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Nr. 3030

 

Der Arkonide und der Roboter

 

Ein Kunstwesen berichtet – der kybernetische Blick auf eine spezielle Lebensgeschichte

 

Oliver Fröhlich

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog: Ein trauriger Roboter

1. Ein (fast) ganz normaler Junge

2. Wenn Träume platzen

3. Eine alte Bekannte

4. Interessante Tage in der Milchstraße

5. Wie ich entstand

Epilog: Ein zuverlässiger Mitarbeiter

Stellaris 70

Vorwort

»Unter myranischer Flagge« von Madeleine Puljic

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Mehr als 3000 Jahre in der Zukunft: Längst verstehen sich die Menschen als Terraner, die ihre Erde und das Sonnensystem hinter sich gelassen haben. In der Unendlichkeit des Alls treffen sie auf Außerirdische aller Art. Ihre Nachkommen haben Tausende von Welten besiedelt, zahlreiche Raumschiffe fliegen bis zu den entlegensten Sternen.

Perry Rhodan ist der Mensch, der von Anfang an mit den Erdbewohnern ins All vorgestoßen ist. Nun steht er vor seiner vielleicht größten Herausforderung: Die Rückkehr von seiner letzten Mission hat ihn rund 500 Jahre weiter in der Zeit katapultiert. Eine Datensintflut hat fast alle historischen Dokumente entwertet, sodass nur noch die Speicher der RAS TSCHUBAI gesichertes Wissen enthalten.

Während Perry Rhodan sich auf die Spur der Cairaner setzt und ins geheimnisvolle Galaxien-Geviert aufbricht, bleibt der unsterbliche Arkonide Atlan in der Milchstraße. Ihm fällt Merkwürdiges auf – und so begegnen einander DER ARKONIDE UND DER ROBOTER ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Atlan – Der Arkonide zweifelt an der Loyalität des TARA-Psi.

Der TARA-Psi – Ein ganz besonderer Roboter berichtet von seiner Werdung.

Sallu Brown – Der Terraner verfolgt seine Träume.

Gholam – Der Posbi beweist Loyalität.

Deine Entscheidungen bestimmen darüber, ob der Feind triumphiert oder sich geschlagen zurückzieht. Es liegt in deiner Hand, wer lebt und wer stirbt. Doch bedenke: Du kannst nicht alle retten. Also los, tu das Richtige!

(Sallu Brown im Gespräch mit sich selbst, 1670 NGZ)

 

 

Prolog

Ein trauriger Roboter

 

Wie verhört man eine Maschine?

Immer wieder ging mir dieser eine Gedanke durch den Sinn, während ich mich dem Gefängnistrakt an Bord der CAI CHEUNG näherte.

Wie verhört man einen Roboter, der nur seiner Programmierung gehorcht, den man nicht unter Druck setzen, dem man nicht drohen kann? Der keine Mimik zeigt und sich nicht durch winzige Signale in der Körpersprache verrät, weil er keine hat?

Ich wusste es nicht. Aber ich war entschlossen, es herauszufinden.

Zwei Soldaten, die ich nicht persönlich kannte, flankierten das Schott zum Zellenbereich und bewachten den Ausgang. Ein nutzloses Unterfangen. Sollten die mehrfach gestaffelten fünfdimensionalen Schutzschirme den Gefangenen jenseits der Tür nicht halten können, gelänge das den Soldaten erst recht nicht. Ganz davon abgesehen, dass er kaum durch das Schott fliehen würde. Schließlich konnte er teleportieren.

Nur kam selbst ein jahrtausendealter Arkonide wie ich nicht gegen eine der stärksten Beharrungskräfte im Universum an: die Sicherheitsvorschriften an Bord eines LFG-Schiffes. Im Zellenbereich befand sich ein Gefangener? Also war der Bereich durch Menschen zu bewachen. Punkt.

Sei ehrlich zu dir selbst!, mahnte mein Extrasinn. Du siehst ihn nicht als Gefangenen an.

Nein, das tat ich nicht. Gewiss, ich hatte ihn festsetzen und isolieren lassen und seine Bewegungsfreiheit auf neun Quadratmeter beschränkt. Soldaten bewachten ihn. Per Definition war er folglich ein Gefangener. Trotzdem widerstrebte mir die Bezeichnung. Ich betrachtete ihn eher als ... ja, als was?

Als zwangsverpflichteten Gesprächspartner?, schlug der Extrasinn vor. Als vorerst nicht eingesetzte Maschine?

Ich wusste es nicht. Aber ich war entschlossen, auch das herauszufinden. Eine der vielen Fragen, die ich in den nächsten Stunden zu beantworten gedachte.

Die Soldaten nickten mir zu.

»Atlan«, sagte der Linke meinen Namen.

Ich erwiderte den Gruß ebenso knapp, aber wortlos. Vor mir öffnete sich das Schott, und ich trat ein.

 

*

 

Die Wachen folgten mir durch die Tür und stellten sich auf der anderen Seite links und rechts davon auf.

Durch einen kurzen, grell beleuchteten Gang passierte ich drei leere Zellen und blieb vor der einzigen stehen, die besetzt war. Sie bot ein trostloses Bild: ein winziger Raum, drei auf drei Meter, mit kahlweißer Decke, kahlweißem Boden und drei kahlweißen Wänden. Die Verlies gewordene Sterilität. Nur die Vorderseite fehlte. Dort zeigten stattdessen drei parallele, rot leuchtende Lichtbänder im Fußboden an, dass Energieschirme die Zelle einhüllten und den scheinbaren Ausgang versperrten.

Auf Mobiliar musste der Insasse verzichten. Lediglich eine waagrechte Nische in der Rückwand hätte einem anderen Gefangenen die Möglichkeit gegeben, sich hinzulegen oder seine Notdurft zu verrichten. Nicht jedoch dem aktuellen Häftling. Er brauchte sich nicht hinzulegen. Für ihn hätte es nicht einmal der neun Quadratmeter bedurft. Einer hätte ausgereicht.

Er schwebte exakt in der Mitte der Zelle eine Handbreite über dem Boden: ein Roboter, dessen kegelstumpfförmiger Körper mit siebzig Zentimetern Basisdurchmesser außergewöhnlich schlank erschien. Beinahe fragil und verletzlich. Der halbkugelige Ortungskopf brachte ihn auf eine Größe von zwei Metern. Der TARA-Psi. Mein Gefangener.

Seine vier Arme hingen schlaff am Korpus, und ich hatte den Eindruck, dass der Kugelkopf mit der grünlich schillernden Maserung aus aktiviertem PEW-Metall leicht nach vorne geneigt war.

Er wirkte ...

... traurig.

Traurig?, fragte mein Extrasinn. Verletzlich? Wen glaubst du, vor dir zu sehen? Ein gescholtenes Kind? Er ist ein Roboter, du Narr. Wenn er dir im Augenblick menschlich erscheint, dann deshalb, weil ihm seine Programmierung sagt, wie er den Eindruck hervorrufen kann. Lass dich davon nicht beeinflussen.

Das hatte ich keineswegs vor.

Aus dem Augenwinkel bemerkte ich eine Bewegung. Ich drehte mich zur Seite und sah aus dem Besucherbereich des Zellentrakts ein bauchiges, metallisches Ei mit leicht schrundiger, blau schimmernder Oberfläche auf mich zukommen. Es war gute anderthalb Meter groß, schwebte aber so hoch, dass ich den Kopf kaum neigen musste.

»Gholam«, begrüßte ich den Posbi mit Namen.

Ich nickte Zaka Obando zu, dem hageren, kahlen Terraner, der neben ihm ging.

Die Robotiker hatten den TARA-Psi als Betreuer vor unserer Mission an Bord der CAI CHEUNG begleitet.

»Was soll das?«, erkundigte sich Obando. In seiner Stimme lag ein vorwurfsvoller Unterton. Nur allzu verständlich, wie ich zugeben musste. »Warum hast du unseren Schützling festgesetzt?«

Schützling. Interessante Wortwahl. Sie gefiel mir besser als Gefangener.

Ich fragte mich, ob es eine gute Idee gewesen war, den beiden Zutritt zum Sicherheitsbereich zu gewähren. Wenn schon ich Zweifel an der Loyalität des TARA-Psi hegte, durfte ich dann den Betreuern trauen? Wussten sie nicht viel mehr über ihren ... Schützling als jeder andere? Konnten sie nicht in seine Programmierung eingreifen? Wären es also nicht sie, auf die ich mein Augenmerk legen sollte, anstatt auf ihr Werkzeug?

Tu nicht so, als wäre dir der Gedanke eben erst gekommen. Wie so häufig durchschaute mich mein Extrasinn. Hast du ihre Anwesenheit nicht deshalb erlaubt, weil du sie alle versammelt haben wolltest? Alle potenziellen Verräter. Oder Saboteure. Oder feindlichen Agenten. Oder als was sie sich herausstellen mögen.

Außerdem wurde der komplette Bereich rund um die Uhr akustisch und optisch überwacht. Es wäre aufgefallen, wenn sich Zaka Obando und Gholam vor meinem Erscheinen mit dem Roboter abgesprochen oder ihn per Sprachbefehl oder auf sonstige Weise beeinflusst hätten. Die Schutzschirme ließen keinen positronischen Impuls durch.

Ich versuchte mich an einem Lächeln, war mir aber nicht sicher, wie gut es mir gelang. »Was wisst ihr über euren Schützling?«

Sofern sich Obando ärgerte, dass ich seine Frage nicht beantwortete, ließ er sich das nicht anmerken. »Nicht mehr als du.«

Unbeirrt lächelte ich weiter und schwieg. Als Obando nach einigen Sekunden den Blick senkte, erkannte ich, dass er log.

»Wirklich!« Er sah wieder auf. »Wir können dir nicht mehr sagen als das, was du bereits vom Residenten weißt.«

Was nicht allzu viel war, denn auch für Reginald Bull lagen die Hintergründe im Dunkeln. Der TARA-Psi war ein Einzelmodell, das die Robotiker von Rudyn in Zusammenarbeit mit der kleinen Posbi-Population des Planeten entwickelt hatten. Ein experimenteller Prototyp, der Paraeffekte synthetisieren konnte, meines Wissens beschränkt auf Telekinese und Teleportation. Bei der Frage nach den Hintergründen, zum Beispiel wie die Konstruktion gelungen war, hatte Bully passen müssen. Dennoch vertraute er dem TARA-Psi. Etwas, das ich auch gerne von mir behauptet hätte.

»Dann wird es Zeit«, sagte ich, »mehr über ihn herauszufinden. In einem Einsatz lege ich mein Leben nur ungern in die Hände von jemandem, den ich kaum kenne.«

»Ich verstehe deine Bedenken nicht«, meldete sich der Posbi Gholam zu Wort. »Hat er seine letzten Aufgaben nicht zu deiner Zufriedenheit erfüllt?«

»Er war hilfreich und hat sich loyal verhalten. Ohne ihn hätte die Expedition nach M 13 scheitern können.«

»Aber?«

»Darüber werde ich mit ihm selbst sprechen.«

Der Robotiker sah mich lange an, wandte den Blick seinem Kollegen Gholam zu, dann zum TARA-Psi und schließlich wieder zu mir. »Na schön. Wir sind einverstanden, dass du ihn vorläufig unter deine Obhut nimmst.«

Was bleibt euch auch anderes übrig? Ich ersparte mir jedes Kompetenzgerangel. »Danke.«

Ich wischte über einen Holoschalter im Kontrollfeld neben der Zelle, und ein Sessel glitt aus dem Boden vor der offenen Zellenseite. Ich nahm Platz. Obando und Gholam hielten sich mit einigem Abstand links von mir.

Der Ortungskopf des TARA-Psi bewegte sich. Die Oberfläche war zwar keinem Gesicht nachempfunden, verfügte folglich nicht über erkennbare Augen, dennoch kam ich mir plötzlich angestarrt vor. Obwohl die vier Handlungsarme weiterhin reglos herabhingen, verflog der Eindruck der Traurigkeit. Stattdessen wirkte der Roboter mit einem Mal trotzig.

Unsinn!, kam ich dem Extrasinn zuvor. Das rede ich mir nur ein.

»Du weißt, warum ich dich in Gewahrsam habe nehmen lassen?«, fragte ich.

Der TARA-Psi schwebte auf mich zu und verharrte unmittelbar vor dem Energieschirm, der uns trennte. »Weil ich es zugelassen habe.«

»Da ist etwas Wahres dran. Aber das meinte ich nicht.«

»Sondern?«

Stellte er sich absichtlich dumm oder interpretierte er meine Frage wirklich falsch? »Wie soll ich dich nennen?«

»Ich trage keinen Eigennamen. Mein Typenname lautet TARA-Psi 001/001.«

Mit anderen Worten war er das erste und einzige Modell seiner Baureihe. Wenn man es denn überhaupt als Baureihe bezeichnen konnte. »Gut, also müssen wir ohne persönliche Anrede auskommen. Einwände?«

»Nein. Wozu sollte eine persönliche Anrede nützen? Ich bin keine Person.«

»Du hast mir gute Dienste während der letzten Einsätze geleistet.«

Der TARA-Psi schwieg.

»Ich würde gerne weiter mit dir zusammenarbeiten.«

Schweigen.

»Allerdings ist mir wiederholt etwas aufgefallen, über das ich mit dir sprechen möchte.«

Schweigen.

»Du musst ihm Fragen stellen«, ließ sich Gholam vernehmen. »Er ist nicht darauf programmiert, von sich aus Konversation zu betreiben.«

Das war mir auch ohne die Hilfe des Posbis bewusst. Dennoch hatte ich versuchen wollen, eine Reaktion zu provozieren.

Ich ging nicht darauf ein. »Andere und weniger erfahrene Expeditionsmitglieder mögen es nicht bemerkt haben, ich jedoch schon.«

Erneutes Schweigen.

»Weißt du, wovon ich spreche?«

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Illustration: Dirk Schulz

»Nein.«

»Du hast mehrfach in kritischen Momenten gezögert. So etwas tun Roboter normalerweise nicht. Wenn ich dir weiterhin vertrauen soll, muss ich wissen, was es damit auf sich hat.«

Und wieder schwieg er.

Ich seufzte. »Der Reihe nach. Bei der Befreiung der Kristallsklaven auf Trandafir scheinst du Kinder bevorzugt zu haben. Warum?«

»Weil sie rettungswürdiger sind. Sie haben den größten Teil ihres Lebens vor sich, erleiden also einen größeren Schaden als Erwachsene, wenn dieser Teil ihnen verwehrt wird. Gab es bei den Terranern früher nicht eine Regel für derartige Situationen? Frauen und Kinder zuerst?«

Die Gegenfrage irritierte mich. Ließ er sich trotz Gholams Aussage, er wäre nicht darauf programmiert, doch auf eine Konversation ein? Konnte er das überhaupt?

»Die gab es«, bestätigte ich.

»Dann verstehe ich dein Misstrauen nicht.«

»Misstrauen ist ein starkes Wort. Ich frage mich eher, ob ich mich auf dich verlassen kann. Bist du mir, bist du Reginald Bull gegenüber loyal?«

»Wie anders lässt sich diese Frage erklären, wenn nicht durch Misstrauen? Selbstverständlich bin ich loyal. Wie könnte ein Roboter nicht loyal sein? Es ist Teil seiner Programmierung. Ich habe dich aus einer abgeschossenen Jet gerettet.«

»Und kurz darauf gezögert, als ich dir befohlen habe, mich von der TAGBOR wegzubringen.«

»Ich habe dir im Kampf gegen Jarak da Nardonn beigestanden.«

»Und erneut gezögert, als ich dir befahl, ihn telekinetisch zu stoppen. Wodurch er entkommen konnte.«

»Aber nur kurzzeitig. Ich habe dich aus der Gefangenschaft des Signaturstreiters Laetitio Goshin befreit. Wie kannst du an meiner Loyalität dir gegenüber zweifeln?«

»Weil auch er dank deines Zögerns entkam. Du fragst, wie ein Roboter nicht loyal sein könnte? Zum Beispiel wenn seine Programmierung fehlerhaft ist.« Ich machte eine Pause, beobachtete ihn. Doch es gab nichts zu beobachten. Der TARA-Psi stand reglos vor mir. »Oder wenn ihm seine Programmierung die Loyalität jemand anderem gegenüber vorgibt.«

Zischend sog Zaka Obando die Luft ein. »Das ist eine unglaubliche Unterstellung, die jeglicher Grundlage entbehrt.«

»Findest du?«, fragte ich, ohne mich zu ihm umzudrehen. »Ich betrachte sein sonderbares Verhalten als Grundlage genug.«

»Das ist absurd!«

»Wie kannst du dir so sicher sein? Er ist ein Einzelmodell, über dessen Vergangenheit so gut wie nichts bekannt ist. Hast du nicht selbst gerade gesagt, dass du und Gholam auch nicht mehr über ihn wisst? Woher nimmst du deine Gewissheit, dass ich mich irre?«

»Ich ... weiß es einfach.« Eine schwache Antwort, dessen dürfte sich Obando selbst bewusst sein. »Bedeutet das, dass du auch Gholam und mir misstraust?«

Nun wandte ich mich doch zu ihm um, ohne eine Antwort zu geben. Ich sah ihn nur an.

»Das ...« Er schüttelte den Kopf, schnappte nach Luft. »Das weise ich mit allem Nachdruck von mir.«

»Dann helft mir, mein Vertrauen zurückzugewinnen.«

»Wie?«

»Erzählt mir, was ihr von ihm wisst! Und behauptet nicht wieder, es wäre nicht mehr als das, was ich weiß. Ich halte euch für intelligent genug, zu erkennen, dass ich euch das nicht glaube.«

Obando starrte mich an. »Ich ...«

»Das können wir nicht«, fiel ihm Gholam ins Wort.

»Warum nicht?«

»Ich versichere – ich schwöre! – dir, dass dein Misstrauen nicht gerechtfertigt ist. Der TARA-Psi, Gholam und ich stehen genauso loyal zur Liga wie du.«

»Warum wollt ihr nicht?«, wiederholte ich meine Frage, ohne auf die Beteuerung einzugehen.

»Weil ...« Obando wand sich. Er sah zu dem Roboter. Sah zu Gholam. Sah zu mir. »Weil wir es versprochen haben.«

»Wem?«

Die Robotiker schwiegen.

Ich stand aus dem Sessel auf. »Beenden wir dieses Spielchen.«

»Und wie geht es jetzt weiter?«, fragte Gholam.

»So, wie ihr es herausgefordert habt.« Ich deutete in den Gefängnisgang. »Für euch beide sind noch einige Zellen frei. Und den TARA-Psi werde ich desaktivieren lassen.«

Obando riss die Augen auf. »Das kannst du nicht tun!«

»Ich kann. Und ich werde.« Ich wandte mich zu den Soldaten neben der Tür um. »Nehmt sie fest!«

»Du hast gewonnen.«

Ich signalisierte den Wachmännern, vorläufig zurückzubleiben, und drehte mich erneut zu Obando um. Doch nicht er hatte gesprochen, sondern der TARA-Psi.

»Dein Misstrauen mir gegenüber ist nachvollziehbar«, fuhr er fort. »Aber meine Routinen können nicht zulassen, dass du die Betreuer für etwas einsperrst, das sie nicht getan haben.«

»Weshalb nicht?«

»Aus dem gleichen Grund, aus dem ich die Kinder bei der Befreiung der Kristallsklaven bevorzugt habe. Weil Unschuldige leiden würden.«

Ich setzte mich zurück in den Sessel. »Du hast meine ungeteilte Aufmerksamkeit.«

»Du sollst eine Geschichte hören«, fuhr der TARA-Psi fort. »Die Geschichte von Sallu Brown.«

Der Name sagte mir nichts. War er derjenige, dem das Versprechen der Robotiker galt?

»Du musst das nicht tun«, begehrte Zaka Obando auf. »Nicht für uns.«

»Wenn nicht für euch, für wen dann?« Erneut wirkte der Roboter traurig. Fehlte nur, dass er ein klischeehaftes Achselzucken simulierte und schwer seufzte.

»Aber ...«

»Schweig! Die Entscheidung ist gefallen.«

»Das freut mich«, sagte ich. »Also, wer ist Sallu Brown?«

Der TARA-Psi schwebte in seiner Zelle einige Zentimeter zurück. Ich musste etwa fünf Sekunden auf eine Antwort warten, und für einen absurden Moment kam es mir vor, als überlegte der Roboter, wie er die Geschichte am besten erzählen wollte.

»Sallu Brown war ...«

1.

Ein (fast) ganz normaler Junge

 

Sallu Brown war Agent des TLD, des Terranischen Liga-Dienstes. Aber er war nicht irgendein Agent. Er war der beste.

Kein Wunder also, dass man ihn nach Podara geschickt hatte, um den Ladhonen den Feuerstern und den HK-Krieger abzunehmen. Erst wenige Tage zuvor hatten die Schurken sie aus einer Forschungseinrichtung gestohlen. Aber sie hatten einen schlimmen Fehler begangen. Den schlimmsten überhaupt: Sie hatten nicht mit Sallu Brown gerechnet.

Seit mehreren Stunden kämpfte er sich nun durch den beinahe undurchdringlichen Dschungel von Podara auf der Suche nach dem Unterschlupf der Diebe. Der leichte Stoff seiner Tarnkleidung klebte ihm am Körper, so sehr schwitzte er.

Die Luft ließ sich kaum atmen, ohne dass Agent Brown glaubte, er müsste ertrinken. Dennoch hatte er auf einen Schutz- oder gar Kampfanzug verzichtet. Die Ultraenergiestrahlung der Faryllbäume hätte ihn ohnehin bestenfalls fehlerhaft funktionieren lassen, falls überhaupt.

Und wem war damit geholfen, wenn Brown zwar auf den Unterschlupf der Ladhonen traf, aber plötzlich in seinem Anzug erstickte? Oder wenn er sich wegen eines Versagens der Technik selbst erschoss? Oder einfach explodierte? Richtig: niemandem! Da verließ er sich lieber auf seine Fähigkeiten und auf seine kurze Klinge aus meturischem Stahl.

Vermutlich hatten die Diebe den Planeten als Versteck gewählt, weil die Faryllbäume eine Ortung aus der Ferne unmöglich machten.

Doch darauf konnte Sallu Brown verzichten. Zwar vermochte auch er das Ladhonenschiff oder die Lebenssignaturen der Diebe nicht anzumessen, aber er spürte den Feuerstern. Als säße ein Kompass in seinem Kopf, zog es ihn zu dem wertvollsten Hyperkristallbrocken des Universums. Es fühlte sich an, als riefe der hochenergetische Criipaskristall nach ihm, so laut, so drängend, dass er selbst die Ausstrahlung des HK-Kriegers übertönte.

Nicht zum ersten Mal fragte sich Sallu Brown, wie es den Ladhonen gelungen sein mochte, diesen einzigartigen Roboter zu desaktivieren und zu stehlen. Immerhin bestand er mit Ausnahme seiner Waffensysteme vollständig aus einem Hyperkristall, der ein eigenes Bewusstsein entwickelt hatte. Eigentlich hätte er sich seiner glassitharten Haut erwehren können müssen. Nicht umsonst hatte sein Auftrag gelautet, den Feuerstern zu bewachen.

Trotzdem hatten es die Ladhonen fertiggebracht, den Stern samt Aufpasser zu stehlen. Und mit ihrem Schiff in technikfeindlicher Umgebung zu landen.

Nur zwei Mysterien einer rätselhaften Mission.

Der Agent pirschte sich weiter voran, bahnte sich mit dem Kriegsmesser eine Schneise durch das Gestrüpp. Es ging nichts über die Schärfe meturischen Stahls. An der Klinge klebte noch das Blut von der Begegnung mit einem Dschungelbären eine halbe Stunde zuvor. Glücklicherweise hatte Brown nur eine kleine Wunde an der Stirn davongetragen, während der Bär nun den allgegenwärtigen Fliegen, aber auch größeren Raubtieren als Futter diente.

Die Verletzung über den Augenbrauen brannte, wenn der Schweiß hineinlief. Brown achtete darauf genauso wenig wie auf das Krächzen der Kumlan-Segler, das Zirpen und Schnarren der Insekten, das Knacken der Äste oder den hypnotischen Gesang der Baumhüpfer. Er ignorierte den feuchten, schweren Geruch nach Erde und moderndem Laub. Für ihn zählte nur der Ruf des Feuersterns.

Bald!

Bald musste er den Criipaskristall und dessen Diebe erreichen. Und dann würde er die Ladhonen lehren, was es hieß, sich mit dem TLD anzulegen. Und ganz besonders, was es hieß, sich mit Sallu Brown anzulegen.

Ein Rascheln und Knacken und Ächzen erklang aus dem Gestrüpp neben ihm. Agent Brown fuhr herum, streckte die Meturia-Klinge in Richtung des Geräuschs ... und entspannte sich, als ein schwerfälliger Fellklumpen zwischen den Ästen hervorwalzte. Ein Wogandu, ein podaranischer Elch. Mit seinen Hauern und dem Geweih, das dichter und verwachsener als das Unterholz des Dschungels wirkte, sah er zwar gefährlich aus, aber er ernährte sich ausschließlich von Blättern und Gräsern und fürchtete Zweibeiner.

Das Tier verharrte, als es den Menschen witterte, schnupperte mit seinen drei feuchten Nasenlappen, stieß ein ächzendes Röhren aus und kehrte zurück in die Büsche.

Brown ging weiter. Immer in die Richtung des Kristallrufs. Er erschlug die schwarz-lila schimmernden Insekten, die den Fehler begingen, sich auf seinen Armen und im Nacken niederzulassen, köpfte eine giftige Springnatter mit einem Hieb des Messers, schob sich durch eine Wand aus Zweigen und Blättern ...

... und stand plötzlich vor einem Abgrund. Keinen Schritt vor ihm stürzte eine Felswand zwanzig Meter in die Tiefe, vielleicht sogar mehr.

Mit pochendem Herzen verharrte er. Ohne seine raubtierhaften Instinkte und die Fähigkeit, blitzschnell umzuschalten, hätte die Mission ein vorzeitiges Ende finden können – mit Agent Brown als feuchtem rotem Fleck auf dem Felsboden.

Bereits in der nächsten Sekunde hatte er sich wieder im Griff. Er blickte über das Tal, das sich vor ihm erstreckte, und wusste, dass er sein Ziel erreicht hatte.

In dem felsigen Kessel tief unter ihm wuchsen nur vereinzelte Gräser und einige Sträucher, deren Samen der Wind hergetragen haben mochte. Für Bäume hingegen bot der Untergrund keinen Halt. Ein perfekter Platz, um mit einem Raumschiff zu landen.

»Es ist elf Uhr dreißig am siebzehnten März des Jahres sechzehnhundertsiebzig Neuer Galaktischer Zeitrechnung«, sagte er leise. Ein niedertechnisches Aufnahmegerät im Kragen des Tarnhemds zeichnete seine Worte auf. »Ich habe den Feuerstern gefunden.«

Sollte er bei seiner Mission scheitern – was er für ausgeschlossen hielt – und seine Vorgesetzten irgendwann seine Leiche im Dschungel finden, wussten sie so wenigstens, was geschehen war.

»Die Lage ist schwierig. Ich habe eine Position am Rand eines unzugänglichen Talkessels bezogen. Der Ladhonenraumer steht etwas abseits. Ein wirklich hässliches Ding. Es sieht aus wie ein riesiger verschrumpelter Apfel, aus dem Metalldornen ragen. Aber er ist eine Schönheit im Vergleich zu den Ladhonen selbst. Im Augenblick zähle ich zehn dieser achtbeinigen Kreaturen. Warum müssen sie ausgerechnet wie Spinnen aussehen? Ich hasse Spinnen!

Egal. Ich glaube, ich könnte es mit ihnen aufnehmen. Allerdings weiß ich nicht, ob sich noch mehr Exemplare dieser räuberischen Bastarde im Schiff aufhalten.

Der Feuerstern steht in seinem Behälter genau im Zentrum des Talkessels. Offenbar planen die Ladhonen etwas. Vielleicht wollen sie die gesamte Energie des Kristalls auf einmal freisetzen und den Planeten zerstören. Warum? Ich weiß es nicht. Womöglich bloß, weil sie es können. Wer versteht schon die Gedanken von Spinnenwesen?

Der Hyperkristall-Krieger verharrt reglos einige Schritte daneben. Augenscheinlich desaktiviert. Oder schlimmer: getötet! Denn was anderes als Mord ist es, wenn man einen beseelten Roboter ausschaltet? Es bricht mir das Herz, ansehen zu müssen, was die Mistkerle mit meiner Erfindung angestellt haben. Sollte ich Gelegenheit bekommen, einen neuen HK-Krieger zu entwickeln, werde ich ihn noch widerstandsfähiger konstruieren.

Das größte Problem stellen die Bewohner des Planeten dar: Aus welchen Gründen auch immer haben die Ladhonen etwa hundert von ihnen zusammengetrieben. Sie knien gefesselt und aneinandergebunden auf dem felsigen Untergrund und bilden einen menschlichen Schutzschild um den Raumer.

Ich werde nun nach einem Weg ins Tal suchen. Agent Brown Ende.«

Er stoppte die Aufnahme und überdachte die Situation.

Ja, er könnte den Ladhonen den Feuerstern entreißen, würde damit aber die Gefangenen zum Tode verurteilen. Oder er befreite sie und gab den Verbrechern dadurch Gelegenheit zur Flucht – mit dem wertvollen Kristall.

»Deine Entscheidungen bestimmen darüber, ob der Feind triumphiert oder sich geschlagen zurückzieht«, sagte er zu sich selbst. »Es liegt in deiner Hand, wer lebt und wer stirbt. Doch bedenke: Du kannst nicht alle retten. Also los, tu das Richtige.«

Er atmete tief durch, zog sich in den Dschungel zurück und wollte sich gerade nach links wenden, um das Tal zu umrunden, da brach das Geäst vor ihm auf, und eine Gestalt schob sich hervor.

Für einen Sekundenbruchteil hoffte er, erneut einen podaranischen Elch zu sehen. Sein Wunsch erfüllte sich nicht. Stattdessen schob sich der widerliche Spinnenkörper eines Ladhonen auf ihn zu.

»Du glaubst, wir hätten dich nicht bemerkt?«, fragte der Ladhone, gefolgt von einem kehligen Lachen. »Zeit zu sterben!«

Sallu Brown packte den Dolch fester, stellte sich breitbeinig auf, da jagte die Spinnenkreatur auch schon auf ihn zu.

»Nicht mit mir, du Mistkerl!«, rief Brown. Er spannte die Muskeln an, wollte der Bestie mit einem Angriff zuvorkommen, da ...

»Sallu?«, erklang eine Stimme hinter ihm.

O nein! Nicht ausgerechnet jetzt!

Der Ladhone war beinahe heran, die Klinge aus meturischem Stahl bereit, das Blut des Gegners zu kosten.

»Sallu! Hörst du mich nicht?«