Flamme Rouge

FLAMME ROUGE

NUR NOCH 1000 METER – RADPROFIS ERZÄHLEN IHRE SCHICKSALSMOMENTE

Ein Buch von
Daniel Lenz & Florian Summerer

»Ich hab’ halt nie den Killerinstinkt von Zabel, Ullrich oder Laurent Jalabert gehabt. Die Champions haben das einfach drin, wenn die den Teufelslappen sehen, werden die plötzlich zu anderen Menschen, denen ist dann alles andere einfach egal: Tod, Sieg oder nix.«

Udo Bölts

(Süddeutsche Zeitung vom 17.07.2002)

INHALT

EINLEITUNG

DIE GESCHICHTE DER FLAMME ROUGE

von Feargal McKay

GERALD CIOLEK

Wie ein Underdog Radsportgeschichte schreibt

Im Fokus: Poggio di Sanremo – Scharfrichter der Primavera

FABIAN CANCELLARA

Die schärfste Waffe von »Spartacus«

Nachgefragt: »Den Fans etwas zurückgeben«

EVALDAS ŠIŠKEVIČIUS

Er macht seine Arbeit – bis zum Schluss

HERMANN JUNGBLUTH

Als der blonde Engel zum Teufel wurde

ROBERT FÖRSTER

Volles Risiko in der letzten Kurve

Im Fokus: Das frühere Doppelleben der Radprofis

FABIAN WEGMANN

Die Flamme Rouge aus Sicht eines Streckenplaners

ROBERT MILLAR / PHILIPPA YORK

Einmal die Kurve nicht gekriegt

Im Fokus: Guzet-Neige

ALEXANDER WINOKUROW

Wino vs. Toto – ein Duell der Ungleichen

LEONTIEN VAN MOORSEL

Mit Stehversuchen die Erzrivalin niedergerungen

RALF GRABSCH

Der U23-Bundestrainer über strategische und psychologische Herausforderungen im Finale von Radrennen

CHRISTOPHE MENGIN

Blutige Eroberung der französischen Herzen

Im Fokus: MarcMadiot

MARTIN ELMIGER

Wenn sieben Pedaltritte zum großen Traum fehlen

SIMON GESCHKE

Wenn der Domestik plötzlich Rock ’n’ Roll spielt

Im Fokus: Pra Loup – der Berg, an dem die Ära von Eddy Merckx endete

HENNES ROTH

Das Finale von Radrennen aus Sicht eines Fotografen

FREDDY MAERTENS

Das Komplott des Kannibalen

Nachgefragt: »Champagner hat mir den Kick gegeben«

TRIXI WORRACK

Der perfekte Sprintzug

DIDI THURAU

Kampf um die Ehre

Im Fokus: Wenn die Söhne den Vätern nacheifern

BILDNACHWEIS

DANKSAGUNG

DIE AUTOREN

 

EINLEITUNG

Das krönende Finale großer Radrennen wird mit der »Flamme Rouge« angekündigt, dem roten Teufelslappen, der über der Strecke im Wind weht. Je nach Fahrer hat das Stück Stoff unterschiedliche Bedeutungen: für Solo-Ausreißer, dass sie nur noch 1.000 Meter durchhalten müssen, bevor sie ins Ziel kommen – was besonders bei Bergankünften noch quälend lang sein kann; für Fahrer aus Fluchtgruppen, dass es jetzt darauf ankommt, mit Finesse oder rohem Krafteinsatz die Konkurrenten auszuschalten; für Sprinter und ihre Züge, dass sie sich spätestens jetzt für den Massensprint positionieren müssen. Für die einen ist die Flamme Rouge das Tor zum Paradies, für die anderen der Eingang zur Hölle. Der kleinste Fehler, ein Zuviel an Risiko kann hier ganze Karrieren überschatten.

Für die Zuschauer am Fernseher ist der Teufelslappen ebenso ein Signal, ihre Aufmerksamkeit zu steigern. Die meist fiebrig wirkenden Kommentatoren der Rennen in TV und Radio führen durch das Finale, erklären die letzten Schachzüge vor der Ziellinie und interpretieren das oft dramatische Geschehen. Was tatsächlich in den Köpfen der Fahrer im Finale vorgeht, bleibt ihnen jedoch verborgen. Das vorliegende Buch widmet sich dieser Innenperspektive: Profis von damals und heute, berühmte und unbekannte Fahrer, Bergfahrer und Sprinter, Anführer und Wasserträger berichten von ihren Erfahrungen vor und auf dem letzten Kilometer, von triumphalen Siegen und krachenden Niederlagen, von Stürzen und anderen Pannen, von unerbittlichen Duellen und nervenkitzelnden Solofahrten. Oft sind die hautnah geschilderten Final-Erlebnisse Ausgangspunkt weiterer spannender Anekdoten aus dem eigenen Leben oder aus der Welt des Radsports.

Erstmals wurde der Teufelslappen 1906 bei der Tour de France aufgehängt. Am 3. Juli des Jahres veröffentlichte die vom Tour-Organisator Henri Desgrange herausgegebene Zeitung »L’Auto« eine Vorschau der Auftaktetappe von Paris nach Lille. Unterhalb der Liste der 96 Fahrer gab es einen Verweis auf eine Neuerung im Rennen, wie der Journalist Pierre Chany 2011 in seinem Buch »La Fabuleuse Histoire du Tour de France« berichtet: Um die Risiken im Rennen zu reduzieren, hieß es in der Meldung, werde bei jeder Etappe einen Kilometer vor dem Ziel eine rote Markierung angebracht. Desgrange soll bei der Erfindung der Flamme Rouge an das Militär gedacht haben, wo Soldaten mittels einer roten Flagge der Schlachtbeginn signalisiert wurde. Doch am Tag des geplanten Debüts der Flamme Rouge gab es laut Chany bereits Komplikationen: Beamte der Stadt Lille verlangten in letzter Minute vom Veranstalter, das Ziel zu verlegen, aus dem Stadtzentrum heraus in einen anderen Stadtteil. Ob die Organisatoren bei der hastigen Ziel-Verlagerung auch an das rote Stück Stoff dachten, ist nicht überliefert.

Das Fieber auf dem letzten Kilometer

Die große Herausforderung bei der Arbeit an diesem Buch bestand darin, mit den Rennfahrern detailliert über Situationen zu sprechen, die sie normalerweise unter höchster Anspannung, mit schmerzenden Muskeln und voller Adrenalin erleben. Die letzten tausend Meter verfliegen meist im Rausch, der die Details – Wie haben die Zuschauer reagiert? Welche Signale sendet der Körper? – überdeckt. Die Aufmerksamkeit der Fahrer richtet sich auf sehr wenige Faktoren: Zuckt der Konkurrent und zieht den Sprint an? Wo ist die Lücke? Wie weit ist der Abstand zu den Verfolgern? Selbst für die Sportlichen Leiter sind die Schützlinge in dieser Situation Blackboxes, unerreichbar für letzte Ansagen per Funk. Der starke Druck, der auf den Fahrern im Finale lastet, kann auch zu stark werden – und sogar ganze Karrieren beenden, wie der U23-Bundestrainer Ralf Grabsch im Interview ausführt.

Während besonders die Sprinter auf dem letzten Kilometer nur wenig von den äußeren Bedingungen wahrnehmen, weil sie damit beschäftigt sind, sich an der Spitze möglichst optimal zu positionieren, genießen andere Fahrer wiederum die Unterstützung des Publikums: Seien es Ausreißer mit großem Abstand zu den Verfolgern, die um ihren sicheren Sieg wissen, oder eher schwergewichtige Sprinter, die bei Bergankünften von den Zuschauern an geschoben werden, um es rechtzeitig bis ins Ziel zu schaffen. Bei anderen Fahrern wiederum sind die Zuschauer, wenn auch meist nicht absichtlich, eher Feinde, statt Helfer. So etwa bei der Tour de France am 3. Juli 1994, als es auf der ersten Etappe nach knapp 234 Kilometern in Armentières zum Drama kommt: Ein Polizist, der eigentlich die Zielgerade absichern sollte, macht ein Erinnerungsfoto vom Sprintfinale, wagt sich dabei aber zu weit auf die Straße und verschätzt sich bei der Entfernung der heranrasenden Fahrer. Der damalige Top-Sprinter Laurent Jalabert sowie Fabiano Fontanelli und Wilfried Nelissen können nicht mehr ausweichen und stürzen schwer. Jalabert verabschiedete sich daraufhin sogar von seinen Sprinterambitionen, aus Angst, solch einen Sturz erneut zu erleben, und suchte sein neues Fahrerprofil fortan in der Gesamtwertung. Weniger schwerwiegend war die Kollision des damaligen Telekom-Profis Giuseppe Guerini am 14. Juli 1999, auf der zehnten Etappe dieser Tour mit Ziel in L’Alpe d’Huez: In Führung liegend, fuhr Guerini nahe der Flamme Rouge in einen HobbyFotografen, der mitten auf dem Mittelstreifen stand – rappelte sich aber wieder auf und siegte, 21 Sekunden vor Pawel Tonkow.

Die Geburtsstunde des »Finisseurs«

Verbunden mit der Einführung der Flamme Rouge wurde im Laufe der Jahre ein neuer Fahrertypus geboren: der »Finisseur«, der über genug Kraft und Willensstärke verfügt, sich am Ende mit einer Attacke von der ohnehin schon mit hohem Tempo fahrenden Konkurrenz entscheidend zu lösen. Mit dieser Spezialität wurden in den vergangenen Jahrzehnten viele Finisseure zu Stars im Peloton, darunter etwa ein Walter Godefroot, der in den 1960ern und 1970ern reihenweise Siege auf dem letzten Drücker abräumte – und entsprechend nicht nur die »Bulldogge von Flandern«, sondern auch »Le Finisseur« höchstpersönlich genannt wurde. Mehrere Jahrzehnte später gelang es Fabian Cancellara immer wieder, die Sprinter kurz vor dem Massensprint noch zu düpieren. So etwa bei der Tour de France 2007 auf der Etappe nach Compiègne: Nur 750 Meter vor der Ziellinie verschärfte der Schweizer, der das Gelbe Trikot des Gesamtführenden trug, die Geschwindigkeit im Peloton plötzlich noch einmal deutlich, setzte sich ab, schoss an der vierköpfigen Ausreißergruppe vorbei und hielt die heranrasenden Sprinter unter der Führung von Erik Zabel bis ins Ziel auf Distanz. Ermöglicht wurde dieser außergewöhnliche Sieg insbesondere durch Cancellaras erstklassige Qualitäten als Zeitfahrer, aber auch durch den ihm eigenen »Powerburst«, den Cancellara im Interview in diesem Buch beschreibt: seine Eigenschaft, für kurze Momente extrem viel Power aufs Pedal zu bringen. Eine weitere Stärke Cancellaras, die ihm besonders bei den Frühjahrsklassikern immer wieder zum Sieg verhalf, wird in diesem Buch ausführlich beschrieben: die Intuition, das Bauchgefühl, das Cancellara oft den richtigen Moment der Attacke vorgab.

In den Mannschaftsbesprechungen vor dem Rennen diskutieren Teams oft sowohl die Taktik im ersten Teil des Rennens als auch im Finale. Geht es bei den Überlegungen zum Rennverlauf zunächst um Fragen wie, welche Fahrer in Ausreißergruppen mitfahren oder diese initiieren sollen, steht mit Blick aufs Finale besonders das eigene Taktieren im Sprint Royal (wie der Massensprint im Französischen genannt wird) im Vordergrund: Wer fährt an welcher Position bis wie weit im Sprinterzug? Wo lauern voraussichtlich die schärfsten Wettbewerber? Von wo kommt der Wind? Gibt es Kurven, Anstiege? Die Organisation von Sprinterzügen, in den 1990ern von Mario Cippolini und seinem »Treno rosso«, dem roten Zug des Saeco-Teams, perfektioniert, gilt als hohe Kunst, für die Mannschaften ganz gezielt trainieren. Gelingt das kollektive taktische Manöver, dann zwingt ein Zug den anderen Teams seine Regeln auf, dominiert das Tempo und kontrolliert die Positionierung der Fahrer an der Spitze des Feldes bis ins Ziel. Im Buch erklärt die erfahrene deutsche Anfahrerin Trixi Worrack, wie der perfekte Sprint organisiert wird. Und doch passieren immer wieder Fehler und Missverständnisse, wie Fabian Wegmann am Beispiel der Baskenland-Rundfahrt 2003 im Interview berichtet.

Die Psychologie im Zweier- und Gruppensprint

Wenn die letzten Fahrer aus versprengten Ausreißergruppen sich dem Ziel nähern, bahnen sich oft nervenzerreißende Duelle an, die von taktischen Überlegungen geprägt werden. Sie bleiben auch Jahrzehnte später noch in Erinnerung. In diesem Buch werden zwei historische Radsportzweikämpfe im Detail rekapituliert – in beiden Fällen Aufeinandertreffen äußerst ungleicher Fahrer. Der legendäre Schlagabtausch, den sich Leontien van Moorsel und Jeannie Longo bei der Tour Cycliste Féminin 1992 auf den letzten tausend Metern der Etappe nach L’Alpe d’Huez geliefert haben, gehört zu den spannendsten Finals der Radsportgeschichte: der aufstrebende Stern gegen die Legende, die vor dem entscheidenden Zweikampf im Gesamtklassement gerade einmal neun Sekunden auseinanderlagen. In ihrer Karriere haben diese beiden Fahrerinnen immer wieder Duelle ausgefochten, nie jedoch so unerbittlich wie auf dem Weg nach L’Alpe d’Huez. Ähnlich wie bei der Entscheidung zwischen Longo und van Moorsel lieferten sich auch Alexander Winokurow und Salvatore Commesso im Finale der Tour-Etappe nach Freiburg im Juli 2000 einen regelrechten Psychokampf, wie er sonst nur aus dem Bahnradsport bekannt ist.

Was für den direkten Zweikampf Frau gegen Frau und Mann gegen Mann gilt, trifft bei Sprintentscheidungen kleinerer Gruppen oft ebenfalls zu: Am Ende ist es häufig der Kopf und nicht die Beine, der über Sieg oder Niederlage entscheidet. Und je mehr Köpfe an der Entscheidung beteiligt sind, desto komplexer die Situation, die es zu meistern gilt. In diesem Buch wird dies einerseits am Beispiel von Gerald Cioleks Erfahrungen bei Mailand–Sanremo illustriert – einem von Regen, Eis und Schnee geprägten Rennen, in dem der Kölner letztlich von seiner Außenseiter-Rolle profitierte. Konträr dazu war die Konstellation ein Jahr später bei der FlandernRundfahrt, bei der Fabian Cancellara im Wettkampf mit drei Belgiern die Oberhand behielt – in dem Fall trotz seines Favoritenstatus. Über das dritte Beispiel in diesem Buch ließe sich allein ein ganzes Buch schreiben: die Niederlage der belgischen Nationalfahrer Eddy Merckx und Freddy Maertens bei der Straßenweltmeisterschaft 1973 in Barcelona, im Duell mit Felice Gimondi aus Italien und Luis Ocaña aus Spanien. Das Rennen war gespickt mit Intrigen und Rivalitäten – und mündete in eine Jahrzehnte währende Feindschaft der Belgier.

Mit Schultern und Ellbogen als Waffen

Nicht immer werden die Duelle im Finale primär psychologisch ausgefochten, oft setzen Sprinter eher den Körper als den Kopf als Waffe ein. So wie Dschamolidin Abduschaparow aus Taschkent (heute Usbekistan), der im Feld wegen seiner aggressiven und riskanten Fahrweise gefürchtet wurde. Olaf Ludwig, der dem Usbeken bei der Friedensfahrt begegnete, warnte seinerzeit: »Der fährt in Löcher hinein, wo keine sind.« Besonders bekannt wurde »Abdus« Sturz auf den Champs Élysées beim Tour-Finale 1991, als er mit rund 70 Kilometern pro Stunde im Zielsprint das Gitter der Absperrung touchierte und zu Boden krachte – es aber dennoch ins Ziel schaffte und im Krankenhaus das Grüne Trikot überreicht bekam.

Auch Freddy Maertens galt während seiner aktiven Profikarriere als furchtloser Fahrer. Im Interview räumt der Belgier ein, dass er sich in der entscheidenden Phase von Rennen häufiger einen Bidon mit Champagner hat reichen lassen – für den letzten Kick im Finale.

Mit der Einführung des Teamfunks ist es für Ausreißer immer schwieriger geworden, den Vorsprung bis ins Ziel zu halten. Die Sportlichen Leiter können den Verfolgern stets genaue Angaben über den Rückstand zur Spitze machen und entsprechende Anordnungen geben, das Tempo zum richtigen Zeitpunkt zu verschärfen – was besonders auf Flachetappen meist zu den immergleichen, monotonen Rennverläufen führt: Es bilden sich Ausreißergruppen, die kurz vor dem Finale eingeholt werden, worauf die Entscheidung im Massensprint gesucht wird. Vor diesem Hintergrund bleiben die wenigen gelungenen Ausreißversuche oft fest im Gedächtnis der Radsportfans verankert, so etwa der Sieg des damaligen Team-Sunweb-Domestiken Simon Geschke bei der Tour-Etappe nach Pra Loup 2015. Im Gespräch schildert der gebürtige Berliner sehr detailliert, was in seinem Kopf und Körper auf den letzten Metern vor der Ziellinie, nach 49 Kilometern alleine an der Spitze, passiert ist – wie die Muskeln gegen jede Pedalumdrehung rebellierten. Während Geschke seinerzeit den größten Sieg seiner Karriere feierte, erlebte Martin Elmiger im Jahr zuvor eine bittere Niederlage, die manchem Zuschauer die Tränen in die Augen trieb und die er für dieses Buch im Interview im Detail rekapituliert.

Fabian Wegmann schildert ebenfalls eindrücklich den Moment des Scheiterns: »Erst hörst du hinter dir die Motorräder und weißt, dass das Feld nicht mehr weit sein kann. Und dann siehst du das erste Vorderrad neben dir, und schlagartig bricht deine Leistung ein. Es ist vorbei.«

Tragische Stürze und Pannen

Gerade in Frankreich erobern oft eher die Gescheiterten als die Gekrönten die Herzen der Radsportfans. Fahrer wie Christophe Mengin, der 2005 bei der Tour de France in Nancy nach einem taktisch perfekten Rennen in der letzten Kurve stürzte. Bis heute wird der frühere »Baroudeur«, wie notorische Ausreißer bezeichnet werden, immer wieder auf seinen tragischen Ausrutscher auf regennassem Asphalt angesprochen. »Ich habe so schöne Rennen gewonnen, aber die ganze Welt will mit mir nur über den Sturz reden«, moniert Mengin. Und auch für Mengins damaligen Teamchef Marc Madiot ist der Sturz noch heute präsent: »Alle anderen Enttäuschungen sind im Laufe der Zeit verblichen, doch von dieser bleibt ein großer Schmerz.«

Einen Sturz auf nasser Straße kurz vor der Ziellinie erlebte auch Robert Förster beim Giro d’Italia 2003. Statt den bis dato größten Erfolg seiner Karriere zu feiern, bretterte der damalige Gerolsteiner-Fahrer in die Bande, kurz nachdem bereits Mario Cipollini den Abflug gemacht hatte. Das Foto, wie Förster anschließend sein Rad ins Ziel schob, wurde zum Bild des Tages.

Weniger emotional besetzt als bei Mengins tragischer Rutschpartie, aber ebenso spektakulär war ein Fauxpas von Robert Millar (heute Philippa York) bei der Tour de France 1988, kurz vor dem Ziel der Etappe nach Guzet-Neige. Im Interview erinnert sich Millar neben dem Malheur auch an den eigenen Triumph vier Jahre zuvor am gleichen Ort, als der Schotte den Grundstein für das gepunktete Trikot des Bergbesten legte – für ein Vierteljahrhundert der größte Erfolg eines britischen Fahrers bei der Tour de France.

Echte und falsche Freunde

Selbst wenn Radsport auch ein Mannschaftssport ist, stehen doch meist die Fahrer im Fokus, die als erste über die Ziellinie rollen. Daher erscheint es außergewöhnlich, wenn Fahrer am Ende den Schulterschluss üben, aus Rivalen zumindest für einige Minuten Verbündete werden – von solchen Szenen der Verbrüderung an der Flamme Rouge gibt es einige in der Radsportgeschichte. Die berühmteste Szene war bei der Tour de France 1986 in L’Alpe d’Huez zu sehen, als sich Greg LeMond und Bernard Hinault absetzten und am Ende Hand in Hand über die Ziellinie rollten. Für die vermeintliche Verbrüderung war viel Schauspieltalent vonnöten, denn die beiden Fahrer waren Teamkameraden, ohne Kameraden zu sein. Auf Geheiß ihrer Mannschaftsführung überquerten der fünfmalige Tour-Gewinner und der ungeliebte amerikanische Rivale in gespielter Eintracht die Linie. Dabei soll sich Hinault noch um einige Zentimeter nach vorne geschoben haben, was LeMond ihm offenbar noch Jahre später übel genommen hat. Auch bei der Tour de France 2001, der Etappe nach Luz Ardiden, wählten die Nummer eins und zwei des Gesamtklassements im Finale des Rennens große gemeinsame Gesten – mit dem Unterschied, dass sich Lance Armstrong und Jan Ullrich tatsächlich respektierten und bis heute freundschaftlich verbunden sind. Bevor der Deutsche und der US-Amerikaner Hand in Hand die Ziellinie passierten, hatten sie jeweils – vergeblich – versucht, den anderen Fahrer bei der Bergetappe abzuschütteln. Besonders Ullrich wurde die Geste im Nachhinein von Kritikern angekreidet. Der Vorwurf: Wie so oft bei der Tour de France habe sich der Deutsche frühzeitig in der Rundfahrt mit dem zweiten Platz abgefunden und daher nur halbherzig und vorhersehbar attackiert.

Psychologie spielt, wie bereits erörtert, ganz grundsätzlich eine große Rolle im Radsport: im Duell mit dem eigenen Körper, der sich gerne mit Krämpfen gegen die Höchstbelastung zur Wehr setzt; oder aber im Wettstreit mit den Rivalen, bei dem Nervenstärke und schauspielerisches Talent zur wichtigsten Waffe werden können. Wer auch immer der Widersacher ist – im Finale spitzen sich solche Psychoduelle meist zu. In dieser Disziplin hat Lance Armstrong wiederholt große Leistungen vollbracht, so etwa bei der Tour de France 2001, auf der Etappe nach L’Alpe d’Huez: Zwischenzeitlich spielte der US-Postal-Fahrer den sterbenden Schwan, indem er sich stets mit leidendem Gesicht am Ende des Feldes aufhielt. Doch als die Fahrer die Kehren hinauf nach L’Alpe d’Huez erreichten, zündete Armstrong plötzlich den Turbo und raste dem Feld davon. Im Ziel hatte er zwei Minuten Vorsprung – und die Tour de France für sich entschieden.

Nicht nur auf der ganz großen Bühne des Radsports gab es immer wieder Beispiele für den großen Bluff: In diesem Buch wird an die Austragung von Rund um Köln im Jahr 1974 erinnert, bei der mit Hermann Jungbluth ein Amateur die besten Karten hatte, das Rennen für sich zu entscheiden – um am Ende doch von Dietrich Thurau auf eine umstrittene Art und Weise geschlagen zu werden.

Bei einem weiteren Rennen, das in diesem Buch thematisiert wird, wurde Thurau Schauspielerei vorgeworfen, diesmal jedoch in der Rolle des großen Verlierers: Bei der Straßenweltmeisterschaft 1977 in San Cristóbal in Venezuela soll der Deutsche den Sieg an Francesco Moser verkauft haben. Auch hier schildert Thurau im Interview seine eigene Sicht der Dinge.

Der kleine Held

Die letzten tausend Meter haben in diesem Buch oft etwas Dramatisches an sich. Es geht um große Gefühle, bittere Niederlagen oder triumphale Siege. Eine Geschichte ragt heraus, weil sie nicht in diesen emotionalen Rahmen passt: Sie handelt von einem bis dato unbekannten Fahrer aus dem Pro-Continental-Team Delko Marseille, der durch Paris–Roubaix 2018 zumindest für einige Tage berühmt wurde. Nicht weil er als Außenseiter einen Sieg erlangt hätte – Evaldas Šiškevičius kam erst ins Ziel, nachdem das Gros des Publikums im Anschluss an die Ehrung des Siegers Peter Sagan schon längst gegangen war. Sondern weil er sich noch ins Ziel gekämpft hat, während andere Fahrer längst aufgegeben hätten. Weit hinter dem Feld fahrend, am Ende sogar noch vom Besenwagen überholt und aus der Karenzzeit gefallen, nach zahlreichen Pannen am Rad und am Begleitfahrzeug fuhr Šiškevičius, komplett auf sich allein gestellt, ins Ziel nach Roubaix. Seine Begründung klingt wenig heroisch: »Ich fahre Rennen und ich wollte meine Arbeit zu Ende bringen. Das ist wie im normalen Leben: Wenn du etwas beginnst, musst du es auch fertig machen.«

 

DIE GESCHICHTE DER FLAMME ROUGE

von Feargal McKay

Die Flamme Rouge – ein rotes Stoffdreieck, das im Englischen oft als »Red Kite« und im Deutschen auch als »Teufelslappen« bezeichnet wird – signalisiert die finalen 1.000 Meter eines Radrennens und wurde erstmals bei der Tour de France 1906 eingesetzt.

In den ersten Jahren der Frankreich-Rundfahrt war der Zieleinlauf von Etappen immer wieder wegen störender Zuschauer im letzten Moment verlegt worden. So endeten beispielsweise die Marseille-Etappen der Tour de France 1903 sowie 1904 jeweils im Vorort Saint-Antoine, rund zehn Kilometer nördlich des Zentrums der südfranzösischen Metropole. 1905 wurde entschieden, dass das genaue Ziel der Etappen deshalb nicht mehr vorab bekanntgegeben wird. Die Ziellinie würde zwar ganz in der Nähe des Etappen-Zielorts liegen, nur wenige Kilometer entfernt, aber die Fahrer würden erst in dem Moment vom genauen Ziel erfahren, wenn sie Georges Abran am Streckenrand erblickten: den Mann, der sie beim Start mit einer gelben Fahne auf die Reise schickte und sie in diesem Jahr nun auch mit der Fahne im Ziel willkommen hieß.

Der Plan ging insofern auf, als er verhinderte, dass Fans den Zieleinlauf störten. Für die Fahrer jedoch klappte dieses Verfahren nicht so gut. Nach der fünften Etappe nach Nîmes legte Lucien Petit-Breton eine Beschwerde ein. Er hatte eine Fahne am Streckenrand mit der offiziellen Zielfahne verwechselt und seinen Sprint an ihr ausgerichtet – statt an der von Georges Abran geschwenkten Fahne. Am Ende wurde er nur Vierter.

Für die Fahrer war die Reihenfolge ihres Zieleinlaufs insofern besonders wichtig, als die Wertung nach den ersten beiden Austragungen der Tour de France umgestellt worden war: Basis war nun nicht mehr die benötigte Fahrzeit, sondern ein neues Punktesystem. Der erste Fahrer im Ziel erhielt einen Punkt, der zweite zwei, der dritte drei und so weiter. Wer mehr als fünf Minuten nach dem zuletzt über den Zielstrich gerollten Fahrer ins Ziel kam, erhielt einen zusätzlichen Punkt. Der Fahrer, der am Ende am wenigsten Punkte gesammelt hatte, war der Gesamtsieger der Rundfahrt. Wenn also zwei oder drei Fahrer gemeinsam ins Ziel kamen, konnte ihre Reihenfolge das Endergebnis entscheidend beeinflussen.

In der Veranstalterzeitung »L’Auto« musste Petit-Breton lesen, dass er selbst den Fehler zu verantworten habe; er hätte wissen müssen, dass nur die von Abran geschwenkte Fahne zählt. Dennoch entschieden die Veranstalter im Folgejahr 1906, das Ende der Etappen besser zu markieren als mit Abran und seiner kleinen gelben Fahne: Oberhalb der Ziellinie würde ein weißes Banner angebracht werden, während ein Kilometer vor dem Ziel eine rote Flagge – die drapeau rouge – aufgehängt werden sollte.

Zuvor war solch eine Markierung des letzten Kilometers nicht nötig gewesen. Eintagesrennen endeten oft im örtlichen Velodrom, während Zielankünfte von Etappenrennen auf der Straße noch die Ausnahme waren. Die Notwendigkeit ergab sich also erst durch die Entscheidung der Tour-Organisatoren, das genaue Etappenziel vorab nicht zu enthüllen, und durch die Probleme, die dadurch entstanden.

Im Laufe der Zeit wurde aus der drapeau rouge die flamme rouge, und als solche wurde sie international zum festen Bestandteil des Radsport-Vokabulars, weil sie auch bei anderen Rennen eingesetzt wurde. Die Flamme Rouge etablierte sich gewissermaßen als radsportliches Äquivalent der Glocke, die in der Stadionleichtathletik bei Laufwettbewerben traditionell die letzte Runde einläutet.

Die Verbindung zwischen der Flamme Rouge und der Sicherheit der Fahrer war hingegen für viele, viele Jahre nicht entscheidend. Das änderte sich erst 1972.

In jenem Jahr stürzte Eddy Merckx auf der dritten Etappe der Fernfahrt Paris–Nizza von Autun nach Saint-Étienne rund 60 Meter vor der Ziellinie. Der Belgier trug zu diesem Zeitpunkt das Weiße Trikot des Gesamtführenden und hatte bereits die drei Austragungen des Rennens zuvor gewonnen – was damals ein Rekord war. Merckx war fest entschlossen, den vierten Sieg in Folge davonzutragen, kämpfte bei den Zwischensprints und im Finale darum, so viele Bonifikationen wie möglich zu sammeln. In Saint-Étienne schien er für seinen Eifer aber einen hohen Preis zu zahlen: 47 Sekunden dauerte es, bis er sich nach seinem Sturz vom Boden aufraffen und die Ziellinie passieren konnte.

Der neue Renndirektor Jacques Anquetil verschaffte Merckx, mit der Unterstützung der Rennkommissäre, jedoch kurzerhand einen Freifahrtschein: Der Mann in Weiß wurde schließlich mit der gleichen Zeit gewertet wie die Gruppe, mit der er vor seinem Sturz unterwegs war.

Schon seit den Tagen der allerersten Etappenrennen hatten Organisatoren gelegentlich die Zeit für die Wertung der Fahrer schon vor der Ziellinie genommen. Wenn Etappen, wie so häufig, mit einigen Runden im örtlichen Velodrom endeten – eine gute Gelegenheit, mehr Geld mit Radrennen zu verdienen –, waren darunter auch gefährliche Zieleinläufe. Indem die Veranstalter die Zeit noch vor dem Stadion stoppten, konnten sich die Fahrer auf ihre Show auf der Radrennbahn konzentrieren, statt sich Gedanken über die Gesamtwertung zu machen. Außerdem schützten die Organisatoren so auch die Fahrer weiter hinten im Feld, wo es bei der Einfahrt ins Velodrom häufig zu Staus kam. Auch heute noch ist dies gängige Praxis, beispielsweise bei engen Zielankünften der Tour of California. Ähnlich ist es bei der Schlussetappe der Tour de France, wo eine Regel die Zeitnahme bereits beim ersten Überqueren der Ziellinie ermöglicht, falls das Wetter regnerisch ist und das Kopfsteinpflaster auf den Champs Élysées rutschig erscheint.

Was jedoch bei Paris–Nizza 1972 passierte, war ganz anders gelagert. Hier ging es nicht um Sicherheitsvorkehrungen, die schon im Vorfeld des Rennens so entschieden und kommuniziert worden waren. Die Merckx-Regelung wurde wegen besonderer Umstände getroffen, quasi aus der Luft gegriffen. Verständlicherweise waren nicht alle mit der Entscheidung des Renndirektors Jacques Anquetil einverstanden, besonders nicht Jean Leulliot, der Organisator des »Rennens zur Sonne«. Wie viele andere Veranstalter von Radrennen reagierte er genervt darauf, dass Merckx so oft gewann. Und so setzte er 10.000 Franc (heute etwa 1.500 Euro) Kopfgeld auf Merckx aus, das sich schließlich Raymond Poulidor sicherte. Der »ewige Zweite« gewann auf der abschließenden Etappe das Zeitfahren zum Col d’Èze und stahl Merckx so das Weiße Trikot mit einem Vorsprung von gerade mal sechs Sekunden im Gesamtklassement.

Andere kommentierten die Entscheidung zugunsten von Merckx mit Wohlwollen. Die bei Paris–Nizza getroffene Regel wurde dann auch bei anderen Etappenrennen eingeführt und schließlich offiziell im Regelwerk verankert: Der letzte Kilometer wurde zur Sicherheitszone, deren Beginn durch die Flamme Rouge markiert wurde. Außer beim Zeitfahren oder bei Bergankünften galt seitdem: Wenn Fahrer in diesem Streckenabschnitt wegen eines Sturzes oder mechanischer Probleme Zeit verloren, wurden sie mit der gleichen Zeit gewertet wie die Gruppe, zu der sie zuletzt gehörten.

Die Einrichtung dieser Sicherheitszone auf dem letzten Kilometer trug dazu bei, den Bedürfnissen zweier unterschiedlicher Fahrertypen bei Etappenrennen gerecht zu werden: einerseits den Sprintern und Etappenjägern, die auf den Tagessieg aus sind, andererseits den Fahrern mit Ambitionen aufs Gesamtklassement. Und doch entstanden so neue Probleme: Wenn Anquetil und die Kommissäre Nachsicht zeigen konnten, als Merckx in Saint-Étienne 60 Meter vor der Ziellinie stürzte – was wäre, wenn ein Fahrer unmittelbar vor der Flamme Rouge zu Fall käme?

Veranschaulichen lässt sich dies anhand einer weiteren Episode bei Paris–Nizza, die sich elf Jahre nach Merckx’ Sturz in Saint-Étienne zutrug. Sean Kelly ging 1983 als Titelverteidiger ins »Rennen zur Sonne«, erwischte jedoch einen schlechten Start. Nachdem er im Prolog bereits fünf Sekunden auf seinen Widersacher Eric Vanderaerden eingebüßt hatte, stürzte der Ire auf der ersten Etappe 150 Meter vor der Flamme Rouge, als das Peloton gerade in Lancy einfuhr. Anquetil war immer noch Renndirektor und wollte Kelly gegenüber genauso großzügig sein wie gegenüber Merckx ein Jahrzehnt zuvor. Doch diesmal waren die Kommissäre anderer Meinung: Kelly war außerhalb der Sicherheitszone gestürzt, und sie waren nicht bereit, diese für ihn zu verlängern. Der irische Vorjahressieger trat die zweite Etappe von Platz 96 im Gesamtklassement an – eine Bergetappe, auf der er vorne dabei sein musste, um die letzte Hoffnung auf einen Sieg nicht gänzlich zu verspielen. Dem Sprintspezialisten Kelly gelang dies tatsächlich, und später überlistete er auf der vorletzten Etappe seine Konkurrenten am Col du Tanneron, um sich seinen zweiten von insgesamt sieben Siegen in Folge bei Paris–Nizza zu sichern.

Kelly gab dem Sprinter-Konkurrenten Vanderaerden damals die Schuld an seinem Sturz. Im Laufe der Jahre nahmen das Tempo und die Aggressivität rivalisierender Sprinterzüge immer weiter zu, was dazu führte, dass die gefährlichen Abschnitte im Finale immer länger wurden. Als Antwort darauf wurde die Sicherheitszone in der Saison 2005 von der Flamme Rouge abgekoppelt und von einem auf drei Kilometer ausgeweitet.

Einigen reicht dies immer noch nicht, sie verlangen weitere Änderungen: Es gibt Forderungen, die Sicherheitszone auf fünf Kilometer auszudehnen oder die Zeiten schon zum Beginn der Sicherheitszone zu stoppen, um den Rest der Etappe allein der Show der Sprinter zu überlassen. Dan Martin ist einer der Fahrer, die sich für den letztgenannten Vorschlag stark machen. In einer seiner Tour-Kolumnen für die »Irish Times« schrieb er 2013, die Rennorganisatoren sollten »die Zeit drei Kilometer vor der Ziellinie werten, damit sich die Fahrer mit Ambitionen auf das Gesamtklassement danach keine Sorgen mehr machen müssen. Die Sprinter können dann ihr Ding machen, und wir können ihnen das überlassen.«

Andere wiederum gehen davon aus, dass die Einrichtung einer Sicherheitszone letztlich für eine Art Rationalitätsfalle bei Etappenrennen gesorgt hat, indem sie Fahrer dazu verleitet, noch mehr Risiken einzugehen. Eine Gruppe US-amerikanischer Wissenschaftler zeigte in einer Studie, dass die Zahl der Stürze auf den letzten drei Kilometern nach der Ausdehnung der Sicherheitszone im Jahr 2005 zugenommen hat.

Welcher Weg auch immer eingeschlagen werden mag: Die Flamme Rouge wird heute nicht mehr primär mit der Sicherheitszone assoziiert, wie dies zwischen 1972 und 2005 der Fall war. Stattdessen hat sie sich wieder ihrer ursprünglichen Bedeutung kurz nach ihrer Einführung 1906 zugewandt: ein visuelles Zeichen für die Fahrer, dass sie jetzt aufmerksam sein müssen. Wie ihr Vorläufer aus der Leichtathletik, die Schlussglocke, signalisiert sie, dass die Zeit knapp wird. An der Spitze des Fahrerfeldes sorgt sie für einen Adrenalinschub, sowohl bei den Fahrern als auch den Fernsehzuschauern. Und selbst am Ende des Pelotons hat sie einen psychologischen Wert. Um den Titel eines Buches von Tim Hilton aus dem Jahr 2004 zu zitieren: One More Kilometre and We’re in the Showers – Nur noch ein Kilometer, dann stehen wir unter der Dusche.

Feargal McKay ist Autor des Buches »The Complete Book of the Tour de France« (Aurum Press, 2014). Seit fast zehn Jahren rezensiert McKay außerdem für die Webseite »Podium Café« Bücher zum Thema Radsport.