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Nr. 3038

 

Weltenenden

 

Im Reich der Kandidatin – sie fahren zum Schauraum der Vernichtung

 

Verena Themsen

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog: Jemand

1. Hishol Whekoshi

2. Sichu Dorksteiger

3. Hishol Whekoshi

4. Gry O'Shannon

5. Hishol Whekoshi

6. Donn Yaradua

7. Donn Yaradua

8. Jalland Betazou

9. Gry O'Shannon

10. Perry Rhodan

11. Sichu Dorksteiger

Epilog: Niemand

Stellaris 71

Vorwort

»Gefahrenzulage« von Hermann Ritter

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Mehr als 3000 Jahre in der Zukunft: Längst verstehen sich die Menschen als Terraner, die ihre Erde und das Sonnensystem hinter sich gelassen haben. In der Unendlichkeit des Alls treffen sie auf Außerirdische aller Art. Ihre Nachkommen haben Tausende von Welten besiedelt, zahlreiche Raumschiffe fliegen bis zu den entlegensten Sternen.

Perry Rhodan ist der Mensch, der von Anfang an mit den Erdbewohnern ins All vorgestoßen ist. Nun steht er vor seiner vielleicht größten Herausforderung: Die Rückkehr von seiner letzten Mission hat ihn rund 500 Jahre weiter in der Zeit katapultiert. Eine sogenannte Datensintflut hat fast alle historischen Dokumente entwertet, sodass nur noch die Speicher seines Raumschiffes RAS TSCHUBAI gesichertes Wissen enthalten.

Weil er mehr über die Hintergründe wissen will, ist Rhodan mit der RAS TSCHUBAI in das geheimnisvolle Galaxien-Geviert aufgebrochen, über 270 Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernt. Von dort stammen die Cairaner, die neuen Schutzherren in der Menschheitsgalaxis.

Das Galaxien-Geviert stand früher angeblich unter dem Schutz der VECU, einer bisher unbekannten Superintelligenz. Nun hält die Kandidatin Phaatom sie im Griff. Mehrere Heiligtümer, die Abyssalen Triumphbögen, wurden bereits errichtet – durch sie sieht man WELTENENDEN ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Hishol Whekoshi – Der Phersune fährt mit den Terranern Schlitten.

Perry Rhodan – Im Abyssalen Triumphbogen sieht der Expeditionsleiter keinen Triumph.

Donn Yaradua – Der Metabolist redet sich um Kopf und Kragen.

Gry O'Shannon – Die Wissenschaftlerin durchlebt gespaltene Gefühle.

Pezenna Flaith – Die Thesan erfüllt ihre Bestimmung.

Prolog: Jemand

 

Zersplittert!

Der Gedanke zuckte durch ein Gehirn – wessen Gehirn?

Da waren Namen: Perry Rhodan, Pezenna Flaith, Gry O'Shannon, Jalland Betazou, Donn Yaradua, Hishol Whekoshi, Farye Sepheroa, Sichu Dorksteiger, Moana Schnebar ... Aber wer dachte? War da überhaupt ein wer? Gehörte einer der Namen zu dem, der dachte, oder waren sie Überbleibsel, bedeutungslos, ein Irgendetwas, das keine Rolle mehr spielte?

Zersplittert.

Alles war zersplittert. Das Denken, das Sein, der Raum, die Existenz – ja, vielleicht das Universum an sich! Wer konnte das überleben? Wer lebte noch?

Es ist falsch! Ganz furchtbar falsch! Ich muss etwas dagegen tun!

Aber es gab nichts zu tun, als ruhig zu bleiben und zu beobachten. Wenigstens tat es nicht weh. Da war kein Schmerz, kein Bedauern, nur dieses kurze Aufbäumen, dieser eine, dumme Gedanke, der schwächer wurde wie Feuer, das niederbrannte. Wenn es erloschen war, würde verbrannte Erde zurückbleiben, die genau eines kannte: den Tod.

Zersplittert.

Jemand war zerbrochen, war aus großer Höhe fallen gelassen worden und am Boden zerschellt wie eine Puppe aus Porzellan, deren blaue Augenstücke fragend um sich blickten. Eigentlich hätten die Splitter der Puppe und ihrer Augen in alle Richtungen davonschießen sollen, doch das war nicht geschehen.

Der Jemand hing wie in einem Drahtgestell, aufgespannt an unsichtbaren Fäden; in Stücken und doch von unsichtbaren Kräften zusammengehalten. Was genau hielt den Jemand? Nornenfäden? Spielte das Schicksal einen Streich? Gab es eine höhere Macht; grausam, durchtrieben? Oder war es eine Gnade?

Da flüsterte eine Stimme in dem Gehirn, das nicht wusste, wessen Gehirn es sein mochte. Die Stimme sprach jeden einzelnen Splitter an, durchdrang die Dunkelheit, durchstieß die Unendlichkeit des Geteiltseins, machte Licht. Der Jemand bemühte sich, lauschte, wollte verstehen, was die Stimme sagte.

Da waren Töne, Klänge, Farben. Sie drückten etwas aus, wollten Worte sein, eine Botschaft. Welche Botschaft? An wen?

Zersplittert.

War das die Botschaft? Das Wort brannte endgültig nieder, verglühte in Silber, Bleigrau und Rot. Es war an der Zeit zu sterben.

Zersplittert.

1.

Hishol Whekoshi

Schlittenfahren mit Hishol

 

Hishol Whekoshis Herz blieb beinahe stehen, als er sich nach der Überprüfung der Passagierplätze umdrehte und es sah.

Ein Stäubchen! Auf seinem Schlitten! Mitten vorne auf der Haube, neben dem vorderen Atmosphärenschirmprojektor!

Panik befiel ihn. Hatten die automatischen Reinigungsroutinen versagt? Musste sein Schlitten gar ... in die Wartung? Das durfte nicht sein! Nicht ausgerechnet an diesem Tag! Eigentlich ... nie!

Der Gedanke daran, womöglich mehrere Tage lang keine Fahrten unternehmen zu können und keine neuen Pilger kennenzulernen, erschreckte ihn zutiefst. Was für eine Schande, was für ein Verlust, wenn er gerade heute ...

Wegen der Pilger?

Nein. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, war es nicht wegen der Pilger. Es war interessant, den Reigen der Völker und Persönlichkeiten an sich vorbeiziehen zu sehen, mit ihnen zu plaudern und ihren Kulturen zu begegnen, aber ... das war nicht der höchste Lohn der Sache. Das war ...

Er schüttelte den Kopf. Er musste sich auf die Sache konzentrieren. Das Problem. Den Staub!

Er pirschte zwischen den Sitzreihen mit den voll adaptierbaren Multisesseln nach vorne und suchte in seinen Taschen nach etwas Brauchbarem, womit er das Stäubchen wegwischen konnte. Nein – nicht wegwischen. Dann würde es sich womöglich irgendwo anders niederlassen.

Er kramte mit der Rechten ein Päckchen Riglis hervor und schob sich mit dem Vorderdaumen eines der Kauplättchen in den Mund. Kaum hatte er es mit der Zunge zwischen die hinteren Kauleisten geschoben, fühlte er bereits den beruhigenden Effekt, den die Bewegung der Kaumuskulatur ausübte. Dazu die konzentrationsfördernden Inhaltsstoffe ... er fühlte sich jedem Problem gewachsen.

Selbst diesem Stäubchen.

Vorsichtig, um das Ding der Unmöglichkeit nicht mit einem Luftzug aufzuwirbeln, näherte er sich der Front mit dem Pilotensitz. Er musste den Schlitten eine Selbstdiagnose starten lassen, vielleicht sogar von Hand eine Reinigungsroutine auslösen. Aber das würde Zeit kosten ... wertvolle Zeit, die ihn den nächsten Auftrag kosten konnte.

Unzählige Pilger hatten sich nach der mitreißenden Rede der Appellantin Kumusheg Eshall um eine Fahrt zum Abyssalen Triumphbogen beworben. Bald würde die Lotterie enden, mit der die Auswahl bestimmt wurde, und dann musste er bereitstehen – mit einem blank polierten Schlitten!

Alles andere war unter der Würde eines Phersunen und vor allem unter der Würde der Kandidatin Phaatom, zu deren Ruhm und Ehre die Fahrt stattfinden würde. Was war das für ein Ruhm, der mit Staub befleckt war?

Er durfte die Fahrt nicht verpassen! Durch das All zu jagen, sich in den Abyssalen Katheter einzufädeln und schließlich in den entrückten Raum zu wechseln, wie er es nannte, diese unwirkliche Nicht-Landschaft voller Lebensbilder aus vergangenen Großtaten der Kandidatin ... das Erlebnis eines solchen Fluges begeisterte nicht nur die Pilger, sondern auch ihn jedes Mal aufs Neue.

Wie gerne versank er in Ehrfurcht, wenn er die Macht und die Gnade der Kandidatin erkannte, die ihrer aller Beschützerin und Mentorin war. Ihr verdankten die Phersunen alles – in gewisser Weise sogar den Schlitten, den Hishol flog.

Den befleckten Schlitten. Den er vielleicht nicht fliegen würde.

Aber es ist nicht der Flug, den du vermissen würdest ...

Hishol hatte das vordere Ende des Schlittens erreicht und ging tief in die Knie, bis seine Augen fast auf einer Höhe mit der spiegelnd sauberen, in rot-silbrigem Ton changierenden Fronthaube aus Phaatom-Gabe waren, auf dem trotzig das Staubflöckchen ruhte. Er betrachtete sein Spiegelbild neben dem Übeltäter.

Die erregt schimmernden Goldaugen im blauen, ebenmäßig flachen Gesicht, das im Spiegelbild violett wirkte. Die elegant verästelten Enden seines Lephends, die seinen blanken Schädel von den Schläfen her wie einen Kranz schmückten. Die fein, mit leichtem Schwung gerillten Augenwülste. Ja, er war ein gut aussehender Phersune mit einem schnittigen Schlitten. Wenn er das nächste Mal eine Freiperiode hatte und unter andere Phersunen kam, würde sich das wieder auszahlen.

Aber nur, wenn er der Flieger war, nicht der Herumsitzer.

Ist es die Gier nach Bedeutung, die Lust nach Vereinigung mit anderen Phersunen?

Er fuhr die Stielaugen ein wenig aus, um besser zielen zu können, und nahm das angekaute Rigli-Plättchen aus dem Mund. Vorsichtig, ganz vorsichtig näherte sich seine Hand dem Stäubchen, bis ...

Zack!

Erwischt!

Vorsichtig hob er den Fladen, der sein Kauplättchen gewesen war, und betrachtete ihn finster.

Kein Stäubchen zu erkennen.

Dafür war auf der Haube ein deutlich sichtbarer Fleck, wo das Kauplättchen Speichel und ein wenig Kaumasse auf der sonst in makellosem Silberrot schimmernden Phaatom-Gabe hinterlassen hatte.

Und irgendwo kicherte jemand.

 

*

 

Hishols Kopf ruckte hoch. Er drehte sein Lephend in alle Richtungen, horchte, witterte.

Der Schlittenhof war kreisrund und bestand aus violett glänzendem Shillad, mit acht Transferschächten in der Mitte, die momentan im Gelb des Passivmodus schimmerten. Über sie gelangten die Pilger vom Raumpier, der von der anderen Seite der Scheibe als lange Röhre voller Anlegestellen ins All ragte, zum Schlittenhof.

Die Außenkante der Hofscheibe hatte eine exakt ausgeformte Einbuchtung für jeden der stationierten sechzehn Abyssalen Schlitten. Die schlanken zweistöckigen Raumfähren legten mit dem Bug voran an, oder besser gesagt, sie wurden angelegt, sobald sie das Traktornetz der jeweiligen Anlegestelle berührten. Die Buchten waren so genau an die Schlittenform angepasst, dass jedes manuelle Manövrieren unweigerlich zu Beschädigungen geführt hätte.

Die Traktorfelder dagegen bugsierten die Schlitten so perfekt in die Aussparung, dass man den Trennspalt kaum sehen konnte. Lediglich der Farbübergang vom violetten Shillad zu der in silbrigen Rottönen changierenden Phaatom-Gabe zeigte deutlich die Grenze.

So konnten die Pilger entlang der gesamten Schlittenlänge von beiden Seiten direkt auf die obere Schlittenebene treten und zu den mittig angeordneten Sitzpaaren oder der Vierergruppe am hinteren Ende gelangen. Zwischen der Vierergruppe und dem letzten Paar gab es einen breiten Durchgang, durch den man auch während der Fahrt jederzeit von der einen Seite zur anderen wechseln und jegliche Aussicht unverstellt genießen konnte.

Zwischen den Anlegern der Schlitten bot der Schlittenhof genug Platz, dass die Pilger sich beim Ein- oder Aussteigen nicht gegenseitig in den Weg kamen.

Die sich über die gesamte Scheibe des Hofes wölbende Atmosphärenkuppel stellte zum ersten sicher, dass kein Phersune einen Raumanzug brauchte – für Völker mit besonderen Atmosphärebedürfnissen stand ein anderer Bahnhof zur Verfügung. Zum zweiten gewährte die Kuppel ebenso wie die halbröhrenförmigen, vorne und hinten mit einer flachen Rundung abschließenden Atmosphärenfelder über den Abyssalen Schlitten einen unverstellten Blick auf das im Moment noch über ihnen hängende Ziel.

Das Ziel ...

Hishol riss den Blick vom Kuppelzenit los und ließ ihn erneut über die Plattform schweifen. Außer den Schlitten und den Transferschächten gab es nichts, das den Blick versperrte. Die Plattform war leer. Es blieb also nur ...

Da war erneut das Kichern. Es kam aus dem Schlitten, der auf der anderen Seite des rechten Hafenstegs angelegt hatte. Hishol las die Kennung.

Malasheg Keshpal – natürlich. Wer sonst!

In diesem Moment tauchte der Kopf der jungen Phersunin hinter den Sitzreihen ihres Schlittens auf. Sie hielt einen kleinen Stab in der Hand und winkte damit.

Ein Holostift!

Das Stäubchen war nie da gewesen! Das impertinente Gör hatte ihm einen Streich gespielt!

Hishol richtete sich auf, stemmte die Hände in die Seiten und rief mit der tiefsten, autoritärsten Stimme, derer er fähig war: »Malasheg, schämst du dich nicht? Das ist kein Betragen für ein Mitglied eines der Acht Großen Phertosh, das zudem einen Schlitten führen darf!«

Malasheg wackelte mit allen sieben Fingern ihrer Linken und lachte. »Wen schert's! Irgendwie muss man sich doch die Zeit vertreiben zwischen den Schlittenfahrten, und du bist immer so ... so langweilig korrekt und verbissen! Das ist einfach nicht zu ertragen!«

»Ernst steht Leuten, die so heilige Pflichten erfüllen wie wir, ja wohl an! Wo kämen wir da hin, wenn ich mit den Pilgern Zoten risse und alberne Scherze triebe?«

»Wenn du das tätest? Vermutlich an den Rand des Weltuntergangs, oder eher – da müssten wir schon sein! Bei allen Sternwinden, Hishol, es gibt niemanden mit einer solchen Stahlstrebe im Kreuz wie dich. Merkst du eigentlich gar nicht, dass du der einzige Schlittenführer bist, der seine Aufgabe so abyssal ernst nimmt?«

Sie flegelte sich quer über eine der Doppelsitzreihen für Passagiere. Mit Erschrecken stellte Hishol fest, dass sie dabei ihre Schuhe auf der weich gepolsterten und variabel anpassbaren Sitzfläche aufstellte.

»Das bedeutet doch nur, dass ohne mich die Traditionen endgültig zu den Lavafeldern gehen würden! Wir sind keine Wassertransporteure oder Touristenschlepper! Wir führen die Abyssalen Schlitten, womit wir direkt in den Diensten der Kandidatin Phaatom stehen! Das ist nicht nur ein Beruf, das ist eine Berufung mit Verantwortung, und du solltest dich dieser Tatsache besser entsinnen!«

»Sonst was?« Sie verschränkte die Hände hinter dem Kopf und starrte ihn herausfordernd an.

»Sonst ... oh, warte nur, bis du das nächste Mal ausgelesen wirst – dann wird man dir gründlich den Kopf waschen!«

»Ach was! Warum sollten meine harmlosen Scherze jemanden stören? Aber du hast da anscheinend ein Problem. Du hättest vielleicht besser nicht ein Kauplättchen auf deine Schlittenhaube drücken sollen.«

Mit einem erschrockenen Aufschrei sah Hishol wieder zu dem Fleck.

Er war weg, die Haube blitzsauber, wie sie es bei intakter Selbstreinigungsroutine sein sollte. Ehe er seinen Unmut erneut ausdrücken konnte, blinkte die Einsatzlampe auf. Die Lotterie war beendet, die Pilger benachrichtigt. Er war Teil der geplanten Karawane.

Nichts hält meine nächste Fahrt auf. Ich werde starten ... und vielleicht ...

Malashegs erneutes Kichern prallte an ihm ab. Er ließ sich in seinen Pilotensessel sinken, schob sich das Kauplättchen wieder in den Mund und starrte über die Haube hinauf auf den Säulengrund, nahe dem der Schlittenhof schwebte.

Ein Fleck voller Dunkelheit war es, dunkler als das All ringsum, endlos in seiner Tiefe und zugleich schillernd und lebendig, umhaucht von rot-silbernem Sternenstaub und gesplittertem Raum. Wie wehende Fahnen umflatterten ihn graue Bahnen aus Morphmaterie, nicht messbar, nicht fassbar, unerklärlich in der Wahrnehmung ausschließlich durch lebende Wesen, und doch nachweisbar durch ihre zerstörerische Wirkung da.

Das war aber nur der Anfang, die Basis. Eine von zweien; zwei seltsame Galaxienscheiben aus schwarzen Löchern und davon angesogenem kreisendem Schimmern und Dunkelheit. Dazwischen schwebte als vergleichsweise grober Klotz aus Diesseitigkeit das Speisezentrum, ein an zwei Ecken auseinandergezogener Doppeltetraeder, dessen abgerundete Spitzen auf das zeigten, was zählte: die Basen. Was sie begründeten, was sich darüber in tiefe Dimensionen wölbte ... das entzog sich dem Begreifen jedes Sterblichen und war doch spürbar.

Der Abyssale Triumphbogen.

Er würde ihn ein weiteres Mal ansteuern, im Dienst ihrer aller Herrin, der Kandidatin Phaatom. Er würde Pilger kennenlernen, er würde fliegen, gemeinsam mit den Besuchern die Wunder erleben und die Kandidatin lobpreisen ... und er würde ihn erleben, diesen herbeigesehnten und gefürchteten Moment, die Mischung aus Grauen und Ekstase. Den Moment, da er sich verlor und gewann, schrumpfte und wuchs und so viel mehr wurde, mehr als sein Körper und sein Geist fassen konnten. Das Erleben, das ihn in all seine Träume verfolgte und nach dem er sich, je länger es ausblieb, umso mehr verzehrte.

Die Auslese.

2.

Sichu Dorksteiger

Fünf Paquanten und ein Paau

 

»Es gefällt mir nicht«, sagte Farye, verschränkte die Arme und starrte den Mann herausfordernd an, der gleichzeitig ihr Großvater und mein Ehepartner war. Ich musste zugeben, dass sie ihrem potenziell unsterblichen Großvater an Bestimmtheit in nichts nachstand, wenn ihr etwas wichtig war.

Fast kam es mir vor, als funkelte dabei das künstliche Emot, das in die Stirnpartie der leichten Maskierung eingearbeitet war, die wir alle trugen. Damit gaben wir uns gegenüber den Phersunen als Paquanten aus, ein von uns erfundenes Volk, das angeblich erst frisch die interstellare Raumfahrt entdeckt hatte.

Der Eindruck des Funkelns war allerdings Unsinn. Das Gerät, das nach dem Vorbild eines onryonischen Emots geformt und platziert war, hatte ansonsten nichts mit dem Original gemein. Statt den Gefühlszustand des Trägers zu signalisieren, verschaffte es seinen Trägern bei nachlassendem Licht über eine Rückkopplung mit den Sehnerven eine leichte Dämmerungssichtigkeit, war also eher ein drittes Auge. In dem hellen Licht allerdings, das im kleinen Hangar der PAQUA herrschte, in dem wir zu sechst standen, blieb es inaktiv.

Gemeinsam mit der künstlichen dunklen Pigmentierung der Haut und den feinen goldenen Linien darin hatte das Gerät gute Dienste dabei geleistet, das Aussehen der Besatzungsmitglieder an Bord der PAQUA zu verschleiern – vor allem die Unterschiede darin. Meine für eine Ator typische grüne, mit goldenen Mustern durchzogene Haut, meine bernsteingelben Augen oder mein silbernes Haar zum Beispiel hätten sonst deutlich hervorgestochen.

Außer mir gab es weitere Angehörige humanoider Völker an Bord, die nicht mit den Terranern verwandt waren. Selbst die terranischstämmigen Besatzungsmitglieder wiesen aber zum Teil große Unterschiede im Aussehen auf, wenn sie von Kolonialplaneten mit umweltangepasster Bevölkerung stammten.

Da unser divergierendes Aussehen weit über die normale Schwankungsbreite bei Planetenbevölkerungen hinausging, hätte es unangenehme Fragen über das Volk der Paquanten aufgeworfen. Angeblich hatten wir gerade erst die interstellare Raumfahrt entdeckt und mit der Kolonisation anderer Planeten begonnen. Um all dem aus dem Weg zu gehen, hatten wir uns zu einer onryonisch inspirierten Maske entschlossen.

Wer aufgrund der extrem abweichenden Größe – ich dachte dabei in erster Linie an den nur knapp über zwanzig Zentimeter messenden Siganesen Affatenga oder den drei Meter hohen Haluter Icho Tolot – zu sehr aufgefallen wäre, war entweder auf der STARTAC SCHROEDER am Rand des Huphurnsystems zurückgeblieben oder hielt sich außer Sichtweite, wenn Phersunen an Bord kamen.

»Wenn du dich schon in die Höhle des Löwen begibst, solltest du wenigstens jemanden mit echter militärischer Einsatzerfahrung mitnehmen«, bekräftigte Farye.

Selbstverständlich dachte sie dabei an sich und hatte nicht einmal unrecht. Sie war ausgebildete Pilotin und erfahrene Kommandantin eines Raumlandebataillons. Trotzdem bezweifelte ich, dass ihre Intervention Erfolg haben würde.

Tatsächlich schüttelte Perry den Kopf. Geduldig erwiderte er: »Das hier ist ein Erkundungsausflug, kein Kampfeinsatz. Und falls es zum Kampf kommen sollte, würde es keinen Unterschied machen, wenn du dabei wärst. Fünf von uns gegen die geballte Macht der Phersunen vor Ort, das ist so oder so aussichtslos. Da ist es mir wichtiger, dich für den Notfall als Pilotin in der Hinterhand zu wissen. Bei dir kann ich sicher sein, dass du uns selbst unter widrigsten Umständen heil aus dem System bringen wirst.«

Farye schürzte die Lippen. Schmeicheleien verfingen bei ihr nicht sonderlich, nicht einmal, wenn sie von Perry Rhodan kamen. Allerdings hatte er recht darin, dass wir nur wenige ähnlich talentierte Piloten an Bord hatten, und keiner davon war so gut mit Space-Jets vertraut wie sie.

Hilfe suchend sah Farye zu Donn Yaradua. Der Parabegabte mit der Fähigkeit, den Metabolismus von Lebewesen zu beeinflussen, nestelte an den Verschlüssen des klobigen Raumanzugs, der ebenfalls zur Maskerade gehörte. Er tat, als bemerkte er ihren Blick nicht.

Ich schmunzelte innerlich.

Mir war nicht entgangen, dass sich zwischen dem Mann von New Kerry und Farye etwas entwickelt hatte, das womöglich mehr als nur Freundschaft war. Vermutlich hätte er sie gerne unterstützt. Doch es war ein weiter Schritt von diesem Wunsch bis dahin, sich einem Beschluss Perry Rhodans offen entgegenzustellen – insbesondere, da Yaradua selbst Teil der Expedition sein würde. Er saß, wie die Terraner gerne sagten, »zwischen den Stühlen«.

»Wir dürfen mit fünf Personen an der Fahrt teilnehmen«, sagte Perry und zählte an seinen Fingern ab: »Dass ich Donn mitnehme, muss ich wohl nicht besonders begründen – ohne sein Eingreifen hätten wir diese Chance gar nicht. Er ist unser Türöffner.«

Yaradua wand sich sichtlich. Doch Perry hob bereits den dritten Finger.

»Jalland Betazou ist unser stärkster Vektormaterie-Spürer. Wir haben reichlich Vektormaterie im Umfeld des Abyssalen Triumphbogens gesehen, und ich gehe davon aus, dass wir ihr auch drinnen begegnen werden. Dann könnte es lebenswichtig sein, frühzeitig vorgewarnt zu werden.«

Mein Blick wanderte zu dem Onryonen, der als Einziger kein künstliches Emot benötigt hatte. Stattdessen war seines so überschminkt worden, dass die emotional gesteuerten Veränderungen unsichtbar blieben und es farblich den Kunstorganen der anderen angepasst war. Für ihn musste die Maskerade besonders seltsam wirken, da er vermutlich instinktiv und vergeblich in den Kunstgebilden nach Gefühlsausdrücken suchte.

Betazou, von Haus aus Habitat-Botaniker, war fasziniert gewesen von der Horchhaut der Quantam und hatte sich daher etwas davon an seinen Schläfen und dem Nacken implantieren lassen. Dieses von den Quantam stammende Bioelement, das die Psychosensitivität in einigen Aspekten erhöhte, war der Grund für Betazous erhöhte Empfindlichkeit gegenüber der Vektormaterie. Dieser Name hatte die Bezeichnung Graue Materie abgelöst und trug der Tatsache Rechnung, dass die Graue Materie mit einem bestimmten Vektor von ihren Entstehungsorten wegtrieb – und dieser Vektor schien zumindest in dieser Region auf den Abyssalen Triumphbogen zu zeigen.

Im Moment waren die grünen Flecken von Betazous Horchhaut mit schwarzer Schminke und Haarverlängerungen überdeckt, damit man die Übergänge nicht sehen konnte. Gleichzeitig verbarg das Kunsthaar, wie viel dichter sein Kopfhaar gegenüber dem der anderen war. Er wirkte wie ein ganz normaler Paquant.

Rhodan hob den vierten Finger. »Gry wiederum ist unsere Spezialistin für Vektormaterie. Da es um Wissensgewinn geht, wäre das Thema des Ausflugs verfehlt, wenn ich sie nicht mitnehmen würde.«

 

*

 

Kurz richtete Perry die grauen Augen auf mich. Ich schenkte ihm ein schwaches Lächeln. Gry O'Shannon ... mein Verhältnis zu der Materialwissenschaftlerin hatte sich, seit sie während unseres Aufenthaltes über Rudyn zur Wissenschaftlichen Abteilung gestoßen war, immer weiter verschlechtert. Sie fuhr mir immer wieder in die Parade und bezog selbst in den ungünstigsten Momenten wissenschaftlich Gegenposition zu mir. So etwas hatte ich noch nicht erlebt, und ihr Widerspruch ging erkennbar über die Wissenschaft hinaus. Vor allen Dingen begriff ich nach wie vor nicht so richtig, was ihr Problem mit mir war.

Dass wir anhand der bisherigen dürftigen Datenlage zu unterschiedlichen Hypothesen über einige Aspekte der Vektormaterie kamen, stellte für mich keinen plausiblen Grund für ihre zunehmende Animosität dar. Es brachte nichts, sich immer wieder über diese Diskrepanz zu ereifern, solange wir keine weitergehenden Daten hatten.

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Illustration: Dirk Schulz

Perry hatte die Vermutung geäußert, dass Gry lediglich Anerkennung ihrer Arbeit und ihrer Fähigkeiten durch mich vermisste. Falls das der Fall war, ging sie allerdings zurzeit den völlig falschen Weg. Emotionalität im Streit über unsichere Fakten war etwas für Kinder und Politiker, nicht für Wissenschaftler. In meinen Augen disqualifizierte sie sich mit ihrem Beharren darauf, mich zu ihrer Meinung bekehren zu wollen.