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Fürstenkrone
– Staffel 7 –

E-Book 61-70

Jutta von Kampen
Regina Rauenstein
Gabriela Stein
Wera Orloff
Laura Martens
Britta von Meierhofen
Gitta Holm

Impressum:

Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74095-573-1

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Aber du liebst mich doch!

Warum macht Sigurd Prinzessin Oda keinen Heiratsantrag?

Roman von von Kampen, Jutta

Prinzessin Oda von Wartenburg sah den Fürsten Lievenstein mit freundlichem Desinteresse an. Sie war eine große, schlanke, elegante junge Dame von vierundzwanzig Jahren, mit einem schmalen, gleichmäßig blassem Gesicht, wunderschönen grünen Augen unter dichten schwarzen Wimpern, einer feinen, etwas zu langen Nase, einem schön geschwungenen Mund und einem Kinn, das mit seinem Grübchen sowohl Temperament wie auch Energie verriet. Sie war vielleicht keine klassische Schönheit, und ganz bestimmt konnte man sie nicht unter der Rubrik hübsch einordnen. Sie war mehr!

Sie war interessant, apart, sehr guter Stil und man merkte ihr an, daß sie ausgesprochen intelligent war.

Auch jetzt, obwohl sie kaum etwas sagte, nur liebenswürdig und höflich lächelte und nickte.

Oda langweilte sich tödlich.

»Weißt du eigentlich, wie lange ich schon unsterblich in dich verliebt bin?« fragte Fürst Gunnar, einer der begehrtesten Junggesellen des europäischen Hochadels. Er war groß, schlank, natürlich sehr elegant, und sah mehr vornehm als intelligent aus. Aber er war so reich, daß sich die wenigstens daran störten.

Oda gehörte nicht zu diesen.

Ihr Lächeln wurde noch bezaubernder, und sie sagte mit ihrer angenehmen, weichen Stimme:

»Ich glaube, das erste Mal hast du es mir kurz nach meinem Abitur vor fünf Jahren gesagt!«

»Immerhin erinnerst du dich daran«, erwiderte er mit einem Anflug von Galgenhumor.

»O ja.« Sie lachte. »Aber erinnerst du dich daran, was ich damals zu dir sagte?«

»Natürlich erinnere ich mich! Du hast es mir inzwischen mindestes einmal im Jahr wiederholt.«

»Genau genommen: jedes Mal wenn du mir eine Liebeserklärung gemacht hast«, verbesserte sie ihn amüsiert.

»Stimmt. Du wolltest Medizin studieren! Aber du hast doch inzwischen sogar schon deinen Doktor!« ereiferte sich nun der Fürst.

»Den leeren Titel! Aber ich muß noch den Arzt im Praktikum machen und dann meinen Facharzt!«

»Oda! Ich flehe dich an! Wozu braucht jemand wie du so einen Abschluß?«

»Ich möchte schließlich in diesem Beruf arbeiten«, gab sie ihm ruhig zur Antwort.

»Aber warum?«

»Ach, Gunnar, ich glaube, es hat wenig Sinn, wenn ich dir das zum xten Mal erkläre.«

»Ich weiß! Du willst etwas Gutes tun. Aber das kannst du doch auch als meine Frau. Vielleicht sogar noch mehr. Als Ärztin wirst du bestimmt nicht so viel verdienen, wie du als Fürstin Lievenstein Nadelgeld bekommst.«

»Du bist sehr großzügig«, erwiderte Oda mit kaum verhohlenem Spott. »Aber eigentlich möchte ich die Bedürftigen nicht nur mit Geld abspeisen, sondern ich möchte ihnen mit Rat und Tat helfen.«

»Habt ihr nicht schon genug Heilige in eurem Stammbaum?« erkundigte sich Gunnar nun ärgerlich.

»Sei nicht beleidigt«, mahnte sie lachend. »Es gibt heute abend doch so viele hübsche und heiratswillige Mädchen hier!«

Der Fürst sah sie empört an.

Dann kam ihm eine, wie er fand, ausgezeichnete Idee! Er stand langsam auf. Er würde jetzt wie wild flirten und dafür sorgen, daß man darüber tuschelte, daß er eine der jungen Damen besonders hofierte. Eine, die als Fürstin durchaus in Frage kam! Vielleicht fand Oda ihn begehrenswerter, wenn sie sah, daß er nicht auf sie angewiesen war.

Und außerdem würde er sich noch hinter ihre Eltern stecken. Er wußte, daß die hundertprozentig auf seiner Seite waren!

»Mach kein so böses Gesicht!« sagte Oda und lachte noch immer.

»Aber nein!« erwiderte er hochfahrend. »Du hast ja recht! Schließlich will ich mich amüsieren!« Und damit ließ er sie sitzen. Es war fast ungezogen.

Oda schaute ihm nach wie er sich in das Gedränge der Tanzenden stürzte. Sie hatte eine Hand vor den Mund gelegt, um ihre Heiterkeit zu verbergen. Hoffentlich blieb sie für die nächste Zeit hier unbemerkt.

Sie war die Tischdame des Fürsten gewesen, und nach dem Diner und dem ersten Tanz mit ihm, hatte sie ihn gebeten, mit ihr zu dem herrlichen Wintergarten zu gehen, der einem exotischen Wald nachempfunden war, mit Palmen, Lianen, Orchideen und großen Aras, die in vergoldeten Käfigen schaukelten.

Leider hatte er die Zurückgezogenheit als Aufforderung aufgefaßt, ihr wieder einmal Herz und Hand anzubieten, kaum, daß sie sich in die Korbsessel, die halb versteckt unter den Blättern und Büschen standen, gesetzt hatten.

Es war eines dieser Feste, wie sie am laufenden Band gegeben wurden, um die jungen Standesgenossen miteinander bekannt zu machen und dafür zu sorgen, daß niemand Unpassender sich in ihre erlauchten Kreise drängte. Das zu verhindern wurde nach Ansicht der älteren Generationen ohnehin immer schwieriger.

Nicht einmal während ihrer Schulzeit in einem feudalen Schweizer Internat, hatte Oda diese Art Veranstaltungen geschätzt. Der Grund war zu offensichtlich. Und eigentlich hatte sie schon von klein auf gewußt, daß sie einmal Ärztin werden wollte, um armen Menschen zu helfen.

Anfangs waren ihre Eltern, Prinz Oswald und Prinzessin Regina, aus einer wohlhabenden Nebenlinie des Fürstenhauses, von der Einstellung ihrer Tochter gerührt gewesen.

Das Kind hatte so ein weiches Herz! Später konnte sie einmal irgendwelche Ehrenämter in wohltätigen Vereinen übernehmen, so wie es von alters her der Brauch in ihren Kreisen war. Vorher würde ihre attraktive Tochter natürlich passend heiraten, Kinder bekommen und wenn diese dann aus dem Haus gingen, war genau die richtige Zeit, um wohltätig zu werden.

Als Oda dann darauf bestand, Medizin zu studieren, war man überrascht, nahm es aber nicht weiter ernst. Dann war sie bis zu ihrer Heirat beschäftigt und saß nicht nur wartend herum. Außerdem war schließlich auch ein Wittelsbacher Prinz schon im 19. Jahrhundert Arzt gewesen. Augenarzt. Seine Klinik existierte noch heute, und ihr Ruf war noch immer ausgezeichnet.

Doch die Jahre vergingen, Odas Klassenkameradinnen, auch die weit weniger anziehenden, waren schon längst verheiratet und hatten Kinder – und Oda studierte immer noch! Dabei hätte sie schon mehrmals eine hervorragende Partie machen können. Ihre Eltern wurden immer besorgter.

Wenn sie so weiter machte, waren bald alle in Frage kommenden Junggesellen vergeben, und sie blieb womöglich an einem bürgerlichen Arzt hängen! Eine peinliche Vorstellung.

Zum Glück war da noch immer der reizende Gunnar Lievenstein, der sich nicht entmutigen ließ, obgleich sich Oda ihm gegenüber wirklich nicht nett verhielt.

Auf jedem Fest beobachtete Prinzessin Regina genau, ob und mit wem Oda tanzte oder plauderte, um sie am folgenden Tag auszufragen.

Deshalb flüchtete sich Oda, wenn eine Möglichkeit bestand, in abgelegene Räume, sowie in diesen prachtvollen Wintergarten im Schloß der Grafen Taring, oder aber sie schob eine Prüfung vor. Das wurde freilich inzwischen immer schwieriger. Da sie mit dem eigentlichen Studium fertig war.

Oda schaute auf ihre Armbanduhr.

»Oh, Gott«, seufzte sie. »Noch nicht einmal zwölf!« Sie schrak auf, als jemand hinter ihr lachte.

»Entschuldigen Sie«, sagte eine sehr angenehme, tiefe Stimme, »ich hatte mich hierher geflüchtet und wurde so zufällig Zeuge Ihrer Unterhaltung mit Gunnar Lievenstein.«

»Oh!« sagte Oda vorsichtig und versuchte, in dem dämmerigen Halbdunkel den Sprecher zu erkennen.

»Darf ich mich einen Augenblick zu Ihnen setzen?«

Sie konnte schlecht ablehnen. Abgesehen davon war es einfach noch zu früh, um aufzubrechen. Es wäre unhöflich zu gehen, bevor die gleichfalls geladenen Königlichen Hoheiten sich zurückzogen. Da konnte sie ebensogut sich mit diesem Gast unterhalten. Oder aber sich von ihm langweilen lassen.

Der Mann war ihr unbekannt, aber sie mußte zugeben, daß er sehr ansprechend aussah. Er war groß, kräftig, wirkte sportlich, trug aber seinen Smoking trotzdem mit selbstverständlicher Eleganz. Ein Smoking von der Stange, keine Maßarbeit, erkannte Oda trotz des Dämmerlichtes und freute sich darüber. Auch wenn sie es fast als negativ empfand, daß sie auf so etwas überhaupt achtete und es auch noch erkannte.

Als er sich jetzt in den Sessel setzte, aus dem Gunnar eben beleidigt aufgesprungen war, stellte sie fest, daß er ein gut geschnittenes, markantes Gesicht hatte, mit einer geraden Nase, einem großzügigen, entschlossenen Mund, einem energischen Kinn und großen – vermutlich dunklen, tiefliegenden Augen, so weit das bei dieser Beleuchtung zu erkennen war. Er lächelte, weil sie ihn so unverhohlen musterte, und jetzt sah sie seine bemerkenswert schönen weißen Zähne.

Ja, er gefiel ihr. Zumindest äußerlich.

»Ich heiße Sigurd Sternburg«, stellte er sich vor.

Sie neigte leicht den Kopf.

»Und ich heiße…«

»Oda Wartenburg«, unterbrach er sie. »Ich weiß. Ich habe Sie bereits früher an diesem Abend gesehen und mich erkundigt.«

»Ach«, murmelte sie sehr zurückhaltend.

Er grinste.

»Und da hörte ich, daß Sie eine junge Kollegin von mir sind!«

»Ach!« wiederholte Oda überrascht und mit erwachtem Interesse. »Sie sind Arzt?«

»Ja. Facharzt für Tropenmedizin. Ich bin gerade auf Heimaturlaub!«

»Wirklich! Das müssen Sie mir erzählen. Das interessiert mich sehr. Wissen Sie, ich habe eben meinen Doktor gemacht und suche jetzt eine Stelle AIP, was erstaunlich schwierig ist.«

»Das kann ich mir vorstellen.«

»Aber wieso? Die Krankenhäuser suchen doch dringend Ärzte, wie man immer wieder hört und liest.«

»Aber doch keine bildschöne Prinzessin, von der man – möglicherweise ungerechtfertigt – annimmt, daß sie vor lauter Festen wie dem heutigen doch kein echtes Interesse an ihrem Beruf hat.«

»Glauben Sie, daß das der Grund ist?« fragte Oda verblüfft.

»Ich kann es mir zumindest vorstellen«, meinte Sternburg. Sie sah vor sich hin und überlegte und dann fragte sie ihn: »Und Sie haben keine Beziehung, so daß Sie ein gutes Wort für mich einlegen könnten?«

Er zog belustigt die Brauen hoch.

»Und woher weiß ich, daß die Vorbehalte der entsprechenden Krankenhaus-Chefs nicht berechtigt sind?«

Zuerst zuckte Oda etwas verärgert die Schultern, dann lachte sie plötzlich und meinte:

»Ich dachte, Sie hätten vorhin meine Unterhaltung mit der besten Partie des heutigen Abends gehört?«

Jetzt stimmte er in ihr Lachen mit ein.

»Sie haben recht! Der Arme Gunnar. Was halten Sie davon, wenn wir uns in den nächsten Tagen treffen und Sie mir genauer erzählen, was Sie sich so vorstellen? Welches Fach Sie besonders interessiert und so weiter.«

»Gerne!« erwiderte Oda und lächelte ihn strahlend an.

»Und jetzt«, sagte Sternburg und stand auf, »wollen wir das tun, wofür das Fest gedacht ist, nämlich tanzen und uns amüsieren! Darf ich bitten, Oda?«

»Gerne!« wiederholte sie lächelnd und erhob sich. »Und damit auch alle zufrieden sind, schlage ich vor, daß wir uns duzen.«

»Natürlich«, gab er zur Antwort. »Das ist etwas, das ich draußen in der Welt verlernt habe. Da ist man weit vorsichtiger damit, gleich so intim zu werden, als es in unseren Kreisen…« Er zog wieder die Brauen hoch, um den leisen Spott bei diesen Worten deutlich zu machen,

»… üblich ist.«

»Es ist dir doch nicht – unangenehm?« fragte Oda etwas verwirrt.

»Niemals! Es ist mir ein Vergnügen, mich mit der interessantesten Dame des heutigen Abends zu duzen.«

Sie standen inzwischen am Eingang zu dem großen Marmorsaal, der seinen Namen von den fünf Meter hohen Säulen hatte, welche die herrliche Stuckdecke mit ihrem frühbarocken Fresko trugen. Sigurd verneigte sich leicht vor Oda und ergriff ihre Hand. Dann trat er überraschend einen Schritt zurück, ohne sie loszulassen.

»Ich muß dich jetzt erst einmal richtig ansehen!« meinte er. »Perfekt! Einschließlich des sehr eleganten und extravaganten Kleides, mit dem du übrigens wunderbar in den Dschungel des Wintergarten gepaßt hast!«

»Ja, es ist ein tolles Kleid! Deshalb ziehe ich es auch immer wieder an, obgleich eigentlich jeder es schon kennt.«

»Für mich ist es neu!« gab er zur Antwort und drehte sie einmal herum, um sie von allen Seiten zu sehen. »Toll!« sagte er anerkennend.

»Ach, Oda! Du trägst ja wieder dein entzückendes Pfauenkleid!« rief eine rosige Blondine in modisch flatterndem Chiffon, im Vorbeitanzen.

»Da hast du es gehört!« Oda lachte.

»Das kann nur der Neid sein«, fand Sigurd. »Ich finde das Kleid auch viel zu schön, um es nur ein- oder zweimal anzuziehen.«

Es war ein schmal geschnittenes, bodenlanges Kleid aus schwerer, fließender dunkelblauer Seide, mit Straßträgern. Auf den Stoff waren vorne und auf der Rückseite je ein Pfau gemalt, der auf einem Blütenzweig saß. Sein Schwanz hing herab, und die Augen waren mit bunten, glitzernden Pailletten bestickt. Das Kleid war garantiert einmalig. Und man konnte es nur tragen, wenn man so hervorragend gewachsen war wie Oda und auch ihre Größe hatte.

»Hinreißend!« sagte Sigurd und ließ offen, ob er das Kleid oder seine Trägerin meinte. »Wo hast du es gefunden?«

»Auf einer exklusiven Modenschau. Niemand wollte es haben – und so bekam ich es sogar noch zu einem relativ günstigen Preis.«

»Bravo! Aber jetzt wird getanzt!«

Sigurd tanzte hervorragend, und Oda genoß es. Auch die heiteren und leicht boshaften Bemerkungen, die er immer wieder machte. Und sie freute sich auch, daß er jedem, der sie abklatschen wollte, erwiderte:

»Nichts da! Wenn ich schon mal auf Heimaturlaub bin, teile ich meine Dame mit keinem!«

*

Sicher hätte Oda sich noch besser amüsiert, wenn ihr nicht die ganze Zeit bewußt gewesen wäre, daß zumindest ihre Mutter sie pausenlos beobachtete und bestimmt schon alles an Informationen über Sigurd eingeholt hatte, was zu erfahren war. Aber trotzdem mußte sie zugeben, daß sie auf keinem Fest, so lange sie sich erinnern konnte, so gut unterhalten hatte wie gestern abend.

»Na, da bin ich aber neugierig, was Mama alles über die Sternburgs weiß!« sagte sie lächelnd zu ihrem Spiegelbild, während sie sich für das späte Frühstück fertig machte, das nach dem Ball und der kurzen Nacht am Sonntag um die Mittagszeit serviert wurde.

Sie hatte sich bereits geduscht und schlüpfte nun in ein einfaches sandfarbenes Kleid im Safaristil, das ihr ausgezeichnet zu ihren grünen Augen und goldbraunen Haaren stand und sie lächelnd wieder an ihren Tropenarzt denken ließ.

Im allgemeinen ärgerte sie sich, wenn ihre Mutter, kaum daß ein neuer Verehrer auftauchte, sogleich den Gotha wälzte. Vorausgesetzt, der junge Mann gehörte zum Adel. Aber dieses Mal war sie selbst interessiert, möglichst viel über Sigurd zu erfahren.

Ihre Eltern saßen bereits im Speisezimmer beim Frühstück. Die Terrassentür stand weit offen, so daß die frische Luft aus dem Garten hereinströmte. Sie küßte erst ihren Vater auf die Wange, dann ihre Mutter.

»Wie ich hörte, hast du dich ja gestern blendend amüsiert«, meinte Prinz Oswald gut gelaunt.

»Ja, das stimmt«, erwiderte Oda vergnügt und setzte sich an den Tisch.

»Es sind bereits zwei Blumensträuße angekommen«, sagte ihre Mutter.

»Von wem denn? Wo?« Oda sprang auf und sah sich um.

»Drüben im Salon«, lautete die Antwort, und Oda schaute ihre Mutter überrascht an. Sie schien nicht begeistert zu sein. Dabei konnte man gegen die Sternburgs als Familie wirklich nichts einwenden.

Auch die Türen des Salon führten auf die Terrasse, und neben der Terrassentür befand sich eine sehr schöne, chinesische Bodenvase, in der ein riesiger Strauß bunter Lilien steckte. Oda zog das Kuvert, das zwischen den Blüten steckte, heraus. Auf der Rückseite prangte das fürstliche Wappen der Lievensteins. Oda seufzte. Sie zog die Karte aus dem Kuvert – und wußte, weshalb ihre Mutter so wenig begeistert war.

Liebe Oda! Ich denke, ich gönne uns beiden einmal eine Auszeit! Vielleicht ernüchtert dich die Praxis ja doch ein wenig. Deshalb komme ich in den nächsten Wochen auch nicht vorbei – es sei denn, Du meldest Dich. Katja Reinberg hat mich für ein paar Tage auf die Yacht ihrer Eltern eingeladen. Aber vielleicht treffen wir uns ja dort! Handkuß Dir und Deiner verehrten Mutter, grüße Deinen Papa – und dann schloß er ganz trocken: Gunnar.

Nicht wie sonst: Innigst Dein Gunnar oder es umarmt Dich ganz lieb Dein Gunnar oder was er sonst immer für überschwengliche Formulierungen für seine Gefühle fand.

Oda schmunzelte. Ihre Mutter hatte offensichtlich bereits die Karte gelesen. Das Kuvert war natürlich nicht zugeklebt gewesen. Das hatte sie nun davon, das Frühstück war ihr verdorben.

Den zweiten Strauß entdeckte Oda nicht sofort. Er stand neben einer silbernen Schale auf der Kommode und war klein und bescheiden. Er bestand aus bunten Wiesenblumen. Margariten, roter und gelber Klee, Hahnenfuß und Mäusezähnchen, Schierling und wilder Kümmel, Lichtnelken, Malven, dazwischen blühende Gräser.

Oda ahnte sofort, von wem er war.

Liebe Oda, ich bin noch nicht in echter Ferienstimmung und wache noch immer so schrecklich früh auf. Bei meinem Morgenspaziergang pflückte ich den Strauß für Dich. Romantisch, nicht wahr? Ich hole Dich um sechs zu einem frühen Abendessen ab, nachdem ich bei Deinen Eltern den vorgeschriebenen Kratzfuß gemacht habe. Falls Du etwas Besseres vorhaben solltest, was ich mir nur schwerlich vorstellen kann, rufe mich an. Bis später. Sigurd!

Mit strahlendem Gesicht kehrte Oda, die kleine Vase mit den Wiesenblumen in der Hand, an den Frühstückstisch zurück. Sie stellte sie neben ihr Gedeck und lachte, als sie sah, wie ihre Mutter indigniert die Brauen hochzog.

»Aber Mama, was mißfällt dir an Sigurd Sternburg?« fragte sie vergnügt.

Prinzessin Regina preßte die Lippen zusammen und antwortete nicht sofort. Sie war eine noch immer sehr gut aussehende Dame, von Mitte fünfzig, mit eisgrauem, schönem und gepflegtem Haar, kühlen Augen und einem klassischen Gesicht. Sie war überschlank und groß und ein bißchen zum Fürchten, weil sie eben gar so vornehm war.

Auch Prinz Oswald war eine gute Erscheinung. Er war zwar in den letzten Jahren – er ging auf die Sechzig zu – etwas korpulent geworden und sein volles, leicht gerötetes Gesicht wirkte nicht ganz so streng wie das seiner Gemahlin. Aber der Schein trog. Er war im Grunde nicht weniger hochfahrend als sie. Er besaß nur eine diplomatische Art.

»Deine Mutter machte mich schon gestern darauf aufmerksam, wie sehr sich Gunnar um diese Katja bemühte«, sagte er nun.

»Aber das ist doch erfreulich!« fand Oda. »Die beiden passen fabelhaft zusammen!«

»Ich verstehe dich nicht…« Die Prinzessin sah sie vorwurfsvoll an. »Eine Partie wie Gunnar…«

»Natürlich! Ihr habt recht! Er ist wirklich eine fabelhafte Partie! Aber ich will nicht in erster Linie eine gute Partie machen, sondern wenn ich einmal heirate, will ich einen Mann, den ich liebe und der mich liebt!«

»Ich bezweifel, daß du noch einmal jemanden triffst, der dich so treu und beständig liebt wie Gunnar!« Jetzt war Prinzessin Regina wirklich ärgerlich. »Seit fünf Jahren…«

»… langweilt er mich zu Tode!« unterbrach Oda. »Ich kann nichts mit ihm anfangen. Ich weiß nie, worüber ich mit ihm reden soll. Bitte versteht doch, ich bin es schließlich, die es ein Leben lang mit ihm aushalten soll.«

»Hoffentlich bereust du es nicht eines Tages«, sagte Prinz Oswald düster.

»Bestimmt nicht«, versicherte Oda und überlegte, wie sie nach Sigurd fragen konnte, der aus ihr nicht erklärlichem Grunde das Mißfallen ihrer Eltern zu erregen schien.

Sie nahm einen großen Schluck Kaffee, stellte die Tasse ab, und fragte, da von Seiten ihrer Eltern nichts mehr kam:

»Sigurd Sternburg möchte heute nachmittag grüß Gott, sagen. Paßt euch das?«

»Wir können ihn schlecht abweisen«, sagte Prinzessin Regina mit einem fragenden Blick zu ihrem Gemahl.

Der zuckte die Achseln. »Ich hab eine Besprechung – du könntest irgendwo Bridge spielen!«

»Um Himmels willen! Was ist denn mit ihm?« rief Oda nun doch erschrocken. »Was habt ihr gegen die Familie?«

»Gegen die Familie läßt sich nichts einwenden. Nur, sie haben kein nennenswertes Geld, und er ist zudem noch der jüngere Sohn.«

»Aber ich bitte euch!« Oda schob den Teller mit dem angebissenen Brötchen zur Seite. Der Appetit war ihr vergangen. »Wir sind doch nicht so arm, das ich unbedingt aufs Geld schauen muß. Und zudem werde ich Ärztin. Werde also immer selbst etwas verdienen.«

»Lächerlich«, brummte ihr Vater. »Denk doch nur, wie die Gesundheitsreform die Möglichkeiten der Mediziner beschneidet.«

»Er ist Tropenarzt! Denk doch nur an all die grauenhaften und unappetitlichen Krankheiten, die es in den heißen Gegenden gibt. Das Ungeziefer. Die gräßlichen Insekten, Spinnen, Tausendfüßler, Schlangen – das ist doch nichts für jemanden, der einen Fürsten Lievenstein heiraten könnte!« ereiferte sich nun Prinzessin Regina.

»Mama, Papa, das ist doch alles lächerlich. Ich habe Sigurd kennengelernt, wir haben uns gut verstanden – aber von Liebe oder gar Heiraten war keine Rede!«

»Er will Besuch machen und dich ausführen«, erinnerte ihre Mutter sie.

»Na und? Er ist auf Heimaturlaub.«

»Ja! Er ist bei dieser Vereinigung Ärzte ohne Grenzen. So eine halbe ehrenamtliche Angelegenheit.«

»Jemand, der so christlich ist wie du, liebe Mama, müßte doch begeistert sein.«

»Das war eine ungezogene Bemerkung«, rügte ihr Vater prompt. »Wenn jemand sich so einer Sache verschreibt, sollte er besser überhaupt nicht heiraten. Man kann weder einer Frau noch Kindern ein Leben in den Tropen zumuten –«

»Aber Mama, Papa, wer redet denn von Heiraten?« rief Oda verzweifelt. »Wahrscheinlich wäre er entsetzt, wenn er hören würde, daß ihr ihn bereits als möglichen Schwiegersohn handelt! Bloß weil er ein paarmal mit mir getanzt hat!«

Prinz Oswald räusperte sich. Oda hatte damit nicht so unrecht. Aber Regina hatte ihm schon den gestrigen Abend in den Ohren gelegen, daß der junge Mann es offenbar darauf abgesehen hätte, Gunnar bei Oda auszustechen.

»Lassen wir also dieses Thema. Vielleicht versteht er unsere Einstellung, wenn von uns niemand da ist, wenn er heute nachmittag kommt.« Der Prinz reichte Oda seine Kaffeetasse, damit sie nachschenkte.

Sie gehorchte schweigend. Dann stand sie auf, nahm ihren Blumenstrauß und verließ das Zimmer.

»Hoffentlich haben wir jetzt nicht ihren Widerspruchsgeist gereizt«, seufzte ihre Mutter.

»Das glaube ich nicht. Sie ist nicht dumm – nur eben von so einem keineswegs zeitgemäßen Idealismus. Wie weit kann man heute als Idealist schon kommen?« bemerkte der Prinz. »Schau doch mal um dich. Wo in einer herausragenden Position sitzt denn ein wirklicher Idealist?«

Die Prinzessin nickte.

»Ich würde mich ja auch nicht aufregen, wenn Oda vierzehn wäre! Aber sie ist immerhin vierundzwanzig, wird in ein paar Wochen fünfundzwanzig! Sie muß doch endlich anfangen, nüchtern zu denken!«

»Woher sie das nur hat?« überlegte Oswald Wartenburg.

»Von meiner Seite bestimmt nicht!« erwiderte Regina scharf, worauf der Prinz nur lächelte.

*

Es traf nicht zu, daß Oda nicht weiter gedacht hatte, daß es für sie nur ein schöner Abend mit einer interessanten Unterhaltung gewesen war. Auch wenn es nicht ganz ernst gemeint war, sie hatte durchaus mit den Gedanken gespielt, wie es wäre, wenn…

Wenn Sie die Blumen für ihre Wohnung nicht körbevoll in Blumengeschäften oder der eigenen Gärtnerei bestellen würde, sondern im Frühjahr und Sommer auf den Wiesen pflückte. Im Herbst würde man wohl im Wald nach bunten Beeren suchen und im Winter phantasievolle Gesteckte aus Tannen und Kieferzweigen anfertigen.

Wenn sie nicht in einem großzügigem Haus oder gar Schloß wohnen würde, sondern in einer kleinen Wohnung, die man sich mit wenigen Dingen gemütlich und liebevoll einrichtete.

Wenn sie ihre Kleider nicht auf den Modeschauen exklusiver Designer auswählte – sondern vielleicht auf dem lauten, fröhlichen Markt in einem fernen Land bunte Stoffe erstand, die sie sich nach dem Muster der Einheimischen um den Körper dekorierte. Wenn sie anstelle der nicht immer bequemen, modischen Schuhe, flache Sandalen trug…

Und vor allem, wenn sie sich überlegte, wie sie an diesem Tag die vielen Kranken versorgen sollte, wie die vierundzwanzig Stunden dazu auch nur annähernd ausreichen sollten – anstatt – so wie jetzt – ständig auf die Uhr zu schauen, ob die Zeit bis zum Eintreffen ihres Verehrers, falls man Sigurd überhaupt als solchen bezeichnen konnte! denn noch immer nicht vergangen war!

Oda überlegte, ob sie sich umziehen sollte, beschloß dann aber, zu bleiben wie sie war. Nur ein bißchen mehr Lippenstift, ein wenig Wimperntusche.

Sie hörte, wie ihr Vater wegfuhr und dann auch die etwas grelle Stimme ihrer Mutter, die dem Hausmädchen Anweisungen gab, bevor sie nach Schloß Taring fuhr, um mit der Gräfin, einer Cousine, den gestrigen Abend noch mal durchzugehen.

Noch immer war es nicht sechs Uhr nachmittags!

Oda holte sich ihre Lehrbücher und versuchte, sich darauf zu konzentrieren. Als Arzt im Praktikum würde sie vermutlich in allen Fachrichtungen eingesetzt werden, da war es nur angebracht, wenn sie sich mit den verschiedenen Gebieten immer wieder befaßte und ihr Wissen auffrischte.

Aber heute wollte es ihr nicht gelingen.

Doch dann hatte anscheinend ein Thema sie so gefangen, daß sie vergaß auf die Uhr zu sehen, und erst, als sie eine tiefe Stimme hörte, aus ihrer Lektüre aufschrak.

»Tut mir leid, Herr Graf, die Herrschaften sind alle weg. Sie sind eingeladen«, erwiderte das Hausmädchen.

»Schade«, sagte Sigurd und was er noch sagte, hörte Oda nicht, denn sie sprang so ungestüm von ihrem Sessel auf, daß er mit einem lauten Krachen zu Boden fiel, und rannte zur Tür.

»Was soll das Elfriede, ich bin hier!« rief sie empört.

»Entschuldigung Prinzessin, Die Durchlaucht sagte, sie wären alle eingeladen.« Das Mädchen bekam einen dunkelroten Kopf. Es war ihr sichtlich peinlich, bei einer Unwahrheit ertappt zu werden, auch wenn sie nur das gesagt hatte, was ihr aufgetragen worden war.

»Ich freue mich, daß du so pünktlich bist. Ich warte schon die ganze Zeit. Ich habe nur noch in meinen Lehrbüchern gelesen«, entschuldigte sich Oda und kam eilig die Treppe herunter.

Sigurd betrachtete sie mit sichtlichem Wohlgefallen.

»So gefällst du mir fast noch besser!« erklärte er und küßte erst ihre Hand und dann leicht ihre Lippen. »Werden alle deine Verehrer so empfangen?«

Odas Herz schlug einen Trommelwirbel.

»Ich brauche Sie nicht mehr, Elfriede«, sagte Oda eisig zu dem verlegen daneben stehenden Mädchen. Dann nahm sie Sigurd bei der Hand. »Komm, wir setzen uns einen Augenblick auf die Terrasse und besprechen, was wir unternehmen.«

»Ein hübsches Haus und ein schöner Garten«, sagte Sigurd, als er neben ihr in einem der Korbsessel saß. »Du hast mir meine Frage noch nicht beantwortet.«

»Möchtest du etwas trinken, bevor wir aufbrechen?« wich Oda aus.

Er lächelte sie an. Oda seufzte.

»Meine Eltern erträumen sich Gunnar Lievenstein als Schwiegersohn. Ich habe vergeblich versucht, ihnen klarzumachen, daß wir nur Kollegen sind.«

»Ach ja?« Er machte keinen Hehl daraus, wie ihn die Angelegenheit belustigte. »Eigentlich habe ich das nicht so gesehen.«

Jetzt wurde Oda fast so rot wie vorhin das Kindermädchen.

»Ich hatte noch keinen Tag vor, Gunnar zu heiraten«, sagte sie. »Er ist wirklich nett und natürlich eine fabelhafte Partie – aber er langweilt mich seit meinem Abitur. Er ist einfach nicht mein Typ!«

»Armer Gunnar!« Sigurd grinste.

»Ach was, er wird es überwinden! Er ist nur nicht gewöhnt, etwas nicht zu kriegen.«

»Und gibt es da noch andere Anwärter, mit denen ich mich auseinandersetzen muß?«

An der Universität waren natürlich mehrere Kommilitonen gewesen und auch der eine oder andere Professor, mit dem sie zu tun gehabt hatte. Und in den Krankenhäusern, in denen sie ein Praktikum machte, war sie den jungen Ärzten gleichfalls aufgefallen. Aber eigentlich hatte Oda sich nie wirklich für einen interessiert. Auch wenn sie gelegentlich geflirtet hatte und hin und wieder sich einen Kuß geben ließ. Es war wohl etwas daran, daß die meisten eine gewisse Scheu vor der attraktiven Prinzessin hatten.

»Nun, wenn du so lange nachdenken mußt, kann es zumindest niemand wirklich Aktuellen geben«, meinte Sigurd, noch immer grinsend, weil Oda seine Frage nicht beantwortete, auch wenn man ihr ansah, daß sie nachdachte, was und wie sie es sagen sollte.

»Nein, gibt es nicht«, erwiderte sie schließlich und hätte zu gerne gefragt, wie es bei ihm aussieht.

»Bei mir auch nichts«, erwiderte er lachend ihre nicht gestellte Frage, und jetzt stimmte sie in sein Lachen mit ein.

»Was hältst du jetzt von einem Campari?« fragte Oda.

»Laß uns durch den Garten gehen. Ich genieße die schönen Parks und Gärten hier. Da, wo ich zuletzt arbeitete, ist es so trocken, daß das Wasser kaum zum Trinken für Mensch und Tier reicht!«

»Man kann sich das nicht vorstellen«, erwiderte Oda, als sie mit ihm über den Rasen schlenderte. Er blieb an den Blumenbeeten stehen und beugte sich darüber, um an den Rosen zu riechen.

»Nein«, sagte er ernst. »Genauso wenig, wie sich diese armen Menschen vorstellen können, daß es in einem Land so grünt und blüht wie bei uns! Aber–«, und jetzt kam er ins Schwärmen, »wenn es einmal regnet, dann erblüht die Wüste von einem Tag zum anderen! Das ist unbeschreiblich schön!«

»Du bist gerne bei den Ärzten ohne Grenzen?« stellte Oda fest.

Er nickte.

»Ja. Es ist zwar nur wenig, was wir bewirken, wenn man das Ganze sieht. Und manchmal sind wir einfach verzweifelt, weil es wirklich wie ein Tropfen auf einen heißen Stein ist! Aber wenn man dann einem Kind geholfen hat – dann ist das etwas wirklich Großes. Und du solltest die Dankbarkeit dieser Menschen sehen! Für die kleinste Kleinigkeit…«

Oda sah ihn von der Seite an.

»Du bist ein Idealist«, meinte sie dann.

»Ich weiß nicht, ob ich mich so bezeichnen würde!« wehrte Sigurd ab. »Du bekommst in diesen Ländern so viel Anerkennung wie nirgends in den reichen Industrieländern.«

Oda dachte daran, was ihre Eltern am Morgen gesagt hatten. Sigurd sprach von der Anerkennung, die er von völlig unbedeutenden Menschen erhielt. Und wieviel ihm diese bedeutete. Mehr als die Anerkennung der Erfolgreichen.

»Ich glaube, daß ich mich bei diesen Leuten auch wohl fühlen würde«, sagte sie spontan.

»Du?« Er lachte. »Ach, Oda, es ist wirklich nicht immer schön und leicht. Und manchmal, nein, sehr oft, wenn man nicht helfen kann, dann ist es todtraurig.«

»Aber du hast doch eben gesagt, wie sehr dich die Arbeit befriedigt«, gab sie etwas ärgerlich zur Antwort.

»Das trifft auch zu! Ich hätte schließlich auch hier am Tropeninstitut eine Stelle gefunden. Eine weit besser dotierte. Aber – ich wollte dort an Ort und Stelle sein. Trotzdem, ich bin ein Mann.«

»Was du nicht sagst!« Sie lachte zornig auf. »Was hat das damit zu tun?«

»Eine ganze Menge. Man muß gesund und zäh sein.«

»Und wie kommst du darauf, daß ich das nicht bin?«

»Ich weiß es nicht. Aber ich würde sagen, daß du nicht gerade sehr kräftig bist.«

»Als Arzt müßtest du eigentlich wissen«, widersprach Oda nun heftig, »daß schlanke Personen meist viel widerstandsfähiger und zäher sind als dicke und untersetzte.«

Jetzt lachte Sigurd amüsiert und legte den Arm um ihre Taille. »Komm, laß uns zum Seehaus fahren! Dort sitzt man so schön. Ich erinnere mich noch von meinem Studium her. Und dann können wir weitere Zukunftspläne schmieden. Zu allererst mußt du freilich einen Facharzt machen. Erzähle mir mal, an was du gedacht hast!«

Sie gingen langsam zum Haus zurück, während Oda zugab, sich noch nicht endgültig entschieden zu haben.

»Wenn ich so wie du arbeiten möchte, dann wäre Kindermedizin doch nicht schlecht oder?«

»Dort leiden die Kinder aber an ganz anderen Krankheiten«, wies Sigurd sie darauf hin.

»Fachärztin für Hautleiden?«

»Nicht schlecht. Aber auch da solltest du in ein Tropeninstitut gehen – nachdem du deinen Facharzt gemacht hast«, sagte er ernst.

»Augenärztin?«

»O ja, das braucht man dort sehr!« rief Sigurd spontan. »Du ahnst nicht, wie viele Kinder erblinden, nur weil man nicht die nötigen Heilmittel hat, weil ihre Eltern sie zu spät bringen. Es ist unbeschreiblich traurig.«

»Gut«, sagte Oda ernst. »Ich werde mich damit befassen!«

Er sah sie halb überrascht an, halb amüsiert.

»Aber wir wollen nicht den ganzen Abend über Krankheiten sprechen und schon gar nicht über die schrecklichen Krankheiten, die es in den Tropen gibt. Schließlich bin ich nur ein paar Wochen auf Urlaub hier, und da will ich endlich richtig entspannen. Das braucht man nämlich auch!«

Oda sah ihn erschrocken an. Natürlich! Wie hatte sie nicht daran denken können. Er war nur kurz hier – zur Erholung. Und dann verschwand er wieder irgendwohin, und vergaß sie über seinen schwarzen und braunen Patienten.

Sigurd war stehen geblieben und hob sanft mit der Hand ihr Kinn, so daß sie ihn ansehen mußte.

»Was ist?« fragte er leise und sehr zärtlich.

»Ich – mag nicht daran denken, daß du nur kurz hier bist«, erwiderte sie.

Er atmete tief durch. Dann lachte er kurz auf.

»Unsinn! In ein paar Tagen gehe ich dir garantiert auf die Nerven. Aber jetzt komm! Sonst kehren womöglich deine gestrengen Eltern zurück und verbieten dir, mit mir auszugehen!«

»Lächerlich. Ich bin längst erwachsen«, empörte sich Oda.

»Wirklich?« fragte er und sah sie an.

»Was fällt dir ein!« begehrte sie auf.

»Siehst du«, scherzte er. »Schon fange ich an, dich zu nerven.«

*

Anfangs sahen sie sich jeden zweiten Tag. Aber schon nach den ersten zwei Wochen ihrer Bekanntschaft trafen sie sich täglich und sogar die wenigen Stunden, die sie nicht zusammen verbrachten, kamen Oda endlos vor.

Ihre Eltern sahen es mit Besorgnis. Sie hatten Sigurd inzwischen kennengelernt, und es war ihnen klar, daß er ein äußerst interessanter und attraktiver Mann war – auch wenn sie das vor Oda nie zugaben, sondern immer nur auf die fabelhafte Partie hinwiesen, die Gunnar Lievenstein war. Es war für sie eine große Erleichterung zu hören, daß Sigurds Urlaub nur mehr zwei Wochen dauerte. Dann nahm er seinen Dienst wieder auf.

Die vergangenen drei Jahre hatte er in Indien verbracht. Er erzählte spannend von der Vielfalt, der Natur dieses Landes, von den herrlichen Kunstdenkmälern und von der Grausamkeit des Kastensystems. Er sprach von dem für ihn unverständlichen Gleichmut, mit welchem die buddhistischen Mönche das unbeschreibliche Elend um sich herum betrachteten, vom Fanatismus der Hindus, der Witwenverbrennung und der Gewalt gegen junge Frauen, wenn sie nicht genug mit in die Ehe einbrachten oder kein männliches Kind gebaren. Er erzählte von den Bettlerkönigen, die Kinder verstümmelten, damit sie Mitleid erregten und ihnen mehr Almosen abliefern konnten.

Und er schwärmte von Mutter Teresa, die er selbst getroffen hatte, und die mit übermenschlicher Kraft und einem beneidenswerten Gottvertrauen und Mut sich in den ausweglos erscheinenden Kampf gegen all das Unglück gestürzt hatte.

»Wenn man das alles sieht, dann muß man einfach helfen«, schloß er seine Erzählungen jedes Mal und fügte dann mit einem leicht spöttischen Lächeln hinzu: »Zumindest ich könnte nicht mehr ruhig schlafen. Und es gibt zum Glück mehrere, denen es ebenso geht.«

Oda saß neben ihm, wenn er erzählte, und ihre Augen strahlten ihn fast anbetend an, wie ihre Mutter verstimmt später bei ihrem Gemahl bemerkte.

»Noch zwei Wochen!« brummte der. »Zum Glück kommt er ja nur alle drei Jahre auf Heimaturlaub.«

Nur noch zwei Wochen, dachte Oda, und der Kummer schnürte ihr das Herz zusammen. Noch zwölf Tage, noch zehn, noch sieben…

Anfangs, als sie noch nicht jede Stunde, die sie erübrigen konnte, miteinander verbrachten, hatte er sie manchmal geküßt. Zuerst waren die Zärtlichkeiten von ihm ausgegangen. Aber inzwischen, je länger und je tiefer ihre Freundschaft wurde – Oda war sich längst darüber im klaren, daß es für sie weit mehr war, als nur Freundschaft oder auch Verliebtheit – um so zurückhaltender verhielt sich Sigurd.

Jetzt war es Oda, die sich an ihn schmiegte, ihm die Arme um den Nacken legte und seine Lippen mit drängender Sehnsucht suchte.

Und er war es, der sie von sich schob, vorsichtig, zärtlich, um sie nicht zu kränken. Er lachte dann, erzählte irgend etwas, aber es war eben trotzdem er, der die Zärtlichkeiten beendete.

Die letzte Woche seines Urlaubs war angebrochen. Sie gingen zusammen spazieren in dem schönen Mischwald, der zum Besitz seiner Eltern gehörte, und Oda griff nach seiner Hand.

»Entschuldige«, sagte er und zog ein Taschentuch heraus und tat, als würde er sich die Nase putzen.

Oda war stehen geblieben.

»Was ist los?« fragte sie leise.

»Was soll sein?« wich Sigurd aus.

»Ich habe das Gefühl, daß ich dich nervös mache. Hast du mich schon über…?«

»Was für ein Unsinn«, erwiderte er und ging die wenigen Schritte zurück, um jetzt ihre Hand zu ergreifen. »Komm. Ich bin nur mit meinen Gedanken schon halb in Südamerika. Man hat mich gefragt, ob ich die nächsten drei Jahre dort arbeiten wolle. Und ich habe zugesagt. Obwohl es mir auch wieder schwer fällt, nicht zurück nach Indien zu gehen. Aber man kann nicht überall sein. In ein paar Jahren entscheide ich mich, wo ich den Rest meines Lebens verbringen will. Aber jetzt möchte ich noch ganz gerne so viel wie möglich von der Welt sehen.«

»Und ich?« fragte Oda.

»Du?« Er lachte ein wenig gekünstelt. »Von dir werde ich in den Hochglanzzeitungen lesen. Die wunderschöne Fürstin Oda XY hat diese oder jene Wohltätigkeitsveranstaltung eröffnet…«

»Hör auf! Wie kannst du mich nur für so oberflächlich halten!« rief Oda zornig.

»Wieso oberflächlich?« fragte er und tat erstaunt. »Du weißt ja gar nicht, wie sehr man in diesen Ländern auf großherzige Spenden angewiesen ist. Und zum Beispiel als Fürstin Lievenstein könntest du sehr großzügig spenden und wirklich sehr viel bewirken.«

»Und ich dachte – du hast mich – wenigstens – ein bißchen lieb!« flüsterte sie traurig.

»Aber das habe ich doch! Das müßtest du doch merken!« Viel zu lieb, fügte er traurig in Gedanken hinzu.

»Wie soll ich es merken? Du redest nur mehr von deiner Arbeit und deinen Plänen. Und nirgendwo tauche ich da auf! Ich dachte immer, wir würden eine gemeinsame Zukunft haben!«

Jetzt hatte sie es ausgesprochen! Sie hatte ihm – einen Heiratsantrag gemacht. Oda war so erschüttert über sich selbst, daß sie in Tränen ausbrach.

Sigurd war ganz blaß geworden. Er nahm sie in die Arme und streichelte ihr Haar.

»Oda, meine Liebe, meine Liebste! Was redest du da! Du kannst doch nicht in diesen Ländern leben! In diesen schmutzigen und von Ungeziefer verseuchten Hütten, in diesen armseligen Schuppen, in denen wir die Kranken betreuen und pflegen, das ist doch nichts für jemanden wie dich!«

»Aber du–«

»Ich bin ein Mann! Ich bin widerstandsfähiger. Was glaubst du, wie viele tüchtige Männer nach ein paar Monaten aufgegeben haben, weil sie es nicht mehr schafften – gesundheitlich nicht und auch psychisch nicht! Ich habe dich doch viel zu lieb, als daß ich dich diesem Streß aussetzen möchte. Sehr wahrscheinlich könnte ich gar nicht mehr arbeiten aus lauter Sorge um dich.«

»Das ist alles Unsinn, was du da sagst!« erwiderte Oda und schmiegte sich noch fester in seine Arme. »Wir würden uns gegenseitig Kraft geben – durch unsere Liebe!«

»Ach, Oda«, murmelte er, die Lippen in ihrem Haar. »Du hast ja keine Ahnung. Und was wäre, wenn du schwanger wirst?«

»Es wäre herrlich!« stellte sie fest.

Er lachte leise. Ja, das wäre es wohl. Ach, das Herz tat ihm weh, so sehr liebte er sie.

»Ich müßte dich fortschicken, damit das Kind in einer weniger ungesunden Umgebung aufwachsen könnte.«

»Was redest du denn da?« widersprach sie, und weil er sie von sich schieben wollte, klammerte sie sich noch fester an ihn. »Wir würden nur aus dem Busch in eine große Stadt ziehen, wenn es ins Schulalter käme. Das müßte natürlich schon sein. Aber ich bin sicher, daß in den großen Städten Ärzte genauso gebraucht werden, ja, noch mehr, nach allem, was du erzählt hast, als auf dem Land.«

Sie hob den Kopf von seiner Schulter und sah ihn an.

Sein Gesicht war müde und traurig, auch als er jetzt lachte, blieben seine Augen todernst, fast verzweifelt. Er neigte sich über sie und küßte sie, wie er sie noch nie zuvor geküßt hatte. Bestimmt hatte er verstanden, wie sehr sie ihn liebte! Daß sie ihm folgen wollte, wohin er auch ging.