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Rehm . Falscher Einwurf

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

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© 2018 Arete Verlag Christian Becker, Hildesheim

www.arete-verlag.de

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Layout, Satz und Umschlaggestaltung: Composizione Katrin Rampp, Kempten

Titelfoto: Laura Pecoroni

Druck und Verarbeitung: Scandinavian Book, Bremen

ISBN 978-3-96423-003-0

Inhalt

Vorwort

Willkommen im Club!

Lass dich nicht!

Auf einen Kick mit den „Alten Herren“

Die Leiden des Schiedsrichters

Sie nannten ihn Mücke

Die Tücken des Firmenfußballs

Der lächelnde Kranke

Lang lebe König Hallenfußball!

Paul Breitners Erben

Welches Schweinderl hättens gern?

Kiste!

Vereinsliebe im Dreiviertel-Takt

Schluss mit lustig!

Jogis Nachwuchshoffnungen

Für den „Modernen Fußball“!

„Der könnte locker höher spielen!“

Dem Trashtalk ein Ende!

Die Last des Erfolges

Ein kleiner Wegweiser für Erfolgstrainer

Der Rentner

Die Tasche des Grauens

Romantiker in engen Trikots

Aus dem Arbeitstag eines Platzwartes

Tsubasas Rache

Die Handtuch-Situation

Beim Rüssel des Grotifanten!

Auf eine Runde „Idiotenvolley“

Hinter vorgehaltener Hand

50+1

Schnitzel mit Marlboro

Frohes Fest!

Über den Autor

Vorwort

Es war einer dieser Momente, die man niemals vergisst. Weil sie das eigene Leben schlagartig verändern. Von einem Augenblick auf den anderen. Ein einziger Anruf, ein einziger Satz, ein einziges Wort. Und nichts ist mehr, wie es einmal war.

Es war an einem Sonntag im August. Es regnete in Strömen, wir lagen mit 0:1 in Rückstand. Noch drei Minuten zu spielen, Abstoß für unser Team. Ich war die alleinige Spitze in meiner Mannschaft, tummelte mich hinter der gegnerischen Abwehrreihe, versuchte mich als stolpernde Version von Luca Toni. Weit außerhalb des Blickfeldes der Verteidiger wartete ich auf den langen Pass über die Viererkette, startete im richtigen Moment, nutzte anschließend meinen Bewegungsvorsprung und lupfte den Ball über den herausstürzenden Torwart in die Maschen. Ein Traumtor. Zelebraler Jubel. Ich riss das Trikot vom Körper, warf mich in den Schlamm, suhlte mich im Rausch der Endorphine.

Abseits.

Der komplette Sportplatz verfiel in schallendes Gelächter. Häme von den siebzehn Zuschauern. „Zwölf Meter Abseits, Christoph! Herzlichen Glückwunsch! Neuer Rekord!“ Die Mitspieler wandten sich beschämt ab, der Schiedsrichter schüttelte fassungslos den Kopf, der Trainer stellte lautstark meinen Geisteszustand in Frage. Mein Auftritt war eine einzige Peinlichkeit.

Was niemand von ihnen wusste: Bei einem Abstoß gibt es kein Abseits. Mein Tor war völlig regelkonform. Sämtliche Anwesenden lagen mit ihrer Einschätzung komplett falsch. Doch letztlich spielte das überhaupt keine Rolle. Der Sportplatz hatte sein Urteil gefällt. Diskussion überflüssig. Und ohne darüber nachzudenken, wusste ich von diesem Moment an, dass ich niemals eine Chance haben würde, mich gegen all die Regeln und Prinzipien auf einem Ascheplatz zu stellen. Egal, ob sie nun richtig waren oder falsch – ich musste sie akzeptieren: Die ganz eigenen Gesetze der Kreisliga.

Viel Spaß beim Lesen.

Willkommen im Club!

Neuer Verein, neuer Trainer, neue Mitspieler – eine Gemengelage, die für jeden Neuankömmling eine große Portion Zündstoff bereithält.

Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Davon kann wohl jeder ein Lied singen, der als Frischling auf dem Bau dazu verdonnert wurde, zum Baumarkt zu fahren und zwei Säcke Getriebesand zu kaufen. Oder der in der Schlosserei allmorgendlich den Amboss mit einer Feile abziehen musste, um ihm anschließend mit hochwertigem Ambossfett noch eine Hochglanz-Politur zu verpassen. Als neuer Spieler in einem Fußballverein ist das nicht wesentlich anders. Vor allem bei einem Wechsel vom Lokalrivalen bekommt man es beim ersten Training mit den unterschiedlichsten Clownereien zu tun. Besonders beliebt: Beim lockeren Kick auf dem Kleinfeld dem Neuzugang die Rolle als zusätzliche Torstange zuzuweisen – schließlich habe man ja nur noch drei Stangen, nachdem die vierte geklaut wurde. Vermutlich von osteuropäischen Torstangenschiebern. Daher müsse sich jeder Spieler erst einmal in den Dienst der Mannschaft stellen.

Nachdem der Neue die erste Viertelstunde des Trainings ohne zu murren seiner Funktion als Torpfosten gewissenhaft nachgekommen ist, hat er sich für ernsthafte Ämter empfohlen. Seine Anweisungen empfängt er jetzt von ganz oben: Der Trainer hat die Markierungshütchen im Materialraum liegen lassen, der Neue möge sie doch bitte holen – irgendeiner der vierzehn Schlüssel am Schlüsselbund sei schon der Richtige. „Einfach ausprobieren, bis einer passt!“ ruft man dem eifrigen Freizeitsportler noch jovial hinterher, der mit hektischer Betriebsamkeit den Eingang zum Clubhaus sucht. Im Materialraum findet der Neuling dann zwar keine Markierungshütchen, dafür aber einen ganzen Wald aus Torstangen. Die Hütchen hatten sich unterdessen in der Kiste mit den Trainingsleibchen am Spielfeldrand versteckt, wie der Trainer schon nach kurzer Zeit festgestellt hatte: „Ah, sorry! Die hatte ich vorhin übersehen. Mein Fehler!“

Weiter geht es mit einer Runde 5 gegen 2. Dass der Neue dabei „in die Mitte“ muss, steht natürlich außer Frage. Und damit er auch darin bleibt, wird das Regelwerk zu gegebener Zeit immer wieder modifiziert. Dass er bei einem Beinschuss eine extra Runde in der Mitte drehen muss, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Ebenso bei einem Foulspiel. Oder einer besonders misslungenen Abwehraktion. Natürlich auch nach 15 erfolgreichen Pässen. Oder wenn man während des Spielens den Vornamen seiner Mutter errät. Eine besonders schöne Ballstafette (für Kreisliga-Verhältnisse) kann nur eine Konsequenz nach sich ziehen: Extrarunde! Sich ohne Anmeldung eine kurze Auszeit gönnen? Extrarunde! Mit der Hacke getunnelt werden? Zwei Extrarunden! Sich über das Regelwerk beschweren? Extrarunde!

Während in der folgenden Trinkpause die neuen Mitspieler am Spielfeld ein fröhliches Schwätzchen halten, steht das arme Kerlchen völlig entkräftet daneben, stützt die Hände in die Hüfte und keucht wie Gérard Depardieu an der Fleischtheke. „Na, da hat wohl noch jemand die eine oder andere Konditionseinheit nötig!“ erkennt der Trainer sachkundig, tätschelt der Neuerwerbung mitfühlend den Rücken und teilt derweil die Teams für das Trainingsspiel ein.

Immerhin: Nachdem der Neue fünfzig Minuten lang keinen Ball gesehen hatte, darf er nun endlich auch am Trainingsbetrieb teilnehmen. Als Torwart der zweiten Mannschaft. „Damit es aufgeht“, wie der Coach ihm kumpelhaft erklärt. „Außerdem bist du ja körperlich schon an deine Grenzen gelangt.“ Anschließend folgt ein Auftritt als Fliegenfänger hinter der schlechtesten Abwehr des gesamten Fußballkreises, bei dem sich der Neuzugang für jeden Fehlgriff vor seinen Vorderleuten ausgiebig rechtfertigen muss. Warum ist er bei der Eins-gegen-Eins-Situation nicht schneller raus gekommen? Wieso hat er nicht die kurze Ecke zugemacht? Den Distanzschuss kann man schon mal halten, solange wie der unterwegs war! Der Fünfmeterraum muss dem Torwart gehören! Und, hey – hast du Oliver Kahn bei der WM 2002 gesehen? Zeig mal diese Körpersprache!

Nach anderthalb Stunden Training und einer 0:7-Klatsche hat das Martyrium schließlich ein Ende. Die Spieler sitzen zusammen in der Kabine und trinken gemeinsam noch einen Kasten Bier – den selbstverständlich der Neue bezahlt hat, so will es der Brauch. Zumindest haben die anderen Spieler ihn nun als einen der Ihren akzeptiert. Es wird zusammen gelacht und gemeinsam die Leistung als Torpfosten rekapituliert. Zum Abschied folgt ein freundlicher Handschlag mit den neuen Kollegen, Mitfahrgelegenheiten werden angeboten, Nummern ausgetauscht. Ein Mitspieler ruft ihm im Dunkeln noch hinterher: „Aber nächste Woche hängst du dich ein bisschen mehr rein, wenn du wieder im Tor stehst, okay!?“.

Ob das nun ein Scherz oder trauriger Ernst war, weiß eigentlich niemand so genau.

Lass dich nicht!

Einfach mal so auf dem Sportplatz ein paar Sprüche klopfen? Das geht selten gut. Wer mit seinen Mitspielern angemessen kommunizieren möchte, sollte sich zumindest mit den Grundlagen der Kreisligasprache vertraut machen.

Dass Interviews mit Fußballspielern in der Regel nicht als Bewerbung für den Pulitzer-Preis taugen, ist bekanntlich nichts Neues. So mancher Kicker, der dampfend und keuchend kurz nach Abpfiff dem Reporter am Spielfeldrand nur ein paar harmlose Floskeln in das Mikrophon hecheln will, hat sich dabei nicht selten schon um Kopf und Kragen gestammelt. Rhetorische Glanzlichter wie beispielsweise von Andreas Möller, der unbedingt nach Italien wechseln wollte – sei es nun nach Mailand oder eben Madrid – haben mittlerweile ihren Weg in unzählige, mehr oder weniger liebevoll zusammengestellte Zitatesammlungen gefunden. Kaum Beachtung findet allerdings jene, für Fußballer in allen Ligen typische Terminologie, die zumeist so absurd schwachsinnig ist, dass sie eigentlich schon niemandem mehr weiter auffällt. Kombiniert mit regionalen Dialekten, falscher Grammatik und bizarren Wortschöpfungen kommt so auf den Sportplätzen – landauf, landab – ein derartiges Kauderwelsch zur Anwendung, dass jeder auch nur mittelmäßig motivierte Deutschlehrer nach 90 Minuten in Embryonalstellung unter der Dusche sitzt.

„Lass dich nicht!“ gehört beispielsweise zu jener Art von Instruktionen, die zwar ohne Verb, dafür aber mit jeder Menge sozialem Sprengstoff daherkommen. Soll sich ein Spieler nicht „lassen“ lassen, wird das Gewinnen des folgenden Defensivzweikampfes quasi vorausgesetzt – schließlich hat man als Trainer, Zuschauer oder Mitspieler alles Menschenerdenkliche dafür getan, den Verteidiger auf die prekäre Situation vorzubereiten. Wird der anschließende Zweikampf trotz dieser umfassenden Hilfestellung dennoch verloren, gerät der Spieler spätestens in der Halbzeitpause in Erklärungsnot. „Er hat sich lassen!“ weist der Co-Trainer dabei seinen Chef noch einmal auf das Versagen des Schützlings hin. Die Analyse wird mit einem fachmännischen Nicken quittiert. Es ist eine charmante Vorstellung, dass Unterredungen von Trainern bei Champions-League-Duellen ähnlich ablaufen.

Grammatikalisch vertretbar, dafür semantisch fragwürdig, ist hingegen die Formulierung „Leck mich am Arsch“ – die wohl am häufigsten verwendete Phrase auf einem Sportplatz. Eigentlich wird nahezu jeder halbwegs vollständige Satz mit dieser Floskel eingeleitet: „Leck mich am Arsch, der Pass war gar nicht schlecht“, „Leck mich am Arsch, heute spielen wir im 4-4-2“ oder „Leck mich am Arsch, hat noch jemand eine Stück Banane?“. Selbstverständlich ist das alles keine Unmutsbekundung, eher Ausdruck einer bestimmten Höflichkeitsform, eine Art Kreisliga-Knigge. Eine Konferenz beginnt man ja auch nicht damit, dass man seinen Geschäftspartnern eine Handvoll Verträge auf den Tisch knallt und mit dem Hinweis „Unterschreiben, dann Sektempfang!“ versieht.

Außergewöhnliche Leistungen ziehen eine außergewöhnliche Anerkennung nach sich. Ist man von dem Verhalten eines Mitspielers in besonderer Form angetan, kann die Formulierung Berlichingen’scher Prägung auch gerne mehrmals in einem Satz verwendet werden, zum Beispiel als Eingangs- und Ausgangsfloskel: „Leck mich am Arsch, der Kevin kommt heute pünktlich zum Treffpunkt, leck mich am Arsch!“. Problematischer wird das Ganze dann lediglich, wenn ein frustrierter Spieler tatsächlich zu dem Schluss kommt, jemand solle ihn in aller Konsequenz möglichst am Arsch lecken. In der verstärkten Version führt dies zu einem etwas inflationären Gebrauch der rektalen Aufforderung: „Leck mich am Arsch, du kannst mich mal am Arsch lecken! Leck mich am Arsch!“.

Eine besondere Begrifflichkeit, die ihren Weg in den Alltagssprachgebrauch vieler Spieler gefunden hat, ist wiederum das so genannte „Jambalaya“. Der/die/das Jambalaya ist streng genommen ein kreolisches Reisgericht, hat seinen fußballerischen Ursprung allerdings im Aufwärmprogramm vieler Fußballmannschaften. Tatsächlich ist der Anwendungsbereich mittlerweile wesentlich vielfältiger – Jambalaya hat sich längst in der alltäglichen Sprache vieler Fußballer etabliert: „Achtung, der gegnerische Libero spielt im Mittelfeld oft Jambalaya!“, „Jungs, nach dem Spiel fahren wir in die Stadt und machen Jambalaya!“ oder auch als Spitzname für besonders verspielte Teamkameraden wie Marc „Jambalaya“ Müller. Absurd: Inzwischen werden sogar wieder Kochgerichte ohne irgendeinen Bezug zur kreolischen Küche als „Jambalaya“ bezeichnet. „Männer, ich muss heim! Meine Frau steht in der Küche und macht den Jambalaya!“.

Gelegentlich wird Jambalaya von Trainern und Spielführern auch als Drohungsszenario verwendet. „Wenn du meinst, du kannst da draußen den Jambalaya machen, nehme ich dich sofort wieder raus!“ gab mir mein Jugendtrainer gerne noch als zusätzliche Motivationsspritze vor versammelter Mannschaft mit auf den Weg. Als halbwüchsiger Zwerg hatte ich selbstverständlich keinerlei Ahnung von der kreolischen Küche. Wer oder was dieses Jambalaya war, erschloss sich mir auch nicht wirklich aus dem Zusammenhang. Warum sollte ich „da draußen“ während des Spiels irgendeine Aufwärmübung fabrizieren? Klar war jedoch: Jambalaya machte mir unheimlich Angst. Diesem Jambalaya wollte ich möglichst aus dem Weg gehen. Um Himmels Willen, ja, ich wollte auf keinen Fall mit diesem Jambalaya in Verbindung gebracht werden!

In der Konsequenz spielte ich daher möglichst konzentriert, versuchte keine Fehler zu machen und schlichtweg nicht sonderlich aufzufallen. Das hat meistens geklappt und der Trainer war zufrieden mit mir: „Saubere Arbeit, Christoph! Klare Bälle, sauberes Passspiel, weiter so!“. Voller Stolz radelte ich nach Hause, erzählte ausgiebig von meinen Heldentaten, und schaute vor dem nächtlichen Schlafengehen noch einmal kurz unters Bett – auf dass sich dort ja kein Jambalaya versteckte.

Auf einen Kick mit den „Alten Herren“

Libero statt Viererkette: Bei den Senioren ticken die Fußballuhren noch etwas anders. Auf den Mund gefallen sind sie deshalb noch lange nicht.