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Vollständige eBook-Ausgabe der Hardcoverausgabe

München 2019

© 2019 arsEdition GmbH, Friedrichstraße 9, 80801 München

Alle Rechte vorbehalten

Text: Gina Mayer

Cover- und Innenillustrationen: Gloria Jasionowski

Das Projekt wurde vermittelt durch Literaturagentur Arteaga.

ISBN eBook 978 - 3-8458 - 3262-3

ISBN Printausgabe 978 - 3-8458 - 2577-9

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Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Die So-, die So-, die So-ho-honne!

Ein Zimmer mit Meerblick

Die goldene Kapsel

Der Wimmerling

Aua!

Der verlorene Traum

Wuuuhhuuuuuhhuuuu!

Fräulein Roses Warnun

Tanzschule Taubenschlag

Ein schrecklicher Fehler

Herr Moldau

Und noch mal Herr Moldau

Käsebrötchen mit Honig

Die Frau mit dem Leberfleck

Gute Nacht

Das Abenteuer geht weiter

Über die Autorin

Weitere Titel

Leseprobe zu "Das Hotel der verzauberten Träume - Annabells Tagebuch"

Die So-, die So-,
die So-ho-honne!

»Die So-, die So-, die So-ho-honne!«, jubilierte Frau Lieblich und wedelte mit ihren Armen durch die Luft. Das war der Einsatz für uns Kinder.

»Die So-, die So-, die So-ho-honne!« Jeder von uns sang so laut wie möglich. Aber keiner schaffte es so laut wie meine Freundin Flora, die neben mir stand. Sie schmetterte mit einer solchen Leidenschaft, dass mir fast das Trommelfell platzte.

»Die Wo-, die Wo-, die Wo-ho-honne!« Die Stimme der Pastorin wurde noch höher. Ich klappte den Mund zu. Unmöglich, so weit nach oben konnte ich meine Stimme nicht schrauben. Aber für Flora war das kein Problem. Egal wie hoch und schrill die Töne waren, die die Pastorin uns vorsang, Flora sang sie noch ein bisschen höher und schriller nach. Und strahlte dabei übers ganze Gesicht. Sie war Frau Lieblichs begeistertste Chorsängerin und die Pastorin liebte sie dafür heiß und innig.

Flora Riesengruber war meine beste Freundin. Im Moment fand ich sie allerdings nicht so toll. Um genau zu sein, war ich ziemlich sauer auf sie. Fast so sauer wie auf mich selbst.

Flora hatte wochenlang auf mich eingeredet, bei dem Kinderchor mitzumachen, den die Pastorin ins Leben gerufen hatte. Und obwohl ich genau wusste, dass Singen nicht mein Ding war, hatte ich mich am Ende breitschlagen lassen und zugestimmt.

Nun stand ich hier, zusammen mit Flora und sieben anderen Kindern, die außer uns noch erschienen waren. Frau Lieblich hatte sich wie verrückt gefreut, als wir nacheinander im Gemeindesaal eingetrudelt waren. Sie hatte nämlich überhaupt nicht damit gerechnet, dass so viele kommen würden.

Jetzt war das Einsingen beendet, und Frau Lieblich teilte Notenblätter aus, auf denen unser erstes Lied stand. Es hieß »Ich bin so fröhlich und vergnügt« und klang wirklich schrecklich, als Frau Lieblich es uns vorsang, und noch schrecklicher, als wir es nachsangen.

»Ich bin so fröhlich und vergnügt, dass es dich gibt, dass es dich gibt!«, trompetete Flora aus vollem Halse.

Die Chorprobe dauerte noch keine zehn Minuten, und ich hatte jetzt schon das Gefühl, dass meine Ohren wackelten. Wenn das so weiterging, würden sie abfallen. Ich musste hier weg, und zwar sofort.

Als die erste Strophe zu Ende war, hob ich meine Hand. Frau Lieblich kriegte es zuerst gar nicht mit, weil sie so ergriffen war. »Ihr singt wirklich toll!«, erklärte sie. »Als hättet ihr euer ganzes Leben lang nie was anderes gemacht. Wir können schon bald mehrstimmig singen. Und du Flora, also ich bin hin und weg. Du hast ja eine Stimme – da fehlen mir echt die Worte.«

Ich schnippte mit den Fingern.

»Ja, Joëlle?« Jetzt hatte Frau Lieblich mich endlich bemerkt. »Was gibt’s denn?«

»Mir geht es gar nicht gut«, erklärte ich betrübt. »Ich glaube, ich muss mal raus.«

»Ach du Schreck.« Die Pastorin sah mich besorgt an. »Hast du was Falsches gegessen?«

Nee, nur was Falsches gehört. Aber das sagte ich natürlich nicht.

»Du bist auch total grün im Gesicht«, sagte Frau Lieblich. »Flora, würdest du Joëlle nach Hause begleiten?«

In Floras Gesicht, das gerade noch vor Freude geleuchtet hatte, ging auf einen Schlag das Licht aus. »Aber … dann verpass ich ja die Probe«, flüsterte sie traurig.

»Du musst mich nicht begleiten«, sagte ich hastig. »Ich hab’s doch nicht weit, die paar Meter kann ich auch allein gehen.«

»Ich kann aber auch mitkommen«, sagte Flora, die jetzt offensichtlich ein schlechtes Gewissen bekam.

»Das wäre vielleicht besser«, sagte Frau Lieblich.

»Ich brauche wirklich keine Begleitung«, erklärte ich. Ich wollte Flora auf keinen Fall aus der Probe entführen, wo sie doch so gerne sang!

»Ich bring dich nach Hause«, sagte Flora.

»Nein danke«, sagte ich – und so ging das eine ganze Weile hin und her, bis es mir zu dumm wurde.

»Ich geh jetzt allein nach Hause, und damit basta!«, rief ich laut und rannte schnurstracks aus dem Raum.

Hoffentlich kam mir Flora jetzt nicht nach. Als ich im Flur war, lauschte ich atemlos in den Saal. Noch schwiegen sie. Frau Lieblich sagte etwas, das ich nicht verstand. Und dann fingen sie zu meiner Erleichterung wieder an zu singen.

»Ich bin geborgen und beschützt, weil du mich liebst, weil du mich liebst«, hörte ich sie schmettern. Floras Stimme klang deutlich heraus, sie lag mindestens zweieinhalb Töne über den anderen. So einfach war das, mehrstimmig zu singen.

Vor dem Gemeindesaal schien die Sonne und brachte die bunten Blumen zum Leuchten, die in dem großen Tontopf neben der Tür standen. Vögel zwitscherten. Über den strahlend blauen Himmel trieben zwei kleine weiße Wolken.

Ich fühlte mich wie ein Gefangener, der nach fünfzig Jahren Haft aus dem Zuchthaus entlassen wurde. Vor Freude und Erleichterung hätte ich singen können. Aber das tat ich natürlich nicht, denn wenn mich Frau Lieblich gehört hätte, hätte sie mich womöglich wieder zurückgeholt.

Nie wieder Chor, schwor ich mir. Ich rannte los, über den Platz und dann den kleinen Trampelpfad entlang, der zum Meer ging. Von dort führte ein Weg zum Traum-Hotel der beiden Apfel-Schwestern, in dem wir immer noch wohnten.

Eigentlich hatten meine Eltern schon im Sommer ein Haus in den Dünen gemietet. Wenn alles nach Plan gelaufen wäre, wären wir letzte Woche dort eingezogen. Doch als Papa das Wohnzimmer gestrichen hatte, hatte er gemerkt, dass eine Wand feucht war.

»Das muss ordentlich isoliert werden«, sagte Herr Moldau, unser Vermieter, als Papa ihm die nasse Wand gezeigt hatte. »Sonst hört das nie auf.« Er bestellte gleich ein paar Handwerker, die das in Ordnung bringen sollten. Aber die kamen zuerst gar nicht, und als sie dann doch noch aufkreuzten, trödelten sie furchtbar.

Unsere alte Wohnung hatten wir schon gekündigt, und auch wenn wir sie nicht gekündigt hätten, hätte sie uns nichts genützt, sie lag nämlich in Berlin, und das war dreihundert Kilometer weit weg. Mein Bruder Lancelot und ich gingen jedoch seit einer Woche in Korbutz zur Schule und Mama unterrichtete Yoga im Fitnessstudio von Floras Mama.

Witzigerweise waren wir nur versehentlich in Korbutz gelandet. Eigentlich hatten wir ganz woanders Urlaub machen wollen, aber Mama hatte das Navi falsch eingestellt, und so hatte es uns nach Korbutz geführt – und zwar direkt zum Traum-Hotel der Apfel-Schwestern. Am Anfang wollten wir nur eine Nacht bleiben. Und jetzt wohnten wir immer noch da.

»Das ist überhaupt kein Problem«, hatten Fräulein Rose und Fräulein Linde erklärt, als meine Eltern ihnen von der nassen Wand erzählt hatten. »Sie bleiben einfach so lange hier bei uns, bis alles trocken ist. Wegen der Kosten machen Sie sich mal keine Sorgen. Ist ja jetzt Nachsaison. Da haben wir einen Sonderspartarif.«

Der Sonderspartarif sah so aus, dass wir praktisch überhaupt nichts mehr zahlen mussten und dafür dreimal am Tag Essen bekamen. Als Gegenleistung sollte Papa später das dritte Gästezimmer im Traum-Hotel streichen (Papa ist nämlich Maler, allerdings malt er normalerweise keine Wände an, sondern Bilder) und Mama machte morgens immer eine halbe Stunde Yoga mit den beiden Schwestern. Oder vielmehr eine Viertelstunde. Oder eher fünf Minuten. Fräulein Rose und Fräulein Linde waren keine großen Sportlerinnen.

Ich selbst hatte den Apfel-Schwestern auch eine Gegenleistung angeboten. Mit meinen speziellen Fähigkeiten hätte ich sie richtig gut unterstützen können. Aber das wollten sie nicht. Doch dazu später.

Inzwischen war ich am Strand angekommen. Das Meer glitzerte so verlockend im Licht der Nachmittagssonne, als hätte es jemand aus einem Werbeplakat ausgeschnitten und unter den Himmel geklebt. Am Horizont schwamm ein kleines Segelschiff. Es war zu weit weg, als dass man die beiden Personen an Bord hätte erkennen können, aber ich wusste auch so, wer sie waren: mein Bruder Lancelot und sein bester Freund Benny.

Die beiden verbrachten jede freie Minute mit ihrem Boot auf dem Meer. Bennys Vater Kim war Segellehrer und hatte ihnen alles beigebracht und vor Kurzem hatten sie bereits ihren zweiten Segelschein gemacht.

Mir hatte Kim das Segeln auch beibringen wollen, aber da war er leider gescheitert. Nachdem ich das Boot zweimal fast zum Kentern gebracht hatte, hatte ich die Segel gestrichen – und zwar für immer.

Jetzt wurde ich jedoch ein bisschen wehmütig, als ich zusah, wie die weiße Jolle am Horizont entlangglitt. Lancelot und Benny hatten das Segeln als Hobby und Flora hatte ihre Leidenschaft fürs Singen. Und ich? Ich hatte meine geheime Gabe, über die ich mit niemandem reden durfte. Und ausüben durfte ich sie auch nicht.

Verdrossen wandte ich mich vom Meer ab und wollte den kleinen Pfad einschlagen, der durch das hohe Strandgras zum Traum-Hotel führte. Aber dann überlegte ich es mir anders. Oben im Hotel war jetzt nichts los, da würde ich mich nur langweilen. Ich beschloss, Papa im neuen Haus zu besuchen, der dort die Wände strich. Bestimmt konnte er ein bisschen Aufmunterung gebrauchen.

Ein Zimmer mit Meerblick

Papa konnte nicht nur Aufmunterung gebrauchen, sondern auch Hilfe. Kaum war ich in dem kleinen Haus mit den blauen Fensterläden angekommen, da hatte er mir auch schon ein ausgeleiertes Riesen-T-Shirt über den Kopf gestülpt und einen Pinsel in die Hand gedrückt. Wir strichen das Zimmer im ersten Stock, das später einmal mir gehören sollte.

Es war ein bisschen kleiner als das von Lancelot. Dafür konnte man von meinem Zimmer aus das Meer sehen. Wenn man aus Lancelots Fenster guckte, sah man das Haus, in dem Benny und Kim wohnten. Dahinter lag Floras Haus.

»Ich finde hier alles total perfekt!«, erklärte ich, während ich den Pinsel in die himmelblaue Farbe tauchte und die Fensterrahmen zu streichen begann. Lancelots Wände würden grasgrün werden, auch nicht übel. »Etwas Besseres hätten wir überhaupt nicht finden können.«

»Da bin ich ganz deiner Meinung«, sagte Papa. Dann klingelte sein Handy, und er musste nach draußen, um zu telefonieren.

Im Haus war die Handyverbindung nämlich echt schlecht. Durchs Fenster konnte ich sehen, wie er mit dem Handy am Ohr in dem verwilderten Viereck auf und ab lief, das irgendwann einmal unser Garten werden sollte. Ich winkte ihm zu, aber er guckte nicht zu mir hoch.

Als meine Farbschale leer war, stieg ich von der Leiter, um sie wieder aufzufüllen. Vorsichtig kippte ich die Farbe aus dem Eimer in die Schale – und dabei sah ich es.

Unter der Plastikfolie, mit der Papa den Holzboden abgedeckt hatte, damit er nicht vollgespritzt wurde, glitzerte etwas golden. Eine Münze oder ein kleines Schmuckstück. Was immer es war, es steckte tief in einer Ritze zwischen zwei Dielenbrettern und war durch die dicke Folie nicht gut zu erkennen.

Ich schob den Eimer ein Stück zur Seite und schlug die Folie zurück. Der kleine goldene Gegenstand lag bestimmt schon eine ganze Weile hier, er war tief in die Ritze gerutscht. Mit den Fingern konnte ich ihn nicht erreichen.

Ich holte meinen Schlüsselbund aus der Tasche und stocherte damit ein bisschen in der Fuge herum. Doch auf dieser Weise schob ich das Metallstück nur noch tiefer ins Holz.

Vielleicht lohnte es sich ja gar nicht, das Teil nach oben zu befördern. Es konnte alles Mögliche sein: ein alter Kronenkorken, ein Klumpen Lametta, eine verrostete Metallscheibe. Dennoch wollte ich das Glitzerding unbedingt an mich bringen. Und zwar bevor Papa wieder nach oben kam.

Ich rannte nach unten in unser zukünftiges Wohnzimmer, wo Papas Werkzeugkiste stand, und wühlte darin herum, bis ich einen kleinen spitzen Schraubenzieher fand. Das müsste gehen. Ich flitzte zurück in den ersten Stock.

Es dauerte eine ganze Weile, bis ich den goldenen Gegenstand so weit nach oben gepult hatte, dass ich ihn mit den Fingern gerade so greifen konnte. Und nun erkannte ich endlich auch, was ich da entdeckt hatte. Mein Herz begann wie verrückt zu hämmern. Was um alles in der Welt suchte dieses Ding in unserem Haus?

»Na, du bist ja weit gekommen.« Papa stand plötzlich mitten im Raum, ich hatte ihn gar nicht kommen hören. Vor lauter Schreck ließ ich mein Fundstück fast wieder zurück in die Ritze plumpsen.

»Was hast du da?« Neugierig trat mein Vater näher.