Paretsky, Sara Ihr wahrer Name

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Übersetzt aus dem Amerikanischen von Sonja Hauser

 

ISBN: 978-3-492-98379-2

© dieser Ausgabe Piper Verlag GmbH, München 2018

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Hard Time«

© Delacorte Press, New York 1999

© der deutschsprachigen Ausgabe: Piper Verlag GmbH, München 2001

Covergestaltung: Favoritbüro, München

Covermotiv: Freedom Master/shutterstock

 

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Widmung

Für Sara Krupnik und Hannah Paretsky, deren Namen ich trage.

Möge derjenige, der dort oben für Frieden sorgt, uns allen Frieden gewähren.

Inhalt

Lotty Herschels Geschichte:

Arbeitsmoral

Die Kälte in jenem Winter fraß sich in unsere Knochen. Das kannst du dir nicht vorstellen, denn du lebst in einer Zeit, in der du nur die Heizung aufzudrehen brauchst, um es so warm zu haben, wie du möchtest, aber damals in England war der einzige Brennstoff Kohle, und in jenem zweiten Winter nach dem Krieg herrschte schrecklicher Mangel. Wie alle hatte ich Six-penny-Münzen für die elektrische Heizung in meinem Zimmer gesammelt, aber selbst wenn ich es mir hätte leisten können, sie die ganze Nacht laufen zu lassen, hätte sie nicht viel Wärme gespendet.

Eine der Frauen in meiner Unterkunft bekam eine Bahn Fallschirmseide von ihrem Bruder, der bei der britischen Luftwaffe gewesen war, und wir machten uns daran, Mieder und Schlüpfer daraus zu schneidern. Damals konnten wir alle noch stricken; ich trennte alte Pullover auf, um Schals und Westen zu machen – neue Wolle kostete seinerzeit ein Vermögen.

In der Wochenschau sahen wir, daß amerikanische Schiffe und Flugzeuge den Deutschen alles brachten, was sie brauchten. Während wir uns in Decken und Pullover wickelten und Graubrot mit Butterersatz aßen, machten wir bittere Scherze darüber, daß es falsch gewesen war, die Amerikaner zum Kriegseintritt zu bewegen, um den Ausgang der Auseinandersetzungen für uns zu entscheiden – wären wir die Verlierer gewesen, hätten sie uns besser behandelt, sagte die Frau, die die Fallschirmseide von ihrem Bruder bekommen hatte.

Ich hatte meine Ausbildung zur Ärztin begonnen und konnte deshalb nicht viel Zeit im warmen Bett verbringen. Außerdem war ich froh, daß ich jeden Tag ins Krankenhaus gehen konnte, obwohl es dort auch nicht warm war: Patienten und Schwestern drängten sich um den großen Ofen in der Mitte der Station, tranken Tee und erzählten Geschichten. Wir Studenten beneideten sie um ihre Kameradschaft. Die Schwestern erwarteten professionelles Verhalten von uns Medizinstudenten – oder besser gesagt: Sie hatten Freude daran, uns herumzukommandieren. Wir machten unsere Runden mit zwei Paar Strumpfhosen übereinander und hofften, daß die Fachärzte unsere Handschuhe nicht bemerkten, wenn wir ihnen von Bett zu Bett folgten und über Symptome aufgeklärt wurden, die in vielen Fällen Mangelerscheinungen waren.

Sechzehn bis achtzehn Stunden Arbeit am Tag ohne richtiges Essen forderten ihren Tribut von uns allen. Viele meiner Mitstudenten erkrankten an Tuberkulose und bekamen deshalb frei – nur bei einer solchen Erkrankung erlaubte es das Krankenhaus, daß wir die Ausbildung unterbrachen und hinterher wieder aufnahmen, auch wenn bei manchen die Genesung länger als ein Jahr dauerte. Allmählich begannen sich die neuen Antibiotika durchzusetzen, aber sie kosteten ein Vermögen und waren noch nicht überall erhältlich. Als es auch mich erwischte und ich zu meiner Vorgesetzten gehen und ihr erklären mußte, daß ein Freund meiner Familie ein Cottage in Somerset habe, wo ich mich erholen könne, nickte sie nur düster, denn in meinem Kurs waren bereits fünf Studenten erkrankt. Trotzdem erledigte sie die nötigen Formalitäten für mich und trug mir auf, ihr einmal monatlich zu schreiben. Gleichzeitig drückte sie ihre Hoffnung aus, mich vor Ablauf eines Jahres wiederzusehen.

Ich blieb acht Monate weg. Eigentlich hatte ich früher zurückkehren wollen – ich sehnte mich danach, endlich wieder dazusein –, aber Claire – Claire Tallmadge, die seinerzeit bereits Medizinalassistentin war und eine Stelle als Fachärztin so gut wie sicher in der Tasche hatte – überzeugte mich, daß ich noch zu schwach sei.

Meine Rückkehr ins Royal Free empfand ich als höchste Freude. Die Routine im Krankenhaus, meine Studien – all das war wie Balsam für mich, es trug zu meiner Heilung bei. Eines Tages rief meine Vorgesetzte mich sogar zu sich ins Büro, um mir zu sagen, daß ich mich nicht überanstrengen solle; es sei nicht im Interesse der Klinik, wenn ich einen Rückfall erlitte.

Sie begriff nicht, daß die Arbeit meine einzige Rettung war, ja, vielleicht schon so etwas wie eine zweite Haut. Das Vergessen, das einem harte Arbeit schenken kann, ist ein Rauschmittel. »Arbeit macht frei«, so lautete eine jener fast schon obszönen Parolen, die die Nazis sich ausdachten, aber kann sie einen möglicherweise sogar betäuben? Über dem Eingang all ihrer Lager befanden sich solche und ähnliche Slogans wie aus Orwells 1984; über dem von Auschwitz hing der obenerwähnte. Natürlich handelte es sich dabei um eine diabolische Parodie, aber ich bin der Meinung, daß Arbeit tatsächlich betäuben kann. Wenn man auch nur einen Augenblick zu arbeiten aufhört, beginnt das Innere des Menschen sich aufzulösen; schon bald ist er so formlos, daß er sich überhaupt nicht mehr bewegen kann. Das jedenfalls war meine Angst.

Als ich erfuhr, was mit meiner Familie passiert war, verlor ich völlig den Boden unter den Füßen. Eigentlich hätte ich mich auf den Schulabschluß vorbereiten sollen, denn das Ergebnis war wesentlich für die Einschreibung in die Universität, aber plötzlich besaßen die Prüfungen nicht mehr die Bedeutung, die sie den ganzen Krieg über für mich gehabt hatten. Jedesmal wenn ich mich zum Lernen hinsetzte, hatte ich das Gefühl, als würden mir die Eingeweide mit einem riesigen Staubsauger weggesaugt.

Daß ausgerechnet meine Cousine Minna mir zu Hilfe kam, war Ironie des Schicksals. Seit ich zu ihr gekommen war, hatte sie nichts als Kritik für meine Mutter übrig gehabt. Die Nachricht vom Tod meiner Mutter hatte kein respektvolles Schweigen zur Folge, sondern eine noch heftigere Schimpftirade. Heute weiß ich aufgrund meiner Lebenserfahrung, daß das hauptsächlich auf ihre Schuldgefühle zurückzuführen war: Sie hatte meine Mutter gehaßt und war so viele Jahre auf sie eifersüchtig gewesen, daß sie jetzt ihre Gefühllosigkeit, ja sogar Grausamkeit nicht zugeben konnte. Wahrscheinlich trauerte sie selbst, weil auch ihre eigene Mutter verschwunden war und die ganze Familie, die den Sommer stets mit Schwimmen und Reden am Kleinsee verbracht hatte, aber egal. Das ist alles längst vorbei.

Wenn ich nach Hause ging, streifte ich so lange durch die Straßen, bis ich erschöpft genug war, daß ich nichts mehr empfand, wenn Minna mich fragte: »Du findest also, daß du ein schlimmes Schicksal erleidest? Daß du die einzige Waise in einem fremden Land bist? Hättest du nicht Victor seinen Tee geben sollen? Er sagt, er hat über eine Stunde auf dich gewartet und ihn sich dann selbst gemacht, weil du dir zu gut dazu bist, dich wohl für eine von den ›gnädigen Frauen‹ hältst.« Dabei machte Minna, die zu Hause nur Deutsch sprach, weil sie Englisch nie richtig gelernt hatte – wofür sie sich schämte, was sie aber auch wütend machte –, einen Knicks vor mir. »Willst dir wohl die Hände nicht schmutzig machen mit richtiger Arbeit oder dem Haushalt. Du bist genau wie Lingerl. Ich frage mich wirklich, wie eine solche Prinzessin dort so alt werden konnte, so ganz, ohne verwöhnt zu werden. Hat sie den Kopf schräg gelegt und mit den Wimpern geklimpert, bis die Aufseher oder die anderen Gefangenen ihr das eigene Brot gegeben haben? Madame Butterfly ist tot. Es wird Zeit, daß du lernst, was richtige Arbeit ist.«

Da stieg die größte Wut in mir auf, die ich in meinem Leben je empfunden habe. Ich gab ihr eine Ohrfeige und schrie sie an: »Wenn die Leute sich um meine Mutter gekümmert haben, dann deshalb, weil sie sie mit Liebe belohnte. Und aus dir machen sie sich nichts, weil du einfach abscheulich bist.«

Sie starrte mich einen Augenblick mit offenem Mund an. Allerdings fing sie sich schnell wieder und versetzte mir ihrerseits einen so heftigen Schlag, daß meine Lippe von ihrem großen Ring aufplatzte. Und dann fauchte sie mich an: »Ich hab’ dich das Stipendium für die Schule nur annehmen lassen, weil ich davon ausgegangen bin, daß du dich für meine Großzügigkeit revanchierst, indem du dich um Victor kümmerst. Und ich muß dir wohl nicht sagen, daß du das nicht getan hast. Statt ihm seinen Tee zu machen, treibst du dich in den Kneipen und Tanzsälen herum wie deine Mutter. Max oder Carl oder einer von den anderen Einwandererjungen wird dir irgendwann noch das gleiche schenken wie Martin – so hat er sich jedenfalls selbst genannt – damals Madame Butterfly. Gleich morgen früh gehe ich zu deiner Schulleiterin, deiner geliebten Miss Skeffing, und sage ihr, daß du deine Ausbildung nicht fortsetzen kannst. Es wird allmählich Zeit, daß du dich hier nützlich machst.«

Mit blutigem Gesicht rannte ich völlig durcheinander durch halb London zu der Jugendherberge, in der meine Freunde wohnten – du weißt schon, Max und Carl und die anderen. Sie waren im Jahr zuvor sechzehn geworden und hatten nicht mehr in ihren Pflegefamilien bleiben können. Ich flehte sie an, mir für die Nacht irgendein Bett zu besorgen. Am nächsten Morgen, als Minna in ihrer geliebten Handschuhfabrik war, schlich ich mich zurück, um meine Bücher und meine Kleidung zu holen, die ohnehin nur aus zwei Sets Unterwäsche und einem Kleid zum Wechseln bestand. Victor döste im Wohnzimmer und bekam gar nicht richtig mit, daß ich da war.

Miss Skeffing machte eine Familie in North London für mich ausfindig, die mir ein Zimmer zur Verfügung stellte, wenn ich das Kochen für sie übernahm. Und ich begann zu lernen, als könnte ich meine Mutter durch meine Arbeit wieder ins Leben zurückholen. Sobald ich am Abend mit dem Abspülen fertig war, beschäftigte ich mich mit chemischen und mathematischen Problemen und schlief manchmal nur vier Stunden, bevor ich aufstand, um das Frühstück für die Familie zuzubereiten. Und seitdem habe ich eigentlich nie mehr mit dem Arbeiten aufgehört.

So endete die Geschichte, die Lotty mir an einem trüben Oktobertag auf einem Hügel über einer trostlosen Landschaft erzählte, bis sie zu erschöpft war, um noch weiterzureden. Schwerer fällt es mir festzustellen, wo die Geschichte begann.

Selbst jetzt noch, da ich ruhig bin und wieder denken kann, ist es schwierig zu sagen, ja, genau, deswegen war’s oder deswegen. In jener Zeit hatte ich tausend andere Dinge im Kopf. Zum Beispiel Morrell, der gerade die letzten Vorbereitungen für seine Reise nach Afghanistan traf. Darüber machte ich mir die meisten Gedanken, aber natürlich versuchte ich gleichzeitig, meine Arbeit zu erledigen, meine ehrenamtlichen Tätigkeiten zu bewältigen und meine Rechnungen zu bezahlen. Vermutlich begann meine eigene Verwicklung in die Geschichte mit Isaiah Sommers, vielleicht aber auch mit der Konferenz der Birnbaum Foundation – mit beiden hatte ich es am selben Tag zu tun.

1 Babysitter

»Sie wollten nicht mal die Beisetzungsfeier machen. Die Kirche war voll, die Frauen haben geweint. Mein Onkel war Diakon und ein rechtschaffener Mann. Als er gestorben ist, war er siebenundvierzig Jahre in der Kirche. Meine Tante ist völlig zusammengebrochen, das können Sie sich ja wahrscheinlich vorstellen. Die hatten doch tatsächlich den Nerv zu sagen, daß die Police bereits ausbezahlt worden ist. Aber wann? Das würde ich gern wissen, Ms. Warshawski, oder ob überhaupt. Mein Onkel hat fünfzehn Jahre lang seine fünf Dollar in der Woche eingezahlt, und meine Tante hat kein Wort davon gehört, daß er die Versicherung jemals beliehen oder sie sich auszahlen hätte lassen.«

Isaiah Sommers war klein und stämmig und sprach langsam und gesetzt, als wäre er selbst Diakon. Ich hatte Mühe, während der Pausen, die er zwischen den Sätzen machte, nicht einzuschlafen. Wir saßen im Wohnzimmer seines Bungalows in der South Side. Es war kurz nach sechs, und der Tag hatte sich für meinen Geschmack schon viel zu lange hingezogen.

Ich war bereits morgens um halb neun im Büro gewesen, um jene routinemäßigen Nachforschungen zu erledigen, aus denen meine Arbeit zum größten Teil besteht, als Lotty Herschel mich mit einer dringenden Bitte anrief. »Du weißt doch, daß der Sohn von Max Calia und Agnes aus London mitgebracht hat, oder? Und jetzt hat sich für Agnes plötzlich die Gelegenheit ergeben, ihre Dias in einer Galerie in der Huron Street zu zeigen, aber sie braucht einen Babysitter für Calia.«

»Ich bin kein Babysitter, Lotty«, sagte ich ungeduldig. Calia ist die fünfjährige Enkelin von Max Loewenthal.

Aber Lotty schenkte meinem Einwand keinerlei Beachtung. »Max hätte mich nicht angerufen, wenn jemand anders dagewesen wäre. Seine Haushälterin hat heute ihren freien Tag, und er muß zu dieser Konferenz im Hotel Pleiades, obwohl ich ihm tausendmal gesagt habe, daß er sich dort nur unnötig selbst zur Schau stellt – doch das spielt jetzt keine Rolle. Jedenfalls ist er mit seiner Diskussion um zehn dran – sonst hätte er selbst auf Calia aufgepaßt. Ich hab’ Mrs. Coltrain bei mir in der Klinik gefragt, aber die haben alle zu viel zu tun. Michael probt den ganzen Nachmittag mit dem Orchester, und die Sache mit der

Galerie könnte eine wichtige Chance für Agnes sein. Vic, ich weiß, daß ich dich überrumple, aber es wäre ja auch nur für ein paar Stunden.«

»Warum fragst du nicht Carl Tisov?« erkundigte ich mich. »Der ist doch auch bei Max, oder?«

»Carl und Babysitten? Wenn der seine Klarinette in der Hand hat, merkt er nicht mal mehr, wenn’s das Dach über seinem Kopf vom Haus fegt. Das hab’ ich selbst mal erlebt, bei den V-1-Angriffen. Kannst du mir sagen, ob du’s machst oder nicht? Ich bin gerade bei meiner Runde in der Klinik und habe auch ansonsten ein volles Programm.« Lotty ist Leiterin der Perinatologischen Abteilung im Beth Israel Hospital.

Ich versuchte selbst noch jemanden aufzutreiben und fragte auch meine Teilzeitassistentin, die drei Pflegekinder hat, aber niemand konnte mir helfen. Schließlich sagte ich Lotty mürrisch zu. »Ich hab’ um sechs einen Termin bei einem Klienten ganz draußen in der South Side, also muß mich jemand bis spätestens fünf ablösen.«

Als ich zu Max nach Evanston fuhr, um Calia abzuholen, war Agnes ziemlich hektisch, aber auch sehr dankbar. »Jetzt finde ich nicht mal mehr meine Dias. Calia hat mit ihnen gespielt und sie in Michaels Cello gesteckt, worüber er sich furchtbar aufgeregt hat. Und nun weiß er nicht mehr, wo er sie in seinem Zorn hingeschmissen hat.«

Michael gesellte sich, mit einem T-Shirt bekleidet, den CelloBogen in der Hand, zu uns. »Tut mir leid, Schatz. Sie müssen im Wohnzimmer sein – da habe ich geübt. Vic, ganz herzlichen Dank, daß du uns hilfst. Dürfen wir dich und Morrell nach unserem Konzert am Sonntag nachmittag zum Abendessen einladen?«

»Das geht nicht, Michael!« fuhr Agnes hastig dazwischen. »Da gibt doch Max die Dinnerparty für dich und Carl.«

Michael spielt Cello im Cellini Chamber Ensemble, jenem Kammerorchester, das in den vierziger Jahren von Max und Lottys Freund Carl Tisov in London gegründet worden war. Der Auftakt der im Zweijahresturnus stattfindenden internationalen Tournee des Ensembles fand in Chicago statt. Außerdem sollte Michael ein paar Konzerte zusammen mit dem Chicago Symphony Orchestra geben.

Agnes nahm Calia kurz in den Arm, bevor sie sagte: »Victoria, vielen, vielen Dank. Aber bitte tu mir den Gefallen und setz sie nicht vor den Fernseher. Sie darf nur eine Stunde pro Woche schauen, und amerikanische Sendungen sind meiner Meinung nach sowieso nicht für sie geeignet.« Dann hastete sie ins Wohnzimmer, und man konnte hören, wie sie auf der Suche nach den Dias wütend die Kissen vom Sofa riß. Calia verzog das Gesicht und nahm meine Hand.

Schließlich zog Max ihr die Jacke an und sorgte dafür, daß ihr Hund, ihre Puppe und ihre »Allerlieblingsgeschichte« in ihrem kleinen Rucksack landeten. »Was für ein Durcheinander«, brummte er. »Man könnte meinen, die NASA startet ein Raumschiff. Lotty hat mir gesagt, daß du abends einen Termin in der South Side hast. Wir könnten uns um halb fünf im Foyer des Hotels Pleiades treffen. Bis dahin müßte ich eigentlich fertig sein und könnte dir diesen kleinen Wildfang wieder abnehmen. Wenn’s irgendwelche Probleme gibt, kannst du mich über meine Sekretärin erreichen. Victoria, wir sind dir wirklich sehr dankbar.« Er begleitete uns nach draußen, wo er Calia auf die Stirn küßte und mich auf die Hand.

»Ich hoffe, deine Diskussion wird nicht zu schmerzlich für dich«, sagte ich.

Er lächelte. »Dann hat Lotty dir also von ihren Ängsten erzählt? Sie reagiert allergisch auf die Vergangenheit. Ich mag mich selbst auch nicht ständig damit auseinandersetzen, bin aber der Meinung, daß es gut ist, wenn andere Menschen sie verstehen.«

Ich schnallte Calia auf dem Rücksitz meines Mustangs an. Die Birnbaum Foundation, die oft solche Veranstaltungen organisierte, hatte beschlossen, eine Konferenz zum Thema »Christen und Juden: ein neues Millennium, ein neuer Dialog« abzuhalten. Das Programm hatte die Stiftung veröffentlicht, nachdem eine Baptistengruppe aus den Südstaaten im gerade zu Ende gegangenen Sommer ihren Plan verkündet hatte, zur Bekehrung der Juden hunderttausend Missionare nach Chicago zu schicken. Diese Initiative der Baptisten war schließlich im Sande verlaufen, weil nur ungefähr eintausend hartgesottene Anhänger der Gruppe auftauchten. Ganz billig war die Sache für die Baptisten nicht, weil sie den Hotels Stornogebühren für die reservierten Zimmer zahlen mußten. Zu dem Zeitpunkt jedoch waren die Planungen für die Konferenz der Birnbaum Foundation bereits in vollem Gange.

Max nahm an der Finanzdiskussionsrunde teil, was Lotty wütend machte: Er würde dabei seine Nachkriegserfahrungen im Zusammenhang mit seinem Versuch beschreiben, seine Verwandten und ihr jeweiliges Vermögen aufzuspüren. Lotty meinte, er stelle so nur sein persönliches Elend zur Schau und trage zur Verstärkung des Klischees vom Juden als Opfer bei. Außerdem gebe die Beschäftigung mit verlorengegangenen Vermögenswerten einer zweiten beliebten Klischeevorstellung Nahrung, nämlich daß alle Juden geldgierig seien. Doch darauf antwortete Max jedesmal: Wen interessiert das Geld hier denn wirklich? Die Juden? Oder nicht vielmehr die Schweizer, wenn sie sich weigern, es den Leuten zurückzugeben, die es verdient und auf Konten eingezahlt haben? Worauf stets eine heftige Auseinandersetzung folgte. In ihrer Gesellschaft zu sein, war in jenem Sommer ziemlich anstrengend gewesen.

Auf dem Rücksitz hinter mir plapperte Calia fröhlich vor sich hin. Die Privatdetektivin als Babysitter: Dieses Bild kam einem nicht unbedingt als erstes in den Sinn, wenn man an Krimis dachte. Ich glaube nicht, daß Race Williams oder Philip Marlowe sich jemals als Babysitter betätigt haben. Am Ende jenes Vormittags kam ich zu dem Schluß, daß sie einfach nicht stark genug gewesen waren, um mit einem fünfjährigen Kind fertig zu werden.

Als erstes ging ich mit Calia in den Zoo, weil ich dachte, das würde die Kleine so müde machen, daß sie sich hinterher ein bißchen ausruhen würde, während ich ein paar Arbeiten in meinem Büro erledigte, aber dieser Optimismus erwies sich als naiv. Sie malte ungefähr zehn Minuten lang mit ihren Buntstiften, dann mußte sie aufs Klo, wollte ihren Großvater anrufen, beschloß, mit mir in dem langen Flur des Lagerhauses, in dem sich mein Büro befindet, Fangen zu spielen, jammerte, sie sei trotz der Sandwiches, die wir im Zoo gegessen hatten, »schrecklich« hungrig, und verkeilte schließlich einen meiner Dietriche in der Rückseite des Fotokopierers.

Da gab ich auf und fuhr mit ihr in meine Wohnung, wo mir die Hunde und mein Nachbar von unten Gott sei Dank zu ein wenig Ruhe verhalfen. Mr. Contreras, früher Maschinenschlosser und jetzt im Ruhestand, freute sich, sie auf dem Rücken durch den Garten zu tragen; die Hunde begleiteten sie. Ich ging unterdessen hinauf, um am Küchentisch ein paar Anrufe zu erledigen; die hintere Tür ließ ich offen, damit ich hörte, wenn die Geduld von Mr. Contreras sich erschöpfte, doch ich schaffte tatsächlich eine ganze Stunde Arbeit. Danach erklärte Calia sich bereit, zusammen mit den beiden Hunden Peppy und Mitch im Wohnzimmer zu sitzen und sich ihre »Allerlieblingsgeschichte« Der treue Hund und die Prinzessin vorlesen zu lassen.

»Ich hab’ auch einen Hund, Tante Vicory«, verkündete sie und holte ihren blauen Plüschhund aus dem Rucksack. »Er heißt Ninshubur, genau wie der in der Geschichte. In der Sprache des Volkes von der Prinzessin heißt Ninshubur ›treuer Freund‹.«

Als Calia und ich uns knapp drei Jahre zuvor kennengelernt hatten, war sie noch nicht in der Lage gewesen, »Victoria« auszusprechen, und seitdem war es bei »Vicory« geblieben.

Calia konnte noch nicht lesen, kannte die Geschichte aber auswendig und rief: »Denn lieber verliere ich das Leben als meine Freiheit«, als die Prinzessin sich in einen Wasserfall stürzte, um einer bösen Zauberin zu entgehen. »›Ninshubur, der treue Hund, sprang von Fels zu Fels, ohne auf die Gefahr zu achten.«« Schließlich rettete er die Prinzessin aus dem Fluß.

Calia drückte ihren blauen Plüschhund tief in das Buch und warf ihn dann auf den Boden, um seinen Sprung in den Wasserfall zu demonstrieren. Peppy, meine wohlerzogene GoldenRetriever-Hündin, saß in Habachtstellung und wartete auf den Befehl, das Plüschtier zu holen, während ihr Sohn sich sofort darauf stürzte. Calia schrie auf und rannte Mitch nach. Beide Hunde begannen zu bellen. Als ich Ninshubur endlich gerettet hatte, waren wir alle den Tränen nah. »Ich hasse Mitch. Er ist ein böser Hund, ich bin höchst verärgert über sein Verhalten«, erklärte mir Calia.

Gott sei Dank war es mittlerweile halb vier. Ungeachtet der Bitte von Agnes setzte ich Calia vor den Fernseher, während ich mich duschte und umzog. Auch heute, in der Zeit der legeren Kleidung, erwarten neue Klienten ein professionelles Auftreten, und so schlüpfte ich in ein graugrünes Kostüm und einen rosafarbenen Seidenpullover.

Als ich ins Wohnzimmer zurückkam, lag Calia auf dem Boden, den Kopf auf Mitchs Rücken, Ninshubur zwischen seinen Pfoten, und protestierte heftig gegen meinen Vorschlag, Mitch und Peppy zu Mr. Contreras zu bringen.

»Mitch wird mich verlassen und weinen«, jammerte sie, inzwischen so müde, daß nicht mehr vernünftig mit ihr zu reden war.

»Weißt du was, mein Schatz? Wir bitten Mitch, Ninshubur eins von seinen Halsbändern zu schenken. Dann erinnert Ninshubur sich an Mitch, wenn er ihn nicht sehen kann.« Ich ging in die Abstellkammer und holte eines der kleinen Halsbänder, das ich verwendet hatte, als Mitch noch ein Welpe war. Calia hörte immerhin zu weinen auf, während sie mir half, es Ninshubur anzulegen. Schließlich befestigte ich noch ein paar von Peppys alten Hundemarken daran, die an dem kleinen blauen Hals lächerlich groß wirkten, Calia aber riesige Freude machten.

Dann stopfte ich ihren kleinen Rucksack und Ninshubur in meine eigene Tasche und hob sie hoch, um sie zu meinem Wagen zu tragen. »Ich bin kein Baby mehr, ich will nicht getragen werden«, schluchzte sie, klammerte sich aber gleichzeitig an mich. Im Wagen schlief sie fast auf der Stelle ein.

Eigentlich hatte ich vorgehabt, meinen Mustang die Viertelstunde, die ich brauchen würde, um Calia bei Max abzuliefern, beim Pförtner des Hotels Pleiades zu lassen, aber als ich am Wacker Drive vom Lake Shore Drive herunterfuhr, merkte ich, daß das nicht möglich sein würde, weil eine Menschenmenge die Zufahrt zum Hotel blockierte. Ich streckte den Kopf aus dem Fenster, um zu sehen, was los war. Offenbar handelte es sich um eine Demonstration mit Posten und Megaphonen. Fernsehteams vergrößerten das Chaos noch. Polizisten versuchten, Autos mit schrillen Pfiffen umzuleiten, aber es herrschte bereits ein solches Durcheinander, daß ich einige Minuten lang mit wachsender Frustration warten mußte, in denen ich überlegte, wo ich Max finden könnte und was ich mit Calia anstellen würde, die auf dem Rücksitz hinter mir tief und fest schlief.

Ich holte das Handy aus meiner Tasche, aber der Akku war leer, und das Ladegerät fürs Auto befand sich in Morrells Wagen, mit dem wir vergangene Woche einen Tag aufs Land gefahren waren. Entnervt trommelte ich aufs Steuer ein.

Trotz meiner Wut blieb mir nichts anderes übrig, als die Demonstranten zu beobachten, die sich für einander widersprechende Dinge einsetzten. Die eine Gruppe, die ausschließlich aus Weißen bestand, trug Schilder, auf denen sie die Verabschiedung des Illinois Holocaust Asset Recovery Act, eines Holocaust-Vermögensvergütungsgesetzes, forderte. »Keine Geschäfte mit Dieben«, skandierten die Leute, und: »Banken, Versicherungen, wo ist unser Geld?«

Der Mann mit dem Megaphon hieß Joseph Posner. Er war in letzter Zeit so oft in den Nachrichten gewesen, daß ich ihn selbst in einer größeren Menschenansammlung als dieser erkannt hätte. Er trug den langen Mantel und den schwarzen Hut der Ultraorthodoxen. Als Sohn eines Holocaust-Überlebenden war er auf so ostentative Weise religiös geworden, daß Lotty nur noch das Gesicht verzog. Er protestierte gegen alles – mit Unterstützung christlicher Fundamentalisten gegen Pornofilme, aber auch gegen jüdische Geschäfte wie zum Beispiel Neiman-Marcus, die am Samstag geöffnet waren. Seine Anhänger, offenbar eine Mischung aus Jeschiwa und Jewish Defense League, begleiteten ihn überallhin. Sie bezeichneten sich selbst als Maccabees und schienen sich in ihren Aktionen an den militärischen Fähigkeiten ihrer historischen Vorbilder, der Makkabäer, zu orientieren. Wie eine immer größere Zahl von Fanatikern in Amerika waren sie stolz auf ihre Verhaftungen.

Posners aktuellstes Projekt war der Versuch, die Regierung von Illinois dazu zu bringen, daß sie den Illinois Holocaust Asset Recovery Act, kurz IHARA, verabschiedete. Dieser IHARA, der sich am Vorbild von Florida und Kalifornien orientierte, untersagte es Versicherungsgesellschaften, sich innerhalb des Staates geschäftlich zu betätigen, solange sie nicht nachwiesen, daß in ihrem Unternehmen keine ausstehenden Lebens- oder Vermögensversicherungsansprüche von Holocaust-Opfern existierten. Er beinhaltete außerdem Klauseln bezüglich Banken und Unternehmen, die vom Einsatz von Zwangsarbeitern im Zweiten Weltkrieg profitiert hatten. Posner war es gelungen, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf dieses Problem zu lenken und so eine Diskussion des Gesetzesentwurfs in einem Regierungsausschuß zu bewirken.

Die zweite Gruppe von Demonstranten vor dem Hotel Pleiades, die hauptsächlich aus Schwarzen bestand, trug Schilder, auf denen der Satz »Verabschiedet den IHARA« dick und rot durchgestrichen war. Ihre eigenen Forderungen lauteten: »Keine Geschäfte mit Sklavenbesitzern« und: »Finanzielle Gerechtigkeit für alle«. Auch der Mann, der diese Gruppe anführte, war leicht zu erkennen: Es handelte sich um Alderman Louis »Bull« Durham. Durham hatte schon lange nach einem Thema gesucht, das ihn zu einem ernstzunehmenden Konkurrenten für den Bürgermeister machen würde. Ich persönlich allerdings hielt den Protest gegen den IHARA nicht für eine Frage, die die ganze Stadt betraf.

Posner hatte seine Maccabees und Durham seine eigenen militanten Anhänger. Er hatte sogenannte Empower-Youth-Energy-Teams aufgebaut, zuerst in seinem eigenen Bezirk, später in der ganzen Stadt, um die jungen Männer weg von der Straße und in Ausbildungsprogramme zu bringen. Aber manche dieser EYE-Teams, wie sie allgemein hießen, hatten auch eine düstere Seite. Man munkelte, daß Ladeninhaber, die sich Durhams politischen Kampagnen nicht anschlossen, vertrieben oder verprügelt wurden. Außerdem hatte Durham eine eigene Gruppe von EYE-Bodyguards, die ihn, bekleidet mit ihrem unverwechselbaren marineblauen Blazer, bei allen öffentlichen Auftritten umgaben. Falls Maccabees und EYE-Team vorhatten, aufeinander loszugehen, war ich froh, als Privatdetektivin in meinem Wagen zu sitzen, und nicht als Polizistin die Demonstranten auseinanderhalten zu müssen.

Im Schrittempo fuhr ich am Hoteleingang vorbei und bog in Richtung Osten auf Höhe des Grant Park in die Randolph Street ein. Dort waren alle mit Parkuhren ausgestatteten legalen Parkplätze besetzt, aber, so dachte ich, die Polizisten hatten sicher vor dem Hotel Pleiades so viel zu tun, daß sie sich jetzt nicht um Parksünder kümmern konnten.

Ich legte meine Tasche in den Kofferraum und holte Calia vom Rücksitz. Sie wachte kurz auf, dann sank ihr Kopf wieder auf meine Schulter. Sie würde also nicht selbst bis zum Hotel gehen. Ich biß die Zähne zusammen und trug ihre zwanzig Kilo stolpernd die Stufen zur tiefer gelegenen Ebene des Columbus Drive hinunter, wo sich der Seiteneingang des Hotels befand. Es war mittlerweile schon fast fünf Uhr: Hoffentlich würde ich Max ohne große Probleme finden.

Wie ich gehofft hatte, befand sich vor dem unteren Eingang keine Menschenmenge. Ich ging mit Calia auf dem Arm an den Angestellten vorbei und fuhr mit dem Aufzug hoch zum Foyer. Hier waren genauso viele Leute wie draußen, allerdings ging es ruhiger zu. Hotelgäste und Teilnehmer an der Birnbaum-Konferenz drängten sich an der Tür und fragten sich besorgt, was da los sei und was man dagegen unternehmen könne.

Ich machte mir wenig Hoffnung, Max in dieser Menge zu sehen, als ich ein mir bekanntes Gesicht entdeckte: Al Judson, der Chef des Hotelsicherheitsdienstes, stand neben der Drehtür und sagte gerade etwas in sein Funkgerät.

Ich drückte mich zu ihm durch. »Wie geht’s, Al?«

Judson, ein Schwarzer von kleiner Statur, fiel in Menschenansammlungen nicht weiter auf. Als ehemaliger Polizist, der vierzig Jahre zuvor zusammen mit meinem Vater im Grant Park Streife gegangen war, wußte er, wie man brisante Situationen im Auge behielt. Als er mich sah, trat ein erfreutes Lächeln auf sein Gesicht. »Vic! Na, auf welcher Seite stehst du?«

Ich lachte, wenn auch ein bißchen verlegen: Mein Vater und ich hatten uns seinerzeit in die Haare gekriegt, als ich an den Antikriegsdemonstrationen im Grant Park teilnahm, während er den dortigen Einsatzkräften zugewiesen wurde. Ich war damals noch ein Teenager gewesen, dessen Mutter im Sterben lag, und so verwirrt, daß ich selbst nicht wußte, was ich wollte. Also hatte ich mich eine Nacht lang den Yippies angeschlossen und mit ihnen den Park unsicher gemacht.

»Eigentlich suche ich den Großvater des kleinen Mädchens hier. Aber sollte ich deiner Meinung nach raus auf die Straße?«

»Tja, dann müßtest du dich zwischen Durham und Posner entscheiden.«

»Ich weiß, daß Posners Kampagne gegen die Versicherungen gerichtet ist, aber was will Durham?«

Judson zog die Schultern hoch. »Er will die Regierung dazu bringen, daß sie es Unternehmen untersagt, hier Geschäfte zu machen, wenn sie von der Sklaverei in den Vereinigten Staaten profitiert und den Nachkommen der Sklaven keine Entschädigung gezahlt haben. Seiner Meinung nach darf der IHARA erst dann verabschiedet werden, wenn diese Klausel darin aufgenommen wird.«

Ich stieß einen leisen Pfiff aus: Der Stadtrat von Chicago hatte bereits eine Resolution verabschiedet, die Entschädigungszahlungen für die Nachkommen von Sklaven forderte. Aber solche Resolutionen sind nicht mehr als nette Gesten – Zugeständnisse an die jeweiligen Wahlkreise ohne tatsächliche Zahlungsverpflichtung. Es konnte gut sein, daß der Bürgermeister sich in eine prekäre Situation manövrierte, wenn er sich öffentlich Durhams Forderung widersetzte, aus der Resolution einen rechtskräftigen Beschluß zu machen.

So interessant diese politische Frage auch war, im Augenblick konnte ich mich nicht damit auseinandersetzen, denn allmählich begannen meine Arme, sich gegen Calias Gewicht zu wehren. Außerdem wollte einer von Judsons Leuten unbedingt mit ihm reden. Also erklärte ich Al schnell die Sache mit Calia und Max. Er sagte etwas in sein Funkgerät, und schon wenige Minuten später tauchte eine junge Frau vom Sicherheitsdienst des Hotels zusammen mit Max auf, der mir Calia abnahm. Sie wachte auf und begann zu weinen. Max und ich hatten nur noch Zeit für ein paar geflüsterte Worte über die Diskussion, das Chaos vor den Hoteltüren und Calias Tag, bevor ich ihm die undankbare Aufgabe überließ, Calia zu beruhigen und sie zu seinem Wagen zu bringen.

Während ich mich wieder im Schrittempo an den Demonstranten vorbei in Richtung Lake Shore Drive bewegte, nickte ich ein paarmal ein. Als ich schließlich Isaiah Sommers’ Haus am Avalon Park erreichte, war ich zwanzig Minuten zu spät dran und unendlich müde. Er schluckte seine Verärgerung hinunter, und ich mußte mich sehr zusammenreißen, um nicht in seiner Gegenwart einzuschlafen.

2 Bares für den Sarg

»Wann hat Ihre Tante dem Bestattungsinstitut die Police gegeben?« Der schwarze Plastikschutz über dem Polster warf Wellen, als ich mich auf der Couch bewegte.

»Am Mittwoch. Mein Onkel ist am Dienstag gestorben. Sie wollten ihn am Vormittag abholen, aber zuerst einen Nachweis sehen, daß sie das Geld für die Beisetzung hat, die am Samstag stattfinden sollte. Meine Mutter war bei meiner Tante und hat die Police unter Onkel Aarons Papieren gefunden, wo wir sie auch vermutet hatten. Er war in allen Dingen, den großen wie den kleinen, sehr genau. Das galt auch für seine Dokumente.«

Sommers massierte seinen Nacken mit den großen Händen. Er war Dreher bei Docherty Engineering Works; von der täglichen Arbeit an der Maschine hatte er kräftige Nacken- und Schultermuskeln. »Tja, und dann haben sie meiner Tante, als sie am Samstag in die Kirche gekommen ist, gesagt, daß sie erst mit der Beisetzung anfangen, wenn sie ihnen das Geld gibt. Aber das habe ich Ihnen ja schon erzählt.«

»Die Leute vom Bestattungsinstitut haben Ihren Onkel am Mittwoch abgeholt. Danach müssen sie der Versicherung die Policennummer durchgegeben haben, und die hat ihnen gesagt, daß die Versicherung schon ausbezahlt worden ist. Wie schrecklich für Sie alle. Wußte der Leiter des Bestattungsinstituts denn, an wen das Geld gezahlt worden war?«

»Das ist ja genau der Punkt.« Sommers schlug sich mit der Faust aufs Knie. »Die haben behauptet, an meine Tante. Und sie wollten die Beisetzung nicht machen. Das habe ich Ihnen doch bereits gesagt.«

»Und wie haben Sie’s dann angestellt, daß sie Ihren Onkel doch noch beigesetzt haben? Sie haben’s doch geschafft, oder?« Ich stellte mir vor, wie Aaron Sommers in irgendeinem gekühlten Raum lag, bis die Familie dreitausend Dollar herausrückte.

»Ich habe das Geld bezahlt.« Isaiah sah mit nachdenklichem Blick zum Flur hinüber: Seine Frau, die mich hereingelassen hatte, war in der Mißbilligung seiner Bemühungen für die Witwe seines Onkels ganz offen gewesen. »Glauben Sie mir, das war gar nicht so einfach. Aber machen Sie sich keine Sorgen um

Ihr Honorar, das kriegen Sie. Und wenn Sie rausfinden, wer sich das Geld unter den Nagel gerissen hat, bekommen wir’s ja vielleicht wieder zurück. Wir würden Ihnen sogar einen Finderlohn zahlen. Die Police war zehntausend Dollar wert.«

»Einen Finderlohn brauchen Sie mir nicht zu geben, aber ich würde gern die Police sehen.«

Er nahm ein Freiexemplar von Roots vom Beistelltischchen, unter dem sorgfältig gefaltet die Police lag.

»Haben Sie eine Fotokopie davon?« fragte ich. »Nein? Dann schicke ich Ihnen die morgen zu. Sie wissen, daß mein Honorar hundert Dollar pro Stunde beträgt mit einem Minimum von fünf Arbeitsstunden, ja? Außerdem stelle ich sämtliche Spesen in Rechnung.«

Als er zustimmend nickte, holte ich zwei Exemplare meines Standardvertrags aus meiner Tasche. Seine Frau, die offenbar direkt vor der Tür gewartet hatte, kam herein und las sie zusammen mit ihm durch. Während sie sich jeden Punkt einzeln ansahen, warf ich einen Blick auf die Police. Sie war von der Midway Insurance Agency im Auftrag der Ajax Life Insurance auf Aaron Sommers ausgestellt, und zwar, genau wie Isaiah gesagt hatte, schon vor etwa dreißig Jahren. Die Verbindung zur Ajax-Versicherung würde mir helfen, weil ich einmal mit dem Mann liiert gewesen war, der jetzt die Leistungsabteilung bei der Ajax leitete. Zwar hatte ich ihn schon etliche Jahre nicht mehr gesehen, aber vermutlich wäre er bereit, sich mit mir zu unterhalten.

»In dem Punkt hier«, sagte Margaret Sommers, »heißt es, daß Sie das Geld nicht zurückerstatten, wenn wir die gewünschten Ergebnisse nicht erhalten. Habe ich das richtig verstanden?«

»Ja. Aber Sie können mir jederzeit sagen, daß ich mit den Nachforschungen aufhören soll. Außerdem werde ich mich mit Ihnen in Verbindung setzen, sobald ich etwas herausgefunden habe, und wenn ich das Gefühl habe, daß ich damit nicht weiterkommen werde, sage ich Ihnen das offen. Das ist auch der Grund für die Fünfhundert-Dollar-Minimum-Klausel: Wenn ich mit meinen Nachforschungen beginne und damit auf keinen grünen Zweig komme, weigern sich manche Leute zu zahlen.«

»Hmm«, sagte sie. »Richtig finde ich das nicht, wenn Sie Geld verlangen und nichts dafür bieten.«

»Keine Angst, ich habe meistens Erfolg.« Es kostete mich Mühe, aus Müdigkeit nicht unfreundlich zu werden, aber auf diesen Punkt hatten mich schon mehr Leute angesprochen. »Allerdings muß ich gestehen, daß es mir nicht immer gelingt, das herauszufinden, was die Leute hören wollen. Nach den ersten Nachforschungen kann ich abschätzen, wie lange ich brauchen werde, um den Fall abzuschließen. Manchmal wollen die Leute nicht so viel Geld investieren. Doch auch darüber können Sie frei entscheiden.«

»Aber die fünfhundert Dollar von Isaiah behalten Sie auf jeden Fall.«

»Ja. Das ist die Bezahlung für mein Fachwissen. Es ist ganz ähnlich wie bei einem Arzt. Auch der bekommt sein Geld, selbst wenn er Sie nicht heilen kann.« Ich habe Jahre gebraucht, so hartherzig – vielleicht auch nur so nüchtern – zu werden, daß ich ohne Verlegenheit Geld fordern kann.

Ich erklärte ihnen, wenn sie die Sache noch miteinander besprechen wollten, könnten sie mich anrufen, sobald sie eine Entscheidung getroffen hätten. Ich würde aber die Police des Onkels erst dann mitnehmen und erst dann irgendwelche Telefonate führen, wenn sie meinen Vertrag unterzeichnet hätten. Isaiah Sommers sagte, er brauche keine Bedenkzeit mehr, Camilla Rawlings, die Nachbarin seiner Cousine, habe für mich gebürgt, und das reiche ihm.

Margaret Sommers verschränkte die Arme vor der Brust und verkündete, solange Isaiah sein eigenes Geld für die Sache ausgebe, könne er tun, was er wolle; sie mache nicht die Buchhaltung für diesen geizigen alten Juden Rubloff, damit Isaiah ihre hartverdienten Dollars für seine nichtsnutzige Familie zum Fenster rauswerfe.

Isaiah sah sie mit strafendem Blick an, unterzeichnete aber beide Exemplare des Vertrags und holte eine Rolle Geldscheine aus seiner Hosentasche. Er zählte fünfhundert Dollar in Zwanzigern ab und ließ mich nicht aus den Augen, während ich die Quittung ausstellte. Dann unterschrieb ich meinerseits die Verträge, gab einen Isaiah und steckte den anderen zusammen mit der Police in meine Aktentasche. Schließlich notierte ich mir die Adresse und Telefonnummer seiner Tante sowie die Angaben zu dem Bestattungsinstitut und erhob mich, um zu gehen.

Isaiah Sommers begleitete mich zur Tür, aber bevor er sie hinter mir schloß, hörte ich Margaret Sommers noch sagen: »Ich hoffe bloß, daß du nicht zu mir gekrochen kommst, wenn du feststellst, daß du dein Geld sinnlos verschleudert hast.«

Als er ihr eine wütende Antwort gab, war ich schon auf dem Weg zum Auto. In letzter Zeit hatte ich ein bißchen zuviel mit Verbitterung zu tun, zuerst bei den Streitereien zwischen Lotty und Max und jetzt bei der Auseinandersetzung zwischen Isaiah und Margaret Sommers. Bei ihnen schien der unfreundliche Tonfall ein Teil der Beziehung zu sein; allzuviel Kontakt mit ihnen wollte ich nicht haben. Ich fragte mich, ob sie Freunde hatten und wie diese Freunde sich verhielten, wenn die beiden aufeinander einzuhacken begannen. Hoffentlich entwickelten sich Max’ und Lottys Scharmützel nicht in die gleiche Richtung.

Mrs. Sommers’ überflüssige Bemerkung über den geizigen alten Juden, für den sie arbeitete, hatte mich ebenfalls hart getroffen, weil sie mich an Max’ und Lottys Streit darüber erinnerte, ob er bei der Konferenz der Birnbaum Foundation sprechen sollte. Was würde Margaret Sommers wohl sagen, wenn sie Max von seinem Leben in der Zeit der Machtübernahme durch die Nazis erzählen hörte, davon, daß er die Schule nicht mehr besuchen durfte und mit ansehen mußte, wie sein Vater gezwungen wurde, sich nackt auf die Straße zu knien? Hatte Lotty vielleicht doch recht, und sein Vortrag wäre eine Erniedrigung für ihn, die nichts bezweckte? Würde er die Margaret Sommers’ dieser Welt lehren, sich der Gedankenlosigkeit ihrer Vorurteile bewußt zu werden?

Ich war nur ein paar Häuserblocks südlich vom Haus der Sommers’ aufgewachsen, inmitten von Leuten, die keine gute Meinung von Margaret Sommers gehabt hätten, wenn sie ihre Nachbarin geworden wäre. Und wenn sie dann die rassistischen Schmähungen wiederholt hätte, mit denen sie vermutlich groß geworden war, wären meine alten Nachbarn höchstwahrscheinlich nicht bereit gewesen, diese Meinung zu ändern.

Mittlerweile war ich bei meinem Wagen angekommen und versuchte, mich vor der langen Fahrt nach Norden ein wenig zu strecken. Die Vorhänge im vorderen Fenster des SommersHauses bewegten sich. Ich stieg in meinen Mustang. Es war

September, und als ich die Route 41 in nördlicher Richtung nahm, leuchteten nur noch die letzten Sonnenstrahlen am Horizont.

Warum blieben Menschen zusammen, wenn sie unglücklich miteinander waren? Bei meinen Eltern hatte ich auch nicht das Idealbild echter Liebe erlebt, aber immerhin hatte meine Mutter sich bemüht, für häusliche Harmonie zu sorgen. Sie hatte meinen Vater aus Dankbarkeit geheiratet und auch aus Angst, denn sie war seinerzeit gerade erst ins Land gekommen, ganz allein in der Stadt, und hatte kein Englisch gekonnt. Mein Vater, ein einfacher Streifenpolizist, hatte sie in einer Bar an der Milwaukee Avenue gerettet, in der sie geglaubt hatte, aufgrund ihrer Opernausbildung einen Job als Sängerin zu bekommen. Er hatte sich in sie verliebt, und das hatte sich meines Wissens auch nie geändert. Sie war ihm gegenüber stets liebevoll, aber soweit ich das beurteilen konnte, galt ihre wahre Leidenschaft immer nur mir.

Zum Zeitpunkt ihres Todes war ich erst sechzehn. Was weiß man in dem Alter schon über seine Eltern?

Und was war mit dem Onkel meines Klienten? Isaiah Sommers war sich sicher, daß sein Onkel seiner Tante Bescheid gesagt hätte, wenn er sich die Versicherung hätte ausbezahlen lassen. Aber Menschen brauchen für viele Dinge Geld, manchmal für so peinliche, daß sie ihren Familien lieber nichts davon erzählen.

Ich war so in meine Gedanken vertieft gewesen, daß ich von der Gegend, in der ich als Kind gelebt hatte, nicht viel mitbekommen hatte. Nun befand ich mich schon auf der Höhe der Route 41, wo sie achtspurig am Ufer des Lake Michigan entlangführt. Mittlerweile war der Himmel ganz dunkel, und der See schimmerte schwarz wie Tinte.

Wenigstens hatte ich einen Geliebten, zu dem ich gehen konnte, wenn auch nur noch ein paar Tage: Morrell, mit dem ich seit einem Jahr zusammen war, wollte am Dienstag nach Afghanistan fliegen. Als Journalist, der sich häufig mit Menschenrechtsfragen beschäftigt, hatte er sich seit der Machtübernahme durch die Taliban ein paar Jahre zuvor gewünscht, die Situation dort persönlich in Augenschein zu nehmen.

Die Vorstellung, mich schon bald in seinen Armen zu entspannen, ließ mich schneller fahren, das lange dunkle Band des South Lake Shore Drive entlang, vorbei an den hellen Lichtern des Loop in Richtung Evanston.

3 Was sagt ein Name schon?

Morrell begrüßte mich an der Tür mit einem Kuß und einem Glas Wein. »Na, wie ist’s gelaufen, Mary Poppins?«

»Mary Poppins?« wiederholte ich verständnislos, dann fiel mir Calia wieder ein. »Ach so, das. Es war einfach toll. Leute, die glauben, Kinderfrauen kriegen zuwenig Geld, wissen bloß nicht, wieviel Spaß der Job macht.«

Ich folgte ihm in die Wohnung und mußte ein Stöhnen unterdrücken, als ich auf dem Sofa seinen Lektor sitzen sah. Nicht, daß ich etwas gegen Don Strzepek gehabt hätte, aber lieber wäre mir ein Abend gewesen, an dem sich mein Beitrag zum Gespräch auf ein Brummen hin und wieder hätte beschränken können.

»Don!« rief ich aus, als er aufstand und mir die Hand zum Gruß entgegenstreckte. »Morrell hat mir gar nicht gesagt, daß ich die Freude haben würde, dich hier zu sehen. Ich dachte, du bist in Spanien.«

»Ja, war ich auch.« Er klopfte auf der Suche nach Zigaretten auf seine Hemdtasche, doch als ihm einfiel, daß er sich in einer Nichtraucherwohnung befand, fuhr er sich mit der Hand durch die Haare. »Ich bin vor zwei Tagen nach New York zurückgekommen, und da habe ich erfahren, daß unser Starreporter hier an die Front fährt. Also hab’ ich dem Maverick den Auftrag abgeluchst, über die Birnbaum-Konferenz zu schreiben, und bin hergeflogen. Leider muß ich jetzt für das Vergnügen, mich von Morrell verabschieden zu können, auch noch arbeiten. Aber das werde ich dich spüren lassen, Amigo.«

Morrell und Don hatten sich ein paar Jahre zuvor während der Berichterstattung über den schmutzigen Kleinkrieg in Guatemala kennengelernt. Don hatte später als Lektor bei Envision Press in New York angefangen, übernahm aber immer noch hin und wieder Reportagen für Zeitungen und Zeitschriften. Die meisten seiner Artikel erschienen im Maverick-Magazin, einer kritischeren Version von Harper’s.

»Hast du das Zusammentreffen von Maccabees und EYE-Team schon mitgekriegt?« fragte ich.

»Davon habe ich Morrell gerade erzählt. Ich hab’ Informationsmaterial von Posner und Durham mitgebracht.« Er deutete auf einen Stapel Broschüren auf dem Beistelltischchen. »Ich werde versuchen, mich mit beiden zu unterhalten, aber natürlich greife ich da jetzt vor. Was ich eigentlich brauche, sind Hintergrundinformationen. Morrell meint, du könntest mir vielleicht das eine oder andere sagen.«

Als ich ihn fragend ansah, fügte er hinzu: »Ich würde mich zum Beispiel gern mit Max Loewenthal treffen, weil er in dem nationalen Komitee sitzt, das sich mit Vermögenswerten von Holocaust-Überlebenden beschäftigt. Seine Kindertransportgeschichte würde für sich schon eine gute Story abgeben, und Morrell hat mir erzählt, daß du zwei seiner Freunde kennst, die in den dreißiger Jahren ebenfalls als Kinder nach England gekommen sind.«

Ich runzelte die Stirn bei dem Gedanken an Lottys Zorn über Max’ Beschluß, die Vergangenheit wieder aufzurollen. »Nun, vielleicht kann ich dich Max vorstellen, aber ich weiß nicht, ob Dr. Herschel mit dir reden möchte. Und Carl Tisov, der andere Freund von Max, ist im Rahmen einer Konzertreise aus London hergekommen, also hat er möglicherweise keine Zeit und auch kein Interesse…«

Ich zuckte mit den Achseln und nahm die Broschüren in die Hand, die Don von der Demonstration mitgebracht hatte. Darunter befand sich ein Flugzettel von Louis Durham in teurem Dreifarbdruck auf Hochglanzpapier. Der Text wandte sich gegen den Illinois Holocaust Asset Recovery Act, solange dieser nicht auch die Nachkommen afrikanischer Sklaven in den Vereinigten Staaten mit einschloß. Warum sollte Illinois deutschen Unternehmen Beschränkungen auferlegen, die aus der Zwangsarbeit von Juden und Zigeunern Kapital geschlagen hatten, aber amerikanische Unternehmen tolerieren, die sich an afrikanischen Sklaven bereichert hatten?

Meiner Meinung nach war das ein gutes Argument, aber die Rhetorik störte mich: Kein Wunder, daß der Staat Illinois sich mit dem IHARA beschäftigt. Die Juden haben immer schon zusammengehalten, wenn’s um Geld ging, und dieser Fall ist keine Ausnahme. Die beiläufige Bemerkung von Margaret Sommers über den »geizigen alten Juden Rubloff« kam mir wieder in den Sinn.

Ich legte das Flugblatt zurück auf den Tisch und wandte mich Posners Schriften zu, die mich ebenfalls verärgerten: Der Jude wird nicht mehr länger Opfer sein. Wir werden nicht untätig zusehen, wie deutsche und Schweizer Firmen ihre Aktionäre mit dem Blut unserer Eltern bezahlen.

»Pah. Viel Spaß bei deinen Gesprächen mit den beiden.« Ich ging die restlichen Broschüren durch und war überrascht, darunter auch die Firmengeschichte zu entdecken, die die Ajax Insurance erst kürzlich hatte drucken lassen: »Hundertfünfzig Jahre Leben und kein bißchen alt« von Dr. Amy Blount.

»Willst du sie dir ausleihen?« fragte mich Don grinsend.