Andrzej Sapkowski

Die Dame vom See

Die Hexer-Saga 5

Roman

Aus dem Polnischen von Erik Simon

dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

Über Andrzej Sapkowski

Andrzej Sapkowski ist Wirtschaftswissenschaftler, Literaturkritiker und Schriftsteller. Er lebt in Łódź. Seine Fantasy-Serie über den Hexer Geralt hat Millionenauflagen erreicht und Fans weltweit.

Über das Buch

»Ich bin mir nicht sicher, ob diese Geschichte wirklich schon zu Ende ist. Denn du musst wissen, dass sich Vergangenheit und Zukunft schrecklich verflochten haben. In jedem Augenblick liegt die Ewigkeit.«

 

Ciri, die Prinzessin von Cintra und Schützling des Hexers Geralt von Riva, ist auf geheimnisvolle Weise in eine fremde Welt versetzt worden. Dort trifft sie auf einen jungen Ritter namens Galahad, der sie für die Dame vom See hält und dem sie ihre Geschichte erzählt.

Die Kriege und Machtkämpfe, die seit Langem tobten, haben ihren Höhepunkt erreicht. Vilgefortz mit seinen Helfershelfern stellt sich zur Schlacht, bei der viele von Geralts Gefährten ihr Leben lassen müssen. Und es droht neue Gefahr in Gestalt des Kaisers Emhyr von Nilfgaard. Er wird von derselben uralten Prophezeiung geleitet, die auch das Handeln von Vilgefortz und Ciri bestimmte. Obwohl im Besitz überwältigender Übermacht, scheut Emhyr bei der Konfrontation mit Geralt und Ciri vor der letzten Konsequenz zurück: Denn mit Ciri verbindet ihn mehr als nur die alte Weissagung ...

Impressum

Neuausgabe 2019

Veröffentlicht 2011 bei

dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

© 1999 Andrzej Sapkowski

Titel der polnischen Originalausgabe:

›Pani Jeziora‹

(Niezależna Oficyna Wydawnicza NOWA sp. z o.o., Warschau)

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Artwork used with permission from Netflix, Inc.

© 2011 der deutschsprachigen Ausgabe:

dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

Umschlaggestaltung und Illustration: Isabelle Hirtz, Inkcraft

in Zusammenarbeit mit Melanie Korte, Inkcraft und Oswin Neumann

Kartengestaltung: Melanie Korte, Inkcraft

 

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eBook-Herstellung im Verlag (01)

 

eBook 978-3-423-40675-8 (epub)

ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-26247-7

 

Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Bücher finden Sie auf unserer Website www.dtv.de/ebooks

ISBN (epub) 9783423406758

We are such stuff

As dreams are made on, and our little life

Is rounded with a sleep

 

William Shakespeare

So ritten sie, bis sie zu einem See kamen, das war ein schönes und breites Wasser, und in der Mitte des Sees sah Arthur einen Arm, der in weißen Brokat gekleidet war, und der hielt ein schönes Schwert in der Hand. Sieh! sagte Merlin, dort ist das Schwert, von dem ich sprach. Damit sahen sie ein Fräulein, das auf dem See fuhr. Was für ein Fräulein ist das, fragte Arthur. Das ist die Dame vom See, sagte Merlin.

 

Thomas Malory,

Le Morte Darthur

DAS ERSTE KAPITEL

Der See war verwunschen. Daran bestand nicht der mindeste Zweifel.

Erstens lag er gleich neben dem Ausgang des verfluchten Tales Cwm Pwcca, eines geheimnisvollen, ewig nebelverhüllten Tales, das für Zauberei und magische Erscheinungen bekannt war.

Zweitens brauchte man ja nur hinzuschauen.

Die Wasserfläche war von einem tiefen, saftigen und makellosen Blau, ganz wie ein geschliffener Saphir. Sie war spiegelglatt, derart, dass die Gipfel der Bergkette von Y Wyddfa als Spiegelbild schöner aussahen als in Wirklichkeit. Vom See her wehte eine kalte, belebende Brise, und die würdevolle Stille wurde von nichts gestört, nicht einmal vom Plätschern eines Fisches oder vom Schrei eines Wasservogels.

Der Ritter schüttelte sich, um den Eindruck loszuwerden. Doch anstatt weiter auf dem Kamm der Anhöhe entlangzureiten, lenkte er das Pferd hinab zum See. Ganz, als zöge ihn mit magischer Kraft ein Zauber an, der dort unten schlummerte, am Grunde, in den Tiefen des Wassers. Das Pferd ging zaghaft zwischen den Felsbrocken hinunter und gab mit leisem Schnauben zu verstehen, dass es die magische Aura ebenfalls spürte.

Als er unten am Ufer angelangt war, saß der Ritter ab. Das Pferd an der Trense nachziehend, näherte er sich dem Rande des Wassers, wo kleine Wellen inmitten von buntem Geröll spielten.

Er kniete nieder, dass sein Kettenpanzer klirrte. Er verscheuchte Fische, ganz klein und flink wie Nadeln, als er mit den zusammengelegten Händen Wasser schöpfte. Er trank vorsichtig und langsam, das eiskalte Wasser ließ Lippen und Zunge taub werden, die Zähne schmerzen.

Als er abermals schöpfte, erreichte ihn ein Klang, der über die Wasserfläche herandrang. Er blickte auf. Das Pferd schnaubte, als wolle es bestätigen, dass es auch etwas gehört habe.

Er horchte. Nein, es war keine Täuschung gewesen. Was er hörte, war Gesang. Da sang eine Frau. Vielleicht eher ein Mädchen.

Der Ritter war, wie alle seines Standes, mit den Liedern der Barden und mit Rittergeschichten aufgewachsen. Und dort war in neun von zehn Fällen der Gesang oder das Wehklagen eines Mädchens ein Köder; die Ritter, die ihm folgten, gerieten allemal in Fallen. Manchmal in tödliche.

Doch die Neugier siegte. Schließlich war der Ritter erst neunzehn Jahre alt. Er war sehr kühn und sehr unbesonnen. Für das eine war er berühmt, für das andere bekannt.

Er vergewisserte sich, dass das Schwert locker in der Scheide saß, worauf er, das Pferd am Zügel führend, am Ufer entlang in die Richtung ging, aus der der Gesang kam. Er brauchte nicht weit zu gehen.

Das Ufer war von großen Findlingen bedeckt, dunklen, blank gewaschenen Felsbrocken, als hätten Riesen ihr Spielzeug achtlos weggeworfen oder nach dem Spiel vergessen. Manche lagen im See, schienen schwarz unter dem durchsichtigen Wasserspiegel hervor. Manche erhoben sich über die Oberfläche; von den Wellen umspült, sahen sie aus wie die Rücken von Leviathanen. Die meisten aber lagen am Ufer, vom Strand bis hin zum Walde. Manche waren im Sand begraben und ragten nur zum Teil heraus, so dass man nur raten konnte, wie groß sie insgesamt waren.

Der Gesang, den der Ritter hörte, kam just hinter jenen Steinen am Ufer hervor. Doch das Mädchen, das da sang, war nicht zu sehen. Der junge Mann zog das Pferd heran, hielt es an Gebissstange und Nüstern, damit es weder wieherte noch schnaubte.

Die Kleidung des Mädchens ruhte auf einem Stein, der im Wasser lag und flach wie ein Tisch war. Sie selbst, nackt, bis zur Taille im See, wusch sich, wobei sie planschte und vor sich hin sang. Der Ritter verstand die Worte nicht.

Kein Wunder.

Das Mädchen, dafür hätte er seine Hand ins Feuer gelegt, war kein Mensch von Fleisch und Blut. Davon zeugten der feingliedrige Körper, die seltsame Haarfarbe, die Stimme. Er war sich sicher, dass er, wenn sie sich denn umwandte, große, mandelförmige Augen sähe. Und wenn sie die aschblonden Haare zurückstriche, würde er sogleich schmale, spitz zulaufende Ohrmuscheln erblicken.

Das war eine Bewohnerin von Faërie. Eine Fee. Eine von den Tylwyth Têg. Eine von denen, die die Pikten und die Iren Daoine Sidhe nannten, das Hügelvolk. Eine von denen, die die Sachsen Elfen nannten.

Das Mädchen unterbrach für einen Moment den Gesang, tauchte bis zum Hals unter, prustete, schnaufte und begann ausgesprochen gemein zu fluchen. Den Ritter täuschte das jedoch nicht. Es war allgemein bekannt, dass Feen auf Menschenart fluchen konnten. Mitunter unflätiger als ein Stallknecht. Und sehr oft war der Fluch die Einleitung zu einem boshaften Streich, wie ihn die Feen bekanntermaßen liebten – zum Beispiel, dass sie jemandem die Nase zur Größe einer Saatgurke anwachsen oder die Männlichkeit auf das Ausmaß eines Bohnensamens schrumpfen ließen.

Den Ritter lockte weder die erste noch die zweite Möglichkeit. Schon war er drauf und dran, sich diskret zurückzuziehen, als ihn plötzlich das Pferd verriet. Nein, nicht sein eigenes Reittier, das, an den Nüstern festgehalten, ruhig und still wie ein Mäuschen war. Ihn verriet das Pferd der Fee, eine Rappstute, die der Ritter zunächst zwischen den Felsen nicht bemerkt hatte. Jetzt scharrte die pechschwarze Stute mit dem Huf im Geröll und wieherte zur Begrüßung. Der Hengst des Ritters warf den Kopf hoch und antwortete höflich. Man konnte geradezu das Echo auf dem See hören.

Die Fee schoss aus dem Wasser hervor, wobei sie sich dem Ritter einen Augenblick lang in ihrer ganzen Ansehnlichkeit präsentierte. Sie stürzte zu dem Felsblock, auf dem ihre Kleidung lag. Doch anstatt irgendein Hemdchen zu packen und sich sittsam zu bedecken, langte sie nach einem Schwert und zog es mit zischendem Geräusch aus der Scheide, wobei sie erstaunlich geschickt mit dem Stahl umging. Das dauerte nur einen winzigen Moment, worauf sich die Fee hinhockte oder kniete, so dass sie bis zur Nase im Wasser verschwand und den ausgestreckten Arm mit dem Schwert über die Oberfläche hielt.

Der Ritter schüttelte die Benommenheit ab, ließ die Zügel los und sank auf dem nassen Sand auf ein Knie. Denn er hatte sofort begriffen, wen er vor sich hatte.

»Sei gegrüßt«, stammelte er und streckte die Hände aus. »Das ist eine große Ehre für mich … Eine große Auszeichnung, o Dame vom See. Ich nehme dieses Schwert an …«

»Ob du vielleicht aufstehen und dich umdrehen könntest?« Die Fee kam bis zum Mund aus dem Wasser. »Ob du vielleicht aufhören könntest zu glotzen? Damit ich mich anziehen kann?«

Er gehorchte.

Er hörte sie plätschern, als sie aus dem Wasser kam, hörte sie mit der Kleidung rascheln und leise fluchen, als sie sie auf den nassen Leib zog. Er betrachtete die Rappstute mit dem Fell, glatt und schimmernd wie ein Maulwurfspelz. Das war zweifellos ein Ross von edelstem Geblüt, zweifellos schnell wie der Wind. Zweifellos verwunschen. Es stammte entschieden auch aus Faërie, wie seine Besitzerin.

»Du kannst dich umdrehen.«

»Dame vom See …«

»Und dich vorstellen.«

»Ich bin Galahad von Caer Benic. Ein Ritter des Königs Arthur, des Herrn auf dem Schlosse Camelot, des Gebieters über das Sommerreich wie auch über Dumnonia, Dyfneint, Powys, Dyfed …«

»Und Temerien?«, fiel sie ihm ins Wort. »Redanien, Rivien, Aedirn? Nilfgaard? Sagen dir diese Namen etwas?«

»Nein. Die habe ich nie gehört.«

Sie zuckte mit den Schultern. In der Hand hielt sie außer dem Schwert Stiefel und ein Hemd, das sie gewaschen und ausgewrungen hatte.

»Das dachte ich mir. Und welchen Tag im Jahr haben wir heute?«

»Es ist«, antwortete er mit grenzenloser Verwunderung, »der zweite Vollmond nach Beltane … Dame …«

»Ciri«, sagte sie mechanisch, während sie die Schultern bewegte, um die Kleidung auf der trocknenden Haut zurechtzurücken. Sie sprach sonderbar, ihre Augen waren grün und groß …

Instinktiv streifte sie die nassen Haare zurück, und der Ritter stieß unwillkürlich einen Seufzer aus. Nicht nur, weil sie ein gewöhnliches Menschenohr hatte, keinesfalls das einer Fee. Ihre Wange war von einer großen, hässlichen Narbe entstellt. Sie war verwundet worden. Konnte man denn eine Fee verwunden?

Sie bemerkte den Blick, kniff die Augen zusammen und rümpfte die Nase. »Eine Schramme, jawohl!«, sagte sie mit ihrem merkwürdigen Akzent. »Was guckst du so erschrocken? Ist das denn für einen Ritter etwas so Seltsames, eine Narbe? Oder etwas so Hässliches?«

Langsam, mit beiden Händen nahm er die Kapuze des Kettenpanzers ab, streifte die Haare zurück. »Das ist wahrlich nichts Seltsames für einen Ritter«, sagte er mit einem gewissen jungenhaften Stolz, während er die eigene, erst vor Kurzem verheilte Narbe zeigte, die von der Schläfe bis zum Unterkiefer lief. »Und hässlich sind nur Narben auf der Ehre. Ich bin Galahad, der Sohn Lanzelots vom See und Elaines, der Tochter von König Pelles, dem Herrn auf Caer Benic. Diese Wunde hat mir Breunis der Gnadenlose geschlagen, ein nichtswürdiger Bedrücker der Damen, bis ich ihn im ehrlichen Zweikampf bezwang. Wahrlich, ich bin würdig, aus deinen Händen dieses Schwert zu empfangen, o Dame vom See …«

»Wie bitte?«

»Das Schwert. Ich bin bereit, es zu empfangen.«

»Das ist mein Schwert. Ich erlaube niemandem, es anzurühren.«

»Aber …«

»Aber was?«

»Weil doch die Dame vom See immer … Weil sie immer aus dem Wasser auftaucht und ein Schwert schenkt.«

Sie schwieg eine Weile.

»Ich verstehe«, sagte sie schließlich. »Nun ja, andere Länder, andere Sitten. Es tut mir leid, Galahad oder wie du heißt, aber offensichtlich hast du die falsche Dame getroffen. Ich gebe nichts weg. Und lasse mir nichts wegnehmen. Damit das klar ist.«

»Aber«, wagte er einzuwerfen, »Ihr kommt doch aus Faërie, edle Dame, oder etwa nicht?«

»Ich komme«, sagte sie nach kurzem Schweigen, und ihre grünen Augen schienen durch einen Abgrund von Raum und Zeit zu blicken, »ich komme aus Rivien, aus einer Stadt namens Riva. Am See Loc Eskalott. Ich bin in einem Boot gekommen. Es war Nebel. Ich habe kein Ufer gesehen. Ich habe nur Kelpie wiehern hören. Meine Stute, die mir nachgelaufen ist.«

Sie breitete das nasse Hemd auf dem Stein aus. Und wieder seufzte der Ritter. Das Hemd war gewaschen, aber nicht vollends. Man sah noch immer Blutflecken.

»Die Strömung eines Flusses hat mich hergebracht«, fuhr das Mädchen fort. Entweder hatte sie nicht gesehen, dass er das Blut bemerkt hatte, oder sie gab sich den Anschein. »Die Strömung des Flusses und der Zauber des Einhorns … Wie heißt dieser See?«

»Ich weiß nicht«, gab er zu. »Es gibt so viele Seen in Gwynedd …«

»In Gwynedd?«

»Gewiss doch. Diese Berge dort sind Y Wyddfa. Wenn man sie zur Linken hat und durch die Wälder reitet, kommt man nach zwei Tagen nach Dinas Dinlleu, und dann weiter nach Caer Dathal. Und der Fluss … Der nächste Fluss ist hier …«

»Egal, wie der nächste Fluss heißt. Hast du etwas zu essen, Galahad? Ich sterbe vor Hunger.«

 

»Was starrst du mich so an? Fürchtest du, dass ich verschwinde? Dass ich durch die Lüfte davonfliege mitsamt deinem Zwieback und der Wacholderwurst? Keine Angst. In meiner eigenen Welt habe ich etwas angestellt und die Vorherbestimmung durcheinandergebracht, also sollte ich mich momentan dort nicht blicken lassen. Ich werde eine Zeit lang in deiner Welt bleiben. In einer Welt, in der man nachts vergebens den Drachen oder die Sieben Ziegen am Himmel sucht. In der gerade der zweite Vollmond nach Belleteyn ist und Belleteyn ›Beltane‹ ausgesprochen wird. Was starrst du mich so an, frag ich?«

»Ich wusste nicht, dass Feen essen.«

»Feen, Zauberinnen oder Elfen. Alle essen sie. Trinken. Und so weiter.«

»Wie bitte?«

»Unwichtig.«

Je aufmerksamer er sie betrachtete, umso mehr verlor sich die magische Aura, umso menschlicher und gewöhnlicher wurde sie, geradezu alltäglich. Er wusste jedoch, dass sie nicht so war, es nicht sein konnte. Man trifft keine gewöhnlichen Mädchen am Fuße von Y Wyddfa, in der Gegend von Cwm Pwcca, die nackt in Bergseen baden und blutbefleckte Hemden waschen. Wie dieses Mädchen auch aussehen mochte, ein irdisches Geschöpf konnte sie nicht sein. Außerdem betrachtete Galahad nun schon ganz ungezwungen und ohne fromme Scheu ihre mausgrauen Haare, in denen jetzt, da sie getrocknet waren, zu seiner Verwunderung silberweiße Strähnen glänzten. Ihre feingliedrigen Hände, das kleine Näschen und die bleichen Lippen, ihre Männerkleidung von etwas sonderbarem Zuschnitt, aus feinem, unglaublich dicht gewebtem Stoff. Ihr Schwert, das seltsam geformt und geschmückt war, aber keineswegs den Eindruck machte, es diene nur zur Zierde. Ihre bloßen Füße, an denen getrockneter Ufersand klebte.

»Damit das klar ist«, ließ sie sich vernehmen, während sie Fuß an Fuß rieb, »ich bin keine Elfe. Als Zauberin aber, das heißt als Fee, bin ich ein bisschen … ungewöhnlich. Ach, wahrscheinlich bin ich überhaupt keine.«

»Schade, wirklich.«

»Was soll da schade sein?«

»Es heißt …« Er wurde rot und geriet ins Stottern. »Es heißt, dass Feen, wenn sie mitunter jungen Männern begegnen, sie ins Elfland führen und dort … Unter den Haselsträuchern, auf einem Teppich aus Moos lassen sie sich Gunst erweisen …«

»Verstehe.« Sie warf ihm einen raschen Blick zu, worauf sie kräftig in die Wurst biss.

»Was das Elfland angeht«, sagte sie, nachdem sie den Bissen hinuntergeschluckt hatte, »so bin ich vor einiger Zeit von dort geflohen und habe es überhaupt nicht eilig mit der Rückkehr. Was hingegen Gunstbezeugungen auf einem Teppich aus Moos angeht … Wirklich, Galahad, du hast die falsche Dame getroffen. Trotzdem schönen Dank für die guten Absichten.«

»Meine Dame! Ich wollte Euch nicht kränken …«

»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen.«

»Es ist nur«, stotterte er, »dass Ihr so bezaubernd schön seid.«

»Abermals Dank. Aber jetzt kein Wort mehr davon.«

Sie schwiegen eine Weile. Es war warm. Die Sonne, die im Zenit stand, erhitzte angenehm die Steine. Ein leichter Windhauch kräuselte den Spiegel des Sees.

»Was bedeutet …«, ließ sich plötzlich Galahad mit sonderbar exaltierter Stimme vernehmen. »Was bedeutet der Speer mit der blutenden Spitze? Was bedeutet und welchen Grund hat das Leiden des Königs mit dem durchstochenen Schenkel? Was bedeutet die Jungfer in Weiß, die den Gral trägt, die silberne Schale …«

»Aber sonst«, unterbrach sie ihn, »geht es dir gut?«

»Ich frage ja nur.«

»Und ich verstehe deine Frage nicht. Ist das irgendeine verabredete Losung? Ein Signal, an dem die Eingeweihten einander erkennen? Sei so freundlich und erkläre es.«

»Das vermag ich nicht.«

»Warum also hast du gefragt?«

»Ja, weil …« Er wurde verlegen. »Na, kurz gesagt … Einer von unseren Leuten hat nicht gefragt, als er die Gelegenheit dazu hatte. Es hat ihm die Sprache verschlagen, oder er hat sich geschämt … Er hat nicht gefragt, und deswegen gab es eine Menge Scherereien. Also fragen wir jetzt immer. Sicherheitshalber.«

 

»Gibt es in dieser Welt Zauberer? Weißt du, Leute, die Magie betreiben. Magier. Wissende.«

»Es gibt Merlin. Und Morgana. Aber die ist böse.«

»Und Merlin?«

»Einigermaßen.«

»Weißt du, wo man ihn finden kann?«

»Gewiss doch! In Camelot. Am Hof von König Arthur. Dahin bin ich gerade unterwegs.«

»Ist es weit?«

»Von hier nach Powys, zum Fluss Hafren, dann den Hafren entlang nach Glavum, ans Sabrina-Meer, und von dort ist es nicht mehr weit zur Ebene des Sommerreichs. Alles in allem an die zehn Tage zu reiten.«

»Zu weit.«

»Man kann«, sagte er stockend, »den Weg etwas abkürzen, wenn man durch Cwm Pwcca reitet. Aber das ist ein verwunschenes Tal. Dort ist es unheimlich. Dort leben die Y Dynan Bach Têg, boshafte Wichte …«

»Ja und – dein Schwert trägst du spazieren?«

»Was vermag ein Schwert gegen Zauberei?«

»Genug, genug, nur keine Angst. Ich bin Hexerin. Hast du davon schon mal gehört? Ah, klar, hast du nicht. Aber vor deinen Wichten fürchte ich mich nicht. Ich habe unter den Zwergen eine Menge Bekannte.«

Natürlich, dachte er.

 

»Dame vom See?«

»Ich heiße Ciri. Nenn mich nicht Dame vom See. Ich habe da ungute Erinnerungen, recht unangenehme. So haben mich jene genannt, im Lande … Wie nennst du das Land?«

»Faërie. Oder, wie die Druiden sagen: Annwn. Und die Sachsen nennen es Elfland.«

»Elfland …« Sie zog das karierte Piktenplaid um die Schultern, das sie von ihm erhalten hatte. »Ich bin dort gewesen, weißt du? Ich ging in den Schwalbenturm, und im Handumdrehen war ich unter Elfen. Und die haben mich so genannt. Die Dame vom See. Anfangs hat mir das sogar gefallen. Es hat mir geschmeichelt. Bis ich begriff, dass ich in jenem Land, in jenem Turm und an jenem See überhaupt keine Dame war, keine Herrin, sondern eine Gefangene.«

»Hast du dir dort«, konnte er sich nicht verkneifen zu fragen, »das Hemd mit Blut befleckt?«

Sie schwieg lange.

»Nein«, sagte sie schließlich, und ihm schien, als bebe ihre Stimme ein wenig. »Nicht dort. Du hast ein scharfes Auge. Nun ja, der Wahrheit entflieht man nicht, es nützt nichts, den Kopf in den Sand zu stecken … Ja, Galahad. Ich habe mich in letzter Zeit oft befleckt. Mit dem Blut von Feinden, die ich getötet habe. Und mit dem Blut von Menschen, die mir nahestanden und die ich zu retten versuchte … Und die in meinen Armen gestorben sind … Was schaust du so?«

»Ich weiß nicht, ob du eine Gottheit bist oder eine Sterbliche … Oder eine von den Göttinnen … Bist du aber eine Bewohnerin des Erdkreises …«

»Zur Sache, wenn ich bitten darf.«

»Ich würde gern« – Galahads Augen leuchteten auf – »deine Geschichte hören. Willst du sie mir erzählen, edle Dame?«

»Sie ist lang.«

»Wir haben Zeit.«

»Und sie endet nicht besonders gut.«

»Das glaube ich nicht.«

»Warum?«

»Du hast gesungen, als du im See badetest.«

»Du bist ein guter Beobachter.« Sie wandte den Kopf ab, presste die Lippen zusammen, und ihr Gesicht wurde plötzlich verkniffen und hässlich. »Ja, ein guter Beobachter. Aber sehr naiv.«

»Erzähl mir deine Geschichte. Bitte.«

»Tja«, seufzte sie. »Gut, wenn du willst … Ich erzähle sie.«

Sie setzte sich bequemer hin. Er tat es ihr gleich. Die Pferde gingen am Waldrand einher, zupften Gras und Kräuter.

»Vom Anfang«, bat Galahad. »Ganz von Anfang an.«

»Diese Geschichte«, sagte sie nach einer Weile, während sie das Piktenplaid fester um sich zog, »sieht mir immer mehr nach einer aus, die keinen Anfang hat. Ich bin mir auch nicht sicher, ob sie wirklich schon zu Ende ist. Denn du musst wissen, dass sich Vergangenheit und Zukunft schrecklich verflochten haben. Ein gewisser Elf hat mir sogar gesagt, dass das wie bei dieser Schlange ist, die sich in den eigenen Schwanz beißt. Diese Schlange, dass du es weißt, heißt Uroboros. Und dass sie sich in den Schwanz beißt, bedeutet, dass der Kreis geschlossen ist. In jedem Augenblick der Zeit liegen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. In jedem Augenblick liegt die Ewigkeit. Verstehst du?«

»Nein.«

»Macht nichts.«

Wahrlich sage ich euch, wer an Träume glaubt, gleicht einem, der den Wind fangen oder einen Schatten ergreifen will. Er erliegt einem Trugbild, einem Zerrspiegel, welcher lügt oder dummes Zeug redet gleich einem Weibe bei der Geburt. Dumm ist fürwahr, wer Traumgespinsten Glauben schenkt und den Pfad der Täuschung beschreitet.

Wer jedoch seine Träume gering achtet und ihnen nicht im Mindesten glaubt, der tut ebensolche Torheit. Denn wenn die Träume ja gar keine Bedeutung hätten, warum hätten dann die Götter, als sie uns erschufen, uns zum Träumen befähigt?

 

Die Weisheiten des Propheten Majoran, 34,1

 

 

All we see or seem

Is but a dream within a dream

 

Edgar Allan Poe

DAS ZWEITE KAPITEL

Ein leichter Wind kräuselte die wie ein Kessel dampfende Oberfläche des Sees, trieb Schwaden verwehten Nebels darüber hin. Die Dollen knarrten mit dumpfem, rhythmischem Schlag, die aus dem Wasser gehobenen Ruderblätter versprühten Schauer von glitzernden Tröpfchen.

Condwiramurs hielt eine Hand über Bord. Das Boot fuhr in solchem Schneckentempo, dass das Wasser kaum aufgewühlt wurde und ihr nur minimal gegen die Handfläche drückte.

»Ach, ach«, sagte sie und legte in die Stimme so viel Sarkasmus, wie sie nur aufbrachte. »Was für eine Geschwindigkeit! Wir schießen geradezu durch die Wellen. Ganz schwindlig kann einem werden!«

Der Ruderer, ein untersetzter, kräftiger und strammer Mann, knurrte zur Antwort bloß zornig und unverständlich, ohne auch nur den Kopf zu heben, der von grauem und wie bei einem Karakulschaf lockigem Haar bedeckt war. Die Adeptin war das Knurren, Krächzen und Stöhnen schon herzlich leid, mit dem dieser Flegel ihre Fragen abtat, seit sie ins Boot gekommen war.

»Vorsicht«, zischte sie, während sie mit Mühe die Ruhe bewahrte. »Bei diesem überhasteten Rudern kann man sich übernehmen.«

Diesmal hob der Mann das Gesicht, das braun gebrannt war, dunkel wie gegerbtes Leder. Er begann zu knurren, zu krächzen, deutete mit einer Bewegung des von grauen Stoppeln bedeckten Kinns auf die an der Bordwand befestigte hölzerne Haspel und die im Wasser verschwindende Schnur, die von der Bewegung des Bootes gespannt wurde. Offensichtlich überzeugt, dass die Erklärung erschöpfend war, begann er wieder zu rudern. Im selben Rhythmus wie zuvor. Ruder hoch. Pause. Ruder mit dem halben Blatt ins Wasser. Lange Pause. Ziehen. Noch längere Pause.

»Aha«, sagte Condwiramurs ungezwungen, den Blick gen Himmel gerichtet. »Ich verstehe. Wichtig ist der vom Boot gezogene Blinker, der sich mit der richtigen Geschwindigkeit und in passender Tiefe bewegen muss. Wichtig ist der Fischfang. Der Rest ist unwichtig.«

Das war so selbstverständlich, dass der Mann sich nicht einmal die Mühe machte, zu knurren oder zu krächzen.

»Was kann es jemanden kümmern«, setzte Condwiramurs ihren Monolog fort, »dass ich schon die ganze Nacht unterwegs war? Dass ich Hunger habe? Dass mir von der harten und nassen Bank der Hintern wehtut und juckt? Dass ich pinkeln möchte? Nein, wichtig ist nur der Fischfang mit der Schleppangel. Der übrigens sinnlos ist. Nichts wird an einem Blinker anbeißen, der mitten in der Strömung gezogen wird, über einer Tiefe von zwanzig Klaftern.«

Der Mann hob den Kopf, betrachtete sie mit widerwärtigem Ausdruck und begann, sehr, aber wirklich sehr knurrig zu knurren. Condwiramurs ließ die Zähnchen blitzen, sie war mit sich zufrieden. Der Flegel ruderte immer noch langsam. Er war wütend.

Sie setzte sich auf der Bugbank in Positur und schlug ein Bein übers andere. So, dass unter dem Rock viel zu sehen war.

Der Mann begann zu knurren, packte mit den schwieligen Händen die Ruder fester und tat so, als habe er nur Augen für die Schnur der Schleppangel. Das Rudertempo zu erhöhen, fiel ihm natürlich nicht ein. Die Adeptin seufzte resigniert und widmete sich der Betrachtung des Himmels.

Die Dollen knarrten vor sich hin, Tröpfchen wie Brillanten fielen von den Ruderblättern.

In dem sich rasch lichtenden Dunst erschien die Silhouette einer Insel. Und der über ihr aufragende dunkle, kantige Obelisk eines Turmes. Der Flegel, obwohl er mit dem Rücken dazu saß und sich nicht umschaute, merkte auf unbekannte Weise, dass sie schon fast am Ziel waren. Ohne Eile legte er die Ruder am Boot längs, stand auf, begann, langsam die Schnur auf die Haspel zu wickeln. Condwiramurs, noch immer mit übergeschlagenem Bein, pfiff vor sich hin und blickte gen Himmel.

Der Mann hatte die Schnur vollends aufgewickelt, betrachtete den Blinker, einen großen Messinglöffel, der mit einem Dreifachhaken bewehrt war, an dem ein Schwänzchen aus roter Wolle hing.

»Oh je«, sagte Condwiramurs lieb. »Es hat nichts angebissen, oi-oi, wie schade. Wie konnte das wohl passieren? Vielleicht ist das Boot zu schnell gefahren?«

Der Mann bedachte sie mit einem Blick, der allerlei hässliche Dinge sprach. Er setzte sich, krächzte, spuckte über Bord, packte die Ruder mit den knotigen Pfoten, streckte kräftig den Rücken. Die Ruder platschten ins Wasser, polterten in den Dollen, das Boot schoss pfeilschnell über den See, das Wasser schäumte geräuschvoll am Bug, wirbelte hinterm Heck. Das Viertel einer Pfeilschussweite, das sie von der Insel trennte, legten sie in einer Zeit zurück, die nicht einmal für zweifaches Knurren reichte, und das Boot lief mit solchem Schwung auf den Kiesstrand auf, dass Condwiramurs von der Bank fiel.

Der Mann begann zu knurren, zu krächzen und spuckte aus. Die Adeptin wusste, dass das in der Sprache zivilisierter Menschen hieß: Verschwinde aus meinem Boot, überschlaue Hexe. Sie wusste auch, dass sie nicht damit rechnen konnte, auf Händen getragen zu werden. Sie zog die Schuhe aus, hob den Rock provozierend hoch und stieg aus. Sie verbiss sich einen Fluch, denn Muschelschalen stachen sie schmerzhaft in die Fußsohlen.

»Danke«, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, »für die Überfahrt.«

Ohne auf ein Knurren als Antwort zu warten und ohne einen Blick zurück ging sie barfuß auf die steinerne Treppe zu. Alle Misslichkeiten und Beschwernisse waren vorüber, waren spurlos verflogen, ausgewischt von der wachsenden Begeisterung. Da war sie also auf der Insel Inis Vitre, in dem See Loc Blest. An einem beinahe legendären Ort, wo nur wenige Auserwählte gewesen waren.

Der Frühnebel hatte sich vollends gelichtet, durch den stumpfen Himmel begann immer stärker der rote Sonnenball durchzuscheinen. Um die Zinnen des Turms kreisten schreiende Möwen, Mauersegler huschten vorüber.

Am oberen Ende der Treppe, die vom Vorplatz auf die Terrasse führte, an die Skulptur einer kauernden und die Zähne bleckenden Chimäre gelehnt, stand Nimue.

Die Dame vom See.

 

Sie war grazil gebaut und klein, maß kaum mehr als fünf Fuß. Condwiramurs hatte davon gehört, dass man sie in jungen Jahren »Däumelinchen« genannt hatte; jetzt sah sie, dass der Spitzname zutraf. Doch sie war sich sicher, dass seit mindestens einem halben Jahrhundert niemand gewagt hätte, die kleine Zauberin so zu nennen.

»Ich bin Condwiramurs Tilly«, stellte sie sich mit einer Verbeugung vor, ein wenig linkisch, noch immer mit den Schuhen in der Hand. »Ich freue mich, dass ich auf deiner Insel zu Gast sein kann, Dame vom See.«

»Nimue«, berichtigte die kleine Magierin leichthin. »Nimue, weiter nichts. Titel und Beiwörter können wir uns schenken, Fräulein Tilly.«

»Dann bin ich Condwiramurs. Condwiramurs, weiter nichts.«

»Also herein, Condwiramurs. Lass uns beim Frühstück miteinander sprechen. Ich errate, dass du hungrig bist.«

»Ich streite es nicht ab.«

 

Zum Frühstück gab es Quark, Schnittlauch, Eier, Milch und Schwarzbrot, die von zwei jungen, stillen und nach Stärke duftenden Dienstmädchen serviert wurden. Condwiramurs aß und spürte dabei den Blick der kleinen Zauberin auf sich ruhen.

»Der Turm«, sagte Nimue langsam, die jede Bewegung der Adeptin und beinahe jeden zum Munde geführten Bissen beobachtete, »hat sechs Etagen, davon eine unter der Erde. Deine Wohnung befindet sich im zweiten oberirdischen Stock, dort gibt es alle zum Leben notwendigen Einrichtungen. Das Parterre, wie du siehst, ist der Wirtschaftstrakt, dort liegen auch die Wohnräume der Dienerschaft. Die unterirdische Etage sowie der erste und der dritte Stock sind das Laboratorium, die Bibliothek und die Galerie. Zu allen genannten Etagen und den sich dort befindenden Räumen hast du ungehinderten Zutritt, du kannst dich ihrer und ihres gesamten Inhalts bedienen, wann und wie immer du willst.«

»Ich habe verstanden. Danke.«

»Die beiden oberen Stockwerke enthalten meine privaten Wohn- und Arbeitsräume. Sie sind absolut privat. Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich bin in diesen Dingen äußerst heikel.«

»Ich werde das respektieren.«

Nimue wandte den Kopf zum Fenster, durch das man den knurrenden Herrn Ruderer sah, der schon mit Condwiramurs Gepäck fertig war und das Boot jetzt mit Angeln, Haspeln, Keschern, Senken und anderen Paraphernalien des Fischerhandwerks belud.

»Ich bin ein wenig altmodisch«, fuhr sie fort. »Aber ich bin es gewohnt, bestimmte Dinge zu meiner ausschließlichen Verfügung zu haben. Sagen wir, die Zahnbürste. Die privaten Zimmer, die Privatbibliothek, die Toilette. Und den Fischerkönig. Versuch bitte nicht, über den Fischerkönig zu verfügen.«

Condwiramurs hätte sich beinahe an der Milch verschluckt. Nimues Gesichtsausdruck war undurchdringlich.

»Und falls …«, fuhr sie fort, ehe das Mädchen die Sprache wiedergefunden hatte, »falls er versucht, über dich zu verfügen, weigere dich.«

Condwiramurs, die endlich heruntergeschluckt hatte, nickte rasch und enthielt sich jeden Kommentars. Obwohl ihr auf der Zunge lag, dass sie sich nichts aus Fischern machte, schon gar nicht aus ungehobelten. Und solchen, deren Haare die Farbe von Weißkäse hatten.

»Jaaa«, sagte Nimue gedehnt. »Die Einführung hätten wir also hinter uns. Kommen wir zu den konkreten Fragen. Möchtest du nicht wissen, wie es kommt, dass ich unter allen Anwärterinnen gerade dich ausgewählt habe?«

Wenn Condwiramurs überhaupt mit der Antwort zögerte, dann nur, um nicht allzu eingebildet zu wirken. Sie kam jedoch rasch zu dem Schluss, dass gegenüber Nimue schon das kleinste bisschen an falscher Bescheidenheit zu gekünstelt klingen würde.

»Ich bin die beste Träumerin in der Akademie«, parierte sie kalt, sachlich und ohne Prahlerei. »Und im dritten Jahr hatte ich den zweiten Rang unter den Oneiromantinnen.«

»Ich hätte die nehmen können, die den ersten Rang hatte.« Nimue war in der Tat geradezu schmerzhaft offen. »Nebenbei bemerkt, angeboten hat man mir just diese Erstrangige, und das mit gewissem Nachdruck, denn das war anscheinend die wichtige Tochter von jemand Wichtigem. Aber was das Träumen angeht, die Oneiroskopie, da weißt du ja, liebe Condwiramurs, dass das eine ziemlich launische Gabe ist. Selbst die beste Träumerin kann ein Fiasko erleben.«

Condwiramurs verkniff sich die Entgegnung, dass man die Fälle, in denen sie ein Fiasko erlitten hatte, an den Fingern einer Hand abzählen konnte. Immerhin sprach sie mit einer Meisterin. Man muss seinen Platz kennen, Herrschaften, wie einer der Professoren an der Akademie, ein hochgelehrter Mann, zu sagen pflegte.

Nimue lobte ihr Schweigen mit einem angedeuteten Nicken.

»Ich habe einen Gewährsmann an der Akademie«, sagte sie nach einer Weile. »Daher weiß ich, dass du den Träumen nicht durch Betäubungsmittel nachzuhelfen brauchst. Das freut mich, denn Narkotika dulde ich nicht.«

»Ich träume ohne irgendwelche Pülverchen«, bestätigte Condwiramurs ein wenig stolz. »Zu einer Oneiroskopie genügt es mir, wenn ich einen Anknüpfungspunkt habe.«

»Wie bitte?«

»Na, einen Anknüpfungspunkt.« Die Adeptin räusperte sich. »Das heißt, irgendeinen Gegenstand, der mit dem in Verbindung steht, wovon ich träumen soll. Irgendein Ding. Oder ein Bild …«

»Ein Bild?«

»Hm. Mit einem Bild träume ich nicht schlecht.«

»Aha.« Nimue lächelte. »Also wenn ein Bild dir hilft, dann hat es keine Not. Wenn du mit dem Frühstück fertig bist, dann lass uns gehen, beste Träumerin und zweitbeste unter den Oneiromantinnen. Es wird gut sein, wenn ich dir unverzüglich die anderen Gründe erkläre, aus denen ich gerade dich als Assistentin ausgewählt habe.«

Von den steinernen Wänden strahlte eine Kälte aus, die weder von den schweren Gobelins noch von der nachgedunkelten Täfelung gemildert wurde. Der Steinfußboden ließ die Füße durch die Schuhsohlen hindurch frieren.

»Hinter dieser Tür« – Nimue wies beiläufig darauf – »befindet sich das Laboratorium. Wie gesagt, du kannst darüber nach Belieben verfügen. Natürlich ist Vorsicht angebracht. Maßhalten empfiehlt sich vor allem bei Versuchen, einen Besen zum Wassertragen zu zwingen.«

Condwiramurs kicherte höflich, obwohl der Witz einen Bart hatte. Alle Mentorinnen tischten ihren Schützlingen Scherze auf, die sich auf die legendären Missgeschicke des legendären Zauberlehrlings bezogen.

Die Treppe wand sich aufwärts wie eine Seeschlange und schien kein Ende zu haben. Und sie war steil. Ehe sie anlangten, war Condwiramurs in Schweiß geraten und atmete schwer. Nimue war überhaupt keine Anstrengung anzumerken.

»Hierher bitte.« Sie öffnete eine Eichentür. »Vorsicht, Schwelle.«

Condwiramurs trat ein und seufzte.

Das Zimmer war eine Galerie. Ihre Wände waren von der Decke bis zum Boden mit Bildern behangen. Dort hingen große, alte, abblätternde und rissige Ölgemälde, Miniaturen, vergilbte Stiche und Holzschnitte, verblasste Aquarelle und Sepiazeichnungen. Dort hingen auch farbenfrohe modernistische Gouache- und Temperamalereien, Aquatinta- und Ätzradierungen mit klaren Strichen, Lithographien und kontrastreiche Mezzotinti, die den Blick mit ausdrucksvollen Flecken von Schwarz anzogen.

Nimue blieb vor einem nächst der Tür hängenden Bild stehen, das eine unter einem riesigen Baum versammelte Gruppe darstellte. Sie schaute auf die Leinwand, dann auf Condwiramurs, und ihr schweigender Blick war überaus beredt.

»Rittersporn« – die Adeptin, die sogleich erkannt hatte, worum es ging, ließ sie nicht warten – »singt Balladen unter der Eiche Bleobheris.«

Nimue lächelte, nickte. Und sie machte einen Schritt, blieb vor dem nächsten Bild stehen. Ein Aquarell. Symbolismus. Zwei Frauensilhouetten auf einer Anhöhe. Über ihnen kreisende Möwen, unter ihnen, an den Hängen der Anhöhe, ein Reigen von Schatten.

»Ciri und Triss Merigold, die prophetische Vision in Kaer Morhen.«

Ein Lächeln, ein Nicken, ein Schritt, das nächste Bild. Ein Reiter auf galoppierendem Pferd, zwischen einem Spalier von verkrüppelten Erlen, die die Astarme zu ihm ausstrecken. Condwiramurs fühlte, wie der Regen durch sie hindurchdrang.

»Ciri … Hmm … Das wird wohl ihr Ritt zum Treffen mit Geralt auf der Farm des Halblings Hofmeier sein.«

Das nächste Bild, nachgedunkeltes Öl. Schlachtenmalerei.

»Geralt und Cahir verteidigen die Brücke über die Jaruga.«

Dann ging es schnell.

»Yennefer und Ciri, ihre erste Begegnung im Tempel der Melitele. Rittersporn und die Dryade Eithné im Walde Brokilon. Die Mannschaft Geralts im Schneetreiben am Malheur-Pass …«

»Bravo, perfekt«, unterbrach sie Nimue. »Eine hervorragende Kenntnis der Legende. Jetzt kennst du den zweiten Grund, aus dem du hier bist und nicht irgendjemand anders.«

 

Über dem Tischchen aus Ebenholz, an dem sie Platz genommen hatten, dominierte ein großes Schlachtengemälde, welches anscheinend die Schlacht an der Brenna darstellte, irgendeinen entscheidenden Augenblick oder jemandes kitschigen Heldentod. Das Bild war zweifellos ein Werk von Nikolaus Certosa, man konnte das an dem Ausdruck erkennen, an der perfektionistischen Liebe zum Detail und den für diesen Künstler typischen Lichteffekten.

»Freilich, ich kenne die Legende vom Hexer und der Hexerin«, antwortete Condwiramurs. »Ich kenne sie, wie ich ohne zu zögern sagen will, in- und auswendig. Als Halbwüchsige habe ich diese Geschichte geliebt, sie verschlungen. Und ich habe geträumt, Yennefer zu sein. Aber ich will ehrlich sein: Selbst wenn es Liebe auf den ersten Blick, selbst wenn sie von explosiver Leidenschaft war … Sie war nicht von Dauer.«

Nimue zog die Brauen hoch.

»Ich habe die Geschichte«, fuhr Condwiramurs fort, »in volkstümlichen Kurzfassungen und Jugendversionen kennengelernt, in Bruchstücken, die ad usum delphini beschnitten und gereinigt worden waren. Danach nahm ich mir natürlich die sogenannten soliden und vollständigen Versionen vor. Ausführlich bis an die Grenzen der Redundanz und mitunter auch darüber hinaus. Dabei wich die Leidenschaft einer kalten Betrachtung und die wilde Hingabe einer Art ehelicher Verpflichtung. Wenn du weißt, was ich meine.«

Nimue bestätigte mit einem kaum wahrnehmbaren Nicken, dass sie es wusste.

»Zusammenfassend gesagt, ziehe ich die Legenden vor, die sich stärker an die Regeln der Legende halten, nicht Sagen mit der Wirklichkeit vermengen, nicht versuchen, die einfache und geradlinige Märchenmoral mit der zutiefst amoralischen historischen Wahrheit zu vereinbaren. Ich ziehe Legenden vor, zu denen Enzyklopädisten, Archäologen und Historiker keine Nachworte schreiben. Solche, deren Konvention frei von Experimenten ist. Ich ziehe es vor, wenn der Prinz auf den Gipfel des Gläsernen Berges steigt, die schlafende Königstochter küsst, diese erwacht und beide danach lange und glücklich leben. So und nicht anders muss eine Legende enden … Von wem stammt dieses Porträt Ciris? Das en pied

»Es gibt kein einziges Porträt Ciris.« Die Stimme der kleinen Zauberin war sachlich bis zur Fühllosigkeit. »Weder hier noch sonstwo auf der Welt. Es ist kein einziges Porträt erhalten geblieben, keine einzige Miniatur, die jemand gemalt hätte, der Ciri gekannt oder gesehen haben könnte oder sich wenigstens an sie erinnerte. Das Porträt en pied stellt Pavetta dar, Ciris Mutter, und gemalt hat es der Zwerg Ruiz Dorrit, der Hofmaler der Herrscher von Cintra. Es ist bekannt, dass Ruiz Ciri im Alter von zehn Jahren porträtiert hat, ebenfalls en pied, doch das Gemälde, das ›Die Infantin mit dem Windspiel‹ hieß, ist leider verloren gegangen. Aber zurück zu der Legende und zu deiner Beziehung zu ihr. Und dazu, wie die Legende deiner Meinung nach enden sollte.«

»Sie muss ein gutes Ende nehmen«, sagte Condwiramurs voller störrischer Überzeugung. »Das Gute und Gerechte muss triumphieren, das Böse exemplarisch bestraft werden, die Liebe die Liebenden bis ans Ende ihres Lebens vereinen. Und keiner von den positiven Helden darf, verdammt noch mal, umkommen! Aber die Legende von Ciri? Wie endet sie?«

»Eben: wie?«

Für einen Augenblick verschlug es Condwiramurs die Sprache. Solch eine Frage hatte sie nicht erwartet, sie witterte einen Test, ein Examen, eine Falle. Sie schwieg, wollte sich nicht aufs Glatteis führen lassen.

Wie endete die Geschichte von Geralt und Ciri? Das wusste doch jeder.

Sie blickte auf ein in dunklen Tönen gehaltenes Aquarell, das einen unförmigen Kahn darstellte, der über die Fläche eines dunstverhangenen Sees glitt, einen Kahn, den mit einer langen Stake eine Frau vorantrieb, die nur als schwarzer Umriss zu sehen war.

So endete jene Legende. Genau so.

Nimue las ihre Gedanken. »Das ist nicht so sicher, Condwiramurs. Das ist überhaupt nicht so sicher.«

 

»Die Legende«, begann Nimue, »habe ich aus dem Munde eines wandernden Märchenerzählers gehört. Ich bin ein Kind vom Dorfe, die vierte Tochter eines Stellmachers. Die Tage, an denen in unserem Dorf der Märchenerzähler Pfiffer zu Gast war, ein herumstreifender Bettler, waren die schönsten Augenblicke meiner Kindheit. Man konnte von der Plackerei ausruhen, mit den Augen der Seele jene Märchenwunder erblicken, jene ferne Welt … Eine schöne und wundersame Welt … Ferner und wundersamer sogar als der Jahrmarkt im neun Meilen entfernten Städtchen …

Ich war damals sechs, sieben Jahre alt. Meine älteste Schwester war vierzehn. Und sie war schon krumm, weil sie immer über die Arbeit gebeugt war. Weiberlos! Darauf wurden die Mädchen bei uns von klein auf vorbereitet! Den Buckel krumm machen! Immerzu den Buckel krumm machen, über der Arbeit, über dem Kind, über dem schweren Bauch, den dir der Bauer machte, kaum dass du aus dem Wochenbett heraus warst …

Es waren diese Geschichten der Alten, die bewirkten, dass ich nach und nach etwas anderes wollte als einen krummen Buckel und Plackerei, dass ich von etwas anderem zu träumen begann als von der Ernte, einem Mann und Kindern. Das erste Buch, das ich mir vom Erlös im Walde eigenhändig gesammelter Brombeeren kaufte, war die Legende von Ciri. Eine, wie du es so schön gesagt hast, gereinigte Version für Kinder, ein Bruchstück ad usum Delphini. Für mich war es genau die richtige Fassung. Ich war schwach im Lesen. Doch schon damals wusste ich, was ich wollte. Ich wollte so sein wie Philippa Eilhart, wie Sheala de Tancarville, wie Assire var Anahid …«

Beide schauten auf eine Gouache, die einen in subtiles Chiaroscuro gehüllten Schlosssaal darstellte, einen Tisch und daran sitzende Frauen. Legendäre Frauen.

»An der Akademie«, fuhr Nimue fort, »an die ich es übrigens erst im zweiten Anlauf schaffte, widmete ich mich dem Mythos nur unter dem Aspekt der Großen Loge im Fach Magiegeschichte. Um etwas zu meinem Vergnügen zu lesen, fehlte mir anfangs einfach die Zeit, ich musste büffeln, um … um Schritt zu halten mit den Töchtern von Grafen und Bankiers, denen alles zuflog, die sich über das Mädchen vom Lande lustig machten …«

Sie verstummte, knackte laut mit den Fingern.

»Endlich«, fuhr sie fort, »fand ich Zeit zum Lesen, doch da stellte ich fest, dass mich die Schicksale Geralts und Ciris wesentlich weniger interessierten als in der Kindheit. Es war ein ähnliches Syndrom wie bei dir eingetreten. Wie hast du es genannt? Eheliche Verpflichtung? So war es bis zu dem Augenblick, als …«

Sie verstummte abermals, rieb sich das Gesicht. Condwiramurs bemerkte verwundert, dass die Hand der Dame vom See zitterte.

»Ich war wohl achtzehn Jahre alt, als … Als etwas geschah. Etwas, das die Legende von Ciri in mir lebendig werden ließ. Das mich veranlasste, mich ernsthaft und wissenschaftlich mit ihr zu befassen. Ihr mein Leben zu weihen.«

Die Adeptin schwieg, obwohl sie vor Neugier fast barst.

»Tu nicht so, als wüsstest du es nicht«, sagte Nimue bitter. »Es ist doch allgemein bekannt, dass die Dame vom See geradezu krankhaft von der Legende um Ciri besessen ist. Alle wetzen die Zungen darüber, wie diese anfangs harmlose Marotte sich zu einer Art Suchtabhängigkeit oder geradezu Manie ausgewachsen hat. An diesen Gerüchten ist viel Wahres, meine liebe Condwiramurs, viel Wahres! Und da ich dich als Assistentin ausgewählt habe, wirst auch du in Manie und Abhängigkeit verfallen. Denn ich werde das verlangen. Zumindest für die Zeit des Praktikums. Verstehst du?«

Die Adeptin nickte bestätigend.

»Du glaubst, es zu verstehen.« Nimue fand die Beherrschung wieder und gewann Abstand. »Aber ich werde es dir erklären. Schritt für Schritt. Und wenn es an der Zeit ist, werde ich dir alles erklären. Vorerst …«

Sie brach ab, schaute zum Fenster hinaus, auf den See, auf den schwarzen Fleck, der das Boot des Fischerkönigs war und sich deutlich von der golden schimmernden Wasserfläche abhob.

»Vorerst ruh dich aus. Sieh dir die Galerie an. In den Schränken und Vitrinen findest du Alben und Kartons mit Grafiken, alle thematisch mit der Sage verknüpft. In der Bibliothek befinden sich alle Versionen und Travestien der Legende, ebenso der Großteil der wissenschaftlichen Arbeiten dazu. Widme ihnen ein wenig Zeit. Sieh sie dir an, lies ein wenig, konzentriere dich. Ich möchte, dass du Stoff zum Träumen hast. Einen Anknüpfungspunkt, wie du es nanntest.«

»Das werde ich tun. Frau Nimue?«

»Ja.«

»Diese beiden Porträts … Die nebeneinander hängen … Ist das auch nicht Ciri?«

»Es existiert kein Porträt Ciris«, wiederholte Nimue geduldig. »Spätere Künstler haben sie ausschließlich in Szenen dargestellt, jeder nach seiner eigenen Fantasie. Was diese Porträts angeht, so ist das linke auch die ziemlich freie Variation eines Themas, denn es stellt die Elfe Lara Dorren aep Shiadhal dar, eine Person, die die Malerin nicht gekannt haben kann. Die Malerin war nämlich die dir aus der Legende sicherlich bekannte Lydia van Bredevoort. Eins ihrer erhalten gebliebenen Ölgemälde hängt noch in der Akademie.«

»Ich weiß. Und das andere Porträt?«

Nimue betrachtete das Bild lange – die Darstellung eines schmächtigen Mädchens mit hellen Haaren und traurigem Blick. Gekleidet in ein weißes Kleid mit grünen Ärmeln.

»Gemalt hat es Robin Anderida«, sagte sie, während sie sich umwandte und Condwiramurs geradezu in die Augen sah. »Wen es aber darstellt … Das sollst du mir sagen, Träumerin und Oneiromantin. Erträume es. Und erzähl mir deinen Traum.«

 

Meister Robin Anderida bemerkte als Erster den herankommenden Kaiser, verneigte sich. Stella Congreve, die Gräfin auf Liddertal, stand auf, machte einen Knicks und gebot mit einer raschen Geste dem in dem geschnitzten Sessel sitzenden Mädchen, es ihr gleichzutun.

»Ich grüße die Damen.« Emhyr var Emreis nickte. »Auch dir einen Gruß, Meister Robin. Wie kommt die Arbeit voran?«

Meister Robin räusperte sich verlegen und verbeugte sich abermals, wobei er sich nervös die Hände am Kittel abwischte. Emhyr wusste, dass der Künstler an heftiger Platzangst litt und krankhaft schüchtern war. Doch wen störte das schon. Wichtig war, wie er malte.

Wie üblich, wenn er auf Reisen war, trug der Kaiser eine Offiziersuniform der Gardebrigade »Impera« – einen schwarzen Harnisch und einen Mantel mit einer Stickerei, die einen silbernen Salamander darstellte. Er trat näher, schaute auf das Porträt. Erst auf das Porträt, erst dann auf das Modell. Das schmächtige Mädchen mit hellen Haaren und traurigem Blick. Gekleidet in ein weißes Kleid mit grünen Ärmeln, das kleine Dekolleté mit einer Kette von Chrysolithen geschmückt.

»Ausgezeichnet«, sagte er absichtlich ins Leere, so dass unklar blieb, was er lobte. »Ausgezeichnet, Meister. Fahr bitte fort, ohne dich um meine Person zu kümmern. Auf ein Wort bitte, Gräfin.« Er ging zum Fenster und zwang sie so, ihm zu folgen.

»Ich reise ab«, sagte er leise. »Staatsgeschäfte. Ich danke für die Gastfreundschaft. Und für sie. Für die Prinzessin. Eine wirklich gute Arbeit, Stella. Wirklich lobenswert. Sowohl du als auch sie.«

Stella Congreve machte einen tiefen und graziösen Knicks. »Euer Kaiserliche Majestät sind zu gütig zu uns.«

»Lobe den Tag nicht vor dem Abend.«

»Ach …« Sie presste leicht die Lippen zusammen. »So ist das?«

»So ist das.«

»Was wird mit ihr geschehen, Emhyr?«