Über Charles Dickens

Charles Dickens wurde 1812 in Landport (bei Portmouth) als Sohn eines Angestellten im Marinezahlamt geboren. 1824-26 besuchte er eine höhere Privatschule (Wellington House Academy) und arbeitete anschließend als Advokatenschreiber und Gerichtsreporter. 1831-36 nahm er den Beruf des Parlamentsstenographen/-berichterstatter für liberale bürgerliche Zeitungen an. Er begründete 1846 die radikale bürgerliche Zeitung »Daily News«. Seine literarische Laufbahn begann er unter dem Schriftstellernamen Boz mit scharf beobachteten und witzigen Skizzen aus dem Londoner Leben (»Sketches by Boz«). Berühmt wurde er durch »Die Pickwickier« (1837). Seine frühen Romane »Oliver Twist« (1838), »Nicholas Nickleby« (1839), »Der Raritätenladen« (1841) sowie die jährlichen Weihnachtsgeschichten machten Dickens zu einem der gefeiertsten Schriftsteller seiner Zeit. Seine Werke wurden in viele Sprachen übersetzt und erfuhren zahlreiche Bearbeitungen für Film und Bühne. Er starb 1870 in Gadshill Place (bei Rochester).Weitere wichtige Werke: »Leben und Abenteuer Martin Chuzzlewits« (1843/44), »Dombey und Sohn« (1848), »Ein Weihnachtslied in Prosa« (1844), »David Copperfield« (1849/50), »Bleak House« (1852/53), »Klein Dorrit« (1855/57), »Harte Zeiten« (1854) u. a.»Große Erwartungen« erschien 1861.Noch zu Lebzeiten wurde Charles Dickens zur Legende. Als er starb, fragte ein kleines Mädchen bange: «Charles Dickens ist tot? Wird dann auch der Weihnachtsmann sterben?«

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Das Fest mit Kobolden, dem Pickwick-Klub und dem Geist der Weihnacht.

In seinen Geschichten erinnert sich Charles Dickens der Festtagsfreuden seiner Kindheit, erzählt von großen Familienfeiern in der Stadt und von abenteuerlichen Winterfahrten mit der Postkutsche über Land. Auf seine unnachahmliche humoristische Weise vergegenwärtigt er die Sehnsüchte, die sich mit dem Fest der Liebe, der Versöhnung und der Mitmenschlichkeit verbinden. Selbst Geister und Kobolde bietet er auf, damit sie den Hartherzigen in der Heiligen Nacht eine Lektion erteilen.

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Illustration zu »Ein Weihnachtslied in Prosa« von John Leech, 1843

Es lebe die Weihnacht in all ihrer Pracht

Weihnachten mit Charles Dickens

Inhaltsübersicht

Über Charles Dickens

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Die Geschichte von den Kobolden, die einen Totengräber stahlen

An die Geschäftsleute Bradbury und Evans

Eine Winterreise des Pickwick-Klubs zur Manor Farm

Weihnachtstage auf Manor Farm

Ein Weihnachtsmahl

Der Weihnachtstag eines Geizhalses

Ein Weihnachtsbaum im viktorianischen England

Der Geist der diesjährigen Weihnacht

Ländliche Weihnacht

Das Weihnachtsfest des Charles Barnard

Vorweihnachtliche Kutschfahrt

An George Dolby

Das neue Jahr

Quellenverzeichnis

Fußnoten

Impressum

There is probably a smell of roasted chestnuts and other good comfortable things all the time, for we are telling Winter Stories – Ghost Stories, or more shame for us – round the Christmas fire; and we have never stirred, except to draw a little nearer to it.

Wahrscheinlich hängt die ganze Zeit über ein Duft von gerösteten Kastanien und anderen guten Dingen im Haus, während wir uns Wintergeschichten erzählen – Geistergeschichten, wie es sich gehört – rund um das Weihnachtsfeuer; und wir haben uns nicht gerührt, es sei denn, daß wir etwas näher ans Feuer gerückt sind.

Die Geschichte von den Kobolden, die einen Totengräber stahlen

In einer alten Klosterstadt in diesem Teil unserer Grafschaft amtierte vor langer, langer Zeit – so lange, daß die Geschichte wahr sein muß, denn unsere Urgroßväter glaubten sie unbedingt – als Küster und Totengräber auf dem Friedhof ein gewisser Gabriel Grub. Daraus, daß ein Mann Totengräber und ständig von den Sinnbildern der Sterblichkeit umgeben ist, folgt noch keineswegs, daß er ein grämlicher und schwermütiger Mensch sein muß; unsere Leichenbestatter sind die fröhlichsten Burschen der Welt, und einmal hatte ich die Ehre, mit einem Begräbniswärter befreundet zu sein, der im Privatleben und in seiner Freizeit ein so drolliger und lustiger kleiner Kerl war, wie nur je einer ein unbekümmertes Liedchen zwitscherte, ohne ein Stocken in seinem Gedächtnis, und der den steifen Inhalt eines tüchtigen Glases leerte, ohne Atem zu holen. Doch ungeachtet dieser Gegenbeispiele war Gabriel Grub ein boshafter, widerborstiger und sauertöpfischer Kerl – ein grämlicher und einsamer Mensch, der mit niemandem Umgang hatte als mit sich selbst und einer alten Korbflasche, die in seine geräumige, tiefe Westentasche paßte –, der jedes fröhliche Gesicht, das an ihm vorbeizog, mit einem so abgrundtief boshaften und übellaunigen Blick bedachte, daß man ihm schwerlich zu begegnen vermochte, ohne sich deswegen übler zu fühlen.

Kurze Zeit vor der Dämmerung an einem Weihnachtsabend schulterte Gabriel seinen Spaten, zündete seine Laterne an und machte sich auf den Weg nach dem alten Friedhof, denn er mußte bis zum nächsten Morgen ein Grab geschaufelt haben, und da er sich sehr niedergeschlagen fühlte, meinte er, es könne vielleicht seine Stimmung heben, wenn er seine Arbeit gleich fortsetzte. Als er so die alte Straße entlangging, sah er den fröhlichen Schein flackernder Feuer durch die alten Fenster schimmern und hörte das laute Lachen und den frohen Jubel derer, die sich darum geschart hatten; er vermerkte die geschäftigen Vorbereitungen für das Festmahl am nächsten Tag und roch die zahllosen lieblichen Düfte davon, die in Wolken aus den Küchenfenstern dampften. All das war Bitterkeit und Wermut für Gabriel Grubs Herz, und als Kinderscharen aus den Häusern sprangen, über die Straße hüpften und, ehe sie noch an die Tür gegenüber klopfen konnten, von einem halben Dutzend kleiner lockenköpfiger Rangen umringt wurden, die ihnen schon entgegengeeilt waren und mit ihnen treppauf stoben, um den Abend bei ihren Weihnachtsspielen zu verbringen, lächelte Gabriel grimmig, umklammerte den Griff seines Spatens fester und dachte an Masern, Scharlachfieber, Mundfäule, Keuchhusten und noch viele andere Quellen des Trostes.

In dieser glücklichen Gemütsverfassung schritt Gabriel einher und antwortete mit einem kurzen, mürrischen Knurren auf den gutmütigen Gruß hin und wieder an ihm vorbeikommender Nachbarn, bis er in die dunkle Gasse bog, die zum Friedhof führte. Gabriel hatte sich schon danach gesehnt, diese dunkle Gasse zu erreichen, denn sie war im Grunde genommen ein recht düsteres, trauriges Fleckchen Erde, und die Bewohner der Stadt legten keinen großen Wert darauf, sie, außer bei hellem Tageslicht und Sonnenschein, zu betreten; deshalb war er auch nicht wenig entrüstet, als er in diesem Heiligtum, das seit den Tagen des alten Klosters und der Zeit der geschorenen Mönche die Sarggasse hieß, einen kleinen Schelm mit lauter Stimme ein lustiges Lied von einer fröhlichen Weihnacht singen hörte. Als Gabriel weiterging und die Stimme näher kam, entdeckte er, daß sie einem kleinen Jungen gehörte, der sich sputete, bei einer der kleinen Festlichkeiten in der alten Straße mitzuhalten, und nun, teils um sich selbst Gesellschaft zu leisten, teils um sich auf das Ereignis vorzubereiten, aus vollen Lungen sein Liedchen sang. Also wartete Gabriel, bis der Bub heran war, drängte ihn dann in einen Winkel und schlug ihm fünf-, sechsmal seine Laterne über den Kopf, um ihn seine Stimme modulieren zu lehren. Und als der Bub, die Hand am Kopf, davonlief und nun eine ganz andere Melodie sang, kicherte Gabriel Grub von Herzen in sich hinein und betrat den Friedhof, dessen Tor er hinter sich schloß.

Er legte seinen Rock ab, stellte seine Laterne nieder, stieg in das unfertige Grab und arbeitete etwa eine Stunde lang mit allerbestem Willen. Doch die Erde war durch den Frost hart geworden, und es war nicht leicht, sie aufzubrechen und auszuschaufeln, und obgleich der Mond schien, warf er nur wenig Licht auf das Grab, das im Schatten der Kirche lag, weil es ein sehr junger Mond war. Zu anderer Zeit hätten dergleichen Behinderungen Gabriel Grub sehr verdrießlich und unglücklich gemacht, aber nun freute es ihn so sehr, dem kleinen Bub das Singen ausgetrieben zu haben, daß er wenig darauf achtete, wie spärliche Fortschritte er machte, und mit grimmiger Genugtuung in das Grab niederblickte, als er die Arbeit für diesen Abend beendet hatte, und, während er seine Sachen einsammelte, vor sich hin murmelte:

Schöne Wohnung für einen frei,

Ein paar Fuß kalte Erde, ist das Leben vorbei,

Zu Häupten ein Stein, zu Füßen ein Stein,

Ein saftiges Festmahl für Würmer wirst sein;

Ein Dach fetten Grases, rundum feuchter Lehm,

In geheiligtem Boden wohnt sich’s bequem!

»Hoho!« lachte Gabriel Grub, während er sich auf eine flache Grabplatte setzte, die sein liebster Ruheplatz war, und seine Korbflasche hervorholte. Ein Sarg zu Weihnachten! Ein Weihnachtsgeschenk. Hohoho!«

»Hohoho!« wiederholte eine Stimme dicht neben ihm.

Gabriel hielt etwas erschrocken in dem Werk inne, die Korbflasche an die Lippen zu heben, und sah sich um. Der Grund des ältesten Grabes ringsum konnte nicht stiller und friedlicher sein als der Kirchhof im bleichen Mondlicht. Der eisige Rauhreif glitzerte auf den Grabmalen und funkelte wie Ketten von Edelsteinen in den steinernen Bildwerken der alten Kirche. Hart und spröde lag der Schnee über dem Boden und breitete eine so weiße und glatte Decke über die dicht beieinander liegenden Erdhügel, daß es aussah, als lägen dort Leichname, die nur ihr Sterbehemd einhüllte. Nicht das leiseste Rascheln durchbrach die tiefe Stille des feierlichen Bildes. Jeder Laut schien eingefroren zu sein, so kalt und still war alles.

»Es war das Echo«, sagte Gabriel Grub und hob abermals die Flasche an die Lippen. »Mitnichten«, sagte eine tiefe Stimme.

Gabriel sprang auf und stand vor Staunen und Entsetzen wie angewurzelt, denn seine Augen ruhten auf einer Gestalt, die ihm das Blut gefrieren ließ.

Auf einem aufrecht stehenden Grabstein, dicht vor ihm, saß ein sonderbares, unirdisches Wesen, das kein Geschöpf dieser Welt sein konnte, das fühlte Gabriel sofort. Seine langen, wunderlichen Beine, die wohl bis auf den Boden gereicht hätten, hatte es hochgezogen und auf eine merkwürdige und ganz ausgefallene Art gekreuzt, die sehnigen Arme waren bloß, und seine Hände ruhten auf den Knien. Sein kurzer, rundlicher Leib steckte in einer mit Schlitzen gezierten, eng anliegenden Hülle, und ein Mäntelchen baumelte über seinem Rücken; dessen Kragen war zu zierlichen Spitzen ausgeschnitten, die dem Kobold als Halskrause oder als Halsbinde dienten, und seine Schuhe bogen sich an den Zehen zu langen Haken empor. Auf dem Kopf trug er ein breitkrempiges zuckerhutähnliches Gebilde mit einer einzigen Feder. Weißer Rauhreif bedeckte den Hut, und der Kobold sah aus, als säße er auf dem nämlichen Grabstein höchst bequem bereits an die zwei- oder dreihundert Jahre. Er saß völlig gelassen da, hatte wie zum Hohn die Zunge ausgestreckt und grinste Gabriel Grub mit einem Grinsen an, wie es nur ein Kobold aufzubieten vermag.

»Es war mitnichten das Echo«, sagte der Kobold.

Gabriel Grub war wie gelähmt und vermochte nicht zu antworten.

»Was tust du hier am Weihnachtsabend?« fragte der Kobold streng.

»Ich kam, ein Grab zu schaufeln, Sir«, stammelte Gabriel Grub.

»Welcher Mensch treibt sich an einem Abend wie diesem zwischen Gräbern und auf Kirchhöfen herum?« schrie der Kobold.

»Gabriel Grub! Gabriel Grub!« kreischte ein wüster Chor von Stimmen, die den ganzen Friedhof zu erfüllen schienen. Gabriel blickte ängstlich in die Runde – nichts war zu sehen.

»Was hast du in jener Flasche?« fragte der Kobold.

»Holländischen Genever, Sir«, antwortete der Totengräber und schlotterte noch heftiger, denn er hatte ihn von Schmugglern gekauft und dachte, sein Fragesteller könne womöglich dem Akziseamt der Kobolde angehören.

»Wer trinkt an einem Abend wie diesem allein und auf einem Kirchhof holländischen Genever?« sagte der Kobold.

»Gabriel Grub! Gabriel Grub!« schrien abermals die wüsten Stimmen.

Der Kobold warf einen boshaften Blick auf den entsetzten Totengräber und rief sodann mit erhobener Stimme: »Wer ist demnach unsere gerechte und gesetzmäßige Beute?«

Auf diese Frage antwortete der unsichtbare Chor mit einem Gesang, der wie die Stimmen vieler Choristen zum mächtigen Crescendo der alten Kirchenorgel klang – einem Gesang, den ein ungestümer Wind zu des Totengräbers Ohren zu tragen schien und der erstarb, als er weiterfegte; aber der Kehrreim der Antwort war immer noch der nämliche: »Gabriel Grub! Gabriel Grub!«

Der Kobold grinste ihn mit einem noch breiteren Grinsen als zuvor an, während er fragte: »Nun, Gabriel, was sagst du dazu?«

Der Totengräber schnappte nach Luft.

»Was hältst du von diesen hier, Gabriel?« fragte der Kobold, stieß zu beiden Seiten des Grabsteins die Füße in die Luft und blickte mit so großem Wohlgefallen auf die nach oben gebogenen Spitzen, als betrachte er die modernsten Langschäfter in der ganzen Bond Street.

»Sie sind – sie sind – sehr ungewöhnlich, Sir«, erwiderte der Küster, halb tot vor Angst, »sehr ungewöhnlich und sehr hübsch, aber ich denke, ich werde jetzt wieder zurückgehen und meine Arbeit beenden, Sir, wenn’s beliebt.«

»Arbeit?« sagte der Kobold. »Was für Arbeit?«

»Das Grab, Sir, das Grab schaufeln«, stotterte der Totengräber.

»Oh, das Grab, wie?« sagte der Kobold. »Wer schaufelt Gräber zu einer Zeit, da alle anderen Menschen fröhlich sind, und findet noch Vergnügen daran?«

Wieder antworteten die geheimnisvollen Stimmen: »Gabriel Grub! Gabriel Grub!«

»Ich fürchte, meine Freunde verlangen nach dir, Gabriel«, sagte der Kobold und streckte in seiner Unverschämtheit die Zunge noch weiter heraus denn je – und eine ganz erstaunliche Zunge war es – »ich fürchte, meine Freunde verlangen nach dir, Gabriel«, sagte der Kobold.

»Mit Verlaub, Sir«, erwiderte der von Grauen gepackte Totengräber, »das kann wohl nicht angehen, Sir, sie kennen mich ja nicht, Sir, ich glaube nicht, daß mich die Herren je gesehen haben, Sir.«

»O doch«, erwiderte der Kobold, »wir kennen den Mann mit dem mürrischen Gesicht und der grimmigen Miene, der heute abend durch die Straße ging und böse Blicke auf die Kinder warf und seinen Totengräberspaten fester packte. Wir kennen den Mann, der in der neidischen Bosheit seines Herzens den Jungen schlug, weil der Bub fröhlich sein konnte und er nicht. Wir kennen ihn, wir kennen ihn.«

Hierauf brach der Kobold in ein lautes, schrilles Lachen aus, das die Echos zwanzigfach zurückgaben, warf auf der schmalen Kante des Grabsteins die Beine in die Luft und stellte sich auf den Kopf oder vielmehr auf die Spitze seines Zuckerhutes, worauf er mit außerordentlicher Geschicklichkeit einen Purzelbaum genau vor die Füße des Totengräbers schlug und sich in der Haltung hinpflanzte, wie die Schneider auf ihren Werktischen zu sitzen pflegen.

»Ich – ich – fürchte, ich muß Sie verlassen, Sir«, sagte der Totengräber, bestrebt, sich zu entfernen.

»Uns verlassen?« rief der Kobold. »Gabriel Grub will uns verlassen? Hohoho!«