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Nr. 3051

 

Luna

 

Neues Leben auf dem Mond – NATHAN schafft eigene Tatsachen

 

Christian Montillon

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog: Briefe aus einem fremden Universum

1. Menschenhaut, Echsenhaut

2. Ein Traumspiel (4)

3. Eine neue Welt

4. Ein Traumspiel (5)

5. Wer bist du?

6. Ein Traumspiel (6)

Epilog: Aus: Hoschpians unautorisierte Chronik des 21. Jahrhunderts NGZ

Leserkontaktseite

Glossar

Risszeichnung Halbraum-Gefechtseinheit

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Für die Menschen einer fernen Zukunft ist die Erde nicht mehr der »kleine blaue Planet«, von dem aus sie ins All aufgebrochen sind. Die Menschen verstehen sich – nach der lateinischen Bezeichnung ihrer Ursprungswelt – als Terraner, obwohl sie auf Tausenden Welten siedeln. Terra selbst wurde von unbekannter Macht vor Jahrhunderten gegen einen nahezu identischen Planeten ausgetauscht und ist seither verschwunden; mittlerweile gilt die Erde als Mythos.

Doch Perry Rhodan und seine Gefährten haben die Hoffnung nicht aufgegeben, die ursprüngliche Heimat der Menschen wiederzufinden. Sie sind mit der RAS TSCHUBAI, einem riesigen Raumschiff, in die ferne Galaxis Ancaisin gereist. Dort hoffen sie, hinter das Geheimnis der verschwundenen Erde zu kommen.

Im Jahr 2046 Neuer Galaktischer Zeitrechnung – es entspräche dem Jahr 5633 nach Christus – gibt es endlich eine klare Spur: Die Raumfahrer haben Zugang zur sogenannten Zerozone gefunden. Dahinter, so hoffen sie, verbergen sich die Erde und der Mond.

Perry Rhodan landet in einem ungewöhnlichen Kosmos, wo neue Herausforderungen auf ihn warten und – vor allem – ein alter Bekannter: NATHAN auf LUNA ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Unsterbliche gerät immer wieder ins Visier seiner Feinde.

Homer G. Adams – Der Advisor muss die Perspektiven abwägen.

Tergén – Der Vergleichende Historiker betritt Luna.

Ghizlane Madouni – Die Raumschiffskommandantin beweist ihre Souveränität.

Jeder Mensch ist wie ein Mond –

er hat eine dunkle Seite,

die er niemandem zeigt.

(Anonyme Sammlung altterranischer

Weisen, Kapitel 42: »Mark Twain«)

 

 

Prolog

Briefe aus einem fremden Universum

 

Lieber Mésren,

ich hatte diesen Brief an dich bereits begonnen, doch ich habe ihn weggeworfen und ganz neu angesetzt. Du kannst dir mein Erstaunen nicht vorstellen, als ich vor einigen Minuten die Tür öffnete und Perry Rhodan davorstand.

Gewiss, er hatte versichert, sich Zeit für ein Gespräch zu nehmen, aber was sind derlei Versprechungen von berühmten Menschen normalerweise wert?

Wenn es nach Perry Rhodan geht, offenbar sehr viel.

Wir haben die Zerozone durchquert und wären bei der Ankunft fast gestorben. Wir wissen kaum etwas über unsere Umgebung, außer dass dieses zweite Solsystem in dem anderen Teil des sogenannten Dyoversums liegt – in der Zwillingsgeburt unseres Universums, entstanden im selben Urknall. Wir sitzen in einem topmodernen Raumschiff, das unter den hiesigen Bedingungen nur mehr Schrottwert hat ...

... aber dieser Mann sieht nicht besorgt aus. Er verströmte Zuversicht, und – ja, wirklich – er hat mich damit angesteckt.

Du kennst mich, Mésren, als mein Zwillingsbruder. »Und mehr als das«, so habe ich es eben zu Perry Rhodan gesagt. Da würdest du mir zustimmen, oder? Er hat es übrigens hingenommen und mich nicht für verrückt erklärt, als ich ihm erzählte, dass du tot bist und ich dir dennoch schreibe.

Er will mich als Teil seines kleinen Teams mitnehmen in den ersten Einsatz in diesem Solsystem, das unserer Heimat so sehr gleicht und trotzdem nicht mit ihr identisch ist. Abgesehen von Terra und Luna, aber diese beiden Himmelskörper sind die Originale aus unserem Universum. Wenn man es so nennen kann. Es klingt so, als wären sie echt und die anderen Planeten samt ihrer Monde und der Sonne Kopien, was aber nicht der Wahrheit entspricht.

Ich werde dir in einem späteren Brief mehr darüber schreiben, nicht heute. Mir bleibt fast keine Zeit, denn unser Aufbruch steht dicht bevor. Vorher möchte ich dir von den Gefühlen erzählen, die mich gerade quälen.

Quälen?

Über dieses Wort habe ich länger nachgedacht, ehe ich es aufgeschrieben habe. Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich stimmt, aber ich lasse es einfach stehen.

Ich fühle mich geehrt, dass Rhodan mich ausgewählt hat, obwohl ich mich darüber wundere. Er kennt mich kaum.

In Hunderten Legenden über Terra habe ich von ihm gelesen, vor unserer Begegnung an Bord der TESS QUMISHA. Daher glaube ich zu wissen, dass er seine Entscheidungen klug abwägt, aber manchmal auch spontan und impulsiv handelt, wenn er es für richtig hält.

Er folgt seinem Verstand und seinen Gefühlen, und er scheint mit erstaunlicher Sicherheit zu wissen, was jeweils wichtiger ist. Vielleicht befähigt ihn seine immense Lebenserfahrung dazu.

Wie gesagt, Mésren, ich fühle mich geehrt und bin verwundert. Aber das ist bei Weitem nicht alles. Ich fürchte mich auch, ja, ich leide entsetzliche Angst.

Wir befinden uns in einem völlig unbekannten Gefilde, und Rhodan nimmt mich auf eine Erkundungsmission mit. Was erwartet uns?

Ich bin Geisteswissenschaftler und verbringe meine Tage damit, alte Dokumente zu studieren und zu vergleichen, um aus ihnen die Wahrheit herauszufiltern. Kein Abenteurer, der an der Seite eines Helden – diesen Status muss man Rhodan zweifellos zugestehen – ins Unbekannte marschiert, am besten noch mit einer Waffe in der Hand.

Aber wie hat er vorhin zu mir gesagt? Es sei Zeit, den Horizont zu erweitern.

So ist das wohl.

Trotzdem quält mich diese Angst.

Falls dies mein letzter Brief an dich ist, weißt du, wieso.

1.

Menschenhaut, Echsenhaut

 

»Willkommen an Bord des Flaggschiffs, Perry Rhodan.« Die Frau, die ihn im gewaltigen Hangar des riesigen Kugelraumers ORATIO ANDOLFI begrüßte, war schmal, wirkte ernst und hatte dunkle Augen. Die schwarzen, glatten Haare lagen eng am Kopf an, wie angeklebt, und glänzten matt.

»Ich bin Ghizlane Madouni, die Kommandantin dieses Raumers.«

»Mich kennst du ja«, sagte er. »Danke für die Aufnahme.«

»Du verstehst sicher, dass ich zunächst nur dich allein an Bord begrüßen wollte.«

»Aus Sicherheitsgründen.«

»Nenn es, wie du willst.«

Er lächelte schmallippig. »Sicherheitsgründe.«

Ihre Mimik blieb kühl und unbewegt. Sie betrachtete ihren Gast eingehend. »Sicherheit ist mir wichtig, vielleicht wichtiger, als du vermutest.« Sie winkte ab. »Du hast ursprünglich ein Team von vier Begleitern angekündigt. Ich hege wenig Zweifel, dass wir in einem Notfall alle fünf Personen überwältigen könnten. Dir sind die Roboter ...« Sie deutete beiläufig über ihre Schulter, »... wahrscheinlich nicht entgangen, die üblicherweise ... nun ja, schneller reagieren als Menschen.«

In dieser Hinsicht täuschte sich Ghizlane Madouni nicht. Rhodan hatte die beiden Maschinen sehr wohl bemerkt und erkannt, dass sie auf alten TARA-Modelle basierten – den klassischen terranischen Kampfrobotern. Das Design hatte sich zwar in den vergangenen vier Jahrhunderten verändert, aber die Herkunft ließ sich nicht leugnen. Auch diese TARAS sahen aus wie schwebende Kegel mit einem halbkugelförmigen Kopf am oberen Ende. Einige kurze Funktionsarme –eher Kugelstummel – ragten in unterschiedliche Richtungen.

Auch sonst war Rhodan neugierig auf das Flaggschiff der hiesigen Liga – ein 2600-Meter-Kugelraumer. Im Hangar, in dem das Beiboot vor wenigen Minuten gelandet war, standen drei 80-Meter-Kreuzer, ebenfalls kugelförmig. Es gäbe Platz für mindestens zwei weitere. Auf halber Höhe des Raumes, knapp unterhalb der oberen Pole der Beiboote, verlief eine breite Brüstung, teilweise stapelten sich darauf Container.

»Sie reagieren sogar schneller«, fuhr die Kommandantin fort, »als relativ unsterbliche Legenden aus der Vergangenheit der ehemaligen Heimat unserer Vorfahren. Oder ist mir in den alten Aufzeichnungen über dich etwas entgangen? Könntest du gegen einen TARA-C bestehen? Mit bloßen Händen? Immerhin wäre es möglich, dass ich das übersehen habe, die entsprechenden Daten sind mindestens ein halbes Jahrtausend alt. Dröge Lektüre, manchmal.«

»Mir scheint, du bist gut informiert. Der Roboter würde gewinnen. Aber erlaube mir eine Frage ... TARA-C? Habt ihr die Reihe wirklich bis zum hundertsten Modell weiterentwickelt?«

»Unsere Techniker haben neu angesetzt, vor einigen Jahrzehnten, mit einer symbolischen Typennummer. Seitdem mussten wir die Funktionalität kaum erweitern.« Sie hob die rechte Hand und strich beiläufig über die Augenbrauen. »Ein lästiges Hautleiden«, sagte sie, als sie seinen Blick bemerkte. »Es juckt.«

»Und deine Handbewegung gibt den Robotern nebenbei ein Signal?«, vermutete Rhodan.

»Du bist misstrauisch.«

»Du nicht?«

Nun reichte sie ihm die Hand. »Es ist gut, mit jemandem zu sprechen, der weiß, wie die Dinge laufen.«

»Ich habe geraten, was das Signal angeht.«

»Und dich dabei getäuscht. Es juckt wirklich. Vielleicht hätte ich ein solches Signal aber vereinbart, wenn ich mit einer nennenswerten Gefahr gerechnet hätte. Also komm mit, Perry Rhodan, begleite mich.«

»Solange du mich nicht in ein Café führst und ein hinhaltendes Plauderstündchen startest, bis jemand versucht, mich zu erschießen – gerne.«

»Ich habe gehört, was in der CISTOLO KHAN geschehen ist. Kommandant Hanko Lee war überaus verärgert, und es zieht großmaßstäbliche Befragungen in der Flotte nach sich. Die Attentäterin hat ihrer Gruppe mit der Kurzschlusshandlung keinen Gefallen getan.«

Sie verließen den Hangar. Ein Korridor schloss sich an, wie Rhodan ihn aus zahllosen Raumschiffen kannte. Nichts wirkte fremdartig. Die ORATIO ANDOLFI mochte in diesem Teil des Dyoversums gebaut worden sein, stammte aber trotzdem von Terranern und atmete eine heimatliche Atmosphäre.

»Die Angreiferin gehört zu den Vanothen«, sagte Rhodan nachdenklich, während sie sich dem Ausgang näherten. Die TARA-C-Roboter standen unbewegt. »Was hältst du von ihnen?«

»Ich schätze sie im Vergleich zu den Topsidern als die weitaus geringere Gefahr ein. Außerdem bin ich der Überzeugung, dass sie sich längst überholt haben.«

»So?«

»Die Vanothen hatten ihre Zeit und Berechtigung. Ihre Botschaft war klar und eindeutig: Wir dürfen unsere Ressourcen nicht darauf verschwenden, einen Weg in den anderen Teil des Zwillingsuniversums zu suchen, denn wir sind hier zu Hause. Heutzutage, nach mehreren Generationen, ist das weitgehend akzeptiert – obwohl einige noch immer den Weg zurück finden wollen. Allerdings eher aus akademischen Gründen, wenn du mich fragst. Wahrscheinlich radikalisieren sich gewisse Mitglieder der Vanothen deswegen – weil sie sonst keine Botschaft mehr verkünden können, die irgendwen bewegt. Nichts ist schlimmer für eine früher elektrisierende Gruppe als Langeweile. Und deine Ankunft, Rhodan, so leid es mir tut, wird diese Radikalisierung weiter vorantreiben.«

»Ich höre das nicht zum ersten Mal.«

»Es sollte kein Vorwurf sein.«

»Lass uns weiterhin offen reden, Kommandantin. Ich weiß das zu schätzen.«

Ghizlane Madouni führte ihn zu einem Antigravschacht. Rhodan erwartete, dass sie in den nach oben gepolten Teil treten würden, um Richtung Zentrale zu schweben. Doch es ging abwärts.

»Wohin führst du mich?«, fragte er.

»Sagte ich das nicht? Ich bringe dich direkt zu unserer bestbewachten Arrestzelle.«

 

 

Zwei Tage zuvor

 

Kommandantin Ghizlane Madouni wechselte einen Blick mit ihrem Sicherheitschef Torr Nishal. Dieser nickte ihr knapp zu, die Hand in der Tasche seiner Uniformjacke – und damit, wie sie wusste, am Griff seiner Waffe. Auch Ghizlane hielt sich bereit, sofort ihren Strahler zu ziehen.

Ihre Einsatzanzüge verliehen ihnen Sicherheit – sollte jemand auf sie feuern, würde sich gedankenschnell ein Schutzschirm aufbauen.

Die ORATIO ANDOLFI stand im stationären Orbit von Luna, zwei Kilometer über dem Ylatorium. Offiziell befand sich das Flaggschiff vor Ort, weil die Residentin Orfea Flaccu mit NATHAN konferierte. Es ging um die strittige Frage, ob das Mondgehirn eines seiner Kinder als ständigen Botschafter nach Terra ins Solare Haus entsenden sollte.

Die Realität sah anders aus: NATHAN hatte einen Hinweis auf mögliche Umtriebe der Topsider in der ehemaligen Onryonenstadt Iacalla gegeben und eine Untersuchung nahegelegt. Wie alles, was mit dem Echsenvolk in Zusammenhang stand, hatte das sofort hektische Aktivität aufseiten des Geheimdienstes ausgelöst.

Darum war eigentlich der Terranische Liga-Dienst auf Luna im Einsatz – in Form eines achtköpfigen Teams, das in Iacalla nach dem Rechten sah.

Ghizlane Madouni und Torr Nishal galten nur als Begleiter. Und das auch nur dank des unschlagbaren Arguments Wir sind ohnehin vor Ort, und weil wir auf dem Flaggschiff schon mehr als einmal Ärger mit den Topsidern hatten, haben wir noch eine Rechnung zu begleichen. Sie waren von den TLD-Agenten getrennt in den Weiten der Geisterstadt unterwegs und offenbar als Erste auf eine vielversprechende Spur gestoßen – zumindest gab es von niemandem eine anderslautende Nachricht.

Torr Nishal hob die linke Hand, zeigte drei Finger, dann zwei, einen – los!

Er riss die Tür auf, die in den ehemaligen Wohnbereich des leer stehenden Gebäudes führte. Mit einem Sprung war er drin. Ghizlane folgte vorsichtig und sicherte ihn, bereit, sofort zu schießen.

Nichts.

Es blieb still, ruhig, bewegungslos.

Aber wieso kam es ihr so vor, als ob etwas nicht stimmte?

Niemand hielt sich im Raum auf, abgesehen von einigen Anuupi – diese quallenartigen Tiere schwebten unter der Decke und verbreiteten ihr Leuchten, das den Onryonen so gefiel, dass sie es jeder technischen Lichtquelle vorzogen. Doch Onryonen waren keine zu sehen, und so genossen nur die beiden Eindringlinge die sanfte Helligkeit in dem Zimmer; vor dem einzigen Fenster war ein blick- und lichtdichter Vorhang zugezogen.

In ganz Iacalla gab es nach wie vor Tausende Anuupi-Schwärme, aber nicht mehr genug Hüter, die sich um sie kümmerten. Dass die Leuchttiere nicht nur überlebt, sondern sich offenbar angepasst hatten, verlieh der Geisterstadt eine unwirkliche Atmosphäre ... als gäbe es tatsächlich Gespenster, gelb-grün leuchtende Spukwesen, Erinnerungen an die einstigen Bewohner.

Es gab nur wenige Onryonen, und mit jeder Generation verringerte sich ihre Zahl weiter. Iacalla war ihre Stadt gewesen, ein pulsierendes Zentrum, das vor allem im Zeichen der Linearraumforschung stand, jedenfalls bis es zur Versetzung von Erde und Mond in diesen Teil des Dyoversums gekommen war.

Das CEE, das Change-Everything-Event, hatte das Leben der Onryonen weitaus stärker verändert als das der sonstigen Bewohner Terras und Lunas. Als fühlten sie sich in diesem Gefilde nicht wohl, als könnten sie in dieser neuen Heimat nicht überleben, hatten die meisten in einer willentlichen Entscheidung beschlossen, sich nicht weiter fortzupflanzen. Aktuell gab es nur 53 bekannte Onryonen auf Terra und Luna – und damit im gesamten zugänglichen Universum.

Ghizlane und ihr Sicherheitschef überprüften den Raum – tatsächlich hielt sich niemand darin auf, auch nicht in dem einzig möglichen Versteck, einem wuchtigen Schrank, in dem sich etliche Decken stapelten.

Ansonsten stand nur ein Tisch im Zimmer, darauf lag die hölzerne Figur eines Onryonen, etwa handspannengroß. Ghizlane erinnerte sich seltsamerweise daran, wie diese kleinen Statuen bezeichnet wurden – Pyzhurg –, wusste aber nicht mehr, wozu sie diesem Volk dienten. Geschichte war nie ihre Leidenschaft gewesen, sie kümmerte sich lieber um Themen und Probleme der Gegenwart.

Wie die Topsider.

Nur dass die Spur, die ihnen so vielversprechend vorgekommen war, in einen leer stehenden Raum führte.

Trotzdem blieb dieses ungute Gefühl, dass etwas nicht stimmte.

Torr Nishal deutete zur Decke. »Erstaunlich, dass diese Viecher hier drin überlebt haben. Sie kommen zwar ohne feste Nahrung aus, können sich lange von Bakterien und Viren ernähren ...«

»Aber sie brauchen hin und wieder Lichtzufuhr von außen«, fiel Ghizlane ihm ins Wort. Das hatte sie im vorbereitenden Infogespräch des TLD für das Einsatzteam erfahren. »Bei geschlossener Tür und zugezogenem Fenster wären die Anuupi binnen kurzer Zeit gestorben. Dieser Bereich steht seit Jahrzehnten leer. Also war jemand hier.«

Sie ging zum Vorhang und riss ihn auf.

Die Scheibe war nach oben geschoben. Draußen war es völlig windstill – wie immer unter Iacallas Energiekuppel, die die Atemluft in der Stadt hielt.

»Vielleicht haben die Echsen unsere Annäherung bemerkt und sind geflohen«, sagte sie.

Torr tippte auf dem Multifunktionsarmband seines Einsatzanzuges herum. Er fluchte vor sich hin.

»Es ist nicht lange her – es gibt eine Restwärmesignatur.« Er eilte zu Ghizlane. »Nur eine Signatur! Sie ist hier raus, mit einem Fluganzug oder sogar gesprungen. Es geht nur knapp drei Meter abwärts. Los!« Er schwang sich aus dem Fenster, schwebte nach unten.

Die Kommandantin folgte.

Es gab tausend Möglichkeiten, in den leer stehenden Gebäuden der Geisterstadt unterzutauchen.

Zehntausend Verstecke.

Aber offensichtlich hatte sich der Topsider zu sicher gefühlt und nicht damit gerechnet, dass man ihn in Iacalla suchen könnte. Oder wohl eher sie – unwahrscheinlich, dass es sich um einen Mann handelte. Alle wichtigen Funktionen im Sternengelege der Topsider waren von Frauen besetzt.

Vielleicht unterhielt das Nest – ihr Geheimdienst – bereits seit Jahren oder gar Jahrzehnten in Iacalla einen geheimen Stützpunkt, ehe NATHAN nun endlich auf ihre Aktivitäten aufmerksam geworden war.

Torr Nishal konnte der Wärmesignatur weiter folgen. Er führte die Kommandantin durch eine schmale Straße, an einer Skulptur vorbei, die Ghizlane alles andere als schön oder künstlerisch vorkam, sondern sie an einen verkrüppelten, kahlen Busch aus glänzendem Metall erinnerte.

Als sie die Skulptur passierten, bewegte sich das Gestänge.

Ghizlane fuhr herum, den Multifunktionsstrahler erhoben.

Nichts.

Kein Angreifer.

Hatte sie sich die Bewegung nur eingebildet? Sie ging ein paar Schritte zurück und bemerkte den kleinen roten Strahl, der an ihrem Bein entlangtastete, woraufhin sich die Skulptur erneut verschob.

Nun, da sie es genauer betrachtete, wirkte es, als würde der Wind den Metallbusch ein wenig vor sich hertreiben. Offenbar bildete die durch den Sensor ausgelöste Veränderung der Position einen Teil dieses Kunstwerks, dessen Bedeutung sich Ghizlane dadurch freilich nicht besser erschloss; ein Mechanismus, der auch nach Jahrzehnten in der Geisterstadt noch funktionierte.

Manches in Iacalla – die Anuupi etwa oder diese absonderliche Skulptur – scherte sich offensichtlich nicht darum, ob es Bewohner gab. Nur ein einziges Gebäude am Stadtrand, das ehemalige Besucherzentrum an der Hauptschleuse des Energieschirms, war nach wie vor bewohnt – von zweiundfünfzig der derzeit bekannten 53 Onryonen.