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PROBLEMHUND IM ALLTAG

kapitel1

Heutzutage rückt der Hund immer mehr in den Mittelpunkt des Familienlebens. Er begleitet seine Menschen überall mit hin.

Der Hund ist im Urlaub mit dabei und soll sich vollständig in die Familie integrieren. Als Familienhund soll er kinderfreundlich sein, beim gemeinsamen Hobby Leistung zeigen, im Alltag unauffällig und geduldig sein, sowohl das Alleinbleiben als auch den Trubel einer Großstadt ertragen können und als Partnerersatz wird er zum Kuschelhund, der seinem Menschen bedingungslose Liebe entgegenbringen soll. Ganz schön viel für „einen“ Hund …

NEHMEN PROBLEME HEUTE ZU?

Die Geschäfte rund um den Hund laufen gut. Im Hundezubehörladen kann man jegliches erdenkliche Hilfsmittel erwerben, angefangen von Spielzeug, Dummy und Futterbeutel über Leinen, Geschirre und Halsbänder, aber auch Maulkorb, Anti-Zug-Geschirr, Kopfhalfter und Bell-Stopp füllen die Regale. Sinnvoll oder nicht soll an dieser Stelle gar nicht die Frage sein. Doch das Geschäft läuft, auch in Bezug auf Training und Versorgung des Hundes. Neben dem Tierarzt gibt es mittlerweile Tierphysiotherapeuten, Ernährungsspezialisten und natürlich gibt es Hundetrainer für alle möglichen Beschäftigungsformen und Verhaltensprobleme des Hundes. Wer mit seinem Hund nicht in die Hundeschule geht, dem werden Probleme bereits vorhergesagt. Scheinbar ist das Zusammenleben mit dem Hund immer schwieriger geworden. Doch woran liegt das? Werden unsere Hunde immer problematischer?

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Ballschleuder, Dummyweste, Leckerlibeutel und Pfeife – die „Grundausstattung“ eines Hundehalters?

VERÄNDERUNGEN DER ZUCHT

Auch wenn sich der Hund im Laufe der letzten Jahrzehnte natürlich verändert hat, ist er dennoch das geblieben, was er immer schon war: ein domestiziertes Raubtier! Die Veränderungen beim Hund sind aber gerade in Bezug auf das Äußere gravierend. Hierzu muss man sich nur die Rassefotos vieler Hunde aus den Anfängen der Zucht anschauen. Die heute präsentierten Rassevertreter haben häufig kaum noch etwas mit ihren Urahnen gemeinsam. Stand früher der Arbeitseinsatz der Hunde im Vordergrund, mussten die Hunde also sowohl geistig als auch körperlich den Ansprüchen genügen, welche die Menschen an sie als Helfer bei der Jagd, beim Hüten oder beim Verteidigen von Haus und Hof stellten, ist heutzutage oft ein sehr persönliches Schönheitsideal ausschlaggebend. Da werden Hunde für die Zucht bevorzugt, welche möglichst viel Masse mit sich bringen. Extreme Winkelungen der Hinterhand, verkürzte Nasen, sehr kleine oder sehr große Exemplare, alles was besonders viel hermacht oder sehr selten und damit besonders ist, scheint sich durchzusetzen. Doch leider wird hierbei der gesundheitliche Aspekt oftmals vergessen. So können viele dieser Hunde z. B. kaum noch über einen längeren Zeitraum laufen oder ohne Probleme atmen.

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Martin Rütter erklärt, welche Bedürfnisse die Kromfohrländer-Hündin Amy hat und wie diese im Alltag und gemeinsamen Training erfüllt werden können.

ZU HOHE ERWARTUNGEN AN DEN HUND

Sogenannte Problemhunde entstehen häufig einfach durch falsche Erwartungen des Menschen an seinen Hund! Das beginnt damit, dass der Mensch sich häufig nicht gut genug vorab bei der Anschaffung informiert, welcher Hund eigentlich am besten zu ihm und seiner Familie passt. Daher können wir nur raten, das – häufig kostenfreie – Angebot der Beratung vor dem Hundekauf in unseren Hundeschulen zu nutzen. Ein guter Hundetrainer wird dabei genau nachfragen, welche Vorstellungen Sie von Ihrem Hund haben, welche Ansprüche Sie an einen Hund stellen, und wie das Leben bei Ihnen bzw. in Ihrer Familie abläuft. Er wird Ihnen dann entsprechend mögliche Rassen vorstellen und bei der Auswahl des Hundes beim Züchter helfen. Alternativ wird er mit Ihnen im Tierheim eventuell passende Hunde in Bezug auf Ihre Ansprüche testen. Lassen Sie sich bei der Auswahl des Hundes in jedem Fall Zeit, ein übereilter Kauf hilft niemandem. Schließlich wollen Sie mindestens die nächsten 12 bis 15 Jahre gemeinsam mit Ihrem Vierbeiner verbringen, bzw. bei einem erwachsenen Hund die restlichen Jahre gemeinsam erleben, bis er hoffentlich dieses hohe Alter erreicht hat.

Doch gerade beim Ersthund sind die Vorstellungen vieler Menschen sehr romantisch. Der Mensch möchte mit seinem Hund die Natur erleben. Entspannte Spaziergänge, bei denen man einfach einmal die Seele baumeln lassen kann, sind wohl nicht zu viel erwartet. Natürlich soll auch der Hund auf seine Kosten kommen, indem er neue Bekanntschaften schließt. Und man selbst ist ja auch offen und freut sich über neue Bekannte, die das gleiche Hobby teilen. Während man den Hunden beim netten Spiel zuschaut, kann gefachsimpelt werden, man kann sich über das neueste Hundefutter austauschen oder einfach nur das gemeinsame Zusammensein genießen. Zuhause liegt der Hund dann zufrieden und glücklich in seinem Körbchen und wartet brav darauf, dass es am Nachmittag noch einmal nach draußen geht.

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Simone und ihr Mischlingsrüde Shadow verstehen sich gut. Beide lieben die gemeinsamen Spaziergänge.

GANZ SO EINFACH IST ES NICHT

Die Realität sieht dann meist ganz anders aus ... Der Hund jagt alles, was er in die Nase bekommt, so dass man den Spaziergang, kaum dass der Hund abgeleint wird, eigentlich allein verbringt. An der Leine lässt sich der Hund kaum führen, er zieht wie ein Berserker, so dass man bereits chronische Schmerzen im Schultergelenk hat. Trifft man auf andere Hunde, stürmt Waldi mit lautem Gebell los, und oftmals endet das Zusammentreffen blutig. Zuhause nimmt der Hund das Haus auseinander, allein bleiben kann er gar nicht, und Besucher werden laut verbellt, wenn sie überhaupt ins Haus hinein dürfen. Wofür hatte man sich noch mal den Hund angeschafft?

Glücklicherweise trifft das gerade beschriebene Szenario in dieser Komplexität auf die wenigsten Hunde zu. Doch die ein oder andere Baustelle hat wohl jeder Hund. Und das ist auch ganz normal!

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Der 8 Monate alte Labrador-Rüde muss noch viel lernen, damit Spaziergänge entspannt verlaufen.

HUNDE SIND NICHT PERFEKT!

Hunde sind Lebewesen, sie sind nicht „perfekt“. Wir schaffen uns einen Hund aus Fleisch und Blut an, keinen Roboter, der nur entsprechend unserer Bedürfnisse programmiert werden muss und dann zuverlässig funktioniert. Hunde sind soziale Lebewesen, die ihre individuellen Stärken und Schwächen haben! Und als diese müssen wir Menschen sie auch wahrnehmen und akzeptieren. Natürlich heißt das nicht, dass Sie mit dem Problem Ihres Hundes leben müssen. Wenn Ihr Hund an der Leine zieht, können Sie ihm über ein gut aufgebautes und auf ihn abgestimmtes Training beibringen, an lockerer Leine zu laufen. Das kann jeder Hund lernen! Zumindest in den meisten Situationen. Denn natürlich kann selbst der besterzogenste Hund einmal vergessen, was eigentlich von ihm erwartet wird. Wir Menschen kennen das auch von uns selbst. Man ist freudig erregt und kann sich nicht mehr zurückhalten, oder hat große Angst und möchte nur noch weg, ohne weiter nachzudenken. Auch der Hund wird gegebenenfalls in solchen Situationen nicht mehr daran denken, dass Sie eigentlich mit ihm vereinbart hatten, an lockerer Leine zu laufen. Ein solcher Hund ist aber mit Sicherheit kein Problemhund. Helfen Sie ihm aus der für ihn schwierigen Situation und Sie werden erleben, wie die gemeinsame Bewältigung Ihre Beziehung stärkt.

NICHT NUR NEGATIV DENKEN

Doch nicht immer kann durch ein Training jedes Problem gelöst werden. Hunde haben Charaktereigenschaften, welche sich auch durch ein noch so gutes Training nicht verändern lassen. Den hochspezialisierten Jagdhund wird man wohl niemals vollkommen entspannt frei laufen lassen können. Natürlich können Sie die zuverlässige Rückrufbarkeit trainieren, einen solchen Hund mit alternativen Beschäftigungsformen auslasten, dennoch werden Sie ihn vermutlich auf dem Spaziergang immer im Auge behalten müssen, um im Falle des Falles schnell eingreifen zu können. Genauso wenig werden Sie durch noch so intensives Training aus einem sehr ängstlichen Hund einen Draufgänger machen. Sie können lernen, Angstzustände Ihres Hundes zu erkennen, Ihren Hund in der Angst zu führen, oder ihm aus einer Angstsituation zu helfen. Ihr Hund kann erfahren, dass es Sinn macht, sich an Ihnen zu orientieren. Dennoch wird es immer wieder zu Situationen kommen, in denen Ihr Hund ängstlich reagiert.

Kommt es zu einem solchen „Rückschlag“, sind viele Menschen enttäuscht. Sie denken, dass sie selbst vermutlich nicht hart und konsequent genug trainiert haben, denn es muss ja einen Grund für das erneute Versagen geben. Alle anderen scheinen es doch auch zu schaffen, haben ja offensichtlich perfekte Hunde. Denn auch das spielt beim Bild, das man von seinem Hund hat, eine große Rolle: die Erwartungen, die das Umfeld offensichtlich oder auch nur scheinbar an einen selbst als Hundehalter bzw. an den Hund hat. Hunde sollen in unserer Gesellschaft funktionieren. Sie sollen nicht auffallen, keine anderen Menschen belästigen. Der Hund, der einen Menschen anbellt, fällt auf. Unerwünschtes Verhalten wird schnell anstößig kommentiert. So passiert es leicht, dass man ebenfalls nur noch die negativen Seiten seines Hundes sieht. Alles, was man bereits erreicht hat, ist vergessen, spielt kaum eine Rolle im Vergleich zu dem, was man noch nicht geschafft hat.

POSITIVE EIGENSCHAFTEN SEHEN

Daher ist es wichtig, sich immer wieder bewusst zu machen, welche wundervollen Eigenschaften der eigene Hund hat. Gerade wenn Sie mit einem Problem kämpfen, sollten Sie sich einmal die Zeit nehmen und positive Eigenschaften Ihres Hundes sowie tolle Erlebnisse mit Ihrem Hund aufschreiben. Sie werden erstaunt sein, wie lang die Liste werden wird. Denn nicht umsonst haben Sie sich damals für Ihren Hund entschieden. Hätte er schon zu Beginn keine positiven Eigenschaften oder liebenswerten Merkmale gehabt, hätten Sie ihn vermutlich auch nicht in Ihre Familie aufgenommen. Denn wer will schon mit jemandem jahrelang eng zusammenleben, den er hässlich, abstoßend, und offensichtlich einfach nur unmöglich findet?

IDEALBILD UND REALITÄT

Machen Sie sich bewusst, dass das Idealbild Ihres Hundes niemals mit der Realität übereinstimmen kann. Und mal Hand aufs Herz: Wäre das Leben mit dem perfekten Hund nicht einfach viel zu langweilig? Denn dann hätten wir alle uns doch wirklich einfach Roboter angeschafft. Ein Hund reagiert nicht immer so, wie wir es erwarten, aber genau das macht das Training und Zusammenleben erst spannend. Denn damit muss auch der Mensch geistig aktiv bleiben, und sich immer wieder von neuem auf den Hund und auf die momentane Situation einstellen! Akzeptieren Sie Ihren Hund daher so wie er ist, mit all seinen Stärken und Schwächen. Helfen Sie ihm dabei, sich zu entwickeln, aber lernen Sie auch seine Grenzen kennen. Versuchen Sie nicht, ihn zu biegen oder zu brechen, denn das, was seine Persönlichkeit ausmacht, werden Sie nicht verändern können.

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Die kleine Terrier-Mischlingshündin Shila verzaubert alle Menschen mit ihrem charmanten und freundlichen Wesen und ist immer für einen Spaß zu haben.

Probleme erkennen

Beim Gespräch mit Martin Rütter werden die Ursachen für die Probleme im Alltag mit Australian Shepherd-Rüde Anton deutlich sichtbar – er hat nicht gelernt zu warten.

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Beim Gespräch steht Anton nicht im Mittelpunkt, er bekommt keine Aufmerksamkeit von der Familie.

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Frustriert beginnt er, in die Leine zu beißen, um durch Zerren die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

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Da er immer noch keine Aufmerksamkeit bekommt, wird er deutlicher und springt den Vater der Familie an.

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Seinen Frust darüber, dass die Familie seinen Wünschen nicht nachkommt, zeigt er nun auch durch Beißen in den Arm.

PROBLEME LÖSEN

Auch der Mensch darf in der Beziehung Mensch-Hund nicht vergessen werden. Denn auch er ist ein Individuum mit Stärken und Schwächen. Ihr Hundetrainer hat Ihnen z. B. geraten, Ihren Hund einige Zeit lang zu ignorieren. Und doch kommen Sie nach einem stressigen Arbeitstag nach Hause und brauchen einfach die gemeinsame Kuschelzeit mit Ihrem Hund auf dem Sofa ... Niemand ist perfekt, kein Mensch kann immer hundertprozentig funktionieren. Und auch Menschen haben Bedürfnisse, die sie gern erfüllt haben möchten. Ein gutes Hundetraining ist daher immer sowohl auf den Hund und dessen Eigenschaften und Bedürfnisse abgestimmt, als auch auf den Menschen. Es spricht also nichts dagegen, an Problemen zu arbeiten! Doch was ist überhaupt ein Problem?

WICHTIG

Was ist ein Problem?

Ein Problem ist immer nur das, was im Miteinander stört. Ein Wachhund, der fremde Menschen auf dem Grundstück verbellt, ist sehr erwünscht. Würde der gleiche Hund im Haus bei einer großen Familie leben, und jedes zu Besuch kommende Kind verbellen, gäbe es ein Problem. Damit ist klar: „Den Problemhund an sich“ gibt es eigentlich gar nicht. Problematisch ist immer nur das, was vom Menschen als störend, als nicht passend für den Alltag, die Beziehung, das Umfeld, angesehen wird. Aus diesem Grund sprechen wir auch nicht von Problemen mit Hunden, sondern von unerwünschtem Verhalten bzw. Verhaltensauffälligkeiten bei Hunden!

FALLBEISPIEL: DAS MISSVERSTÄNDNIS

Frau Bär kommt mit ihrem stark an der Leine ziehenden Hund zum ersten Termin auf den Hundetrainingsplatz. Der Hundetrainer begrüßt sie und ihren hechelnden Hund mit den Worten: „Ich sehe schon, wo das Problem liegt.“ Frau Bär wundert sich, dass der Hundetrainer scheinbar hellseherische Fähigkeiten hat. Sie antwortet mit den Worten: „Ja genau, mein Hund soll endlich lernen, unsere Pferde nicht mehr zu jagen, wie haben Sie das denn erkannt?“ Nach einem kurzen Gespräch klärt sich das Missverständnis auf. Frau Bär wohnt auf einem Pferdehof in einer ländlichen Gegend. Der nächste Nachbar befindet sich mehrere Kilometer weit entfernt. Daher darf der Hund auf dem Hof frei laufen. Allerdings hat er seit kurzem begonnen, die Pferde auf der Weide zu jagen. (Wie sich später herausstellt, zeigt der Australian Shepherd einfach nur in ihm veranlagtes Hüteverhalten.) Mit der Leinenführigkeit hat Frau Bär gar kein Problem, denn bis auf wenige Ausnahmen wie den jährlichen Besuch beim Tierarzt muss der Hund nie an der Leine laufen. Und deshalb wurde die Leinenführigkeit auch nie mit dem Australian Shepherd trainiert.

Für ein erfolgreiches Hundetraining müssen sich Hundetrainer und Hundehalter also miteinander austauschen. Es muss besprochen werden, welche Bedürfnisse in der Familie und beim Hund bestehen.

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Australian Shepherd-Hündin Phoebe muss noch lernen, an lockerer Leine zu laufen.

Verhaltensauffälligkeit kontra -störung

Hunde, die mit dem Menschen zusammenleben, wurden in den sozialen Verband aufgenommen, um die Bedürfnisse und die Ansprüche des Menschen zu erfüllen, und das heute oftmals mehr als zu Beginn der Domestikation des Hundes. Hunde können ihre Bedürfnisse nicht frei ausleben. Sie dürfen weder unbegrenzt jagen, noch selbst über sexuelle und soziale Kontakte entscheiden und auch kein Territorium ihr Eigen nennen. Sie sind auf den Menschen angewiesen, der über das Leben der Hunde verfügen kann. Bei domestizierten Tieren ist der Begriff „artgerecht“ damit eigentlich paradox.

VERHALTENSAUFFÄLLIGKEIT

Dennoch sollte ganz allgemein in der Tierhaltung die Verantwortung für ein Lebewesen den Menschen dazu bringen, der Tierart so gerecht wie möglich zu werden. Im Zusammenleben mit dem Menschen in nur teilweise artgerechter Haltung entwickeln sich jedoch „Sonderformen“ bestimmter Verhaltensweisen. Oft entsteht oder entwickelt sich ein solches Verhalten aus einem Funktionskreis heraus, das Verhalten hatte also ursprünglich eine biologische Funktion. Durch verschiedene Ursachen bleibt eine „sonderbare“, das heißt z. B. verstärkte, antrainierte oder verminderte Verhaltensweise bestehen. Entspricht das nun entstandene Verhalten nicht den Vorstellungen des Menschen, wird es unangebrachtes arttypisches Verhalten genannt, der Hund zeigt eine Verhaltensauffälligkeit.

So verändert sich beim Hund z. B. das aus dem Funktionskreis des Nahrungserwerbs kommende Verhalten des Milchtritts zum fordernden Stupsen mit der Pfote. Der Welpe tritt mit der Pfote gegen die Zitze der Hündin. Dadurch wird der Milchfluss angeregt, der Welpe bekommt Nahrung. Dieses Verhalten, also das Treten mit der Pfote, setzen viele Hunde später ein, wenn sie etwas bei ihrem Menschen einfordern möchten, sei es einen Leckerbissen, eine Streicheleinheit oder etwa ein Spiel. Wenn nun der Mensch diesen Forderungen des Hundes immer nachkommt, wird das Verhalten verstärkt und kann sich so zu einem lästigen, unangebrachten – aber eben immer noch arttypischen – Verhalten des Hundes entwickeln, der Hund ist verhaltensauffällig!

VERHALTENSABWEICHUNG

„Verhaltensabweichungen werden als Besonderheiten definiert, die den Tieren eine Anpassung an besondere Umweltbelastungen ohne Entwicklung neurotischer Symptome ermöglicht.“ (Feddersen-Petersen, Hunde-Revue „Ethologie“ 1995) Es kann unter bestimmten Lebensumständen für Hunde schwierig sein, sich ihrer Umgebung anzupassen. Als eine Verhaltensauffälligkeit bzw. Verhaltensabweichung bezeichnen wir daher ein Verhalten, das einer Verhaltensstörung nicht zugeordnet werden kann, da es durch eine Umgestaltung der Lebensumstände verändert bzw. abgestellt werden kann.

Unangebrachtes arttypisches Verhalten beim Hund wird vom sozialen Umfeld nicht akzeptiert, da es lästig, unerwünscht oder gefährlich sein kann. Zu den unerwünschten Verhaltensweisen gehören beispielsweise Anspringen, häufiges Bellen, Fressen von Kot oder verschiedene Formen der Aggression. Diese Verhaltensweisen müssen deutlich von der Verhaltensstörung abgegrenzt werden. Der Unterschied liegt darin, dass diese Verhaltensweisen vollkommen arttypisch, also „normal“ sind!

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