schönheit gibt, die man mit Herz und Augen noch viel besser sieht. Wie eben die Schönheit Marilyns.

Nach Marilyns Ankunft hatten wir sehr lange keine Neuzugänge. Was ich – ganz im Vertrauen – sehr genoss. Bis am 16. August 1977 ein gewisser Elvis Aaron Presley eintraf. Einige seiner größten Hits hatte ich gehört, bevor ich auf die Insel kam. Ein großartiger Musiker, keine Frage, obwohl ich – was mir persönlich sehr wichtig ist – ein meditatives Element in seinen Liedern vermisse. Das habe ich ihm natürlich niemals verraten. Jedenfalls hegte auch Elvis Presley

Anfang der achtziger Jahre ging es bei uns geradezu hektisch zu. Drei Wochen vor Weihnachten, im Dezember 1980, traf John Winston Lennon ein, und kein halbes Jahr später, im Mai 1981, gesellte sich Bob Marley zu uns. Die beiden verstanden sich auf Anhieb, auch wenn sie das Außenstehende nur selten merken lassen. Sie frotzeln und kabbeln sich ohne Unterlass.

Im letzten Jahrzehnt des letzten Jahrtausends hatten wir nur einen Neuzugang: Kurt Cobain von der Musikgruppe Nirvana. Von der hatte ich noch nie gehört, was natürlich nicht weiter verwunderlich ist. Noch bevor Kurt das erste Mal seine Haare richtig lang wachsen ließ, wohnte ich schon auf der Insel. Und hier interessiert uns das Geschehen in der Welt da draußen nicht sonderlich, ebenso wenig wie die Neuigkeiten aus Musik- und Showbusiness. Klar wäre es möglich, sich von Sir Richard Informationen, technische Gerätschaften oder eben auch neue Musik besorgen zu lassen. Aber niemand, der auch nur eine Woche bei uns verbracht hat, hegt solche Bedürfnisse.

Der vorletzte Neuankömmling war im Juni 2009 Michael Jackson. Da habe ich Elvis zum ersten Mal sprachlos gesehen. Für Elvis war dieser neue Gast etwas ganz Besonderes. Er war Familie – wenn auch nicht so richtig … Als Michael ihm verkündete, dass er – wenn auch nur für kurze

2011 kam Amy Winehouse zu uns. Auch sie blühte nach kurzer Zeit richtig auf. Doch das war auch wirklich kein Wunder. Wer weiß, was für ein Leben sie vorher führen musste und welche Leuten sie umgaben, dem war klar: Es gab nur eine Richtung, es konnte nur besser werden. Amy, so war es mir angekündigt worden, sei berühmt-berüchtigt dafür, dass sie eine Schwäche für – na, sagen wir mal – schwierige Jungs hatte. Und so kam es, wie es kommen musste. Amy wurde immer öfter mit Kurt beim Strandspaziergang gesichtet. Obwohl der inzwischen natürlich längst nicht mehr als schwierig durchgehen konnte, sondern ein sehr geerdeter und ausgeglichener Mensch geworden war. Was die besten Auswirkungen auf Amy hatte. Die beiden taten einander definitiv gut.

Nun geht die Zeit an niemandem spurlos vorüber, und so sind unsere Inselbewohner natürlich auch in die Jahre gekommen. Wobei zu berücksichtigen ist, dass es keinen Ort auf der Welt gibt, an dem die Menschen dem körperlichen und seelischen Verfall so beherzt und fröhlich entgegenwirken: durch gute Luft, viel Bewegung unter dem weiten Himmel, gute Ernährung und – nicht zuletzt – unseren Tee.

Unabhängig davon sind unsere Bewohner in Herz und

Über Marilyn haben wir schon gesprochen. Elvis ist längst im Pensionsalter, John Lennon auch.

Kurt und Amy sind dagegen noch die blühende Jugend, und Michael Jackson ist das, was man anderswo wohl einen Best Ager nennen würde – zumindest auf dem Papier.

Ich versichere Ihnen noch einmal, dass die Insel, auf der all die genannten tot geglaubten Superstars ein erfülltes Leben führen, wirklich existiert. Es gibt sie eben noch auf dieser Welt: die Orte, an denen Träume wahr werden können. Und ich hoffe sehr, dass Sie sich mit dieser Vorstellung anfreunden können. Es ist eben tatsächlich so, wie der ehrenwerte Mahatma sagt: »Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier.«

Ehrlich gesagt, habe ich eine ganze Weile gebraucht, um die Existenzberechtigung unseres Insellebens in all ihren Facetten zu begreifen. Sir Richard, der in der Welt der Reichen und Schönen ein- und ausgeht, hat es einmal so auf den Punkt gebracht: »Viele Leute denken, beruflicher Erfolg plus eine steile Karriere im Showbusiness bedeuten automatisch Glück und Zufriedenheit rund um die Uhr.« So ungefähr hatte ich mir das früher auch vorgestellt. Von den Fans vergöttert, von den Medien gefeiert – das musste der wahre Himmel auf Erden sein. Doch so ist es natürlich nicht, das habe ich von unseren Bewohnern zur Genüge erfahren. Viele unserer Gespräche drehten sich um denkwürdige Augenblicke in ihren Karrieren, auch untereinander sprachen sie manchmal über ihre Erfahrungen. Manches Detail werde ich keiner Menschenseele erzählen, aber eines habe ich erfahren und will es gerne weitergeben: Die Gitterstäbe eines goldenen Käfigs können sehr dick sein.

Nicht dass wir uns missverstehen. Das Leben eines Superstars hat wenig mit dem eines Galeerensträflings oder eines Minenarbeiters gemein. Im Gegenteil, in diesem Geschäft hat man phasenweise extrem viel freie Zeit. Mit einem Beruf wie dem meinen, der einer wohltuenden Regelmäßigkeit unterliegt, ist das gar nicht zu vergleichen. Aber wenn dann die Arbeitsphase beginnt, wird die Belastung so intensiv und erbarmungslos, dass sofort Versagensängste aufkommen.

Wohl kein Superstar würde es jemals zugeben, aber ich wette: Jeder kennt die Befürchtung, dass man es dieses eine Mal nicht schaffen wird. Wenn ich an die Erzählungen – oder meist waren es eher Andeutungen – von Michael

Natürlich, eine Arbeitszeit von fünf, sechs Stunden pro Tag hört sich nicht besonders üppig an. Allerdings ist diese Arbeit kaum mit einer anderen zu vergleichen. Natürlich ist es theoretisch möglich, sich nach den Konzerten mit Freunden oder der Familie zu treffen, um in aller Ruhe Essen zu gehen. Allerdings ist ein Konzert meist erst gegen elf Uhr abends zu Ende. Kurzes Interview, frisch machen, zum Restaurant fahren – erst eine Dreiviertelstunde nach Mitternacht sitzt man völlig fertig mit den Kindern am Tisch und isst zu Abend. Pädagogisch nicht ganz unumstritten. Aber selbst wenn die Familie nicht dabei ist, sondern nur Freunde oder Teammitglieder, ist ein richtiges Gespräch oft gar nicht mehr möglich, denn die Konzentrationsfähigkeit geht um diese Uhrzeit nach all den Strapazen gegen null.

Wie Sie vermutlich ahnen, habe ich selbst nie auf einer

Aber auch die Welt des Showbusiness hat sich im Laufe der Jahrzehnte gewandelt. Elvis und Marilyn zum Beispiel sprachen kaum von den sogenannten Paparazzi. Ein Begriff, den ich gar nicht kannte und den sie mir erst erklären mussten. Amy hingegen schien mit diesen aufdringlichen Pressefotografen jede Menge Probleme gehabt zu haben. Einmal fragte ich sie behutsam, ob man das nicht als Berufsrisiko akzeptieren müsse. Schließlich gehört es dazu, dass Stars fotografiert werden und sich die Leute für ihr Privatleben interessieren. Grundsätzlich gab Amy mir recht. Aber sie hatte leidvolle Erfahrungen mit den Boulevardmedien gemacht. Offenbar war sie ein begehrtes Motiv gewesen, weil sie gelegentlich über das Ziel hinausschoss und nicht selten aus gewissen Londoner Clubs hinaustorkelte und mit letzter Kraft und viel Hilfe die rettende Limousine erreichte. Diese Bilder und Geschichten ließen sich hervorragend verkaufen.