Gunter Pirntke

 

Thomas Morus – Humanist und doch ein Mörder?

Die Tudor-Dynastie, 7. Band


Impressum

Texte:       © Copyright by Gunter Pirntke
Umschlag:      © Copyright by Gunter Pirntke

Verlag:      Brokatbook Verlag Dresden

Altenberger Straße 47
01277 Dresden
brokatbook@aol.com

 

 

Inhalt

Leben

Die gebildete Tochter

Der Freund

Der Wegbegleiter

Lordkanzler von England

Die Gegenspieler

Stephan Gardiner

Thomas Cromwell, 1. Earl of Essex

Thomas Cranmer

Utopia

Morus kontra Luther

Humanist oder Mörder

Trennung von der Kirche Roms

Quellen

 

Leben

 

Thomas Morus wurde am 7. Februar 1478 in London geboren. Er war der Sohn des Anwalts und Richters John More (um 1450–1530) und dessen Frau Agnes (um 1455–1499), der Tochter eines Stadtrates und Händlers aus Calais, des Alderman and Merchant of the Staple of Calais Thomas Graunger.

Thomas Morus besuchte eine Lateinschule und leistete als Zwölfjähriger Pagendienste am Hof des Lordkanzlers Erzbischof John Morton von Canterbury. Dieser schickte ihn auf zwei Jahre mit einem Stipendium nach Oxford, wo Morus Logik, Latein und Griechisch studierte – ein damals noch umstrittenes Lehrfach, das sein Vater nicht gerne sah – und ab 1496 eine juristische Ausbildung in der Rechtsschule Lincoln’s Inn durchlief. 1501 schloss er sein juristisches Examen ab und begann selbst zu lehren. Indessen war Morus im Zweifel, ob er seine Bestimmung nicht eher in der Kirche als in der Jurisprudenz finden würde.

Thomas Morus wurde bald ein erfolgreicher Rechtsanwalt und Unterhändler. 1504 wurde er Parlamentsmitglied. Sein Widerspruch gegen die Steuererhöhungen König Heinrichs VII. erregte Aufsehen. Eine Zeit lang lebte er als Postulant bei den Kartäusern in London.

1505 heiratete er Joan Colt (1488–1511). Dieser Ehe entstammten drei Töchter (Margaret, Elisabeth, Cecily) und ein Sohn (John). Als Joan Colt nach sechsjähriger Ehe verstarb, ging Thomas Morus bald darauf mit der Witwe Alice Middleton eine zweite Ehe ein, die kinderlos blieb. Alice Middleton brachte allerdings eine Tochter aus erster Ehe mit.

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Thomas Morus, im Kreis seiner Familie dargestellt (nach Hans Holbein dem Jüngeren)

Von 1510 an war er acht Jahre lang einer von zwei sogenannten Undersheriffs von London und lehrte an Lincoln’s Inn Recht.

Das Ehrenamt des High Sheriffs ist in England und Wales von eher repräsentativer Art und beinhaltet unter anderem:

die Anwesenheit bei königlichen Visiten,

auf kommunaler Ebene die Leitung der Parlamentswahlen,

die Proklamation der Thronbesteigung eines neuen Herrschers,

die Gewährleistung der persönlichen Sicherheit von Richtern des obersten Gerichtshofes,

die Aufrechterhaltung der Loyalität der Untertanen zur Krone

die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung und

die Anwesenheit bei diversen Zeremonien.

In der Praxis sind einige der oben genannten Aufgaben inzwischen in die Zuständigkeit der Polizei oder anderer Behörden übergegangen, so zum Beispiel der Personenschutz für Richter oder die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung. Trotzdem werden immer noch vor allem solche Personen für dieses Amt ausgewählt, die mit der Arbeit der Polizei oder Justiz vertraut sind, beispielsweise Polizisten, Staatsanwälte oder Richter. Die Ernennung erfolgt durch die Krone. Eine Ernennung zum High Sheriff bleibt auch im Falle des Ablebens des Königs oder der Königin bestehen.

König Heinrich VIII. wurde auf Morus aufmerksam und schickte ihn auf diplomatische Missionen.

1517, mit 39 Jahren, trat er ganz in den Dienst des Königs von England, der ihn bald zum Mitglied des Privy Council machte. Der Kronrat oder Geheimrat ist ein politisches Beratungsgremium des britischen Monarchen. Im Mittelalter und der frühen Neuzeit das höchste legislative und judikative Regierungsorgan Englands unter dem König, nimmt der Rat heute überwiegend zeremonielle Funktionen wahr. Sein Wirkungsbereich ist stark eingeschränkt, da seine früheren Befugnisse heute von zweien seiner Ausschüsse, dem Regierungskabinett unter dem Premierminister und dem Judicial Committee of the Privy Council, wahrgenommen werden.

Wird der britische Monarch auf Ratschlag des Councils tätig, handelt er als King-in-Council oder Queen-in-Council (König- oder Königin-im-Rat). Die Mitglieder des Kronrats werden als The Lords of Her Majesty’s Most Honourable Privy Council bezeichnet. Sein Vorsitzender ist der Lord President of the Council, der gleichzeitig den vierthöchsten Rang unter den Great Officers of State einnimmt. Er ist kraft Amtes Mitglied des britischen Kabinetts und als solcher meist Führer der stärksten Fraktion im Ober- oder im Unterhaus. Ein anderes wichtiges Amt ist das des Clerks (Sekretär), der alle im Privy Council beschlossenen Anweisungen unterschreibt.

So bildeten sich bereits im 13. Jahrhundert Vorformen der beiden heutigen Institutionen Parlament und Kabinett heraus. Während sich aus der curia regis, der allgemeinen Versammlung der Kronvasallen, ein feudales Parlament entwickelte, entwickelte sich aus dem privy council ein Kronrat, der die Krone in ihren Entscheidungen beriet und Einfluss auf sie ausübte. Der curia regis oblag die Aufgabe, Recht zu sprechen; sie entwickelte sich zum höchsten Gesetzgebungsorgan des Königreichs. Der Kronrat entwickelte sich im Lauf der Zeit zum Kabinett.

Später erlangte auch der Kronrat die Befugnis, rechtliche Streitigkeiten anzuhören, entweder als Erstinstanz oder als Berufungsinstanz. Gesetze, die der König auf Ratschlag des Kronrates statt auf Ratschlag des Parlaments erließ, wurden ebenfalls als gültig angesehen. Mächtige Herrscher nutzten den Kronrat häufig, um die Gerichtshöfe und das Parlament zu umgehen. Zum Beispiel hatte ein Ausschuss des Kronrates – der spätere Hof der Sternkammer (Court of Star Chamber) – während des 15. Jahrhunderts das Recht, jede Strafe zu erlassen mit Ausnahme der Todesstrafe, ohne dafür an irgendwelche Regeln betreffend der Beweise oder der Beweislast gebunden zu sein. Während der Herrschaft von Heinrich VIII. war es dem Souverän erlaubt, auf Ratschlag des Kronrates Gesetze durch deren bloße Verkündung in Kraft treten zu lassen. Der gesetzgeberische Vorrang des Parlaments konnte erst nach dem Tod Heinrichs VIII. wiederhergestellt werden.

Obwohl der Kronrat gesetzgeberische und rechtsprechende Funktionen behielt, entwickelte er sich vorwiegend zu einem Verwaltungsorgan. Der Kronrat war ein großes Organ – es bestand im Jahr 1553 aus 40 Mitgliedern – wodurch es schwierig war, ihn als Beratungsorgan zu führen. Deshalb setzte der Souverän auf einen kleinen Ausschuss, der sich später zum modernen Kabinett entwickelte.

Außerdem vermittelte Morus in diesem Jahr bei den Mai-Unruhen in London. Am 28. Mai 1523 ließ der König ihn in Irland als Knight Bachelor („Sir“) zum Ritter schlagen und im selben Jahr wurde er Parlamentssprecher.

In England (heute Vereinigtes Königreich) ist der Speaker der Vorsitzende des Unterhauses (House of Commons). Der Speaker wird von jedem neu gewählten Parlament neu bestimmt und bleibt dann für alle Sitzungen der Parlamentsperiode im Amt. Der Speaker sitzt auf einem thronartigen Gestühl über den Abgeordneten. Vor ihm liegt das Mace, ein vergoldetes Zepter, als Zeichen seiner Amtswürde.

Der Speaker verhält sich stets neutral und spricht nur, wenn er etwas zum geschäftsmäßigen Ablauf der Sitzungen zu sagen hat, wie zum Beispiel bei Unruhen im Parlamentssaal die anwesenden Politiker zur Ordnung zu rufen, siehe Naming (parlamentarische Prozedur). Ist der Speaker verhindert, wird die Sitzung von einem seiner drei Stellvertreter geleitet, dem Chairman of Ways and Means oder einem von dessen beiden Deputies.

Sir Thomas Hungerford führte 1377 als erster den Titel Mr. Speaker. Das Amt selbst besteht seit 1258, als sich Peter de Montfort im in Oxford tagenden Mad Parliament durchsetzte. Das Amt wurde mit parlour oder prolocutor bezeichnet. Eine Aufgabe des Speaker bestand seinerzeit darin, über ihn die direkte Anrede der Gegenseite vermeiden zu können. Hierdurch konnten Ehrenhändel (Duell) umgangen werden. Auch heute noch sprechen sich die Parlamentarier über den Speaker nur indirekt an.

Morus war ein entschiedener Gegner Luthers und half Heinrich VIII., eine Arbeit über ihn zu schreiben, die dem englischen König den päpstlichen Ehrentitel Verteidiger des Glaubens eintrug. Morus’ eigene Arbeit über Luther wurde europaweit gelesen.

 

Im Privatleben engagierte sich Morus sehr für die Erziehung seiner Töchter, denen er die gleiche Bildung zukommen ließ wie seinem Sohn. Seine älteste Tochter Margaret Roper galt als eine der gelehrtesten Frauen ihrer Zeit.

Er war auch sehr freigiebig, ernährte während einer Hungersnot Hunderte aus seiner eigenen Tasche und entließ seine Landarbeiter auch dann nicht, wenn Mangel an Arbeit herrschte.

 

 

Die gebildete Tochter

Margaret wurde im Jahr 1505 als älteste Tochter von Thomas More und Joan Colt in Bucklersbury, Cheapside, geboren. Ihre Namenspatronin war St. Margaret, Schutzheilige der Geburten, was laut John Guy zusammen mit der speziellen Danksagung ihrer Mutter in der Kirche ein Hinweis auf eine schwierige Geburt sein könnte. Kurz nach ihrer Entwöhnung starb eine Freundin der Familie More, Mistress Giggs, die als Mutter eines gleichaltrigen Mädchens eventuell Margarets Amme gewesen war. Deren verwaiste Tochter, Margaret Giggs, wurde daraufhin von den Mores als Ziehtochter aufgenommen. Sie sollte Margaret Ropers engste Freundin werden. Auch leibliche Geschwister folgten bald. 1506 wurde Margarets Schwester Elizabeth geboren, ein Jahr später folgte eine weitere Schwester namens Cecily. 1509 erblickte schließlich ihr Bruder John das Licht der Welt. Nur zwei Jahre später starb Margarets Mutter Joan. Ihr Vater heiratete innerhalb eines Monats nach deren Tod die Witwe Alice Middleton, die eine Tochter Alice, sechs Jahre älter als Margaret, mit in die Ehe brachte.

Schon im frühen Kindesalter kam die junge Margaret mit europäischen Humanisten in Berührung. Erasmus von Rotterdam, ein Freund ihres Vaters, war anlässlich der Krönung Heinrichs VIII. eine Weile zu Gast bei der Familie More. Über die Jahre hinweg entwickelte zwischen ihm und Margaret eine Freundschaft. Für ihn war ihre Entwicklung besonders interessant. Während Thomas More den Ideen Platons, Frauen ebenfalls Bildung zukommen zu lassen, offen gegenüberstand, blieb Erasmus skeptisch. Aus seiner Sicht war Ausbildung für eine Frau allenfalls eine Möglichkeit des Zeitvertreibs, wie Musik und Handarbeiten. Möglicherweise regte dieser Gegensatz Thomas More dazu an, als Experiment die Ausbildung seiner Töchter zu fördern.

Ungefähr 1516 begann John Clement, ein Page Thomas Mores, in London als Tutor zu unterrichten. Zu seinen Schülern gehörten auch Margaret und ihre Geschwister, denen er Griechisch und Latein beibrachte. Als Kardinal Wolsey ihm eine Stelle als Dozent in Oxford verschaffte, fand Thomas More einen neuen Lehrer für seine Kinder in William Gonnell. Margaret stellte sich rasch als begabte und ehrgeizige Schülerin heraus, was ihren Vater zu der Aussage veranlasste, sie hätte es schon als Kind nicht ertragen, sich mit fremden Federn zu schmücken. In einem Brief an seine Tochter schrieb er:

„Ich war hocherfreut, deinen Brief zu erhalten, meine liebste Margaret. Spätere Briefe werden noch erfreulicher sein, wenn sie mir von deinen und deines Bruders Studien berichten, von eurer täglichen Lektüre, euren angenehmen Diskussionen, euren Essays, den rasch verfliegenden Tagen, die durch literarische Studien vergnüglich werden. Jetzt erwarte ich von jedem einzelnen von euch fast jeden Tag einen Brief. Ich werde keine Ausreden dulden. Niemand hält euch vom Schreiben ab, im Gegenteil, alle spornen euch dazu an.“

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Cecily und Margaret bei ihren Studien

Der Lehrplan der Kinder bestand zunächst in der Lektüre der Bibel und den Schriften der Kirchenväter. Täglich wurde Margaret in Lateinübersetzungen geschult, sowie in Poesie und dem Schreiben von Essays, teilweise auch in Latein. Da ihr Vater 1518 eine Stelle als königlicher Berater angenommen hatte, war er für längere Perioden nicht zu Hause, was Gonnell dazu nutzte, Margaret und ihre Geschwister zum Briefeschreiben zu ermutigen, um ihren Ausdruck und Stil zu schulen. Durch allmählich komplexere Autoren wie Sallust und anspruchsvollere Bibelstellen wurden Margarets schriftliche Lateinkenntnisse bald so ausgezeichnet, dass ihr Vater ihr voll des Lobes schrieb:

„Es gibt keinen Grund, geliebte Tochter, mir auch nur einen Tag nicht zu schreiben, nur weil du aus Unsicherheit fürchtest, deine Briefe wären so schlecht geschrieben, dass ich sie nur mit Missfallen lesen könnte. Meine liebe Margaret, deine Briefe waren so elegant und geschliffen und gaben dir wenig Grund, das nachsichtige Urteil eines Vaters zu fürchten.“