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Joachim Knape / Olaf Kramer / Dietmar Till

Populisten – rhetorische Profile

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

Inhalt

Paradigma Populist: Agitator und Volksversteher

Kann man bei politischen Akteuren, denen man das Prädikat Populist zuschreibt, auch spezifische kommunikative Verhaltensweisen erkennen, die sich zu Merkmalen einer Art Kommunikatorrolle verdichten lassen? Der erste Versuch, solche Kommunikatortypen nach strukturalistischen Prinzipien zu modellieren, stammt schon aus der Antike. Von Theophrast, dem Aristoteles-Schüler und späteren Leiter der platonischen Akademie in Athen. Theophrast gibt seinen 30 äußerst kurz gehaltenen Charakterisierungen, die zwischen Psychologisierung und Sozialtypik schwanken, Überschriften wie Der Schmeichler, Der Verleumder oder Der Gerüchtemacher. In seiner Darstellung des Bedenkenlosen finden sich bei aller historischen Distanz bisweilen Merkmale, die Zuschreibungen an moderne Populisten ähneln. Am Bedenkenlosen falle sein „Beharren bei schändlichen Worten und Taten“ auf, schreibt Theophrast. Er „schimpft auf die Mächtigen“ und ist „dem Charakter nach ein Marktschreier, ein Exhibitionist und zu allem fähig“. Er „scheint auch einer von denen zu sein, die die Massen um sich sammeln und aufhetzen“ oder die in rechtlichen Auseinandersetzungen mal als Opfer, mal als Ankläger auftreten.

Die bei Theophrast zusammengetragenen Impressionen haben ihren analytischen Sinn, auch wenn sie nicht nach wissenschaftlichen Kriterien modelliert worden sind. Wollte man heute eine erste, etwas strengere Typologie erstellen, so würde man bei den Kommunikatoren unterscheiden müssen zwischen (1) Berufstypen wie Journalist, Pressesprecher, Schriftsteller, Talkmaster, aber auch Pfarrer oder Anwalt; (2) Verfahrenstypen wie Diskutant, Mediator, Moderator, Redner oder auch Märchenerzähler sowie (3) wie Kritiker, Prophet, Schwätzer, Verführer, Verräter, aber auch Guru oder Politiker.

Im Folgenden wird der Versuch unternommen, das Konzept des Populisten als eines bestimmten Paradigmas unter den Kommunikatoren zu modellieren. Ziel ist es, in einer vorläufigen Annäherung nicht die politische Programmatik, sondern das kommunikative Interaktionsverhalten dieser vage erkennbaren Kommunikatorgruppe zu umschreiben. Dazu sollen als Analysekategorien die drei Aspekte 1. Actus (Aktivitätsmuster), 2. Habitus (Haltung) und 3. Status (soziale Rolle) herangezogen werden, die sich durchaus noch erweitern ließen, hier aber aus pragmatischen Gründen ausreichen müssen und können.

1. Actus

Beginnen wir mit den erkennbaren Handlungs- oder Aktivitätsmustern, wobei die Frage ihrer individualpsychologischen Bedingtheit hier nicht erörtert werden soll (vgl. Mertens 2014, 41). Bei den Handlungen geht es um sinnhafte, bewusst-planmäßige und intersubjektive (also Mitmenschen einbeziehende) Aktivitäten im Rahmen alltäglicher Lebenswelt, die hier konkret im politischen Kommunikationsraum betrachtet werden. Aus rhetorischer Sicht stellen sich diese als strategisches Handeln dar. Die entsprechenden populistischen Handlungsroutinen lassen sich auf den Ebenen der Texte und der Medien besonders gut beobachten – die Rhetorik spricht dann von Redekalkülen und von Medienkalkülen. Für die Redekalküle und deren Ergebnisse kann man den in der Forschung eingeführten Begriff der Agitation zur Charakterisierung heranziehen, hier im Sinne einer ideologisch besonders eingefärbten, interaktional besonders intensiven, inhaltlich besonders einseitigen und in Hinsicht auf die üblichen Verhaltenskonventionen besonders radikalen und grenzüberschreitenden Sprache. Der Populist hat

Mit welchen Mitteln wird dabei gearbeitet? Zunächst einmal wird eine Gegen-Topik aufgebaut. Systematisch wird hier inhaltlich an gedanklichen Kernen einer Anti-Mainstream-Programmatik gearbeitet, die z.B. den Appell an niedere Instinkte nicht scheut (Fremde als Bedrohung der ‚eigenen‘ Frauen), Tabuwörter einsetzt oder vermeintliche ideologische Leerstellen (bisherige Tabus) positiv füllt und besetzt. In der Selbstdarstellung ordnet der Populist das als Ausdruck seiner politischen Tapferkeit und seines Freimuts, der Parrhesie, ein. Die populistischen Analysen laufen auf eine Monokausalitäts- und Miserenanalyse hinaus (Griechen, Flüchtlinge oder Mexikaner seien die Generalursache für die Misere usw.) sowie auf den großen Mängelnachweis beim herrschenden System und den Nachweis des Misslingens der alten Strukturen mit ihren letztlich korrupten Vertretern. An der alten Ordnung muss gerüttelt werden. Die Analysen und Nachweise werden monothematisch zugespitzt mit hoch selektiven Themensetzungen: Identität, Nation, Klassenkampf, Migranten, Fremdes versus Eigenes, die da oben – wir hier unten. Vorgetragen wird das mit einem Exklusivitätsgestus, der die eigene Deutungshoheit betont, keinen Zweifel zulässt und die politischen Gegner oder die Presse skrupellos als Lügner oder Volksmanipulateure denunziert. Der ‚mündige‘ Bürger ist nicht die Zielgruppe der Agitation, denn (so etwa die

Aus der Kampfpositionierung des populistischen Newcomers oder Aufsteigers ergeben sich Präferenzen für eine Gruppe populistisch signifikanter, im politischen Normalgeschäft meist gemiedener (sonst nur punktuell verwendeter) oder eher tabuisierter Sprechakttypen. Sie bilden eine Art populistisches Sprechakt-Cluster. Dazu gehören permanentes Anklagen, rücksichtsloses Denunzieren, Drohen, provozierendes Feindbildproduzieren, tabuverletzendes Irritieren, Polemisieren, Polarisieren (‚wir‘ gegen ‚die da oben‘), Verleumden, Verunsichern, Tabubruch sowie Grenzabbau bei der political correctness, dann aber auch bedenkenloses Zurückrudern. Die Antithese als Denkfigur verhilft zu radikalen und eingängigen Gegenüberstellungen: „Staatszerfall“ (Höcke) versus neues nationales Staatsideal; Altparteien versus neue Aufbruchsbewegung; Elite versus echte Volksvertreter; Feind versus Freund. Im Sinne der klassischen Propagandakonzeption soll die Wiederholung spezieller Forderungen und Behauptungen zur Dramatisierung der Miserenanalyse beitragen (bei jeder Gelegenheit den Rücktritt der Bundeskanzlerin fordern, ständig auf die Migrationsproblematik verweisen usw.). So heißt es im genannten Strategiepapier von 2016: „Die stete Wiederholung dessen, wofür man bereits bekannt ist, bringt mehr Erfolg als immer wieder neues zu bringen.“ Und in der Argumentation soll nie die ganze Kosten-Nutzen-Rechnung aufgemacht werden; das meint: Lieber nicht über den Preis irgendwelcher Forderungen sprechen, denn „Konzentration auf Eingängiges geht vor Vollständigkeit, harte und

Auf der Ebene des strategischen Medienkalküls sticht das Prinzip der parasitären Kommunikation hervor. Statt teure Anzeigen zu schalten oder mit relevanten Äußerungen Beachtung in der Berichterstattung zu suchen, setzen Populisten ihre sprachlichen Provokationen systematisch als Aufmerksamkeits-Trigger für die Medien ein. Provocation sells, könnte man als Maxime darüber setzen. Was in den Echokammern des Populisten kursiert, wird von der etablierten Presse bzw. journalistischen Öffentlichkeit genau beobachtet und dann bei aller Kritik auf jeden Fall weit gestreut. Auf die Streuung aber kommt es an. Dieser parasitäre Mechanismus wird zum kostenfreien Faktor bei der Unterminierungsstrategie des Populisten. Die von ihm gescholtene ‚Lügenpresse‘ wird so zu seinem Helfer.

2. Habitus

Unter dem, was Aristoteles Hexis und der frz. Soziologe Pierre Bourdieu Habitus nennt, werden im Folgenden die mit der Person verbundenen, zumeist erworbenen Merkmals- oder Eigenschaftsmuster eines Kommunikators verstanden, welche sich in der Öffentlichkeit als Verhaltensneigung und Handlungsdisposition zeigen. Man kann hier auch vom erkennbaren Selbst- und Fremdimage eines öffentlich auftretenden Akteurs reden. Das Akteursmodell Populist bezieht sich auf die Beobachtung von Zuschreibungen bei Beobachtern erster und zweiter Ordnung. Sie betreffen in Hinblick auf vermeintliche Populisten deren Präferenzen und wiederkehrende Verhaltens- und Äußerungsmuster, die sich mit den ebenfalls andauernd von ihnen kommunizierten Selbstimages verbinden (Opfer, Held, Erlöser usw.). Kurz: Akteure schärfen ihr Profil mit bevorzugten Themen oder strategisch eingesetzten

Der sich vor diesem Hintergrund verdichtende Image-Kern des Populisten ist einerseits der des fanatischen Protestlers, andererseits der des demagogischen Verführers. Beides klingt hart zugespitzt, trifft aber das hier verhandelte habituelle Paradigma in seinen wichtigsten Komponenten: Wer als Populist protestiert, legt Zeugnis ab für seine eigene neue Sache und tritt in eine klare Ablehnung der herrschenden Machtverhältnisse ein, und zwar radikal, ohne Wenn und Aber. Und wer demagogisch ver-führt, verspricht zweierlei: Er will sich im Wortsinn ganz auf die Seite des Volkes stellen und zugleich die Anhänger in neue bessere Verhältnisse ‚führen‘. Er sieht das Leben aus der Perspektive des Kriegers, Eroberers und Verteidigers der vermeintlich Entrechteten. Dies ermächtigt ihn zu kompromisslosem Vorgehen. Da der Populist an seine Unmittelbarkeit zum Volk glaubt, kann er sich von den Verhaltensmustern der konventionellen Politikerkaste lösen. Er muss nicht politisch salonfähig sein, denn er verschmäht Koalitionen, will nur die ganze Macht. Sein Selbstkonzept einer bloß dem ‚Volk‘ verbundenen Unabhängigkeit gibt ihm den Freiraum, ohne irgendwelche von ihm als falsch angesehene Rücksichten zu handeln, sich fanatisch nur seinen Ideen zu widmen und gegebenenfalls zugleich als charismatisches Wirkzentrum (im Sinne Max Webers) zu fungieren, was ihn seiner Meinung nach auch zum Verführen ermächtigt.

3. Status

Wenn bislang vom Akteur selbst in seinem Rollenverhalten und in seinen habituellen Dispositionen die Rede war, so soll es nun anhand der Kategorie Status um seine soziale Position im Geflecht

Im 21. Jahrhundert treten Populisten genannte Akteure nach Jahrzehnten der Abkehr von autokratischen Systemen in allen westlichen Demokratien als selbsternannte Vertreter einer neuen, sich auf Altes berufenden politischen Kultur auf, die sich von vertrauten Sichtweisen und Werten abwendet: Was bedeutet das? Die öffentlichen Beobachter sehen eine Abkehr von korrekten, etablierten, gewohnten Diskursnormen des bürgerlichen Establishments, allerdings ohne dass zugleich sozialrevolutionäre Forderungen der alten Art erhoben würden. Zeigt sich da eine Art Kulturkampf? Die sich selbst für politisch und moralisch korrekt haltenden Milieus fühlen sich verunglimpft, mit unbequemen Wahrheiten konfrontiert, mit dirty truth und bislang tabuisierten Äußerungsweisen. Die ‚Eliten‘ sehen da Ordinäres in Wort und Tat, das primitive Denken und Sprechen sowie das Schlimmste, die Aufhebung von Wahrheit und Lüge, hochkommen. Selbst der Grundbestand humanistischer Werte aller Art scheint in Gefahr. All dies wird der Akteursgruppe der Populisten zugeordnet. Dass bei all dem auch die demokratisch-politischen Grundwerte in die Diskussion geraten, könnte zumindest auf eine Krise der westlichen Demokratien hindeuten. Tatsache ist, dass Vertreter von als populistisch gebrandmarkten Parteien erstaunlichen Zulauf erfahren haben. Sie leben bei der Imagebildung wesentlich vom Kontrast zu den etablierten, ‚normalen‘, angepassten Politikern im politischen Interaktionsfeld, indem sie sich gezielt als Außenseiter, Abweichler und Neutöner stilisieren, die als einzige die wahren Töne des ‚Volkes‘

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: Die Modellierung des idealtypischen Paradigmas dient der Unterscheidung von Kommunikatoren. In der griechischen Antike war ein ein Architekturmodell für ein öffentliches Bauwerk, anhand dessen sich die Bürger über die Strukturidee und den Stand der konkreten Bauarbeiten vergewissern konnten. Als solch eine Einrichtung zum Maßnehmen bei Kommunikatoren kann auch das hier vorgelegte idealtypische Modell ‚des‘ Populisten fungieren. Ich wäre froh, wenn wir bei uns keinen lebenden Politiker fänden, der diesem Paradigma in all seinen Komponenten entspricht.