Utrio, Kaari Bonzevogel

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Übersetzung aus dem Finnischen von Angela Plöger

 

© Piper Verlag GmBH, München/Berlin 2000,2019

© Oy Amanita Production Ltd. 1992

Titel der finnischen Originalausgabe: »Vaskilintu«, Kstannusosakeyhtiö Tammi, Helsinki 1992

© der deutschsprachigen Ausgabe Kabel Verlag GmbH, 1998

Covergestaltung: zero-media.net, München

Covermotiv: FinePic, München

 

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Die Personen des Buches

Die historischen Personen sind mit einem Stern * gekennzeichnet. Am Ende des Buches gibt es ein Glossar und Stammbaumtafeln der königlichen Personen.

 

IN FINNLAND

Merikirja, alte Herrin des Gutshofs Arantila

Ari Fernfuß, Herr von Arantila, Kaufmann, der auf dem Ostweg Handel treibt

Suvivilja, seine Frau

Terhen, ihrer beider Tochter

Vallittu, Krieger von Arantila

Gilbert von Wildham, englischer Sklavenpriester auf Arantila

Nousia der Gesetzeskundige, alter Herr von Vanaja

Terhi, alte Herrin von Vanaja

Talpia der Zauberer, ihrer beider Sohn

Pihlava Schwarzbraue, seine Frau

 

AUF GOTLAND

Hailvi, alte Herrin von Rodarve

Rodair Rodmundsson, Herr von Rodarve, Kaufmannsbauer

Rodvildi, seine Schwester

*Olaf der Dicke, König von Norwegen

 

IN UPPLAND

Thorstein der Mächtige, Oberrichter auf den Roslagener Inseln

Eirik der Starke, sein Sohn

Gunnhild, Tochter des Oberrichters, Königin von Schweden

*Anund Jakob, König von Schweden, Sohn von Olaf Schoßkönig

Thorgerd, seine Schwester

*Emund, Sohn von Olaf Schoßkönig

Ida, polnische Fürstin, seine Frau

*Holmfrid, ihrer beider Tochter

*Astrid, Tochter von Olaf Schoßkönig

Stenkil, Jarl von West-Götaland

Gudmund der Kaufmann, Ziehvater von Stenkil und Eirik dem Starken

*Harald Sigurdsson der Harte, Bruder des norwegischen Königs Olafs des Dicken

 

IN KIEW

*Jaroslaw der Weise, Fürst von Nowgorod und Kiew

*Ingegerd, seine Frau, Tochter von Olaf Schoßkönig

*Jelisaweta, Anastasia und Anna, ihrer beider Töchter

Jewdokija von Pskow, Hofdame, Witwe

Jaropolk der Nachdenkliche, Krieger, ihr Sohn

 

IN BYZANZ

*Zoe, Kaiserin

*Theodora, ihre Schwester, Kaiserin

*Michael IV. Paphlagonios, Zoes Ehemann, Kaiser

*Michael V. Kalaphates, Zoes Adoptivsohn, Kaiser

*Maria Skleraina, Geliebte des Konstantin Monomachos

*Euprepia, Schwester des Konstantin Monomachos

Irene Monomachina, ihre Schwester

Leon Skieros, ihr Sohn, Höfling

Juvalos, Theodoras Sohn

Hyypiä der Farblose, finnischer Waräger

 

IN UNGARN

Heraklios Synadenos, byzantinischer Offizier

*Andreas, König von Ungarn

Tevente, dessen Bruder

Emöke, ihrer beider Mutter

Sarolta, Leventes Geliebte

*Edward Atheling, englischer Kronerbe

*Agatha, seine Frau

*Margareta, ihrer beider Tochter

 

IN FRANKREICH

*Heinrich, König von Frankreich

Roger le Morne Ernaudi, Herr von Meilhan

Odo und Adela, dessen Kinder

Thiedo, Priester von Meilhan

Thorgaut, militärischer Befehlshaber von Meilhan

Helena di Bari, Sklavin

Girard, Herr von Albas

 

IN ENGLAND

*Edward der Bekenner, König von England

*Lady Edith, dessen Frau

*Harold, Jarl von Wessex, ihr Bruder

*Eadgiiu Pulchra, Harolds Geliebte

Sehild, Priorin des Klosters der Heiligen Werburga

 

IN SIGTUNA

Wassili, Priester aus Kiew

ERSTES BUCH 1020–1021

1. Kapitel – 1020

»Komm hervor aus deiner Enge, Kindchen, aus dem tiefen Sumpfe!«

Zischelnd murmelte die Schwiegermutter den Geburtszauber. Ihre Stimme drückte Überdruss und ihr Gesicht Gleichgültigkeit aus. Das Lammen eines strammen Mutterschafs gab der Beschwörung der Schwiegermutter mehr Schwung als die mühsamen Versuche der blutarmen Schwiegertochter, ein lebendes Kind zur Welt zu bringen.

»Du bist eine schlechte Gebärerin, mager und mit schwachen Knochen. Stirb doch. Eine Frau aus Tavastland taugt nicht zur Herrin von Arantila. Wir suchen uns eine bessere.«

Die blauen Augen der Schwiegertochter starrten flehend, vom Schmerz umflort auf Merikirja. Vor Schmerzen streckte sie ihre Hand aus, suchte Berührung und Mitgefühl. Die Schwiegermutter zuckte die Achseln. Mitleid konnte dem Erben von Arantila nicht auf die Welt helfen.

Merikirja stand auf und trat aus der Sauna in das Licht der Hofstelle.

»Daraus wird nichts. Das hab ich von Anfang an gewusst. Feind bleibt Feind und bringt nur Unglück.«

Vor dem hohen Hallenhause saß ein hoch aufgeschossener Mann mit weißem Haar und hohlen Wangen. Sein Körper war nach rechts gekrümmt: Er hinkte, war aber dennoch stark, ein Krüppel, aber gleichwohl ein Krieger. Vallittu von Arantila blickte seine Schwägerin mit derselben müden Hoffnungslosigkeit an, mit der er Merikirja die vergangenen zwanzig Jahre lang angesehen hatte.

»Schwägerin, an Suvivilja gibt es nichts auszusetzen. Sie ist eine gute Schwiegertochter, demütig und dienstwillig. Sie hat Eintracht gebracht, wo die Blutrache unsere Sippe ausgetrocknet hätte. Sie ist sofort von deinem Sohn Ari geschwängert worden. Was kannst du von einer jungen Frau sonst noch erwarten?«

»Einen Sohn«, sagte die alte Herrin von Arantila eigensinnig. »Den wird die verwöhnte Tochter von Vanaja nicht zustandebringen. Sie stirbt, und das ist gut so.«

Eine Gestalt in schwarzer Kutte, mager wie eine Spinne, sprang behände zwischen Merikirja und Vallittu. Der Mann hob die Arme zum strahlend hellen Himmel empor.

»In nomine Domini! Dieses Haus benötigt die Hilfe des Weißen Christus. Ich bete für die Schwangere zur Heiligen Jungfrau, der Gottesgebärerin.«

»Willst du die Peitsche, Sklave?« schnauzte Merikirja ihn an.

Vallittu zuckte zusammen.

»Lass den Priester es versuchen, Schwägerin. Deine Zaubersprüche haben der armen Frau nicht geholfen. Dieser Sklavenpriester hat eine Göttin, die durchaus von Suviviljas Leiden angerührt werden könnte. Ich würde es auch selbst versuchen, aber ich kenne keine Beschwörung, mit der man Allah und Mohammed um Hilfe für eine Gebärende bittet.«

»An deine Götter würde ich mich zuallerletzt wenden«, zischte Merikirja. »Du brauchst dir nur anzusehen, was sie dir selbst angetan haben, Schwager.«

»Das haben mir die Männer von Khan Muissed in Derbend angetan, und sie hätten mir noch Schlimmeres angetan, wenn ich ihnen nicht entwischt wäre«, sagte Vallittu stolz. »Ich hätte Schlimmeres verdient, denn ich habe das Bein der Lieblingsfrau des Khans gesehen, als sie unvorsichtig in die Sänfte stieg. Allah und sein Prophet haben mit meiner Verletzung nichts weiter zu tun, als ihre Frauen im Verborgenen halten zu wollen.«

Der Sklavenpriester bekreuzigte sich, so wie er es immer tat, wenn Vallittu anfing, von Allah zu sprechen.

»Er ist nicht nur ein Heide«, jammerte der Priester, »er ist nicht nur ein Heide, der trotz ihrer Grausamkeit an ihrem Heidentum unschuldig ist! Er ist ein ungläubiger Teufelsdiener! Ein Sarazene!«

Vallittu hatte seinen Spaß daran, den christlichen Priester zu ärgern. Er hätte sich gern wieder den Erinnerungen an die ruhmreichen Zeiten hingegeben, die er in der Leibgarde des Khans von Derbend am Kaspischen Meer verbracht hatte, wenn nicht aus der Sauna ein mattes Jammern herübergedrungen wäre.

»Beeil dich, Sklave. Sprich rasch deine Zaubersprüche, damit die Schwiegertochter nicht stirbt.«

 

Suvivilja trieb auf den Wellen. Die Schmerzen hatten wieder nachgelassen, ihr war kühl, aber sie fror nicht. Sie lag still im Dämmerlicht, matt und schläfrig.

Irgendetwas bewegte sich vor ihren Augen, ein Schatten verdichtete sich zu einem Gesicht. Das Gesicht gehörte dem Sklavenpriester von Arantila. Der Priester liebte Suvivilja so wie sonst niemanden in diesem fremden Hause.

»Ave Maria, mater Dei, ora pro nobis peccatoribus. Gegrüßt seist du, Maria, Mutter Gottes, bete für uns Sünder.«

Suvivilja verstand die Worte des Priesters nicht. Sie klangen vertrauenerweckend und beruhigend. So ähnlich hatte es geklungen, wenn Suviviljas Vater tagelang das Gesetz von Tavastland auswendig vorgetragen hatte: »Jetzt weidet das Vieh des Hauses auf der Wiese des Nachbarn. Wenn das Vieh absichtlich auf die Wiese gelassen wurde, soll als Entschädigung eine Färse gezahlt werden. Wenn es aus Versehen geschah und das Vieh sich selbst dorthin verirrte, soll der Nachbar sein Vieh ebenso viele Tage auf der Wiese des Hauses weiden lassen.«

Auf diese Weise war er den Diebstahl von Töpfen, die Tötung von Männern und die entlaufenen Pferde, die Erbrechte, das Schwendland und das Besitzrecht an den Kindern der Sklaven durchgegangen. Die kleine Suvivilja saß auf den Fellen, die über die Schlafpritsche des mächtigen Elauses gebreitet waren, und wiegte sich im Takt der Deklamation von Nousia, dem Gesetzeskundigen. Das Mädchen lernte Dutzende von Gesetzen, ohne irgendetwas davon zu verstehen.

»Je mehr Menschen das Gesetz auswendig kennen, desto besser. So kann es nicht vergessen werden. Das Gesetz darf nicht verloren gehen. Ohne Gesetz werden aus den Menschen Tiere, die ohne Arbeit und Ordnung leben.«

So sprach Nousia der Gesetzeskundige von Vanaja, Suviviljas Vater, den alle Männer aus Tavastland von Salzmeer zu Salzmeer verehrten. Auch die Finnen fragten ihn um Rat, wenn ihr Stolz das zuließ.

Der Vater sagte nicht, dass das Gesetz auch gebraucht wurde, um die Macht des Gutes Vanaja aufrechtzuerhalten, aber Suvivilja verstand es sehr wohl. Die Ehre des Hauses lag nicht in seinem Wohlstand, sondern in seinem Alter und in seiner überlieferten Gesetzeskenntnis.

In dem mächtigen Hause Vanaja von Tavastland wuchs die kleine Suvivilja auf wie eine Königstochter im Lande Svetiod. Sie hatte zwei Schwestern, Mielivilja und Viljakuu; beide starben am Fieber und an Halsschmerzen. Insgeheim war Suvivilja froh darüber. Sie wollte die Aufmerksamkeit ihrer Eltern, ihrer Brüder und der Gutsleute mit niemandem teilen. Die Bronzefibeln und Perlenschnüre gehörten nur ihr allein. Ihr gehörte der blaue Umhang und die Schürze mit den Bronzespiralen, ihr die aus Honig gebraute Sima und die moosweichen schwarzen Felle, die der Bruder aus den Einödwäldern von Tavastland mitbrachte. Alles gehörte Suvivilja, alles, denn sie war das Goldhaar, die Zierde des Gutes.

Bis die Blutrache, die schon in Vergessenheit geratene Pflicht der Väter, das satte Leben erschütterte.

 

Talpia, der älteste Sohn, der nach seinem Vater das Gesetz lernen sollte, kehrte von einem Jagdzug aus den Einödwäldern hinter Hauho zurück. Talpia kam allein, nur von den Sklaven begleitet. Er hatte seinen Bruder am Ufer eines namenlosen Sees bestattet und ihm ein Schwert mit silbernem Griff und einen Jagdspeer mitgegeben.

»Es ist freies Land, wo jedermann jagen und Schlingen legen darf. Der zuletzt Gekommene muss weichen. Es gibt für alle genug Jagdgründe.«

»Wer hat sich euch in den Weg gestellt?«

»Da war ein verwundeter Elch, der kam uns entgegengelaufen. Toivia tötete ihn, da sonst niemand zu sehen war. Dann kamen die Männer von Arantila. Wir waren ihnen drei Tage zuvor begegnet; da hatte es keinen Streit zwischen uns gegeben. Sie töteten Toivia, weil der ihnen den Elch weggenommen hatte. Ich hatte nur die zwei Sklaven bei mir; die Leute von Arantila rührten niemanden an außer Toivia, der den Elch getötet hatte. Sie hätten uns alle töten können. Es waren viele Männer.«

Nousia der Gesetzeskundige zauste seinen blonden Bart.

»Zwischen uns fließt Blut seit vielen Generationen. Sonst hätten sie deinen Bruder kaum getötet. Die Arantis sind hochmütige Leute, sie töten erst und fragen dann. Wer hat Toivia getötet?«

»Ari Fernfuß hat ihn mit dem Schwert zu Boden geschlagen.«

»Das war ein ehrenvoller Tod. Ein freier Mann tötet einen freien Mann. Jetzt musst du Ari töten. So hat man es immer getan. Früher genügte es, irgendeinen der Männer von Arantila mit dem Speer zu töten. Aber das Gesetz sagt: Ein Hausherr für den Hausherrn, ein Sohn für den Sohn, ein Sklave für den Sklaven. Das Recht auf Rache liegt bei der eigenen Familie, bei den Brüdern und Schwestermännern und deren Kindern. Da verläuft die Grenze, und weiter reicht die Blutrache nicht.«

Talpia runzelte die Stirn.

»Gibt es kein anderes Mittel? Demnach muss Arantila Rache üben. Und ich für meinen Teil muss ins Grab. Für mich ist es noch zu früh zum Sterben. Aus mir wird der Zauberer von Tavastland, der große Geisterbeschwörer. Ich will nicht alles wegen eines Elches verlieren. Es war nicht einmal ein großer Elch, nur ein Kalb vom Vorjahr.«

Suvivilja, die schlanke Tochter von Vanaja, hörte diese Rede gelangweilt mit an. Der Bruder hatte kein Zobelfell mitgebracht. Alle waren ernst, die Gesichter finster, und niemand dachte daran, Suvivilja zu bewundern und zu verwöhnen.

 

Nach Vanaja kam ein Fremder, ein kräftig gebauter Edelmann mit prächtigen Waffen und kostbaren Kleidern. Die silberhellen Haare des Mannes reichten bis weit auf seinen Rücken herab. Hinten flatterten sie unbändig, an den Schläfen waren sie zur Umrahmung des Gesichts geflochten. Ein Mann mit kalten Augen, flink und knapp in seiner Rede. Es war Ari Fernfuß, der junge Herr von Arantila.

Ari Fernfuß kam in die Palisadenbefestigung von Vanaja geritten mit nur zwei Kriegern zu seinem Schutz. Zaudern oder Furcht zeigte er nicht und verspürte sie wohl auch kaum. Er benahm sich wie ein Mann, der eine Kleinigkeit in Ordnung zu bringen hatte, die ihn daran hinderte, in großen Dingen erfolgreich zu sein.

»Nousia der Gesetzeskundige?«

Der Herr von Vanaja und sein einziger Sohn standen vor der Tür des Hallenhauses. Die Schwerter steckten noch in der Scheide. Das Tor wurde von drei Männern bewacht, die ihren Wurfspieß in der Hand wogen. Mit einem Streich würden sie den Herrn von Arantila und seine Schwertmänner so töten, wie das Elchkalb getötet worden war, das die Blutrache verursacht hatte.

»Ich habe deinen Sohn getötet, Herr von Vanaja«, sagte Ari Fernfuß aus dem Sattel herab. »Das war eine Dummheit. Ich möchte meine Tat sühnen. Du kennst das Gesetz. Du weißt, was ich bezahlen muss.«

Auf das Gut Vanaja senkte sich verblüffte Stille.

»Ich bitte dich, mein Angebot anzunehmen«, sagte Ari Fernfuß. »Darf ich absteigen? Meine Männer werden euch ihr Schwert aushändigen, wenn du es verlangst.«

Der völlig verblüffte Nousia der Gesetzeskundige konnte nicht anders als nicken. Talpia musterte interessiert den Mann, der seinen Bruder getötet hatte.

Ari Fernfuß trug ein Panzerhemd, das gefertigt worden war, indem man quer über das Leder eiserne Gürtel befestigt hatte. Unter dem Panzerhemd hatte er ein Leinenhemd und breite, bis an die Knie reichende, gestreifte Pumphosen an. Solche Hosen trugen die Normannen auf ihren Fahrten nach Osten. Die Beine des Kaufmanns steckten in weichen Lederstiefeln, und über den Schultern lag ein pelzgefütterter Umhang. Der Umhang wurde von einer Silberfibel mit langer Nadel zusammengehalten.

Ari Fernfuß sah ganz anders aus als die in wollene Gewänder gekleideten Männer von Vanaja. Auch sein Wesen war anders: ungeduldig und eilig. Man hätte den Herrn von Arantila für hochmütig halten können, wenn er sich nicht so höflich benommen hätte.

»Dies ist eine Sache, die Blutrache erfordert«, sagte Nousia der Gesetzeskundige zögernd.

»Das weiß ich, und deshalb bin ich zu dir gekommen«, sagte Ari Fernfuß munter. »Ich habe Besseres zu tun, als mich mit deinem Sohn zu prügeln.«

»Was hast du denn zu tun?«

»Ich treibe Handel auf dem Ostweg. Ich segle die große Wolga entlang bis nach Bolgar und zu den Chasaren nach Itil. Ich werde reich. Ich bin der reichste Mann von Finnland. Bestimme für deinen Toten einen Preis. Ich werde ihn bezahlen. Silber habe ich so viel, dass ich dafür das Wergeid für hundert Männer zahlen könnte, aber ich habe keine Zeit, um sie mit kindischer Blutrache zu verschwenden.«

Nousia der Gesetzeskundige verstummte vor so viel sachlicher und höflicher Frechheit. Schließlich murmelte er fast unhörbar:

»Die Ehre kann man doch wohl nicht verkaufen?«

»Welche Ehre? Ich verstehe nicht, wie die Ehre von Vanaja daraus erwachsen kann, dass dein Sohn Talpia mich tötet und dann jemand von meinen Verwandten Talpia umbringt. Dann gibt es weder in deinem noch in meinem Gut einen erwachsenen Mann, der einen Erben zeugen könnte.«

»Vater, dieser Mann hat recht«, sagte Talpia der Zauberer neben seinem Vater. »Ich bin nicht einmal sicher, ob ich ihn töten könnte.«

Ari Fernfuß grinste. Seine Anspannung ließ nach, seine steife Haltung wurde freundlich. Er beugte sich leicht in Talpias Richtung und nickte.

»Die Blutrache hat unnötig lange eine nützliche Zusammenarbeit zwischen uns verhindert, Nousia. Das beste ist, wir schließen Frieden. Arantila ist eines der größten Häuser von Finnland: Die Ältesten von Finnlands Geiselgauen hören auf mein Wort, und in der Stadt Koroinen verbeugt man sich vor mir. Und Vanaja war immer das Herz von Tavastland. Der Gesetzeskundige von Vanaja wird in allen Geiselgauen von Tavastland verehrt.«

Die Männer von Vanaja hörten sich peinlich berührt diese Lobhudelei an, die gegen die guten Sitten verstieß. Ari Fernfuß kam aus einer anderen Welt. Mit voller Absicht gab er zu verstehen, dass für ihn die alten Regeln nicht verbindlich waren.

»Durch den Frieden werden wir beide reich. Du hast hier sogar zu viele Männer, weil du es nicht fertigbringst, die Kinder deiner Sklaven zu verkaufen. Ich wiederum brauche Männer auf meinen Handelsreisen. Schick deine überzähligen Sklaven auf die Jagd und gib die restlichen mir. Ich verkaufe deine Falken und Felle für dich auf dem Ostweg.«

Der Herr von Vanaja sah den Gast misstrauisch an.

»Du kommst hierher als derjenige, der meinen Sohn getötet hat. Plötzlich verwandelst du dich in einen Geschäftsfreund. Wie können wir dir vertrauen?«

»Ich zahle dir den zwölften Teil von meinem Handel, Nousia, wenn du auf die Blutrache verzichtest. Der zwölfte Teil von meinem Handel ist eine große Menge Silber.«

»Silber ist nicht dasselbe wie Vertrauen«, sagte Nousia der Gesetzeskundige steif. Er hielt nichts von überraschenden Vorschlägen und übereilten Entschlüssen.

Aber Talpia der Zauberer hatte die Sache schon entschieden.

»Hast du eine Ehefrau, Ari Fernfuß?«

Der Herr von Arantila schüttelte den Kopf.

»Es gibt kein stärkeres Vertrauen als die verwandtschaftliche Bindung«, sagte Talpia der Zauberer. Er wandte sich um und trat in das Hallenhaus, in dessen Dunkel die Frauen zu erspähen und zu erlauschen suchten, was draußen vor sich ging.

Talpia fasste seine Schwester Suvivilja bei der Hand.

»Komm. Wir haben einen Ehemann für dich gefunden.«

Suvivilja wollte vor dem Heiratskandidaten nicht in ihrem braunen Alltagsgewand erscheinen.

»Nein. Zuerst muss ich mich umziehen.«

Talpia sah das Mädchen gereizt an.

»Komm jetzt, er wartet.«

»Hörst du nicht, ich zieh mir einen Rock über!«

Talpia holte aus und schlug seine Schwester auf die Wange, nicht heftig, sondern nachlässig, so wie man einen ungehorsamen Hund bestraft.

»Na, Frau«, sagte er. »Sei nicht dumm.«

 

So endete Suviviljas Leben als goldene Blume auf dem Gut. Sie musste die Aufgabe erfüllen, für die sie geboren war: das allseitige Wohlergehen ihrer Familie zu fördern.

Suvivilja hätte nicht von zu Hause fortgehen mögen. Sie war sechzehn Jahre alt und wusste nichts vom Mann. Ihre Mutter wurde schon nervös von dem allzu heftigen Geflenne ihrer Tochter.

»Es gehört zu den guten Sitten, dass die Braut ihren Auszug von zu Hause beweint. Das verlangt die Höflichkeit gegenüber den eigenen Eltern. Aber was zu viel ist, ist zu viel. Dein Gejammer ist unhöflich gegenüber deinem Bräutigam und den Schwiegereltern.«

Suvivilja wurde munter, als sie sah, was für großartige Geschenke sie in das Haus ihres Mannes mitnehmen sollte. Man hatte es an nichts fehlen lassen: Die Sippe von Vanaja konnte sich an Silber nicht mit dem berühmten Kaufmann messen, aber alles, was die Tochter mitbrachte, war schön und fein. Die Familie Vanaja besaß keine Reichtümer aus Handel, obwohl ihre Männer dann und wann ihr Glück auf dem Ostweg versucht hatten und das, was sie mitbrachten, in der Stadt Vanaja verkauften. Die Sippe besaß etwas anderes, teureres und schwerer zu beschaffendes als die Dirhams, die Silbermünzen von Arantila: den Ruf von Weisen und Zauberern, die Tradition von Generationen Gesetzeskundiger. Die Herren von Vanaja gehörten seit undenklichen Zeiten zu den Stammesführern von Tavastland.

Ein solches Erbe erwarb man nicht auf den Ostfahrten von einer oder zwei Generationen. Man konnte es nicht kaufen. Suvivilja ging als Schwiegertochter nach Arantila mit dem Wissen, dass ihre Familie unvergleichlich edler war als die ihres Ehemanns.

Es war überraschend festzustellen, dass die Leute von Arantila sich nichts aus dem uralten Wissen machten, weder aus dem Gesetz noch aus den Beschwörungen. Im Gegenteil: Die Schwiegermutter war sauer wie eine Moosbeere im Herbst, wenn Suvivilja vom Wettermachen sprach. Der Vater von Nousia dem Gesetzeskundigen war ein berühmter Windzauberer, die Familie von Suviviljas Mutter seit Menschengedenken eine Sippe von Wetterzauberern gewesen.

»Wahrscheinlich hat einer deiner Vorväter den Sturm heraufbeschworen, bei dem mein Mann Aranti ertrank. Und sein Vater wurde gelb und starb. Das war bestimmt die Hexerei der Zauberer von Vanaja. Von diesen Dingen hältst du dich fern.«

Im übrigen kam Suvivilja mit ihrer Schwiegermutter Merikirja recht gut aus. Im Grunde wusste Suvivilja nichts von den Gesetzen und den Zaubersprüchen und wollte auch gar nichts davon wissen. Was Suvivilja interessierte, waren glänzende Stoffe und Bronzeschmuck. Ari Fernfuß hatte sie von den Handelsstätten an der Wolga mitgebracht, die ein halbes Jahr Rudern entfernt lagen. In der Stadt Koroinen schmolz der Schmied die Schmuckstücke ein und goss daraus solche Fibeln und Ketten, wie die finnischen Frauen sie gern hatten.

Suvivilja hätte die Halsringe und den Ohrschmuck gern anprobiert. Sie hatte einen langen Hals und zierliche Ohren. Der Schmuck der östlichen Völker hätte ihr gut gestanden. Aber die Schwiegermutter sagte nein: Die junge Herrin von Arantila musste ebenso aussehen wie die anderen Herrinnen großer Häuser.

Merikirja wiederum zählte Dirhams. Sie drehte und wendete Pokale und Becher in der Hand, wog dicke Halsringe, von denen immer ein Stückchen als Zahlungsmittel abgebrochen wurde. Beide Frauen waren glücklich mit ihren Truhen. Sie vergaßen ihre Zwistigkeiten, die Gier verband Schwiegermutter und Schwiegertochter.

 

Für die junge Frau war die wichtigste Person im Hause die Schwiegermutter. Es gab zwar den Ehemann, aber Suvivilja dachte zunächst nicht an Ari Fernfuß. Natürlich würde der frischgebackene Ehemann seine entzückende junge Frau nach Art der Männer verwöhnen.

Suvivilja kokettierte und zwitscherte. Ari Fernfuß sah seine Frau mit kalten Augen an und setzte die Beratung mit dem Krieger Vallittu fort. Suvivilja verzog ihren weichen Mund. Niemand bemerkte es. Suvivilja schmollte. Alle fuhren mit ihren Beschäftigungen fort. Suvivilja ließ Tränen über ihre Wangen kullern.

»Fehlt dir etwas, Frau? Bekommst du nichts zu essen? Ist dein Speicher nicht voller Kleider? Enthält deine Truhe nicht Schmuck, der für drei Frauen reichen würde? Hast du keine Sklaven, die jede deiner Launen erfüllen?«

Suvivilja musste zugeben, dass sie von allem in Hülle und Fülle hatte.

»Dann stör mich nicht.«

Suvivilja war gekränkt und begann nun wirklich zu schluchzen.

»Halte deine Schwiegertochter im Zaum, Mutter. Ich habe keine Zeit für Dummheiten.«

Suvivilja wurde bald schwanger. Ari Fernfuß war zufrieden und schenkte seiner Frau eine große, silberne Mantelfibel.

»Eine Silberkette bekommst du, wenn du mir meinen Sohn zeigst.«

»Und wenn das Kind ein Mädchen ist?«

»Mein Kind ist ein Sohn. Er wird ein Jahr alt sein, wenn ich von der Reise zurückkehre. Sorge dafür, dass er gesund und kräftig ist.«

Suvivilja verzog das Gesicht.

»Du fährst fort?«

Ari Fernfuß wunderte sich.

»Natürlich. Was sollte ich denn hier tun?«

»Dich um das Haus kümmern!« Suviviljas Stimme wurde schrill.

»Mein Onkel Vallittu betreut Arantila besser als ich. Die Angelegenheiten des Hauses langweilen mich.«

»Du könntest die Zeit mit mir verbringen.«

»Mit dir?«

Ari Fernfuß schüttelte den Kopf und ging fort.

Die Schwiegermutter fand, dass Suviviljas Geflenne eine eitle Laune war. Aris Handelsfahrten machten das Haus Arantila reich. Die Forderungen seiner Frau waren fehl am Platze, da es um das Wohl des Gutes ging.

»Du siehst doch, dass mein Sohn sich neben dir nicht wohlfühlt, Schwiegertochter. Ari mag dich nicht. Du bist die hochmütige Tochter von Vanaja, du hältst dich für etwas Besseres als wir anderen. So etwas gefällt einem großen Kaufmann nicht, der sich unter den bolgarischen Sklavinnen die schönsten und demütigsten aussuchen kann.«

Suvivilja schloss sich weinend in ihrem Speicher ein. Sie beschloss, den Speicher erst dann zu verlassen, wenn ihr Mann sie von dort herausschmeicheln würde.

Ari Fernfuß begab sich mit seinen Männern auf den Ostweg, ohne sich von seiner Frau zu verabschieden. Die Reise würde mindestens anderthalb Jahre dauern.

2. Kapitel – 1020

»Adiuvare, Domine«, befahl der Priester mit harter Stimme. »Hilf, Herr!«

Merikirja kräuselte die schmalen Lippen.

»Hierbei haben die Männer auch früher nicht helfen können. Vielleicht schaden die fremden Götter sogar eher. Egal. Wenn dein Gott es nicht schafft, dass das Kind geboren wird, stirbt die Frau meines Sohnes. Schwiegertöchter drängen sich zuhauf am Tor von Arantila. Wenn dein Gott macht, dass das Kind lebend aus dem Mutterleib hervorkommt, ist alles so, wie es sein soll.«

Suvivilja fuhr aus dem Halbschlaf auf und wimmerte. Sie drehte sich schwerfällig um und versuchte, die Knie zum Schutz ihres großen Bauches anzuziehen. Merikirja drückte mit der Hand auf den Bauch ihrer Schwiegertochter. Er war hart und stramm wie das Fell einer Zaubertrommel.

»Sieh da«, sagte die Schwiegermutter. »Vielleicht ist dein Gott nicht ganz unfähig, Priester. Geh jetzt.«

»Ich will nicht«, keuchte Suvivilja. »Nehmt es weg. Ich will nicht hier sein.«

»Auf deinen Willen kommt es hier am allerwenigsten an«, sagte Merikirja. Ihr Gesicht wurde weich vor Mitgefühl. »Tu deine Arbeit und bring dein Kind zur Welt. Den Schmerz vergisst man, aber das Kind wird der Schutz deines Alters.«

Das Kind wurde gegen Abend geboren. Die Sonne stand noch am Himmel, aber die Erwartung der Abendruhe ließ den ausgeglühten Hof des Hallenhauses still werden. Die Menschen saßen vor den Speichern und hatten keine Lust schlafenzugehen, ehe das Kind der Hausherrin geboren war. Das Haus befand sich in einer gefährlichen Lage: Erdgeister und Elfen lauerten auf den Ankömmling, um ihn sich zu schnappen.

»Ein Mädchen!« sagte Merikirja verbittert, während sie das kleine, zappelnde Wesen entgegennahm. »So viel Aufhebens um nichts als ein jämmerliches Mädchen. So klein wie eine Maus.«

Die Schwiegermutter wartete darauf, dass die Nabelschnur aufhörte zu pulsieren, band sie mit einer Sehne ab, biss sie durch und übergab das Kind einer alten Sklavin zum Waschen. Die Nachgeburt kam fast sofort hinterher. Suvivilja wirkte überraschend munter, nachdem sie von dem Kind entbunden war. Mit lauter Stimme verlangte sie nach Bier. Ein kleines Sklavenmädchen brachte ihr einen hölzernen Becher.

»Mädchen oder Junge«, sagte die junge Mutter trotzig, »immerhin lebt es.«

Das Neugeborene schrie wütend.

»Gib es mir, liebe Schwiegermutter«, bat Suvivilja. »Es hat Sehnsucht nach mir.«

»Der Herr des Hauses sprach vor seiner Abreise von einem Sohn«, sagte Merikirja langsam. »Vielleicht meinte er damit, dass ein Mädchen im Hause nicht aufgenommen wird.«

»Nein!«

»Einen solchen Beschluss ohne Anhörung der Weisen zu fassen, ist schwierig«, überlegte die Schwiegermutter, so als wäre Suvivilja gar nicht da.

»Ich bin die Herrin«, keuchte Suvivilja von den Schwitzbänken her. »Ich entscheide über das Leben meines Kindes.«

»Ari Fernfuß ist mindestens ein Jahr lang fort.«

»Gib mir das Kind!«

»Wir müssen den Wahrsager holen«, entschied die Schwiegermutter. »Er soll entscheiden, was wir mit dem Kind machen.«

Merikirja legte das gewickelte Kind in einen Holzzuber.

»Der Wahrsager ist vom Alter verwirrt und tut, was du willst, Schwiegermutter«, behauptete Suvivilja. »Das Kind ist frei, gesund und aus guter Familie. Ein solches Kind setzt man nicht aus.«

Aber die Schwiegermutter hatte einen Beschluss gefasst und ließ nicht davon ab. Der Wahrsager musste geholt werden. Auf diese Weise konnte Merikirja die Verantwortung für das Schicksal des Kindes jemand anderem aufbürden. Ari Fernfuß konnte bei seiner Rückkehr unzufrieden sein, weil man das Mädchen am Leben gelassen hatte, oder er konnte böse sein, weil man ein brauchbares Kind ausgesetzt hatte. So oder so, die Schuld lag bei dem Wahrsager und dadurch beim Schicksal, das der Mensch nicht beeinflussen konnte.

Suvivilja blieb in der Sauna allein. Das Kind lag im Bottich, es schlief wohl, denn es war still. Suvivilja hätte aufstehen und das Kind zu sich holen können. Aber sie tat es nicht. Dadurch, dass man den Wahrsager rief, rief man zugleich eine mächtige und unberechenbare äußere Kraft in das Leben des Kindes, vor der seine Angehörigen sich beugen mussten.

 

Gilbert von Wildham glitt wie ein Gespenst in die dämmerige Sauna. Auf den Schwitzbänken stand in einer Tonschüssel Seife, und deren angenehmer Kräuterduft vermischte sich mit dem Rauchgeruch. Aus dem Schatten war ein gleichmäßiges Schnaufen zu hören: Das Neugeborene atmete im Bottich. Gilbert der Sklavenpriester spähte nach dem Kind. Eine heftige Erregung wallte in ihm. War es nicht gerade sein Gebet gewesen, das die Geburt hatte gut verlaufen lassen? Hatte er nicht ein größeres Recht an diesem Kind als die elenden Heiden?

Auf den Schwitzbänken raschelte es, als Suvivilja sich anders hinlegte. Gilbert von Wildham trat zu der jungen Herrin. Suviviljas Haare schimmerten in der Ecke im eigenen Licht. Der Sklavenpriester griff nach der Hand der Frau, berührte ihren Arm und stöhnte.

»Erbarme dich meiner, Herr«, flüsterte er in seiner weichen Sprache. Suviviljas Hand ruhte unbeweglich in seiner Faust. »Ich bin schon tot. Warum führst du mich noch in Versuchung?«

Aber in seinem Herzen wusste Gilbert von Wildham, dass er nicht tot war. Er war ein Sklave, und man konnte ihn jederzeit töten. Aber sein magerer, zäher Körper lebte heftiger denn je. Gilbert hatte seine schreckliche Sünde fast vergessen, die, um deretwillen er hierher geraten und den hartherzigen Heiden der Ultima Terra ausgeliefert war. Neue Sünden, eine schwerer als die andere, verfolgten den einsamen Christen so begierig, dass er gar nicht dazu kam, die alten zu bereuen, da die Zeit damit hinging, gegen die neuen anzukämpfen.

Nach den Ebenen von Chester sehnte Gilbert von Wildham sich nicht mehr. Er war freiwillig aus England fortgegangen so wie zahllose Mönche und Priester. Docete omnes gentes! lautete das Gebot, und Gilbert von Wildham war auf das Gebot Gottes und König Knuts hin ausgezogen, um alle Welt zu Jüngern Christi zu machen.

Der Teil, der Gilbert von Wildham zufiel, war das Ende der Welt, das ferne Nordland. Gilbert rebellierte nicht; die peregrinatio pro amore Dei führte die missionierenden Mönche dorthin, wo Gott befand, sie zu brauchen. Einen besseren Ort als Arantila am Aurafluss konnte der Schöpfer dem elenden Brudermörder gar nicht gewähren. Jeder einzelne Tag war ein Kampf für den Glauben und gegen die bösen Kräfte.

Jeden Morgen, jeden Tag und jeden Abend betete Gilbert, der Sklavenpriester, für die Seele seines Bruders Alfric. Sicherlich war Alfric schon so fromm wie eine Seele nur sein konnte: Er war noch ein Kind gewesen, als Gilbert ihn ertränkt hatte, und noch gar nicht dazu gekommen, viele Sünden zu begehen.

Gilbert von Wildham war ein Edelmann, der einer Familie aus Mercia in England entstammte. Die Wurzeln der Herren von Wildham reichten weit in ferne heidnische Zeiten zurück, da die Angeln und Sachsen die blühende Insel Britannia eroberten. Chester war immer ihre Heimatgegend gewesen; sie waren verständige Leute, blieben, wo sie waren, kultivierten das Land und verteidigten ihr Eigentum ohne viel Worte gegen die Leute aus Wessex und gegen die Normannen, ohne Heldentum, aber wirkungsvoll.

Gilbert war der älteste Sohn von Wildham. Er hatte keine Lust, auch nur ein Stückchen von dem Gut seinem kleinen Bruder, dem Sohn der zweiten Frau seines Vaters, abzugeben.

Alfric war ein unerfreuliches Kind, eine blasse Schnupfnase, das die Frauen des Guts mit seinen weinerlichen Forderungen beherrschte. Gilbert, klug, gelehrig und energisch, blieb stets im Schatten dieses Schreckensherrschers. Es half nichts, dass Gilbert ebenso gut lesen wie das Schwert zu führen verstand, dass er schön sang und seinen Eltern bei den Mahlzeiten gewandt aufwartete. Alfric war der Mittelpunkt, weil seine Mutter jung und drall war und verführerisch kicherte.

Da Gilbert sich für seine Eifersucht nicht an seiner Stiefmutter rächen konnte, stieß er seinen Bruder in die Tiefen des schwarzen Fischweihers.

Da sprach Gott zu Gilbert.

»Mein Zorn wird dich verfolgen, wohin du auch gehst!«

Gilbert floh vor dem Zorn Gottes. Er lief, bis er zu dem armen Kloster Lowmark kam, wo er Diener der fünf zerlumpten Mönche wurde. Er diente sich bis zum Benediktinermönch hinauf. Er lief von einem Kloster ins nächste, er lief nach Canterbury, studierte und wurde Priester, er lief von Kirche zu Kirche, von Altar zu Altar. Er war erschöpft, als Gott ihn endlich begnadigte.

 

Der große König Knut, der über England und Dänemark herrschte, war selbst ein Normanne, aber auch ein frommer Christ. Er wollte die Botschaft vom Weißen Christus in der Finsternis des Nordens verbreiten.

Gilbert von Wildham und seine begeisterten Freunde machten sich auf die Reise und träumten dabei von der Märtyrerkrone. Manch einer, zumindest Gilbert, ging dabei in Gedanken noch weiter: Von der Märtyrerkrone war es nicht weit zum Glorienschein des Heiligen. Diese Gedanken bekannte man nicht einmal in der Beichte. Aber man hatte sie im Sinn, und sie trieben die Entschlossensten immer weiter in die Länder der Heiden hinein.

Ein Wandel vom Brudermörder zum Heiligen war nicht unmöglich, wenn es grausame Heiden gab, bei denen man die Drecksarbeit machen konnte. Gilbert von Wildham begriff, dass Gott ihm eine einzigartige Gelegenheit bot.

Ein Teil der Prediger blieb in Norwegen, wo König Olaf der Dicke die Normannen taufte, indem er ihnen die Arme brach und die Augen blendete. Die mutigsten Priester wanderten gen Osten nach Svetiod, das heißt nach Schweden. Dort gab es zwar einen christlichen König, aber es gab noch reichlich Heiden, die getauft werden mussten. Die Schweden gehorchten ihrem König nur dann, wenn es ihnen passte, und Odins Macht war in Svetiod am stärksten.

Gilbert von Wildham lernte in West-Götaland Dominus Turgot kennen, der eine Art Bischof war.

»In meinem Bistum dürfte es mehr Heiden als Christen geben«, sagte der Bischof traurig. »Jeder Prediger wird hier gebraucht.«

Gilbert begnügte sich nicht mit West-Götaland, wo viele christliche Güter, ein christlicher König und sogar ein Bischof einen gewissen Schutz boten.

»Herr, ich will dorthin, wo es am schwierigsten ist.«

»Auf dir lastet eine schwere Sünde«, erkannte der Bischof. »Geh nach Uppland. Dort gibt es die schlimmsten Heiden von ganz Svetiod, und im Herzen von Uppland haben sie ihren abscheulichen Tempel. Verbrenne ihn.«

Gilbert von Wildham dankte für den Rat. Aus demjenigen, der den Heidentempel verbrannte, würde sicherlich ein Märtyrer und wahrscheinlich ein Heiliger.

Gilbert war noch nicht weit von Skara, als man ihn überfiel und verprügelte. Er setzte die lange und mühsame Reise nach der Stadt Sigtuna fort, von wo man, wie es hieß, auf dem Wasserwege direkt zum Goldenen Tempel von Uppsala gelangte. Vor Sigtuna wurde er erneut überfallen, gebunden und in ein Schiff geworfen. Als er sich ein wenig erholt hatte, setzte man ihn an die Ruder. Er ruderte und betete tagelang, bis das Schiff einen unbekannten Fluss hinauffuhr und in einem fremden Hafen anlegte. Da floh Gilbert von Wildham; er schätzte, dass er Gott als Prediger mehr Nutzen denn als Ruderer bringen würde.

Gilbert war verblüfft, als er bemerkte, dass er in ein Land gekommen war, wo eine fremdartige Sprache gesprochen wurde. Für die englischen Priester war es leicht gewesen, den Normannen zu predigen, denn ihre Sprache war fast genauso wie die der Bewohner des Nordlandes; beide verstanden einander.

Gilberts Freiheit dauerte nur kurz. Er befand sich in einer kleinen Handelsniederlassung, die von einer Palisade eingefriedet war und auf einer Landzunge zwischen zwei Flüssen lag. Da Sommer war und die Zeit lebhaftesten Handels, herrschte in dem Ort ein regelrechtes Gedränge von Handwerkern und Händlern. Sie starrten Gilbert verwundert an, als er erst auf englisch zu singen und dann zu predigen begann. Niemand verhielt sich bedrohlich. Gilbert machte weiter, bis seine Stimme versagte. Da machte er sich auf die Suche nach etwas zu essen, trat in ein Loch in der Straße und verrenkte sich den Knöchel. Hilflos saß er auf der fremden Straße, bis er zum dritten Mal überfallen wurde.

 

Gilbert von Wildham war zwei Jahre lang Sklave in Nummi auf dem Gut Arantila am Aurafluss. Er versuchte nicht zu fliehen. Gottes Absicht war für ihn klar: Gilberts Aufgabe war es, dieses mächtige Haus zum Christentum zu bekehren. Wenn das gelänge, würden andere diesem Beispiel folgen.

Der Aurafluss strömte durch ein Land, das Suomi, Finnland, hieß. Die Menschen waren hellhäutig, sie hatten weiße Haare und fahle, gefährliche Augen. Vor ihnen fürchtete sich Gilbert der Sklavenpriester, denn aus diesen Augen konnte man nicht erraten, was ein Finne dachte. Die Finnen waren stattlich und kriegerisch, schweigsam und die grauenhaftesten Heiden, die man sich vorstellen konnte.

Gilbert wusste von den Abgöttern der Normannen, von Odin und Thor und der lüsternen Freya. In England hatte er es gar nicht vermeiden können, sie kennenzulernen. Im östlichen Teil des Landes, in Danelagh, wohnten Tausende von Normannen mit ihren Familien. Odin, so furchterregend und böse er auch sein mochte, war doch nur einer der Abgötter, die Christus wahrhaftig besiegt hatte.

Aber die Finnen verehrten ihre Toten, beschworen ganze Sippen von Toten aus ihren feuchten Gräbern herauf und pflegten Umgang mit ihnen wie mit ihren Nachbarn. Und was noch schlimmer war, sie verehrten Tiere, Raubtiere des Waldes, riefen sie zu sich und opferten ihnen. Die eine Hälfte der Finnen waren Zauberer, die die Zukunft vorhersagten und der anderen Hälfte Glück zauberten.

Das alles löste bei Gilbert von Wildham Entsetzen aus. Es war, als berührten die Beschwörungen etwas Geheimes und Entsetzliches in seinem eigenen christlichen Sinn; so als wäre irgendwo in Gilberts Innerstem ein verborgener Brunnen, aus dem die Schrecken der Urzeiten aufsteigen wollten. Der Brunnendeckel blieb durch das Gewicht endloser Gebete geschlossen. Die Finnen aber blickten direkt in die Tiefe ihres eigenen Brunnens und genossen das.

Gilbert der Sklavenpriester kämpfte gegen die Zauberei der Finnen an, indem er den Sieg des Weißen Christus verkündete. Er lernte die Sprache recht gut, da er sie ständig hören musste. Sobald er es vermochte, begann er von Sünde und Rettung zu erzählen. Da widerfuhr ihm neues Entsetzen.

»Ach, ein christlicher Priester? Die gab es in Derbend kaum. Im Westen sollen sie den rechtgläubigen Kriegern Allahs viel Schaden zugefügt haben, damals, als ich in der Leibgarde des Khans von Derbend diente.«

Die Angelegenheiten von Arantila wurden eigentlich vom Bruder des Vaters des jungen Ari Fernfuß geführt, der den Namen Vallittu trug. Dieser Vallittu hatte die Welt durchwandert, so weit sie reichte, im Osten bis zur Mündung der Wolga und von dort bis zum Salzmeer der Chasaren, dessen Ufer von den wilden Sarazenen beherrscht wurden. Vallittu war ein Krüppel, sein Rücken war krumm, und er konnte nicht mehr in den Krieg ziehen. Aber er war sorgfältig und gewissenhaft und diente unermüdlich seinem Heimathause Arantila.

Gilbert von Wildham hatte noch nie einen Sarazenen gesehen. Er hatte jedoch von diesen Ungläubigen erzählen hören, die Jerusalem und das Grab des Erlösers beherrschten. Verzaubert betrachtete er Vallittu, und ihm kam ein sündig stolzer Gedanke: Wenn die Bekehrung der Heiden verdienstvoll war, war es dann nicht noch viel lobenswerter, Christus einen ungläubigen Sarazenen zuzuführen?

Vallittu schien die Gedanken des mit offenem Mund gaffenden Sklaven zu verstehen.

»Ich bin auch schon Jude gewesen«, prahlte Vallittu. »Die Chasaren hielten die Juden hoch in Ehren, und ihre Herrscher glaubten an Jahve, den Gott der Juden. Also habe ich damals in Itil auch Jahve verehrt.«

Gilbert zuckte nervös mit den Lidern.

»Im Land der Rus habe ich natürlich Perun und den Söhnen Svarogs geopfert«, fuhr Vallittu bösartig fort. »Das geschah, bevor Fürst Wladimir sein Volk zum Christentum zwang.«

Gilbert von Wildham verstand, dass es hier den Acker zu bestellen galt, den Gott für ihn vorgesehen hatte. Vallittu hörte Gilbert gern zu und fragte den Sklaven nach seinem Heimatland; im Westen war Vallittu niemals gewesen. Allmählich begriff Gilbert, dass seine Bekehrungsversuche vergeblich waren. Vallittu glaubte an keinen Gott und hielt nur die Toten seiner eigenen Familie für heilig. Aber Vallittu schützte Gilbert den Sklavenpriester vor der Missgunst der anderen Sklaven und den Wutanfällen der alten Herrin Merikirja. Es war möglich, dass Vallittu den Sklaven regelrecht gern hatte. Zumindest sorgte er dafür, dass Gilbert immer zu essen und im Winter warme Kleider hatte.

In Suvivilja erblickte Gilbert von Wildham endlich den ersten Hoffnungsfunken. Die junge Herrin von Arantila war einsam und fühlte sich in ihrem neuen Zuhause nicht wohl. Die Frau war oberflächlich und leicht zu lenken. Gilbert der Sklavenpriester begann seine Bekehrungsarbeit, indem er ihr spannende Geschichten von Christus und den Heiligen erzählte, so wie man es ihm in Canterbury geraten hatte. Die einfachen Heiden liebten Geschichten mehr als jeden anderen Zeitvertreib, abgesehen vom Kriegführen.

Suvivilja war entzückend und weich, anders als die kalten und stillen Finnen. Der Sklavenpriester redete und redete. Während er sprach, sah er sie an, bis er begriff, dass er sie allzu leidenschaftlich ansah.

 

Das Kind im Bottich meldete sich. Gilbert von Wildham ließ eilig Suviviljas Hand los. Dieses einzige Mal hatte er Suvivilja berührt; das war ein Grund, den Sklaven zu töten, falls die Herrin es so wollte.

Gilbert wandte sich in der Sauna mit den vom Rauch rußigen Wänden hilflos hin und her. Ihm war ängstlich zumute. Irgendetwas musste er tun, aus irgendeinem Grund war er in die Sauna gekommen, aber Suviviljas Anblick hatte ihn aus der Fassung gebracht.

Das Kind.

Gilbert von Wildham bückte sich und nahm den Säugling auf den Arm. Hell schimmerte das kleine Gesicht aus dem Leinentuch hervor. Gilbert sah die Herrin an. Suvivilja lag unbeweglich auf der Schwitzbank. Sie hatte die Augen offen, sagte aber nichts.

Der Sklavenpriester hob die Hand und segnete das Wasser in dem Zuber, der neben dem Saunaofen stand. Eilig löste er die lose Windel und tauchte das Kind ins Wasser, hob es heraus und wiederholte das noch zweimal, bevor es schreien konnte.

»Ich taufe dich auf den Namen Godgifu im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.«

Es war getan. Nichts konnte dieses Kind mehr Gott rauben. Die Mutter des Kindes sagte immer noch nichts.

»Godgifu ist meine Sprache und bedeutet Gottesgeschenk«, erklärte der Priester. »Das war der Name meiner Mutter.«

Das Kind nieste. Von draußen hörte man Stimmen, und Suvivilja bewegte sich unruhig. Gilbert wickelte das Kind ungeschickt wieder in seine Windel. Er legte es zurück in den Bottich und schlug noch das Kreuz über ihm.

»Dominus tecum, filia mea. Der Herr sei mit dir, meine Tochter.«

Danach war Gilbert der Sklavenpriester bereit, den Märtyrertod zu sterben.

 

Zusammen mit dem Wahrsager betrat viel Volk die Sauna. Alle drängten sich in das geräumige Gebäude, um bei der Namensgebung dabei zu sein. Neugier erweckte bei ihnen außerdem die Ahnung, dass etwas Außergewöhnliches geschehen könnte: Die alte Herrin hatte davon gesprochen, dass das Kind ausgesetzt werden könnte. Niemand konnte sich daran erinnern, dass in Arantila jemals so etwas getan worden wäre. Vielleicht hatten die Ärmsten in ihrer Not mal ein Neugeborenes in den Sumpf gebracht, aber auch für sie war es vernünftiger, ihre überzähligen Kinder als Sklaven zu verkaufen. In den mächtigen Häusern waren die Kinder ein teures Gut, das die Kraft der Familie stärkte.

Der Wahrsager war ein alter Mann und trotz der Hitze prächtig in ein Pelzgewand gekleidet. Er war mager, hochgewachsen und geradrückig und strahlte eine Würde aus, die die Leute von Arantila dazu brachte, sich demütig vor ihm zu verneigen.

Merikirja tat so, als wäre der Wahrsager ihr Eigentum. Die alte Herrin nahm das Kind aus dem Bottich auf, zeigte es dem Wahrsager und sagte, dass der Herr von Arantila bei seiner Abreise von einem Sohn gesprochen habe.

»Ich hätte befohlen, dieses wertlose Wesen fortzuschaffen, aber es ist gut, wenn du das bestätigst für den Fall, dass es mit der Familie der Schwiegertochter einmal zum Streit darüber kommt.«

Der Wahrsager besah sich das Kind, dem man einen in Brei getauchten Lappen zum Saugen gegeben hatte.

»Dies ist ein ungewöhnlich schönes Kind«, sagte der Wahrsager. Man konnte seiner Stimme anhören, dass es ihm nicht gefiel, wie Merikirja mit ihm umsprang.

»Aber ein Mädchen«, sagte Merikirja eigensinnig.

Der Wahrsager schüttelte heftig den Kopf.

»Sei still, Frau.«

Der Wahrsager nahm ein Ledersäckchen, das er um den Hals trug, hielt es in der Hand und begann, Zaubersprüche herzusagen. Er hatte eine gewaltige, schallende Stimme; es war seltsam, dass aus einem so mageren Mann eine Stimme kam, die wie das Dröhnen einer großen Trommel klang. Das Zaubern dauerte lange. Währenddessen schüttete der Wahrsager mehrmals den Inhalt des Ledersäckchens aus und betrachtete die zu Boden gefallenen Gegenstände: Steine, Knochen, kleine Holzskulpturen und Lederstückchen, steckte sie zurück in den Beutel und schüttete sie wieder aus.

Die Menschen verfolgten die Handlung voller Ehrfurcht. Das unberechenbare Schicksal bestimmte die Anordnung der Zaubermittel. Der Wahrsager las daraus die Zukunft des Kindes.

Das Kind im Bottich begann zu schreien. Endlich legte sich der Wahrsager das Riemchen des Beutels wieder um den Hals.

»Das Kind ist ein Nachkomme zweier mächtiger Familien. Es hat besondere Fähigkeiten, die beiden Familien Nutzen bringen werden.«

Suvivilja hatte sich auf der Schwitzbank aufgesetzt.

»Mein Vater stammt aus der Familie der Gesetzeskundigen von Tavastland.«

»Das Gesetz lernt man«, sagte der Wahrsager. »Dazu ist jedermann in der Lage.«

»In der Familie meiner Mutter gibt es Wind- und Nebelmacher.«

Der Wahrsager nickte.

»Das Kind soll seinen Namen nach deiner Mutter bekommen.«

»Meine Mutter ist Terhi aus Viljattula von Tyrväntö.«

»Deine Tochter soll Terhen, Nebelmädchen, heißen. Mit ihrem Nebel soll sie ihre Familie vor neidischen Blicken und bösem Willen schützen. Gebt das Kind seiner Mutter.«

Die Worte des Wahrsagers wurden immer befolgt, denn der Wahrsager war derjenige, der den höchsten Willen, den Willen der Ahnen, auslegte. Mit saurer Miene nahm Merikirja das Kind aus dem Bottich und brachte es Suvivilja.

Suvivilja sah ihre Schwiegermutter hochmütig an. Sie hatte gesiegt, und sie würde dafür sorgen, dass die Schwiegermutter das niemals vergaß.

3. Kapitel – 1021

»Ein Schiff! Der Herr kommt vom Ostweg zurück!«

Suvivilja wandte sich sofort vom Webstuhl ab. Sie reckte ihre schmerzenden Arme.

»Ilo, ich muss mich ankleiden.«

Die Sklavin half der Herrin, ihr braunes Alltagsgewand auszuziehen. Über das weiße Leinenhemd zog sie ein grünes, langärmliges Wollkleid. Um das Kleid wurde unter den Achseln ein dunkelblauer Überrock mit kunstvoll gewebten Rändern gewickelt, der nur aus einem rechteckigen Stoffstück bestand. Der Überrock wurde auf den Schultern mit zwei Bronzefibeln befestigt. Die Fibeln waren durch eine doppelte Bronzekette miteinander verbunden, die auf die Brust hinab hing. Sie klirrte, wenn Suvivilja sich bewegte. Von beiden Fibeln hingen neben den Achseln zwei Ketten, die bewirkten, dass der steife Stoff am Körper anlag. An den Ketten waren kleine Gegenstände, Schellen, Bronzevögel, eine kleine Schere und ein Nadelbehälter aus Bronze befestigt.