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Titelei

Impressum

Corporate Design Umschlag: KW 43 BRANDDESIGN, Düsseldorf

Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München
unter Verwendung folgender Illustrationen:
Gurke: Tanya Syrytsyna / iStock; Schiff: Kili-kili / istock; Burg, Karte: shutterstock.com; Big Ben, Bus, Flugzeug, Gitarre, Vögel, Wald: OpiaDesigns / Creativemarket

Typographie Innenteil: Die Buchprofis, München

Projektleitung: Gabriela Lindner
Autorinnen: Sophie Hopmann und Heidelore Mais
Lektorat: Elisabeth Graf-Riemann

© PONS GmbH, Stöckachstraße 11, 70190 Stuttgart 2019
ISBN: 978-3-12-563368-1
www.langenscheidt.com

Inhalt

Titelei
Impressum
Roundabout And Porridge
Edinburgh und die Wmrns
Gurkensandwich im Handschuhfach
Hopscotch in York
O schaurig ist’s, übers Moor zu gehn
Incredible Edible oder: Pflück’ mich!
Robin Hood lebt
Holy Cow!
Walk on the Wild Side

Roundabout And Porridge

»Mist! Mist! Mist!«, kaum mit der Fähre angekommen, schon in einen Unfall verwickelt. Natürlich selbstverschuldet. Kreisverkehr, »damn it!« Klar, Linksverkehr und ich hab’s sofort vermasselt, bin zwar brav links in den Kreisel gefahren, aber der Spurwechsel war dann zu viel. Warum wollte ich auch unbedingt mit meinem eigenen Wagen nach England? Meine kleine Blanche – gesprochen »Blensch« – sieht nicht mehr ganz so weiß aus, hat ein paar Kratzer abbekommen, die hübsche blaue Farbe des gegnerischen Wagens ist gut zu erkennen und das Rücklicht ist kaputt.

»No mist at all!« Ein aufgebrachter Lieferwagenfahrer kommt auf mich zu und will wissen, ob ich eine Brille brauche. Natürlich ist es nicht neblig, das weiß ich auch. Ich meinte ja einfach nur Mist. Mist, dass ich jetzt hier im »roundabout« stehe, dass mein Rücklicht hin ist, und überhaupt ist mir gar nicht klar, warum ich hier bin. Spontanhandlung, schon wieder, vielleicht sollte ich mal was dagegen unternehmen. Aber nicht jetzt, jetzt warten wir in trauter Zweisamkeit auf die Polizei. Hab’ ich Zweisamkeit gesagt? Ein paar Menschen steigen aus ihren Autos und schauen grinsend, bekümmert, aufgebracht, je nach Mentalität, auf meinen Wagen und auf mich. Ich versuche nicht hinzuschauen, denn das ganze Szenario hier bringt mich zu allem Überfluss auch noch zum Kichern. Bloß nicht! Nicht jetzt! Denk‘ an was Schlimmes, was Trauriges! Ich versuch‘s ja, aber es ist doch schon traurig genug, mitten in einem englischen Kreisel zu stehen und einen Unfall verursacht zu haben. Wenn mich das nicht vom Lachreiz abhält, ist mir einfach nicht mehr zu helfen.

»Tea, Lady?« Oh ja, Tee wäre jetzt sehr gut, besonders mit einem Schuss … Nein! Einfach nur Tee, und schon reicht mir eine nette ältere Dame einen Thermobecher. Starker süßer Tee mit Milch. Genau das, was ich eigentlich gar nicht mag, aber in diesem Fall wirklich herzerwärmend. Der Tee hilft mir sogar, den Lachreiz zu überwinden. Das ist auch gut so, denn mein Gegner, der Lieferwagenfahrer, kommt auf mich zu und grinst mich an.

Ich grinse ziemlich verlegen zurück und sage endlich: »Sorry!« Vorher war ich dazu gar nicht in der Lage.

Die Polizei kommt und kurz darauf auch ein Mann im Arbeitsanzug, der sich als Mr. Wood vorstellt und auf eine gegenüberliegende »garage« deutet. Ich mache mich auf allerhand gefasst, doch nicht auf das, was nun folgt. Freundlich begrüßen mich die Polizisten, fragen, ob ich irgendwo Schmerzen hätte, natürlich werden auch noch ein paar Formalitäten erledigt. Und danach gibt mir einer der beiden Polizisten Verkehrsunterricht mit Block und Bleistift. Wirklich! Er zeichnet mir genau auf, wie ich in den Kreisel hineinfahren und auf welche Spur ich wechseln muss. Klar muss ich links, im Uhrzeigersinn, in den Kreisel einfahren, und weil ich natürlich – mein »Glück« ist mir wie immer hold – in einem großen Kreisel stehe, hätte ich für die letzte Ausfahrt, die ich brauchte, auf die rechte Spur ganz innen wechseln müssen, um dann rechtzeitig durch Blinken anzuzeigen, dass ich die Spur wechseln will. Ich bin beeindruckt und verspreche ihm, dass ich das in Zukunft auch so machen werde. Mir verspreche ich, dass ich Kreisel weiträumig umfahren werde, egal, wie groß die Umwege auch immer sind.

Ich werde langsam müde. Mein überstürzter Abschied, die Fahrt nach Amsterdam zur Fähre, die schlaflose, aber wunderschöne sternenklare Nacht auf der Fähre, das Kreiseldesaster und dummerweise weiß ich nicht einmal, wo ich schlafen werde, wenn ich jemals nach Newcastle upon Tyne kommen sollte. Doch da mache ich mir unbegründete Sorgen. Rettung naht in Gestalt von Mr. Wood, dem Werkstattbesitzer, der meinen Wagen wieder in Ordnung bringen kann. Ich fahre Blanche aus dem Kreisel, ein Polizeiwagen vor mir her, der mich in die innere Spur führt, einige Ehrenrunden mit mir dreht und anschließend den Spurwechsel einleitet. Geschafft! Endlich stelle ich Blanche in der Werkstatt ab, Schweiß auf der Stirn.

»Luv?«, spricht Mr. Wood mich an. Luv? Ah, natürlich, er spricht Geordie, den Dialekt, der hier, im Norden Englands, gesprochen wird, und »luv« meint »love« und heißt »Liebes«. Endlich höre ich nach vielen Jahren wieder die Sprache, die mir damals zuerst so fremd war und mit der Zeit immer vertrauter wurde. Hier hatte ich mich verliebt. Nein, nicht in irgendjemanden, sondern in die Stadt, die Menschen, die Pubs, die Stare, die manchmal im Herbst zu Tausenden in die Stadt kommen und auf den Dächern sitzen (Hitchcock hätte sofort die Filmkamera gezückt, wenn er das gesehen hätte) und viele andere Dinge mehr. Ich reiße mich von meinen Gedanken los und verrate Mr. Wood, dass ich große Sehnsucht nach Newcastle gehabt, Hals über Kopf die Fähre gebucht hätte und einfach losgefahren wäre, ohne mich um Übernachtungsmöglichkeiten zu kümmern. Allmählich wird es auch wirklich dunkel.

»Brenda’s B&B!« Mr. Wood strahlt mich an und versichert mir, dass ich bei Brenda sehr gut aufgehoben wäre. Er ruft einem seiner Angestellten etwas zu, das wie »take over« klingt und bietet mir an, mich gleich hinzufahren. Ich nehme dankbar an. »British breakfast, continental breakfast and the best porridge ever, that’s Brenda’s B&B«, fährt er fort. Danke Mr. Wood, dass Sie mich schon wieder gerettet haben. Haferbrei werde ich jedenfalls unter keinen Umständen essen. Auch der beste Haferbrei ist eben Haferbrei und ich verabscheue ihn.

»Many years ago I stayed as an au pair in Newcastle«, erkläre ich ihm auf seine Frage, was mich hierher verschlagen hat. Ja, es ist schon einige Jahre her, dass ich hier als Au-pair gearbeitet habe. Nicht nur Newcastle will ich sehen, sondern auch noch andere Orte, die ich damals besuchte. Ich habe zwar kein Sabbatical, aber zwei Monate freie Zeit sind auch nicht zu verachten.

»Brenda’s niece can do a city tour with you.« Mr. Wood deutet auf ein kleines Haus, vor dem wir halten. »Here we are!«

Er gibt mich in Brendas Obhut und ich sage: »Thank you very much indeed!« Er versichert mir, dass ich meinen Wagen in zwei Tagen abholen könne.

»Come in, I’m Brenda, what’s your name, deary?« Ich muss ziemlich fertig aussehen, wenn alle mich »Liebes« nennen. »Sibylle«, antworte ich, so heiße ich nun mal.

»Ah, Sibyl, nice name. Welcome, Sibyl!« Sibyl klingt doch viel, viel besser als Sibylle.

Brenda zeigt mir mein Zimmer, den Frühstücksraum und will wissen, wie lange ich bleibe. Wahrscheinlich eine Woche, genau kann ich es noch nicht sagen. Ich weiß ja selbst nicht so recht, was ich eigentlich vorhabe. Das sage ich Brenda aber nicht, sondern verweise auf meinen Wagen und dass ich erst weiterfahre, wenn er repariert ist. Gut, der ist laut Mr. Wood in zwei Tagen fertig, aber im Moment fehlt mir die Lust zum Autofahren ganz und gar. Eine junge Frau mit verweinten Augen schleicht an uns vorbei und grüßt leise.

»My niece Jenny«, raunt Brenda mir zu. »Lovesickness.« Oh weh, bitte nicht. Gerade bin ich meiner liebeskummerkranken Tochter entflohen. Mein Sohn ist auch in einer schlechten Phase, aber nun sind beide volljährig und einmal zu oft habe ich gehört: »Es geht dich nichts an. Lass uns bitte in Ruhe.« Genau das habe ich getan und mich aus dem Staub gemacht. Bye-bye meine liebreizenden Twins.

Endlich allein in meinem Zimmer schaue ich doch mal schnell auf mein Handy und finde die Nachricht: »WO BIST DU?« Ich schreibe zurück: »In Newcastle.« Und schalte das Ding wieder aus.

Dann aber überwältigt mich die Müdigkeit, sodass ich auf eine Frage von Brenda, die an meine Tür klopft, mit »Yes, of course« antworte, ohne verstanden zu haben, was sie will, schließlich bin ich höflich. Ein Blick in den großen Spiegel im Badezimmer sagt mir, dass ich nicht mehr 20 bin und schon liege ich frisch geduscht und gähnend in einem großen Bett, bewundere mit letzter Kraft die Efeutapete, die sich durch das ganze Zimmer rankt und schlafe wohlig und zufrieden ein. Alles noch mal gut gegangen.

Am nächsten Morgen trifft mich der Schlag beim Frühstück. Die verweinte Nichte kommt auf mich zu, sagt »your porridge« und geht wieder. Ich schaue entsetzt in die kleine Schüssel mit dem schleimigen Zeugs darin. Na gut, sei tapfer, rede ich mir zu. Probiere es wenigstens, wahrscheinlich war das die Frage, die du gestern Abend nicht mehr verstanden hast. Ich probiere vorsichtig mit einem kleinen Löffel und traue meinen Geschmacksnerven nicht mehr … das Porridge schmeckt gut, was heißt gut, es schmeckt großartig! »Cream for your porridge?« Brenda stellt einen kleinen Krug auf den Tisch. Sahne? Ja sicher, wenn schon, denn schon. Blitzartig habe ich die Schüssel ausgelöffelt und harre der Dinge, die da noch kommen. Und sie kommen. Ich hatte in all meiner Müdigkeit »full English breakfast« bestellt, die ganze Palette mit besagtem und schon verschlungenen Porridge, orange juice, bacon, sausages, fried eggs, roasted tomatoes and mushrooms, baked beans, Toast und schwarzem Tee. Zum Glück ist nicht auch noch »black pudding« dabei, die gebratene Blutwurst, die so gut schmecken soll, die ich allerdings nie probiert habe. Sicher schmeckt alles sehr gut, aber am frühen Morgen? Ich schaue sehnsüchtig zum Nachbartisch, dort bekommt ein Ehepaar gerade zweimal das kontinentale Frühstück mit Marmelade und Käse. Sie schauen zu mir, lächeln verstehend und fragen: »Want swap?« Und ob ich tauschen wollte! »O yes, that’s very nice of you«, antworte ich glücklich. Gut, morgen werde ich auf jeden Fall das kontinentale Frühstück mit Porridge bestellen.

Heute, am fünften Tag in Newcastle, habe ich das Frühstücksrepertoire um »fried eggs« erweitert. Jenny hat sich nicht lange bitten lassen und sich bereit erklärt, mir die Stadt zu zeigen. Sehr viel Neues ist in den letzten Jahren hinzugekommen. Sie ist eine gute Fremdenführerin, wenn auch eine traurige, und ich nehme mir vor, sie demnächst einfach einmal zu fragen, was ihr widerfahren ist. Ich habe meine Lieblingsstellen besucht, bin mit der U-Bahn zum Tynemouth gefahren, dorthin, wo der River Tyne in die Nordsee mündet. Es ist für mich immer wieder verblüffend, aus der U-Bahn zu kommen und direkt am Meer zu sein. Sogar Robben gibt es inzwischen im Tyne.

. Das Pub ist voll und die Luft riecht nach Bier. Jenny stellt mich ein paar Leuten vor, mit denen wir an einem Tisch sitzen. Jeder an diesem Tisch gibt einmal eine Runde aus. Ich bestelle »white wine sowie ein paar Tüten Chips mit »vinegar flavourAleWhat is the German word for fire?fireIn which novel is Kunta Kinte a central character? »« ist Tomate. »Henry VIII beheadedtwo of his women.What’s their name?« geworden und mir ist ein bisschen schwindlig. Draußen ist es jetzt kühl und sehr windig, typisch Oktober. So gehen Jenny und ich untergehakt und etwas schwankend über den großen Marktplatz. Jenny auf ihren High Heels läuft sicherer als ich in meinen Sneakers und ich bin froh, als wir »Brenda’s B&B« erreichen. Brenda wartet schon auf uns und grinst übers ganze Gesicht als wir reinschwanken. Sie meint leise zu mir, der Abend habe Jenny sichtlich gut getan und mir schwirrt der Kopf nicht nur vom Wein, sondern auch von den vielen Fragen.

Morgen werde ich mit dem Zug nach Schottland fahren. Ja, mit dem Zug! Meinen Wagen habe ich zwar längst wiederbekommen, aber augenblicklich erscheint es mir entspannter, den Zug zu nehmen. Edinburgh, ich freue mich auf dich!