Geschichten aus Latexia

 

Alle Personen sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen ist rein zufällig. Original-Ausgabe erschienen im Oktober 2018 bei Merlins Bookshop.

 

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Korrektorat & Lektorat: Merlins Bookshop, Waldstr. 22, 65626 Birlenbach

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Cover: Merlins Bookshop unter Verwendung eines Fotos von MissLupa.

 

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Weißchen und Schwarzchen

Kapitel 1 – Die zwei Schwestern

Kapitel 2 – Begegnung im Walde

Kapitel 3 – Die Gabe

Kapitel 4 – Als Schwarzchen nach Hause kam

Kapitel 5 – Schwarzchen im Wald

Kapitel 6 – Glanz und Elend

Kapitel 7 – Schwarzchens Läuterung

Die Träume des Malers

Kapitel 1 – Traumverführung

Kapitel 2 – Verdruss der Wirklichkeit

Kapitel 3 – Des Königs Urteil

Kapitel 4 – Zwischen Traum und Wirklichkeit

Kapitel 5 – Der Zauber der Magie

Kapitel 6 – Offenbarungen

Kapitel 7 – Werdung

Kapitel 8 – Angekommen

Jenseits des düsteren Waldes

Kapitel 1 – Eliza und Laurenz

Kapitel 2 – Flucht in den Wald

Kapitel 3 – Begegnung

Kapitel 4 – Auf dem Weg zur Kräuterfrau

Kapitel 5 – Die Kräuterfrau und ihre Schwester

Kapitel 6 -– Elizas Weg

Kapitel 7 – Die Entscheidung

Kapitel 8 – Traumerfüllung

Kapitel 9 – Vereinigung

Wie das Latex nach Latexia kam …

Kapitel 1 Die kranke Königin

Kapitel 2 Die Schwestern

Kapitel 3 Leid

Kapitel 4 Neugeburt einer Königin

Kapitel 5 Zauber einer Genesung

Kapitel 6 Die Latexkönigin

Kapitel 7 … und so kam das Latex nach Latexia

 

 

Weißchen und Schwarzchen

 

Kapitel 1 – Die zwei Schwestern

 

In einem, der unseren Welt fernen, Land, Latexia, genannt, gab es einmal zwei Schwestern. Sie lebten am Rande eines kleinen Dorfes in einem Haus, welches ihnen ihre früh verstorbenen Eltern hinterlassen hatten, auf dass sie es gemeinsam pflegten und hüteten, sodass es immer einen gepflegten Eindruck machte.

Nun war es so, dass im ganzen Land Latexia viel Wert auf Sauberkeit und Ordnung gelegt wurde, nicht zuletzt auch auf die Kleidung, die die Menschen trugen. Denn es war keine gewöhnliche Kleidung, wie man sie bei uns trägt, sondern sie bestand aus einem gummiähnlichen, sehr eng anliegenden Stoff, der die Körper der Einwohner des Landes betonte, zugleich aber auch dafür sorgte, dass die Vergänglichkeit der Schönheit durch eine immerwährende zweite Haut aus genau diesem Stoff erhalten wurde. Dabei wurde die schwarze Variante des Stoffes bevorzugt, aber zuweilen trugen die Bewohner des Landes auch andere Farben wie weiß oder rot, wenn sie aus der Masse der schwarz glänzenden Körper hervorstechen mochten.

So gaben sie sich selbst ein gepflegtes Aussehen, indem sie den Stoff stets gut säuberten und dafür sorgten, dass er in der warmen Sonne des Landes Latexia glänzte. Und immer, wenn dies besonders gut gelang, dann gab es bewundernde Blicke.

Auch bei den Schwestern am Rande des Dorfes war es nicht anders. Sie beide trugen den Stoff ebenso wie die vielen anderen Einwohner des Landes, wo selbst die Kinder bereits an das Tragen gewöhnt wurden, wenngleich es auf spielerische Art und Weise geschah.

Eine der Schwestern trug einen schwarzen Anzug, während die andere weißen Stoff trug. So hatten es die Eltern einst bestimmt, um sie auseinanderhalten zu können, denn die beiden Schwestern waren Zwillinge und unterschieden sich in der äußerlichen Form kaum.

Die Schwester im weißen Gewand wurde schließlich Weißchen genannt, während die andere Schwester Schwarzchen hieß.

Nun war es so, dass die beiden Schwestern nach dem Tode zwar beide das große Haus ihrer Eltern bewohnten, aber sonst im Geiste völlig verschieden voneinander waren.

Schwarzchen frönte der Ruhe und der Glanzpflege ihrer Kleidung, während Weißchen stets alle Arbeit im Hause und drum herum verrichten musste. Deshalb kam sie nur selten dazu, sich ebenso sehr wie Schwarzchen herzurichten, wie es in Latexia Sitte war.

Ganz im Gegenteil, ihre Schwester Schwarzchen sorgte dafür, dass sie stets schmutzig wirkte, als würde Weißchen die Gesetze des Landes nicht verstehen, während sie selbst sich putzte und stets in ihrem schwarzen Anzug glänzte.

Weißchen trug die Last geduldig, denn sie war die jüngere der Zwillingsschwestern und stand somit immer nur an zweiter Stelle. Das traf auch auf das Haus zu. Denn letztendlich durfte sie froh sein, in dem Haus ebenso leben zu dürfen.

„Ach Weißchen“, sagte stets ihre Schwester, „du bist nur zum Arbeiten tauglich, denn, wenn ich dich hier leben lasse in meinem Haus, so musst du dafür auch eine Gegenleistung erbringen.“ Danach trug sie ihr stets weitere schwere Arbeiten auf, die Weißchen nicht nur viel Kraft abverlangten, sondern sie von unten bis oben beschmutzten, sodass ihr weißer Anzug schmuddelig  wirkte und ihr Ansehen im Dorf stets weiter sank, während sie selbst sich Hoffnungen machte, einen Partner fürs Leben zu finden. Denn das war in Latexia nicht anders als in unserer Welt.

So putzte, wusch, reinigte Weißchen den ganzen Tag das Haus von unten bis oben, brachte Wasser aus dem Brunnen, sorgte für Feuerholz für den Kamin und selbst das Essen kaufte sie von dem Vermögen ein, welches ihnen hinterlassen worden war. Freilich bekam sie davon nur den kleineren Teil, denn Schwarzchen nahm sich stets mehr, als sie benötigte.

Wenn es sich schließlich dem Abend zuneigte, war  Weißchen von der Arbeit geschafft, während Schwarzchen unter ihrem schwarzen Anzug die Pölsterchen wegdrückte, die sich mit der Zeit durch ihre Faulheit auftaten, die sie aber kaum wahrhaben mochte.

Sie standen sich im großen Gemeinschaftsraum gegenüber, wirkten wie zwei Seiten einer Münze. Doch konnte Schwarzchen nicht umhin, den Abscheu gegenüber ihrer fleißigen, jüngeren Schwester auszudrücken. „Das kommt davon, wenn man ganz unten steht und zu dienen hat“, offenbarte ihr stets Schwarzchen, dabei musterte sie angewidert den fleckigen und schmutzigen, ja kurz vor dem Zerreißen befindlichen Anzug ihrer jüngeren Schwester. „Sieh dich bloß an.“ Es folgte stets ein fieses Lachen, was Weißchen neben ihrem geschundenen Körper demütigte und mehr als einmal die Tränen über die verschmutzte weiße Gesichtsmaske tröpfeln ließ. Am liebsten hätte sie dann, wenn die Maske nicht offen für Augen und Mund wäre, sondern nur die Nasenlöcher zum Atmen besitzen würde, damit man ihre Trauer nicht sah. Doch das war ein Wunsch, der sich niemals erfüllen würde.

Während sich Schwarzchen in die Heiterkeit des Abends begab und den Tanz in der Diele des Gasthauses wahrnahm, weinte sich das todmüde Weißchen in den Schlaf. Doch wer sonst sollte die Arbeit tun, wenn nicht sie? Schließlich sollte das Erbe ihrer Eltern gewahrt bleiben! Und Schwarzchen tat da rein gar nichts, außer zu repräsentieren.

Das kleine Täubchen, welches vor der zugigen Fensterscheibe der Kammer saß, und sie beobachtete, bemerkte Weißchen indes nicht. Als sie schließlich auf dem unbequemen Lager schlief, flatterte das Vögelchen in Richtung des Waldes davon.

 

 

 

Kapitel 2 – Begegnung im Walde

 

Tagein, tagaus ging das so. Weißchen versorgte Haus und Hof, Schwarzchen dagegen repräsentierte lediglich und tat nichts, was der Instandhaltung von Haus und Hof diente.

Weißchens Kleidung litt weiter und man konnte deutlich erkennen, dass sie bereits ihre Kopfmaske notdürftig reparieren musste, was aber mehr schlecht als recht gelungen war.

„Du gehörst eigentlich gar nicht mehr in dieses Haus, nicht einmal in dieses Dorf oder gar in unser wunderbares Land“, offenbarte schließlich Schwarzchen ihr. Dabei strich sie ihre Kleidung glatt, die aber die kleinen Pölsterchen nicht mehr komplett verbergen konnte. Zwar spannte sich der Stoff straff auf der Haut, lag wie eine zweite Haut an, aber er besaß auch eine gewisse Dehnbarkeit.

„Aber Schwarzchen“, versuchte Weißchen eine Antwort zu geben.

Doch ihre Schwester fiel ihr ins Wort. „Was aber? Du willst doch das Erbe unserer Eltern in Ehren halten. Dann putze gefälligst das Haus. Und weil es kalt werden wird, solltest du dich zudem schicken, Holz aus dem Wald zu holen, damit wir heizen können.“

Weißchen nickte nur kurz. Ihre Schwester hatte ja recht, was das Holz betraf. Sie war nur noch nicht dazu gekommen, welches zu holen.

„Und damit du nicht total verwahrlost, gebe ich dir am Nachmittag frei, damit du dich wenigsten ein wenig in Anstand bringst. Deine Kleidung ist Latexias unwürdig, aber zumindest solltest du sie mal reinigen. Das ist nicht zu viel verlangt. Ich werde derweil im Dorf unterwegs sein, um uns zu präsentieren. Dich kann man ja dort nicht mehr hinschicken.“

Weißchen schaute sich an, schämte sich des zerrissenen, abgenutzten und verdreckten Stoffes. Doch wie sollte sie dies ändern, wenn sie keine Zeit hatte. Vielleicht schaffte sie es zumindest, alles halbwegs zu reinigen, sodass ihr Anzug nicht gänzlich verdreckt und zerlumpt wirke.

„Ich danke dir, Schwarzchen.“

„Dafür nicht. Nun aber schick dich, ehe ich es mir anders überlege. Wenn ich wieder da bin, möchte ich hier Brennholz neben dem Haus sehen.“

Damit wandte sie sich mit einem fiesen Grinsen ab und  verließ das Haus, um ins Dorf zu wandeln, damit alle sahen, wie der schwarze Anzug in der Sonne glänzte.

 

Weißchen indes stand in dem Raum. Auf der einen Seite war es das erste Mal, dass sie am Nachmittag freibekommen hatte. Auf der anderen Seite aber wusste sie auch, dass es kaum möglich war, alle Arbeiten zu erledigen. Doch sie musste es schaffen. Nur dann gab es überhaupt eine kleine Möglichkeit, die Kleidung am Nachmittag zu richten.

„Vielleicht sollte ich erst einmal Brennholz aus dem Walde holen, denn das wird gewiss länger dauern, als das Haus zu reinigen“, sagte sie halblaut zu sich. Sie zupfte den Anzug zurecht, um nicht ganz so zerrissen und fürchterlich auszuschauen. Aber viel war da nicht mehr zu verbergen.

 

 

Dann verließ sie das Haus ebenfalls, nahm eine schwere Kiepe, die neben dem Haus stand, und setzte sie auf. Das Gerät leistete ihr stets gute Dienste, wenn es darum ging, etwas zu tragen. Es schonte den Stoff, den sie trug, denn gerade spitze Äste konnten da schnell etwas zerreißen. Und ehe sie sich das Wenige, was noch ganz war, auch noch kaputt machte, nahm sie lieber dankend die Kiepe zum Tragen.

So machte sie sich schließlich auf den nicht ganz ungefährlichen Weg in den Wald hinein. Es war ihr klar, dass sie recht tief hinein musste, da am Rande kaum noch ausreichend Bruchholz gab, was verwendet werden durfte. Denn es galt als ein ehernes Gesetz in Latexia, nur Bruchholz zum Heizen zu erlauben. Daran hielt sich Weißchen ganz genau.

Es war ein schöner Morgen, der mit seinem Duft dazu verführte, die Luft zu genießen. Die Vöglein sangen und selbst das Gurren eines Täubchens erklang auf ihrem Weg, das offenbar den gleichen Weg hatte.

Natürlich wunderte dies Weißchen, denn Tauben in einem Wald waren eher ungewöhnlich. Trotzdem erfreute es ihr Herz und für einige Momente wich der Ernst des Lebens der Unbekümmertheit der Kindertage, die immer mehr in ihren Gedanken verblassten. Wie glücklich war sie da gewesen, verstand sich bestens mit Schwarzchen. Ganz so, wie es sich für Zwillingsschwestern gehörte. Doch diese Zeit schien lange vorbei. Sie wusste nicht warum, aber nun war davon nichts mehr zu spüren.

Mühsam kam sie mit der Kiepe voran, denn auch ihr Schuhwerk hatte bereits deutlich bessere Zeiten gesehen. Sie musste aufpassen, nicht auch noch den Anzug im Bereich der Füße zu beeinträchtigen, denn das konnte mit dem schlechten Schuhwerk durchaus geschehen. So sah sie sich besonders vor, was aber auf Kosten der zugesagten kargen freien Zeit gehen würde.

Zumindest fand sie ausreichend Holz, wenngleich es wirklich sehr dürr geraten war. Aber es gab ja auch noch andere Sucher. Nicht nur den Schwestern wurde es allmählich kalt.

In den Baumwipfeln glaubte sie, immer noch das Gurren eines Täubchens zu hören. Es war schon recht merkwürdig, tief im Wald dieses Gurren zu vernehmen. Und doch schien es sie auf dem Weg zu begleiten.

Mehr Aufmerksamkeit schenkte Weißchen jedoch dem Boden. Es suchte den Wald gewissenhaft nach Bruchholz ab, dass sie in ihre Kiepe füllen konnte. Wenn sie nun jeden Tag in den Wald ging, würde sich recht bald ein ansehnliches Häufchen Holz zum Verbrennen finden lassen. Vielleicht schaffte sie auch mal mehrere Sammlungen an einem Tag. Dann würde Schwarzchen sicher weniger herablassend zu ihr sprechen.

So langsam füllte sich die große Kiepe auf dem Rücken. Trotzdem brauchte es noch Zeit, bis sie voll war, denn es passte sehr viel Holz hinein. Weißchen scheute nicht die Schwere der Last, denn es bedeutete ein Gang weniger, als wenn sie die Kiepe nur halb füllen würde.

Da hörte Weißchen auf einmal einen lauten Schrei, der nichts Gutes verhieß.

Schnell wuchtete sie die schwere Kiepe vom Rücken, um zu der Stelle zu eilen, an dem offenbar eine Frau in höchster Not schien.

Da konnte das Holz warten, zu helfen hatte Vorrang. Sie würde die Kiepe später wieder auf ihren Rücke wuchten.

Weißchen lief der Stelle zu, von dem sie den Schrei vernommen hatte. Dabei achtete sie kaum auf ihre ohnehin arg lädierte Kleidung. Ob es da einen Riss mehr gab oder eine weitere Stelle einer Verschmutzung anheimfiel, war egal. Hilfe in Not war viel wichtiger als ein makelloser Anzug!

Nach einigen Minuten sah sie die Bescherung.

Eine Frau in einem schwarzen, besonders glänzenden Anzug, saß auf dem Boden und hielt sich ihren Fuß, dessen Zehen jeder einzeln von dem wunderbaren Material umschlossen war. Weißchen wusste, dass es dies gab, aber nur ganz wenige Frauen und Männer in Latexia einen Anzug mit einzeln ausgeformten Zehen trugen.

„Was ist Euch geschehen, gute Dame!“, rief Weißchen aus. „Kann ich Euch helfen.“

„Ach, liebes Kind“, entgegnete ihr da die Dame, „das kannst du gewiss. Auch wenn mein Anzug glänzt und ich jugendlich wirke, so bin ich doch nicht mehr die Allerjüngste. Es wäre so schön, wenn du mir aufhelfen könntest.“

„Das mache ich doch gerne“, entgegnete Weißchen ihr, griff der verunglückten Frau unter die Arme und half ihr, wieder aufzustehen.

Es war nicht ganz einfach, dann jedoch stand die Frau wieder und Weißchen konnte ihre schlanke Gestalt bewundern, die so gar nicht zu einer älteren Dame passen mochte, sondern eher einer ganz besonderen Schönheit entsprach, die einfach auffiel.

„Ihr seht bezaubernd aus“, sagte sie schließlich.

„Ich danke dir herzlich. Doch nun muss ich langsam zu meiner Hütte zurück.“

Die formvollendete schwarze Dame versuchte, vorsichtig zu gehen, aber bereits beim ersten Schritt sah Weißchen, dass es der Dame kaum gelang. Zudem fiel ihr auf, dass sie barfuß in diesem unwegsamen Gelände unterwegs war.

„Wartet einen Moment, liebe Frau. Ich werde Euch zu Eurem Heim begleiten und zu dem euch meine Sandalen leihen, damit ihr mit dem verletzten Fuß besser treten könnt. Ich muss nur noch schnell meine Kiepe mit Holz holen, damit ich sie nicht im dichten Wald verliere.“

„Da freue ich mich aber, mein Kind“, antwortete die schwarz-glänzende Dame. „Aber sag, warum du ganz alleine im Wald das Holz mit einer Kiepe sammelst. Die ist doch sehr schwer.“

„Ja, liebe Frau. Aber so brauche ich nicht so oft in den Wald zu gehen und kann mich mehr um das Haus meiner Schwester Schwarzchen und mir kümmern, denn das will schließlich auch sauber sein.“

„Ist schon recht, mein Kind. Aber warum hilft dir deine Schwester da nicht? Es ist ja euer Haus.“

„Sie repräsentiert derweil unsere Familie. Ich bin dazu ja nicht in der Lage, denn die viele Arbeit hat meinem weißen Anzug sehr zugesetzt.“

„Aha!“, stellte die Dame fest und sah, wie Weißchen davon eilte, um die schwere Kiepe zu holen.

Es dauerte nicht lange, bis sie mit der Kiepe auf dem Rücken wieder auftauchte.

„Und nun nehmt mein einfaches Schuhwerk. Es mögen nur Sandalen sein, auch nicht mehr die besten, aber für euren Fuß ist es besser, als barfuß zu gehen.“

„Ich danke dir, mein Kind“, meinte die alte Dame. „Aber nun musst du barfuß gehen. Ist es deinen Füßen und deinem weißen Stoff nicht ebenso abträglich, wie meinem angeschlagenen Fuß?“

Weißchen schaute ihr in das sehr stark von einer eng anliegenden Maske verhüllte Gesicht. „Bei mir spielt es doch keine Rolle mehr, liebe Dame. Mein Anzug ist zerschlissen und verdreckt, lässt sich kaum noch reinigen. Da machen ein oder zwei abgewetzte Stellen mehr nichts mehr.“

„Ach mein Kind, so darfst du nicht denken. Ich verspreche dir, bei der Reinigung zu helfen, wenn wir meine Hütte erreicht haben.“

Weißchen wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. „Habt Dank, liebe, gute Frau. Doch nun lasst mich Euch erst einmal zu Eurer Hütte bringen.“ Dabei ließ sie die Frau auf der angeschlagenen Seite bei sich abstützen und gemeinsamen Schrittes humpelte die alte, aber wunderschöne, ebenmäßige Frau an Weißchens Seite den Weg zu ihrer Hütte entlang.

Dabei war es der jungen Frau völlig gleich, wenn ihr freier Nachmittag dadurch entfiel. Der Dame zu helfen, gab ihr unendlich viel mehr, als ihren Anzug zu pflegen, für den bereits jede Hilfe zu spät war.

 

 

 

Kapitel 3 – Die Gabe

 

Es dauerte eine ganze Weile, bis sie die Hütte der alten Frau an abgelegener Stelle im Wald erreichten. Doch tapfer trug Weißchen nicht nur die Last der Kiepe, sondern auch der geschwächten Frau. Dabei schien ihr Leid mit der Zeit abgenommen zu haben, was Weißchen sehr erfreute. Sie hätte sich gar nicht ausmalen können, was gewesen wäre, wenn es nicht der Fall wäre. So aber schöpfte sie Glaube, dass der Fuß bald abheilte.

Die Hütte entpuppte sich als ein geräumiges Haus, war aber gut versteckt worden. Offenbar sollte es nicht jeder zu Gesicht bekommen.

„Herzlich willkommen in meiner bescheidenen Hütte“, begrüßte die Hausherrin Weißchen, nachdem sie den Eingang erreicht hatten. „Ich danke dir sehr für deine Unterstützung. Nun ist es an der Zeit, dir zu helfen.“ Die Dame wendete die Blicke auf Weißchen. „Stelle deine Kiepe nur ab, sie wird keiner fortnehmen und dann komme mit hinein.“

„Aber ich habe nur wenig Zeit, denn ich muss auch noch das Haus aufräumen, damit alles sauber ist und sich meine Schwester Schwarzchen wohlfühlt“, entgegnete Weißchen.

„Wenn deine Schwester Schwarzchen heißt, so wirst du wohl Weißchen sein“, stellte hingegen die Dame fest, ohne zunächst auf Weißchens Worte einzugehen.

„Ja, da habt Ihr recht“, sagte Weißchen. „Nun muss ich aber wieder los, damit ich noch alles zu Hause schaffen kann.“

Sie machte sich daran, die Kiepe wieder auf zu schultern, um das Brennholz nach Hause zu tragen.

Doch da fasste sie die Dame an den Arm. „Nicht so schnell, Weißchen.“

Sie hielt etwas erschrocken inne und schaute der Dame ins Gesicht. „Habe ich etwas falsch gemacht, dann bitte ich Euch um Entschuldigung.“

„Oh nein, Weißchen! Das hast du ganz und gar nicht. Eher das Gegenteil. Du bist eine fleißige, junge Frau, die das Herz auf dem rechten Fleck trägt, sich nicht zu schade ist, die eigenen Bedürfnisse hinter anderen zu stellen, wenn es nötig sein soll. Du schonst dich nicht, achtest nicht mal auf deinen wunderbaren weißen Anzug, wenn es darum geht, die Arbeit zu verrichten, die nötig ist.“ Weißchen schaute sie an und wusste nicht, was sie antworten sollte. Sie senkte einfach ihren Blick.

„Komm mit in mein Haus, denn ich habe dir versprochen, dir beim Reinigen deines Anzuges zu helfen. Und das Versprechen werde ich halten. Einer solchen fleißigen jungen Frau muss einfach geholfen werden.“

Im gleichen Moment öffnete sich die Tür wie von selbst und die Dame zog Weißchen mit ins Haus. Von dem verletzten Fuß war nichts mehr zu spüren. Zudem besaß die alte Dame in ihrem besonders schön glänzenden schwarzen Anzug mehr Kraft, als sie ihr zugetraut hätte. Irgendetwas schien in Weißchens Augen nicht mit rechten Dingen zuzugehen.

Als sie im Gebäude waren, schloss sich die Tür wieder und die bezaubernde Dame in Schwarz ließ das zerlumpt wirkende Weißchen wieder los.

„Wer seid Ihr?“, stieß da das Weißchen hervor und zuckte ein Stück weit zurück.

„Ich sehe, du hast gemerkt, dass ich nicht ganz so hilflos bin, wie es auf den ersten Blick erscheint. Aber du brauchst keine Angst vor mir zu haben, denn dir wird nichts geschehen. Ganz im Gegenteil, du sollst etwas erhalten, eine ganz besondere Gabe, die du dir redlich verdienst hat.“ Dabei zeichnete sich auf der schwarzen und undurchdringlich wirkenden Kopfmaske eine Art Lächeln ab, das Weißchen irritierte, da sie so etwas noch nie in einem Gesicht beobachten konnte.

Die Dame holte sie jedoch aus ihren Gedanken hervor, ehe sie weitere Beobachtungen machen konnte. „Zu deiner durchaus berechtigten Frage. Nun, ich bin eine Fee, die hier im Wald lebt und doch überall sein kann. Ich beobachte die Menschen in Latexia und auch anderswo. Und wo immer ich ein Unrecht erkenne, versuche ich zu helfen. So auch bei dir, mein liebes Weißchen.“ Die Stimme nahm dabei einen sehr gütigen Ton an.

„Aber mir geschieht doch kein Unrecht“, meinte Weißchen.

Die Fee schüttelte den Kopf. Weißchen war eines so reinen Herzens, dass sie selbst die größte Erniedrigung und Herabwürdigung nicht als Unrecht ansah, dabei wurde es ihr jeden Tag angetan.

„Ich beobachte dich und deine Schwester jeden Tag“, sagte da die Fee. „Erinnere dich nur an das kleine Täubchen, das dich mit seinem Gurren auf dem Wege in den Wald begleitet hat.“

„Das wart Ihr?“, fragte da die junge Frau.

„Ja, das war ich. Es ist eine meiner Gaben, mich verwandeln zu können. So kann ich unerkannt beobachten und dort eingreifen, wo es nötig ist. Doch das ist jetzt nicht so wichtig. Mir liegt vielmehr am Herzen, dich wieder zu einer stolzen Frau zu machen, die ein Leben in Würde lebt. Du sollst dich nicht schämen müssen, weil sich die Kleidung nicht richtig säubern lässt und immer mehr zerreißt.“

Weißchen senkte erneut den Blick. Sie sah das bisher immer anders, suchte in sich selbst die Schuld, sich zu wenig zu pflegen. Aber die Arbeit am Haus, die Bewahrung des Erbes ihrer Eltern, daran lag ihr sehr viel. Sie sorgte für die Pflege des Erbes, Schwarzchen für das Repräsentieren.

„Grüble nicht, Weißchen“, holte sie die seltsame Fee aus ihren Gedanken hervor. „Vertraue mir einfach.“

Weißchen schaute der Fee ins maskenbedeckte Gesicht. „Vertrauen!?“

Die Fee nickte, anschließend murmelte sie einen Zauberspruch und nur einen Moment später stand Weißchen vollkommen unbekleidet vor ihr. Ihre alter, zerrissener und verschmutzter Anzug samt Kopfmaske war verschwunden. Es war schon Ewigkeiten her, dass sie zum letzten Mal nichts trug.

„Nun bin ich ...“, versuchte sie zu einem Satz anzusetzen, der ihrer Empörung Ausdruck verleihen sollte. Schließlich galt es in Latexia als verpönt, komplett nackt zu sein. Nicht umsonst wurde viel Wert auf den glänzenden Stoff gelegt, der eng an die Haut gepresst den ganzen Körper bis auf ganz wenige Ausnahmen bedeckte.

„Habe keine Angst, du wirst wieder gekleidet sein, wie es die Sitte des Landes erfordert. Doch bevor du wieder erglänzen kannst, muss ich das Alte, Kaputte, Vergangene für immer von dir bannen. Nur so gibt es Platz für Neues!“

Weißchen nickte kurz. Da hatte die Fee recht, auch wenn ihr es nicht geheuer erschien. Schließlich tat sie nur dass, was jeder tun sollte, wenn sich jemand in Not befand. Das war nichts Besonderes.

„Du hast wirklich einen bezaubernden Körper“, lobte sie die Fee. „Alles ist in richtigen Proportionen, abgehärtet durch die Arbeit, die du tagtäglich verrichtest.“

„Ich danke Ihnen“, entgegnete Weißchen. „Aber ich bin nur eine ganz durchschnittliche Frau, die tagtäglich ihre Arbeit verrichtet. Mehr nicht.“

Die Augen der Fee lächelten sie aus der Maske an. „Doch, du bist etwas Besonderes!“

Dann murmelte sie erneut einige Worte und schlagartig wurde Weißchen von neuem, glänzenden Stoff in weißer Farbe umhüllt, der sich ganz ihrer Körperform anpasste und sie zudem auch an Stellen umhüllte, wo sie es nie vermutet hätte.