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Inhalt

 

SATANS FLUCH

TOTE VÖGEL

MÖRDERSCHACH

DIE VERLORENEN SCHUHE

DAS BILDNIS DER DORIA HAMILTON

DRACHEN ÜBER CHELSEA

DER MYSTERIÖSE TOD EINES POLITIKERS

DAS KALTE HERZ

UNTOT

EINE SYMPHONIE DES TODES

 

SHERLOCK HOLMES

Die neuen Fälle

Herausgeber:

ROMANTRUHE-Buchversand

Cover: Rainer Engel

Satz und Konvertierung:

DigitalART, Bergheim.

© 2018 Romantruhe.

Alle Rechte vorbehalten.

Die Personen und Begebenheiten der

Romanhandlung sind frei erfunden;

Ähnlichkeiten mit lebenden oder

verstorbenen Personen sowie mit tatsächlichen

Ereignissen sind unbeabsichtigt.

Abdruck, auch auszugsweise,

Vervielfältigung und Reproduktion sowie

Speichern auf digitalen Medien zum

Zwecke der Veräußerung sind untersagt.

Internet: www.romantruhe.de

 Kontakt: info@romantruhe.de

Produced in Germany.

Sherlock Holmes ist auch als

Print-Ausgabe erhältlich!

SATANS FLUCH

Box 1 – Fall 1

Sherlock Holmes blickte nachdenklich auf die Tür.

Wir hörten die leicht schleppenden Schritte von Graham North auf der Treppe. Dann dumpf – durch das Prasseln des Regens, der wie Gewehrfeuer gegen unsere Fensterscheiben schlug – das Klappen der Haustür.

Ich schluckte und musste mir eingestehen, dass mir ein unangenehmer Schauer über den Rücken gekrochen war, als unser später Besucher seine Geschichte erzählte.

Sherlock Holmes räusperte sich, stopfte aus dem persischen Pantoffel seine Pfeife neu und sah dann durch den bläulichen Rauchschwaden hindurch mich an.

»Was halten Sie davon, Watson?«, wollte er im leisen Ton wissen.

In diesem Moment rüttelte der Novembersturm mächtig an unseren Fenstern und ich stand auf, um die schweren Vorhänge zu schließen. Das milderte das Getöse etwas. Ich zog die Schultern hoch und stellte fest, dass unser Kaminfeuer mir jetzt besondere Geborgenheit vermittelte.

»Eine sehr … ungewöhnliche Geschichte«, murmelte ich und angelte nach meiner Zigarrentasche.

Holmes nickte und hatte die Hände vor der Brust erhoben, die schmalen, langen Künstlerfinger flach aneinander gepresst. »Satan selbst zieht das Seil der Totenglocke von St. Andrews in Greenshore und dann ist der Pfarrer spurlos verschwunden.«

»Vielleicht war Bürgermeister Graham North betrunken«, warf ich ein, um aber sogleich innerlich zu revidieren, dass er keineswegs den Eindruck eines Trinkers machte.

Holmes erhob sich und machte ein paar Schritte durch das unaufgeräumte Zimmer. Dabei musste er einigen Stapeln alter Zeitungen ausweichen, die er achtlos einfach auf dem abgetretenen Teppich deponiert hatte. Er blieb vor seinem Experimentiertisch stehen, wandte sich um und ging zum Kamin. Mit dem Rücken lehnte er sich gegen den Sims.

»Erinnern Sie sich an die Geschichte des Höllenhundes von Baskerville. Zuerst glaubte auch jeder an ein übernatürliches Wesen. Jetzt der Herr der Hölle persönlich, der einen Pfarrer holt …«

Mein Freund kicherte leise. »Die Menschen glauben, was sie glauben wollen. Da macht unser lieber Herr Bürgermeister keine Ausnahme.«

Ich hatte mir eine Zigarre angezündet und merkte an: »Also alles real erklärbar?«

Holmes setzte sich wieder in seinen Sessel mir gegenüber. Zwischen uns stand der kleine Barocktisch mit dem kostbaren Schachspiel, das Holmes vor einem Jahr vom König von Böhmen zum Geschenk gemacht worden war.

»Es ist kurz vor Mitternacht – vor vier Tagen. Nebel wabert um den Hügel der Kirche und den alten Friedhof. Mr. North kommt von einem späten Besuch bei seinem Schwager und trifft vor der Kirche Reverend James McColm. Der ist seit sieben Jahren Gemeindepfarrer in St. Andrews. Sie unterhalten sich über die kommende Firmung des Neffen von Mr. North, verabschieden sich und der Pfarrer marschiert über den schmalen Pfad zum Friedhof. Er nutzt diesen als Abkürzung zum Pfarrhaus. Er verschwindet im Nebel. Wenig später läutet die Totenglocke und Mr. North sieht Satan im Glockenturm das Seil schwingen. Seitdem ist der Pfarrer weg. Das sind die Fakten.«

»Richtig«, bemerkte ich nickend. »Und im Glockenturm an der Südmauer steht in den Mörtel geritzt: Mein ist die Rache

Wieder ließ der Sturm die Regentropfen gegen die Fensterscheiben knallen, als wollte das Wetter die unheimliche Geschichte noch unterstreichen.

Sherlock Holmes zog mächtig an seiner Pfeife und brummte durch den Rauch: »Ich denke, jemand hat sich da ein sehr böses Spiel ausgedacht.«

»Weshalb haben Sie Mr. North gesagt, Sie hätten momentan keine Zeit, nach Greenshore zu fahren, Holmes?«

Erneut kicherte er. »Ich benötige noch einen Tag Zeit, um ein paar Erkundigungen einzuziehen.«

 

*

 

Schnaufend lief der Zug in dem kleinen Landbahnhof ein.

»Greenshore! Greenshore – vier Minuten Aufenthalt«, dröhnte die Stimme des Schaffners über den Bahnsteig.

»Na denn Watson, mag das Spiel beginnen.« Holmes ergriff seine Tasche und schwang sich aus dem Abteil. Ich folgte eilends.

Zwei Tage waren seit dem Besuch des Bürgermeisters in der Baker Street vergangen. Sherlock Holmes hatte mehrfach mit unbekanntem Ziel – jedenfalls für mich – das Haus verlassen. Auf meine diesbezüglichen Fragen hatte er lediglich ausweichend geantwortet.

»Seien Sie versichert, lieber Watson – wir haben es mit einem gefährlichen Fall zu tun.«

Mehr hatte ich ihm nicht entlocken können. Stattdessen hatte er einen ganzen Nachmittag hindurch die Chronik des Örtchens Greenshore studiert.

Der Bahnhof lag etwas auserhalb vom Ort. Wir konnten die ersten Häuser vom Bahnsteig aus sehen. Die Zuglinie verlief hier in einer steilen Kehre einen felsigen Hang entlang. Greenshore selbst lag wohl hundert Meter unter uns. Eingefasst einerseits von einer schroffen Hügelkette, auf der anderen Seite von einem dichten Mischwald. Die Sonne schien an diesem Tag, wenn es auch bitterkalt war.

Alles wirkte idyllisch. Wäre da nicht das eigenartige Vorkommnis mit Reverend James McColm gewesen.

»Über einen Mittelsmann habe ich dafür gesorgt, dass wir eine Unterkunft haben werden. Ich möchte unerkannt ermitteln können«, erklärte Holmes, als wir uns zu Fuß auf den Weg machten.

Ich lachte leise auf. »Das wird wohl kaum möglich sein in diesem winzigen Ort.«

Mein Freund wiegte den Kopf. Dabei deutete er nach rechts. »Dort auf dem kahlen Hügel liegt die Kirche. Etwas abseits von den Häusern. Dahinten sehen Sie das Pfarrhaus. Niemand wird uns sehen, wenn wir dort hingehen.«

Nun zeigte ich mich wirklich verblüfft. »Wir wohnen im Pfarrhaus?«

Holmes nickte. »Die Haushälterin – Mrs. Crew – wurde von Inspektor Barker zu strengstem Stillschweigen verpflichtet.«

»Wer ist Inspektor Barker?«, wollte ich wissen.

»Der zuständige Ermittler für diese Grafschaft. Ein Freund von Lestrade. Mrs. Crew ist seine Tante.«

Wir hatten eine Abzweigung von der Straße genommen und liefen nun einen schmalen Pfad entlang. Er führte durch ein Waldstück und nach gut zwanzig Minuten hatten wir das Pfarrhaus erreicht.

Mrs. Crew – eine gemütliche, leicht korpulente Endfünfzigerin – begrüßte uns freundlich und führte uns in das behagliche Gästezimmer. Danach bat die Haushälterin uns zum Abendessen.

Wir saßen in der sehr gemütlichen Wohnküche. Von hier aus konnte man die Kirche und den alten Friedhof gut einsehen. Ebenso den Weg zum Ort.

»Ist das nicht alles schrecklich?«, seufzte Mrs. Crew und man sah ihr die Erschütterung an.

»Am Tag, als Ihr Pfarrer verschwand … hatte er sich da in irgendeiner Weise anders benommen als sonst?«, wollte Holmes wissen.

Die Haushälterin hob die Hände. »Er machte mir den Eindruck, als lebe er bereits seit einigen Tagen in Angst. Aber er hat nie etwas verlauten lassen.«

»Bekam er Besuch?«

Mrs. Crew schüttelte den Kopf. »Niemals. Er traf sich nur einmal in der Woche mit unserem Bürgermeister und dem Lehrer Bernstein zum Kartenspiel im Gasthof Forester

»Post?«, setzte mein Freund nach.

Das konnte Mrs. Crew bestätigen. »Vor sechs Tagen kam ein Brief aus London. Seitdem schien mir der Reverend etwas nervös zu sein.«

Mein Freund lächelte zufrieden. Doch rasch nahm sein Gesicht wieder ernste Züge an, als er wissen wollte: »Ist Reverend James McColm bei der Gemeinde sehr beliebt gewesen?«

»Sehr!«, bekräftigte die Haushälterin. »Er hatte für jeden ein offenes Ohr und auch Rat.«

»Sie können sich nicht vorstellen, was geschehen ist?«

Mrs. Crew schüttelte den Kopf und flüsterte: »Es ist alles sehr mysteriös. Unser Bürgermeister will den Satan persönlich gesehen haben.«

Holmes stopfte andächtig seine Pfeife und schaute dabei aus dem Fenster. Es dunkelte bereits und es hatte den Anschein, als ob es bald Regnen würde.

»Glauben Sie das?«, warf ich ein.

Die Haushälterin schluckte und meinte dann energisch: »Es ist bei Reverend McColm nicht denkbar!«

Zehn Minuten nach diesem Gespräch standen wir vor dem Ehrfurcht gebietenden Portal von St. Andrews.

»Eine der wenigen Kirchen, die Cromwell nicht abbrennen ließ«, merkte mein Freund an.

Ein scharfer Wind zog über den Hügel und die ersten Regentropfen fielen. Dumpf rollte Donner heran.

Unbeeindruckt davon betrachtete Sherlock Holmes das gotisch wirkende Portal. Eine schwere, mit Eisen beschlagene Doppeltür. Wohl an die vier Meter hoch. Zwei gewaltige Ringe dienten als Handgriffe. In der Spitze des steinernen Portalrahmens befand sich gleichfalls ein Eisenring eingemauert.

»Dort hängte man Ketzer an, um sie abzustrafen«, erklärte Holmes aufgrund meines fragenden Blickes. »Allerdings ist das laut Chronik im gesamten Bestehen der Gemeinde nur zweimal vorgekommen.«

Holmes drehte an einem der Torgriffe und knarrend ließ sich der rechte Torflügel öffnen. Der schwere Geruch von Weihrauch wehte uns entgegen. Auf dem Altar brannten zwei Kerzen. Mrs. Crew hatte sie angezündet.

»Ich mache das jeden Tag. Seitdem ich hier Haushälterin bin«, hatte sie uns erklärt, bevor wir losgingen.

Ich schaute mich um. Ein Gewölbe wie in einem Dom empfing uns. An der Decke des Hauptschiffes erkannte man kostbare Malereien.

»Wer versorgt die Gemeinde seelsorgerisch im Moment?«, wollte ich wissen. Meine Stimme klang hohl und echohaft.

»Der Pfarrer der Nachbargemeinde«, kam es von Holmes zurück, der sich vor dem Altar aufhielt.

Während mein Freund in der Kirche eine eingehend kriminalistische Untersuchung vornahm, inspizierte ich die Wandgemälde. Sie zeigten den Leidensweg Christi.

Da stutzte ich. »Holmes!«, rief ich durch die Kirche und meine Stimme schien hundertfach zurückgeworfen zu werden.

Wenig später stand mein Freund neben mir. »Interessant, nicht wahr?«, meinte er und trat näher an das Bild. Es zeigte die Szene der Kreuzabnahme. Doch das war es nicht, was mich so erschauern ließ. Im Hintergrund, vor einem bedrohlich wirkenden Himmel, stand einwandfrei eine Gestalt.

Satan!

Holmes zündete seine Pfeife neu an. »Ich denke, das Bild rundet sich.«

»Herrgott!«, entfuhr es mir. »Sie sprechen in Rätseln!«

Mein Freund kicherte vor sich hin. »Wir lösen gerade eines. Kombiniere, Watson. Nicht nur sehen, auch zusammenfügen.«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich kann Ihnen nicht folgen«, bemerkte ich unwirsch.

Holmes stieß die Luft aus. »Dann kommen Sie mal mit!«

Er eilte auf eine schmale Tür zu, hinter der eine steile, schmale Treppe begann. Sie führte in den Glockenturm. Auf dem Podest unterhalb der Glocken blieb er stehen und betrachtete die Glockenseile. Er zeigte senkrecht nach oben. »Das dort ist die Totenglocke.«

»Die Satan in der Nacht geläutet hat«, brummte ich.

Holmes zeigte auf das Holzpodest. »Ich denke nicht, dass Satan in dem Staub solche menschlichen Fußspuren hinterlassen hätte. Ich vermisse den Pferdefuß.«

Was sollte ich dazu sagen? Einigermaßen frisch zeigten sich die Abdrücke von derben Stiefeln. Daneben einige andere Fußspuren.

»Diese hier stammen von den Trampeltieren der Polizei«, gab Holmes sarkastisch von sich. »Die lernen das nie!«

Er bückte sich und nahm die Stiefelspuren in Augenschein. »Diese Person stand genau senkrecht unter der Glocke. Man sieht an der leichten Verwischung, dass eine große Kraft angewendet werden musste, um die Glocke oben im Turm in Bewegung zu setzen.«

»Nun ja«, murrte ich. »Die Glocke muss aus dem Stillstand heraus erst einmal schwingen.«

»Eben!«, kam es von Holmes. »Die Person muss also stark gewesen sein. Chorknaben hängen immer zu dritt oder zu viert an einem Strang. Oftmals mit einer erwachsenen Person zusätzlich.« Holmes hatte sich während des Sprechens wieder aufgerichtet und war an die steinerne Brüstung des Turmes getreten. Von hier konnte man weit ins Land schauen. Der gesamte Ort ließ sich so übersehen. Der Weg von der Kirche hinab und auch der Verlauf der Hauptstraße zeichneten sich klar ab. So sahen wir auch die Gestalt, die den Kirchenhügel hinauf strebte.

Holmes kniff leicht die Augen zusammen. »Bürgermeister Graham North«, flüsterte Holmes. »Bin gespannt, wo er hin will.«

Ich wurde nervös. »Sicher zum Pfarrhaus.«

Mein Freund lachte. »Keine Angst. Mrs. Crew hält dicht. Es … nanu? Wer kommt denn da noch?«

Eine kleinere Person trat aus dem kleinen Wäldchen und folgte dem Bürgermeister auf dem Pfad. Der Mann lief leicht gebückt, aber strammen Schrittes.

»Der Beschreibung von Mrs. Crew nach müsste das Lehrer Bernstein sein.«

Holmes nickte nach einiger Zeit. »Ich habe wohl recht. Kommen Sie Watson – wir wollen etwas zurücktreten und schauen, was die beiden vorhaben.«

Wenn ich geglaubt hatte, der Lehrer wolle den Bürgermeister einholen, so sah ich mich getäuscht.

Während Mr. North vor der Kirche zum Pfarrhaus abschwenkte, wandte sich der Lehrer direkt dem Kirchenportal zu.

»Jetzt wird’s spannend, Watson«, flüsterte Holmes und zog mich zur Treppe.

Wir hörten das Knarren des schweren Portals. Dann hallten hohl die Schritte im Kirchenschiff. Wenig später vernahmen wir das Öffnen der Seitentür zum Turm. Rasch fasste Holmes mich am Ärmel meines Mantels. Inzwischen hatte sich die Dämmerung in völlige Dunkelheit verwandelt.

Wir schlichen um das Holzpodest mit den Glockensträngen herum auf eine Mauernische zu. Hier konnte man uns nicht ausmachen, zumal kein Tageslicht mehr durch die Öffnungen des Turmes fiel.

Leicht schleppende Schritte kamen die Wendeltreppe herauf. Dann sahen wir die Gestalt. Leicht vornüber gebeugt schlurfte sie zur Sichtöffnung, von wo man das Licht des Pfarrhauses erkennen konnte. Etwa eine halbe Stunde blieb die Gestalt dort stehen. Mir stieg bereits die Eiseskälte im ganzen Körper hoch, zumal nun noch ein scharfer Wind blies und den Regen bis zu unserem Versteck presste. Da – endlich – verließ die Gestalt den Turm wieder.

Holmes trat vor und ich folgte ihm zur Steinbrüstung. Gerade noch – als Schemen – erkannten wir die Silhouette des Bürgermeisters vor dem Wäldchen. Im Abstand folgte die andere Person, die, von der Holmes glaubte, als den Lehrer identifiziert zu haben.

»Kommen Sie, Watson«, brummte mein Freund. Er warf noch einen kurzen Blick auf die Schrift und brachte seine Pfeife wieder in Gang. »Wir haben genug gesehen und uns einen heißen Tee mit Sherry verdient.«

 

*

 

Die ganze Nacht hatte ein heftiges Unwetter getobt. Das Pfarrhaus war unter den Donnerschlägen regelrecht vibriert. Am folgenden Morgen goss es immer noch wie aus Kannen.

Wir saßen an einem liebevoll von Mrs. Crew gedeckten Frühstückstisch. Holmes schmauchte gerade seine erste Pfeife. Beiläufig erkundigte er sich bei der Haushälterin des Pfarrhauses: »Ist Mr. North gestern noch hier gewesen?«

»Ja – und das ist sehr merkwürdig gewesen«, kam ihre Antwort. »Er fragte mich nach dem Bild der Grablegung aus der Kirche.«

Auf Holmes fragenden Blick fuhr sie fort: »Na ja … im rechten Seitenschiff hängt ja der Leidensweg Christi. Die Bilder reichen von der Festnahme des Herrn bis hin zur Kreuzabnahme. Ein Bild der Grablegung habe ich dort nie gesehen.«

Sherlock Holmes blickte einer gekräuselten Rauchwolke nach. »Das haben Sie Mr. North auch gesagt?«

»Natürlich!«

»Wie verhielt er sich?«

Mrs. Crew zuckte die Achseln. »Er murmelte etwas wie … Teufelswerk … oder so. Dann ging er wieder.«

Holmes nickte. »Sonst geschah nichts?«

»Nein.«

Mein Freund starrte in den Regen. Dann stand er auf und erklärte: »Ich muss noch einmal in die Kirche.«

Durch den himmlischen Wasserfall, gegen den unsere Schirme kaum etwas auszurichten vermochten, rannten wir den Weg über den Friedhof zur Kirche hinüber. Da blieb Holmes so abrupt stehen, dass ich, der ich knapp etwas hinter ihm lief, gegen seinen Rücken stieß.

»Verd …« Ich verschluckte den Fluch.

»Gräber«, murmelte mein Freund. Sinnend schaute er durch den Regenschleier über die Reihen teils sehr alter Gruften. Doch dann setzte er sich wieder in Bewegung. Bald standen wir im Kirchenschiff und waren im trockenen.

Holmes ließ seinen nassen Schirm achtlos auf den Steinboden fallen und lief zu den Bildern ins Seitenschiff hinüber. Mit Argusaugen betrachtete er die einzelnen Szenen und seine Adlernase vibrierte dabei leicht. Ich konnte mir seine Erregung nicht erklären. Allerdings wagte ich es auch nicht, durch eine Frage seine Gedankengänge zu unterbrechen. Seine Betrachtungen nahmen wohl eine Viertelstunde in Anspruch, wobei er ab und zu sogar seine Lupe zurate zog. Endlich entspannten sich seine Züge und er lächelte sogar.

»Watson«, meinte er dann fröhlich, »ich denke, wir sollten uns heute Abend einen angenehmen Besuch im Wirtshaus gönnen.«

 

*

 

Der Schankraum des Forester war rauchgeschwängert.

Stimmengewirr drang durch die Schwaden und den Tresen konnte man eher erahnen, denn sehen. Das ganze Dorf schien heute anwesend zu sein.

Wir bahnten uns einen Weg zur Theke, hinter der Mr. Wilson, ein korpulenter, großer Mann, die Regie führte. Holmes betrachtete ihn aufmerksam.

»Sie sind ja doch schon gekommen?«, vernahmen wir da den freudigen Ausruf von Mr. North, der auf uns zulief und jedem die Hände drückte. Die Freude über unsere Anwesenheit spiegelte sich in seinem Gesicht wider.

Holmes gab sich übertrieben nett. »Ich sagte Ihnen doch, dass mich der Fall interessiert. Leider war ich nicht sogleich in London abkömmlich.«

»Egal!«, rief der Bürgermeister. Er drehte sich zu dem Wirt um und rief: »Zwei Bier für Mr. Holmes und Dr. Watson!«

Als unser beider Namen fielen, zollten uns alle sogleich volle Aufmerksamkeit.

»Mr. Holmes«, rief ein junger Mann. »Denken Sie, dass Sie das Rätsel um Reverend McColm lösen können?«

Holmes stopfte seine Pfeife. »Nun«, meinte er gutmütig. »Ich bin kein Hellseher. Doch mein Kollege und ich werden unser Bestes geben.«

»Haben Sie schon eine Spur?«, wollte ein dünner rothaariger Mann hinter mir wissen.

Holmes hob abwehrend die Arme. »Es gibt interessante Aspekte in dem Fall.«

Ich wunderte mich sehr, denn normalerweise pflegte er auf solch dreiste Fragen sehr ungehalten zu reagieren oder … hochmütig gar.

Holmes spielte. Das war mir klar. Nur – weshalb?

Der Bürgermeister griff nun energisch ein. »Liebe Mitbürger! Freunde! Lasst die beiden Herrschaften in Ruhe. Ich denke, sie wollen sich einfach hier heute Abend entspannen.«

Die Meute zerstreute sich und die Einzelgespräche wurden wieder aufgenommen.

»Sie müssen die Menschen verstehen«, meinte North beschwichtigend. »Das Ereignis hat alle sehr aufgewühlt. Reverend McColm war nicht nur Seelsorger – er war auch ein Helfer in der Not.«

Holmes nahm einen Schluck Bier und fragte eher beiläufig: »In welcher Art?«

North griff gleichfalls zu seinem Glas. »Nun – am Westflügel von St. Andrews klafften seit Jahren Risse. Durch Bodenverschiebungen nehme ich an. Es gab mal eine Erzmine hier. Lange her. Keiner hat mehr Pläne. Aber vermutlich verlief ein Stollen nahe der Kirche und ist teilweise eingestürzt.« Der Bürgermeister nahm einen tiefen Schluck aus seinem Glas. »Die Gemeinde konnte die Sanierungskosten nicht aufbringen. Aber der Reverend hat es geschafft.«

Holmes runzelte die Stirn. »Wie das?«

North zuckte leicht mit den Achseln. »Er ist für ein paar Tage nach London gefahren, und als er zurückkehrte, hatte er das notwendige Geld. Ein Gönner, so sagte er, der nicht genannt werden möchte.«

»Interessant«, murmelte mein Freund.

Ich hätte gerne noch mehr gehört, doch Holmes lenkte schlagartig das Gespräch in eine andere, völlig banale Richtung. Zum Schluss spielten wir noch eine Runde Dart mit einigen Bewohnern von Greenshore.

Holmes trank reichlich Bier, was mich beunruhigte. Hielt er sich doch sonst sehr zurück. Doch heute schien ich einen ganz anderen Holmes zu sehen als in der Baker Street.

Leicht beschwipst meinte mein Freund zu vorgerückter Stunde, es sei Zeit zum Gehen.

Als er zahlen wollte, winkte der Bürgermeister ab. »Ich übernehme das.«

Etwas schwankend verließ Sherlock Holmes das Gasthaus. Ich wollte eben etwas sagen, da ergriff er fest meinen Arm und raunte: »Schluss mit der Komödie! Kommen Sie!«

Ich schnaubte. Wieder einmal war ich auf sein schauspielerisches Talent hereingefallen.

Holmes stieß mich um die Hausecke des Fachwerkgebäudes bis hin zu zwei Rosenbüschen. Er machte das Zeichen des Schweigens und gebot mir, mich zu ducken. Er tat es gleichfalls.

Nicht lange, da vernahmen wir, dass sich die Hintertür des Gasthauses öffnete und schwere Schritte durch das Gras stampften.

»Jetzt schnell!«, flüsterte mein Freund.

Wir huschten um die Hausecke und sahen die Gestalt des Wirtes zwischen zwei Schuppen verschwinden.

Ich wollte ihm weiter folgen, doch Holmes hielt mich fest. »Lassen Sie ihn«, flüsterte er.

Da tönten – nur unweit von uns – erneut Schritte durch das Gras. Dann raschelte Buschwerk. Ich stand wie erstarrt.

Auch Holmes stand reglos. Er lauschte angestrengt.

Da vernahmen wir die Stimme des Wirtes – Mr. Wilson.

»Du musst denen sagen, dass ich mehr Zeit benötige.«

»Wir hatten einen festen Termin!«, kam es bösartig gezischt und gedämpft zurück.

»Das ist mir egal!«, rief Wilson aufgebracht. »Es geht nicht anders! Sonst ist alles sinnlos gewesen. In zwei Tagen!«

Die schweren Schritte entfernten sich. Ein unterdrückter Fluch drang aus dem Buschwerk – dann davoneilende Schritte.

»Wir müssen denen nach!«, entfuhr es mir erregt.

Holmes schüttelte den Kopf und schlug den Weg zurück zum Wirtshaus ein.

»Es ist angebrachter, wenn wir uns auf den Rückweg zum Pfarrhaus machen. Hier erreichen wir nichts mehr.«

Während des gesamten Weges durch die Nacht rotierte es in meinem Kopf.

Wilson, der Wirt! Zweifellos hing er in der mysteriösen Sache mit drin. Mochte er der Mörder von Reverend McColm sein? Die großen, derben Stiefelspuren … Wilson war groß und schwer. Er besaß die Kraft, allein die Totenglocke in Bewegung zu setzen.

Weshalb unternahm Holmes nichts?

Doch dann wurde mir klar, dass er ja nichts in der Hand hatte, das einem Richter genügen konnte.

Alles erinnerte an den damaligen Fall in Dartmoor. Auch da kannte Holmes lange Zeit den Mörder. Doch er musste ihn erst überführen.

 

*

 

Der nächste Tag brach strahlend an und brachte uns sogleich zum Frühstück den Besuch von Inspektor Barker ein.

»Hallo, junger Freund«, begrüßte Holmes ihn herzlich. Er mochte den aufstrebenden Beamten. Zumal – da kam die Eitelkeit meines Freundes ins Spiel – dieser den Rat des Meisters hoch schätzte.

»Er ist nicht so engstirnig wie Lestrade. Das lässt mich für Scotland Yard hoffen«, hatte Holmes einmal angemerkt.

Innerlich musste ich immer lachen. Zwischen Sherlock Holmes und Inspektor Lestrade herrschte so eine Art Hass-Liebe.

»In London hab ich eine Mrs. Emily Dornbottle ausfindig machen können«, begann Barker das Gespräch und dankte Mrs. Crew für den Kaffee.

Holmes beugte sich interessiert vor. »Und?«

»Sie ist lange Zeit die Nachbarin der McColms gewesen. Die Mutter soll jetzt irgendwo in Sussex leben. Der Vater starb, als James McColm gerade fünf Jahre alt gewesen ist. Er arbeitete bei der Eisenhandlung Denterville & Grec. Es soll ein Unfall gewesen sein.« Barker nahm einen Schluck Kaffee. »Nun … der junge James lernte mit vierzehn Jahren das Kaufmannsgewerbe und mit neunzehn Jahren holte er diverse Schulabschlüsse nach. Erst mit zweiundzwanzig begann er, Theologie zu studieren. Er war Aushilfspfarrer in Maidenhead und zog sich dann in ein Kloster in Darrowby zurück. Vor zwei Jahren verließ er das Kloster, aber nicht seinen Orden – die Dominikaner. Er ist als Pfarrer in der Gemeinde Carlton in Summerset tätig gewesen. Allerdings nur als Zweit-Besetzung. Dann kam das Angebot von St. Andrews. Er nahm es an und landete hier.«

Holmes blickte sinnend auf die Tischplatte. Die Sonne malte durch die Gardinen muntere Reflexe auf sein Gesicht. »Er müsste dann so um die sechsunddreißig Jahre sein«, murmelte er. »Das passt.«

Barker blickte fragend auf. Doch Holmes wehrte ab. »Später, mein Freund.« Er stand auf und angelte von der Kirschholzanrichte einen Block und einen Bleistift. Er kritzelte rasch etwas auf das oberste Blatt, riss es ab und reichte es Barker.

»Würden Sie in London dies hier für mich recherchieren?«

Barker nahm das Blatt entgegen, las mit gerunzelter Stirn und sah dann Holmes erstaunt an. »Das ist sieben Jahre her!«

Holmes nickte. »Aber nicht geklärt.«

Ich wollte etwas fragen, aber Holmes ergriff seinen Hut und rief: »Ich muss mir noch etwas ansehen. Barker – Sie melden sich, so rasch es geht.«

Wenig später sah ich Holmes mit langen Schritten über den Pfad zur Kirche laufen. Ich sah zu dem jungen Inspektor. Der zeigte mir den Zettel.

Saxon Road am 4. Mai 18…

»Was soll das?«

Barker hob die Arme. »Fragen Sie ihn. Er ist sehr verschwiegen.«

Dem konnte ich nur mürrisch beipflichten. Kurz darauf verabschiedete sich der Inspektor. »Ich muss den Zug nach London erreichen.«

Allein saß ich nun am Frühstückstisch und grübelte.

Nach einer guten Stunde kehrte Holmes zurück und rieb sich zufrieden die Hände.

Er rief nach Mrs. Crew.

»Kann ich bitte noch einmal das Zimmer des Pfarrers sehen? Ich hatte bisher nur einen ganz kurzen Blick hineingeworfen.«

Ich begleitete meinen Freund. Systematisch durchforstete er das kleine und doch gemütliche Zimmer. Er öffnete Schubladen, inspizierte den Kleiderschrank und seine Laune wurde dabei  immer besser.

»Haben Sie eine Spur?«, erkundigte ich mich.

Holmes stand nun in der Mitte des Raumes und hatte den Kopf weit in den Nacken gelegt. Sein Blick war auf den mit Gas betriebenen Kronleuchter gerichtet.

Dann stieg er auf einen Stuhl und angelte etwas zwischen der Lampe und der Deckenhalterung hervor. Ein klein gefaltetes Stück Papier.

In der Wohnküche faltete er es auseinander. Es handelte sich um eine Seite aus einem Kursbuch. Ich konnte nichts damit anfangen. Es handelte sich um eine Zugverbindung. Die hatte jemand gut versteckt.

»Was soll das?«, fragte ich.

Statt einer Antwort rief Holmes erneut nach Mrs. Crew.

»Hat sich beim alten Pfarrer jemand nach einer Stelle hier erkundigt?«

Die Haushälterin dachte nach. »Kurz bevor der alte Pfarrer Fizgiven in den Ruhestand ging. Da hat sich ein junger Mann beworben. Weil unser Küster so plötzlich verstorben war. Aber es ist wohl nichts draus geworden, denn der Bewerber ließ sich nicht mehr sehen.«

»Hatten Sie Kontakt mit ihm?«

Die Haushälterin verneinte. »Er hat sich nur zweimal mit Pfarrer Fizgiven getroffen. Doch dann muss er es sich wohl anders überlegt haben.«

Holmes stopfte seine Pfeife. »Wie viel Zeit verging, bis McColm hier auftauchte?«

Eine Woche. Der alte Pfarrer zog in ein Heim der Seligen Brüder. Da wussten wir aber bereits, dass Reverend McColm die Stelle übernehmen würde. Er sollte auch schon viel eher hier eintreffen, aber er sagte, er habe sich noch um seine kranke Mutter kümmern müssen. Er war so eine gute Seele.«

Holmes nickte und bemerkte sinnend: »McColm war das sicher.«

 

*

 

Bis in den späten Nachmittag brütete Sherlock Holmes über den Plänen von St. Andrews und einer topografischen Karte. Draußen setzte wieder leichter Regen ein und Nebel stieg von den Feldern und dem Wald auf. Da traf ein Telegramm aus London ein. Holmes las es und lachte kurz auf. »Ich hatte wieder mal recht!«

»Womit hatten Sie recht?«, wollte ich wissen und Zorn stieg in mir auf, weil er wieder so eine Geheimniskrämerei betrieb.

Holmes blickte aus dem Fenster, dann sagte er: »Kommen Sie mit, Watson.«

Durch den Nieselregen und den immer dichter aufziehenden Nebel liefen wir zur Kirche hinüber. Wir betraten das Hauptschiff und Holmes marschierte direkt auf den Bereich der beiden Beichtstühle zu.

»Zum Henker!«, stieß ich aus. »Was haben Sie vor?«

Statt einer Antwort öffnete mein Freund einen der Beichtstühle, klopfte die hölzerne Rückwand ab und hielt nach einigen Minuten enttäuscht inne.

»Ich kann mich nicht geirrt haben«, rief er aus. Dann begann er, in dem Beichtstuhl auf und ab zu springen.

»Ha!«, schrie er dann – bückte sich, zog den schmalen Läufer zur Seite und staunend blickte ich auf eine quadratische Platte, die sich in der Maserung von dem anderen Boden unterschied. Holmes hebelte die Platte mit seinem Taschenmesser hoch. Ich starrte in ein dunkles Loch. Erst nach einer gewissen Zeit machte ich die steinernen Stufen aus.

Holmes zwängte sich in die Öffnung.

»Zum Donnerwetter – was tun Sie?«, rief ich ihm nach. Dumpf kam die Antwort: »Gehen Sie um die Kirche herum nach Westen.«

Verständnislos tat ich das und stand dann leise fluchend im Regen. Da sah ich im diffusen Nebel, nur unweit vom Hauptweg des Friedhofs, wie sich eine Grabplatte bewegte. Ich musste schlucken, als ich die Gestalt meines Freundes auftauchen sah.

Lachend kam er auf mich zu. »So viel zum Verschwinden des Pfarrers.«

»Ist Wilson da durch und hat ihn ermordet?« Ich merkte, wie sich meine Haare sträubten.

Holmes runzelte die Stirn. Dann meinte er: »Wilson … ja … das wird interessant.«

Wir gingen zurück in die Kirche. Dort schritt er zu den Bildern des Leidenswegs, zog ein Maßband aus der Tasche und legte es an den ersten Rahmen – die Festnahme Christi – an.

Exakt maß er jeden Rahmen nach. Dabei grunzte er wie ein zufriedener Kater. Am Ende der Reihe blieb Holmes stehen. Er legte die rechte Wange eng an die weiß getünchte Kirchenwand und schien jeden Zentimeter der Mauer zu sezieren. Dann packte er das Maßband ein und erklärte: »Lassen Sie uns ins Dorf gehen.«

»Was ist mit dem Mörder Wilson? Wollen Sie ihn nicht sofort festnehmen?«, rief ich.

Holmes wandte sich um, begann seine Pfeife zu stopfen und murrte unwillig: »Weshalb sollte ich das tun, um Himmels willen?«

Wir schritten durch den immer dichter werdenden Nebel. Ich konnte mir die Nacht, als McColm ermordet worden war, gut vorstellen. Ich muss sagen – mich beschlich etwas Furcht. Im Ort begab sich Holmes zum Telegrafenamt und schrieb eine kurze Depesche. Dann begaben wir uns in den Gasthof. Es herrschte um diese Zeit nur mäßig Betrieb. Holmes schritt auf den Tresen zu und lehnte sich dagegen. »Zwei Bier bitte, Mr. Wilson«, sagte er freundlich.

Ich stand etwas abseits. Zum Henker, was soll diese Nettigkeit, dachte ich.

Der Wirt stellte zwei Gläser auf die Theke vor uns. »Gibt es Neuigkeiten?«, wollte er dabei wissen. Holmes nahm einen Schluck und merkte dann an: »Ja – dies hier.«

Er reichte Wilson einen Zettel über die Theke. Ich erkannte die Seite aus dem Kursbuch, das er in McColms Zimmer gefunden hatte. Ich sah, wie der Wirt erbleichte. Nervös wischte er sich die Finger an der fleckigen Schürze ab. Holmes beugte sich vor und sagte leise etwas, was ich nicht verstand. Der Wirt hustete gekünstelt, dann seufzte er vernehmlich: »All right – kommen Sie.«

Die beiden Männer verschwanden durch den Hinterausgang des Schankraumes. Verständnislos blieb ich an der Theke zurück. Es brauchte wohl zehn Minuten, dann kehrten sie zurück. Holmes drückte Wilson die Hand. Der machte einen sehr erleichterten Gesichtsausdruck. Holmes wandte sich lächelnd zu mir. »Kehren wir ins Pfarrhaus zurück.«

Dort angekommen setzte sich mein Freund an den Küchentisch. Mrs. Crew kam lächelnd und fragte: »Möchten Sie zum Aufwärmen einen Kaffee?«

Holmes nickte dankend. Als die dampfenden Tassen mit dem frischen duftenden Kaffee vor uns standen, blickte mein Freund aus dem Fenster in die mystische Nebellandschaft.

Ganz beiläufig sagte er dann: »Wie oft sind Sie in Devon gewesen, Mrs. Crew?«

Ich zuckte zusammen. Was war das für eine Frage?

Die Haushälterin stand stocksteif, noch einen Teller mit Keksen in der Hand, die sie eben auf den Tisch stellen wollte.

»In … Devon … wieso …?«

»Nun – dies hier«, er kramte die Seite des Kursbuches hervor, »gehört doch Ihnen. Die beiden Anmerkungen hier am Rand sind Ihre Handschrift.«

War die Haushälterin schon blass, wurde sie nun bleich. Ihr Mund öffnete und schloss sich wie bei einem Fisch auf dem Trockenen.

Holmes wandte sich ihr zu. »Meine liebe Mrs. Crew – Sie sind einmal die Woche nach Devon gefahren, um Bilder aus der Kirche an den Kunsthändler Perth zu verkaufen. Wilson – in Fälscherkreisen auch Don Angelo genannt – fertigte hervorragende Kopien, die im Halbdunkel der Kirche niemandem auffielen. Das Bild der Grablegung fehlt zurzeit an seinem Platz, weil es sich noch in der Werkstatt des Wirts befindet. Er hat es mir gezeigt. Ich habe ihm gesagt, ich würde von einer Anzeige bei der Polizei absehen, wenn er das Geld einer Stiftung zum Erhalt von St. Andrews übergibt, die Sie beide gründen werden. Es wird ausreichen, um die Schäden an der Kirche zu beheben. Das Original kommt morgen an seinen Platz zurück.«

Mrs. Crew nickte nur – unfähig etwas zu sagen. Holmes fuhr munter fort: »Jetzt möchte ich nur wissen, ob die Bilder aus dem Kunstraub vor sieben Jahren noch auffindbar sind.«

Die Augen der Haushälterin schienen aus ihrem Kopf quellen zu wollen.

»Bilder … Kunstraub … bei allen Heiligen! Davon weiß ich nichts! Ja, wir haben die Kirchenbilder gefälscht, um uns etwas zu verdienen. Wilson ist ein begnadeter Maler, aber niemand wollte seine Bilder kaufen. Da …«

Holmes winkte ab. »Das ist für mich nicht von Interesse. Danke Mrs. Crew.«

Mein Freund stand auf. »Kommen Sie Watson, ziehen Sie Ihren Mantel an, wir haben zu tun.«

Ich gestehe, ich verstand nichts mehr.

Während des ganzen Weges durch den dichten Nebel, bei dem man eben noch den Pfad in zwei Metern vor uns erkennen konnte, sprach mein Freund kein einziges Wort. Erst kurz vor dem Ort sagte er: »Eile ist geboten, Watson!«

Trübe versuchte das Gaslicht die wabernde weiße Wand zu durchdringen. Zu meinem Erstaunen blieb Holmes vor einem Haus fast am Ende von Greenshore stehen.

»Verdammt, Holmes! Was wollen Sie hier?«, murrte ich. Mir war kalt!

Holmes öffnete lautlos das Gartentor. »Schnell!«, flüsterte er. Dabei zog er mich in das Dunkel eines Seitenweges. Ich spürte Kies unter den Schuhen und dann Gras.

»Wo sind wir hier?«, hauchte ich.

»Gleich«, kam nur als Antwort. Holmes blieb stehen. Meine Augen gewöhnten sich an die Finsternis und umrissartig erkannte ich eine dunkle Hauswand und ein Fenster.

»Unser Mann sitzt im Forester. Wir haben eine halbe Stunde, denke ich.« Mein Freund reckte sich und das Fenster ließ sich öffnen. »Als wir im Wirtshaus waren, hörte ich ein Gespräch zwischen Mr. Bernstein und dem Schreiner Carson mit an. Bernstein sagte, dass das rückwärtige Fenster nicht richtig schließe und es dringend repariert werden müsse.«

Mir stockte der Atem. »Bernstein … der Lehrer?«

Holmes unterbrach mich. »Los! Helfen Sie mir!«

Ich machte die berühmte Räuberleiter und Holmes hangelte sich durch das Fenster. Wenig später steckte er den Kopf wieder heraus und raunte: »Halten Sie Wache!«

Verflucht – mir war mulmig. Hoffentlich kam Bernstein nicht früher zurück. Aber der Lehrer ein Mörder? Ich mochte es mir nicht vorstellen. Niemals war der schmächtige Mann in der Lage, die Totenglocke allein zu läuten.

Nach einer mir scheinbar unendlichen Zeit kam Holmes wieder zum Vorschein. Er sprang vom Fenstersims auf den Rasen. Nun bemerkte ich, dass er etwas unter den linken Arm geklemmt hatte.

»So … das war’s. Nun weg hier!«

Er verstaute das kleine Bündel unter dem Mantel und wir verließen eilig das Grundstück. Zu meinem Erstaunen steuerte Holmes jedoch nicht den direkten Rückweg an, sondern ging auf den Eingang des nun sehr belebt wirkenden Gasthauses zu.

Wir betraten wieder den vom Zigarren- und Pfeifenrauch geschwängerten Raum. Das übliche Stimmengewirr herrschte vor.

Sherlock Holmes ging auf einen freien Tisch in einer Nische zu und ließ sich nieder. Sogleich tauchte Bürgermeister North auf. Er setzte sich zu uns.

»Gibt es etwas Neues?«, fragte er leicht aufgeregt.

Der Wirt kam und stellte zwei Bier für uns auf den Tisch.

»Danke nochmals«, flüsterte er meinem Freund zu. Der nickte nur. Auf die stumme Frage des Bürgermeisters ging er nicht ein.

»Wie sieht es aus? Haben Sie eine Spur unseres Pfarrers?« North beugte sich weit zu meinem Freund herüber.

»Ja«, sagte dieser laut. Man musste es an den nächsten Tischen hören können. »Der Fall ist gelöst.«

Schweigen breitete sich urplötzlich in der Gaststube aus.

»Gelöst?«, vernahmen wir eine leicht krächzende Stimme aus dem Hintergrund.

Holmes nahm einen kräftigen Schluck Bier.

»Ich erwarte jeden Moment eine Depesche, in der ich die Bestätigung meiner Ermittlungen finden werde«, erklärte er mit fester Stimme.

Nun stürmten unzählige Fragen auf meinen Freund ein. Der winkte ab. »Kommen Sie morgen um zehn Uhr in die Kirche St. Andrews. Dort werde ich Sie informieren. Jetzt müssen Watson und ich los. In der Depesche steht der Name des Mörders und seines Komplizen. Außerdem führe ich einen wichtigen Beweis bei mir, den ich morgen früh Inspektor Barker übergeben muss.«

Wir standen auf und gingen zur Tür.

Der Nebel hing nun so dicht, dass man die Hand vor Augen nicht mehr sah.

Ich atmete schwer. Unwillkürlich tastete ich nach meinem Revolver, den ich wohlweislich eingesteckt hatte. Holmes bemerkte das und brummte: »Sie tun gut daran, mein Freund.«

Wir hatten das Ende des Ortes erreicht, die Stelle, an der der schmale Waldweg anstieg. Da hörte ich das scharfe Knacken eines Astes in der Nähe.

»Wir werden verfolgt«, hauchte ich nahe an Holmes’ Ohr. »Der Mörder vermutlich.«

Holmes blieb stehen und lauschte. »Vermutlich nicht. Doch dieser Mann ist nicht minder gefährlich.«

Da duckte er sich auch schon weg. Nur um Millimeter verfehlte meinen Freund der Knüppel. Ich sprang zurück, zog den Revolver und schoss instinktiv. Ein Aufschrei war die Folge. Holmes sprang vor und hielt den zappelnden Lehrer Bernstein eisern fest.

»Das Spiel ist aus, Mr. Bernstein«, kam es kalt über die Lippen meines Freundes.

 

*

 

Sicherlich war die Kirche von St. Andrews seit langer Zeit nicht so gefüllt gewesen wie an diesem kalten Morgen.

Neben Holmes an der Kanzel standen Bürgermeister North und Inspektor Barker. Ich selbst saß in der ersten Reihe, gespannt zu hören, was mein Freund zu sagen hatte. Nach der Festnahme Bernsteins hatte er sich kein Sterbenswörtchen entlocken lassen.

Mir schwirrte der Kopf. Hatte nun der Lehrer den Reverend umgebracht?

Wenn ja – wozu? Und was war mit der Satansgestalt?

»Wissen Sie, was Holmes vorhat?«, hatte mich Inspektor Barker vor zehn Minuten vor der Kirche gefragt.

Ich musste gestehen, dass ich absolut keine Ahnung hatte.

Nun zog mein Freund ein Päckchen aus der Innentasche seines Ulsters. Er reichte es dem verblüfften Barker.

»Ich sprach Sie auf den Kunstraub vor sieben Jahren in der Galerie in der Saxon Road an. Der Inhaber wurde erschlagen und drei sehr wertvolle Originale von Raffael gestohlen.«

Barker nickte. »Richtig! Der Mörder und Dieb wurde nie gefasst.«

Holmes schmunzelte. »Wir werden auch ihn finden. Seien Sie beruhigt. Hier erst mal sind die Bilder.«

Man sah dem Inspektor an, dass er nicht wusste, was er davon halten sollte.

»Ein Mittelsmann – wenn er auch eher zufällig dazu geworden ist – sitzt im Rathausgefängnis. Bürgermeister North war in der Nacht so freundlich, den Lehrer Bernstein für uns … sagen wir mal – aufzubewahren.«

Ein Raunen ging durch die Menge.

Holmes bat um Ruhe. »Eigentlich dreht es sich um Ihren Pfarrer James McColm.«

»Was ist denn mit ihm?«, rief jemand aus der Menge.

Mein Freund richtete den Blick zur Decke. »Er ist tot.«

Betretenes Schweigen.

Holmes senkte den Blick und fuhr fort: »Er war bereits tot, bevor er hier in Greenshore ankommen konnte. Der Mann, den sie als James McColm kennengelernt haben, hieß eigentlich Harald de Vere. Ein international gesuchter Kunstdieb. Kurz nach dem mörderischen Diebstahl in der Londoner Galerie, der seinerseits viel Aufsehen erregte, musste er abtauchen. Zufällig traf er auf dem Bahnhof von Waterloo mit James McColm zusammen. Sie freundeten sich auf der Fahrt mit dem Zug an. De Vere wollte eigentlich nicht nach Greenshore, doch als er aus dem Gespräch mit McColm vernahm, dass dieser in der Pfarrei von St. Andrews seinen Dienst antreten wolle, kam ihm die verrückte Idee. Er und McColm besaßen die gleiche, große kräftige Statur. Niemand hatte den Pfarrer in Greenshore vorher gesehen. Die beste Gelegenheit abzutauchen. Er warf McColm irgendwo auf der Gebirgsstrecke aus dem Zug. Vermutlich vermodert der Leichnam in irgendeiner Schlucht. Um erst einmal die Gegend genau zu erkunden, traf er mit dem alten Pfarrer Fizgiven zusammen und bewarb sich als Küster. Doch diese Stelle trat er nie an. Er erfuhr, dass Fizgiven wenige Tage später in ein Altenheim übersiedeln würde. So tauchte de Vere als James McColm hier auf. Er fand auch ein ideales Versteck für die Bilder, die er ja in nächster Zeit nicht auf den Markt bringen konnte. Er versteckte sie hinter den Bildern des Leidenswegs Christi. Als er sie sich einige Zeit später noch einmal ansehen wollte, wurde er von Bernstein beobachtet. Der zählte eins und eins zusammen, nachdem er zusätzlich noch in London recherchiert hatte. Mrs. Crew erzählte uns von einem Brief, den McColm erhielt. Er stammte von Bernstein. Ein Erpresserbrief. Nun …« Holmes machte eine kleine Pause. Dann fuhr er fort: »… den Lehrer umzubringen, barg ein sehr großes Risiko. Also beschloss McColm alias de Vere zu verschwinden. An einem argen nebligen Abend. Leider traf er kurz vorher auf den Bürgermeister. De Vere kannte sich sehr gut in der Geschichte des Ortes aus und wusste um einen Fluchtgang der damaligen Mönche von St. Andrews aus Cromwells Zeiten. Nur nahm de Vere den umgekehrten Weg. Vom Friedhof in die Kirche. Dort stieg er in den Glockenturm und läutete die Totenglocke. Sie war als Warnung an Bernstein gedacht, dem er vorher eine Nachricht geschickt hatte. North erschrak so, dass er glaubte, im Nebel und bedingt durch das wehende Gewand im Turm, Satan zu sehen. De Vere wollte mit den Bildern verschwinden, aber die hatte Bernstein sich bereits geholt. De Vere blieb nur die Flucht.«

Das Schweigen in der Kirche wirkte erdrückend. Endlich fragte Barker mit belegter Stimme: »Wissen Sie, wo de Vere sich aufhält?«

Holmes nickte. »Eine Depesche von gestern Nacht an einen bestimmten Freund brachte mir die Antwort. Sie werden den Mörder unter dem Namen Herwood in Chelsea finden. Er hat zurzeit eine Stelle als Butler bei einem Kunsthändler inne.«

 

*

 

Der Zug ratterte gen London.

Es war später Nachmittag. Holmes schmauchte seine Pfeife und blickte über die idyllische Landschaft.

»Holmes – wie sind Sie darauf gekommen?«, stieß ich hervor.

Mein Freund schaute mich an. »Nun – Satan konnten wir von vornherein ausschließen. Also fragte ich mich, welchen Grund ein Priester haben könnte, um unterzutauchen. Alle Menschen in Greenshore mochten ihn. Demnach lag ein außergewöhnliches Ereignis vor. Eigentlich haben mich die Fälschungen von Wilson darauf gebracht. Ich erkannte, dass die Rahmen an zwei Bildern gelockert waren. Also musste etwas dahinter verborgen gewesen sein. Für ein Dokument brauchte man nur ein Bild. Aber gestohlene Bilder …«

»Aber was sollte diese Teufelsgestalt auf dem Bild der Grablegung?«

Holmes kicherte. »Die stammte von Bernstein. Um die Menschen noch etwas von der Kirche fernzuhalten, falls de Vere noch mehr versteckt haben sollte.«

Ich sah dem Rauch meiner Zigarre nach. »Und das Geld für die Behebung der Schäden an der Kirche?«

Holmes wiegte den Kopf. »Ich denke, de Vere wollte sich einen Fluchtweg für alle Fälle sichern. Daher musste der Geheimgang stabil sein und durfte nicht einstürzen. Das Geld könnte er sich aus dem Bankraub in der Grafton Road besorgt haben. Vor einem Jahr. Erinnern Sie sich? Auch dort suchte man den Täter vergeblich. Aber das wird Barker klären.«

Er lehnte sich in dem Polster zurück. »Heute Abend gibt es eine besondere Aufführung von Schwanensee. Ferguson hat uns zwei Karten besorgt.«

Der Zug ratterte durch den frühen Abend.

 

E N D E

 

Ebenfalls erhältlich in unserem

umfangreichen BOXEN-Programm:

 

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TOTE VÖGEL

Box 1 – Fall 2

»Es ist einfach ungeheuerlich, wie Sie die junge Dame behandelt haben!«

Aufgebracht schlug ich mit der flachen Hand auf den Esstisch.

Sherlock Holmes lag halb in seinem Ohrensessel. Er angelte mit der rechten Hand nach der Times, die achtlos auf dem Boden lag. »Du meine Güte, Watson! Soll ich mich um ein paar Vögel kümmern, die vom Himmel fallen? Bin ich so tief gesunken?«

Das Geräusch der abfahrenden Droschke ließ mich ans Fenster treten. Ich sah eben noch, wie die Kutsche um die Ecke verschwand.

»Miss Milli Miles besitzt eine etwas rege Fantasie. Täglich fallen irgendwo Vögel vom Himmel.« Müde erklang es vom Sessel her.

Ich wandte mich um. »Aber Miss Miles sprach von dreißig oder vierzig.«

Holmes winkte energisch ab und setzte seine Pfeife in Gang. »Papperlapapp! Es werden höchstens vier oder fünf gewesen sein.«

Damit widmete er sich seiner Zeitung.

Ich ließ mich in meinen Sessel Holmes gegenüber nieder. »Sie hätten es sich wenigstens bis zum Ende anhören können, statt …«

Das harte Pochen an der Haustür ließ mich verstummen. Auch Holmes horchte auf. Wir vernahmen die Stimme von Mrs. Hudson, dann die Schritte auf der Treppe und wenig später reichte sie meinem Freund ein Telegramm.

»Das wurde eben abgegeben, Sir.«

Holmes rieb sich die Hände. »Telegramme sind in der Regel die Boten, die etwas für meine Gehirntätigkeit bringen!«, rief er und riss den Umschlag hastig auf.

Er überflog den kurzen Text und reichte mir das Formular. Neugierig las ich:

Kommen Sie sofort nach Grow, Sussex. Es wird Sie interessieren. Lestrade.

Holmes kicherte. »Ha, Watson! Wenn Lestrade schreibt, es würde mich interessieren, dann ist er mit seinem Latein am Ende!«

»Wir fahren?«, wollte ich wissen.

»Aber sicher! Alles ist besser als ein paar tote Vögel! Das Kursbuch bitte!«

 

*

 

Der kleine, rattengesichtige Inspektor erwartete uns bereits auf dem Bahnsteig.

»Schön, dass Sie sofort auf mein Telegramm geantwortet haben und gekommen sind.« Er hob die Hände. »Ich gebe es verdammt ungern zu, aber ich weiß nicht, was los ist.«

Ich staunte. Lestrade war mit diesem Eingeständnis gleich zweimal über seinen eigenen Schatten gesprungen. »Scotland Yard steht schön dumm da«, knurrte er.

Holmes klopfte ihm auf die Schulter. »Na, na, mein Lieber. Seien Sie beruhigt. Ich bin nur als Berater hier. Den Fall lösen werden Sie.«

Lestrade blickte meinen Freund dankbar und erleichtert an. »Sie sind fair, Mr. Holmes. Verdammt fair.«

Mein Freund winkte ungeduldig ab. »Was ist wo passiert?«

Wir verließen gemeinsam den Bahnsteig und bestiegen einen Einspänner.

»Es ist nicht weit. Ich habe alles so belassen, wie ich es vorgefunden habe.«

»Sehr gut!«, lobte Holmes. »Nun setzen Sie mich ins Bild.«

»Ja«, begann der Inspektor. »Der Tote ist ein Farmer. Nicht sonderlich reich. Raubmord fällt flach. Er heißt James Jagger und ist gestern am Mittag von der Magd im Haupthaus gefunden worden. Er saß am Tisch. Das Frühstück stand dort – die Tat muss also schon in der Frühe vor sich gegangen sein. Die Magd hatte sich nur gewundert, dass sie Jagger noch nicht auf dem Hof gesehen hatte.«