Am Ende der Strecke

Für Karin, Lilià, Zara
und für Hermann

Nie hätten sie gedacht, dass es Tote gibt. Nie hatten sie gewollt, dass jemand ums Leben kommt. Auch nicht, wenn er es noch so verdiente. Sie wollten doch Leben schützen. Doch dann ging alles schief. Schiefer, als sie es sich je ausmalen konnten. Hätten sie doch nur eher aufgehört. Aber dafür war es nun zu spät.

Inhalt

1Neues Leben

2Pisspott

3Reden, kiffen, lieben

4Prüfung

5Feines Gespür

6Kleines

7Rostlaube

8Meisterschütze

9Schalter

10Elsass

11Rache

12Un, deux, trois

13Strecke

14Reagenz

15Gestanksalarm

16Schliefen

17Scheunentor

185.14

19Blut

20Premiere

21Ein Traum

22Pokerspieler

23Lueder

24Hüfte

25Tele

26Vergessen

27Sodom und Gomorra

28Scheiße

29Versehen

30In Gottes Namen

31Weichei

32E-Werk

33Demio

34Chiara

35Briefkasten

36Dreihundertneunzigtausend

37Früchtchen

38Klo im Nirgendwo

39Tolle Idee

40Jagdinstinkt

41Famiglia

42Fausto

43Höllental

44Wut

45Malaria und Erdbeben

46Kameraden

47Gesicht

48Der Osten schläft nicht

49Bacio

28Scheiße

Freitagmorgen. Jan kann nicht mehr schlafen. Immer wieder spukt ihm die Verfolgung durch die Jäger im Kopf herum. »Was wäre passiert, wenn die uns gekriegt hätten? Wären Alex und ich jetzt im Krankenhaus? Oder tot? Denen ist doch alles zuzutrauen. Und jetzt wissen die offenbar, wer wir sind, und wohl auch, wo wir wohnen. Woher nur? Wie können wir uns denn nun vor denen schützen? Zu den Bullen wollen die offensichtlich nicht rennen. Was sowohl gut ist, keine Fahndung, keine Festnahme, aber auch sehr schlecht, weil keine Kontrolle. Die Jäger können erstmal mit uns machen, was sie wollen – und das kann äußerst übel sein. Geübte Quäler und Mörder, die sie nun mal sind.« Jan weiß keine Lösung und er hat Angst. Um sich und die anderen, auch um die Hunde, aber daran will er gar nicht denken. Er braucht Luft, um den Kopf klarer zu bekommen.

Leise, um Steffi nicht zu wecken, steht er auf und zieht sich an. Mascha und Fiete ist das natürlich nicht entgangen, sie stehen schon schwanzwedelnd neben ihm. Wahrscheinlich hat Cindy ihn auch gehört, doch sie wird es sicher vorziehen, mit in Ninas Bett zu bleiben, solange die noch schläft. Sacht schließt Jan die Wohnungstür und sie gehen hinunter zum Auto. Es ist noch stockdunkel. Er fährt Richtung Merzhausen. Am Ende der Becherwaldstraße stellt er den Mazda Demio ab. Als Jan die hintere Tür öffnet, springen Mascha und Fiete begeistert hinaus und rennen gleich in den Wald, Richtung Rehbrunnen. Es beginnt gerade zu dämmern. Sie sind noch keine zehn Minuten unterwegs, Jan hängt seinen Gedanken nach, die Hunde erkunden den Wald rechts und links des Weges. Da erkennt Jan zwei Gestalten, die ihnen entgegenkommen. ›Hoppla‹, denkt er, ›wer ist denn so früh schon unterwegs? Und dann auch noch ohne Hund?‹ Als sie näherkommen, erkennt er, dass die beiden Männer Gewehre über der Schulter tragen. Jäger!

Jan sieht rot: »Was macht ihr mit den Dingern da über der Schulter?«, fragt er sie in drohendem Ton.

»Das geht Sie gar nichts an«, antwortet der eine und geht in Verteidigungsstellung.

»Und ob mich das was angeht!«, brüllt Jan, »verpisst euch aus unserem Wald, ihr Wichser!«

»Halts Maul, Bürschchen. Du kriegst erstmal eine Anzeige, weil du deine Köter wildern lässt.«

»Die tun keinem Wild was zuleide. Im Gegensatz zu euch Drecksmördern«, gibt Jan verächtlich zurück. Da legt der Jäger, der etwas abseitssteht, an und schießt auf Mascha. Die schreit auf und rennt weg. Aber das sieht Jan nicht mehr. Er stürzt sich mit Anlauf auf den Schützen, der durch den Aufprall auf den Rücken fällt. Jan wirft sich auf ihn und versucht, mit seinen Unterschenkeln die Beine des Mannes zu Boden zu drücken, seine rechte Hand umklammert seinen Hals und drückt ihn zu Boden. Der Jäger röchelt. Das Gewehr ist zwischen ihnen. Jan versucht mit der linken Hand den Lauf von sich wegzudrücken. Sein Gegner hält mit zusammengekniffenen Augen dagegen.

Plötzlich lässt der Widerstand kurz nach, das Gewehr rutscht zur Seite und es gibt einen ohrenbetäubenden Knall. Von einem Moment auf den anderen hört Jan nichts mehr. Alles ist still, nur ein Rauschen in seinem Kopf. Jan blickt in weit aufgerissene Augen. Alles passiert in Zeitlupe. Auf der linken Seite scheint Blut aus dem Kopf des Mannes unter ihm zu laufen. Dann ist das Rauschen weg und anstatt in Zeitlupe läuft jetzt alles ab wie im Zeitraffer. Jan rappelt sich auf und rennt los. Im Rennen ruft er mehrmals panisch nach den Hunden. Fiete ist sofort bei ihm. Nach kurzer Zeit auch Mascha, Gott sei Dank. An die Möglichkeit, dass der andere Jäger auf ihn schießen könnte, hat Jan überhaupt nicht gedacht. Aber der hat sich wohl direkt um seinen Kumpel gekümmert.

Am Auto angekommen reißt er die Hintertür auf. Die Hunde springen sofort hinein. Auch sie merken, wie ernst die Situation ist. Jan schmeißt sich auf den Fahrersitz und rast sofort los. Sie sind schon zehn Minuten unterwegs, als Jan registriert, wohin er überhaupt fährt. Er ist schweißgebadet. Er zittert, seine Zähne klappern. Erst jetzt fällt ihm ein, dass er gar nicht geguckt hat, ob Mascha verletzt ist. Aber soweit er das mitgekriegt hat, lief sie ganz normal und sprang ins Auto wie immer. Jan fährt noch weiter, bis zu einem Wanderparkplatz bei Staufen. Lässt die Hunde aussteigen und untersucht Mascha. Er findet nichts, sie scheint unverletzt.

Fiete und Mascha sind sehr verängstigt und bleiben nah bei ihm. Während er mit Mascha beschäftigt ist, leckt ihm Fiete über Wange und Ohr. »Danke, Mann«, flüstert Jan. Er könnte heulen oder sich einfach ins Gras legen und liegen bleiben. Doch er steigt wieder ein und steuert das Auto nach Hause. Auch wenn er sich später nicht mehr an die Fahrt erinnern kann.

»Oh Gott, was ist passiert?«, fragt Steffi, als Jan in die Küche kommt. Er will etwas sagen, fällt Steffi aber stattdessen um den Hals und beginnt zu heulen. Steffi schiebt ihn zum Sofa. Als Jan liegt, beginnt er stockend zu erzählen. »Du bleibst jetzt erstmal hier liegen«, sagt Steffi, als Jan endet. Sie holt eine Decke. »Du stehst voll unter Schock.«

»Was machen wir denn jetzt?«, fragt Jan. In dem Moment kommen Nina und Alex herein. Sie waren mit Cindy draußen und haben Wecken mitgebracht. Steffi erzählt ihnen, was passiert ist. Jan hält die Augen geschlossen. »Ach du Scheiße«, sagt Alex. »Meinst du, er ist …?«, fragt Nina.

»Ich weiß es nicht«, fährt Jan auf.

»Sch…«, macht Steffi.

»Verdient hätte er’s ja«, sagt Alex.

»Red’ doch keinen Scheiß«, entgegnet Jan, »ich hab vielleicht einen Menschen umgebracht!« Wieder laufen ihm die Tränen aus den Augenwinkeln.

»Das ist doch gar nicht sicher. Außerdem, wenn, dann war es ein Unfall. Der hat auf Mascha geschossen!«, sagt Nina ungläubig und krault Mascha hinter den Ohren. Unvorstellbar, dass sie vor wenigen Stunden im Wald hätte verbluten können.

Am nächsten Morgen der große Aufmacher in der Badischen Zeitung: ‚Jäger angegriffen und erschossen. Er war seiner Verletzung im Rettungswagen erlegen. Das wussten sie schon aus den Berichten im Lokalradio. Während die Badische noch einigermaßen sachlich berichtet, meint die Bildzeitung den vorläufigen Höhepunkt einer zunehmenden ‚Jagd- und Jägerfeindlichkeit auszumachen. Sie berichtet, dass ‚diese Menschen, die eine so wichtige Aufgabe für uns alle erfüllen, immer öfter angefeindet und angegriffen werden. Alles mit dem Unterton, als würden sie von ‚unseren Kameraden, die so viel für unser Vaterland tun berichten. Die Beschreibung des Täters ist überall zu lesen: ‚Schulterlanges, ungepflegtes Haar, dunkelblond. Graue Jacke, Jeans. Circa eins achtzig. Ende zwanzig. Eine Beschreibung, bei der sich Jan keine Sorgen zu machen braucht, weil sie auf endlos viele junge Männer in Freiburg zutrifft. Trotzdem sagt Steffi, nachdem sie die Zeitungsartikel gelesen haben: »Die Haare müssen ab!«

»Oh nein«, protestiert Jan. Aber die anderen überzeugen ihn. Alex fängt an zu schnippeln und als er fertig ist, sieht Jan furchtbar aus. Auch Nina versucht sich, was die Sache aber nicht besser macht. Das ist aber egal, weil zum Schluss Steffi mit der Schermaschine kommt. Obwohl sie extrem angespannt sind und Jan kaum einen Ton sagt, können sie sich bei dieser Friseuraktion doch manchmal das Lachen nicht verkneifen.

29Versehen

Im Laufe der Woche greifen auch einige überregionale Zeitungen das Ereignis auf. Da die Umstände des Todes des Jägers aus Freiburg nach wie vor nicht eindeutig geklärt sind, nehmen liberalere Zeitungen die Sache zum Anlass, über die zunehmende Zahl an Jagdunfällen zu berichten. Sie schreiben darüber, dass Jäger immer wieder Hunde und Hauskatzen erschießen. Oft wird dann behauptet, dass es sich um Verwechslungen mit Wildtieren handelte oder die Haustiere beim Wildern erschossen wurden – auch kleine Katzen und den Wildbestand ‚stark gefährdende Kleinhunde, wie Yorkshire-Terrier oder ähnliche. Im letzten Jahr starben auch ein Shetlandpony und ein Hängebauchschwein durch Jägerkugeln. Beide wurden für Wildschweine gehalten. Mehrere Zeitungen bringen in ihren Print- und Online-Ausgaben Artikel über sich immer mehr häufende Beschwerden von Spaziergängern, die beklagen, dass am helllichten Tag, ganz in der Nähe öffentlicher Waldwege, geschossen wird. Sie veröffentlichen zahlreiche Interviews mit Landwirten, die während der Ernte von Abprallern getroffen oder fast getroffen wurden.

Oft etwas hämisch berichten sie, dass auch Jäger durch Jäger extrem gefährdet sind. So sterben jedes Jahr einige Jäger durch Kugeln aus ihren eigenen Gewehren oder aus denen ihrer Kameraden. In den meisten Fällen wohl versehentlich. Besonders bei Gemeinschaftsjagden werden viele Jäger durch verirrte Kugeln verletzt. Wenn man die Dunkelziffer einrechnet, sicher Dutzende pro Jahr. Das links-alternative Tagblatt aus Karlsruhe fordert seine Leser sogar auf, einzelne Jäger, die sie tagsüber mit Waffe im Wald antreffen, zu fotografieren und die Fotos an eine zentrale Sammel- und Auswertungsstelle zu senden.

Auch die Tatsache, dass es immer wieder vorkommt, dass Jäger bei aus dem Ruder laufenden Familien- oder anderen Streitigkeiten zur Waffe greifen und diese auch einsetzen, kommt zur Sprache. Im Gegensatz zu anderen Menschen seien sie nämlich ganz legal im Besitz dieser Tötungsinstrumente.

Mehrere Redakteure erinnern sich im Zuge dieser Berichterstattung auch daran, dass es immer wieder schwer verletzte Autofahrer gibt, weil Wildschweinrotten auf der Flucht vor Jägern auf die Autobahn oder auf große Bundesstraßen geraten sind. Ohne die Bedrohung wären sie nicht so kopflos gewesen, auf eine stark befahrene Straße zu rennen.

Der Schwetzinger Abend greift noch einmal den Unfall eines zehnjährigen Jungen aus Norddeutschland auf, der beim Spielen in eine Fuchsfalle geraten war. Der Junge musste von der Feuerwehr mit schwerem Gerät befreit werden und kam sofort in ein Krankenhaus. Der Redakteur hat recherchiert, dass es noch immer gang und gäbe ist, Füchse und Marder mit Schlagfallen zu jagen. Aufgespreizt ist so eine Falle ein gezahnter Metallkreis, auf dessen Mittelpunkt Lockmittel aufgetragen werden. Wird er berührt, schnappt die Falle zu und bohrt sich in Gesicht oder Hals des Beutetieres. Was aber nicht nur ein Fuchs oder ein Marder sein kann, sondern auch ein Haushund oder eine Hauskatze, oder eben ein Kind.

30In Gottes Namen

»Ich kann mir nicht helfen«, sagt Günter abends bei der außerordentlichen Krisensitzung des Jägerstammtisches, »aber die Beschreibung, die der Kamerad aus Merzhausen gemacht hat, passt irgendwie ganz gut auf den einen aus unserer WG.« »Das wär ja der Hammer«, antwortet Lutz. »Wir haben doch die Fotos, die Burkhard von denen mit seinem Tele gemacht hat. Vielleicht sollten wir die mal dem Kameraden zeigen.«

»Weiß denn jemand, wer das überhaupt ist?«, fragt Günter.

»Ja«, sagt Martin, »ein Bekannter von mir kennt den. Ich kann da mal vorbeifahren.«

Am Sonntagmorgen fährt Martin Richtung Merzhausen. ‚Gabi & Herbert Sachs steht auf dem Klingelschild. Ein Mann um die fünfzig mit dunklen Augenringen öffnet. Martin stellt sich vor und berichtet in groben Zügen von ihrer Beschattung der WG. »Komm doch rein«, sagt Herbert. »Gabi, Besuch«, ruft er im Vorbeigehen gegen eine geschlossene Tür.

»Schon wieder Polizei?«, hört Martin undeutlich eine Frauenstimme.

»Ne«, ruft Herbert über die Schulter. Als Martin ihm im Wohnzimmer die Fotos von Jan auf seinem Smartphone zeigt, wird Herbert blass. Und dann rot. »Wo hast du das her?«, stammelt er. »Das ist der. Hundertprozentig.« Eine Frau kommt hereingeschlurft. Sie riecht stark nach Zigarettenqualm. »Wir haben ihn, Gabi. Der hier hat ein Foto von dem Schwein. Wir müssen sofort die Polizei anrufen!«

»Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist«, sagt Martin, »du weißt doch, wie das ist: Dann kriegt der Bewährung, weil es als Unfall eingestuft wird. Oder schlimmer noch: Dich kriegen sie dran wegen irgendwelcher Fahrlässigkeiten. Und der Ruf deines Kameraden wird dadurch auch noch beschmutzt. Du weißt doch, wie die Stimmung gerade ist.« Martin macht eine Pause, um seine Worte wirken zu lassen. »Ich schlage vor, wir regeln das ohne die Polizei. Wir haben mit diesen Typen sowieso noch ein Hühnchen zu rupfen.«

»Bist du verrückt? Willst du den einfach abknallen, oder was?«

»Nein, natürlich nicht. Das wäre zu schade um die Kugel. Und der würde dann nix mehr merken. Der soll aber was merken. Viel sogar. Und es ruhig in seinen beschissenen Kreisen herumerzählen. Damit die alle wissen, was mit so einem passiert.«

»Ich weiß nicht«, sagt Herbert nachdenklich. »Was meinst du, Gabi?«

»Keine Ahnung«, antwortet die.

»Mensch, Herbert, zur Polizei gehen können wir immer noch. Aber wenn die den erstmal haben, kommen wir an den nicht mehr dran. Dann kriegt der vielleicht U-Haft mit Vollpension auf unsere Kosten, mit Fernsehen und allem. Und dann Freispruch oder Bewährung. Willst du das etwa? Hat dein Kumpel das verdient?«

»Okay«, sagt Herbert, »erstmal keine Polizei. Aber ich habe nichts damit zu tun. Und wehe, es entsteht auch nur der geringste Verdacht!«

»Keine Sorge, es wird ohnehin niemand mitkriegen, der das nicht mitkriegen soll.«

»Na ja, in Gottes Namen«, sagt Herbert und verabschiedet Martin an der Haustür.

31Weichei

Sonntagabend, beim nächsten Jägerstammtisch, berichtet Martin von seinem Besuch in Merzhausen. »Das Hippie-Schwein war das tatsächlich«, sagt er und zeigt sein Smartphone mit dem Foto von Jans Gesicht herum. »Damit ist er zu weit gegangen. Den schnappen wir uns! Wir fangen ihn vor seiner Scheißkommune ab und dann macht er einen kleinen Ausflug in unsere Jägerhütte am Häusleberg. Da können wir ihn in aller Ruhe unterrichten. Und er wird nicht als derselbe zurückkehren – wenn überhaupt.«

»Ja, und wenn wir die Kleine aus der Gaststube gleich mit einfangen, hätte ich da auch nichts dagegen«, feixt Günter und grinst anzüglich. »Bisschen Spaß könnte es ja ruhig auch machen«, fügt er mit schwerer Zunge hinzu. »Wart’ mal, gleich hab ich’s.« Er wischt auf seinem Smartphone herum. »Ah hier. Ist doch nicht zu verachten, oder?«, sagt er und zeigt Ninas Foto herum.

Manuel traut seinen Augen nicht. Er versucht sich nichts anmerken zu lassen und hofft, dass niemand die Schweißperlen bemerkt, die sich auf seiner Stirn bilden.

»Willst du das nicht lieber doch der Polizei überlassen«, fragt zaghaft ein anderer Jäger.

»Nein, das will ich nicht, Jürgen. Wir haben das hinreichend besprochen. Wenn dir das nicht passt, kannst du ja aussteigen. Aber wehe, du plauderst!«

»Du Mistviech, dass du mir das überhaupt zutraust! Mir reicht’s. Macht doch euren Scheiß alleine. Aber lasst mich da raus!« Er steht auf und geht schnurstracks zur Theke, um seine Getränke zu bezahlen.

»Dann hau doch ab!«, ruft Lutz ihm hinterher. Zwei andere stehen auch auf und folgen Jürgen wortlos. Auch die Verbliebenen schweigen und starren vor sich hin. Manuel wagt nicht, sich zu rühren.

»Dann wäre das also klar«, sagt Burkhard, »Und du hau auch ab«, sagt er an Manuel gewandt, »das is nix für dich. Hast sowieso schon zu viel mitgekriegt. Und kein Wort zu niemandem. Sonst schneide ich dir eigenhändig die Zunge raus – mit dem Ausweidemesser.« Manuel rutscht von seinem Stuhl.

»Ich zahl schon für dich«, sagt Martin, »mach, dass du wegkommst.«

»Da waren es nur noch vier«, sagt Günter.

»Ja«, antwortet Lutz, »ist auch besser so. Mit den Weicheiern kann man ja nichts anfangen.« Burghard grunzt zustimmend.

32E-Werk

‚Wir müssen uns sehen. Die WhatsApp kommt von Manuel. Nina wundert sich. Seit ihrem letzten Treffen in Ebringen haben sie nichts mehr voneinander gehört. Gesehen haben sie sich auch nicht, weil Nina tatsächlich nicht mehr zum Chor gegangen ist. Hört sich jetzt aber wichtig an. ‚Um halb sechs am Brasil, schreibt sie zurück.

‚Nein, kommt als Antwort, ‚am E-Werk, an der Wendeltreppe. Um fünf?

›Hui‹, denkt Nina, ›das hört sich geheimnisvoll an.‹

‚Okay, schreibt sie zurück.

Nachmittags fährt Nina mit ihrem Fahrrad über den Parkplatz vom E-Werk, dann links vorbei an dem großen Gebäude, an dessen Ende eine Wendeltreppe zum Studio von Bewegungs-Art führt. Auf der untersten Stufe sitzt jemand mit schwarzem Hoodie, Kapuze auf. Es ist Manuel. »Was ist mit dir denn los?«, fragt Nina, als sie ihn erkennt, »in solchen Klamotten habe ich dich ja noch nie gesehen.«

»Man darf uns auf keinen Fall zusammen sehen«, sagt er leise. »Ihr seid in großer Gefahr.« Er schildert Nina, was seine Kameraden planen.

»Ach du Scheiße«, sagt Nina, »das ist heftig!« Und nach einer Pause: »Warum?« »Warum – was?«, fragt Manuel zurück.

»Warum erzählst du mir das? Warum warnst du uns?« Manuel zuckt mit den Schultern. »Weil sie das nicht dürfen. Das geht so nicht.« Und nach einer Weile ganz leise: »Und wegen dir.«

»Pfff«, Nina atmet geräuschvoll aus. »Manuel, das geht nicht mit uns. Ich kann das doch nicht ignorieren.« Sie hat Tränen in den Augen.

»Ich steige aus«, sagt Manuel leise.

»Wie, du steigst aus?«

»Ich verkaufe meine Waffen. Ich will nicht mehr. Schon gar nicht mit denen.«

»Nicht mehr, oder nicht mehr mit denen?«, fragt Nina, scharfsinnig wie immer.

»Gar nicht mehr. Ich will mit dir …«, stammelt Manuel. Tränen laufen über seine Wangen.