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Nr. 3019

 

Das Rätsel von Pesha

 

Durch das Land der Ayees – sie kommen ins Reich der Sprungtürme

 

Uwe Anton

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Die Kupferkarawane

2. Von Shabaydaa nach Pesha

3. Die Inselburg

4. Diamanten des Verderbens

5. Alte Täuscherhand

6. Am stillen Nuuy

7. In fernen Regionen

8. Im dunklen Tann der Wisperkelche

9. Und Friede auf Iya

10. Die Waldläufer

11. Der Spion von der THORA

12. In Pesha

13. Die Pyramide der Shoijona

Leserkontaktseite

Glossar

Risszeichnung Tengas Miniaturgleiter SCHOTE

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Mehr als 3000 Jahre in der Zukunft: Längst verstehen sich die Menschen als Terraner, die ihre Erde und das Sonnensystem hinter sich gelassen haben. In der Unendlichkeit des Alls treffen sie auf Außerirdische aller Art. Ihre Nachkommen haben Tausende von Welten besiedelt, zahlreiche Raumschiffe fliegen bis zu den entlegensten Sternen.

Perry Rhodan ist der Mensch, der von Anfang an mit den Erdbewohnern ins All vorgestoßen ist. Nun steht er vor seiner vielleicht größten Herausforderung: Die Rückkehr von seiner letzten Mission hat ihn rund 500 Jahre weiter in der Zeit katapultiert. Eine Datensintflut hat fast alle historischen Dokumente entwertet, sodass nur noch die Speicher der RAS TSCHUBAI gesichertes Wissen enthalten.

Was sich seitdem ereignet hat, ist Perry Rhodan bisher nahezu unbekannt, da es zu fast allem mehrere unterschiedliche Aussagen und Quellen gibt. Nun ist er im Solsystem angekommen, in dem die Erde durch einen sehr ähnlichen Planeten ausgetauscht wurde mit einer eigenen Bevölkerung, den fünfäugigen Ayees. Bei ihnen erwartet ihn DAS RÄTSEL VON PESHA ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Terraner bereist eine Welt, die ihm vertraut und unbekannt ist.

Phylax – Der Okrill beweist ein feines Gespür.

Zemina Paath – Die Thesan fühlt sich unsicher.

Dunyuu und Shashay – Die beiden Ayees begeben sich in die Hauptstadt.

Paiahudse Spepher – Der Cairaner hat das wichtigste Amt des gesamten Sonnensystems inne.

1.

Die Kupferkarawane

 

»Und ist es wirklich wahr, Perry, dass wir in dieses Ding steigen sollen und du ihm unser aller Leben anvertrauen willst?«

»Ja.«

»Perry, ich hasse diese Vorstellung zutiefst. Wenn wir dieses Ungetüm betreten, werden wir in der Dschehenna schmoren, wo der Teufel wohnt.«

So sprach Osmund Solemani, mein Xenotechnik-Analyst. Ich warf ihm einen befremdeten Blick zu. Eigentlich war er ein ruhiger Typ, der nur wenig sagte. Normalerweise schien er seinen täglichen Kommunikationsbedarf damit zu stillen, den Selbstgesprächen des Siganesen Sholotow Affatenga zu lauschen.

Dieser Gefühlsausbruch und vor allem diese blumige Ausdrucksweise entsprachen ihm eigentlich gar nicht. Aber wir alle standen unter gehörigem Druck, mussten verkraften, dass wir uns auf einer Welt des Solsystems befanden, die eigentlich nicht die Erde war, vielleicht aber doch.

Ich gäbe meinen rechten Arm dafür, in dieser Hinsicht endlich Klarheit zu bekommen.

Das Ungetüm, dem das Misstrauen des leicht korpulenten Oberleutnants galt, war in der Tat ein wahres Monstrum. Seine Ausmaße vermochte ich nicht einmal annähernd abzuschätzen. Es zog sich Hunderte von Metern dahin, kupfergolden in der Sonne schimmernd: ein Wurm, so hell, dass sich die Strahlen des fernen Gestirns darauf zu spiegeln schienen. Ich musste die Augen zusammenkneifen, sonst hätte ich heftig geblinzelt.

Die Kupferkarawane, so nannten die Ayees dieses Monstrum aus gutem Grund. Es war ein Zug, ein wahres Ungeheuer von Eisenbahn, dessen Gleise eine Spurweite von mindestens einem Meter und achtzig hatten.

Die Schienen erstreckten sich schnurgerade durch die Ebene vor uns, so weit das bloße Auge sehen konnte. Die dünne Besiedlung der Welt Iya ermöglichte eine Streckenführung mit langen, weiten Kurven. Die Biegungen, die die Gleise vollzogen, waren zumindest in dieser Gegend so schwach, dass sie ohne technische Hilfe kaum zu erkennen waren. Wir hätten Messungen mit den Instrumenten unserer SERUNS SR TT vornehmen müssen, die wir unter den übergeworfenen Kapuzenkaftanen trugen, um die Gradzahl der Krümmung genau bestimmen zu können.

Es waren zwar keine bruchanfälligen Schienen aus Gusseisen, die die Ayees verlegt hatten, aber es kam mir sehr optimistisch gedacht vor, dass der legierte Schienenstahl, den sie gegossen hatten, das Gewicht der Kupferkarawane tragen konnte, ohne sich zu verziehen.

Und doch war es so.

Allein die Lokomotive hatte eine Länge von fast fünfzig Metern. Sie mutete an wie ein formschönes, windschnittiges, vorne sanft abgerundetes Gebilde, das dem Fahrtwind so wenig Widerstand wie möglich bieten und ihn um den Zug lenken wollte, war es eigentlich aber nicht.

Die dünnen Kupferplatten, mit denen sie durchgehend beschlagen war, waren zwar gebogen, um die Stromlinienform zu unterstützen, aber überaus ungenau verarbeitet. Dabei geriet die Technik der Ayees wohl an ihre Grenzen. Die Ränder waren viel zu unregelmäßig, um fugenlos aneinander zu passen, die Oberfläche viel zu rau, um den Windfluss grundlegend positiv zu beeinflussen. Schmale schießschartenartige Fenster, die überall in den Wänden der Waggons zu sehen waren, trugen dazu bei, kleine behindernde Luftwirbel zu erzeugen.

Die Lok mutete an wie die Vorstellung eines hochmodernen Fahrzeugs, allerdings die einer tiefen Vergangenheit. Ihre Stromlinienform wirkte antiquiert, so, wie sich Konstrukteure diese Eigenschaft vorgestellt hatten, als sie nicht ausreichend erforscht gewesen war. Sie lief elektrisch über eine Stromversorgungsschiene, verfügte aber auch über eine Art Notstromaggregat, wie Shashay mir erzählt hatte.

Die Waggons selbst waren ... seltsam.

Auf den ersten Blick fiel mir auf, dass sie keine einheitliche Länge hatten. Manche waren fünfundzwanzig Meter lang, andere nur fünf. Dazwischen sah ich alle möglichen Abstufungen, es schien keine genormten Größen zu geben. Aber alle waren ebenfalls mit Kupferplatten beschlagen, sodass sich das Bild des golden in der Sonne schimmernden Wurms geradezu aufdrängte.

Auf dem mindestens fünfhundert Meter langen Bahnsteig herrschte Gedränge, aber ein eher vornehmes. Die Ayees lebten lieber für sich, im eigenen Kreis der Familie, hielten größtmöglichen Abstand voneinander. Das war auf diesem Bahnhof, der am äußersten Rand von Shabaydaa lag, nicht einfach, aber möglich. Die Bahnsteige waren extrem lang, so lang, dass die Ayees sich nicht eng aneinander drängeln mussten. Zur eigentlichen Ansiedlung war die Bebauung dünn, während auf der anderen Seite der Gleise praktisch das Nichts lag.

Dennoch hielten die Ayees sich voneinander so fern wie möglich. Mit dieser Eigenart von ihnen war ich mittlerweile vertraut. Sogar in öffentlichen Gaststätten saßen sie – nicht nur, aber gerne – in Separees, in denen die Familien oder Freunde unter sich bleiben konnten. Die meisten versuchten, sich zumindest mit den von ihnen geliebten Kapuzen zusätzlich von den anderen abzusondern.

Ich sah sogar mehrere kleine Gruppen, die sich mit Gemeinschaftskapuzen bedeckt hatten. Unter ihnen konnten sich die Reisenden, wahrscheinlich Familien, frei bewegen, solange sie eine gemeinsame Richtung einschlugen. Diese Ayees wurden von den anderen respektiert und nicht gestört, nicht einmal angesprochen. Andere Ayees hielten durchgehend den gewünschten Abstand.

In dieser Hinsicht war die durchschnittlich 1,80 Meter große, eher zierlich gebaute und vage humanoide Spezies sehr rücksichtsvoll, wohl einfühlsamer, als es die meisten Lemurerabkömmlinge gewesen wären.

Eine kleine Gruppe allerdings schien sich nicht an die unausgesprochenen Gesetze zu halten. Diese Ayees schlenderten seltsam ziellos umher, von einem Bahnsteig zum anderen, von einem Abschnitt zum nächsten. Sie bemühten sich, unauffällig zu wirken, was ihnen nicht so recht gelang. Manche der anderen Reisenden betrachteten sie misstrauisch, verscheuchten sie sogar. Nach ein paar Minuten trennte diese Gruppe sich; die fünf, sechs Ayees zogen allein weiter.

Zwei näherten sich unserem Abschnitt des Bahnsteigs.

Er war ungefähr alle fünfundzwanzig Meter mit hellen mechanischen Positionszeichen versehen, die den Gleisabschnitt genau bezifferten und obendrein die Nummer des Waggons angaben, der an dieser Stelle hielt. Auf diese Weise wusste jeder Ayee genau, wohin er sich begeben musste, um den gebuchten Waggon zu betreten. Und der Steg war breit genug, um sich nicht aneinanderdrängen zu müssen.

Davon profitierte unsere kleine Gruppe ebenfalls. Die Ayees hielten einen gewissen Abstand von uns, manche warfen uns neugierige Blicke zu.

Ich konnte es ihnen nicht verdenken. Wir versuchten zwar, uns so unauffällig wie möglich zu verhalten, doch es gelang uns mitunter nur unzureichend.

Shashay, einer unserer beiden Begleiter, beobachtete mit vier zusammengekniffenen Augen jeden Schritt eines dieser Ayees, der sich uns betont unauffällig näherte. Shashay wirkte misstrauisch und besorgt, und das beunruhigte mich.

Die meisten Ayees in unserer Nähe musterten verstohlen Phylax, den Okrill der Oxtornerin Siad Tan, der ganz brav vor unserem Waggon saß, ausgiebig gähnte und offenbar wieder einmal kurz vor dem Einschlafen stand. Wir hatten ihn mit drei zusätzlichen Augen getarnt und führten ihn wie ein exotisches, zahmes Haustier an der Leine, um nicht aufzufallen. Aber der Okrill war von seinem Aussehen her so ungewöhnlich auf Iya, dass er unwillkürlich Beachtung erfahren musste. Andererseits ließ er sich leicht als exotisches Tier aus einem der großen, beinahe unbekannten Landstriche deklarieren.

Jedenfalls erregte er Aufmerksamkeit, wobei die Zurückhaltung der Ayees verhinderte, dass uns unliebsame Fragen gestellt wurden.

Taschendiebe sind hier wohl kein Thema, dachte ich, aber einiges an dem Ayee, den Shashay so intensiv beobachtete, deutete darauf hin, dass es sich um einen Vertreter dieser Zunft handelte. Er schaute immer wieder zu Phylax hinüber, betrachtete ihn verwundert und schien sich ihm nähern zu wollen. Doch anscheinend traute er dem Braten nicht und wagte sich nicht an ihn heran.

Will er den Okrill etwa streicheln?

Phylax' Leine hielt Zemina Paath, die – wie wir alle – getarnt war. Siad, das eigentliche Frauchen des Okrills, wies als Oxtornerin eine Schulterbreite auf, die das Anlegen der Ayee-Maske unmöglich machte. Daher begleitete sie uns im Schutz ihres Deflektors – wir konnten sie mithilfe von Antiflex-Linsen sehen, die in unsere Fazialmasken integriert waren – und versuchte, jeder Berührung auszuweichen. Dabei war die Zurückhaltung der Ayees an der Kupferkarawanen-Station durchaus hilfreich.

Das funktionierte sehr gut, weil der sowieso recht träge Okrill sich Zemina Paath gegenüber ungewohnt zutraulich verhielt und einwandfrei benahm.

»Vorsicht!« Shashay zeigte unauffällig auf den Ayee, der von dem Okrill fasziniert zu sein schien. »Das ist ein Taschendieb. Er und die anderen arbeiten zusammen.«

Also doch! Diese unangenehme Zunft gab es also durchaus in den Ballungsgebieten von Iya. Sie stellten sich nicht besonders geschickt an, doch auf diesem Bahnhof gab es bestimmt viele Reisende, die fremd in einem Zentrum wie Shabaydaa waren, sich in der großen Stadt nicht auskannten. Landeier sozusagen, die eine leichte Beute für organisierte Kleinkriminalität waren.

Wie nannten die Ayees diese Gesetzlosen noch gleich? Ungebundene. Eine treffende Bezeichnung. Sie wurden nicht durch Familien- oder Gruppenbande im Zaum gehalten, gaben nur sich selbst Halt.

Taschendiebe. Ich musste grinsen. Wir hatten eine Tasche dabei, sogar eine ziemlich große.

Den Siganesen Sholotow Affatenga hatten wir ebenso wenig wie die Oxtornerin tarnen können. Daher hatten wir ihn mitsamt seines Spezialgefährts SCHOTE in ebendieser Reisetasche verborgen, die wir abwechselnd schleppten.

Problematisch geriet die Tarnung auch bei Osmund Solemani, da er ziemlich korpulent war und eine solche Körperfülle eigentlich nicht zur Figur der Ayees passte. Aber wenn er nicht wie Siad Tan, die in erster Linie Zemina Paath bewachen sollte, permanent unsichtbar herumlaufen wollte, was schnell zu weiteren Schwierigkeiten hätte führen können, musste er sich dennoch tarnen, eben als auffällig korpulenter Ayee. Seine Kleidung würde das hoffentlich gut genug verbergen. Dennoch bereitete mir sein Erscheinungsbild Kopfschmerzen; er war eben nicht unauffällig.

Die Tornister, in denen sich unsere technischen Hilfsmittel befanden, hatten wir als Reiserucksäcke getarnt.

Ich aktivierte meinen Multikom und informierte vorsichtshalber Tenga über die Bedrohung. Was meinte Shashay mit Taschendieb? Hatten diese wenig gesetzestreuen Ayees es auf den Inhalt der Taschen unserer Tarnkleidung abgesehen oder auf die große Reisetasche? So oder so erwartete sie eine gewaltige Überraschung.

Aus dem Lautsprechersystem der Station plärrten unentwegt Nachrichten oder anderweitige Mitteilungen. Politische Parteien, die ich nicht kannte, machten Wahlpropaganda, ein Restaurant in der Nähe pries seine gute Küche und die reich verzierten Separees an, in denen es besser als überall sonst mundete. Ein Sprungturm warb für seinen großen Landeplatz, an dem man an zahlreichen Ständen auch kleine Erfrischungen zu sich nehmen konnte, ein Pharmazeut für seine Tinktur, die die Rückenflügel ungemein kräftigte.

Dann erklang wieder Musik, ein seltsam melodisches, trauriges Lied, das von der Einsamkeit am fernen Dschebel Kibilli erzählte, von den kalten Nächten in der Schlucht Krisch und dem Schnee, der dort vom Spätherbst bis zum Frühjahr rieselte. Und von dem Liebsten, der dort auf die Sängerin wartete ...

Ich behielt den fraglichen Ayee ebenfalls im Blick. Noch zögerten er und seine Kumpane, schienen sich nicht entschließen zu können, einen Diebstahl zu begehen. Vielleicht waren wir in ihren Augen schlichtweg zu seltsame Reisende.

Der Lärm war ohrenbetäubend und drang von mehreren Seiten auf uns ein, doch wir hatten uns mittlerweile an ihn gewöhnt. Die Ayees kannten keine Schrift, eine Besonderheit, die jegliche Nachforschungen ungemein kompliziert werden ließ. Ihre Aufzeichnungen waren rein akustisch angelegt. Sie hatten relativ früh, etwa hundert Jahre nach den Unsterntagen – also vor etwa vierhundert Jahren – die Klangwalzen erfunden, ein System, bei dem Töne auf einer Walze festgehalten wurden. Die Aufzeichnungen ließen sich über Lautsprecher abspielen. Auf diese Weise waren auch die Werbesprüche aufgenommen worden.

Ich schaute verstohlen auf die Uhr. Wir schrieben mittlerweile den 26. Oktober 2045 NGZ. Es hatte lange gedauert, bis die Kupferkarawane endgültig zur Ruhe gekommen war. Der Zug war zunächst auf ein Rangiergleis gefahren, wo die Passagiere, die ihn verlassen wollten, ausstiegen, was das Gedränge erst einmal reduzierte. Auf dem Bahnsteig, auf dem wir uns befanden, hielten sich nur Ayees auf, die ihre Reise antreten wollten.

Dann waren einzelne Waggons an- oder abgekoppelt worden, damit die Zusammensetzung der Kupferkarawane den Bedürfnissen der neuen Mitreisenden entsprach. Das war ein sehr umständliches Prozedere mit – für mein Empfinden – ellenlangen Wartezeiten. Die Ayees gingen es nicht bloß in dieser Hinsicht ziemlich gelassen an.

Ich hatte viele fremde Spezies kennengelernt und ziemlich schnell den Eindruck gewonnen, dass die Ayees wissbegierig, einfallsreich und mitunter sehr clever waren – genau wie die Menschen. Aber sie waren auch zurückhaltender, vorsichtiger, setzten ihre Auffassung nicht so absolut über jede andere.

Sie hatten eine klare Meinung, was die Ausbreitung ihres Volkes über den gesamten Planeten Iya betraf: Damit hatte es keine Eile. Alles mit Bedacht.

Ebenso galt dies für die Reisen, die sie unternahmen. Die Kupferkarawane war in gewisser Hinsicht ein Ausdruck von Lebensweise und Selbstverständnis der Ayees.

Ein weiterer Ayee näherte sich uns, aber er schien nicht zu der Diebesgruppe zu gehören. Mir drang der aromatische Duft von scharf angebratenem Fleisch und Gemüse in die Nase. Ein fliegender Händler schob einen Karren vor sich her, der gleichzeitig eine Art Grill war. Auf einem Rost lagen die Köstlichkeiten, die er verkaufen wollte, darunter glühten Kohlen. Hohe Bleche sorgten dafür, dass sie auch bei schnellen Drehungen des Wägelchens nicht herausfallen konnten.

Der Krämer näherte sich allerdings erst, als Shashay ihn heranwinkte, um ihm etwas abzukaufen. Danach kaute unser Führer in aller Seelenruhe auf dem kleinen Stück Grillgut, das der Händler ihm überreicht hatte. Dabei ließ er den verdächtigen Artgenossen, der mittlerweile auf zwanzig Meter herangekommen war, nicht aus den Augen.

Dann verzog Shashay zufrieden das Gesicht mit der bläulich weißen, milchigen Haut, in der die Venen deutlich hervortraten.

»Zufriedenstellend«, sagte er schmatzend und bestellte Portionen für uns alle, sogar für den Okrill. Er schien den Händler großzügig zu entlohnen, denn der bedankte sich gar nicht mehr zurückhaltend, sondern eher überschwänglich, bevor er zu möglichen Kunden am nächsten Gleisabschnitt weiterzog.

Shashay reichte mir einen dünnen, an den Rändern nach oben gebogenen Fladen, in dem sich gegrilltes Fleisch und Gemüse befand. Ich verspürte tatsächlich einen beträchtlichen Hunger und nahm ihn dankbar entgegen. Wir hatten die Lebensmittel, die auf diesem Planeten gereicht wurden, immer wieder verstohlen analysiert. Sie waren für uns gut verträglich. Und schmeckten zumindest gegrillt verdammt gut, wie ich nun feststellte.

Genau diesen Augenblick der allgemeinen Ablenkung nutzten die Diebe, um zuzuschlagen. Während wir unser Essen betrachteten oder herzhaft hineinbissen, lief einer der Diebe plötzlich los, rempelte Osmund Solemani an, der Tengas Tasche trug, sie aber neben sich abgestellt hatte, und riss sie an sich. Mit beiden Händen fasste er sie am Griff – und stöhnte überrascht auf, weil sie so schwer war, dass er sie nicht halten konnte.

Tenga hatte den Antigrav seiner SCHOTE ausgeschaltet.

Die Tasche war an einer Seite nicht ganz verschlossen. Der Verschluss klaffte gerade so weit auf, dass der Siganese eines der beiden experimentellen Desorientierungsmedien einsetzen konnte, die in seinen SERUN integriert waren. Er entschied sich für den Blender, der genau das tat, was sein Name besagte: Er blendete aber nicht nur die Augen, sondern überlastete auch bis zu einem gewissen Grad automatisch abdunkelnde Schutzschirme, sodass der Geblendete kurzzeitig nichts sehen konnte. Zu dauerhaften Erblindungen kam es dabei nicht, zumindest nicht beim menschlichen Auge.

Die Überlastungsfunktion war in diesem Fall überflüssig, weil die Ayees keine Schutzschirme kannten.

Der Blender erfüllte seinen Zweck einwandfrei. Der Taschendieb – und das war er im buchstäblichen Sinn des Wortes! – ließ die Reisetasche los, schrie auf und schlug die Hände vors Gesicht.

Einen Augenblick stand er benommen da, dann begriff er, dass er auf frischer Tat ertappt worden war. Obwohl er kaum etwas sehen konnte, wankte er los, die Arme weit ausgestreckt, den Mund zu einem stummen Schrei aufgerissen. Ein anderer aus der Gruppe lief zu ihm, packte ihn und zerrte ihn mit sich.

»Willst du ihn entkommen lassen?«, fragte Shashay.

»Ja. Wir wollen schließlich keine Aufmerksamkeit erregen. Die Diebe haben uns genug Ärger eingebrockt. Wenn jetzt auch noch offizielle Stellen ermitteln, verpassen wir wahrscheinlich die Kupferkarawane und müssen so einiges erklären, was wir nicht problemlos erklären können.«

Shashay sah der Gruppe von Dieben hinterher, die den Bahnhof Hals über Kopf verließen, froh, noch einmal davongekommen zu sein. Er akzeptierte meine Entscheidung, war erleichtert, dass die Reise wie geplant stattfinden konnte.