3Neuroenhancement

Die philosophische Debatte

Herausgegeben von Klaus Viertbauer und Reinhart Kögerler

Suhrkamp

7Danksagung

Die Initiative zu diesem Band geht auf ein von Reinhart Kögerler und Klaus Viertbauer für das Forum St. Stephan organisiertes und vom Otto Mauer Fonds (Wien) finanziertes Symposion zur Frage »Das autonome Subjekt?« in Salzburg aus dem Februar 2015 zurück. Wesentliche Anregungen zu dieser fortführenden Publikation verdanken sich den damaligen Teilnehmern Dieter Birnbacher, Michael Pauen und insbesondere Reinhard Merkel. In allen Stadien des Projekts durften wir auf die tatkräftige Unterstützung von Lisa Simmel zählen. Unser ausdrücklicher Dank für die Realisierung des Projekts ergeht an Eva Gilmer, Philipp Hölzing und Jan-Erik Strasser von Suhrkamp für ihre Geduld und Umsicht bei der Erstellung dieses Bandes sowie an Letzteren auch für die Anfertigung der Übersetzungen.

9Klaus Viertbauer und Reinhart Kögerler

Neuroenhancement als philosophisches Problem

Unter Enhancement versteht man im gegenständlichen Umkreis den teils pharmakologisch, teils technisch realisierten Versuch der Leistungssteigerung eines menschlichen Organismus. Beim Neuroenhancement geht es dann speziell um das Zentralnervensystem, es zielt also auf die Erhöhung bestimmter mentaler Fähigkeiten des Menschen (etwa Aufmerksamkeit, Gestimmtheit oder Kreativität). Da das Enhancement grundsätzlich nicht auf die Wiederherstellung, sondern auf die Verbesserung eines Zustandes zielt, ist es von der Therapie abzugrenzen.[1] Mit dem Neuroenhancement wird ein vielschichtiges und interdisziplinäres Phänomen in den Blick genommen, dessen empirische Seiten von Disziplinen wie Medizin, Pharmazie, Neurologie oder Psychologie ausgelotet werden: Diese entwerfen deskriptive Szenarien der Verbesserung der menschlichen Kognition durch die Wirkung bestimmter Substanzen und Techniken.[2] Dies ist nicht das Thema des vorliegenden Bandes. Hier geht es – wie der Untertitel ankündigt – um den philosophischen Diskurs und somit um normative Fragen, die die ethische Relevanz und mögliche gesellschaftliche Folgen in den Blick nehmen. Den Hintergrund bilden Fragen der modernen Anthropotechnik nach den Grenzen der menschlichen Gattung.

101. Das Dilemma der Gattungsethik

Seit jeher begreift sich der Mensch als ein Wesen, das sich von anderen unterscheidet, indem es sich von diesen als eigene Gattung abgrenzt und entgegensetzt. Unsere Kultur beruht auf einer ontologischen Differenz: Auf der einen Seite steht der Mensch, auf der anderen Seite Tiere und Pflanzen. Diese gelten gemeinhin als Lebewesen, denen grundsätzlich ein geringerer Wert beigemessen wird. Besagte Unterscheidung ist kulturell tief verwurzelt, wie sich bereits an den für Christentum und Judentum gleichermaßen verbindlichen Schöpfungsberichten ablesen lässt. Im priesterschriftlichen Schöpfungsbericht (aus dem sechsten vorchristlichen Jahrhundert) wendet Gott sich unmittelbar an den Menschen:

Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen. […] Hiermit übergebe ich euch alle Pflanzen auf der ganzen Erde, die Samen tragen, und alle Bäume mit samenhaltigen Früchten. Euch sollen sie zur Nahrung dienen.[3]

Ähnliche Gedanken finden sich im Hellenismus und später im Koran. Selbst der aus der Aufklärung hervorgegangene moderne Rechtsstaat erkennt lediglich Menschen als Rechtspersonen an; die Interessen von nichtmenschlichen Lebewesen, etwa die der anderen höher entwickelten Wirbeltiere, regelt ein rudimentäres Tierschutzgesetz. Diese Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen. Eine derartige ontologische Vorrangstellung der menschlichen Spezies lässt sich mittels Erkenntnissen der Genetik hingegen nicht stützen – so beträgt der Unterschied zwischen den Genpools von Menschen und Schimpansen weniger als 2 %! Das seit dem 18. Jahrhundert mit empirischen Fakten stetig angereicherte Evolutionsparadigma geht bekanntlich von einem gemeinsamen Ursprung aller Arten und von fließenden Übergängen zwischen diesen aus. Woher bezieht dann aber die Abgrenzung von Mensch und Tier ihre Berechtigung? Wie lässt sich auf dieser Grundlage überhaupt noch von einer menschlichen Gattung sprechen? Und ist mit dem Menschen bereits die Spitze der Evolution erreicht?

Grundsätzlich bestimmt sich der Mensch in der Abgrenzung 11vom Tier her als autonomes Subjekt. Aus der Autonomie leitet der Mensch für sich normative Grundwerte wie etwa die Menschenwürde oder den Personenstatus ab. Dieses Menschenbild ist das Ergebnis eines langen Transformationsprozesses religiöser und säkularer Wertvorstellungen.[4] Vor diesem Hintergrund setzt der vorliegende Band an: Er fragt, inwiefern diese Vorrangstellung durch die Selbstmodellierung des Menschen in Form von Neuroenhancement in Frage gestellt wird. Konkret geht es dabei um normative Fragen, die die Auflösung der Grenze von Mensch, Tier – und Maschine! – anvisieren: Löst sich mit der Veränderung der Begriffe von Autonomie und Authentizität die menschliche Gattung als solche auf? Befinden wir uns auf dem Weg zu einer gänzlich neuen Lebensform, ja, besteht vielleicht sogar eine moralische Pflicht zu einer solchen Weiterentwicklung?

2. Drei Problemfelder

Fragen wie diese sind prägend für die Debattenlage der modernen Bioethik. Peter Singer hat in diesem Zusammenhang vorgeschlagen, die Begriffe von Mensch und Person zu entflechten:

Wir haben gesehen, dass der Begriff »menschlich« zwischen zwei verschiedenen Bedeutungen schwankt: Mitglied der Spezies »Homo Sapiens« einerseits und Person andererseits. […] Die Auffassung, die bloße Zugehörigkeit zu unserer Spezies, ungeachtet aller anderen Eigenschaften, sei von entscheidender Bedeutung für die Unrechtmäßigkeit des Tötens, ist ein Erbe religiöser Lehren, die selbst [Kritiker] nur noch zögernd ins Gespräch bringen.[5]

Demgegenüber wird häufig auf Kants Selbstzweckformel verwiesen: »Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.«[6] Der Kern des Streits besteht in 12der Frage, ob sich die Begriffe von Mensch und Person stets decken oder ob sich Fälle ausmachen lassen, in denen ein Mensch keine Person oder eine Person kein Mensch ist. Während deontologische Ethikentwürfe (wie jener von Kant) den universellen Charakter von Normen in den Vordergrund stellen, setzt eine konsequenzialistisch verfahrende Moralbegründung (wie jene von Singer) stets beim konkreten Fall an und prüft, ob die Interessen aller Betroffenen bestmöglich berücksichtigt werden. Ist es nun moralisch legitim, mit Blick auf die Betroffenen eine Grenze bei der menschlichen Gattung zu ziehen? Singer bestreitet dies mit Hinweis auf die Leidensfähigkeit von Tieren:

Ein Stein hat keine Interessen, weil er nicht leiden kann. Nichts, das wir ihm zufügen können, würde in irgendeiner Weise auf sein Wohlergehen Einfluß haben. Eine Maus dagegen hat ein Interesse daran, nicht gequält zu werden, weil sie dabei leiden wird. Wenn ein Tier leidet, kann es keine moralische Rechtfertigung dafür geben, sich zu weigern, dieses Leiden zu berücksichtigen. Es kommt nicht auf die Natur des Wesens an.[7]

Der Schachzug, einem Status quo »Natürlichkeit« zu attestieren, die es grundsätzlich zu bewahren gilt, verbietet sich im bioethischen Diskurs:

Vergegenwärtigt man sich die ethische Diskussion des zurückliegenden Jahrhunderts, gewinnt man den Eindruck, dass Natürlichkeit als Bewertungsprinzip – zumindest in der akademischen Ethik – ein für allemal diskreditiert ist. Als Beurteilungsprädikat für menschliches Verhalten spielt Natürlichkeit seit längerem keine nennenswerte Rolle mehr. Statt als Leitlinie menschlichen Verhaltens zu dienen, muss im Gegenteil jeder Versuch, Natürlichkeit als moralisches Kriterium zu etablieren, auf Kritik gefasst sein und mit dem Einwand rechnen, dass jeder solche Versuch die illegitime Ableitung eines Sollens aus einem bloßen Sein involviert und insofern einen »naturalistischen Fehlschluss« begeht.[8]

13Natürlichkeit ist kein normativer Wert, der a priori vorliegt, sondern beschreibt Wertvorstellungen, die selbst im Rahmen von Sozialisationsprozessen a posteriori gewachsen sind. Vor diesem Hintergrund ist man gefordert, konkrete Werte zu identifizieren und entlang dieser den moralischen Status auch von Techniken oder Handlungen wie der Selbstmodellierung zu diskutieren. Dazu bieten sich wohl primär die Werte von Autonomie und Authentizität an. Im Hinblick auf eine aus den Fugen geratende Welt stellt sich des Weiteren die Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz. Entlang dieser Punkte werden die Debatten über die moralische Legitimität des Neuroenhancements geführt.

Autonomie

Autonomie ist ein gleichermaßen schwieriger wie vielschichtiger Begriff. Die neuzeitliche Prägung, die er unter anderem in den Schriften Kants erfuhr, muss mit den neurowissenschaftlichen Befunden in Übereinstimmung gebracht werden.[9] Eine Zäsur in der Debatte bilden die in der Durchführung und Interpretation hochumstrittenen Experimente von Benjamin Libet sowie jene von Patrick Haggard und Martin Eimer.[10] Libet forderte in seinen bekannten Versuchen Probanden auf, zu einem selbstgewählten Zeitpunkt eine Handbewegung auszuführen. Dabei sollten sie sich mit Blick auf eine vor ihnen stehende Uhr merken, wann ihnen bewusst wird, dass sie die Handbewegung ausführen wollen. Parallel schloss Libet seine Probanden an ein EGG an, um ihre Hirnströme zu messen. Dabei zeigte sich, dass die Probanden als Zeitpunkt, an dem ihnen bewusst wurde, eine bestimmte Handlung ausführen zu wollen, 200 ms vor der tatsächlichen Bewegung ansetzten, sich im EGG jedoch bereits 550 ms vor der tatsächlichen Handlung ein Bereitschaftspotential einstellte. Die philosophische Diskussion entzündet sich demgemäß an den 350 ms zwischen Bereitschaftspotential und Willensbekundung. In der Phase der dazugehörigen Diskussionen im deutschsprachigen Raum plädierten Denker wie 14Wolfgang Prinz, Gerhard Roth oder Wolf Singer öffentlichkeitswirksam dafür, die Annahme menschlicher Willensfreiheit aufzugeben.[11] Dies brächte – so wurde sofort dagegen argumentiert – ungeahnte Konsequenzen für unser Menschen- und Weltbild mit sich, etwa die Preisgabe des Prinzips der Schuldfähigkeit.[12] Zwischenzeitlich hat sich die Debatte in etliche Unterpositionen ausdifferenziert. Während die einen die Vereinbarkeit von Willensfreiheit und Determinismus grundsätzlich leugnen, bemühen sich Kompatibilisten (oder »weiche« Deterministen) um einen Brückenschlag. In feinkörnigen Szenarien werden hier Begrifflichkeiten untersucht, mit deren Hilfe es vielleicht zu zeigen gelingt, wie sich autonomes Handeln vor dem Hintergrund neurowissenschaftlicher Befunde realisieren lässt. Besondere Brisanz erhält die Frage im Zusammenhang mit dem Neuroenhancement gerade dadurch, dass man hier gezielt versucht, bestimmte neurologische Zustände herbeizuführen. Mit anderen Worten: Ist es denkbar, dass durch die gezielte Erzeugung von Gehirn- bzw. Bewusstseinszuständen sich die Autonomie schrittweise auflöst? Und was bedeutete das für unser Menschenbild und unser Sprechen über Recht, Schuld und Würde?

Fragen wie diesen gehen Reinhard Merkel und Michael Pauen in ihren Beiträgen nach. An konkreten Beispielen untersuchen sie die Wechselwirkung von Neuroenhancement und Autonomie: Während Pauen eine skeptische Position einnimmt und dafür plädiert, dass die moralische Legitimität von Neuroenhancement an der Autonomie Maß zu nehmen hat, spricht Merkel sich für eine vorsichtige Öffnung aus. Beide Autoren vertreten dabei eine kompatibilistische Position.

15Authentizität

Authentizität avancierte in den vergangenen Jahren zu einem Modewort in unterschiedlichen akademischen Diskursen. Eine philosophische Konzeptualisierung findet sich nur vereinzelt, etwa bei Charles Taylor,[13] der den Begriff auf die Übereinstimmung einer Person mit ihren Interessen bezieht. Mit anderen Worten: Wenn bei einer Person die Handlung mit ihren Interessen übereinstimmt, gilt sie als authentisch, wenn sie wider diese handelt, droht sie sich zunehmend von sich selbst zu entfremden. Dabei beginnt das Selbstbild einer Person zu bröckeln: Pathologische Erscheinungen wie Verzweiflung und Angstzustände kennzeichnen diese Entwicklung.[14] Inwiefern sich ein Neuroenhancement auf das Selbst einer Person auswirken könnte, ist heftig umstritten. Im Anschluss an Peter D. Kramer wurde dies mit Blick auf das Antidepressivum Prozac diskutiert: Ist es legitim, Personen in einer Lebenskrise pharmakologische Stimmungsaufheller zu verschreiben? Oder soll man sie im Rahmen einer Therapie dazu bewegen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, um authentisch zu handeln?[15] Ein ähnliches Argument findet sich in der deutschsprachigen Debatte bei Jürgen Habermas, der in der Eugenikdiskussion zwischen dem Gewachsenen und Gemachten unterscheidet:

Denn mit der Entscheidung über sein [des Heranwachsenden] genetisches Programm haben die Eltern Absichten verbunden, die sich später in Erwartungen an das Kind verwandeln, ohne jedoch dem Adressaten die Möglichkeit zu einer revidierenden Stellungnahme einzuräumen.[16]

Die authentische Übereinstimmung einer Person mit bestimmten Interessen muss von dieser selbst stammen und kann nicht von 16Dritten – Eltern, Erzieher oder Lehrer – übernommen werden. Einer Person muss zumindest ein Vetorecht in Form einer Ja/Nein-Stellungnahme eingeräumt werden, damit sie sich ein bestimmtes Interesse als das ihre anzueignen vermag. Somit muss der Einfluss von Dritten im späteren Lebensverlauf grundsätzlich korrigierbar bleiben, andernfalls kommt es zu asymmetrischen Abhängigkeiten. Ob diese auch im Fall einer voreiligen pharmakologischen Indikation bestehen und ob Personen, die in Lebenskrisen mit Antidepressiva behandelt werden, authentisch zu sein vermögen, ist Gegenstand laufender Debatten.

In diesem Zusammenhang setzen die Beiträge von Dieter Sturma, aber auch von Reinhard Merkel an. Während Sturma zu zeigen versucht, dass das eigentliche Problem in der Authentizität besteht, sieht Merkel in dieser lediglich eine spezielle Ausprägung von Autonomie. Gemäß Sturma bleibt jedoch eine Selbstmodellierung nicht bei Einzelhandlungen stehen, sondern verändert den Menschen als Subjekt. Der Mensch ist das einzige Wesen, das sich selbst bestimmt und seinen Lebensplan gemäß den eigenen Interessen gestaltet. Vor diesem Hintergrund ist abzuwägen, ob ein Neuroenhancement den authentischen Blick auf die Wirklichkeit zu trüben vermag oder hilft, die Dinge klarer zu sehen.

Gesellschaftliche Konsequenzen

Eine Klammer zwischen Bio- und Gesellschaftsethik bildet die Debatte zwischen Julian Savulescu und Ingmar Persson einerseits und John Harris andererseits. Dabei geht es um die Frage, ob das Neuroenhancement vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Weltlage (Klimawandel, Hungersnöte, Terror etc.) im Sinne einer grundsätzlichen Verbesserung der menschlicher Moralität geboten erscheint oder nicht.[17] Während Savulescu und Persson dies befürworten, zeigt sich Harris skeptisch. Alle drei sehen unsere heutige Zivilisation zunächst vor großen Problemen stehend; als Ausweg empfehlen Savulescu und Persson nun eine pharmakologische Form von Neuroenhancement, um die Moralität der menschlichen 17Gattung zu verbessern. In diesem Punkt widerspricht Harris seinen Kontrahenten dann, indem er sich (unter anderem) auf die Authentizität beruft: Durch diese gattungsethische Modellierung würde in die Persönlichkeit des Individuums eingegriffen und dessen Authentizität so untergraben werden. Damit schließt sich der Kreis zum vorhergehenden Argument.

3. Ausblick

Ohne eine der im vorliegenden Band versammelten Sichtweisen zu favorisieren, erscheinen den Herausgebern die skizzierten Thesen als paradigmatisch. Sie verweisen auf ein grundsätzliches, sprich philosophisches Problem: Wie vermag die menschliche Gattung ihre Vorrangstellung in der Natur künftig zu begründen? Ist die neuzeitliche Denkform vom autonomen Subjekt endgültig gescheitert, oder erweisen sich mit Blick auf die Autonomiediskurse lediglich die Sprachspiele als feinkörniger? Befinden wir uns mit dem Neuroenhancement auf dem Weg zu einem neuen Menschenbild? Alles Fragen, die zu denken geben und die sich hier und heute nicht abschließend beantworten lassen und die dennoch gestellt werden müssen. Der vorliegende Band versteht sich als Gesprächsanstoß in diese Richtung.