Cover

Der Aha!-Moment

Neurowissenschaft in der Coachingpraxis

 

Autorin: Margit Stockdreher

 

Verlag: FQL Publishing, München

Buch: ISBN 978-3-947104-62-8

eBook: ISBN 978-3-947104-63-5

 

Buchreihe: GEHIRN-WISSEN KOMPAKT

 

Die vorliegende Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung der Texte und Grafiken ist nur mit schriftlicher Zustimmung des Herausgebers gestattet.

In diesem Buch werden u. U. eingetragene Warenzeichen, Handelsnamen und Gebrauchsnamen verwendet. Auch wenn diese nicht als solche gekennzeichnet sind, gelten die entsprechenden Schutzbestimmungen.

 

Hinweis zur Genderformulierung:

Die Autorin verwendet in dieser Masterarbeit aus Gründen der besseren Lesbarkeit genderneutrale Formulierungen oder das generische Maskulin. Weibliche und andere Geschlechteridentitäten werden dabei ausdrücklich mitgemeint.

 

Titelbild und Illustrationen: Martin Christ, Köln.

Autor

Margit Stockdreher

ist Master of Cognitive Neuroscience (aon) und arbeitet seit über 20 Jahren in ihrer eigenen Coaching-Praxis mit Führungskräften, Unternehmer*innen und Menschen, die Veränderung wollen. Als ausgebildete Coachin, Kommunikationstrainerin und Moderatorin begleitet sie innovative Prozesse in Unternehmen und öffentlichen Institutionen.

Ihre berufliche Karriere startete sie in den 90er Jahren als systemische Therapeutin. Sie ist als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin approbiert und Mitglied der Psychotherapeutenkammer NRW.

Ihre fachliche Kompetenz aus Psychologie und Business, ihre jahrelange Erfahrung, ihre Begeisterung für Menschen und die Überzeugung, dass das Leben in allen seinen Kontexten auch leicht sein darf, überzeugen und begeistern ihre Kundinnen und Kunden. Gemeinsam mit ihnen gestaltet sie den gewünschten Wandel.

Ich habe keine Lehre. Ich zeige nur etwas. Ich zeige Wirklichkeit, ich zeige etwas an der Wirklichkeit, was nicht oder zu wenig gesehen worden ist. Ich nehme ihn, der mir zuhört, an der Hand und führe ihn zum Fenster. Ich stoße das Fenster auf und zeige hinaus. Ich habe keine Lehre, aber ich führe ein Gespräch.

Martin Buber, Aus einer philosophischen Rechenschaft (1961)

 

Über dieses Buch

Der Aha-Moment ist ein im Hinblick auf Coaching zwar diskutiertes Phänomen, jedoch im neurowissenschaftlichen Kontext noch nicht ausreichend erforscht. Bisher stehen nur einzelne Aspekte des Themas im Fokus der Forschung, und die sind auch nur in Teilbereichen evaluiert.

Die Praxis zeigt, dass Aha-Momente beim Coachee durch die Persönlichkeit des Coachs ausgelöst werden. Coaches fördern als Impulsgeber kreatives Denken und schaffen durch gezielte Interventionen die Voraussetzung für das Erleben eines Aha Moments. Im Aha-Moment entsteht das Wissen um die Richtigkeit einer Entscheidung und die Gewissheit, dass Bedenken unbegründet sind.

Mit Erfahrung, psychologischem Knowhow, Kreativität und Intuition fördert der Coach beim Coachee die Einsicht. Sie ist die Grundlage für das Eintreten von Aha-Momenten, die Veränderungsprozesse auslösen. Mit einem neuen Bewusstsein und der Motivation, die an ein Ziel gekoppelt ist, werden alte Muster aufgebrochen, und die Aufmerksamkeit des Coachees kann auf die Gestaltung der zukünftigen Möglichkeiten gerichtet werden.

Die Verknüpfung und das Zusammenspiel verschiedener Gehirnsysteme stellen eine wichtige Basis für erfolgreiche Veränderung dar. Die Anwendung neurowissenschaftlicher Kenntnisse zum Aha-Moment unterstützt erfolgreiche Coachingprozesse. Hierbei kommt der interaktionellen Beziehungserfahrung zwischen Coach und Coachee eine besondere Bedeutung zu. Diese ist umso effektiver, je besser neben der fachlichen Kompetenz die Persönlichkeit des Coachs ausgebildet ist und je stärker die Bedeutung des Zusammenwirkens von neurowissenschaftlicher und psychologischer Betrachtungsweise im Coaching berücksichtigt wird.

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

seit über 20 Jahren begleite ich als Coachin Menschen und Systeme in Veränderungsprozessen, und immer wieder erlebe ich die faszinierenden Augenblicke, in denen Menschen plötzlich zu Einsichten gelangen, die ihnen lange verstellt zu sein schienen.

Ich bin der Frage nachgegangen, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit sich solche Aha-Momente einstellen, warum sie gerade zu dem ihnen bestimmten Zeitpunkt eintreten, und was genau in diesen Augenblicken vor sich geht.

In meiner Praxis habe ich dieses Phänomen erforscht. Dabei war und ist es mein Anliegen, die Phasen des Grübelns zu verkürzen und dadurch Energien für konstruktive Prozesse freizusetzen.

Dieses Buch, das als Masterarbeit an der Academy of Neuroscience in Köln entstanden ist, beschreibt das Zusammenspiel von Psychologie und Neurowissenschaft bei der Erforschung des Aha-Moments und liefert dazu Handlungsimpulse aus der aktuellen neurowissenschaftlichen Forschung.

Der Fokus liegt auf der Fragestellung, was genau in dem Moment, in dem wir uns für Veränderung entscheiden, in unseren Gehirnen passiert, und wie wichtig hier der Beziehungsaspekt in der Interaktion zwischen Menschen ist.

Das Leben darf leicht und entspannt sein, und die Bereitschaft zur Einsicht können wir trainieren. Dieses Buch wird Sie in Ihrem Denken, Handeln und Fühlen unterstützen. Es wird Ihren Blick auf Veränderungsprozesse erweitern und den Veränderungen, die Sie sich wünschen, den Weg ebnen.

Viel Freude beim Entdecken Ihrer Ressourcen – als Coach*in, Psycholog*in oder Berater*in, vor allem jedoch als veränderungsbereiter Mensch.

Herzlichst

Ihre Margit Stockdreher

Köln, im November 2019

Danksagung

Das Vertrauen meiner Kund*innen, die gemeinsam initiierten Prozesse, die vielfältigen Aha-Momente und die zahlreichen Rückmeldungen haben mich dazu inspiriert, mich dem Thema dieser Masterarbeit zuzuwenden. Ich fühle mich beschenkt und bin dafür sehr dankbar.

Ich danke Herrn Torsten Seelbach für die großartige Idee, mit der Gründung der aon GmbH eine Plattform zu schaffen, um den multidisziplinären Ansatz der kognitiven Neurowissenschaften praxisorientiert zu vermitteln.

Ich danke meinen Professoren, allen voran Prof. Dr. Dr. Gerhard Roth und Prof. Dr. Tobias Esch für die wirkungsvolle Vermittlung der wissenschaftlichen Aspekte und den produktiven Abgleich von Wissenschaft und Coaching-Praxis. Herrn Prof. Roth danke ich besonders für die Betreuung meiner Masterarbeit und die lehrreichen Gespräche.

Anke Jacobs gilt mein herzlicher Dank für ihren Hinweis zur Studie der Medizinischen Universität Wien.

Von Herzen danke ich meinem Mann für die konstruktive Begleitung bei der Entstehung dieses Buches, und ebenso danke ich Claudia Sandkötter für ihre ermutigenden Kommentare. Schlussendlich geht mein Dank an meinen Sohn Luis, der mich im Leben immer wieder inspiriert und mir so manchen wunderbaren Aha-Moment geschenkt hat.

Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

1.1 Fragestellung

1.2 Der Begriff des Aha-Moments

1.3 Der Aha-Moment im Coaching

1.4 Ein Praxis-Beispiel

2. Potenzialentfaltung durch exogene Faktoren: Die Persönlichkeit des Coachs

2.1 Die Rolle des Coachs

2.2 Der Coach als Vorbild

2.3 Die Intuition des Coachs

3. Potenzialentfaltung durch endogene Faktoren: Die Haltung des Coachees

3.1 Einsicht als Grundlage von Aha-Momenten

3.2 Selbstreflexion, Selbstwirksamkeit und Selbstverantwortung

3.3 Frühe Bindungserfahrung

4. Die Beziehung zwischen Coach und Coachee

4.1 Arbeitsbündnis und Therapeutische Allianz

4.2 Möglichkeiten und Grenzen der Veränderung

5. Die neurowissenschaftliche Forschung zum Aha-Moment

5.1. Untersuchungsverfahren

5.1.1 Elektroenzephalographie (EEG)

5.1.2 Funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT)

5.2 Testverfahren zur Messung von Einsicht

5.2.1 Remote Association Test (RAT)

5.2.2 Neuronale Korrelate des Aha-Moments

6. Neurowissenschaftlicher Kontext

6.1 Das Stressverarbeitungssystem

6.2 Das Emotionssystem

6.3 Das Belohnungssystem

6.4 Das Gedächtnissystem

6.5 Das Entscheidungssystem

7. Diskussion

8. Schlusswort und Ausblick

9. Literaturverzeichnis

10. Abbildungsverzeichnis

11. Abkürzungsverzeichnis

12. Fußnotenverzeichnis

1. Einführung

Im Zentrum von Coaching-Prozessen steht der Augenblick, in dem ein Coachee aus der Ausgangssituation eines zu verändernden Musters heraus den Weg in eine Zielsituation, in der dieses Muster verändert wird, einschlägt. Wie kommt es zu dieser Einsicht, und kann diese Einsicht bewusst erzeugt werden? Ziel dieser Arbeit ist es, herauszuarbeiten, wie die Persönlichkeit des Coachs das Auslösen des Aha-Moments beeinflusst. Was genau geschieht in dem Moment im Gehirn, wenn der Coachee eine Herausforderung mit einem Geistesblitz der Einsicht löst?

Zur Beantwortung dieser Fragen werden Erkenntnisse aus der neurowissenschaftlichen Forschung in den Praxisbezug des Coachings gesetzt. Es wird aufgezeigt, wie erfolgreiche Coaches in den von ihnen gesteuerten Coachingprozessen Veränderung ermöglichen. Dazu wird der Aha-Moment in den Blick der neurowissenschaftlichen Forschung gerückt. Es wird dargestellt, dass und wie Kreativität den Aha-Moment begünstigt.

Die neurowissenschaftliche Forschung steht vor der Aufgabe, den Aha-Moment in der Interaktion zwischen Coach und Coachee zu erforschen. Die Beobachtung zahlreicher Aha-Momente in 20 Jahren Praxiserfahrung als Coachin sind die Motivation, neurowissenschaftliche Erklärungen für dieses Phänomen zu finden und diese Arbeit zu schreiben.

1.1 Fragestellung

Um in dieser Arbeit den Aha-Moment in Coachingprozessen zu analysieren, werden drei Fragen beantwortet:

Hypothese:

Coaches schaffen die Voraussetzung für das Erleben eines Aha Moments. Die Praxis zeigt, dass Coaching-Techniken alleine nicht immer zum gewünschten Erfolg führen. Die Persönlichkeit des Coachs ist entscheidend für erfolgreiches Coaching. Gezielte Interventionen, Erfahrung, psychologisches Knowhow und Kreativität fördern in Coachingprozessen Aha-Momente beim Coachee. Die Anwendung neurowissenschaftlicher Kenntnisse zum Aha-Moment unterstützt erfolgreiche Coachingprozesse.

1.2 Der Begriff des Aha-Moments

Der Aha-Moment ist der Augenblick, in dem das plötzliche Erkennen einer Lösung für ein zunächst nicht realisierbar scheinendes Veränderungsvorhaben im Denken oder Verhalten stattfindet. Er entsteht aus dem Gegensatz zwischen einem ungewünschten Vorher und dem gewünschten Nachher. Dieser innere Konflikt ist der Türöffner für die Erkenntnis, die Veränderung möglich macht. Im Aha-Moment entsteht das Wissen um die Richtigkeit einer Entscheidung und die Gewissheit, dass Bedenken unbegründet sind. Psychologen sprechen in diesem Kontext auch von Einsicht.1

Der griechische Gelehrte Archimedes von Syrakus (ca. 250 v. Chr.) prägte den Begriff Heureka-Effekt. Es wird überliefert, dass Archimedes die Lösung für ein Problem bei einem Bad in der Wanne gefunden hat. Er erkannte, dass die messbare Menge des überlaufenden Wassers genau seinem Körpervolumen entsprach. Er sprang aus der Wanne, lief nackt durch die Stadt und rief „Heureka“ (altgriechisch ηὕρηκα), was so viel wie „Ich habe es gefunden“ bedeutet. Seitdem steht dieser Begriff als Synonym für eine plötzliche Erkenntnis.2 Der Begriff Aha-Erlebnis wurde insbesondere durch den Denk- und Sprachpsychologen Karl Bühler (1879-1963) geprägt, der die Zusammenhänge der Einsicht bei Gedankenprozessen wissenschaftlich untersucht hat. Bühler kam zu dem Ergebnis, dass die Gedanken aus nicht-beobachtbaren Prozessen bestehen. Aus seinen Beobachtungen lässt sich schlussfolgern, dass im Augenblick des Aha-Erlebnisses ohne gedankliches Zutun des Betroffenen Zusammenhänge zwischen an sich unanschaulichen Denkinhalten hergestellt werden.3

Letztendlich ist mit Aha-Moment, in dem umgangssprachlich auch „der Groschen fällt“, gemeint, dass die Erkenntnis schlagartig kommt, ohne dass die Gedanken der betroffenen Person in diesem Augenblick bekannt sind und analysiert werden können.

Die Psychologie geht von vier definierbaren Merkmalen aus: