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Nr. 3018

 

Welt der fünf Augen

 

Sie sind zu Besuch bei Außerirdischen – und doch fühlt sich alles so bekannt an

 

Susan Schwartz

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. KYNAYASH – Der Sturm

2. Sterne und Unsterne

3. Nach Shabaydaa

4. In der Stadt

5. Das Museum

6. Entscheidende Taten

7. Shashay

8. Die Mission

9. Aufbruch

Journal

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Mehr als 3000 Jahre in der Zukunft: Längst verstehen sich die Menschen als Terraner, die ihre Erde und das Sonnensystem hinter sich gelassen haben. In der Unendlichkeit des Alls treffen sie auf Außerirdische aller Art. Ihre Nachkommen haben Tausende von Welten besiedelt, zahlreiche Raumschiffe fliegen bis zu den entlegensten Sternen.

Perry Rhodan ist der Mensch, der von Anfang an mit den Erdbewohnern ins All vorgestoßen ist. Nun steht er vor seiner vielleicht größten Herausforderung: Die Rückkehr von seiner letzten Mission hat ihn rund 500 Jahre weiter in der Zeit katapultiert. Eine Datensintflut hat fast alle historischen Dokumente entwertet, sodass nur noch die Speicher der RAS TSCHUBAI gesichertes Wissen enthalten.

Was sich seitdem ereignet hat, ist Perry Rhodan bisher nahezu unbekannt, da es zu fast allem mehrere unterschiedliche Aussagen und Quellen gibt. Nun ist er im Solsystem angekommen, in dem die Erde durch einen sehr ähnlichen Planeten ausgetauscht wurde – gleich und doch nicht gleich, wie er feststellt. Die neue Erde ist insbesondere eine WELT DER FÜNF AUGEN ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Terraner begleitet die Bewohner einer Erde, die nicht die Erde ist.

Siad Tan und Phylax – Die beiden ungewöhnlichen Mitglieder des Erkundungstrupps machen Maske.

Zemina Paath – Die Thesan wird von den Ayees freundlich behandelt.

Dunyuu und Shashay – Die beiden Ayees ahnen, dass die Fremden Gefahr bedeuten könnten.

1.

KYNAYASH – Der Sturm

 

Die Sonne näherte sich dem Westen und zauberte lange, rötlich geränderte Schatten aufs Deck, die wie dünne Kreaturen über den Boden zu fliehen schienen, während das Schiff auf Nordkurs schwenkte. Zusammen mit dem warmen Licht verließen die Schatten die Aussichtskuppel. Sofort entstand der Eindruck einer von kühlem, blauem Licht angereicherten Atmosphäre, die sich rasch verdüsterte.

Am Horizont vor dem Luftschiff KYNAYASH war der Himmel sehr dunkel. Dort ballten sich dicke Wolken zusammen, türmten sich auf zu mächtigen Gebilden, in deren Zentren grelle Lichterscheinungen zuckten.

Kapitän Eshmaan kam die Wendeltreppe zum Promenadendeck herunter. Die Kommandobrücke war in das dieses Deck integriert, das die Oberseite des Bugs einnahm, mit einer dicken gläsernen Kuppel statt des Holz-Metall-Verbunds. So hatten die Passagiere geschützt einen weiten Ausblick, während das Luftschiff mit erstaunlicher Geschwindigkeit unterwegs war.

Rhodan erinnerte sich an Dunyuus Erläuterungen zum Antrieb des Schiffes; offensichtlich hatte sie dabei ordentlich untertrieben. Da steckte schon einiges mehr dahinter, um so eine Geschwindigkeit zu erreichen. Aber es war verständlich, dass die Ayee nicht alles preisgab – jedenfalls nicht Fremden gegenüber. Und schon gar nicht solchen, die sie zunächst für lebensnichtende Teaana gehalten hatte. Eine Lebensrettung allein genügte nicht, aus Unbekannten beste Freunde zu machen.

Er hätte sich gerne intensiver mit der Expeditionsleiterin ausgetauscht. Wie es aussah, musste das angesichts des nahenden Unwetters verschoben werden.

»Wir bitten alle Passagiere, sich nach innen zu begeben«, verkündete der Kapitän auf Aishi, das die Translatoren mittlerweile problemlos übersetzen konnten. Er wies auf das Schlechtwettergebiet. »Wir können dem Gewitter nicht ausweichen, es kommt in hoher Geschwindigkeit auf uns zu. Wir haben daher einen Kurs eingeschlagen, der uns einigermaßen sicher hindurchbringen sollte – und hoffentlich auf dem kürzesten Weg. Aber es wird eine sehr holprige Angelegenheit. Wer einen empfindlichen Magen hat, sollte sich rechtzeitig beim Schiffsarzt versorgen.«

»Wir benötigen nichts, danke«, sagte Rhodan höflich für das gesamte Team. Die SERUNS würden stabilisierend eingreifen und waren kompetenter als ein Ayee-Arzt. Zumindest hoffte er das.

Eshmaan wandte sich ab, ohne ihn eines weiteren Blickes aus den beiden Frontalaugen zu würdigen. Auch die übrige Mannschaft blieb auf Distanz. Der Einzige, der eine gewisse Aufmerksamkeit bekam, war der Okrill Phylax, denn er ähnelte manchen Tierarten auf Iya.

Zumindest war keine Panik unter den Ayee ausgebrochen, als die Terraner an Bord gekommen waren.

Das Promenadendeck war mit bequemen Sitzmöbeln und Halbliegen ausgestattet, außerdem gab es eine Bar mit Speisen und Getränken. Allerdings war lediglich Zemina Paath jener Grad an Gastfreundlichkeit entgegengebracht worden, sie danach zu fragen, ob sie etwas zu sich nehmen wollte. Sie hatte höflich abgelehnt.

»Können wir nicht hierbleiben?«, bat Duke. »Ich habe einen Sturm noch nie auf diese Weise erlebt.«

Solemani und Tersteegen reagierten ähnlich, während Siad Tan sich gemächlich unter Deck begab. Für eine Oxtornerin, die eine Schwerkraft von 4,8 Gravos, Temperaturen zwischen hundert und minus hundertzwanzig Grad Celsius und Stürme mit bis zu tausend Kilometern pro Stunde gewöhnt war, musste der angekündigte Sturm eher langweilig sein.

Tenga meinte, ihm sei es egal, wo er die SCHOTE parkte.

Zemina Paath hielt sich wie immer heraus; die Thesan gab sich weiterhin sehr distanziert, beobachtend, und gab nur selten einen Kommentar ab. Rhodan kannte sie jedoch inzwischen gut genug, um zu erkennen, dass es in ihr arbeitete und sie intensiv versuchte, die verschütteten Erinnerungen an die Oberfläche zu holen.

Seit der Landung auf Iya ging einiges in ihr vor, doch mehr als das Wort Konvergenz in Bezug auf die Frage, ob Terra und Iya nun identisch seien, hatte sie bisher nicht hervorgebracht. Und vor allem keine Erklärung dazu, was damit gemeint war.

»Ich denke, das ist auf eure Verantwortung möglich«, beschied ihnen Dunyuu. »Shashay und ich werden in jedem Fall hierbleiben und zusehen, denn meiner Ansicht nach sind wir innerhalb der Gondel nicht sicherer als hier.«

»Außerdem«, fügte Shashay hinzu, »erleben wir das nicht zum ersten Mal, und ich finde, es ist jedes Mal ein aufs Neue faszinierende Schauspiel. Das uns überdies nützlich ist, denn wir können noch zu Beginn, wenn die Windgeschwindigkeiten nicht zu hoch sind, die Batterien aufladen und kommen vielleicht um einen Zwischenstopp herum.«

Batterien, dachte Rhodan bei sich. Vor dem Einstieg war nur von einer die Rede gewesen. »Es gibt also mehrere Motoren? Und Redundanzen?«, fragte er beiläufig.

Shashay antwortete: »Natürlich.« Dann hielt er inne. Seine Flügel raschelten hektisch.

Dunyuu tadelte ihn nicht. Doch sie sagte zu Rhodan: »Wir werden keine weiteren Fragen beantworten und mit euch keine Führung in den Maschinenraum unternehmen!«

 

*

 

Die Wolkenfront kam schnell näher, und die KYNAYASH hielt darauf zu. Ihr gewaltiger Propeller trieb sie unermüdlich voran, auch wenn die Windgeschwindigkeiten exponentiell zunahmen und das Manövrieren erschwerten. Es sah aber ganz danach aus, als würde der Kapitän sich damit auskennen – und auch die Mannschaft wusste, was zu tun war.

Rhodan ging davon aus, dass die beiden Starrluftschiffe analog zu den terranischen des 19. und 20. Jahrhunderts mit einem kompletten Skelett aus Trägern und Streben versehen waren, die zusätzlich durch Längsträger verbunden und mit Stahlseilen – oder einem anderen Material – verspannt waren. Die Brückenverbindung, der Aufbau und die Konstruktion der Gondel wirkten ganz so, als könnten sie einiges aushalten. Der Terraner hoffte jedenfalls, dass das Traggas tatsächlich Helium statt Wasserstoff war, sonst könnte ein einziger Funken für ein unbeabsichtigtes Feuerwerk genügen.

Es folgte keine weitere Aufforderung, das Aussichtsdeck zu verlassen. So konnte Rhodan im Panoramablick ganz ohne Holoprojektion sehen, wie der Katamaran endgültig in das Gewitter eintauchte. Es wurde fast finster, stakkatoartig erhellt von zuckenden Blitzen und Wetterleuchten. Das Schiff verlor die ruhige Balance, tanzte auf und ab wie über Wellenkämme eines aufgewühlten Ozeans, es knirschte und stöhnte überall, als der Materialverbund zusehends belastet wurde.

Sie mussten sich festhalten, als sie wie von einer gewaltigen Faust gepackt und durchgeschüttelt wurden. Die tobenden Windgeschwindigkeiten draußen mussten einige Hundert Kilometer pro Stunde betragen. Mangels Anhaltspunkten konnte Rhodan nicht mehr sagen, ob die KYNAYASH sich überhaupt noch gezielt vorwärtsbewegte oder längst ein Spielball der Mächte geworden war.

Das Schütteln nahm zu, ebenso erfolgten ruckartige Bewegungen nun auch zur Seite. Schwerer Regen, teilweise mit Hagel durchsetzt, trommelte gegen die Scheibe und machte eine Sicht nach draußen fast unmöglich.

Die beiden Ayees fuhren zusammen, als ein gewaltiges Kreischen und Dröhnen aus dem Heck drang. Dann wurde das Deck von einem so heftigen Schlag erschüttert, dass bis auf Paath, Tan und Phylax alle den Halt verloren und stürzten.

Das Schiff bäumte sich auf und drohte, die Stabilität zu verlieren. Ein Reißen und Knirschen erklang an mehreren Stellen, vor allem oberhalb der Gondel. Rhodan vermutete, dass die Brückenkonstruktion, an der die Gondel befestigt war, an die Grenze der Belastbarkeit stieß, und hoffte, dass sie hielt.

Er rappelte sich auf, stürmte die Wendeltreppe hinauf – oder versuchte es vielmehr, denn er verlor mehrmals durch das starke Schwanken und Schlingern den Halt und musste sich auf den letzten Stufen durch Festklammern und Weiterziehen Schritt für Schritt emporkämpfen. Die Tür zur Brücke war nicht geschlossen.

»Was tust du hier?«, schrie ihm der Kapitän über den ohrenbetäubenden Lärm hinweg entgegen, während seine Offiziere damit beschäftigt waren, das Schiff auf Kurs zu halten.

»Können wir helfen?«, rief Rhodan zurück. »Wir haben viel Erfahrung ...«

»... mit hochtechnisierten Raumschiffen! Das hier ist großteils Mechanik, damit findet ihr euch nicht zurecht!«, unterbrach Eshmaan barsch. »Außerdem habe ich genug Leute, allesamt Spezialisten!«

Rhodan ruderte mit den Armen, als das Schiff erneut schlingerte. »Du musst die Geschwindigkeit reduzieren, sonst reißt die Verbindung!«, brüllte er.

»Das größere Problem ist, dass der Propeller sich festfrisst! Falls das geschieht, stürzen wir ab!«

»In Ordnung, wir gehen raus und überprüfen und reparieren das!«

»Keinesfalls! Ich habe schon ...«

»Wir sind mit unseren Anzügen hervorragend ausgerüstet, uns kann nichts passieren! Ruf deine Leute zurück, das ist für sie da draußen viel zu gefährlich! Allein wenn sie vom Blitz getroffen werden! Und die Fluten sind so schwer, es wird sie wegspülen! Da nützen eure Flügel euch nichts mehr!«

Obwohl sich die beiden anbrüllten, war durch das Toben, Kreischen, Knirschen, Pladdern und Rauschen kaum ein Wort zu verstehen.

Rhodan formte mit den Händen einen Trichter vor dem Mund. »Wir machen das jetzt! Ruf deine Leute zurück!«

»Ich kann nicht! Die interne Kommunikation ist vollständig ausgefallen!«

»Dann beeilen wir uns und bringen sie zurück!«

Rhodan taumelte auf den Ausgang zu und stolperte die Treppe mehr hinunter, als dass er sie lief. Über den Internfunk rief er: »Osmund, Winston, Rubart, wir müssen den Propeller zum Laufen bringen und die Leute von da draußen reinholen! Tenga, vielleicht kannst du mit der SCHOTE auch raus und Winston unterstützen, aber geh kein Risiko ein! Siad, du bleibst mit Phylax bei Zemina, und achte bitte auch auf Dunyuu und Shashay!«

»Verstanden«, kam es vielstimmig zurück.

Zemina formte mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis und bestätigte auf diese Weise.

Der Paau wäre von Nutzen gewesen. Ja, wäre er wirklich.

Rhodan und die drei Männer schlossen die Helme und machten sich auf den Weg zum Heck.

 

*

 

Duke mit seinem Spezialgerät fand den schnellsten Weg über einen Montagesteg oben in der Gondel und dann außen an der Brückenkonstruktion entlang. Seine beiden Freunde und Rhodan folgten ihm.

»Wieso eigentlich, wenn man schon einen Katamaran baut, hat man nicht zwei Propeller?«, schimpfte Duke, während er die Steigleiter hinaufkletterte. Er erreichte die Ausstiegsluke, die über ein Drehrad geöffnet wurde und dann aufgestemmt werden musste.

Mit Kraftverstärkung durch den SERUN schaffte Duke es, den Deckel gegen den erheblichen Widerstand des Sturms aufzudrücken und hinauszuklettern.

»Jetzt verstehe ich!«, hörte Rhodan Dukes Ruf. »Das Ding ist von hier aus gesehen gigantisch!«

Rhodan verstärkte sofort die Haftung in seinen Stiefeln, als er als Letzter nach draußen kam und den Lukendeckel zufallen ließ, in der Hoffnung, dass jener sich nicht verschob und den Zugang blockierte.

Um ihn tobte ein beachtlicher Sturm. Er war froh über den Schutz seines Anzugs – und bewunderte die Ayees, die sich hinausgewagt hatten. Die Windgeschwindigkeit mochte über 200 Kilometer pro Stunde betragen, die brausenden Wirbel kamen unberechenbar von allen Seiten. Wie er es dem Kapitän schon gesagt hatte, waren die Fluten hier draußen so stark wie Wellen auf dem Meer, es machte keinen Unterschied. Er musste das Prallfeld aktivieren, so sehr klatschte der Regen gegen ihn. Blitze zuckten um ihn, der Donner machte alle weiteren Außengeräusche zunichte und übertraf selbst das Kreischen des geschädigten, nur noch langsam rotierenden Propellers.

Tengas SCHOTE suchte sich ihren Weg durch den Sturm, sie war nur als winziger tanzender Leuchtpunkt erkennbar.

Rhodan schaltete die Scheinwerfer an und stellte sie auf höchste Intensität. Dennoch reichte die Sicht gerade mal ein paar Meter weit.

Die drei Männer waren ein Stück voraus, gaben sich gegenseitig Informationen und Warnungen, wenn einer drohte vom Weg abzukommen.

Schließlich erkannte Rhodan einige festgehakte metallene Leinen, die offenbar den Ayees als Halt dienten. Es waren insgesamt fünf Leinen, aber zwei peitschten unbesetzt im Wind. An den restlichen drei hing jeweils ein Ayee. Sie kämpften bei der Notschaltzentrale des Propellers um eine Lösung des Problems.

»Osmund, hol mit Rubart zusammen die Ayees da weg, Tenga und ich kümmern uns um den Propeller!«, rief Duke. »Ich glaube, etwas hat sich zwischen zwei Rotorblättern verklemmt, und für einen solchen Fall ist die SCHOTE genau richtig! Tenga wird den Propeller freisetzen, bevor er sich endgültig festfrisst, und ich versuche, von hier oben aus zu steuern.«

Rhodan schloss zu Solemani und Tersteegen auf. Gemeinsam versuchten sie, die Ayees zu erreichen. Zwei hatten den Halt verloren und zappelten am Ende der Halteleine, versuchten sich zurückzuhangeln. Der dritte war zwischen zwei Verstrebungen festgeklemmt und konnte sich nicht von allein befreien.

Solemani und Tersteegen beeilten sich, die Leinen einzuholen, während Rhodan dem festgeklemmten Ayee zu Hilfe eilte. Ein zähes Geschöpf, das musste Rhodan zugeben, denn obwohl ihm der Regen so sehr ins Gesicht klatschte, dass er kaum atmen konnte und Wasser spuckte, begriff er, was Rhodan vorhatte, und klammerte sich an ihm fest.

Seine Flügel waren hinter eine Halterung gerutscht. Er ließ sich sacken, damit Rhodan die Schwingen nach unten durchdrücken konnte, doch das war kein leichtes Unterfangen. Rhodan erkannte am verzerrten Gesicht des Ayees, wie sehr dieser Schmerzen litt, und konnte doch nicht behutsam vorgehen. Schließlich versuchte er es mit einem kräftigen Ruck, und der Ayee war frei.

Rhodan hielt ihn fest, als er schwach zusammensank. Er aktivierte den Antigrav in den Stiefeln und schwebte mit dem Verletzten zurück zur Luke. Solemani und Tersteegen waren ebenfalls dorthin unterwegs. Rhodan bedeutete Solemani, den Verletzten zusätzlich zu halten, und öffnete die Luke, was selbst mit Kraftverstärkung eine ziemliche Anstrengung bedeutete.

Rhodan hatte den Eindruck, dass der Sturm noch schlimmer geworden war. Blitz auf Blitz schlug auf der Hülle des Schiffes ein; welche Art Ableiter bei den Starrluftschiffen und der Gondel auch installiert sein mochte, er funktionierte. Bisher gab es keinen Durchschlag und trotz des Wassers keinen weitergeleiteten Strom. Wahrscheinlich waren die Stiefel der Ayees isoliert, aber sie trugen keinen schützenden SERUN. Die Isolation allein hätte nicht ausgereicht.

Während Tersteegen und Solemani die Verletzten in die Gondel brachten, kehrte Rhodan nach oben zurück und kämpfte sich zu Duke durch.

»Geh lieber wieder rein, wir schaffen das schon!«, rief der Tüftler über den Internfunk. »Es ist viel zu gefährlich hier draußen, das Ding kann uns jeden Moment um die Ohren fliegen.«

Rhodan entdeckte den Lichtpunkt der SCHOTE tief unten zwischen zwei der riesigen Rotorblätter. »Reicht die Kapazität der integrierten Waffen aus?«

»Sie muss«, lautete die Antwort. »Von uns kann keiner da runter, es ist viel zu eng und sehr diffizil. Tenga nimmt an, dass ein Tier hineingeraten ist und sich um eine Schraube gewickelt hat. Nicht groß, aber mit gewaltiger Auswirkung. Unsere Handstrahler könnten schon zu stark für diese mikroskopische Arbeit sein.«

Rhodan starrte fasziniert auf die Notsteuerzentrale, die aus jeder Menge Knöpfen und Hebeln, sogar Fußpedalen bestand. Die Anzeigen auf dem kleinen Bildschirm waren längst ausgefallen.

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Illustration: Dirk Schulz

»Einige Kabel sind durchgeschmort, aber die Ayees sind sehr schlau, man kann auf manuell umstellen und darf dann diese ganzen Sachen benutzen – ich weiß nur nicht, welches wohin gehört.« Duke lachte rau. Er schien trotz des Unwetters und der Gefahr Vergnügen dabei zu empfinden. »Tenga, wie lange brauchst du noch? Wir verlieren zusehends an Höhe, und ich denke, uns bleibt keine Minute mehr!«

»Ich bin ja dabei! Bist du ernsthaft der Ansicht, mir den Nerv zu töten, würde die Reparatur beschleunigen?«, kam es zurück.

»Ich will nur wissen, ab wann ich mich auf den Tod vorbereiten muss.«

»Ich brauche noch etwa zwanzig Sekunden, bin fast durch. Das ist eine zähe, schleimige, widerliche Masse. Das Tier muss dünn, aber an die fünf Meter lang gewesen sein.«

In diesem Moment erstarben selbst die extrem verlangsamten Umdrehungen des Propellers.

 

*

 

Innerhalb der Gondel herrschte für einen Moment Stille.

Die beiden Ayees auf dem Promenadendeck erstarrten.

Phylax erwachte aus seinem Nickerchen und hob den Kopf.

»Zemina, Helm schließen!«, forderte Tan sie auf, während sie selbst schon dabei war.

 

*

 

»Tenga!«, brüllte Duke.

»Bin durch!«, kam es nicht minder laut zurück. »Wirf ihn wieder an!«

»Sofort weg da!«

»Warum? Ich wollte es mir erst noch ein wenig gemütlich machen, bevor es rundgeht!«

Rhodan sah den winzigen Lichtpunkt auf sich zukommen.

Duke betätigte Hebel und Knöpfe, hämmerte wütend und fluchend auf der Konsole. »Friss dich bloß nicht fest, du Mistding! Spring wieder an, sofort!«

»Duke, ich bring Tenga rein!«, rief Rhodan und folgte der SCHOTE, die soeben an ihm vorübersauste.

Der Ingenieur antwortete mit Flüchen und weiteren Tritten und Hieben. Das Schiff verlor nun deutlich an Höhe.

Dann, endlich, ein Stöhnen, Ächzen, Knirschen. Ein zaghaftes Anrucken. Stillstand. Erneutes Rucken.

Dröhnend sprang der Propeller an. Duke machte, dass er wegkam, Rhodan stand noch an der Luke, als Duke mit aktiviertem Antigrav heranraste und mit nur geringer Verringerung des Tempos kopfunter den engen Schacht hinunterflog. Rhodan kletterte augenblicklich hinterher, zog den Lukendeckel zu und drehte das Rad, bis die Verriegelung hörbar einrastete.

 

*

 

Der Sturm ließ in seiner Intensität nicht nach. Die KYNAYASH, nun wieder voll steuerbar, wurde weiterhin durchgeschüttelt, während sie sich hindurchkämpfte. Die stöhnenden und ächzenden Geräusche wurden immer beängstigender.

Aber der Kapitän versicherte Rhodan, es gäbe keinen anderen Weg, er wäre nach wie vor auf Kurs und steuere direkt hindurch. Irgendwann wäre selbst dieser Sturm vorüber. Er bedankte sich dabei vor allem für die Rettung seiner Leute und die Reparatur des Propellers.

»Wie oft habt ihr schon ein solches Unwetter erlebt?«, erkundigte sich Rhodan.

»Zwei- oder dreimal, aber keines davon hat so lange gedauert«, antwortete Eshmaan.

Nach wie vor konnten sie sich nur schreiend verständigen, die Lage hatte sich nicht verbessert. Selbst einige der wirklich hartgesottenen Ayees standen inzwischen kurz vor dem Zusammenbruch.

»Es muss einer jener Superstürme sein, von denen schon andere Luftfahrer berichteten – es gibt jede Menge Geschichten von Geisterschiffen, die dabei verloren gingen und seither immer wieder am Rand solcher Unwetter gesichtet werden – oder sogar vorher, als düstere Vorboten eines nahenden Unglücks.«

»Haben wir genug Energie für den Antrieb?«

»Für einige Stunden, ja. Zu Beginn des Windaufkommens haben wir mit den Windrädern die Speicher laden können. Aber wir müssen, wenn wir das überstanden haben, ohnehin ankern und die Schäden begutachten. Nicht, dass uns das Luftschiff kurz vor der Ankunft auseinanderfällt.«

»Das wird schon«, zeigte Rhodan sich zuversichtlich. »Ich bin sicher, wir haben das Ende bald erreicht.«

 

*

 

Der Kapitän steuerte verschiedene Flughöhen an auf der Suche nach einer, in der die Auswirkungen nicht so heftig waren, doch das brachte nicht viel. Zu hoch konnte er nicht steigen, damit sich das Traggas nicht zu sehr ausdehnte. Zu niedrig durfte er nicht wegen der schwerfälligen Manövrierfähigkeit gehen.

Also suchte er nach einem Kompromiss dazwischen und konnte nur hoffen, dass diese Herausforderung bald beendet war.

Rhodan kehrte zu den anderen aufs Deck zurück und blickte besorgt zu der Glaskuppel. Die KYNAYASH durchflog gerade eine Zone mit Hagelkörnern, die groß wie Kinderfäuste waren. Trommelnd schlugen sie gegen die Scheiben, und er erwartete jeden Moment einen Riss, der sich rasch verästeln würde.

Die KYNAYASH stieg höher, in der Hoffnung, dass der Hagel lokal auf eine gewisse Höhe begrenzt war. Kurz darauf ließ er tatsächlich nach, und für etwa zwei Minuten durchflog das Luftschiff ein »stilles« Gebiet.

Weiterhin umgeben von schwarzen Wolken, hörte zumindest der Regen schlagartig auf, und auch der Wind brauste nicht mehr in voller Stärke. Ab und zu zuckten in der Ferne Blitze, aber der Donner war zu weit weg.

Niemand traute dem Frieden, auch die Ayees rieben die Flügelspitzen aufgeregt aneinander.

»Es ist ein Tornado, stimmt's?«, flüsterte Duke schließlich.

Tersteegen nickte. »Das befürchte ich auch.«

Ein verheerender Wirbelsturm, dessen Schlauchende übers Land zog, und sie befanden sich möglicherweise soeben in seinem Auge.

Der Kapitän ließ das Schiff weiter an Höhe gewinnen, um nur den oberen Rand des Trichters zu streifen und nicht in den gewaltigen Sog zu gelangen. Alarm gellte durch das Schiff, der Druck stieg dramatisch.

»Das ist bizarr«, bemerkte Solemani. »Da reist man durchs Weltall, sieht phantastische Sternennebel und sternenlose Leere, sterbende Sonnen und Mehrfachsysteme, Dunkelwelten und Asteroidenhaufen, und hat so etwas total Irdisches noch nie gesehen.«

»Ja, es ist ... faszinierend«, stimmte Tersteegen zu.