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Violent Delights – Die Kartellprinzessin

White Monarch 1

Jessica Hawkins

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© 2020 Sieben Verlag, 64823 Groß-Umstadt
© Umschlaggestaltung Andrea Gunschera
Aus dem Englischen übersetzt von Corinna Bürkner
Originalausgabe © Jessica Hawkins 2019 herausgegeben über die Agentur
Bookcase Literary Agency, USA

ISBN Taschenbuch: 9783864439087
ISBN eBook-mobi: 9783864439094
ISBN eBook-epub: 9783864439100

www.sieben-verlag.de

Inhalt

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Die Autorin

Prolog

Auf dem Balkon vor meinem Zimmer tanzte ich zu der fröhlichen Mariachi-Musik von der Parade unten in der Stadt. Zu den Klängen von Trompeten und Geigen gesellte sich das Krachen und Zischen von Straßenfeuerwerk. Wegen des Schutzwalls aus Olivenbäumen, der das Grundstück umgab, konnte ich nicht viel erkennen. Man hatte die Bäume nach meiner ersten Geburtstagsfeier gepflanzt, bei der mich mein Vater auf dem Arm genommen und man im Garten auf ihn geschossen hatte. Der Auftragsmörder hatte nur die Hüpfburg getroffen. Das hatte die darin spielenden Kinder eingesperrt und einen Mob panisch herumschreiender Eltern aufgescheucht. Jedenfalls hatte mir das mein bester Freund Diego erzählt. Er sollte es auch wissen, da seine Eltern den Mord in Auftrag gegeben hatten.

Ich winkte einem der Wachmänner, der mit einem kurzen Heben seiner AK-47 zurückgrüßte. Eigentlich hätte ich bei der Tag-der-Toten-Parade dabei sein und die Verstorbenen ehren sollen. Diego hatte mir zwei Scheiben Zucker-Totenkopf-Kuchen versprochen, wenn ich früh hinging und einen guten Platz ergatterte. Doch da Papa und die Hälfte des Sicherheitspersonals nicht in der Stadt waren, wollte meine Mutter nicht, dass ich das Grundstück ohne sie verließ. Und so wichtig die Männer hier auch taten, war sie doch die ausschlaggebende Stimme des Cruz Kartells.

Ich ging wieder hinein, um zu sehen warum sie so lange brauchte. Ich drehte mich immer wieder um mich selbst, während ich durch die vielen Flure lief, sodass die blumigen Stickereien auf meinem bodenlangen Kleid ineinanderflossen. Meine Mutter war schon vor einer Stunde fast fertig gewesen. Sie hatte sich ein schulterfreies, weißgrünes und gelbes Kleid angezogen, das rote Rüschen am Saum hatte. Ihr Haar hatte sie mit Seiden-Ringelblumen hinten zusammengebunden. Ich hatte auf einem Tritthocker gestanden und ihre Halskette zugemacht. Es war ein glänzender Kranz aus vergoldeten Ketten, schwer genug, um ein kleines Schiff zu versenken.

„Wir verpassen die Parade“, rief ich während ich den Flur entlanghopste. Meine Lederriemchen-Sandalen klapperten dabei auf den Fliesen. Ich ging um die Ecke in das sonnendurchflutete Schlafzimmer meiner Eltern, stolperte und landete in einer Pfütze.

Ein paar Kampfstiefel stoppten genau vor mir. Ich hob den Blick und traf den kalten, abweisenden Blick eines komplett schwarz gekleideten Mannes. Cristiano de la Rosa. Ein hochrangiges Mitglied des Sicherheitsteams meines Vaters.

„Raus hier“, befahl er. „Sofort.“

Cristiano bestand nur aus Muskeln, war wie ein Ungeheuer und riesengroß. Die Augen genauso dunkel wie das Haar. Nachdem was Diego über seinen älteren Bruder erzählt hatte, fürchteten sich die Leute vor ihm. Doch ich hatte dazu keinen Grund. Auch wenn unsere Eltern früher Feinde gewesen waren, waren Cristiano und Diego acht von meinen neun Lebensjahren auf unserer Seite gewesen.

Hinzu kam, dass Mama mir eingetrichtert hatte, ich solle bei einem Notfall immer zu Cristiano gehen. Dass er mich beschützen würde.

Doch irgendetwas stimmte nicht. Es gefiel ihm nicht, dass ich hier war. In einer seiner großen, kräftigen Hände hielt er eine grüne Armeereisetasche. In der anderen eine massive schwarze Waffe. Dann war da das Blut. Auf seinen Hosen, über seinen Schuhen und an seinen Händen.

Und an meinen. Warm und klebrig zwischen meinen Fingern, sickerte es durch mein schickes Kleidchen. Nicht einmal der metallische Geruch konnte das unverkennbare Parfum meiner Mutter überdecken.

Ich sah über meine Schulter. Ich war nicht über meine eigenen Füße gestolpert, sondern über ihre. Mama lag auf dem Rücken. Das Sonnenlicht brach sich in der großen, goldenen Halskette, die sie für die Parade gekauft hatte. Ihr glänzendes, schwarzes Haar hatte sich aus dem Knoten gelöst, obwohl sie doch so lange damit verbracht hatte, die Seidenblumen darin zu befestigen. Sie sollte nicht hier in diesem teuren Kleid, das am Ausschnitt zerrissen war, auf dem Boden liegen. Das grelle Muster verdeckte fast das, was durch den Stoff drang und auf die Terrakottafliesen unter ihrem Körper herauslief.

Blut.

Auf meiner Kopfhaut bildete sich eine Gänsehaut, die sich bis hinunter zu meinen Fingern und meinen Zehen ausbreitete.

Nein.

Ich schnappte nach Luft und krabbelte zu ihr. „Mama.“

Ihre Augenlider hoben sich zaghaft, als ob sie Schwierigkeiten hatte, sich zu konzentrieren. „Natalia“, brachte sie hervor.

Mein Kinn zitterte, wobei ich versuchte, die Tränen zurückzuhalten und nach ihrer noch warmen Hand griff. Auf ihrer Wange prangte ein blauer Fleck.

Mija.“ Sie versuchte, bei Bewusstsein zu bleiben, aber ihre Augen wurden glasig, als ihr Blick über meinen Kopf glitt. „Bitte, Cristiano“, bat sie mit erstickter Stimme. „Bitte nicht …“ Ein Zittern durchlief sie vor Anstrengung. „Meine Tochter …“

„Ich bin hier“, wisperte ich, aber sie sprach nicht mit mir.

Ich sah hoch zu Cristiano. Sein Kinn sah scharfkantig aus, als er es anspannte und das Gesicht abwandte. „Sueña con los angelitos.“

Süße Träume. Als ich sie wieder ansah, war sie ganz still.

„Nein“, wisperte ich.

Cristiano warf die Tasche zusammen mit der Waffe auf die wolkenartige Tagesdecke und griff nach mir. Instinktiv schlüpfte ich unter das Bett. Ich wusste, dass er zu groß war, mir darunter zu folgen, und fand mich Auge in Auge der la Monarca Blanca gegenüber wieder. Ich legte meine Hand um das kalte, harte Metall der zweifarbigen, mit Silber und Gold plattierten Neunmillimeterwaffe meines Vaters. Die Zeit verlangsamte sich, als ich mit dem Daumen über den Perlmuttgriff strich, in den mein Name an der Seite eingraviert war.

White Monarch.

Ich hielt ein Schluchzen zurück. Das war die Art von Notfall, bei dem ich eigentlich zu Cristiano hätte laufen sollen. Aber er war derjenige, der über dem toten Körper meiner Mutter stand, während sie um Gnade flehte.

Er griff sich meine Fußknöchel und zog mich unter dem Bett hervor. Ich schrie, wie ich noch nie in meinem Leben geschrien hatte. Es war ohrenbetäubend, halszerreißend und ich versuchte, mich freizustrampeln. Er legte eine Hand auf meinen Mund und klemmte mit dem anderen Arm meine beiden Arme an den Seiten meines Brustkorbs fest.

„Ganz ruhig, Natalia“, sagte er mit dieser abschreckend dunklen Stimme, wobei er mich vom Boden hochhob. „Ich kümmere mich um alles.“

Ich jaulte unter seiner Hand auf, verbog mich und versuchte, ihn mit der Waffe zu schlagen, aber ich konnte meine Arme nicht bewegen. Ich rammte ihm meine Hacken in den Oberschenkel und seinen Schritt.

Cristiano war allerdings nicht umsonst der tödlichste aller Soldaten im Kartell. Es wäre egal gewesen, wer ich war, niemand konnte mit seiner Kraft mithalten, die sich wie die von zwei Männern anfühlte. Im Alter von dreiundzwanzig Jahren hatte er schon mehr Menschen getötet, als die meisten anderen im Kartell. Er war zu einer Waffe erzogen worden. Seine Hände hatten das Leben der Feinde unserer Familien genommen, aber niemals das Leben von einem von uns.

Bis jetzt.

Aus dem Flur waren Schritte zu hören und Diego eilte ins Zimmer, mit Pistole im Anschlag. Er hielt abrupt inne und holte tief Luft, als er die Leiche sah. Kurz schloss er die Augen. Er war mein bester Freund und ich versuchte seinen Namen zu rufen, aber Cristianos Hand dämpfte meine Stimme.

Diegos Augen öffneten sich und sein Blick schoss zu Cristiano und mir. Er hatte sich für die Parade ein lockeres weißes Hemd und Jeans angezogen. Sein schlauer Blick scannte den Raum, wobei er sich ein paar braune Haarsträhnen hinter die Ohren schob.

„Was zum Teufel ist hier los? Was ist passiert?“

„Ich weiß es nicht“, sagte Cristiano. „Ich bin auch eben erst reingekommen.“

Lügner.

Ich konnte den Korditgeruch einer abgeschossenen Waffe an seiner Hand riechen, während ich in seinem Griff herumzappelte und versuchte, Diego zu vermitteln, was ich gesehen hatte.

Diego legte seine Aufmerksamkeit auf mich und seine Stirn legte sich in Falten, als ob er versuchte, meine Gedanken zu lesen.

Er hat es getan, versuchte ich ihm zu sagen. Cristiano hat sie erschossen.

Einen Augenblick später schluckte Diego. „Lass Natalia los.“

„Steck die Waffe weg, und ich mach es“, antwortete Cristiano.

Diego warf einen Blick auf seine Pistole, als ob er sich ihrer nicht bewusst gewesen war. Auch er war kein Heiliger. Er hatte Dinge getan, von denen ich in meinem Alter eigentlich nichts wissen sollte, meinte mein Vater. Aber das machte aus ihm nicht jemanden wie seinen Bruder. Diego war ein Schwerenöter, kein Kämpfer. Er war erst sechzehn und hatte noch immer die Chance, etwas aus sich und seinem Leben zu machen. Sein Blick glitt von seiner Waffe zu meiner Mutter und dann quer durch den Raum. Sein Gesichtsausdruck wurde entspannter, als ihm anscheinend eine Erkenntnis kam. Er drehte sich zu Cristiano um.

„Nach allem, was sie für uns getan haben?“, fragte Diego und zeigte mit der Pistole auf den begehbaren Kleiderschrank meiner Eltern. „So zahlst du es ihnen also zurück?“

Der Safe stand offen und war bis auf ein paar Papiere leergeräumt. Darin hatte sich die White Monarch befunden, zusammen mit den Juwelen meiner Mutter. Ich versuchte, in Richtung Reisetasche zu nicken, konnte den Kopf aber nicht bewegen.

„Sei vorsichtig mit dem, was du sagst, Diego“, sagte Cristiano monoton. „Du weißt genau, dass ich es nicht gewesen bin.“

„Wer dann?“, fragte Diego. „Das Haus ist umringt von Wachmännern. Wer hätte hier eindringen können und zum Safe gelangen?“

„Er war bereits offen“, sagte Cristiano, wobei sein Tonfall ungeduldiger wurde. „Wie ich schon sagte, ich bin auch eben erst reingekommen.“

Diego schob sich die Finger durchs Haar und erblickte dann die Reisetasche. „Was ist das?“ Diego würde mir niemals etwas antun, aber als er die Pistole in unsere Richtung hob, erhöhte sich mein Herzschlag. Er lief zum Bett, behielt aber die Waffe und den Blick auf Cristiano gerichtet. Mit der freien Hand zog Diego die Tasche über die Tagesdecke zu sich heran und sah hinein. „Bargeld und Schmuck aus dem Safe, aber nicht viel.“

„Ich weiß.“ Cristiano justierte seinen Griff um meinen Oberkörper. „Ich hab sie neben dem Bett gefunden.“

„Wo ist der Rest?“

Cristiano zögerte. „Jemand muss hier gewesen …“

„Unmöglich“, sagte Diego und er hatte recht. Mein Vater ging keine Risiken ein, wenn es um die Sicherheit seiner Familie ging. „Es gibt nur zwei Wege ins Haus. An den Wachen vorne oder an den Wachen vor den Tunneln vorbei.“

Diego zog ein Funkgerät aus der hinteren Hosentasche.

„Diego“, sagte Cristiano und die Warnung in seinem Tonfall war deutlich zu hören. „Tu es nicht.“

Diego drückte den Knopf und sprach in das Gerät. „Bianca ist erschossen worden. Von Cristiano. Wir brauchen sofort Wachmänner im Haus.“

Cristianos Körper versteifte sich. „Fick dich“, fluchte er. „Du erzählst Costa, dass ich das getan hätte? Ich bin von deinem Blut, Diego.“

„Und Bianca war für mich genauso ein Teil der Familie.“

Der Schmerz in seinen Augen verriet, wie viel meine Mutter ihm bedeutet hatte. Sie war es, die meine Familie dazu gedrängt hatte, ihn aufzunehmen, als er acht Jahre alt gewesen war und Cristiano fünfzehn. Tränen liefen aus meinen Augen und auf Cristianos Hand. Ich versuchte, nicht auf ihren leblosen Körper zu sehen.

„Sie war auch für mich wie ein Familienmitglied“, sagte Cristiano gepresst. Er war so wütend, dass seine Stimme brach und er vergaß, mir den Mund zuzuhalten. „Du kannst mich nicht beschuldigen, ihr etwas angetan zu haben.“

„Du tust Menschen ständig etwas an!“ rief ich. „Du bist ein …“

Schnell legte er seine Hand wieder auf meinen Mund. Im gleichen Moment knallte die Haustür unten zu. „Fuck“, sagte Cristiano. „Sag ihnen, dass ich es nicht war, Diego, sonst bringen sie mich sofort um.“

„Lass Natalia los“, bat Diego. „Bitte. Versuch dich daran zu erinnern, wer du vorher gewesen bist. Du hättest einem unschuldigen Mädchen nie etwas getan.“

Cristiano ging links zur Seite und bewegte sich dann nach rechts, als ob er in der Falle saß. Endlich ließ er von meinem Mund ab, hielt mich aber weiterhin wie ein Schutzschild in seinem Arm, wobei er mir einhändig die White Monarch aus meinem Griff zog.

Als nächstes würde er Diego umbringen.

Diego.

Der Junge, der mich nicht nur hatte aufwachsen sehen, sondern mich auch wie ein älterer Bruder beschützte. Der mich nie wie ein kleines Kind behandelte, auch wenn ich sieben Jahre jünger war als er. Der mir stinkende Ringelblumen brachte, wenn ich traurig war, und sich nie darüber beschwerte, dass wir unsere Pferde nur am Zaun entlang reiten durften, den Papa errichten ließ, damit ich drin blieb. Obwohl Diego hätte hin reiten können, wohin er auch wollte.

Diegos Augen weiteten sich, als Cristiano mir die Waffe abnahm. Seinen eigenen Bruder zu töten würde Diego fertig machen, aber Cristiano hätte keine Probleme damit, Diego umzulegen. Er tötete ununterbrochen.

„Du sitzt in der Falle“, sagte Diego. Seine Nasenflügel bebten, als seine Wut letztlich durch den Nebel aus Verwirrung drang. „Mach es nicht noch schlimmer, als es schon ist. Setz sie ab und stell dich ihnen.“

Stiefelschritte auf der Treppe und Rufe waren zu hören. Mit dem Rücken zur Wand und dem Blick auf Diego trug mich Cristiano zur Tür. Er nahm die Waffe in die andere Hand und schloss die Tür.

In diesem Moment sprang Diego nach vorn.

Cristiano drehte sich schnell um und schoss.

Ich schrie auf und hielt mir die Ohren zu, wobei ich zu Boden stürzte. Diego sackte in sich zusammen. Er hielt sich den blutenden Oberschenkel.

Männer schlugen gegen die kugelsichere Tür, die Papa extra installiert hatte. Fäuste hämmerten gegen das Holz, gefolgt von etwas, das wie Schläge von Gewehrkolben klang.

Cristiano schnappte sich Diegos Pistole, schob sie sich in den Hosenbund und zielte mit der White Monarch auf Diegos sich windenden Körper. „Du hast mir keine andere Wahl gelassen. Loyalität ist Trumpf hier, aber sieh nur, wie schnell das zerstört werden kann.“

„Schieß nicht, ich kenne einen Weg hinaus“, rief ich zwischen Schluchzern. Cristiano stand über mir und sah aus wie der Sensenmann höchstpersönlich. „Ich kann dir helfen, zu entkommen“, sagte ich.

Cristiano erstarrte. „Unmöglich.“

„Ich kenne einen geheimen Gang.“ Meine Stimme zitterte. Ich redete mir ein, dass ich nicht dem Killer meiner Mutter half, sondern Diego und mich beschützte.

„Natalia, nicht“, sagte Diego und atmete schwer bei dem Versuch, sich aufzusetzen. „Er … er muss dafür bezahlen.“

„Wo ist der Gang?“, fragte Cristiano.

Diego wurde ungesund bleich und würde jeden Moment das Bewusstsein verlieren. Ich stand auf, wollte zu ihm gehen, aber Cristiano ergriff meinen Arm und zerrte mich an seine Hüfte. „Bevor er stirbt, kommen sie durch die Tür. Zeig mir den Weg nach draußen.“

Diego stöhnte und schloss die Augen.

Ich holte tief und zittrig Luft, damit mich die Panik nicht übermannte. „Schr… Schrank“, brachte ich hervor.

Cristiano zog mich durch den Raum und in mein altes Kinderzimmer. Nachdem ich zu groß dafür geworden war, hatte meine Mutter den Raum in einen begehbaren Kleiderschrank umgestaltet, der einiges mehr als nur ihre Kleider verwahrte. Es gab Wände mit Schuhregalen, Handtaschenregalen, Schubladen und Spiegel. In der Mitte befand sich eine Schrankinsel, in der ihr Modeschmuck und Papas Schlipse aufbewahrt wurden.

Cristiano klemmte den Stuhl von Mamas Schminktisch unter den Türgriff und drehte sich zu mir um. „Und jetzt?“

Ich konnte nicht denken. Es befand sich eine Kugel im Bauch meiner Mutter und eine im Bein meines besten Freundes. Mein vollgeblutetes Kleid klebte an den Knien fest. Mir wurde schlecht. „Die … Kleider …“

Cristiano kam zu mir. Er schob mir das kühle Metall des Pistolenlaufs unter das Kinn und bog mir den Kopf in den Nacken, damit ich ihm in die Augen sah. „Wenn sie es hier reinschaffen, bevor ich draußen bin, kann ich nicht versprechen, ob wir beide überleben werden. Du hast zwei Möglichkeiten. Zeig mir den Ausgang oder sag deinem Vater, dass ich es nicht getan habe.“

Ich versuchte zu schlucken, konnte aber nicht mal atmen. Noch nie war ich mir so sicher gewesen, dass ich sterben würde, sowie ich mich falsch bewegte. „Ich werde nicht für dich lügen.“

„Sieh dir an, was mir Loyalität gebracht hat, Natalia.“ Er hob die Waffe an und ich sah am Lauf entlang. Das Silber funkelte fast unter der Schranklampe. „Egal ob ich es getan habe oder nicht, ich bin tot. Wenn sie mich hier nicht erwischen, dann werden sie mich jagen. Das ist keine Loyalität und es gibt keine Gerechtigkeit.“

„Loyalität?“ Ich schlotterte am ganzen Leib, doch in Cristianos Stimme lag kein Zittern, ebensowenig in seiner Hand. „Du hast meine Mutter umgebracht. Warum? Sie hatte dich lieb, sie hat dich wie einen Sohn behandelt.“

Sein Adamsapfel bewegte sich auf und ab, während wir uns anstarrten. „Zeig mir den Weg hier raus“, befahl er.

„Ich helfe dir nur, um Diego zu retten“, sagte ich. „Versprich mir, dass du niemals mehr zurückkommen wirst.“

„Das kann ich nicht.“ Sein Gesichtsausdruck wurde härter und seine Stimmlage sackte in den Keller. „Betrachte es als eine Lehre. Tausche niemals dein Leben für das von jemand anderem ein.“

Langsam ging ich rückwärts und zum Safe. Inmitten der Papiere fand ich die kleine Metallkiste, die ich brauchte. Ich öffnete sie und holte den Schlüssel heraus. Ein Knall aus dem Zimmer nebenan ließ mich innehalten. Wenn die Sicherheitsleute die Tür eingeschlagen hatten, dann war Diego nicht in der Lage gewesen, sie reinzulassen. Ich betete schnell, dass er noch am Leben war.

Ich eilte zu dem Schrank, in dem die Abendkleider meiner Mutter hingen. Sie waren so schwer, dass ich beide Hände benutzen musste, um sie auseinanderzuschieben und durch sie hindurchzukriechen. „Hier rein“, sagte ich.

An der hinteren Wand des Schranks suchte ich mit der Hand nach dem Schlüsselloch. Es war dunkel, doch mein Vater hatte mir oft genug gezeigt, wie ich es finden konnte. Unter dem Haus befand sich ein Tunnelsystem, von dem alle Sicherheitsleute wussten. Cristiano ebenfalls. Doch diesen geheimen Gang kannten nur meine Eltern und ich. Als ich Papa darauf hinwies, dass die Männer, die ihn gebaut hatten, doch auch davon wissen mussten, warfen sich er und Mama nur einen Blick zu und er wechselte das Thema.

Ich steckte den Schlüssel ins Schloss, doch es war schon aufgeschlossen. Ich schob die Wand auf und zum Vorschein kam ein dunkler Hohlraum.

„Da.“

Sollte Cristiano überrascht gewesen sein, sah man es ihm nicht an. „Da, was?“

Ich zeigte auf die Falltür in dem Raum. „Kriech durch das Loch. Es gibt kein Licht, du musst dir den Weg ertasten.“

Er starrte in die Dunkelheit. „Woher weiß ich, dass das keine Falle ist?“

„Es ist deine einzige Chance.“

Er kam näher, seine Präsenz war überwältigend und riesig. „Mach es für mich auf.“

Das war keine Bitte. Glücklicherweise hatte mein Vater sichergestellt, dass ich den Fluchtweg verinnerlicht hatte, also war es für mich nichts Neues, in den dunklen Hohlraum zu gehen. Ich ging in die Hocke, um die Falltür zu entriegeln, die zu einem Gang führte, von dem niemand etwas wusste. Cristiano schloss und verriegelte die Tür hinter sich, sodass nichts weiter als ein dünner Streifen des warmen Schranklichts eindrang.

Ich hob die Klappe und sie fiel mit einem lauten Geräusch auf den Boden. Ich konzentrierte mich darauf, die Stimme stabil zu halten. „Von hier geht es in die Tunnel, die die Drogenkuriere benutzen“, erklärte ich. „Aber wenn du dich links hältst, wird dich niemand bemerken. Es wird dich nach Süden führen.“

„Wohin?“

Ich sah ihn an. „Das ist alles, was mir meine Eltern gesagt haben.“

Die Dunkelheit machte aus ihm einen Schatten, als er auf mich zukam. „Ich werde dich mitnehmen.“

„Was?“

„Wir werden zusammen da runtersteigen.“

Ich schob mich etwas rückwärts, aber da er die Tür blockierte, konnte ich nirgendwo hin. „Warum?“

Er schob die White Monarch in seinen Hosenbund neben die andere Pistole, schnappte sich meinen Arm und zerrte mich zum Eingang des Tunnels. Ich flog nach vorn, hatte seiner Stärke nichts entgegenzusetzen. Mein Herz schlug bis zum Hals, während alles blitzschnell ablief. Er konnte mich doch nicht mitnehmen. Das würde er nicht tun. Niemand wagte es, sich meinem Vater zu widersetzen. Doch Cristiano hatte das bereits getan. Und jetzt hatte er nichts mehr zu verlieren. Wenn er mich mit in diesen Tunnel nahm, würde ich niemals zurückkehren. Diego niemals wiedersehen. Meinen Vater. Ich würde bei der Beerdigung meiner Mutter nicht dabei sein.

„Ich habe dir doch geholfen“, sagte ich. Schluchzer krochen mir den Hals hoch. Ich sah auf die Leiter nach unten. Da wir uns im zweiten Stock befanden, würde mich ein Schubs fünf Meter tief in die Dunkelheit befördern. „Warum tust du das?“

„Um dir zu zeigen, dass du niemandem vertrauen kannst. Nicht mir. Nicht Diego. Vielleicht nicht einmal deinen Eltern. Nur weil dir jemand hilft, heißt das nicht, dass du von der Person nicht verraten werden wirst.“ Er drehte sich zur Leiter. „Und weil ich einen Vorsprung brauche. Auf meinen Rücken.“

Nachdem er mich losgelassen hatte, schaltete ich einen Gang höher. Mag sein, dass er für seine Gnadenlosigkeit berühmt war, aber ich hatte mein kurzes Leben damit verbracht, mich an Orte zu schleichen, wo ich nicht hätte sein dürfen. Was sogar die verstohlensten Wachleute meines Vaters überrascht hatte.

Ich schnappte mir die White Monarch aus seinem Hosenbund und zielte mit beiden Händen auf ihn.

Mit dem Licht in meinem Rücken, sah ich einen Anflug von Belustigung in seinen Augen aufblitzen. „Du kennst keine wahre Furcht, kleines Mädchen. Sie ist gefährlich.“

Ich kannte sehr wohl wahre Furcht. Ich starrte den Mörder meiner Mutter an. Ich war nicht in der Lage, zu schlucken. Konnte nichts hören, außer meinen pochenden Herzschlag.

Wo auch immer Cristiano auftauchen würde, mein Vater würde ihn umbringen. Oder ich könnte ihm die Arbeit ersparen und es jetzt selbst tun.

Zum ersten Mal, seit dem Moment, als ich über den sterbenden Körper meiner Mutter gestolpert war, überkam mich innere Ruhe. Niemand war in der Lage gewesen, Cristiano aufzuhalten, weder meine Eltern noch Diego. Selbst die Sicherheitsleute nicht. Ich könnte es allerdings. Er hatte es verdient, für seine Sünden zu sterben.

Ich redete mir zu, es zu tun, doch etwas, das Cristiano gesagt hatte, ließ mich innehalten.

Es gibt keine Gerechtigkeit.

War ich mir bis ins Mark hinein sicher, dass er es getan hatte? Was, wenn nicht? Ich kannte ihn nicht annähernd so gut wie Diego. Cristiano war vierzehn Jahre älter als ich. Er war ein Mann. Trotz seines Rufs als Killer, war er immer nett zu mir gewesen. Und auch zu meiner Mutter. Doch er hatte auch gesagt, dass ich niemandem auf der Welt trauen sollte. Nicht einmal meinem eigenen Fleisch und Blut.

„Tu es“, sagte er auffordernd.

Nachdem was ich gesehen hatte, war ich mir ziemlich sicher, dass ich abdrücken sollte. Ich musste nur den oberen Teil der Waffe zu mir ziehen. Doch sie war so schwer, dass ich beide Hände benötigte, um sie ruhig zu halten. Ich betrachtete kurz den Rückziehmechanismus der Waffe und versuchte herauszufinden, wie ich es am besten anstellen konnte.

„Zögere nie, Natalia.“ Cristiano schnappte mir die Waffe weg und drückte die Mündung gegen meine Stirn. „Siehst du? Bäng. Du bist tot.“

Mir blieb die Luft im Hals stecken. Ich war tot. Schutzlos ausgeliefert zitterte ich wie ein kleines Mädchen. Was ich ja auch war.

„Und ziele niemals mit einer Waffe, die nicht schussbereit ist. Wenn du zielst, dann um zu töten.“ Er legte einen Schalter an der Seite der Pistole um und schob sie sich wieder in den Hosenbund. Dann griff er nach mir.

„Stopp“, rief ich und wehrte mich gegen ihn, wobei er mich mit dem Arm an seine Brust drückte.

„Halt dich fest.“ Einhändig stieg er schnell die Leiter hinab.

Instinktiv legte ich meine Arme um seinen Hals. Er war weit davon entfernt, ein sicherer Hafen zu sein, doch in diesem Moment legte ich keinen Wert mehr darauf, tapfer zu wirken. Ich saß in der Falle. Ich gab mich der Angst hin und der Wärme seines Körpers nach, heulte an seinem Hals, während er tiefer hinab in die Dunkelheit stieg.

„Gibt es noch einen Schlüssel zu dieser Geheimtür?“, fragte er.

Ich schniefte. „Mein Vater trägt einen bei sich.“

„Er ist wahrscheinlich schon auf dem Weg“, sagte Cristiano beinahe tröstend. „Sie werden dich finden, Natalia. Es ist der einzige Weg, wie ich genug Vorsprung kriegen kann.“

Unten war es kalt und dunkel. Ich zitterte unkontrollierbar, als er die letzte Sprosse der Leiter erreichte und das letzte Stück heruntersprang.

„Klettere nur im alleräußersten Notfall die Leiter hinunter“, hatte mein Vater gesagt. „Du wirst die untere Sprosse von unten nie allein erreichen, um wieder hochzuklettern.“

Das war es jetzt. Nun war ich Cristianos Gnade ausgeliefert.

Auf dem festen Untergrund lief er ein paar Schritte und tastete nach einer Wand. Als er eine fand, ging er in die Hocke. „Setz dich hier hin“, sagte er. „Beweg dich nicht, bis sie dich holen kommen.“

Ich ließ nicht von seinem Hals ab. Der Geruch seines Schweißes und meiner Tränen vermischte sich mit dem des Lehms um uns herum. Ich hatte nie Angst im Dunkeln, doch jetzt konnte ich noch nicht einmal meine eigene Hand vor Augen sehen.

„Was ist, wenn niemand kommt?“, fragte ich.

„Das werden sie. Bis dahin werde ich lange fort sein.“ Er zog an meinen Armen. „Du bist tapfer. Lass los.“

Ich ließ ihn los. Als nächstes hörte ich seine sich entfernenden Schritte. Ich saß an die Wand gelehnt, legte die Arme um die angezogenen Knie und hielt den Atem an. Tränen liefen mir aus den Augen und rannen über die Wangen. Ich hatte immer den Schutz meiner Eltern und den ihres Rangs genossen. Die Tochter eines der mächtigsten Drogenbarone in Mexiko zu sein, bedeutete seit meiner Geburt Gefahr. Gleichzeitig bewahrte es mich vor allem.

Aber jetzt nicht mehr.

Die Bedrohung durch Cristiano entfernte sich und ich blieb allein im Dunkeln zurück. Dabei wurde mir bewusst, dass meine Mutter mich zum allerletzten Mal auf die Wange geküsst und zugedeckt hatte. Ihre melodische Stimme würde mich nie mehr in den Schlaf begleiten und mir jeden Abend „Ich liebe dich sehr, Mariposita“ sagen. Nie wieder würde es Talia-Toffee an meinem Geburtstag geben und keine Ausritte mehr in die Stadt, um Stoffe oder Gewürze einzukaufen.

Heute früh hatte ich sie an der Taille umarmt, war ungeduldig gewesen und bat sie, sich mit dem Make-up zu beeilen. Jetzt wünschte ich, ich wäre noch etwas länger bei ihr geblieben. Ich wünschte mir mehr Zeit.

Aber die Parade war vorüber.

Der Tag der Toten war da.

Kapitel 1

Natalia

Elf Jahre später

Geduckt stieg ich aus dem Hubschrauber, hinaus in die trockene Wüstenluft, wobei die Rotoren mir Wind durch das Haar peitschten. Der Chef des Sicherheitsteams meines Vaters bot mir seine Hand an und half mir beim Aussteigen.

„Herzlich willkommen daheim, Señorita“, rief Barto über den Krach der Rotorblätter hinweg.

Der Pilot trug mein Gepäck zu dem schwarzen Auto, das auf der Landebahn auf mich wartete. Irgendwie fühlte sich die mexikanische Sonne heißer an als die kalifornische. Heftiger und gnadenloser. Ich schob mir die Sonnenbrille zurecht und folgte Barto zum Wagen.

„Wie fühlt es sich an, wieder zu Hause zu sein?“, fragte er.

Worte konnten es wahrscheinlich nicht beschreiben. Mein Zuhause zu verlassen, um in den Staaten auf ein Internat zu gehen, war meine Entscheidung gewesen. Doch selbst wenn nicht, hätte Vater mich trotzdem irgendwo hingeschickt. Vor meiner Rückkehr habe ich mich gefürchtet, sie aber gleichzeitig erwartet. Kalifornien war sicher, sauber und simpel. Ganz und gar nicht wie dieser Ort hier, an dem Gefahr in den Straßen lauerte. Es war der Gedanke, Diego wiederzusehen, der es mir etwas leichter machte, ins Auto zu steigen und nach Hause zu fahren.

Barto sah mich im Rückspiegel an. „Wenn Sie mir die Ehrlichkeit erlauben, jedes Mal, wenn ich Sie sehe, sehen Sie Señora Cruz ein bisschen ähnlicher.“

Ich hatte die hellen Augen meiner Mutter und ihre schmale Nase, aber da hörten unsere Ähnlichkeiten auch schon auf. „Ich bin mehr wie mein Vater“, sagte ich.

„Aber Sie haben ihre Anmut.“

Ich schluckte. Mein Vater umschrieb sie oft mit majestätisch.

„Und diesen festen Blick, den sie oft hatte“, fügte Barto hinzu.

Das bezweifelte ich nicht. Ich war nicht nur zu Hause, um Zeit mit meinem Vater zu verbringen, meine Freunde zu treffen und Ostern zu feiern. Ich war für Diego hier. Meinem besten Freund und meine Liebe. Der Junge, der all meine Geheimnisse kannte, denn er war bei vielen dabei gewesen. Wenn nicht persönlich, dann am Telefon. Bei der riesigen Entfernung zwischen uns, hatten wir sehr oft miteinander telefoniert. Ich konnte es nicht erwarten, zum ersten Mal in diesem Jahr wieder in seiner Nähe zu sein.

Im nächsten Sommer würde ich meinen Abschluss machen und ich war fest entschlossen, Diego dafür bei mir in Santa Clara zu haben. Für immer. Doch da mein Vater das Gegenteil wollte, lag noch etwas Überzeugungsarbeit vor mir.

Barto fuhr die lange, kurvige Auffahrt entlang, die mit importierten Bananenstauden gesäumt war. Männer mit Maschinengewehren standen entlang des Wegs. Sie winkten uns weiter und lächelten mir durch die getönten Scheiben zu.

Barto kümmerte sich um mein Gepäck und schickte mich in den ersten Stock hinauf zu meinem Vater. An der Schwelle zu seinem Arbeitszimmer im südlichen Teil der Villa hielt ich an, als ich seine erhobene Stimme hörte.

„Hast du überhaupt eine Vorstellung von der Größenordnung von dem, wozu du uns verpflichtet hast?“

„Wir schaffen das.“ Als Diego sprach, flatterten Schmetterlinge in meinem Bauch auf. „Seit zehn Jahren verfeinern wir unser Unternehmen und jetzt ist es so gut wie perfekt.“

„So gut wie bedeutet nicht, dass es perfekt ist“, kam die ernste Erwiderung meines Vaters.

„Wir sind trotzdem bereit. Mit dieser Partnerschaft betreten wir die nächsthöhere Stufe.“

Ich hätte auf mich aufmerksam machen sollen. Schon in jungen Jahren hatte ich herausgefunden, dass Herumschleichen die einzige Möglichkeit war, an Informationen zu kommen. Damals war es aufregend gewesen. Heute waren Informationen gleichermaßen machtvoll wie belastend. Leute, die zu viel wussten, waren Zielscheiben. Zeugen. Druckmittel. Je mehr man wusste, desto schwerer war es, sich diesem Leben zu entziehen.

Und man wurde gefährlich.

Doch meine Neugier brannte noch immer in mir, egal wie sehr ich versuchte, diese Flamme zu löschen. Ich widerstand der alten Angewohnheit meine Schuhe auszuziehen, um meine Schritte zu dämpfen. Trotzdem sah ich verstohlen in den beleuchteten Raum hinein. Endlich erblickte ich Diego. Er war so wunderschön wie immer. Sein seidiges braunes Haar hatte helle Strähnen von der Sonne und war lang genug, dass er es sich hinter die Ohren streichen konnte. Er hielt sich viel im Freien auf und das sah man. Nicht nur am Hautton und der Haarfarbe, sondern auch an den breiten muskulösen Schultern. Während er mit meinem Vater sprach, stand er aufrecht da. Ich wäre gern zu ihm gerannt, um die Arme um seinen Hals zu schlingen, aber Papa hätte etwas dagegen.

Geduld. Das hatte mir Diego schon tausend Mal gepredigt. Es war nie meine Stärke gewesen.

„Das ist keine Partnerschaft.“ Tiefe Falten zogen sich über Papas gebräuntes Gesicht. Jedes Mal, wenn ich ihn sah, schien er mir älter zu sein. Doch seine Stimme dröhnte und seine klaren Augen in geschmolzenem Braun ließen ihn jünger aussehen als seine fünfzig. Er war wie immer schlau und gerissen, und seine beeindruckende Größe trotzte dem Eindruck von Müdigkeit, den die Tränensäcke unter seinen Augen vermittelten. „Das Maldonado-Kartell ist kein Partner, sondern ein Anführer“, sagte er. „Mit diesem Deal werden sie uns in der Tasche haben.“

Ich überlegte, einzutreten und die Unterhaltung damit zu unterbrechen, aber der Name ließ mich innehalten. Sogar ich wusste, dass Geschäfte mit den Maldonados gefährlich waren, obwohl ich mir wirklich Mühe gab, nicht mehr viel zu wissen.

„Die Zeiten haben sich geändert, Costa“, sagte Diego. „Vor elf Jahren hast du dein Geschäftsmodell neu bewertet, hast Risiko gegen Sicherheit und Gewalt gegen ein ruhiges Leben eingetauscht. Nicht, dass so etwas in dieser Welt existieren würde. Es ist Zeit, sich neu anzupassen.“

Mit dem Tod meiner Mutter hatte sich viel verändert, aber nicht offensichtlich. Vater hatte seine Geschäfte zurückgefahren, während neuere und blutrünstigere Kartelle, wie die Maldonados, die Ränge hochkletterten.

„Mein Vater würde sich im Grab umdrehen, wenn er wüsste, dass man uns nicht mehr so fürchtet wie früher“, sagte mein Vater und blickte aus dem Fenster.

Diego legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Wir sind immer noch da und genauso mächtig, nur auf andere Weise.“

Diego sprach ernst und mit den Händen. Man konnte seine Leidenschaft schwerlich übersehen, genau wie seine Klugheit und seinen Charme. Doch das konnte Papa immer noch nicht davon überzeugen, dass Diego der Mann für mich war. In Vaters Augen war niemand gut genug. Ganz besonders niemand, der aus unserer Welt stammte. Auf seine Weise lag meinem Vater viel an Diego. Er hatte ihn praktisch großgezogen. Doch wenn ich ihn nicht umstimmen konnte, dann würde Diego für ihn immer ein Soldat sein. Eine rechte Hand, ein Kartell-Mitglied. Und somit eine Bedrohung für meine Sicherheit.

„Viele Anführer der alten Ordnung sind entweder geschnappt, ermordet oder gezwungen worden, abzudanken“, fuhr Diego fort. „Wer von deinen alten Feinden ist denn noch da? Nicht mehr viele. Ich werde dafür sorgen, dass das Cruz-Kartell und das der de la Rosas nicht dasselbe Schicksal ereilt. Und das tun wir, indem wir mit der Zeit gehen.“

„Das de la Rosa-Kartell existiert nicht“, sagte Vater. Es lag eine Warnung in seiner Stimme und er zog die Augenbrauen zusammen. „Du bist ein Cruz. Und auch wenn ich weiß, dass dir unser Erfolg wichtiger ist als mir, liegt ein Risiko darin, mehr zu wollen. Nichts geht über Stabilität.“

„Bei den neuen Technologien auf dem Markt heutzutage ist es risikoreicher nichts zu tun. Im Moment sind wir die Nummer eins beim Versand und der Logistik, aber das kann sich jederzeit ändern.“

Ich lehnte mich gegen den Türrahmen. Ich machte mir Sorgen, dass Diego sich in etwas verrannte, was er lieber lassen sollte. Egal wen von beiden ich fragen würde, warum sie sich überhaupt mit den Maldonados eingelassen hatten, ich würde die gleiche Antwort erhalten wie immer.

Mach dir keine Sorgen. Alles ist gut.

Mein Vater rieb sich die Stirn und blickte finster. „Und einen riskanten Deal zu machen bedeutet, mit der Zeit zu gehen?“

„Wir werden liefern“, sagte Diego und verschränkte die Arme mit einem Schulterzucken. „Ihre Forderungen sind nicht anders als unsere anderen Übereinkommen. Sie müssen wertvolle Fracht über die Grenze kriegen. Als die erste Wahl bei Transportmöglichkeiten in Mexiko können wir uns das leisten. Ganz einfach.“

„Der Unterschied besteht darin, mit wem wir es hier zu tun haben. Wie groß ist der Lieferumfang?“

„Größer als üblich“, gab Diego zu. „Aber ich mache mir keine Sorgen. Während die anderen Kartelle sich in Streitereien untereinander verstricken, haben wir uns ein beinahe makelloses, strategisches Netzwerk aufgebaut. Ich habe ihnen eine siebenundachtzigprozentige Erfolgsrate zugesichert.“

„Siebenundachtzig, hm?“, fragte Papa, setzte sich die Brille auf und lehnte sich vor, um etwas auf dem Computerbildschirm zu lesen.

„Niedriger als unser exzellenter Durchschnitt“, sagte Diego und zog die Schulter zurück. „Wir haben schon zig Mal bessere Resultate geliefert, und das in weniger als den einundzwanzig Tagen, die sie uns gegeben haben.“

„Und danach?“

„Machen wir einen permanenten Deal daraus“, sagte Diego. „Bei der Geschwindigkeit, mit der sie anpflanzen, könnten sie unser Geschäft auf die nächste Stufe heben.“

„Ich war schon auf dieser Stufe“, sagte Papa. „Es ist gefährlich da oben.“

„Aber die, die früher unsere Konkurrenten waren, sind jetzt unsere Kunden. Du hast sie kaltgestellt.“ Diego steckte die Hände in die Hosentaschen und blickte aus den breiten Fenstern. „Wir werden den Verdienst von dem Maldonado-Deal benutzen, um zu expandieren.“

Papa grunzte. „Du hast nicht gesagt, wie viel wir transportieren müssen.“

„Ware im Wert von zweihundert Millionen innerhalb von drei Wochen.“

Mein Vater setzte sich auf. „Das ist fast viermal so viel wie üblich.“

„Die Menge spielt keine Rolle, solange …“

Papa hielt die Hand hoch, damit Diego nicht weitersprach, als er mich am Türrahmen lehnen sah. „Mija“, rief er aus und setzte die Brille ab. Er breitete die Arme aus. „Komm her!”

Er schloss den Laptop während ich zu ihm ging. Dann nahm er mich stark und beschützend in die Arme.

Über seine Schulter hinweg traf mein Blick auf Diegos. Sein Gesicht hatte einen verkniffenen Ausdruck gehabt, aber jetzt entspannte er sich und seine Augen glänzten in klarem Smaragdgrün. Weder Video-Chats noch Bilder konnten dieser Farbe gerecht werden. „Willkommen zu Hause“, formte er stumm mit den Lippen.

Zu Hause.

Das war es früher gewesen. Doch ich konnte mich in dieser Welt nicht mehr wohlfühlen. Diego setzte für Papa ein neutrales Gesicht auf, aber ich kannte ihn gut genug, um die Freude darüber, mich zu sehen, in seinen Zügen lesen zu können.

„Was ist los?“, fragte ich und riss meinen Blick nur zögerlich von Diego los, um meinen Vater anzusehen. „Ihr habt euch gestritten.“

„Gar nichts ist los, mach dir keine Gedanken.“ Er küsste mich auf den Scheitel und wendete sich an Diego. „Lass uns allein.“

Diego zuckte nicht mit der Wimper, doch ich wusste, dass diese brüske Anweisung wehtat. Er sehnte sich nach dem Respekt meines Vaters, aber ich konnte sehen, dass er ihn trotz seines Alters und seiner Erfahrung noch nicht komplett verdient hatte. Bis jetzt. Ich zweifelte nicht daran, dass mein Vater eines Tages sehen würde, was ich sah. Aber mir war auch klar, dass es Diego schmerzte. Die Anerkennung, nach der er so sehr suchte, seit sein eigener Vater gestorben war, entglitt ihm immer und immer wieder.

Ich hoffte, dass ich während meines Aufenthalts in der Lage wäre, meines Vaters Augen zu öffnen, damit er sah, wer Diego wirklich war. Ein sensibler, kreativer Mann, der von den Umständen gefangen war. Mein Vater wollte mich aus seinem Leben heraushalten, und ich wollte, dass er sich aus seinem heraushielt, aber das tat er nicht. Ich musste ihm das Potenzial zeigen, das Diego außerhalb dieser Welt hatte.

Mit einem kurzen Nicken und einem schnellen, versprechenden Zwinkern zu mir, verließ Diego das Zimmer.

Mein Vater nahm mich an den Schultern und hielt mich eine Armlänge von ihm entfernt. „Lass mich einen Blick auf dich werfen. Was für eine Schönheit. Dreh dich einmal.“

„Papa.“ Ich wurde rot. „Bitte.“

„Ich sehe dich nicht oft genug und möchte jeden deiner Besuche in Erinnerung behalten.“

„Wir waren an Weihnachten zusammen.“

„Aber das war in Kalifornien. Nicht hier, wo ich dich habe aufwachsen sehen. Tu deinem alten Herrn doch den Gefallen.“

Ich rollte spielerisch mit den Augen und drehte mich einmal um mich selbst. „Alle meine Gliedmaßen sind intakt, wie vorab berichtet“, sagte ich. „Finger und Zehen ebenfalls.“

„Deine Haare sind gewachsen. Gibt es in Santa Clara keine Friseursalons?“

Ich lächelte. „Selbstverständlich, aber längere Haare sind immer in.“

„Bist du auch gewachsen? Das hast du von mir.“

Ich schlug nach der Seite der Familie meines Vaters und war mit einssiebzig die Größte von all meinen Freundinnen. Er war zwei Meter groß, mein Großvater war sogar noch größer gewesen, was zu seinem bedrohlichen Temperament gepasst hatte.

Vater erzählte gern die Geschichte von einem achtzehn Jahre alten Mädchen namens Bianca, das von Nordmexiko herunter geflattert sei wie ein Schmetterling. Sie kam, um bei der Quinceañera, dem fünfzehnten Geburtstag ihrer Cousine, dabei zu sein und blieb aus Liebe. War gefangen im Netz meines Großvaters, noch bevor der Nachtisch serviert worden war.

So romantisch das auch war, manchmal fragte ich mich, warum sie so dumm gewesen war ein sicheres und glückliches Leben als Bauerntochter für das hier einzutauschen. Es war töricht und riskant und hatte ihr den Tod gebracht. Ich würde ihr Schicksal keinesfalls teilen und Diego auch nicht.

Ich musste einen Weg finden, ihn von den Ketten des Kartells zu befreien, damit er mit mir in die Staaten kommen und ein Leben mit mir beginnen konnte. Ich würde meinen Vater überzeugen, uns gehen und uns in Frieden leben zu lassen, statt in einem Krieg. Statt über unsere Schultern, sollten wir lieber über den Pazifik blicken.

Diego war schon zu lange in den Klauen meines Vaters. Und ich war der einzige Mensch, der ihn um so einen Gefallen bitten konnte.

Vater setzte sich hinter den Schreibtisch. „Heute Abend feiern wir. Was hast du vor, während du hier bist?“

„Ich dachte, dass wir vielleicht heute Abend zusammen mit Diego essen könnten?“

Er nahm seine zusammengefaltete Brille und tippte sich damit an die Schläfe. „Ich habe bereits ein Fest zu deinen Ehren arrangiert.“

„Dann morgen, oder irgendwann diese Woche.“

„Wozu? Ich hätte es lieber, wenn es nur wir beide wären“, sagte er. „Wie dem auch sei, meine jährliche Party ist am Donnerstagabend, wie du weißt. Ich habe daher sehr viel um die Ohren, und Diego ebenfalls.“ Er runzelte die Stirn. „Warum gehst du nicht in die Stallungen? Du bist schon ewig nicht mehr geritten.“

Genauer gesagt elf Jahre nicht. Ich besuchte die Pferde, aber hatte seit Mamas Tod keins mehr bestiegen. Es war unsere gemeinsame Sache gewesen. Eine Aktivität, die wir jeden Tag zusammen gemacht hatten. Ich nickte, damit ich meinen Besuch nicht mit einem Streit einläutete. „Vielleicht. Aber hier ist es heißer als in der Hölle. Ich werde mit Sicherheit an den Strand gehen.“

„Mit Sicherheit.“ Er tätschelte meine Hüfte. „Wie war die Reise?“

„Barto hat sich wunderbar um alles gekümmert, wie immer. Keine Mordattacken.“

„Ein Witz“, sagte er. „Schön, dass du das lustig findest. Ich nicht.“

Es war wichtig, den Humor zu bewahren, wenn man mit drei Wachen in einem gepanzerten Fahrzeug unterwegs war.

„Ich muss weiterarbeiten“, sagte er und öffnete den Laptop. „Zieh dich fürs Abendessen hübsch an.“

Ich gab ihm ein Küsschen auf die Wange. Aus purer Gewohnheit warf ich dabei einen Blick auf den Bildschirm, um Hinweise zu Diegos und seiner Unterhaltung zu erhaschen. Doch ich zwang mich, wegzusehen. Ich wollte keine Schwierigkeiten. Ich wollte nur zu Diego und so schnell wie möglich hier raus, bevor noch jemand, der mir am Herzen lag, umgebracht wurde.

Auf meinem Weg nach draußen rief mich Papa zurück. „Eine Sache noch. Lass dich bloß nicht dabei erwischen, wie du dich in den Ballsaal schleichst. Das ist kein Ort für ein junges Mädchen.“

„Ich kenne viele Mädchen, die auf deinen Partys waren.“

„Keine davon ist meine einzige Tochter.“

Meine Mutter hatte diese sagenhaften jährlichen Veranstaltungen für Kunden und Freunde des Cruz-Kartells im Ballsaal auf unserem Anwesen ins Leben gerufen. Ich war nie dabei gewesen und gezwungen, mich lediglich mit dem Klang der Musik zufrieden zu geben, der über die Wiese zu meinem Schlafzimmer hallte. Danach gab es wochenlang Gerüchte und Gerede. Papa hatte sein Bestes gegeben, um mich von dieser Welt seit meiner Geburt abzuschirmen, aber meine Neugierde war dadurch geweckt.

Heute wusste ich es besser. Ich wusste seinen Vorsatz zu schätzen. Dennoch konnte es mich nicht davor bewahren, Zeugin des Mordes an meiner Mutter zu werden.

„Ich bin kein junges Mädchen mehr“, sagte ich und zuckte mit den Schultern. „Ich bin zwanzig.“ Ich verließ den Raum und versuchte, nicht über die Party nachzudenken. Früher hatte ich eine morbide Neugier über das Leben meiner Eltern. Bis ich aus erster Hand die sinnlose Gewalt, Korruption und das Böse, das damit einherging, erfuhr. Seitdem versuchte ich, das kleine Mädchen in mir zu zähmen, das so mutig war, eine Waffe auf einen Mann zu richten, der dreimal größer gewesen war als sie selbst. Das Mädchen, das Gefahr mit Spaß gleichgesetzt hatte. Die Kleine, die dem Teufel zugehört hatte, als er ihr ins Ohr flüsterte, dass es kein Entkommen gab aus dieser Welt. Nicht jetzt. Und auch sonst niemals.

Ich war vor all dem weggelaufen. Doch das Böse lockte das dumme kleine Mädchen immer noch. Sie wusste besser als die meisten, was dabei herauskam. Denn schließlich hatte es sie stundenlang in einem stockfinsteren Loch eingesperrt zurückgelassen. Schutzlos und benommen, besudelt vom Blut ihrer eigenen Mutter.

Kapitel 2

Natalia

Auf meinem Weg zur Bibliothek sprang im Flur jemand aus den Schatten und umarmte mich von hinten. Ich keuchte auf, aber in dem Moment, in dem ich Diegos vertrauten Duft roch, entspannte ich mich in seinen Armen.

„Buenas, Princesa“, murmelte er in mein Ohr und entführte mich in Richtung Bibliothek.

Als Kinder hatten Diego und ich fast jeden Winkel des Hauses erforscht, bis auf das Schlafzimmer meiner Eltern. Wir kannten uns besser aus als das Sicherheitspersonal. Wahrscheinlich sogar besser als mein Vater, da er in manche Ecken und Nischen nicht passte, in die Diego und ich uns damals oft hineinzwängten.

Die Bibliothek war einer der Räume ohne Überwachungssystem. Papa hatte sie meiner Mutter eingerichtet, da sie ein interessierter Mensch gewesen war, doch er ging nur noch selten hinein. Mein Vater behauptete, nicht so intelligent wie meine Mutter zu sein, und dass er mit Büchern nichts anzufangen wüsste. Doch im Grunde tat es ihm einfach zu sehr weh, Zeit darin zu verbringen.

Mein Vater hatte eine andere Art von Schläue.

Diego ließ die Tür hinter uns offen. Da wir früher schon immer oft zusammen waren, wäre es für die Wachen nichts Ungewöhnliches, uns gemeinsam allein zu sehen. Doch bei geschlossener Tür? Das würde alle Alarmsignale aufflackern lassen.

Er drehte mich in seinen Armen und drückte mir einen schnellen Kuss auf die Lippen. „Bist du wirklich hier?“

„Das bin ich.“ Ich legte die Hände an seine kantige Kinnpartie und die hohen Wangenknochen in seinem Gesicht. Ein Gesicht, das es wert war, für die Nachwelt in einer Statue festgehalten zu werden. „Jedes Mal, wenn ich dich sehe, siehst du weniger wie der Junge aus, den ich kannte, und mehr wie der Mann, den ich liebe.“

Er nahm meine Handgelenke und küsste eine Handfläche. „Ich war schon damals ein Mann, Tali. Musste ich.“

„Ich weiß.“ Seine Tapferkeit angesichts dieser Welt aus Gefahr und Verlust versetzte mich immer wieder ins Staunen. „Bist du froh, mich zu sehen?“

„Du hast ja keine Ahnung.“ Er ging zu dem großen Fenster, durch das man das Gelände draußen bewundern konnte, drehte sich um und zog sich hoch, um auf der Fensterbank Platz zu nehmen. Sein Blick lag auf mir. „Jedes Mal, wenn ich dich sehe, siehst du weniger wie das Mädchen aus, das ich kannte, und mehr wie eine verführerische Kreatur, deren List selbst den Teufel in Beschlag nehmen könnte.“

„Du nennst mich eine Kreatur?“, fragte ich lächelnd und formte Klauen mit den Händen, wobei ich in meinen Leopardenmuster-Ballerinas auf ihn zuging.

Er hob die Hände und formte mit den Fingern ein Viereck, durch das er mich ansah. „Wenn du wieder im College bist, werde ich dich so in Erinnerung behalten. Wie eine Löwin.“

„Du brauchst mich nicht in Erinnerung zu behalten“, sagte ich. „Du wirst einfach hochschauen und mich mit deinen eigenen Augen betrachten.“

„Das will ich mehr, als du dir vorstellen kannst.“ Als ich bei ihm angelangt war, legte er seine Hände an meine Hüften und zog mich zu sich heran. „Ich möchte nur nicht, dass du dir Hoffnungen machst.“

„Wenn ich ihm erkläre, wie viel du mir bedeutest, wird er es verstehen. Ich werde ihm sagen, wie viel du mir schon immer bedeutet hast.“ Ich strich ihm ein paar dunkelgoldene Strähnen aus der Stirn, die sofort wieder herunterfielen. „Mein Vater ist ganz vernarrt in dich.“