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Die Autoren

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Dr. Hans Hopf ist Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut sowie als Dozent und Supervisor in der Aus- und Weiterbildung tätig.

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Dr. Christiane Eleonore Winter-Heider ist Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche in eigener Praxis sowie Dozentin und Supervisorin. Sie lehrte an der Universität Kassel.

Hans Hopf & Christiane Winter-Heider

Sprache und Traum in der psychodynamischen Therapie von Kindern und Jugendlichen

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2019

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-031266-1

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-031267-8

epub:    ISBN 978-3-17-031268-5

mobi:    ISBN 978-3-17-031269-2

Inhaltsverzeichnis

 

 

 

  1. Einleitung
  2. Teil I Sprache
  3. Einführung zum Buchteil: Sprache in der psychodynamischen Therapie
  4. 1 Ebenen und Funktionen der Sprache: Einige Grundbegriffe zum Verständnis
  5. 2 Sprache, Zeichen und Symbol
  6. 2.1 Wofür benötigen wir Symbole und Zeichen? – Verschiedene Perspektiven
  7. 2.2 Sprache und Unbewusstes
  8. 3 Das Sprechen, die Stimme, der Körper
  9. 3.1 Was bedeutet »Sprechen« in der psychotherapeutischen Praxis?
  10. 3.2 Stimme und Stimmung
  11. 3.3 Sprechen – eine leibliche Geste
  12. 3.4 Gehört die Stimme zur Sprache?
  13. 4 Spracherwerb
  14. 4.1 Doch wo beginnt das Sprechen lernen?
  15. 4.2 Vorläufer der Sprache
  16. 4.3 Früher Spracherwerb
  17. 5 Sprechen mit jüngeren Kindern: es war, es wird, es würde sein
  18. 6 Sprechen mit Schulkindern: Latenz – mittlere Kindheit
  19. 7 Sprechen mit Adoleszenten: Wie ich spreche – wer ich bin
  20. 7.1 Veränderungen in der Adoleszenz
  21. 7.2 Sprache: Zwischen Suche nach Identität und Zugehörigkeit
  22. 7.3 Gestaltung der Behandlung
  23. 7.3.1 »Es könnte peinlich sein«
  24. 7.3.2 Jugendliche Ausdrucksvielfalt
  25. 8 Die Deutung – Bewusstmachung des Unbewussten
  26. 8.1 Was ist eine Deutung?
  27. 8.2 Besonderheiten in der Kinderanalyse
  28. 8.3 Deutungen im Kontext ihrer Theorien
  29. 8.3.1 Deuten nach Anna Freud und Melanie Klein: ihre Differenzen
  30. 8.3.2 Deuten nach Donald W. Winnicott
  31. 8.3.3 Deuten nach Wilfred R. Bion
  32. 8.3.4 Deuten nach Antonino Ferro
  33. 8.3.5 Deuten nach Jacques Lacan
  34. 8.3.6 Deuten nach Alfred Lorenzer
  35. 8.3.7 Deuten nach Daniel Stern und der Boston Change Process Study Group
  36. 9 Mehrere Sprachen
  37. 9.1 Welche Sprache wird in der Therapie gesprochen?
  38. 9.2 Die besondere Fähigkeit von Kindern, Sprachen zu lernen
  39. 9.3 Bedeutungen der »Muttersprache«
  40. 9.4 Sprachwissenschaften und Psychoanalyse
  41. 9.5 Eine Sprache nicht sprechen
  42. 9.6 Sprachideologien
  43. 9.7 Sprachen im Verlauf der Behandlung
  44. Fazit und Überleitung
  45. Teil II Traum
  46. Einführung zum Buchteil: Träume in der psychodynamischen Therapie
  47. 10 Theoretische Annahmen
  48. 10.1 Sigmund Freuds »Die Traumdeutung«
  49. 10.2 Latenter und manifester Trauminhalt
  50. 10.3 Infantiler Wunsch und Zensur
  51. 10.4 Die Traumarbeit und ihre »Werkzeuge«
  52. 10.5 Die wesentlichen Gedanken der Traumlehre von C. G. Jung
  53. 10.6 Erik H. Erikson und der manifeste Traum
  54. 10.7 Donald W. Winnicott
  55. 11 Die Anwendung des Kindertraums in psychodynamischen Therapien
  56. 11.1 Die Träume von Kindern bei Sigmund Freud
  57. 11.2 Vom Verschwinden des Kindertraums in Kinder-Psychotherapien
  58. 11.3 Psychoanalytische Arbeit auch mit Träumen von Kindern?
  59. 11.4 Kindertraum und Traumfunktionen
  60. 12 Der Initialtraum
  61. 12.1 Erzählen von Träumen ist Teil des Arbeitsbündnisses
  62. 12.2 Die Bedeutung des Initialtraums
  63. 12.3 Der Initialtraum eines Kindes
  64. 12.4 Der Initialtraum eines Jugendlichen
  65. 12.4.1 Szenisches Geschehen
  66. 12.4.2 Psychodynamik des szenischen Geschehens
  67. 12.4.3 Der Initialtraum
  68. 13 Narrativ und Deutungsaspekte
  69. 13.1 Was ist ein Narrativ?
  70. 13.2 Deutungsaspekte
  71. 13.2.1 Frage nach der Gestimmtheit (»stimmungshafte« Atmosphäre)
  72. 13.2.2 Die psychodynamische Seite: Welcher Wunsch, welche Angst finden ihren Ausdruck?
  73. 13.2.3 Fokus
  74. 13.2.4 Rückschluss vom Traum auf die Psychogenese der Persönlichkeit des Träumers
  75. 13.2.5 Deutung auf der Objektstufe
  76. 13.2.6 Deutung auf der Subjektstufe
  77. 13.2.7 Symboldeutung
  78. 13.2.8 Ausdruck des Übertragungsgeschehens
  79. 13.2.9 Abwehrmechanismen
  80. 13.2.10 Struktureller Aspekt: Ich-Organisation und Neurosenstruktur
  81. 13.2.11 Die kompensatorische Funktion des Traumes
  82. 13.2.12 Prospektive Traumfunktion und Assimilation
  83. 13.2.13 Ressourcen
  84. 13.2.14 Die Entwicklungsstufe
  85. 13.2.15 Was kann aufgegriffen und gedeutet werden?
  86. 13.3 Ein Kindertraum in einer psychoanalytischen Behandlung
  87. 13.4 Umgang mit niederstrukturierten Träumen
  88. 13.5 Störungen der Subjekt-Objekt-Differenzierung im Traum eines Jungen in der Präadoleszenz
  89. 14 Weitere Aspekte der Traumentstehung
  90. 14.1 Der Deutungsaspekt Subjektstufe
  91. 14.2 Wenn der Vater die Inzestgrenze überschreitet und die Mutter die Tochter nicht schützt
  92. 14.3 Die kommunikative Funktion des Träumens
  93. 14.3.1 Theoretische Vorüberlegungen
  94. 14.3.2 Eine Mutter-Sohn-Beziehung
  95. 14.4 Auch Medien können Tagesreste liefern
  96. 15 Gegenübertragungsträume als diagnostisches Instrumentarium
  97. 15.1 Vorüberlegungen
  98. 15.2 Der Gegenübertragungstraum dient der Klärung einer aktuellen Konfliktsituation zwischen Analytiker und Patient
  99. 16 Geschlechtsunterschiede in Träumen
  100. Literatur
  101. Stichwortverzeichnis

Einleitung

 

 

 

Sprache und Traum sind neben dem szenischen Geschehen und dem Spiel die wichtigsten Kommunikationsmittel in der psychodynamischen Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen. Christiane Winter-Heider und Hans Hopf haben daher entschieden, zur Sprache und dem Traum ein gemeinsames Buch zu verfassen. Christiane Winter-Heider hat über Sprache und Mehrsprachigkeit promoviert und ein Buch mit dem Titel »Mutterland Wort« veröffentlicht. Auch Hans Hopf hat bereits im Verlag Kohlhammer ein Buch über »Träume von Kindern und Jugendlichen. Diagnostik und Therapie« veröffentlicht (Hopf, 2007). Es ist ein Fachbuch, das den aktuellen Stand der Wissenschaft zum Träumen der Kinder und Jugendlichen erörtert sowie über Diagnostik und Therapie informiert. Der neu verfasste Buchteil soll eine Hilfe für den Praxisalltag mit Träumen von Kindern und Jugendlichen werden. Die Texte konzentrieren sich vornehmlich auf den praktischen behandlungstechnischen Umgang mit Träumen von Kindern und Jugendlichen in psychodynamischen Therapien. Hopf hatte für die vergangenen Bücher über Träume fast ausschließlich Träume aus eigenen Behandlungen ausgewählt. Er wollte mit diesem Buch die Sicht noch erweitern und hat auch Träume aus Supervisionen und Traumseminaren aufgenommen. Von Herzen dankt Hans Hopf daher seinen geschätzten Kolleginnen, die Träume für die Veröffentlichung oder andere Hinweise zur Verfügung gestellt haben: Maie Akua, Jane Burgdorf, Christina Burkhardt, Mailin Dienes, Kristina Eichler, Nadja Herle und Dr. Judith Reder. Die Diskussionen mit ihnen haben die Sicht außerordentlich erweitert.

Den Gedanken, die Sprache von Kindern mit der des Traums zu verbinden, hatte bereits Sigmund Freud im Jahr 1899:

»Die Sprachkünste der Kinder, die zu gewissen Zeiten die Worte tatsächlich wie Objekte behandeln, auch neue Sprache und artifizielle Wortfügungen erfinden, sind für den Traum wie für die Psychoneurosen hier die gemeinsame Quelle.« (Die Traumdeutung, GW II, III,309).

Christiane Winter-Heider dankt sehr Dr. Petra Heider, Prof. Dr. Ulrich Müller, PD Dr. Fernanda Pedrina, Prof. Dr. Dr. Rolf-Peter Warsitz, Dr. Almut Wiedenhöft und Peter Winter für die Diskussion ausgesuchter Textpassagen. Darüber hinaus gilt der Dank vor allen Dingen Dr. Hans Hopf für die fortlaufende Gesprächsbereitschaft.

Ein Hinweis zum Datenschutz der praktischen Beispiele: Namen und Umstände wurden so geändert, dass die Beispiele zwar die Wirklichkeit abbilden, die Personen jedoch eine narrative Identität haben.

Eine abschließende Bemerkung: Trotz des besseren Wissens, dass 85% der Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten weiblich sind, wird zugunsten eines besseren Leseflusses nur die männliche Form verwendet. Natürlich meinen wir immer Frauen und Männer.

 

Kassel und Mundelsheim, im Herbst 2018

Christiane Winter-Heider und Hans Hopf

 

 

 

 

 

Teil I   Sprache

Einführung zum Buchteil: Sprache in der psychodynamischen Therapie

 

 

 

Grundlegend für die Wirkung der Psychoanalyse ist die Bedeutung der Sprache und des Sprechens, die befreiende Wirkung des Wortes.

Doch was genau verstehen wir unter Sprache und welche Dimensionen nimmt das Sprechen an? Manche Jugendliche kommen in die Praxis und sagen: »Ich weiß gar nicht, ob mir das hier helfen kann, wenn da nur geredet wird.« Wir wissen jedoch durch die psychoanalytischen Theorien und Erfahrungen, dass Sprache tiefe Wirkungen erzielen kann. Aber warum ist das so?

Da es zu diesem Thema weitreichende Theorien unterschiedlicher Wissenschaften gibt, können in dem vorliegenden Band nicht alle Diskurse nachgezeichnet werden. Zum vertieften Verständnis finden sich jeweils am Ende des Kapitels Literaturhinweise. Um die psychoanalytischen Theorien zu ergänzen, werden wir einen Blick in die Sprachwissenschaften, die Semiotik, die Linguistik und die Sprachphilosophie werfen. Die ersten vier Kapitel dieses Teils des Buches widmen sich eher theoretischen Betrachtungen zu dem, was die Sprache auszeichnet und wie Menschen mit der Sprache verbunden sind.

Hinsichtlich der theoretischen Konzepte wird neben anderen Strömungen auf die französische Psychoanalyse Bezug genommen, da sie wesentliche Impulse zum Verhältnis von Linguistik und Psychoanalyse gegeben hat und die Sprache sowie das Sprechen in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen stellt.

Das Verhältnis von Sprache und Symbol kann auf vielfältigen Ebenen betrachtet werden, z. B. wie die Sprache als symbolisches System funktioniert, warum es für den Menschen so wesentlich ist, über Symbole zu verfügen, und welche Bedeutungen das Symbol in der Psychoanalyse hat (image Kap. 2).

In den folgenden Kapiteln wird der Frage nachgegangen: Welche besonderen Facetten und Nuancen der Sprache und des Sprechens zeigen sich in der psychodynamischen Psychotherapie von Kindern und Jugendlichen? Hier wird der Praxis ein größeres Gewicht beigemessen.

Für die Praxis hat das Sprechen, und damit auch die Stimme, eine zentrale Funktion, was die körperlich-leibliche Dimension1 impliziert. Dies wird in sehr verschiedenen theoretischen Modellen aufgenommen, die u. a. von der Phänomenologie und den Cognitive Sciences beeinflusst sind (image Kap.3).

Die große Leistung eines kleinen Kindes ist es nun, innerhalb einer Welt der Sprache zu seinem eigenen Sprechen zu finden als Ausdruck seines Wunsches, sich mit einem anderen zu verständigen.2 Wie man sich diese spannende Entwicklung im Austausch von Kind und Umwelt vorstellen kann, wird im Kapitel Spracherwerb an Hand einiger unterschiedlicher Theorien skizziert (image Kap. 4).

Mit der Einführung des symbolischen Verständnisses des Spiels durch Melanie Klein entzündete sich ein Streit innerhalb der Psychoanalyse, wie weit andere Mittel des Verstehens als dem der verbalen Sprache akzeptiert werden. Von Seiten der psychoanalytischen Gesellschaften wurde das Sprechen allein als maßgeblich betrachtet, während in der Analyse besonders jüngerer Kinder das Spielen und das Szenische Verstehen als symbolisches Geschehen in den Mittelpunkt der psychoanalytischen Betrachtungen gerückt wurde (image Kap. 5).

Françoise Dolto (1992), eine in Frankreich und zunehmend auch in Deutschland sehr bekannte Psychoanalytikerin, schreibt, das menschliche Wesen sei vor allen Dingen ein Wesen der Sprache, wobei sie Sprache unter einem erweiterten Begriff versteht. Denn auch eine Situation, ein Bild, ein Symptom können z. B. als Mitteilung, als Zeichen für etwas anderes, verstanden werden. In dem vorliegenden Buch wird »Sprache« zunächst verwendet im Sinne von verbaler Sprache. Die verschiedenen Facetten von Sprache, die einen erweiterten Sprachbegriff zugrunde legen, werden eigens benannt, z. B. als Körpersprache. Das schließt nicht aus, wie sich im weiteren Verlauf zeigen wird, dass verbale Sprache und Körpersprache in einem engen Verhältnis zueinander stehen.

Verbale Sprache verlangt einen relativ hohen Grad an Abstraktion, der im Laufe der kindlichen und jugendlichen Entwicklung erworben wird. Von daher ist ein altersentsprechendes Verständnis nötig. Gleichzeitig wurzelt sie in den frühesten Interaktionserfahrungen, so dass sie immer auch Spuren des körperlich-seelischen Erlebens dieser Zeit in sich trägt, wie die folgenden Kapitel zeigen werden.

Dass jeder einzelne Mensch über persönliche, familiäre, regionale Nuancen des Sprechens verfügt, immer wieder neue Verknüpfungen herstellt, entspricht unserer Alltagserfahrung. Doch auch die Sprache als gesellschaftlicher Code unterliegt Wandlungen. Ludwig Wittgenstein hat hierfür das Bild einer Stadt entworfen:

»Unsere Sprache kann man ansehen als eine alte Stadt: Ein Gewinkel von Gäßchen und Plätzen, alten und neuen Häusern, und Häusern mit Zubauten aus verschiedenen Zeiten; und dies umgeben von einer Menge neuer Vororte mit geraden und regelmäßigen Straßen und mit einförmigen Häusern« (Wittgenstein, PU § 18).

Darauf wird man sich besonders in der Analyse mit Jugendlichen einstellen, denn jede Generation »baut weiter an der Stadt« und erschafft sich die ihr eigene Sprachwelt, die Ausdruck einer Lebensform ist.

1     Bernhard Waldenfels schreibt zur Beziehung Leib und Körper: »Der Leib wird im Unterschied zum bloßen Körper als lebendig und beseelt gedacht. Gabriel Marcel und Helmut Plessner führten die Differenz von Leib und Körper in ihre philosophischen Analysen ein, indem sie von einem Leib, der ich bin, und einem Körper, den ich habe, ausgingen. … »Leib sein« und »Körper haben« bedeuten eine abgründige Zweideutigkeit unserer Existenz, die in keiner Ganzheit zu versöhnen ist« (Waldenfels, 2004, S. 2)

2     Die Besonderheiten der Sprache der Gehörlosen können hier nicht aufgezeigt werden. Jedoch ist die Gebärdensprache als eigenständige Sprache, die körperliche Bewegung mit symbolischen Bedeutungen verknüpft, anerkannt.

1          Ebenen und Funktionen der Sprache: Einige Grundbegriffe zum Verständnis

 

 

 

Mit dem »linguistic turn«, der Wende zur Sprache im 20. Jahrhundert, wurden Sprache, ihre Bedeutung und ihre Funktion, ihr Verhältnis zur Welt und Wirklichkeit in den Fokus geistes- und sozialwissenschaftlicher Betrachtungen gestellt. Diese Diskussionen haben sich ebenfalls als fruchtbar für die Psychoanalyse erwiesen. Deshalb sollen hier Gedanken aus der Sprachphilosophie und der Linguistik als Grundlagen für das Verständnis der weiteren Ausführungen dieses Buchteils dargestellt werden.

Emil Angehrn hat aus Sicht der Sprachphilosophie Funktionen der Sprache für den Menschen formuliert. Mit Blick auf die Bedeutung in der psychodynamischen Therapie sollen die folgenden Aspekte hervorgehoben werden (vgl. Angehrn, 2012):

•  Sprache dient der Kommunikation, der Verständigung zwischen den Menschen,

•  Sprache dient dazu, sich selbst zu verstehen, indem das Denken eng an Sprache geknüpft ist und unser Fühlen sonst keine Begriffe fände, was wiederum die Voraussetzung ist, andere zu verstehen. Die Sprache und das Sprechen bilden gewissermaßen eine Brücke zwischen kognitiven, psychischen und körperlichen Prozessen.

•  Sprache bedeutet, den Zugang zur Welt zu finden, denn wir erkennen im Wesentlichen Dinge, für die wir Wörter finden.

Nach Ferdinand de Saussure (1857–1913), einem Schweizer Sprachwissenschaftler, der als Begründer der modernen Linguistik gilt, werden hinsichtlich der Sprache drei Kategorien unterschieden (vgl. Nöth, 2000, S. 76):

•  Langage ist die menschliche Sprache an sich. Diese Fähigkeit bezieht sich auf alle menschlichen Fähigkeiten zur Kommunikation.

•  Langue bezieht sich auf eine Sprache im Sinne einer bestimmten Einzelsprache wie Französisch oder Deutsch, als ein abstraktes System von Regeln, dazu gehören auch Laut- und Gebärdensprache.

•  Parole ist der konkrete Akt des Sprachbenutzers, der spezielle Sprachgebrauch, dazu gehört das Sprechen, die Rede.

Der Begriff »Langue« entspricht in etwa dem der »natürlichen Sprache«, die in den Sprachwissenschaften von künstlichen, z. B. Computersprachen oder formalen Sprachen abgegrenzt wird.

Darüber hinaus gibt es auch im allgemeinen Sprachverständnis erweiterte Bedeutungen des Begriffs »Sprache«, z. B. die Körpersprache, die Sprache der Bilder, z. B. im Traum (image Buchteil Traum), die Sprache der Musik, die jenseits der verbalen Sprache liegen, jedoch mit ihr verknüpft sein können. Sie werden meist als prae- oder para- oder nonverbale Formen der Symbol- bzw. Zeichenbildung betrachtet. Insofern sie die Art und Weise, wie gesprochen wird, z. B. die Intonation des gesprochenen Worts betreffen, handelt es sich um prosodische Elemente.

Zusammenfassung

Dass Wörter nicht nur leere Hüllen sind, sondern dass wir mit unserem Denken und Fühlen sowie der Orientierung in der Welt in einem innigen Verhältnis zur Sprache stehen, wurde im 20. Jahrhunderts mit dem »linguistic turn« zu einem zentralen Thema in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Es werden einige basale Definitionen aus der Sprachphilosophie und der Linguistik vorgestellt

Literatur zur vertiefenden Lektüre

 

 

Angehrn, E. & Küchenhoff, J. (Hrsg.). (2012). Macht und Ohnmacht der Sprache. Philosophische und psychoanalytische Perspektiven (1. Aufl.). Weilerswist: Velbrück Wissenschaft.

Nöth, W. (2000). Handbuch der Semiotik (2., vollst. neu bearb. und erw. Auflage). Stuttgart: Metzler.

Wittgenstein, L. 2011. Philosophische Untersuchungen (Bibliothek Suhrkamp, Bd. 3010, 1. Aufl. der Jubiläumsausg). Berlin: Suhrkamp.

Weiterführende Fragen

•  Welche Bedeutung haben Linguistik und Sprachphilosophie für die Psychoanalyse?

•  Welche Formen von »Sprache« gibt es?

2          Sprache, Zeichen und Symbol

 

 

 

Wenn man aber sagt: »Wie soll ich wissen, was er meint, ich sehe ja nur seine Zeichen«, so sage ich: »Wie soll er wissen, was er meint, er hat ja auch nur seine Zeichen.« (Wittgenstein, PU § 504)

2.1       Wofür benötigen wir Symbole und Zeichen? – Verschiedene Perspektiven

Wenn es um Sprache geht, dann befassen wir uns mit einem symbolischen System. Doch was heißt das? Lassen wir dazu erst Helen Keller, eine taube und blinde amerikanische Schriftstellerin sprechen:

Sie beschreibt ihre Erfahrung, die Erkenntnis, dass es Wörter als Symbole gibt, äußerst anrührend. Mit 19 Monaten verlor sie ihr Hör- und Sehvermögen in der Folge einer Hirnhautentzündung. Danach hörte sie auf, lautsprachliche Äußerungen zu tätigen. Sie geriet in Wut darüber, dass die Umwelt ihre Laute nicht verstand. Als sie sechs Jahre alt war, kam ihre Lehrerin, Anne Sullivan, zu ihr. Eines Tages nahm diese sie mit zum Brunnen.

»Noch während der kühle Strom über eine meiner Hände sprudelte, buchstabierte sie mir in die andere das Wort »water«, […] Mit einem Mal durchzuckte mich eine nebelhafte Erinnerung, ein Blitz des zurückkehrenden Denkens – und das Geheimnis der Sprache lag plötzlich offen vor mir. Ich wusste jetzt, dass »water« jenes wundervolle, kühle Etwas bedeutete, dass über meine Hand strömte. Dieses lebendige Wort erweckte meine Seele zum Leben […] Jedes Ding hatte eine Bezeichnung und jede Bezeichnung erzeugte einen neuen Gedanken […]« (Keller zit. in Busch, 2008, S. 143ff.).

Sie hatte begriffen (im doppelten Sinn des Worts), dass »water« nicht nur die konkrete Flüssigkeit im Becher, sondern ein verallgemeinerbares, regelhaft angewandtes Wort/Symbol war, mit welchem sich die Welt der Gedanken entfaltete. Es spendete ihr »…Licht, Hoffnung, Freude, befreite sie von ihren Fesseln« (Keller zit. In Busch, 2008, S. 144).

Das, was wir von den Gegebenheiten dieser Welt erkennen, ist nicht einfach die Realität. Wir benötigen Symbole bzw. Repräsentanzen, um uns eine Vorstellung von den Dingen machen zu können.

Indem wir Sprache verwenden, können wir Dinge im Kopf hin und her bewegen, ohne dass sie vorhanden sein oder existieren müssen. Wir können über Dinge von der anderen Welthalbkugel oder abstrakte Konstrukte sprechen mit Hilfe der Wörter, der Symbole – sie lassen uns über innere und äußere Empfindungen nachdenken, Fantasien ausschmücken, denn sie stehen in enger Verbindung zu unseren Denkvorgängen.

In der aktuellen Sprachphilosophie wird die Auffassung vertreten, dass Sprache für das Denken nicht unhintergehbar sein muss, d. h. es gibt andere Modalitäten des Denkens, z. B. in Bildern, Melodien, oder bei Mathematikern beispielsweise in Formeln. Jedoch stellt Sprache ein sehr bewegliches Instrument dar. Nach Jasper von Liptow (2015) wäre es ohne Sprache schwierig, sich Gedanken über die Gedanken anderer zu machen, was eine spezifisch menschliche Fähigkeit zu sein scheint. (Liptow, 2015)

Sprache wird in der Semiotik, der Lehre von den Zeichen, als das wichtigste, aber als eines unter verschiedenen Zeichensystemen verstanden. Charles Sanders Peirce (vgl. Nöth, 2000), ein amerikanischer Philosoph, gilt als Begründer der modernen Semiotik. Ihm zufolge sind sprachliche Zeichen dann Symbole, wenn sie für ein Objekt stehen und weitere Interpretanten mittels einer Konvention das Zeichen in der gleichen Art und Weise verstehen. Wir können uns das so vorstellen, dass ein Wort, z. B. »Hallo«, zu einem sprachlichen Symbol wird, wenn es von einer Gemeinschaft als Zeichen für eine Begrüßung verstanden wird aufgrund einer gemeinsamen regelmäßigen – konventionellen – Interpretation. Die Bedeutung erhält dieses Wort innerhalb eines sprachlichen Systems, in welchem die Unterschiede zwischen den Zeichen definiert sind, wo z. B. »Tschüss« als Formel für die Verabschiedung bestimmt ist.

Diese zeichentheoretische und linguistische Auffassung des Symbols unterscheidet sich von den kunsttheoretischen und psychoanalytischen Konzeptionen des Symbols, wo eher sinnbildliche Darstellungen, die entsprechende Assoziationen wecken, gemeint sind (Beispiel: Caspar David Friedrich, Schiff für das Leben, vgl. Caspar David Friedrich, »Die Lebensstufen«, um 1834, Öl auf Leinwand, Museum der bildenden Künste, Leipzig) (in der Literatur spricht man von Metaphern). In der Psychoanalyse ist die Symbolisierung ein zentraler Begriff, der sich vor allem auf die Darstellung von Unbewusstem richtet, z. B. im Traum (image Kap. 13.27) oder in Fehlleistungen. Ein klassisches Werk über die Symbole in der Psychoanalyse hat Ernest Jones verfasst. (Jones, 1987). Während dieser Symbolbegriff eher auf bildhafte Vorstellungen verweist, so gibt es bei Sigmund Freud ebenfalls den Ansatz, Sprache als solche als symbolisches System zu begreifen.

Seine Schrift »Zur Auffassung der Aphasien« (1891/1975/ S. 168ff.) wird als »Ausgangspunkt für Verbindungen zwischen Psychoanalyse und den kognitiven Neurowissenschaften« angesehen (Hamburger, 1995, S. 42). Freud verstand das »Wort [als] eine komplexe Vorstellung, die sich als zusammengesetzt aus akustischen, visuellen und kinästhetischen Elementen erweist« (a. a. O.). Dem Wort entspricht ein aus diesen Elementen zusammengesetzter Assoziationsvorgang, es erhält seine Bedeutung jedoch erst in Verbindung mit der Objektvorstellung. Er bezeichnet die Beziehung zwischen Wort- und Objektvorstellung3 als eine symbolische. Der darin enthaltene Symbolbegriff – die Vorstellung für ein Objekt wird gewissermaßen ersetzt durch die Vorstellung eines Worts – ist für das Verständnis von Sprache wegweisend.

Doch zu diesem Schritt muss ein Kind erst einmal hingelangen, wie uns das Beispiel von Helen Keller gezeigt hat. Dieser Prozess der Symbolbildung ist ein wesentlicher Bestandteil sowohl in der psychischen, kognitiven als auch sprachlichen Entwicklung des Kindes (image Kap. 4).

Bei S. Freud findet sich hierzu eine sehr berühmte Schilderung in »Jenseits des Lustprinzips«, das sogenannte Fort-Da-Spiel (Freud, 1920/1975, S. 225). Freud schildert Beobachtungen bei der Familie seiner Tochter. Sein 1,5 Jahre alter Enkel habe nicht geweint, wenn die Mutter das Haus verließ. Die Angewohnheit des Jungen, alle Spielsachen in eine Ecke zu schmeißen und dazu »o-o-o-o« zu rufen, wurde von den Angestellten als ein Ausdruck verstanden, der »fort« besagte. Denselben Ausdruck »o-o-o-o« verwendete er ebenfalls, wenn er eine Garnrolle über den Rand seines Bettchens hinauswarf. Der zweite Teil des »Spiels« bestand darin, die Garnrolle zurückzuziehen, diese Aktivität wurde von einem freudigen »da« begleitet. Freud sah darin die Fähigkeit des Enkels, Abwesenheit spielerisch und sprachlich zu repräsentieren: Die Anfänge der Symbolbildung werden mit der Abwesenheit der Mutter verknüpft. Es muss erst ein wichtiges Objekt als fehlend wahrgenommen werden, damit es nötig ist, Zeichen zu finden, die das Fehlen symbolisieren. Dieses Beispiel zeigt sehr anschaulich die Entstehung der Symbolisierung in einer Verbindung der körperlichen Bewegung, der spielerischen und des sprachlichen Ausdrucks. Damit wird unterstrichen, dass Sprache und Spracherwerb keine von der gesamten Entwicklung losgelösten Systeme darstellen.

2.2       Sprache und Unbewusstes

Der französische Psychoanalytiker und Psychiater Jacques Lacan rückte die Bedeutung der Sprache in das zentrale Blickfeld psychoanalytischen Denkens und berief sich damit auf Sigmund Freud (Lacan 1991). Er formulierte seine Ideen im Spannungsfeld von Psychoanalyse, Philosophie und Sprachwissenschaft. Insbesondere postulierte er eine enge Verbindung von Linguistik und Psychoanalyse.

Hat Lacan den vielzitierten Satz: »Das Unbewusste ist strukturiert wie eine Sprache« (Lacan, 1991) mit Bezug auf die strukturalistische Theorie von Claude Lévi-Strauss formuliert, so entgegnet ihm Alfred Lorenzer, ein Psychoanalytiker aus dem Kreis der Frankfurter Schule, folgendermaßen:

»Allerdings gründet unser Verständnis vom Unbewußten als ‹Sinnstruktur‹ nicht auf der Sprachtheorie, sondern auf einem geschichtsmaterialistischen Praxisverständnis. Deshalb kehrt sich uns der Satz ‹Das Unbewußte ist wie eine Sprache strukturiert‹ um zur These ›Die Sprache ist wie das Unbewußte strukturiert‹ (Lorenzer, 2002, S. 84).

Lorenzer begründet seine Auffassung vom Unbewussten als einem nichtsprachlichen Sinnsystem damit, dass es sich bei den Inhalten des Unbewussten um verbotene, deshalb verdrängte Inhalte handelt, die nicht einmal gedacht werden dürfen und insofern nicht logisch verbal verfasst sein können. Für ihn liegt der Fokus auf der gesellschaftlichen Vermitteltheit des Unbewussten. Allerdings nimmt auch Lorenzer an, dass ein »Wechselverhältnis« zwischen beiden Systemen, dem Unbewussten und dem sprachlich geordneten Bewusstsein existiert (Lorenzer, 2002, S. 174).

Zusammenfassung

Sprache wird als ein symbolisches System aus Sicht der Psychoanalyse und der Semiotik beschrieben. Dabei wird zwischen Sprache als einem System und dem Sprechen als subjektivem Gebrauch der Sprache unterschieden. Was die Psychoanalyse auszeichnet, ist das Verhältnis von Sprache und Unbewusstem. Für die kindliche Entwicklung ist unter diesem Gesichtspunkt der Erwerb der Fähigkeit, Symbole zu bilden, bedeutsam. Dies ist die Voraussetzung, um einen Zugang zu der es umgebenden Sprache und Kultur – den Code – zu erwerben.

Literatur zur vertiefenden Lektüre

 

Cassirer, E. & Kaiser, R. (1990). Versuch über den Menschen. Einführung in eine Philosophie der Kultur. Frankfurt am Main: Fischer.

Freud, S. (1975). Jenseits des Lustprinzips. Studienausgabe Bd. III, Frankfurt a. M.: Fischer Verlag. (Originalarbeit erschienen 1920g)

Liptow, J. v. (2015). [Podcast]. In: Christoph Scheffer: Geben wir Wörtern zu viel Gewicht. HR Funkkolleg Philosophie, Folge 19. www.ardmediathek.de/radio/Funkkolleg-Philosophie/Geben-wir-den-Wörtern-zu-viel-Gewicht-/hr-iNFO/Audio-Podcast?bcastId=24534196&documentId=46909702

Jones, E. (1987). Die Theorie der Symbolik und andere Aufsätze (Die kleine weiße Reihe, Bd. 90). Frankfurt am Main: Athenäum.

Lorenzer, A., (2002). Die Sprache, der Sinn, das Unbewußte. Psychoanalytisches Grundverständnis und Neurowissenschaften. Stuttgart: Klett-Cotta.

Winter-Heider, C. E. (2013). Mutterland Wort. Sprache, Spracherwerb und Identität vor dem Hintergrund von Entwurzelung (1. Aufl.). Frankfurt a. M.: Brandes & Apsel.

Weiterführende Fragen

•  In welchem Verhältnis steht die Sprache zum Denken?

•  Wie wird das Verhältnis von Unbewusstem und Sprache in verschiedenen Theorien gedacht?

•  Wie unterscheiden sich die Auffassungen hinsichtlich des Begriffs »Symbol«?

3     Für den Begriff »Objektvorstellung« verwendet Freud in »Das Unbewusste« den Begriff »Sachvorstellungen«.

3          Das Sprechen, die Stimme, der Körper

 

 

 

Das Wort »Sprachspiel « soll hier hervorheben, daß das Sprechen der Sprache ein Teil ist einer Tätigkeit oder einer Lebensform. (Wittgenstein, PU § 23)

3.1       Was bedeutet »Sprechen« in der psychotherapeutischen Praxis?

In der therapeutischen Sitzung sprechen wir und bedienen uns der Sprache (langue), die in gewisser Weise das Material liefert, aus dem der Sprecher auswählt, etwas ändert, hinzuerfindet, die er in seiner persönlichen Art nutzt (Parole). Unser zentrales Medium ist das Sprechen, die Rede, mit ihren Pausen, dem Schweigen.

Dabei richtet sich die Aufmerksamkeit nicht nur auf das, was gesprochen, gesagt oder nicht gesagt wird, sondern auch darauf, wie gesprochen wird – auf die Stimme – sowie besonders in der Kinderanalyse auch auf die Körpersprache, die Gestik und Mimik. Die Stimme ist einerseits Trägerin von Bedeutung, indem sie das gesprochene Wort transportiert, andererseits hat sie selbst Bedeutung. Was verrät uns ihr Klang, ihr Rhythmus? Sie ist dem Körper in der Entstehung zugehörig. Indem sie gehört wird, gehört sie nicht mehr zum Körper, nicht zum anderen, sondern stellt einen eigenen Raum an der Schnittstelle von biologischem und sozialem Leben her. Sie befindet sich, wie Mladen Dolar schreibt, an einem unmöglichen, ortlosen Ort (vgl. Dolar, 2014).

Für das Sprechen könnte man ein Spannungsfeld zwischen verschiedenen Polen skizzieren:

•  Körper: Sprechen verlangt eine körperliche Aktivität – das Atmen, die Stimmbänder etc. – und wenn es einen anderen gibt, das Hören;

•  Geist: Denken, die kognitive Komponente;

•  Psyche: Als Ausdruck des bewussten und unbewussten seelischen Erlebens, von Affekten oder Triebhaftem mit prosodischen Elementen wie Intonation und Rhythmus sowie Versprecher, Mehrdeutigkeiten;

•  Gesellschaft: Soziale Verständigung/Intersubjektivität, Orientierung auf ein gesellschaftliches System, den sozialen Code.

3.2       Stimme und Stimmung

Die Stimme, so (w-)ortlos sie sein mag, stellt sie doch etwas sehr Persönliches dar. Wie sonst könnten so viele Telefongespräche mit »Ich bin’s« beginnen, was sich nicht so sehr durch den auf dem Display erscheinenden Namen erklärt, sondern durch die Stimme, von der der Sprecher annimmt, dass sie als die seine erkannt wird. Sie enthält – so könnte man formulieren – den Klang des Affektiven, des Triebhaften, sie enthält eine Musik, eine jeweils eigene für den jeweiligen Moment und die jeweilige Person abgestimmte Tonart und sinnliche Eigenschaften. Die emotionale »Ge-stimmt-heit« lässt sich an der Stimme erkennen. Aufregung, Unsicherheit, Ärger verraten sich in ihr jenseits des verbalen Inhalts der Rede. Geringe Modulation und stimmliche Verflachung sind z. B. als Hinweis auf mögliche Depression und Entleerung innerhalb von Beziehungen wahrzunehmen.

Die Wahrnehmung des stimmlichen Ausdrucks kann insbesondere in der Arbeit mit Jugendlichen in passenden Momenten zur Verfügung gestellt werden: »Ich höre ein Seufzen, eine belegte Stimme, es könnte um etwas Trauriges gehen.« Oder: »Wenn du von der Person X sprichst, wird deine Stimme schroffer.« Dies ermöglicht häufig einen Zugang zu einem Sinn, der in den verbalen Ausführungen nicht erkennbar wird. Eine solche Bezugnahme auf die Stimme zeigt auch, dass etwas von der emotional an den Analytiker gerichteten Botschaft gehört und anerkannt wird, gerade weil das, was in der Stimme mitschwingt, nicht gesagt werden kann. Sie kann weniger kontrolliert werden als der Inhalt der Rede, (obwohl natürlich auch in dieser das Unbewusste an den Brüchen, den Rändern, in den Versprechern arbeitet, an denen nach Lacan das Subjekt auftaucht) vgl. »Die Stimme ist das Fleisch der Seele, ihre untilgbare Materialität« (Dolar, 2014, S. 97)

Welche Bedeutung die Stimme des Analytikers hat, ist z. B. Äußerungen von Patienten zu entnehmen wie »Ich wollte zu Ihnen kommen wegen Ihrer Stimme auf dem Anrufbeantworter«. Wenn auch medial vermittelt, weckt die Stimme einen Wunsch nach Kontakt mit diesem anderen. So wäre eine weitere Frage: Wie wirkt die Stimme des Therapeuten? Dazu gibt es einige Gedanken z. B. bei Daniel Stern (image Kap. 8).

Und was wäre die Stimme ohne das Zuhören?

Es ist möglich, sich selbst zuzuhören, die Stimme kann Gegenstand unserer eigenen Wahrnehmung sein. Das Singen ohne andere Zuhörer oder der Monolog scheinen der Stimme eine Position eines anderen zuzuweisen, mit dem das Ich im Austausch steht. Doch das Zuhören eines realen Anderen ist das eigentliche Pendant des Sprechens in der Kinderanalyse. Bernhard Pörksen und Schulz von Thun (2016a) unterscheiden das »Ich-Ohr« von dem »Du-Ohr«. Das Ich-Ohr höre auf den Grad der Übereinstimmung mit der eigenen Weltwahrnehmung, mit dem Du-Ohr tauche man in die Welt des anderen ein. Pörksen (2016b) schreibt: »Zuhören wird zum Auftakt echter Begegnungen«.

3.3       Sprechen – eine leibliche Geste4

Das, was das Sprechen (Parole) auszeichnet, sind der Klang, das leibliche Element, der biologische Vorgang sowie die Zwischenleiblichkeit nach Merleau-Ponty5 (Merleau-Ponty, 1994, S. 194). Dieser französische Philosoph hat mit seinen phänomenologischen Betrachtungen viele Impulse für die aktuellen Diskussionen in der Psychotherapie gegeben. Z. B. hat er Daniel Stern und die Boston Change Process Study Group beeinflusst (image Kap. 8). Wichtig in diesem Kontext ist seine Auffassung von einer unauflöslichen Verbindung zwischen Sprache und Körper. »Die Sprache ist Geste, ihre Bedeutung eine Welt.« (Merleau-Ponty, 2010. S. 218)

Die Stimme verleiht der Sprache Lebendigkeit, im direkten Kontakt unterstrichen von Mimik und Gestik, körperbezogenen Ausdrucksformen. Diese sind ebenso Ausdruck des Selbst wie Mittel der Gestaltung der Begegnung mit anderen. In der Arbeit mit Kindern nehmen diese nicht-bzw. paraverbalen Sprachen großen Raum ein.

»Der Körper ist insoweit Sprache, wie er Körper-in-Verbindung-mit-anderen ist.« (Küchenhoff, 2013, S. 46).

Das Körperbild entsteht aus den frühen Erfahrungen mit anderen, es wird nicht ohne zwischenmenschliche Erfahrungen, z. B. den frühen Berührungen, konstituiert. Diese soziale Funktion des Körpers lässt sich in der Kinderanalyse als »Sprache im Raum« verstehen: Welchen Abstand sucht das Kind zu mir? Welchen Platz im Raum wählt es? Wie erobert es den Raum? Bewegungen können als Mitteilungen gelesen werden. Im analytischen Raum entsteht eine »Zwischenleiblichkeit« (intercorporéité), wie der Philosoph Maurice Merleau-Ponty schreibt, eine Bezugnahme eines Leibes auf den anderen und die Welt (Merleau-Ponty, 2010, S. 224). Leib ist in der philosophischen Betrachtung der beseelte Körper, unsere Vorstellung vom Körper, begrifflich dem »Körperbild« in der Psychoanalyse nahe stehend. Bleibt das Kind z. B. im Erstkontakt auf der Schwelle zum Spielzimmer stehen? Stürmt es auf die Autos zu? »Es gibt eine präreflexive Intersubjektivität des Körpers.« (a. a. O., S. 48) Noch bevor ein bewusster Gedanke entsteht, gibt es bereits den leiblichen Bezug.

Ein besonderer Unterschied zur Arbeit mit Erwachsenen wird durch den Blick markiert. Tritt der Blick in einem Setting auf der Couch weitgehend in den Hintergrund, so ist er – bzw. dessen Vermeidung –in der Praxis mit Kindern und Jugendlichen selbstverständlicher Teil der Kommunikation.

3.4       Gehört die Stimme zur Sprache?

Wieweit ist die Stimme viel mehr Trägerin früher Einschreibungen als die tatsächlich verwendeten Wörter? Julia Kristeva, einer aus Bulgarien stammenden französischen Linguistin, Psychoanalytikerin und Schriftstellerin, zufolge sind in der Stimme die ganz frühen Beziehungserfahrungen gespeichert, so diejenigen, die der Erinnerung und dem Bewusstsein nicht zugänglich sind. Kristeva nennt dies die semiotische Sprachfunktion (image Kap.4.1). Sebastian Leikert (2007) spricht von der »kinetischen Semantik« (bzw. später der kinästhetischen Semantik), der Bedeutung tragenden Funktion der Stimme, die sich über den Körper als Resonanzboden vermittelt. Er misst der Stimme von der Sprache unterschiedene Bedeutungen bei, die sich in einem Rhythmus von Spannung und Entspannung vermitteln. Die Stimme wird körperlich erzeugt und wirkt gleichzeitig auf den Körper – und dies bereits vorgeburtlich. So erscheint sie als ein archaischer Bedeutungsträger, der sich sowohl passiv/rezeptiv als auch seit der Geburt aktiv auf das körperliche Erleben des Subjekts wie auch des von ihm noch nicht ganz unterschieden erlebten Anderen auswirkt. Er differenziert zwischen dieser Form körperlich-sinnlicher und sprachlich-logischer Bedeutungsvermittlung.

»Mit dem Beginn des Spracherwerbs tritt die kinetische Semantik der Stimme in eine Wechselbeziehung zur lexikalischen Semantik der Sprache« (Leikert, 2007, S. 464)6

Also Klang und Inhalt sind aufeinander bezogen, was sich durchaus bei Kristeva ähnlich lesen würde. Doch auch wenn Leikert die semiotische Funktion nach Kristeva zitiert, ihre Hervorhebung von Rhythmen und Modulationen der Stimme erwähnt, distanziert er sich von ihr insofern, als er diese Eigenschaften nicht als sprachliche, sondern außersprachliche ansieht. Er nennt die kinästhetische Semantik eine außersprachliche Ordnung der Sinnlichkeit (Leikert, 2013, S. 980).