Text © Jan Corvin Schneyder, 2019

Cover & Umschlaggestaltung: Jaqueline Kropmanns

Lektorat/Korrektorat: Sandra Florean

Satz/Layout: Phantasmal Image

Coverfoto: © depositphoto

Innengrafiken: © shutterstock

eBook: Grittany Design

ISBN: 978-3-96443-747-1

© GedankenReich Verlag, 2019
Alle Rechte vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

One-Two hatte kurzzeitig sein Sentimento-Relay aktiviert, um vielleicht durch Intuition auf die Spur des Täters zu gelangen, und erlebte mit großem Interesse ebenfalls das Gefühl überschäumender Wut. Ich empfahl ihm, das Ding wieder auszuschalten.

Wir flogen mit lahmem Skip-Antrieb durch Execianisches Gebiet, mitten im Krieg, und waren sabotiert worden. Die Psygon war verschwunden. Klischeefrage: Konnte es eigentlich noch schlimmer kommen? Sollte man nicht fragen. Sollte man wirklich besser nicht fragen …

Ich beriet mich gerade mit One-Two, als Geyla uns energisch unterbrach: »Patronus, ein nicht autorisiertes DarkSpace-Signal wurde von der Atlantis versendet!«

»Inhalt?«, fragte ich.

Geyla zog die Stirn in Falten und kontrollierte ihre Anzeigen erneut, dann sah sie auf. »Ein Notruf ans Prismonium!«

Man sollte wirklich nicht fragen. Es wurde schlimmer.

»Er ist fleißig und geschickt«, gab ich zu.

Ich hasste den Täter dafür. Dabei wollte ich eigentlich gar nicht mehr hassen.

»Von wo kam das Signal?«, fragte One-Two.

»Deck Zehn. Ein umgewandeltes Gramma-Raum-Signal.«

Er, sie oder es war verdammt gut. Das Umwandeln einer Gramma-Raum-Steuereinheit in einen DarkSpace-Sender war genial. Hätte ich nicht hinbekommen. Mir ging der Technikkram zunehmend auf die Nerven. Nun kam die Stunde des Sicherheitschefs.

»Holen Sie sich den Täter, Tyka! Setzen Sie alle nötigen Mittel ein!«, befahl One-Two.

Hatte er den Sentimento-Relay nun aktiviert oder nicht? Er war manchmal mehr Mensch, als er selbst wusste.

Geyla nahm mich und Shiral mit. Ich streichelte geradezu liebevoll den Searer an meiner Hüfte.

Nimm deine Knarre, Alter, und baller sie weg!

Verwerfliche, süße Rachsucht brannte in mir.

Der Quicklevator rauschte nach unten.

Grauer Stoff auf der Haut und innere Unendlichkeit. Ruhelosigkeit, tief verwurzelte Körperhitze und Schweiß. Klebend, drückend, erstickend bei jedem Schritt. In der Hand massives Material, und doch ist alles so zierlich.

Ein Druck nur, eine zwiebelnde Berührung der Fläche, und schon hätte es an den Lebenslinien meiner Hand sanft und warm vibriert. Sanft, warm und tödlich.

Dieses Gefühl, wenn dir unter deinem Willen, unter deiner Hand ein Strahl aus der Hand schießt, als wärst du übermenschlich, dieser Moment ist pure Macht und unendliche Furcht zugleich.

Obwohl der Moment so kurz ist, siehst du ihn doch genau entstehen, pulsieren und hervorschnellen, diesen tödlichen Strahl. Alles verlangsamt sich. Du spürst jeden Gegenstand, den er trifft, pulverisiert oder durchstößt. Du siehst hin, und für einen Moment steht alles still.

Energie bekämpft Materie.

Ein Searer ist sanft und doch brutal. Wie leicht verdrängte man diese Gefühle vom Schießstand der Squadronica-Training-Fortress, vom ersten Kontakt mit jener tödlichen Waffe? Der Geruch eines verbrannten Zielobjekts trieb mir durch die Nase. Ehrfurcht und Abscheu sollte man haben, doch im Einsatz pendelte es sich ein. Ganz alltäglich wurde der Gebrauch.

Eine Fingerbewegung nur, und meine Liebe wäre tot.

Ich müsste die neben mir laufende Geyla, die ganz sicher an etwas anderes dachte als ich, nur erschießen, und schon wäre alles anders, alles neu und doch auch alles vorbei. Ich fühlte keine Kraft, die mich glauben ließ, ich könne ihren Tod verwinden. War ich an ihr Schicksal gebunden? Nicht mystisch, nicht religiös vielleicht, aber es war meine Psyche, die mir riet, gut auf sie aufzupassen – um meiner Selbst Willen. Dabei konnte ich das gar nicht.

Shiral hatte den Tod in ihren Augen, aber es war nicht der ihre. Eiseskälte enthüllte den uralten Stolz und die kennzeichnende Unerbittlichkeit ihrer Ahnen. Auf der nebelgrünen Welt der Greechers war das Licht nicht so hell wie auf der Erde.

Hier im Weltall stand allen Entwurzelten das gleiche Licht zur Verfügung.

Geyla ließ es blass erscheinen. Der Puder in ihrem Gesicht wurde vom Schweiß verwaschen. Talia Shiral ließ es glänzen. Ihr Schweiß betonte die Sanftheit ihrer Züge, die von einer unerklärlichen Tiefe durchzogen waren. Sie wirkte wie Heilige und Kriegerin zugleich. Ihre Brust bebte nicht, während wir voranschritten. Sie schien steinhart zu sein, und ihre Lippen zeigten eine gerade Linie, verharrten in Stille und Einschüchterung. Ich fand sie attraktiv und über alle Maßen erotisch.

Geyla schien meine Gedanken zu erahnen. Zumindest ließ ihr tadelnder, kühler Blick das vermuten. Meine Affäre mit Noona Striker hatte sie akzeptiert, und sie würde andere Affären akzeptieren, solange sie meine klare Nummer Eins war. Sie würde auch eigene Affären haben. Nibböäinnen sahen Beziehungsdinge anders als Menschen.

Ein unbestimmtes Gefühl sagte mir jedoch, dass sie Shiral nicht akzeptieren würde. Ich konnte mir keinen Reim darauf machen. Aber das war vielleicht auch nicht verwunderlich. Wer von Waffen direkt zu Sex umdenkt, kann ja auch nicht ganz dicht sein.

Bald erreichten wir die zweckentfremdete Apparatur auf Deck Zehn. Wie erwartet fanden sich keine Spuren.

»Du bist Sicherheitschef, Darling. Was machen wir jetzt?«, fragte ich Geyla.

Shiral sah mich verständnislos an. Hatte sie noch nicht gewusst, dass Geyla und ich ein Paar waren? Es konnte ihr ja auch egal sein.

Geyla aktivierte die Schaltfläche des Gramma-Raum-Terminals. »Calculator, wer hatte zuletzt Zugriff auf diesen Gramma-Raum?«

»Diese Information ist nicht verfügbar«, lautete die humorlose Antwort des Calculators.

»Wie bitte?«, ereiferte sich Geyla. »Seit wann ist hier irgendwas gesperrt, wenn es nicht gerade vom Stalord und seiner Autorisation kommt? Der Saboteur muss ein Mega-Hacker sein. Ein Calculatorspezialist.«

Calculatorspezialist. Dieses Wort habe ich doch neulich noch irgendwo gelesen. Was habe ich überhaupt gelesen?

»Schnell, sagt mir, was ich gelesen habe!«, bat ich meine Begleiterinnen, die sich fragend anblickten. Da keine Antwort kam, wiederholte ich: »Ich hab was über einen Calculatorspezialisten gelesen. Heute. Was kann das gewesen sein?«

»Möglicherweise ein Lehrbuch?«, fragte Shiral und zeigte eine Art Lächeln.

Schwer auszumachen, ob das Humor war. Ich kannte mich mit Greechers nicht aus.

»Ja, oder ein Magazin beim Schiffsfriseur?«, ergänzte Geyla und grinste.

»Sind Sie eigentlich übergeschnappt?«, schrie ich verärgert. »Ich meine es ernst! Also?«

»Tut mir leid, ich schätze keine von uns war dabei, als du etwas …«, begann Geyla. »Medi-Trakt!«

»Konidis!«

Gerade wollte ich meinen Smart-Com betätigen, da fasste Shiral mir energisch an den Arm. Eine Aktion, die mich überraschte.

»Nur weil sie vielleicht eine Abneigung gegen wen auch immer haben – der Crew sagt man ja gar nicht, wer da an Bord generiert worden ist – ist die Tatsache, dass er sich gut mit Calculatoren auskennt, kein Beweis für seine Schuld, Patronus! Viele an Bord könnten …«

»Mal ganz abgesehen von Ihrem übermotivierten Auftreten …« Ich befreite mich ruckartig aus ihrem Griff und sah ihr aggressiv in die wunderschönen Augen, die je nach Lichteinfall mal grün, mal braun schimmerten. In diesem Moment war es das Smaragdgrün einer mystischen Sonne. »… Ihrer unangebrachten Neugier und … was auch immer … kann diese komplizierte Programmierung nur von sehr wenigen Personen an Bord dieses Schiffes durchgeführt worden sein. Die Verdächtigste von ihnen ist der von mir erwähnte Mann.«

Es knisterte in diesen Zentimetern zwischen ihrem Gesicht und meinem. Irgendetwas an ihr machte mich wohltuend aggressiv. Es machte regelrecht Spaß, sich aufzuregen.

»Haben Sie ein Problem miteinander? Nicht? Fein! Dann könnten wir vielleicht wieder zur Sache finden«, ging Geyla dazwischen.

Ich beendete den Blickkontakt zu Talia Shiral nicht, auch wenn ich mich zwei Meter von ihr entfernte. Sie zog einen Schmollmund, der ganz plötzlich zu einem dezenten Lächeln wechselte. Dann erst sah sie weg. Ich atmete tief aus und wischte mir Schweiß von der Stirn.

»Schon gut. Es tut mir leid, Dewie! Sie hatten recht mit Ihrem Einwand.«

»Alright, Patronus!«, lautete die knappe Antwort in einem Tonfall, der gleichzeitig Triumph und Entschuldigung signalisierte.

Geyla, die von dem Knistern zum Glück nicht viel bemerkt hatte, übernahm wieder die Initiative. »Statten wir zuerst dem Technik-Trakt und dann Konidis einen Besuch ab. Mal sehen, ob er sich verrät. Meldung machen können wir, sobald wir Beweise haben.«

Ich hörte auf meine Sicherheitschefin und folgte ihr. Unterwegs wanderte mein Blick aber immer wieder zu Shiral hinüber.

Der Technik-Trakt wirkte deutlich aufgeräumter, als ich es erwartet hatte. Trümmerteile waren beiseite geschafft worden, und nur Brandflecken und verschmorte Kunststoffelemente an allen Ecken und Enden erinnerten an den folgenschweren Vorfall.

Stalev Nicza hatte anscheinend wieder alles im Griff. Seine leuchtend grünen Augenimplantate funkelten energisch, während er die Mechaniker wie ein Orchester dirigierte. Als er uns entdeckte, marschierte er auf mich zu und machte knapp Meldung.

»Wir hofften eigentlich, hier irgendwelche Hinweise auf den Saboteur zu finden«, erklärte Geyla.

Nicza schüttelte entschuldigend den Kopf. »Unsere Aufgabe ist es, den Antrieb wieder in Gang zu bringen. Auf Spurensicherung konnten wir da keine Rücksicht nehmen. Aber glauben Sie mir, ich habe mir das alles ganz genau angesehen. Der Sprengsatz ist reingeneriert worden, und das war´s. Ja, so war´s. Also können Sie auch nichts mehr von dem Täter finden. Der war nicht hier. Ich geh dann mal wieder an die Arbeit. Patronus!«

Dieser Mann duldete keinen Widerspruch in seinem Trakt. Inzwischen mochte ich seine raue Art.

Shiral schien einmal mehr irritiert zu sein. »Er scheint Ihre Autorität nicht zu akzeptieren, Stadux«, meinte sie mit spitzer Zunge.

Ich winkte ab. »Manche Menschen sind so, Dewie. Er ist ein guter Offizier. Lassen Sie ihn sein, wie er ist.«

»Wie auch immer«, sagte Geyla. »Weitergebracht hat uns das nicht.«

Es war dumm gewesen zu glauben, es ließe sich dort noch etwas finden. »Weiter zum Hauptverdächtigen, dem wir sowieso nichts beweisen können«, knurrte ich.

Konidis schien ehrlich überrascht von unserem Besuch und bat uns, Platz zu nehmen.

»Leider müssen wir auch Sie in den Kreis der Verdächtigen aufnehmen, Stadux«, sagte Geyla diplomatisch, nachdem sie kurz berichtet hatte, was im Technik-Trakt vorgefallen war.

Shiral saß reserviert da. Ich sah zu ihr hinüber. Ihr Blick kitzelte mich.

»Ich verstehe, dass Sie mir misstrauen, aber ich war in meinem Quartier und habe geschlafen. Ich hatte es nötig. Als dann diese Explosion kam, dachte ich, das Prismonium wäre hier«, sagte Konidis ruhig.

Ich ärgerte mich, ihn vorverurteilt zu haben.

»Calculator, wo befand sich Stalev Stadux Mark Konidis zur Zeit des Zwischenfalls im Technik-Trakt?«, fragte Geyla.

»Stalev Stadux Konidis befand sich in seinem Quartier.«

Geyla atmete enttäuscht aus. »Entschuldigen Sie die Störung, Stadux.«

»Es war Ihre Pflicht, Fragen zu stellen«, sagte er und begleitete uns zur Tür.

Wir standen in der geöffneten Tür seines Quartiers, als One-Twos Stimme erklang: »Führungsoffiziere auf die B-i-C! Prismoniumflotte auf Abfangkurs.«

»Entschuldigen Sie uns«, sagte Geyla zu Konidis und sprintete los.

»Das ging aber schnell«, hörte ich Konidis noch sagen, ehe ich ihr folgte.

Auf den ersten Metern blieb mir der Sinn dieser Worte verborgen. Shiral überholte mich im Korridor, als ich langsamer wurde. Ich musste langsamer werden, um klarer denken zu können. Plötzlich wurde mir klar, was er da gesagt hatte. Ich griff nach meinem Searer.

»He, kommt zurück! Na, macht schon!«

Shiral und Geyla kamen zurück. Geyla war außer Atem und auch sonst extrem erregt. »Was willst du? Hast du nicht gehört …?«

»Konidis kann vom Notruf des Saboteurs ans Prismonium nichts gewusst haben. Wir haben ihn nicht erwähnt, nur die Explosion.«

Shiral zog umgehend ihren Searer. »Dann ist er es.«

Ich betätigte meinen Smart-Com. »Prime Dux One-Two, Konidis ist der Saboteur. Wir werden versuchen, ihn festzusetzen.«

»Beeilen Sie sich!«, kam die knappe Antwort.

Kurz kam ein zweifelnder Anflug in mir auf. Die Worte »das ging aber schnell« könnten sich auch auf unsere kurze Befragung bezogen haben.

Ich eilte auf die Tür seines Quartiers zu, doch sie öffnete sich nicht.

»Stadux, könnten wir Sie wohl noch einmal kurz sprechen?«, fragte ich verkrampft freundlich.

Einige Augenblicke lang geschah nichts. Wieder zweifelte ich.

»Eher nicht!«, brüllte er plötzlich.

Im nächsten Augenblick hörte ich das Ladegeräusch eines Searers. Er stellte ihn auf die höchste Intensität.

»Runter!«, schrie ich.

Dann explodierte die Tür. Teils wurde sie pulverisiert, dennoch flogen einige Trümmer in den Korridor. Die meisten über mich hinweg, einige aber landeten auf mir. Sie waren nicht schwer, aber heiß. Eines brannte sich mir in die rechte Wade. Ich fluchte und hob den Searer nach oben.

»Feuer!«, schrie Geyla, die ich robbend neben mir wahrnahm.

Wo war Shiral? Als ich gerade geschossen und dabei nur ein Stück Decke innerhalb des Quartiers verkohlt hatte, hörte ich Konidis erneut, diesmal klang er eher verzweifelt.

»Verfickte greecherianische Hure!«

Shiral war schon in seinem Quartier? Ich robbte weiter, einen halben Meter in den Raum hinein, und hielt den Searer im Anschlag. Geyla stand schon wieder und sah ebenso verblüfft wie ich dabei zu, wie Shiral Konidis verprügelte.

Mit einer mir fremden Kampfsporttechnik versetzte sie ihm Tritte und Schläge in unglaublich rasanter Abfolge. Blut rann aus seiner Nase und seinem Mund. Shiral gab dabei keinen Ton von sich. Konidis ging schließlich kraftlos zu Boden.

»Grünblütige Schlange! Dein Volk wird genauso unterworfen wie der Rest dieser schwächlichen Galaxis!«

Sie versetzte ihm einen Tritt in den Magen und setzte sich auf ihn, um ihn weiter mit Schlägen einzudecken.

Mit Geylas Hilfe gelang es mir aufzustehen, auch wenn das rechte Bein schmerzte und taub wurde. Ich fühlte mich unfähig, einzugreifen. Gerade, als ich sagen wollte, dass es nun gut sei, und wir Konidis in eine Zelle bringen könnten, zückte er einen Dolch, den er in seinem Stiefel verborgen gehabt hatte, und rammte ihn Shiral ins linke Knie. Sie stöhnte, kippte mit schmerzverzerrtem Gesicht zur Seite und griff nach dem Dolch. Die Spitze der Klinge war hinten aus ihrer Kniekehle wieder ausgetreten. Shiral weinte vor Schmerzen.

Wie ein tollwütiger Berserker warf sich der wieder zu Atem gekommene Konidis auf sie und begann, sie zu würgen.

»Stirb, Schlampe! Stirb!«, schrie er, als Shirals Röcheln eine panische Sequenz annahm und sie die Augen verdrehte.

Geyla stürzte los, doch Konidis beförderte sie mit einem gezielten Tritt zu Boden. Ich stolperte vorwärts und griff erneut nach meinem Searer. Ich hörte Shirals gurgelndes Schluchzen und sah ihren zuckenden Körper. Mein Searer summte. Ich hatte ihn auf Töten gestellt. Wäre Konidis nur betäubt worden, und hätte diese Betäubung nicht ausgereicht, hätte das Shirals Tod bedeuten können. Ich hatte keine Lust, Gefangene zu machen!

Konidis saß auf Shiral, und mein Schuss traf ihn seitlich in die Brust. Er stöhnte kaum hörbar, sah mich an, begann zu lachen, lockerte seinen Griff aber nicht. Als ich gerade in Erwägung zog, Konidis wäre kein Mensch sondern doch ein Morpher, sank er seitlich von Shiral herunter, zuckte noch kurz und war dann tot.

Endlich tot! Du bist mir scheißegal!

Shiral wand sich auf dem Boden und rang nach Luft. Ihr Kehlkopf schien sehr weit eingedrückt worden zu sein. Sie reckte einen Arm in meine Richtung, konnte sich aber nicht auf mich zu bewegen. Ich robbte zu ihr.

Geyla stand am Kom-Terminal und sprach mit jemandem. Sekunden später löste sich die Umgebung des dunklen Quartiers um mich herum auf, bunte Partikel umschwebten mich, und ein leichtes Schwindelgefühl setzte ein. Dann, als sich dieses Gefühl legte, war ich bereits auf den Medi-Trakt ferngeneriert worden.

Ich versuchte mich aufzusetzen, aber es gelang nicht. Ich rief Geyla, und als sie zu mir kam, erkannte ich Erschütterung in ihrem schönen Gesicht. An Momente wie diese gewöhnte man sich nie.

»Wie geht´s Talia?«, fragte ich.

»Alles in Ordnung. Doktor Maruk hat den Kehlkopf in die richtige Position gerückt und sie beatmet. Nur wegen des Knies wird sie noch hier bleiben müssen.«

Ich sah mich um und erblickte die Liege, auf der an Talia Shiral herumgedoktert wurde. Sie schwieg, schien den Schmerz im Knie aus ihrem Bewusstsein verdrängen zu können. Ich hatte keine Schmerzen, konnte mich nur nicht vernünftig bewegen, was mir gehörig auf die Nerven ging. Plötzlich rumste es, und das Licht des Medi-Trakts flackerte. Analyzer, Injektoren und sonstige Kleingegenstände purzelten über den Fußboden.

»What the fucking hell …?«, fragte ich.

»Ich tippe auf das fucking Prismonium, um in deiner Sprache zu bleiben.« Geyla knirschte mit den Zähnen. »Ich muss jetzt zur B-i-C.«

»He, und ich?«, rief ich. »Doktor, geben Sie mir … ach, die hört ja eh nicht zu. Schatz, würdest du mir bitte schnell die Infusion mit diesem Anti-Betäubungszeug für Searertreffer geben?« Ich war der Meinung, dass es gegen Verbrennungen ebenso wirken musste.

Geyla riss die Augen auf. »Aber … «

»Das ist ein Befehl, Stalev!« Wie ich es hasste, meine Beziehung zu militarisieren!

Geyla tat wie befohlen. Mit einem brennenden Prickeln in den Beinen humpelte ich so schnell es ging vom Medi-Trakt fort. Bevor sich die Tür hinter mir schloss, sah ich noch den protestierenden Gesichtsausdruck Doktor Maruks, die sich wohl gerade um mich hatte kümmern wollen. Geyla und ich erreichten den Quicklevator.

»Bridge-in-Command!«, sagte sie, und er rauschte los. Auf halber Fahrt gab es eine erneute Erschütterung, woraufhin der Lift abrupt stecken blieb.

»Shit!«, fluchte ich, dann ging die Fahrt unvermittelt weiter. »Fuck!«

Geyla hob tadelnd eine Augenbraue. »Das wird ja immer intensiver bei dir.«

»Du hast ja keine Ahnung, was ich noch alles sagen könnte«, knurrte ich zurück.

Sekunden später betraten wir die B-i-C. An meiner verschmorten und zerfetzten Uniformhose erkannte One-Two den Grund für mein Humpeln. Bei der nächsten Erschütterung ging ich zu Boden. Irgendwie schaffte ich es dann aber doch noch bis zu meinem Sessel. Ich ließ mich gerade darauf nieder, als Stalev Nicza meldete, der Jump-Antrieb sei wieder online. Ein schneller Blick auf meine Konsole verdeutlichte mir, dass es dafür auch höchste Zeit wurde. Einige Prismoniumschiffe umkreisten die Atlantis und beschossen vorwiegend die Flat-Sektion.

»Jump Acht in Richtung Anomalie!«, befahl One-Two.

Flink führte den Befehl aus.

»Sie folgen uns und werden uns in wenigen Minuten eingeholt haben«, meldete ich.

»Was ist mit Konidis?«, fragte One-Two.

»Tot, Patronus«, sagte ich.

»War das nötig?«

»Sehr dringend nötig sogar«, sagte ich grimmig.

Er schien das zu akzeptieren. »Sonstige Verluste?«

»Dewie Shiral ist verletzt und wird behandelt.«

»Und Sie?«

»Es geht schon.«

Er kam nach vorn und musterte mich. Dann zückte er einen medizinischen Analyzer, der ihm zweifellos zeigte, dass ich schrecklich übermüdet war und außerdem an einem Verbrennungstrauma litt.

Ich sah zu ihm auf. »Es geht schon. Wirklich!«

Seine Augen zeigten Strenge, Kritik und Sorge – meinte ich zumindest zu erkennen – und dann etwas anderes. Bevor ich ergründen konnte, was es war, nickte One-Two und ging wieder nach hinten. Anscheinend hielt er mich für noch einsatzfähig. Außerdem zeigte er Verständnis für meinen Rang und meine Motivation, jetzt nicht schlafen zu wollen. Ich war ihm dankbar dafür. Solange Stalord Woyer noch nicht wieder auf dem Damm war, machte unser Humanbot das mit dem Kommando wirklich gut. Ich sah zu Flink.

»Glückwunsch!«, sagte er nüchtern.

Ich wusste nicht recht, was er damit meinte.

»Wir nähern uns der Anomalie, Patronus!«, meldete ich. Meine Finger beherrschten den Terminal-Tango noch. »Es ist, wie wir vermutet haben. Eine Subraumspalte enormer Größe. Vermutlich ein Tor zu unseren alten Freunden.«

»Wenn wir auf der Flucht vor dem Prismonium dort hineinfliegen, kopieren wir exakt die Aktionen der Psygon«, warnte Vanessa Woodman.

»Was haben wir für eine Wahl, Stalev?«, fragte One-Two.

Ich nickte, Woodi sagte nichts.

Wir konnten entweder hier in unserem Universum ganz sicher vernichtet werden, oder die letzte Fluchtmöglichkeit nutzen. Diese Entscheidung war letztlich einfach.

»Wir fliegen hinein. Anomalie auf den Main Screen! Zeitpunkt des Eintritts?«

»Drei Minuten«, antwortete ich.

»Die Prismoniumschiffe holen uns in circa zwei Minuten ein«, sagte Woodi.

»Wir müssen trotz Beschuss den Jumptransit aufrechterhalten«, sagte One-Two.

Vor uns öffnete sich mitten im schwarzen Raum ein riesiger Riss, dessen Ränder weiß pulsierten. Energie schien in ihn hineinzufließen, doch in der Öffnung sah man nur eine silbrig-spiegelnde Fläche. Wie Quecksilber waberte sie, aber wir spiegelten uns nicht darin. Sie spiegelte nur den Raum, nicht uns und auch nicht die Prismoniumschiffe, was physikalisch unsinnig war. Allein das zeigte, dass wir gleich die Kontrolle gänzlich aus der Hand geben würden. Was, wenn dieser Riss nirgendwohin führte?

Bald würden wir es wissen.

Das Ding wurde immer größer. Der Screen zeigte bald nur noch das silbrige Zentrum. Der Spiegelriss sah uns nicht, zeigte uns nicht, interessierte sich nicht für uns. Ich sah auf meine Anzeigen. Die Prismoniumschiffe wurden nicht langsamer. Sie pumpten extrem viel Energie in ihre Waffensysteme, aber noch waren wir zu weit entfernt.

»Sie feuern!«, sagte Geyla.

Eine pulsierende Energieanzeige verließ das führende Prismoniumschiff. Ich verfolgte den Flugweg des Geschosses. Ein Augenblick der Besorgnis wich rasch einer trügerischen Sicherheit.

»Der Vektor stimmt nicht«, bemerkte auch Vanessa Woodman mit leicht quietschiger Stimme.

Er würde uns verfehlen, das war klar. Er? Das Objekt war nun sehr nah und es sah absolut nicht mehr wie ein Torpedo aus.

One-Two schien sich ähnliche Gedanken zu machen. »Das ist doch kein Geschoss. Stalev, was ist es?«

Geylas Finger flogen über ihre Schaltflächen. »Sieht nicht so aus, Patronus. Ich kann keinen Sprengkopf orten. Aber es gibt da außerordentlich starke Energiefluktuationen, die …«

… die noch ansteigen!

Dann sah ich es. Das Objekt war an uns vorbeigeflogen, leicht Steuerbord, hatte uns hinter sich gelassen und stoppte abrupt im Zentrum der Anomalie. Augenblicklich blitzte es grünlich auf, und ein kreisrunder Energiefluss von circa einem Kilometer Durchmesser schloss sich zu einem Ring. Von den Rändern des Rings floss grellgelbe Energie nach innen und vereinte sich im Zentrum zu einer Energieansammlung, die sich ihrerseits nach kurzem Verharren geschlossen zu den Rändern hin zu einer einheitlichen Oberfläche komplettierte. Wir schossen weiterhin darauf zu. Das Ding sendete unidentifizierbare Signale aus.

»Wissen wir, was das ist?«, fragte One-Two seelenruhig. Als niemand antwortete, schrie er: »Ausweichmanöver!«

Flink ließ die Finger fliegen und schwitzte. Der Screen zeigte eine Verschiebung des Schiffes nach links. Eine ruckartige zwar, doch noch immer erfüllte das irre grellgelbe Leuchten den Großteil unseres Blickfeldes.

»Hilfstriebwerke und Manövriertriebwerke aktivieren, Stalev!«, befahl One-Two.

Im nächsten Augenblick war jedoch wieder beinahe ausschließlich die silberspiegelnde Fläche zu sehen. Entsetztes Luftholen erfüllte die B-i-C. Der Silberspiegel klebte wie eine Taucherbrille an der Flat-Sektion der Atlantis.

Wir können nicht mehr ausweichen. Warum feuern die Prismoniumschiffe nicht auf uns? Sie sind nah genug dran!

»Die Prismoniumschiffe fliegen in das künstliche Kraftfeld, Patronus!«, meldete Geyla.

»Sie sind darin verschwunden!«, fügte Vanessa hinzu.

»So wie wir jetzt in dem natürlichen Feld verschwinden«, hörte ich Flink neben mir sagen.

»Festhalten!«, rief One-Two.

Die Flat-Sektion der Atlantis wurde von pulsierender Energie umschlungen. Das Schiff bebte nicht, es summte. Etwas kribbelte in mir. Es war wie ein sanfter Stromschlag. Der Moment war totenstill und ging sehr schnell vorüber.

Wir rauschten in voller Fahrt gegen etwas, das eine Wand hätte sein können, doch es war keine. Wie der Wind hatten wir einen seidenen Vorhang gelüftet und waren darunter hindurch geschlüpft. Ich sah keine Energie mehr, kein Leuchten oder Pulsieren, nur ganz durchschnittlichen Weltraum.

Ich hörte mich atmen und zuckte erschrocken zusammen, als One-Two energisch vollen Stopp befahl. Es war keine Anomalie mehr auszumachen, weder vor noch hinter uns, und es gab keine offensichtlichen Schäden am Schiff.

Die Prismoniumschiffe waren ebenfalls nicht in unserer Nähe. Nichts und niemand war in der Nähe, doch wir alle fühlten es. Ich sah unser aller Frage in Flinks Augen.

Wo sind wir?

»Bestimmen Sie unsere Position!«, verlangte One-Two.

Flink schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Anhaltspunkte. Es befinden sich keine bekannten Sternensysteme in der Nähe. Auch nicht in der Ferne übrigens. Da draußen ist mir alles fremd – dem Navigations-Calculator ebenso.«

»Dann sind wir tatsächlich in einem anderen Universum gelandet«, sagte ich. »Hoffentlich wenigstens im gleichen wie die Psygon.«

One-Two nickte. »Kurs auf das nächste Sonnensystem setzen und beschleunigen. Lassen Sie von jetzt an ein leeres Koordinatenprogramm mitlaufen und zeichnen Sie fortwährend auf. Auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass uns das viel bringen wird. Signalboje an unserem Eintrittspunkt zurücklassen. DarkSpace-Stärke. Long Distance-Tendrae auf die Psygon ausrichten, Monsignore Pendra! Irgendjemand wird uns finden – und wenn es das Prismonium ist, das sicher nicht in sein Verderben geflogen ist, sondern auch hierher, nur in eine günstigere taktische Lage. Die wissen vielleicht genau, wo wir sind.«

Er verabschiedete sich in Richtung astralkartographischer Sektion. Damit hatte ich die B-i-C und humpelte daher zum Kommandosessel in der Mitte.

»Was für eine Technik haben die, ey?«, fragte Flink.

»Eine eigene Variante des Dimensionstors, das wir bereits vom Delta Empire kennen«, antwortete ich.

»Unglaubliche Technologie!«, fand Woodi.

»Und taktisch durchaus tragisch«, sagte Geyla.

»Wieso?«, fragte Dewie Mara Njeshova, die hinten an der Bibliotheksstation saß und für gewöhnlich schwieg.

»Weil das Prismonium dem Delta Empire jetzt ein Tor in unser Universum öffnen kann, wenn es das will«, antwortete Geyla und ging zu ihr.

Ich nickte. »Das Empire sucht ständig neue Verbündete. Mit McWallace hätte es um ein Haar geklappt.«

»Und jetzt ist das Prismonium an der Reihe«, ergänzte Woodi frustriert. »Wenn in diesen Krieg ein übermächtiger Alliierter gegen uns eingreift, werden wir sehr schnell verlieren.«

Njeshova verstand und sah traurig zu Boden. Geyla stand neben ihr und richtete sich mit gelangweiltem Gesichtsausdruck die Haare.

»Wohl eher vollständig vernichtet«, meinte sie und band sich einen kleinen Zopf.

So beiläufig sie das auch sagte, sie und wir alle wussten, wie recht sie damit hatte.