Gerlinde & Bernd

Ein Feuerwerk der Gefühle

Unser Prinz aus Sarajevo

Dieses Buch ist der Liebe unseres Lebens,

unserem Sohn,

und unseren Freunden in Sarajevo der

Temin-Familie gewidmet.

Vorwort

Manchmal tritt jemand in unser Leben und plötzlich wird alles bunt und fröhlich.

Manchmal ist es aber auch gut nicht zu wissen, was alles auf einem noch zukommen kann. Denn das Leben passiert, während wir mutig Pläne schmieden. Wir können nicht alles bis ins letzte Detail planen, deswegen halten auch wir es für richtig, uns auf die Gegenwart zu konzentrieren.

Nach längerem Zögern haben wir dieses Buch nun doch veröffentlicht. Der Grund für unsere Bedenken lag an einigen heiklen Themen sowie der Preisgabe persönlicher Lebenssituationen.

Adoptionen haben auch durchaus ihren Sinn, denn diese verhindern, dass zumindest einige Kinder vor Unterernährung, Misshandlungen, Krieg und Arbeiten auf verseuchten Müllhalden geschützt werden.

Fatalerweise mussten wir am eigenen Leib vor einem Gericht in Sao Paulo erleben, wie durch journalistische Berichte über Auslandsadoptionen direkt Einfluss auf laufende Adoptionsverfahren genommen wurde. Alle Adoptionsvorgänge sind daraufhin gestoppt worden.

Bei all unseren langjährigen Versuchen ein Kind zu adoptieren haben wir zudem mit schlecht vernetzten Behörden in Deutschland Erfahrungen machen müssen.

Unser Wissen aus vielen Adoptionsversuchen soll ein wenig dazu beitragen, dass Adoptionen in Deutschland unkomplizierter und professioneller durchgeführt werden.

Ganz besonderer Dank gilt unserer Anwaltsfamilie Temin in Sarajevo, die sich persönlich über das normale Maß hinaus für unsere Adoption eingesetzt hat.

Inhalt

Kapitel   1: Sarajevo Dez. 2003

Kapitel   2: Feiertage 2003/2004

Kapitel   3: Rückblick

Kapitel   4: Finanzielle Engpässe und Reise nach Südamerika

Kapitel   5: Zitat vom Dalai Lama

Kapitel   6: Zeitgeschehen 2004

Kapitel   7: Sarajevo Febr. 2004

Kapitel   8: Interimstätigkeit für Ben

Kapitel   9: Der Kampf mit den deutschen Behörden

Kapitel  10: Umstrukturierung bei Susens Arbeitgeber

Kapitel  11: Warten auf grünes Licht, Reiseplanung

Kapitel  12: Sternstunden im Leben dreier Menschen

Kapitel  13: Das neue Zuhause

Kapitel  14: Zwei Jahre später

Kapitel 1

Sarajevo Dezember 2003

Sarajevo Montag, 8. Dezember 2003

Nach einem aufregenden und beeindruckenden Flug über die Alpen, bei völlig wolkenlosem Himmel landet Ben in einem Avro-Jet der Fluglinie Lufthansa am frühen Nachmittag in Sarajevo.

Der Sohn des Advokaten holt Ben, wie vor vier Tagen telefonisch vereinbart, am Flughafen ab. Die Konversation erfolgt in Englisch, obwohl Almin in der Schule etwas Deutsch gelernt hat. Zurzeit studiert er wie seine Schwester Jura. Gemeinsam mit seinem Vater und seiner Schwester planen sie eine Familienkanzlei, doch dazu muss er jetzt erst einmal zügig das Studium beenden.

Wir fahren zum Hotel und treffen uns ca. 30 Minuten später in der Lobby zu einem gemeinsamen Termin mit seinem Vater. Eine Übersetzerin kommt mit, es ist die Freundin der Tochter unseres Anwalts. Diese war viereinhalb Jahre in Österreich und lebt seit 1997 wieder in Bosnien & Herzegowina.

Wir sprechen bei einem Kaffee ca. eine Stunde über die weitere Vorgehensweise, über Kosten die entstehen werden und wie der zeitliche Ablauf sein könnte. Es sind die Fahrt-, Organisations- und Laufkosten des Advokaten zu bezahlen. Aber der Advokat muss zunächst noch mit mehreren Waisenhäusern Kontakt aufnehmen.

Das Waisenhaus erwartet natürlich eine Spende. Zusätzlich fallen Kosten für Übersetzungen der deutschen Unterlagen und Stempelgelder der staatlichen Organisationen an. Hinzu kommen die Reisekosten des „österreichischen“ Taxifahrers für die Kontaktherstellung zu einem Anwalt in Sarajevo. Auch für die Kosten der zu erstellenden Unterlagen in Deutschland wird eine höhere Summe aufzubringen sein. Im Moment erschüttern uns diese Ausgaben nicht, denn all unsere vorhergehenden Bemühungen haben zum Teil extreme Kosten verursacht ohne jedoch zu einem positiven Ergebnis zu führen. Die Aufwendungen sind sowieso in vielen anderen Ländern erheblich höher. Kein Preis kann höher sein als alle bisherigen von Misserfolgen gekennzeichneten Adoptionsversuche.

Nach diesem Gespräch wird Ben noch durch die mindestens 300.000 Einwohner zählende Stadt chauffiert. Es ist deutlich erkennbar, dass nach dem Krieg in den letzten acht Jahren zwar einige Gebäude restauriert und wieder aufgebaut worden sind, dennoch zeigen viele Häuser die Spuren dieser sinnlosen Auseinandersetzung. Auch der Sohn des Advokaten vertritt die Meinung: „Erst gibt es in dem Vielvölkerstaat Streit mit der Folge eines Krieges und dann wird mit fremden Mitteln wieder sukzessive aufgebaut. Schließlich wird man Mitglied in der EU und die ehemaligen Kriegsgegner kämpfen letztendlich gemeinsam für die gleichen politischen Ziele.“ Bosnien und Herzegowina war und ist ein Vielvölkerstaat. Dies erkennt man spätestens an den vielen Konfessionen und deren baulichen Monumenten. 1984 richtete Sarajevo bekanntermaßen die Winterolympiade aus.

Nach der kurzen Sightseeing-Tour bringt Almin Ben wieder zum Hotel. Ben fährt mit dem Aufzug ins zweite Stockwerk des Holiday Inn Hotels. Im Zimmer angekommen geht er ans Fenster und plötzlich richtet sich sein Blick auf die beiden gegenüberliegenden Türme. Spontan nennt Ben diese Türme „Mini Twin-Towers“. In diesem Augenblick stellt er sich die immer wiederkehrenden Fragen: „In welchem Stadium befinden wir uns eigentlich? Erreichen wir nun unser lang ersehntes Ziel eine Familie zu gründen? Oder müssen wir womöglich mit dieser bisher unerfüllten Sehnsucht leben?“

Es ist bereits Adventszeit, jedoch sind hier die Straßen nicht weihnachtlich geschmückt. Auch bei Ben will einfach keine Weihnachtsstimmung aufkommen. Ursache hierfür ist das Fehlen von einem Kind oder noch besser von zwei Kindern. Bekannte werden nicht müde uns Jahr für Jahr darauf hinzuweisen: „Ihr Glücklichen habt keine Kinder und somit bleibt Euch sehr viel erspart.“ Aber im nächsten Satz schwärmen genau diese Personen mit einer Selbstverständlichkeit und das völlig unbedacht von ihren Lieblingen: „Eigentlich wissen wir nicht, was wir ohne unsere Kinder machen würden.“ Immer das gleiche Muster bei Bekannten und Menschen, die sich als unsere Freunde bezeichnen. Diese Gespräche treffen uns direkt ins Herz, sie tun weh, sie verursachen seelische Schmerzen und nicht selten Gefühlsverirrungen über mehrere Wochen. Immer wieder versuchen wir uns einzureden, dass wir nicht die einzigen Betroffenen sind. Viele kinderlose Ehepaare bauen sich sogar einen Schutzwall auf. Beispielsweise behaupten sie einfach, dass ihnen die Karriere wichtiger sei als Kinder. Der wirkliche Grund für die Kinderlosigkeit liegt jedoch meist an der Unfruchtbarkeit der betroffenen Paare. Die Statistik beziffert den Anteil mit 85%.

Es ist kalt in Sarajevo, tagsüber 0 °C. Die Sonne strahlt in die engen Gassen hinein und die umliegenden Berge sind wie mit Zucker bestreut. Bei diesem Kaiserwetter hat Ben plötzlich das Gefühl, dass dies ein Fingerzeig vom lieben Gott ist und er ihm sagen will: „Diesmal klappt es mit der Adoption“. Wir hoffen nun endlich einen entscheidenden Schritt voranzukommen. Wir wollen einem Kind aus einem Waisenhaus und auch uns eine neue Chance geben. In den letzten 16 Jahren standen wir aber schon öfters vor ähnlichen Situationen

Susen ist gerade bei ihrer jährlichen Weihnachtskonferenz. Sie arbeitet sehr viel und durch ihre langjährige Erfahrung ist sie in der glücklichen Lage von allen Seiten Projekte angetragen zu bekommen, die sie auch erfolgreich bewältigt. Das erzeugt natürlich des Öfteren Neid bei den Kolleginnen und Kollegen. Trickreich wird dann manchmal verhindert, dass Susen bei Konferenzen ihre Arbeit bzw. Ergebnisse adäquat präsentieren kann.

Susen arbeitet immer noch Vollzeit, obwohl sie eigentlich gerne etwas kürzertreten möchte um sich mehr den privaten Dingen widmen zu können. Ben ist auf dem Arbeitsmarkt anscheinend nicht mehr vermittelbar. Er wäre gerne der Hauptverdiener um Susen zu entlasten, doch wie so oft im Leben kommt es anders, als man denkt und plant.

Wie entstand der Kontakt nach Bosnien?

Den Kontakt zu unserem Advokaten in Sarajevo hat ein Taxifahrer aus Wien vermittelt. Wenn Susen in Wien sich um den Fortgang ihres Projektes kümmert, fährt sie immer mit demselben Taxifahrer. Dieser Taxifahrer ist Bosnier und sein Taxifahrerkollege ebenfalls. Dieser Kollege kennt wiederum einen Advokaten in Sarajevo, der ihm vor einigen Jahren bei der Klärung der Rechtsverhältnisse bzgl. seines Eigentums geholfen hat. Er war aufgrund des Krieges von Bosnien nach Österreich umgezogen.

Auf einer der Fahrten vom Flughafen zu Susens Kunden fragt der Taxifahrer, ob denn eine so erfolgreiche Frau auch Kinder hat. Susen erzählt ihm, wie gerne sie Kinder hätte, aber dieser Wunsch wäre weder mit eigenen noch mit adoptierten Kindern in Erfüllung gegangen. Sam der Taxifahrer antwortete daraufhin ganz spontan: „Ich kann helfen. Ich kenne jemanden in Bosnien und auch in Jugoslawien, die kurzfristig alle Formalitäten für eine legale Adoption erledigen können. Es gibt genügend Kinder, die auf eine Adoption warten.“ Sam möchte deswegen helfen, weil er gerne auch anderen Kindern eine bessere Zukunft ermöglichen möchte. Seine beiden Kinder können in Österreich sogar die höhere Schule besuchen.

Kurz vor Sarajevo: Belgrad 2003

Nach dem ersten Kontakt mit dem Taxifahrer Sam vergingen nun mehrere Monate. Unsere geplante Urlaubszeit kam immer näher, ohne dass wir jedoch über einen genauen Urlaubsort nachdachten. Susen ist immer wieder mit Sam im Taxi gefahren, aber es geschah trotz stetigen Nachfragens einfach nichts außer, dass uns die Zeit wieder mal davon lief. Wir sind beunruhigt, dass es wieder nicht klappen könnte und so beschließen wir etwas Druck aufzubauen und buchen ziemlich unüberlegt kurzfristig zwei Flüge nach Belgrad. Sam bekommt von uns zwei Tage vor dem Abflug eine SMS mit dem Text: „Wir fliegen nach Belgrad, um nun persönlich das Thema Adoption in die Hand zu nehmen“.

Am Tag des Abfluges erhalten wir dann doch tatsächlich eine SMS von Sam: „Nicht fliegen, kann nichts organisieren“. Nun ist es aber zu spät und wir fliegen nach Belgrad.

Mit einer unangenehmen Vorahnung, vermutlich nicht viel erreichen zu können, fliegen wir nun für zwei Tage Richtung Südost. Um Geld zu sparen, setzen wir hier erstmals einige von Susen gesammelten Flugmeilen ein. Gut, dass wir die Meilen von Susen haben, denn Bens Meilenkonto ist seit fünf Jahren leer. Im Gegensatz zu Bens früherer beruflicher Tätigkeit mit kurzzeitigen Aufenthalten in Frankreich, Mexiko, Korea und Japan ist er in den letzten Jahren hauptsächlich mit dem Auto vor allem in der Tschechischen Republik unterwegs gewesen.

Nachdem wir in Belgrad sicher gelandet sind suchen wir uns als Erstes einen deutschsprachigen Taxifahrer. Der dritte Taxifahrer entspricht schließlich unseren Vorstellungen. Wir sagen ihm was wir in Belgrad unternehmen wollen und er organisiert sogleich mit seinem Handy einen Termin im Familienministerium.

Doch nun fahren wir auf direktem Weg zu unserem Hotel. Diese Fahrt nimmt aber mehr Zeit in Anspruch als erwartet, denn der Präsident eines anderen Landes ist für zwei Tage in Belgrad zu Besuch. Die Autobahn ist gesperrt und wir müssen kleine Umwege in Richtung unseres gebuchten Hotels in Kauf nehmen. Vor der Reise dachten wir bloß nicht zeigen, dass wir eventuell Geld haben könnten und haben so anstatt z. B. Marriott ein einheimisches Hotel gebucht. Falsch gedacht, wie sich später herausstellen sollte. Dieses von uns gebuchte Hotel hat sicherlich einmal großartige Zeiten erlebt, diese dürften aber mindestens seit 20 Jahren vorbei sein. Nun ja, eine Nacht kann man das schon mal überstehen. Nachdem wir unseren Koffer in das laute und nicht ganz saubere Zimmer abgestellt haben machen wir uns sogleich auf den Weg zum Familienministerium. Unser wartender Taxifahrer bringt uns dorthin.

Gleich hinter dem Eingang des Ministeriums befindet sich eine Personenkontrolle, so wie wir es von den Flughäfen her kennen. Wir sind nicht nur gut, sondern auch dunkelblau gekleidet und deswegen nimmt die hilfsbereite Security wahrscheinlich an, dass es sich bei uns um wichtige Persönlichkeiten handeln muss. Es piepst bei Susen zweimal bis die metallischen Knöpfe ihres Blazers als Ursache erkannt werden. Glücklicherweise bemerkt die Security auch sofort, dass wir Hilfe brauchen. Wir fragen nach dem Weg zu einem bestimmten Zimmer. Bereitwillig erklärt die Dame von der Security in slawischer Sprache den genauen Ort, wo wir hin müssen. Die Zimmernummer teilt sie uns glücklicherweise in englischer Sprache mit.

Ohne unseren Taxifahrer begeben wir uns in Richtung zweites Stockwerk. Ca. eine Stunde vorher hat der wartende Taxifahrer den Termin vereinbart, wie auch immer er das geschafft haben mag. Wir gehen nun ohne irgendeine Begleitung in das 1. Stockwerk und bemerken ein Hinweisschild „Zimmer 11 – 15“. Also nicht das zweite Stockwerk, sondern das erste, so unsere logische Überlegung. Gott sei Dank begegnen wir auf dem Gang hilfsbereiten Menschen, die uns den Weg zum Zimmer 14 zeigen.

Es ist so weit, wir betreten Zimmer 14. Überraschenderweise spielt Musik. Zwei ältere Damen schauen uns an, können aber auf unsere englisch formulierten Begrüßungen nicht reagieren. Trotz der Sprachbarrieren gelingt es uns dann doch eine Kommunikation mit den netten Damen in Gang zu bringen und so begreifen wir auch, dass wir Platz nehmen sollen. Wiederum kurze Zeit später kommt eine jüngere Frau mit gutem Englisch aus dem Chefzimmer zu uns. Wir tragen unser Anliegen vor. Da lächelt diese Frau und erläutert uns, dass jedes Stockwerk Zimmernummern von 1 bis 49 hat, nicht wie in anderen Staaten ein oder zwei Zahlen vorweg, die das Stockwerk beschreiben. Wir sind also doch ein Stockwerk zu niedrig.

Diese Frau versucht nun einen Termin mit der zuständigen Dame ein Stockwerk höher zu vereinbaren. Ihr sagt man jedoch, dass die wichtige Dame in dieser Woche nicht mehr im Hause sein wird. Nach dem Telefonat gibt sie uns aber trotzdem den Rat in ca. zwei Stunden nochmals bei der Dame anzurufen, denn vielleicht ist sie dann von ihrer Mittagspause zurück – wie seltsam! Bei der Verabschiedung fragt sie uns wie wir es geschafft haben bis ins Familienministerium vorzudringen, ohne dass wir von einem Mitarbeiter des Ministeriums persönlich an der Pforte abgeholt worden sind. Wir können es nicht verraten, denn wir wissen es ja selber nicht.

Nach diesem netten Gespräch kehren wir unverrichteter Dinge zu unserem Taxifahrer zurück und vereinbaren mit ihm auch gleich einen Termin für den nächsten Tag. Wir versuchen ca. zwei Stunden später den Kontakt telefonisch mit der Dame von Zimmer 14, zweites Stockwerk, herzustellen. Eine Stimme auf der anderen Seite der Leitung informiert uns, dass niemand zur Verfügung steht und man sich sowieso vorher anmelden muss. Obwohl wir mit Null-Erwartung in Richtung Südost geflogen sind, sind wir jetzt frustriert.

Da wir nun schon mal in Belgrad sind und die Wahrscheinlichkeit nicht sehr groß ist in diese Stadt zurückzukommen, wollen wir uns wenigstens noch ein bisschen hier umsehen. Der Trip nach Jugoslawien wird ja immer zu unserem Leben und zu unserer Adoptionsstory gehören. Und so machen wir uns auf den Weg. Schon wieder sind die Straßen der Innenstadt für PKWs gesperrt. Überall Polizei und uns ist klar, der bulgarische Präsident fährt durch Belgrad. Tatsächlich kommt dann eine Kolonne von Limousinen natürlich mit vielen Begleitfahrzeugen. Bei den letzteren sind die Fahrzeugscheiben heruntergedreht und so kann man die Soldaten mit ihren Maschinenpistolen im Anschlag sehen. Bei eventuellen Attentaten würden dann diese sofort reagieren können. Wir finden dieses Bild beängstigend. Der Mord an den Präsidenten Djinjic in 2003 hat verständlicherweise seine Spuren hinterlassen.

Nach der Besichtigung einiger Gebäude von außen und einer Portion Kälte, die mittlerweile unseren Körper erstarren lässt, entschließen wir uns in ein Café gegenüber der Belgrader Börse zu gehen. Hier trinken wir einen Espresso und sehen den Einheimischen bei ihrem Geschichtenerzählen zu. Wieder aufgewärmt machen wir uns auf den Rückweg zum Hotel. Eine wunderschöne Moschee lädt uns noch zu einer Besichtigung ins Innere ein. Gegen 20: 00 Uhr essen wir zu zweit eine Pizza an einem Stand im Freien. In unserer jetzigen Situation reicht die Pizza für beide, denn wirklicher Hunger kommt aufgrund der gedrückten Stimmung nicht auf. Die anschließende Besichtigung des Hotels nimmt lediglich zehn Minuten in Anspruch, sodass wir uns schweren Herzens auf unser Zimmer begeben. Die Nacht ist unangenehm, da sich die zentral geregelte Heizung nicht abstellen lässt. Wir haben zum Schlafen tropische Temperaturen im Zimmer und so bleibt uns nichts anderes übrig, als die Fenster zu öffnen. Leider rauben uns nun der Straßenlärm und das Gezwitscher zehntausender schwarzer Zugvögel den Schlaf. Die Vögel meinen wohl auf den Weg in den Süden unbedingt auf den Bäumen im Stadtzentrum sehr geräuschvoll übernachten zu müssen.

Endlich ist die Nacht um, gerädert stehen wir aus den alten und zu engen Betten auf, frühstücken und fahren dann Richtung Flughafen. Wir haben noch genügend Zeit für einen erneuten Besuch im Familienministerium. Nochmals bitten wir unseren Taxifahrer mit der Adoptionsvermittlung im Familienministerium zu telefonieren. Da er keinen Gesprächspartner mehr erhält vermuten wir, dass er abgewimmelt wurde. So beschließen wir, ohne einen Termin erneut in das Ministerium zu gehen, denn zu verlieren haben wir ja nichts. Wie durch ein Wunder lässt man uns ein zweites Mal problemlos durch die Kontrollen, unsere Gesichter sind wohl vom Vortag noch in Erinnerung. Wir gehen direkt im zweiten Stockwerk in das richtige Zimmer. Hier sitzen drei Frauen hektisch arbeitend. Eine der beiden schaut uns fragenden Blickes an und sie erweckt bei uns den Eindruck die Chefin zu sein. Sogleich versuchen wir in Englisch eine Diskussion anzuregen, doch es kommt nur: „No English“. Trotzdem erwidern wir: „We need information, please help us“.

Eine der drei so sehr beschäftigten Damen entscheidet sich nach einiger Zeit mit uns zu sprechen und fängt an uns in Englisch zu erklären, dass wir einen Dolmetscher benötigen. Obendrein müssen wir zuerst alle Unterlagen übersetzt zusenden, um dann einen Termin hier im Familienministerium vereinbaren zu können. Und um uns nun auch noch den letzten Rest von Hoffnung zu nehmen, werden wir mit der Tatsache konfrontiert, dass zurzeit 250 Anträge für Auslandsadoptionen im Computer stehen und lediglich ca. fünf Adoptionen im Jahr durchgeführt werden. Wir bedanken uns herzlich für diese Informationen und verlassen frustriert, traurig und hoffnungslos dieses Ministerium. Auf den Weg zum Flughafen wiederholt sich das bekannte Procedere, wieder müssen wir die Autobahn umfahren, da der bulgarische Präsident unterwegs ist. Es besteht aber keine Gefahr durch diesen Umweg den Flieger nicht zu erreichen. Pünktlich fliegen wir zurück nach Deutschland. Eine Erinnerung in Form von Fotos gibt es nicht. Susen, eine ansonsten so leidenschaftliche Fotografin, legt keinen Wert auf Foto-Erinnerungen von diesem deprimierenden Trip. Doch nun zurück nach Sarajevo.

Sarajevo Dienstag, 9. Dezember 2003

Wir, d. h. Almin, Samir unser Dolmetscher und Ben haben auf den Weg zum Flughafen eine kleine Sightseeing-Tour durch die Stadt vorgenommen. In der Nähe des Flughafens sehen wir uns von außen neue Gebäude an. Hier sind Waisen untergebracht die von liebevollen Pflegekräften betreut werden. Insgesamt ein optisch schönes Projekt. Der Freund vom Sohn des Advokaten erzählt uns am Flughafen während wir einen Kaffee trinken und die Sonnenstrahlen in dem neu erbauten Flughafengebäude genießen, dass auch 60 bosnische Familien auf eine Adoption warten sollen. Ob dem wirklich so ist wird man versuchen herauszufinden.

Foto aus dem fahrenden Auto: „Akademie der Künste“

Hier stellt sich natürlich die Frage, warum sollten die Bosnier ihre Kinder an Ausländer vermitteln, wenn im eigenen Land auch Bedarf vorliegt. Sarajevo hat im letzten Krieg 4500 Kinder verloren, nicht umsonst heißt es „Sarajevo, eine geschundene Stadt“. Nun ja. wir versuchen seit über 15 Jahren ein Kind zu adoptieren und entsprechend der Aussage unseres Anwaltes wird dieses Vorhaben wohl noch sechs bis zwölf weitere Monate in Anspruch nehmen.

Es ist nun Dienstagmittag. Ben sitzt im Warteraum am Gate und lässt die vergangenen 24 Stunden nochmals Revue passieren. Ben hat eine sehr nette Advokaten-Familie kennen gelernt, hat bei Gericht die notwendige Handlungsvollmacht für diesen Anwalt unterschrieben, ist von seinem Sohn durch Sarajevo gefahren worden und hat für die ersten Aktivitäten des Advokaten einen Vorschuss (eine Art Aufwandsentschädigung) gezahlt. Blindes Vertrauen gepaart mit großer Hoffnung endlich Erfolg zu haben. Was tut man nicht alles, um einem Kind eine Zukunft geben zu können.

Der wirklich nette Anwalt Semso Temin hat uns für den nächsten Besuch sogar in sein Landhaus eingeladen. Bis dahin müssen die Adoptionsunterlagen in Deutschland mit Apostillen versehen sein, das wiederum bedeutet für uns unendliche Laufereien zu allen möglichen Ämtern. Jede weitere Kommunikation geht erst einmal über den elektronischen Weg. Zusätzlich erhält Ben die Information, dass nur sehr selten Kinder an ausländische Adoptionswillige vermittelt werden. In den vergangenen Jahren gab es vier Auslandsadoptionen. Unser Anwalt hat jedoch gute Verbindungen, um eine ausländische Adoption legal beschleunigen zu können.

Der Rückflug beeindruckt Ben genauso wie der Hinflug. Die Alpen mit ihren schneebedeckten Bergen und den in den Tälern gelegenen kleinen Orten ergeben ein traumhaftes Bild, einfach märchenhaft schön.

Wieder in Deutschland angekommen wartet Ben am Flughafen ca. vier Stunden auf Susen. Sie war in Berlin zu einer Jahresabschlusskonferenz. Es wurden u. a. die Geschäftszahlen präsentiert und am Abend gab es eine große Weihnachtsfeier. Leider geben die Zahlen, der eigentlich erfolgsverwöhnten Firma, Anlass zur weiteren Besorgnis. In dem Geschäftsbereich in dem Susen arbeitet, wird immer noch Personal abgebaut, vorzugsweise Mitarbeiter älter als 50 Jahre. Durch den Abbau des oft sehr erfahrenen Personals drängt sich einem die Frage auf, ob die langsam entstehende „Know–how-Wüste“ Deutschlands durch die jetzt immer häufiger am Ruder sitzende Radfahrergeneration weiter forciert wird. Doch auch dieser Zustand wird sich wieder normalisieren, denn keine Firma kann ohne Knowhow Träger auf Dauer erfolgreich sein. Die nächste Generation wird die ganze Problematik hoffentlich erkennen und auch entsprechend handeln.

Zurück zum Flughafen. Der Flieger mit Susen ist endlich gelandet. Wir gehen zur Parkgarage. Auf der Rückfahrt vom Flughafen nach Hause zunächst nur betretenes Schweigen. Ben hat keine Kinder bei sich, obwohl natürlich klar ist, dass er nur eine Stippvisite unternommen hat, um einen Prozess ins Rollen zu bringen. Aber die Hoffnung endlich mal zum Ziel zu kommen ist immer gegenwärtig

Nach ca. zehn Minuten Fahrt erzählen wir uns dann doch die wichtigsten Dinge der letzten zwei Tage. Zu Hause angekommen gehen wir zwar aufgeregt aber zugleich beruhigt ins Bett.

Keine Adoptionshilfe aus DE

Viele vergebliche Versuche ein oder zwei Kinder zu adoptieren endeten in den vergangenen nahezu sechszehn Jahren immer mit einer schmerzlichen Enttäuschung. So wie auch die Reise nach Brasilien. Hier waren uns Kinder im Alter von ein und neun Jahren versprochen, sogar Fotos von den beiden Kindern wurden uns aus Brasilien zugesandt. Der Ausgang dieser Geschichte war äußerst traurig und deprimierend.

Unerfahren und den Worten deutscher Mitarbeiter vom Jugendamt glaubend sind wir davon ausgegangen, dass uns der Staat bei der Adoption eines Kindes Hilfestellung in jeglicher Richtung geben wird. Dass wir hier vollkommen einem falschen Glauben unterlegen sind, müssen wir nach drei Jahren unserer erfolglosen Bemühungen feststellen. Grund hierfür, mit nun 37 Jahren fallen wir in Deutschland aus dem „adoptionsfähigen Alter“ heraus. Jetzt bleibt uns nur noch der Weg über eine Auslandsadoption. Für die Behörden ist es unerheblich, ob ein Kind bei reiferen Eltern eventuell eine vielversprechendere Zukunft haben könnte. Dies mag zwar etwas sarkastisch klingen aber wir haben das Gefühl, dass das Kindeswohl nicht immer die höchste Priorität hat. Denn in all den Jahren der vergeblichen Adoptionsbemühungen gab es kaum Unterstützung durch unsere Behörden. Parallel zum Schreiben der Adoptionsvermittlungsstelle, dass wir keine Kinder mehr aus Deutschland adoptieren dürfen, bringt das ZDF einen Fernsehbericht über eine nahezu asoziale Familie. Dieser Familie hat man bereits das vierte Kind zugesprochen. Dieses deutsche Vorgehen verstehen wir nicht mehr und gehen deswegen in die weite Welt hinaus. Unser Vorsatz lautet, mindestens zwei Kinder möchten wir adoptieren, denn wir wollen nicht nur uns sondern auch den verwaisten Kindern eine Zukunft bieten. Bei zwei Kindern funktioniert die Integration sicherlich besser.

Wie schon erwähnt können 85% der kinderlosen Ehen aus biologischen Gründen keine Kinder bekommen und nicht wie ihnen oft unterstellt wird, weil sie ausschließlich Wert auf eine berufliche Karriere legen. Warum werden solch ernüchternde Zahlen erst zu später Abendzeit im Fernsehen berichtet? Sollten diese Fakten nicht weitläufig publiziert werden? Fakt ist ja auch, dass sich diese Doppelverdiener in ihrer Arbeit meist überproportional engagieren. Mit ihrem dann meist hohen Einkommen werden sie steuerlich so richtig zur Kasse gebeten. Hinzukommt, dass ihr erhöhter Arbeitseinsatz mangels Familie auch zu vielen kostenlosen Überstunden führt und somit nicht selten zum Erfolg eines Unternehmens erheblich beiträgt. Als Belohnung hierfür „dürfen“ sie mehr Steuern entrichten und hie und da in die Augen von anderen glücklichen Eltern und glücklichen Kindern schauen.

Wir haben die Anzahl unserer Adoptionsversuche der letzten fast 16 Jahre addiert und sind zu einem nachdenklichen Ergebnis gelangt. Es waren in Deutschland fünf Städte, hinzu kommen Brasilien, Bolivien, Tschechische Republik, Weißrussland, Portugal, Jugoslawien, Russland, Ukraine und USA. Bisher also 14 Stationen mit zwei Kinderfotos aus Sao Paulo, einem Neugeborenen aus Bolivien und nun Bosnien & Herzegowina als Nr. 15.

Ukraine 2003

Im November 2003 eröffnet sich uns eine neue Hoffnung, die Ukraine. Bekannte kennen jemanden, der in der Ukraine bereits ein Kind adoptiert hat. Ungeduldig warten wir auf die Adressennennung. Endlich kommt dann ein Rückruf von der Bekannten mit dem Hinweis, dass unsere Adoptionsvermittlungsstelle bereits mehrere Paare in die Ukraine geschickt hat. Auch hier wurden wir nicht einbezogen bzw. über die Möglichkeiten informiert. Diese Ehepaare verbrachten vierzehn Tage in den örtlichen Hotels und kamen bedauerlicherweise unverrichteter Dinge nach Deutschland zurück.

Auch die Ukraine wurde von den Amerikanern, Adoptionen betreffend, schon in Besitz genommen. Weniger Vermittlungsanforderungen jedoch verbunden mit höheren administrativen Kosten und professionellem Vorgehen ermöglichen so den Amerikanern kurzfristige Erfolge. Um diese professionellen amerikanischen Vermittler kontaktieren bzw. beauftragen zu können muss man leider Amerikaner mit Pass sein. Ansonsten hat man keine Chance eine dieser Agenturen zu nutzen.

Wohlgemerkt, es handelt sich hierbei um ganz legale Adoptionen und nicht um Kinderhandel.