Michael Blaschke 



Abgefahren 

Leben an der Abbruchkante

Michael Blaschke



Abgefahren

Leben an der Abbruchkante



© Dirk-Laker-Verlag, Bielefeld

Dirk Laker

Autor: Michael Blaschke

Alle Rechte vorbehalten


Cover-Bildquelle: www.pixabay.com

eBook-Ausgabe erschienen bei ePubli

ISBN: 978-3-7375-2975-4

1. Kapitel

Es war ein regnerischer Sommertag. Karl Hent suchte einen Unterstand, der ihn vor dem Dauerregen schützen sollte.

Ohne Geld, in einem abgerissenen Zustand, war er ziemlich am Ende. Er wusste nicht, wie er die kommende Nacht überstehen sollte und wo er schlafen konnte. Sein Nachtquartier würde nicht komfortabel werden. Karl war die Nacht vom Hafen quer durch die Stadt gelaufen, weil er glaubte in den Schrebergärten eine trockene Bleibe zu finden, um seinen Rausch auszuschlafen. Gewaltsam eine Laube zu öffnen kam für ihn nicht in Frage, denn das könnte ihm eine Strafanzeige einbringen. Das konnte er nicht gebrauchen. Er kam ja gerade aus dem Gefängnis, in das er nicht zurück wollte. Seinen Entlassungsschein in der Tasche, sollte er in ein Männerheim gehen. Der Sozialarbeiter der Anstalt, ein abgeklärter Mann, Mitte fünfzig, tat nur das Nötigste, um den Entlassenen zu helfen. Für ihn war klar, dass die Meisten wieder in der Haftanstalt landeten, was sollte er sich da ins Zeug legen, um den Entlassenen einen besseren Start in ihren neuen Lebensabschnitt zu geben. Für Karl und die meisten Häftlinge, die er kannte, war der Sozialarbeiter ein faules Arschloch und das würde er wohl bis zu seiner Pensionierung bleiben.

Karl war Ende zwanzig, ein junger Mann, der vom Leben nicht verwöhnt war. Er war nicht ins Männerwohnheim gegangen, sondern in eine Hafenkneipe die er von früher kannte. Mit der Tochter des Wirts hatte er ein intensives Verhältnis, was dem Vater gar nicht Recht war. Das war vor zweieinhalb Jahren. In der Zwischenzeit gab es einen neuen Pächter, der Vorgänger war mit Frau und Tochter nach Süddeutschland gezogen. Mehr konnte der Mann hinter dem Tresen ihm nicht sagen. Karl sah sich um. Er musste feststellen, dass sich die Ausstattung des Lokals verändert hatte. Alles war in üppigen Farben gehalten, was an ein Nachtlokal erinnerte. Die gemütliche Atmosphäre einer Hafenkneipe war verloren. Karl war enttäuscht, hatte er doch gehofft seine einstige Liebe wieder zu finden. Wenn er an seine momentane Lage dachte, war es besser, sie nicht zu treffen. Der Arbeitslohn, der für ihn im Knast zurück gelegt war und den er jetzt ausbezahlt bekommen hatte, landete beim Wirt in der Kasse. Als der nach Mitternacht seinen Laden schließen wollte und Karl besoffen Protest einlegte, wurde er von zwei Gästen kurzerhand an die nasskalte Luft gesetzt. Singend und schimpfend latschte Karl in Richtung Stadtrand. So sah es aus. Nun ging es darum, einen trockenen Platz für die Nacht zu finden.

Der Regen hörte nicht auf und Karl war bis auf die Knochen durchnässt. Neben den Schrebergärten befand sich ein Fußballplatz, die kleine Tribüne hatte eine Überdachung und bot ein trockenes Plätzchen. Eine Straßenlaterne lieferte etwas Licht und Karl suchte sich hinter der letzten Reihe einen Platz, wo er seine Beine ausstrecken konnte. Richtig schlafen konnte er nicht. Er hatte keine Unterlage, seine Kleidung war nass und ein kühler Wind von der nahen Küste tat ein Übriges.

Aus dem Dunkel der Nacht entwickelte sich ganz allmählich ein Grauschleier, der immer heller wurde. Die ersten Vögel begrüßten den neuen Tag. Der Natur war es egal, dass Karl an einer Bretterwand nicht schlafen konnte. Der Suff hatte ihm gehörige Kopfschmerzen verursacht und einen gewaltigen Durst. Er stand auf und überlegte, was er jetzt machen sollte. Er musste raus aus den nassen Klamotten, bevor er sich eine Erkältung zuzog. Eine heiße Suppe und danach einen Kaffee, das wäre ein vernünftiger Anfang. Seinen Geldbeutel fand er in der Innentasche seines Parkas. Er war leer. Karl dachte, wie er in etwa drei Stunden 280 Mark versoffen haben konnte. Durch die lange Abstinenz konnte er doch nichts mehr vertragen und nur der Teufel wusste, was da passiert war. Der Wirt war ein abgewichstes Schwein und Karl wusste, dass es alles böse Buben sind.

Er musste sich ein ordentliches Aussehen verschaffen. In der Nähe des Bahnhofs gab es ein Büro der Streetworker und die Möglichkeit für Obdachlose, sich zu duschen und die Kleidung sowie Unterwäsche zu wechseln.

Karl hatte den langen Marsch bis ins Stadtzentrum geschafft. Er hoffte, dass ihm geholfen würde. Das Büro bestand aus drei Räumen und einem Keller. Das eigentliche Büro hatte einen Vorraum mit Tischen und Stühlen. Die Wände waren mit Drucken von Andy Warhol beklebt. In der Ecke gab es einen Tresen, der von einer jungen Frau geführt wurde, wo es kostenlos heiße und kalte Getränke und belegte Brote gab. Als Karl den Raum betrat, kam ihm eine Wolke Zigarettenqualm, vermischt mit Essensgeruch und nasser Kleidung entgegen. Neben dem Ausschank befand sich eine Tür mit der Aufschrift ´Anmeldung´ und Karl ging direkt auf die Tür zu. Er kam nicht weit. Die Frau hinter dem Tresen machte ihm mit einem müden Lächeln klar, dass er zu warten habe bis er dran sei. Erst jetzt merkte Karl, dass die anderen Männer und einige Frauen auch in die Anmeldung wollten.

„Möchten Sie einen Kaffee?“, fragte die junge Frau und ihre großen Brüste, die in einem engen roten Pulli eingepackt waren, hoben sich herausfordernd, wenn sie tief durchatmete.

Karl suchte sich einen freien Platz, holte sich seinen Kaffee und eine heiße Brühe. Es war ein ständiges Kommen und Gehen. Das Schlimmste war der Zigarettenrauch, der nicht abziehen konnte, weil kein Fenster geöffnet wurde. Karl beobachtete die Menschen. Einige saßen hier, um sich zu unterhalten, andere stierten vor sich hin, doch die Meisten brauchten Hilfe. Nicht ihre Kleidung machte aus ihnen Stadtstreicher oder Penner, sondern ihre Gesichter. Sie sahen aus wie ausgekotzte Seelen. Viele hatten sich ihre Lage selbst zuzuschreiben, andere hatte das Schicksal brutal aus der Bahn geworfen, sie konnten nichts dafür.

Karl war eingenickt. Er wurde von der jungen Frau leise angesprochen, die ihm sagte er könne jetzt in das Büro, um seine Bitte vorzutragen.

Hinter dem Schreibtisch saß ein junger Mann mit Vollbart, der seinen Hals verdeckte. Er trug ein schmuckloses Brillengestell mit starken Gläsern. Der Kopf erinnerte Karl an Rasputin, die Sehhilfe hatte er auf einer Federzeichnung von Franz Schubert gesehen.

„Setzen Sie sich“, sagte der Typ und deutete auf einen Stuhl.

„Was kann ich für Sie tun?“

Seine flinken Augen schienen alles zu sehen. Er musterte sein Gegenüber mit ausdrucksloser Miene.

„Ich brauche Hilfe“, sagte Karl.

Er griff in seine Brusttasche und holte seinen Entlassungsschein hervor und reichte ihm das Papier. Der Typ nahm den Schein, überflog ihn und meinte dann: „Sie hätten sich gestern schon im Männerheim melden sollen, warum haben Sie das nicht gemacht?“

Er sah über seine runde Brille und in der Frage hörte man eine Verärgerung.

„Soll ich Ihnen sagen, warum? Ich wollte mich erst einmal richtig besaufen. Verstehen Sie das?“

Der Streetworker schien unbeeindruckt, so als hätte er die Frage nicht gehört. Dieser Mann war kein Obdachloser, er kam aus dem Gefängnis und was er auf dem Kerbholz hatte, konnte er dem Entlassungsschein nicht entnehmen.

„Sie können sich bei uns duschen, nach Bedarf Unterwäsche und auch Oberbekleidung erhalten und etwas zu essen bekommen. Ich muss auf der Rückseite die Hilfe mit Datum und Uhrzeit vermerken. Eine finanzielle Hilfe gibt es bei uns nicht.“

Er reichte Karl den Schein, nachdem er seinen Vermerk gemacht hatte. Karl war sauer über die Art, wie er von diesem Rasputin behandelt wurde. Er dachte an die wöchentlichen Gruppenabende, die sich mit Fragen der Resozialisierung befassten. Es kamen oft sogenannte Besucher, die den Häftlingen nach der Entlassung helfen wollten. Für anständige Bürger war es ein besonderer Kitzel, in die Höhle des Bösen zu gehen, sich mit langen Diskussionen über die Hilfe für die Gestrandeten interessant zu machen und den möglichen Sittenstrolch heimlich, mit einem lustvollen Schauer, zu beobachten.

Als Karl entlassen wurde, war der Sozialarbeiter im Urlaub, von den Gutmenschen, die ja helfen wollten, hat er keinen vor dem Gefängnistor gesehen. Letztlich war alles nur dummes Gequatsche. Wenn bestimmte Normen nicht erfüllt werden, kann es keine Resozialisierung geben.

Die warme Dusche war ein Genuss, die saubere Unterwäsche und zeitgemäße Garderobe machten aus ihm einen neuen Menschen. Die junge Frau mit dem roten Pulli war ihm bei der Auswahl der Klamotten behilflich. Sie war nett zu ihm, Karl meinte etwas zu nett. Er staunte über die Fülle an Kleidung, Decken und Schlafsäcken, die alle geordnet in den Regalen lagen. Zusätzliche gab es jede Menge an Körperpflegeartikeln.

„Sie sind gut versorgt“, sagte Karl und wandte sich an die junge Frau.

„Das sind alles Spenden, wenn Sie einen Obdachlosen sehen, erkennen Sie ihn an der grauen Gesichtsfarbe, an seinen schlechten Zähnen, an seinen Körperausdünstungen und an seiner Alkoholfahne. Sie gehen nicht mehr in Lumpen, wie in früheren Zeiten. Die Armut versteckt sich hinter einer Fassade.“

Karl hörte interessiert zu. Hier sprach jemand, der die Probleme der Menschen am Rand der Gesellschaft kannte. Keine Salon Sozia, die sich gerne reden hörte. Er war überrascht, von den Ansichten der jungen Frau.

„Ihr Beitrag, Ihre Arbeit für die Armen, finde ich großartig, aber er geht an den Ursachen vorbei.“

„Sie haben Recht, aber sagen Sie mir, wie Sie das ändern würden. Wie Sie das Übel an den Wurzeln fassen wollen.“

Sie schaute ihn herausfordernd an und wusste doch, dass er keine Lösung anbieten konnte.

Der Warteraum hatte sich geleert. Karl und die Mitarbeiterin waren alleine. Er wollte Gerade gehen als die Bürotür aufging und der Streetworker auf sie zuging. Sein kleiner schmächtiger Körper steckte in einem überlangen Pullover, der ihm bis an die Knie reichte. Die starken Gläser seiner runden Brille vergrößerten die Augen, was seinem Aussehen keine Sympathie verschaffte. Er trug eine abgewetzte Jeans. Er sah aus, wie ein Demonstrant der APO Bewegung der sechziger Jahre. Er wandte sich an Karl.

„Sie sind ja immer noch hier. Denken Sie daran, das Männerheim nimmt nach 19 Uhr keine Leute mehr auf und wenn Sie die Zeit verpassen, müssen Sie wieder auf einer Bank nächtigen.“

Während er sprach sah er seine Mitarbeiterin an, um sich das Gesagte von ihr bestätigen zu lassen. Karl fragte: „Meinen Sie, dass es immer eine Parkbank sein muss?“

Er dankte der Frau und verließ das Büro. Der Regen hatte aufgehört, die Sonne kam ab und an durch, um am Ende des Tages doch noch einen freundlichen Eindruck zu hinterlassen. Was gab es doch für saublöde Menschen in diesem Beruf. Mit vernünftigen Vorstellungen kamen sie von den Schulen. Sie, diese sozialen Flickschuster der Gesellschaft, machten sich keine Illusionen mehr, betrachteten ihre Arbeit als reinen Broterwerb, nach Möglichkeit mit den Vorzügen des öffentlichen Dienstes und eines sicheren Arbeitsplatzes. Dieser Rasputin war ein Beispiel eines schwierigen Berufsstandes.

Karl musste sehr weit laufen. Das ´Gästehaus´ der Stadt lag weit draußen, so wie die Gefängnisse, Irrenhäuser und Friedhöfe dort angesiedelt waren. Der rote Klinkerbau hatte einige Jahrzehnte auf dem Buckel, er war alt, abgenutzt und hässlich. Ursprünglich war er für die Ausbildung und Unterbringung der preußischen Kadetten gebaut. Als man keine Helden mehr brauchte, wurde daraus ein Militärkrankenhaus für Langzeitpatienten, um schließlich Männern, verschuldet oder unverschuldet, eine Bleibe zu geben.

Über dem Eingang war noch der preußische Adler in Stein zu erkennen, dem allerdings der rechte Flügel abhandengekommen war. Als Karl an seinem Zuhause ankam, fand er eine lange Menschenschlange vor, die sich kaum bewegte. Vor ihm stand Jemand, der aus einem Flachmann immer wieder einen kräftigen Schluck nahm, sich den Mund abwischte und sich eine selbstgedrehte Zigarette anzündete. Als er merkte, dass er nicht mehr der Letzte in der Schlange war, drehte er sich um, schaute Karl aus listigen Augen an und meinte: „Bruder wo kommst du her? Du siehst ja noch ganz passabel aus.“

„Ich komme aus dem Knast und du musst wissen, dort wäscht man sich jeden Tag“, sagte Karl.

Der Angesprochene lachte und meinte: „Schön, wie du das gesagt hast, aber weißt du, der Dreck auf der Haut hält warm und schützt meinen inneren sauberen Kern.“

Er lachte und zeigte seine blendend weißen Zähne. Karl musste auch lachen. Er hatte das Gefühl, dieser Mensch hat noch nicht oft hier gestanden. Sein Äußeres hatte schon etwas gelitten aber sonst war nichts Auffälliges an ihm zu bemerken.

„Ich trinke meinen Flachmann leer, weil ich in so ein elegantes Haus keinen Alkohol mitbringen darf. Wenn du die Suiten siehst, wirst du das verstehen.“

Vorne am Eingang entstand ein heftiger Disput, der in eine handgreifliche Auseinandersetzung auszuarten drohte. Ein bulliger, über und über Tätowierter, wollte seine Schnapsflasche, die er in der Innentasche seiner Jacke versteckt hatte, mit in die Herberge nehmen. Er wurde von zwei autorisierten, großen Männern kurzerhand verjagt.

„Hast du das gesehen?“, fragte der Vordermann und schaute Karl über die Schulter an.

„Ich habe es gesehen.“

„Man kann besoffen sein, das spielt keine Rolle, man darf eben keinen Alkohol mitbringen“, sagte sein Vordermann.

Nach und nach kamen beide an der ´Himmelspforte´ an. Ein beleibter Glatzkopf hinter einem Schalter fragte nach dem Ausweis und verlangte 2DM. Karl hatte kein Geld und auch keinen Ausweis. Er griff in seine Brusttasche und reichte dem Dicken seinen Entlassungsschein. Der schaute kurz auf das Datum der Entlassung. Die Rückseite bekam einen Stempel, ein Datum und die Unterschrift des Pförtners. Wer sich duschen oder seine Kleider in Ordnung bringen wollte, der musste in den Keller. Die Anderen bekamen Zimmer zugewiesen, die für zwei Personen gedacht waren. Sie waren etwa so groß, wie eine Gefängniszelle, mit zwei Stockbetten, einem Schrank, Tisch und zwei Stühlen ausgestattet. Die sanitären Einrichtungen befanden sich auf dem Flur. Es gab einen großen Speiseraum, der einen Fernseher auf einer hohen Holzkonstruktion hatte und auch als Aufenthaltsraum diente. Wer Geld hatte, konnte eine warme Mahlzeit bekommen, wer nichts hatte, bekam nichts. Dauergäste lebten von der Stütze, ihre Lebenserwartung lag statistisch unter der Norm. Viele hatten jahrelang unter freiem Himmel gelebt, was nur mit Alkohol zu ertragen war.

Karl hatte sich zu einem Gespräch beim Sozialarbeiter des Hauses eintragen lassen. Er begutachtete sein Bett und wollte gerade sein Zimmer verlassen, als die Tür aufging und der Leidensgenosse, den er draußen kennen gelernt hatte, das Zimmer betrat.

„Was für eine Überraschung“, sagte Karl und war froh, jemanden im Zimmer zu haben, den er schon etwas kannte. Der kam auf ihn zu, gab ihm die Hand und stellte sich vor: „Otto Krämer, ehemaliger Bankmensch, verheiratet, zwei Kinder, geschieden und mittellos.“

Er verbeugte sich leicht, wobei er das Gesagte mit Ironie und spöttischem Unterton belegte. Karl war nicht weniger ironisch, auch er verbeugte sich und bemerkte: „Karl Hent, ehemaliger kaufmännischer Angestellter, ledig, Knastbruder und kein Geld.“

„Da haben sich ja zwei komische Vögel getroffen“, sagte Otto Krämer, warf seine Plastiktüte aufs Bett, setzte sich auf einen Stuhl und überschaute mit düsterer Miene seine momentane Situation.

„Komisch mag ja richtig sein, aber Vögel, ich weiß nicht.“

Karl glaubte jemanden gefunden zu haben, der auf seiner Wellenlänge lag. Otto war ein Skeptiker und in seinem Verhalten eher vorsichtig. Er war schon einige Male hier gewesen und bestohlen worden. Otto wusste auch, dass sich in Häusern wie diesen der Kaffeesatz der Gesellschaft finden ließ. Wer das, was man hier fand, seinen Lebensmittelpunkt nannte, hatte kaum eine Möglichkeit aus diesen Verhältnissen auszusteigen.

Karl musste in die erste Etage zum Sozialarbeiter. Er hoffte etwas Geld zu bekommen, um sich das Nötigste zu kaufen. Wieder musste er warten, bis er an der Reihe war. Er kam eben als Bittsteller und das hieß kleine Brötchen backen, sich angepasst zeigen, die Voraussetzungen mitbringen. Er hatte sich den Weg für einen Neuanfang leichter vorgestellt. Als er das Büro betrat, saß zu seiner Überraschung eine Frau mittleren Alters am Schreibtisch, die ihm freundlich Platz anbot. Sie machte einen souveränen Eindruck, als wolle sie sagen, ich weiß was du brauchst. Karl erzählte, was er dringend benötigte und bat um Hilfe. Die Frau, schlank und dunkelhaarig, machte sich auf einem Block Notizen. Am Handgelenk trug sie einen Goldreif mit einem goldenen Taler. Karl sah fasziniert, wie der Taler hinter der schreibenden Hand mitgezogen wurde. Karl glaubte die Frau in einem Blumengarten zu sehen.

„Herr Hent“, die Frau schaute etwas irritiert auf ihren Bittsteller, der ihr anscheinend nicht zuhörte. „Macht es Ihnen etwas aus, mir zu sagen warum Sie in Haft waren?“

„Entschuldigen Sie, ich war in Gedanken. Ich habe zwei Jahre und sechs Monate wegen Landfriedensbruchs und Widerstand gegen die Staatsgewalt eingesessen. Eine vorzeitige Entlassung auf Bewährung habe ich abgelehnt, weil ich mich mit Auflagen nicht frei fühlen kann. Sie war nicht einfach diese Entscheidung, aber ich habe das durchgezogen.“

„Ich glaube das gerne, Sie erhalten von mir 50 DM als Soforthilfe und ich gebe Ihnen für drei Tage Essensmarken. Sie müssen sich morgen beim Arbeitsamt arbeitslos melden und Arbeitslosengeld beantragen.“

Karl bedankte sich, nahm das Geld und suchte sein Zimmer. Wie konnte so ein tolles Wesen in so einer Institution arbeiten?

Auf dem Flur stank es nach Schweißfüßen und kaltem Zigarettenrauch. Die Wände waren verdreckt, mit obszönen Sprüchen versaut, die man notdürftig beseitigt hatte. Otto hatte sich aufs Bett gelegt, als Karl das Zimmer betrat.

„Na, hast du etwas erreicht?“, fragte er und ließ seine Beine auf dem Etagenbett hin und her baumeln. Karl setzte sich auf einen Stuhl und spielte mit seinem Geldschein.

„Kennst du die Sozialarbeiterin hier im Haus?“, fragte er und schaute nach oben.

„Du meinst wohl den Engel vom Josefsheim, so nennt man diese Bleibe hier. Sie ist Spanierin, lebt schon Jahre in Deutschland. Sie gilt bei den Obdachlosen als Engel. Sie ist sich ihres Aussehens bewusst und kokettiert durchaus damit. Diesen Job macht sie schon lange, holt für ihre Leute einiges aus dem großen Topf. Es gibt also auch Menschen, die für ihre Mitmenschen etwas tun und nicht nur reden.“

Karl überlegte und dachte, wie kommt ein Mensch wie Otto in so eine Lage? Die schwarz-weiße Sichtweise war dann doch nicht passend. Er musste Otto sagen, warum er im Gefängnis war.

„Ich bin kein Eierdieb, ich war mit der Führung unseres Staates nicht einverstanden, habe mich mit der Polizei angelegt, bin ordentlich von den Bullen verprügelt worden und habe mir eine Anzeige wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt und Landfriedensbruch eingehandelt. Ich sage dir das, weil ich glaube, es ist besser zu wissen mit wem man es zu tun hat.“

Auf dem Flur war es ruhiger geworden, die Beiden gingen in den großen Essraum, um etwas Warmes in den Bauch zu bekommen. Es ging laut her, der Kampf um die besten Fernsehplätze. Sie waren von den Dauergästen längst in Beschlag genommen. So genannte Aufseher standen in den Ecken, um im Bedarfsfall einzugreifen. Für Karl und Otto war klar, dieses Männerheim war kein Dauerzustand. Sie kannten sich zwar erst einige Stunden, aber in vielen Dingen waren sie einer Meinung. Sie waren keine Penner und wollten es auch nicht werden.

Am nächsten Morgen ging Karl zum Arbeitsamt. Er war relativ früh und meldete sich an der Pforte. Wieder saß er auf dem Flur und es hieß warten. Karl fragte sich was schief gelaufen war, in seinem bisherigen Leben. Er kam zu dem Schluss, nichts war schiefgelaufen. Er war schon in jungen Jahren am politischen Geschehen interessiert, er hatte immer den Eindruck, dass Wenige entscheiden und dass Wenige viel haben. Warum war das so? Er hatte einiges an Literatur zu diesem Thema gelesen in Verbindung mit den politischen Geschehnissen der letzten hundert Jahre. Eine passende Antwort hatte er nicht gefunden. Wir leben in einer freiheitlichen Gesellschaft und diese Freiheit kommt immer denen zugute, die sie politisch, wirtschaftlich und für persönliche Vorteile immer wieder missbrauchen und gut damit leben. Ja, und da hatte der kleine Karl etwas getan, was er nicht durfte. Er hat sich die Freiheit genommen zu laut zu demonstrieren und einen Polizisten mit Milchgesicht und blödem Getue eins in die Fresse zu hauen und ihn und andere Polizisten große Arschlöcher zu nennen. Das war natürlich gar nicht artig und deshalb saß er jetzt hier auf dem Arbeitsamt und musste warten.

Die Selbstgefälligkeit der Sachbearbeiter, ihre Gleichgültigkeit, die gelangweilten Mienen, beschäftigen mit immer mehr Papierkram, war von einer Arbeitsvermittlung weit entfernt, da es ja sowieso keine Arbeit gab. Karl empfand es als einzige Demütigung. Männer, Frauen, Junge, Alte, Dicke und Dünne sie alle hofften, dass in ihrem Sinne entschieden würde. Jeder hoffte, wenn die Tür aufging, dass sein Name gerufen wurde. Es war öde und langweilig, ab und zu schob ein Mitarbeiter einen Aktenwagen in die einzelnen Büros. Das zeigte, dass jeder Wartende für die Bürokratie auf einen Aktenordner reduziert war, mit großem und kleinem Inhalt. Dauergäste gehörten schon zum lebenden Inventar und wurden entsprechend behandelt. Bei all diesen Überlegungen hätte er beinah seinen Namen überhört.

Im Grunde war Karl sauer über das Prozedere. Bevor der Sachbearbeiter etwas sagen konnte, hielt Karl ihm seinen Entlassungsschein unter die Nase. Der Typ nahm ihn, überflog ihn, drehte ihn um und legte ihn vor sich hin. Er benutzte seine Schreibmaschine wie ein Klavier, lehnte sich nach getaner Arbeit auf seinem Bürostuhl zurück und sagte: „Herr Hent, wie lange haben Sie als kaufmännischer Angestellter gearbeitet?“

„Es waren zehn Jahre.“

„Haben Sie die zehn Jahre durchgehend bei einem Arbeitgeber verbracht?“

„Ja, ich hatte nur diesen Arbeitgeber.“

„Ich weiß nicht, was Sie ins Gefängnis gebracht hat, aber da Sie vorbestraft sind ist es für mich schwer Sie zu vermitteln.“

„Ich habe also keine Chance mehr in meinem Beruf zu arbeiten?“

Karl hatte die Frage so gestellt, als wüsste er bereits, was ihm der Mann sagen würde.

„Nun ja, es wird nicht einfach werden. Selbst eine untergeordnete Arbeit kann ich nicht anbieten, weil ich sie einfach nicht habe. Ich brauche eine Verdienstbescheinigung.“

Er griff in eine Schublade, holte die passenden Unterlagen, legte sie auf den Tisch und händigte sie einzeln seinem neuen Kunden aus.

„Die Bearbeitung wird ein paar Tage dauern, deswegen muss ich Sie bitten, die Bescheinigung, vom Arbeitgeber ausgefüllt, umgehend herein zu bringen.“

„Ich bin mittellos und brauche eine finanzielle Überbrückung.“

„Sie bekommen einen Barscheck von 150 DM, der Ihnen in kleinen Raten vom Arbeitslosengeld abgezogen wird.“

Karl war freundlich gestimmt, weil ihm so unbürokratisch geholfen wurde. Karl, mit allen Unterlagen versorgt, fuhr mit der Straßenbahn ins Männerheim. Wie am Vortag gab es wieder eine Warteschlange, aber da es zügig ging, war er bald in seinem Zimmer. Otto lag im Bett und schlief. Er war besoffen und zwar ordentlich. Karl schaute sich um und dachte, dieses Dreckloch kann man auch nur im Suff ertragen. Er hatte sich einige Sachen für Körperpflege, Tabak und Zigaretten gekauft. Otto hatte ihm geraten seine Sachen immer mitzunehmen und Wertsachen am Körper zu tragen und nachts unter dem Kopfkissen zu verstauen. Die Schränke und auch die Zimmertüren ließen sich nicht abschließen. Die Männer sollten sich gar nicht erst wohnlich einrichten. Die Einrichtung war eine reine Schlafmöglichkeit.

Karl ging zum Essen. Als er zurück kam saß Otto am Tisch, mit einem Flachmann, den er eingeschmuggelt hatte. Er sah kurz auf und meinte: „Na Bruder, was hast du erreicht?“

Er sagte das mit ironischem Unterton, als sei alles vergebliche Liebesmüh.

„Ich habe immerhin 150 DM abgestaubt.“

„Ja, ja, lange wird das nicht reichen.“

„Ich weiß“, sagte Karl und steckte sich eine Zigarette an.

„Morgen fahre ich zu meiner Mutter und zu meiner alten Firma. Und wie hast du den Tag verbracht?“

„Um neun Uhr raus, ich habe im Park ein ruhiges Plätzchen gefunden und wenn es regnet gehe ich in den Bahnhof. Von was lebst du? Ich bekomme ja Sozialhilfe, das ist nicht viel aber ich komme damit aus.“

Karl wusste von seinem Zimmergenossen so gut wie nichts. Der war auch nicht sehr gesprächig. Warum sollte er auch, dachte Karl und wollte auf keinen Fall aufdringlich nachfragen. Irgendwann würde er selbst davon reden. Er war klein von Statur, mit schütterem Haar und breitem Gesicht. Besser gesagt, aufgequollenem Gesicht. Der Alkohol hatte ihm schon beträchtlich zugesetzt. Er sah das Leben von seiner ironisch humorigen Seite. Wollte Otto überhaupt aus dieser Scheiße heraus kommen? Armut stinkt, sieht auch nicht gut aus. Karl wollte so nicht leben. Vielleicht konnte er Otto aus seiner Lethargie holen.

Am nächsten Morgen fuhr Karl mit dem Zug zu seinem alten Arbeitgeber und dabei wollte er seine Mutter besuchen. Das Verhältnis war nicht das Beste, aber er hoffte, nach all den Jahren, einen Weg zu ihr zu finden. Der Tag war schön, die Bahn schaukelte durch die Landschaft und hielt buchstäblich an jedem Baum.

Der Personalchef der Großhandelsfirma war ziemlich kurz ab.

„Herr Hent, Sie können nicht auf Ihre Papiere warten. Sie werden von uns ausgefüllt und gehen den postalischen Weg. Sie können sich darauf verlassen, wir sind dazu verpflichtet Ihre Angelegenheit zügig zu bearbeiten.“

Karl musste sich damit zufrieden geben. Der Besuch bei seiner Mutter lag ihm im Magen. Vor der Tür, in einem großen Wohnblock, hatte er Angst zu klingeln. Wie würde sie auf ihn reagieren? Nachdem er geklingelt hatte dauerte es eine Weile, er hörte schlurfende Schritte und die Tür wurde langsam geöffnet. Es war eine ältere Frau mit schmalem Gesicht und ergrautem Haar. Als sie Karl erkannte, sagte sie nichts und ließ ihn in die Wohnung. Sie saßen im Wohnzimmer und seine Mutter sah ihn lange an und sagte: „Du bist schmal geworden, nahezu dünn.“

„Ja, ja Mama, mir fehlt dein zu Hause.“

Sie faltete ihre Hände, als wollte sie beten und sagte dann: „Du bist ein Mann von fast dreißig Jahren, du könntest längst dein eigenes Zuhause haben. Im Augenblick muss ich sehen, wie ich für mich allein zu recht komme, was nicht einfach ist.“

Die Mutter dachte an die Zeit, als die Familie noch komplett war. Ihr Mann, ein höherer Beamter, war vor zwanzig Jahren bei einem Verkehrsunfall verstorben. Karl ging noch zur Realschule, die er mit guten Noten verließ. Auch die Lehre zum Kaufmann hatte er gut beendet und entsprechende Arbeit gefunden. Dann merkte sie, dass Karl seine politischen Ansichten radikalisierte. Schon früh interessierte er sich für die allgemeinen Geschehnisse. Dann fand sie in seinem Zimmer linksorientierte Literatur, auch billige Agitationspropaganda. Anfangs konnte sie sich das nicht erklären und fand es nicht so tragisch. Als er das erste Mal ein Mädchen mit nach Hause brachte, wurde ihr klar, dass diese junge Frau, die einige Jahre älter war, ihn entsprechend beeinflusste. Das war kein Umgang für Karl und sie fragte sich, was der tatsächliche Grund für diese Beziehung war. Es war und blieb der einzige Besuch, denn beide Frauen mochten sich nicht.

Zwei Beamte vom Verfassungsschutz tauchten bei ihr auf, um einige Fragen zu stellen und teilten ihr mit, dass ihr Sohn einer kommunistisch, stalinistischen Gruppe angehörte. Die hatten die gewaltsame Demonstration organisiert, mit dem Ziel, der Polizei einen Denkzettel zu verpassen. Karl hatte sich besonders aktiv gezeigt und einen jungen Beamten krankenhausreif geschlagen. Die Schlapphüte vom Verfassungsschutz meinten, die Gruppe sei zwar klein, doch straff geführt und äußerst brutal. Die Mutter konnte sich diese Entwicklung nicht erklären und suchte nach Gründen in der Erziehung und Kindheit. Karl war nicht bereit seine Einstellung zum Staat und seiner Gesellschaft zu ändern.

„Ich habe keine Chance mit dieser Vorstrafe in meinem Beruf je wieder Fuß zu fassen. Ist das gerecht? Meine Strafe habe ich abgesessen, auf vorzeitige Entlassung verzichtet, nun soll ich auch noch kleine Brötchen backen? Nein Mama, das kannst du nicht erwarten, dass ich dem politischen Klüngel in den Hintern krieche.“

Wenn er sich so ereiferte, sah sie seinen Vater vor sich. Auch er war selten von seinen Vorstellungen abzubringen.

„Nun lassen wir das Thema und freuen uns auf dieses Zusammensein“, sagte seine Mutter. „Ich bin eine alte Frau, will keinen Ärger und will auch keinen Besuch von der Polizei.“

Sie ging in die Küche und kam mit einem Tablett mit Kaffee, Tassen und Gebäck zurück.

„Wo bist du untergekommen?“

Sie stellte die Sachen auf den Tisch.

„Ich habe ein nettes Zimmer in einem christlichen Wohnheim“, log er.

Der abschätzende Blick seiner Mutter sagte ihm, dass sie nicht so recht an das nette Zimmer glaubte.

„Was willst du nun beruflich machen?“, fragte sie weiter und er sprach von Außendienstarbeit für eine Versicherung.

Warum belog er seine Mutter, das hatte sie nicht verdient. Er wollte nicht mit Fragen behelligt werden. Wer gibt schon gerne zu, dass er bis zum Hals in der Scheiße sitzt. Es wurde dann doch noch ein gemütlicher Nachmittag. Kindheitserinnerungen wurden ausgetauscht, besondere Ereignisse aufgewärmt, es gab Dinge, an die man sich besser nicht erinnerte. Als er sich verabschiedete, hatte die Mutter Tränen in den Augen und der Groll vergangener Jahre schien vergessen.

Auf der Rückfahrt hatte Karl Zeit, über seine Zukunft nachzudenken. Das Wiedersehen mit seiner Mutter machte ihn nachdenklich. Seine Kindheit verlief ohne Blessuren und seine Mutter hatte getan, was Mütter allgemein tun, für den Sohn das Beste. Er hatte auch Fragen gestellt, auf die sie keine Antwort hatte. Widersprüche, die sich im Alltag bemerkbar machten, waren nicht zu übersehen.

Ein Klima von Misstrauen und Wut, dumme Sprüche von Erfolg und Anerkennung haben mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Leute, die die Fäden ziehen und den, der nach oben will, nicht dulden, weil er nicht zu ihnen gehört. Streikende Arbeiter mit roten Fahnen sind Vergangenheit. Spontane, doch wirkungsvolle, Demos waren angesagt.

Karl schaute gelangweilt aus dem Zug. Er brauchte keine Diskussionen, er brauchte eine Wohnung oder ein Zimmer, um aus dem Männerheim zu kommen. Da angekommen stand er wieder mal in der Schlange. Es kotzte ihn an, jeden Abend diese traurigen Gestalten zu sehen, leere Gesichter, vom Alkohol gezeichnet. Er hoffte Otto vorzufinden, doch der war nicht da. Auch in der Schlange hatte er ihn nicht gesehen. Vielleicht wusste die Pforte etwas, doch der Mann hinter der Scheibe schüttelte den Kopf. Er konnte sich nicht mal an den Namen erinnern. Wer war schon Otto Krämer, ein Nichts und wäre er in ein Loch gefallen, keiner hätte ihn vermisst. Am Morgen wollte Karl nach ihm suchen. Er ging zur Polizei, für ihn war das die Höhle des Löwen. Etliche Leute standen an einem langen Tresen, die heftig und laut mit den Beamten debattierten. Karl wartete, bis er dran kam. Ein älterer Polizist fragte ihn, ob er helfen könne.

„Ich vermisse einen guten Freund, vielleicht können Sie mir helfen?“

„Nun ja, ich brauche Namen, Anschrift und Familienstand.“

Er griff unter den Tresen, reichte Karl ein Formular zum Ausfüllen. Karl konnte die Fragen nur unzureichend beantworten. Der Polizist verlangte seinen Ausweis, den er nicht hatte.

„Haben Sie denn nichts, was Sie ausweisen könnte, Führerschein, Kreditkarte?“

„Ich kann Ihnen nur meinen Entlassungsschein geben.“

Das Gesicht des Beamten verfinsterte sich. Er nahm das Papier und verschwand damit im Nebenraum. Es dauerte eine Weile bis er wiederkam und Karl den Schein zurückgab.

„Sie müssen da, wo Sie zuletzt gemeldet waren, einen neuen Personalausweis beantragen. Was ihren Freund betrifft, werden wir das örtliche Krankenhaus und umliegende Kliniken anrufen. Sie wohnen beide im Männerheim hier in der Nähe?“

Karl bejahte das.

„Setzen Sie sich auf die Bank und warten Sie.“

Karl beobachtete das Treiben. Die laute, ja schreiend geführte, Auseinandersetzung war beendet. Es war nun ruhig, denn der Grund, ein betrunkener älterer Mann, war kurzerhand in eine Ausnüchterungszelle gesperrt worden. Es war ein Familienstreit. Zwei schwarze Zeitgenossen in Handschellen wurden an Karl vorbei in die hinteren Räume geführt. Sie protestierten in englischer Sprache, was ihre Situation nicht veränderte. Es war ein Kommen und Gehen. Karl langweilte sich nicht. Nach einer guten Stunde kam der Polizist und teilte ihm mit, dass ein Otto Krämer gestern in das örtliche Krankenhaus eingeliefert worden sei. Er müsste stationär behandelt werden. Über den Grund könne und dürfe er keine Auskunft geben.

Karl fuhr mit der Straßenbahn zum Krankenhaus. Durch den abendlichen Berufsverkehr war es schwierig, voran zukommen. Am Krankenhaus suchte er eine Telefonzelle, um in der Herberge Bescheid zu geben, dass er später käme. Er suchte die Station, auf der Otto lag. Im Schwesternzimmer saßen ein Arzt und zwei Schwestern. Die Tür war offen und Karl trat ein.

„Ich bin ein Freund von Otto Krämer und möchte Ihn besuchen.“

Der Arzt, ein großer Mensch, wirkte in seinem weißen Kittel schlaksig und unfertig.

„Ich weiß nicht, ob ich Ihnen Auskunft geben darf“, meinte er und schaute etwas verunsichert.

„Herr Krämer hat keinen Menschen, der sich um Ihn kümmert, seine Familie hat sich von ihm losgesagt. Ich kenne ihn auch erst seit einiger Zeit. Ich glaube, er wird sich über meinen Besuch freuen.“

„Nun gut, dann werde ich Sie kurz informieren. Herr Krämer hat eine chronische Leberentzündung, die mit einer Schrumpfung des Organs einhergeht. Er muss einige Zeit hier bleiben, zur Entgiftung, kann dann aber wieder entlassen werden. Wir wissen, dass Herr Krämer weiter Alkohol trinkt und über kurz oder lang an dieser Krankheit stirbt. Er kennt seinen Zustand und weiß, wie es um Ihn steht.“

Otto lag im Einzelzimmer. Eine Seite des Bettes stand an der Wand, die andere Seite war mit einem Gitter gesichert. Als Karl ins Zimmer kam, saß Otto im Bett und schaute erwartungsvoll auf seinen Besuch. Er hatte einen Kopfverband und ein weißes OP Hemdchen an. Das ganze wirkte einfach komisch. Karl konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

„Bruder, was für eine Überraschung.“

Otto nahm nicht Karls Hand, sondern den ganzen Arm, um ihn zu begrüßen. Er konnte seine Freude nicht verbergen.

„Es gab Zeiten, da wollte ich keinen Besuch, aber jetzt freue ich mich.“

Karl holte sich einen Stuhl und setzte sich ans Bett.

„Mensch Otto, was machst du für einen Scheiß, einfach zu verschwinden?“

„Es ist nicht das erste Mal, dass ich im Krankenhaus liege, es ist der Alkohol und er wird mich umbringen. Komm mir nicht mit Ratschlägen, die habe ich zur Genüge gehört.“

Otto hatte sich zurückgelegt und starrte zur Decke.

„Ich bin nicht gekommen, um dir Ratschläge zu erteilen. Ich wollte sehen wo der Typ geblieben ist, der im Bett über mir so furchtbar schnarcht. Was hältst du davon, aus diesem Männerheim raus zu kommen?“

Otto sagte lange nichts, dann meinte er: „Wie oft habe ich versucht, aus dem Dreckloch heraus zu kommen. Meine Versuche sind alle gescheitert und das war eindeutig meine Schuld. Karl, glaube mir, ich bin am Ende, ich habe keine Zukunft mehr.“

Er glaubte ihm und es tat ihm furchtbar leid, zumal das Häufchen Mensch, dass da im Bett lag, die Wahrheit sprach.

„Was ist denn mit deinem Kopf passiert, Otto?“

„Auf dem Weg ins Heim bin ich derart auf die Schnauze gefallen, dass ich mein Bewusstsein verloren habe. Als ich wieder zu mir kam, habe ich erst mal randaliert. Meine Blutwerte waren derart im Keller, dass ich hier bleiben musste. Erzähl, du warst bei deiner Mutter?“

„Ja, ich war da und es war recht nett.“

Otto schaute Karl prüfend an und sagte: „Überzeugend kommt die Nettigkeit bei mir nicht an.“

„Nun ja, was soll ich sagen. Ich bin ein erwachsener Mann und meine Mutter eine alte Frau. In der Vergangenheit zu kramen endet meist in Sentimentalität.“

Otto sagte: „Ich habe auch lange an die Vergangenheit gedacht. Habe mir meine Frau, meine Kinder, zurück gewünscht, doch es blieb bei frommen Wünschen. Meine Eltern lebten nicht mehr und bei den Schwiegereltern konnte ich natürlich kein Verständnis erwarten.“

„Was hat dich denn zur Unperson gemacht?“

„Seit zwanzig Jahren war ich im Bankgeschäft tätig, kannte das tägliche Einerlei in und auswendig. Dieses dezente Getue von Höflichkeit und vornehmer Betriebsamkeit. Der Druck, gewinnbringende Produkte zu verkaufen, wurde immer stärker. Es war eine kleine Bank und die Kunden kleine Leute, hin und wieder ein örtlicher Geschäftsmann. Für meine Familie war die Welt in Ordnung. Ich hatte mir angewöhnt eine Pulle Cognac im Schreibtisch zu deponieren und mir ab und an ein Schlückchen zu gönnen. Wie das so geht, der Abstand zwischen den Schlückchen wurde immer kürzer und die Flasche musste immer öfter durch eine neue ersetzt werden. Es dauerte lange, bis man dahinter kam, ich sollte ja stellvertretender Direktor werden, was unter diesen Umständen unmöglich war. Meine Frau fiel aus allen Wolken. Sie konnte nicht verstehen, dass ich alles aufs Spiel setzte. Sie hatte kein Verständnis dafür, was mich über Jahre quälte. Als dann der Alkohol dazu kam, war für sie das Fass voll. Ich habe zwei Töchter, die in einem Alter waren, wo man Verständnis oder Mitgefühl erwarten konnte. Na ja, außer Spesen nichts gewesen. Um es kurz zu machen, meine Frau ließ sich scheiden und ich wurde schuldig geschieden. Ich verlor meine Arbeit und dann ging es nur noch abwärts. Danach bin ich durch den Scheuersack gegangen und der hat mir den Rest gegeben, den Rest, der vor dir liegt.“

Otto hatte sich in Rage geredet, erschöpft legte er sich zurück. Dann sagte er, etwas ruhiger geworden: „Natürlich war das ein langer Prozess. Ich hätte eine Alternative haben müssen. Dann, Schritt für Schritt, einen anderen, besseren Weg für mich finden. Aber der Suff hatte mich fest im Griff. Wenn du nicht mehr kannst, sucht er sich ein neues Opfer. Wer aus dieser verfluchten Tretmühle raus will, wird bestraft, es sei denn, er ist finanziell unabhängig.“

Eine Schwester kam. Sie brachte das Abendbrot für Otto. Für Karl war die Besuchszeit zu Ende. Er versprach, wieder zu kommen. Draußen spürte er die Wärme eines schönen Sommerabends. Es gab einen Park mit bunten Blumen und weißen Bänken, die unter großen, ausladenden Bäumen standen. Karl setzte sich und beobachtete das bunte Treiben. Der Park war für die Tageszeit gut besucht. Viele Kinder, Familien und Patienten, die von ihren Angehörigen begleitet wurden, nutzten den Park.

Er dachte an Otto, der mit dem Teufel Alkohol kämpfte und wohl verlieren würde. Zum Glück spielte Alkohol bei ihm und auch in seiner Familie keine Rolle. Sinnloses Saufen kannte er nicht, er hatte auch nie irgendwelche Ausfälle. Am meisten beschäftigen ihn die Gründe für Ottos Absturz. Es war schon mutig, alles hinzuschmeißen und bereit sein, die Folgen zu tragen. Es gab Aussteiger, die einen besseren Weg gefunden haben. Fremdbestimmung und Ausbeutung konnte man bisher nicht verhindern. Wer vermochte das zu ändern?

Karl war so in Gedanken, dass er die junge Frau, die direkt auf ihn zukam, erst bemerkte, als sie vor ihm stand. Karl war überrascht. Er kannte sie aus dem Büro der Streetworker.

„Darf ich mich zu Ihnen setzen?“

„Ja klar dürfen Sie.“ und machte ihr Platz.

„Ich habe hier einen Freund im Krankenhaus besucht.“

Hübsch sah sie aus, in ihrem Sommerkleid. Sie sagte: „Ich gehe bei schönem Wetter nach der Arbeit oft durch den Park nach Hause. Zu jeder Jahreszeit zeigt sich der Park in einem anderen Kleid und das ganz uneigennützig.“

Sie lachte, ihr Lachen war Ausdruck ihrer Lebensfreude.

„Na, Herr Hent, wie geht es Ihnen?“

„Meine Situation ist nicht die Beste, aber ich bemühe mich, das zu ändern. Das Wohnen ist das Problem. Ich muss da raus, diese Unterbringung kann kein positiver Anfang sein.“

„Das glaube ich, aber ich weiß auch, wie schwer es ist, eine Wohnung oder ein Zimmer zu finden. Ich habe auch sehr lange gesucht, dazu noch die zweifache Mietvorauszahlung. Mein Chef war mir behilflich.“

„Der Typ mit der Nickelbrille von den Streetworkern?“

„Er ist wohl nicht Ihre Kragenweite, oder liege ich da falsch? Wissen Sie, er hat, was seine Arbeit angeht, einige Federn lassen müssen, wie viele in seinem Beruf.“

Karl war etwas verlegen und steckte sich eine Zigarette an.

„Wenn man aus dem Knast kommt, denkt man in anderen Kategorien, dazu gehört auch eine gute Portion Misstrauen.“

Er sah auf die Uhr und sagte: „Ich muss los, sonst bleibt mir nur die Parkbank für die Nacht.“

„Ich gehe ein Stück mit Ihnen, es gehört zu meinem Heimweg.“

Der Park hatte sich geleert, die Menschen gingen nach Hause. Als sie sich trennten, sagte Karl: „Wollen wir uns wieder hier im Park treffen, um die gleiche Zeit?“

„Bevor ich ja sage, ich heiße Lena Don, Ihren Namen kenne ich ja, meinen Beruf kennen Sie. Eigentlich bin ich Krankenschwester, aber ich wollte den dauernden Wechseldienst nicht mehr machen und habe mich bei der Stadt um eine Stelle im Sozialdienst bemüht.“

„Nennen Sie mich doch einfach Karl.“

„Okay, dann bis morgen.“

Als sie ging, drehte er sich noch mal um und konnte gerade noch einen bunten Fleck erkennen.

Im Männerheim wollte man Karl nicht herein lassen. Er wäre zu spät. Die Sozialarbeiterin, die zufällig das Heim verließ, fragte den Pförtner, ob es ein Problem gäbe.

„Wir dürfen Niemanden nach der Einlasszeit aufnehmen.“

Karl erwiderte, dass er sich telefonisch gemeldet habe, da er einen kranken Heimbewohner im Krankenhaus besucht habe und es später werden könnte.

„Lassen Sie den Mann herein, Sie hören doch, er hatte sich gemeldet.“

Mit einem Lächeln ging sie an Karl vorbei und stieg in ihr Auto.

„Zukünftig gibt es keine Sonderbehandlung“, knurrte der Pförtner und ließ ihn herein. Im Flur gab es eine Prügelei wegen der Plätze im Aufenthaltsraum. Zwei bullige Ordner sorgten für Ruhe. Die beiden Streithähne mussten samt Plastiktüten das Heim verlassen. Als Karl sein Zimmer betrat, schlug ihm ein fürchterlicher Gestank entgegen. Das obere Bett war neu belegt, der Mann war total besoffen. Er hatte ins Bett uriniert und lag zusätzlich in seinem Erbrochenen, das auf den Boden tropfte. Karl meldete den Sachverhalt an der Pforte. Der Typ machte kein aufhebens und gab Karl ein anderes Zimmer.

„Das ist ein Dreibettzimmer, aber die Männer sind okay. Wer nicht pünktlich ist bekommt das, was noch übrig ist.“

Er sagte das mit Schadenfreude.

„Was ist mit dem Volltrunkenen auf dem Zimmer?“

„Der macht morgen früh die Bude sauber, ansonsten übernimmt das die Putzkolonne. Was ist mit deinem Zimmergenossen, den du im Krankenhaus besucht hast?“

„Du meinst Otto Krämer, so heißt der Genosse.“

„Ja, ja, ist schon gut.“

„Der will wahrscheinlich in sein Bett, das der Neue bepinkelt hat.“

Karl sagte das voller Häme.

„Er bekommt eine neue Matratze, dafür sorge ich.“

Das Dreibettzimmer lag im zweiten Stock. Karl betrat den Raum und suchte im Halbdunkel nach dem freien Bett. Es roch nach kaltem Rauch und Schweißfüßen. Seltsam, dachte er, es sind ja noch zwei Betten frei. Als er genauer hinsah bemerkte er, dass in einem Bett zwei Männer lagen. Sie hatten sich umarmt und schnarchten um die Wette. Auch das noch, dachte Karl und packte seine Sachen mit dem Stoffbeutel unter sein Kopfkissen. Für ihn war das die letzte Nacht in diesem Elend. Selbst im Knast hatte er eine Zelle für sich, ohne Dreck und Unrat und ohne Schwulen.

Morgen wollte er zu Lena ins Büro der Streetworker und sich einen Schlafsack geben lassen. Bei der Witterung schlief er lieber im Freien. Sein größtes Problem war eine vernünftige Bleibe. Die Schwulen schnarchten was das Zeug hielt. Wusste man was für Exoten unter diesem Dach schliefen? Karl hatte nichts gegen Schwule, er konnte sich nicht vorstellen wie diese Menschen ihre Sexualität und ihre Psyche in den Griff bekamen. Für ihn waren es arme Schweine. Es stank, Karl wollte ein Fenster öffnen was aber nicht ging. Vermutlich wollte man vermeiden, dass Möbel aus dem Fenster geworfen wurden. Auch an mögliche Selbstmörder hatte man wohl gedacht. Im ganzen Haus, ausgenommen Büro und Essensausgabe, stank es zum Himmel.

Als Karl wach wurde, hatten die schwulen Männer das Zimmer schon verlassen. Die Toiletten waren eklig und für Karl war es empörend, dass man gegen diese Schweinerei nichts unternahm. Jetzt holte er sich erst einen Schlafsack und hoffte Lena Don anzutreffen. Zu seiner Enttäuschung war sie nicht da. Er fragte einen Praktikanten nach ihr. Sie habe sich krank gemeldet, war die Antwort. Er bekam den Schlafsack und machte sich auf den Weg, um Otto Krämer zu besuchen.

Bei dem herrlichen Sommerwetter war der Park wieder gut besucht. Otto lag noch im Einzelzimmer. Es ging ihm schon recht gut. Er strahlte über sein rundes Gesicht, als er Karl sah. Der Kopfverband und das Gitter am Bett waren entfernt.

„Bruder, welch Glanz in meiner bescheidenen Hütte.“

Otto saß im Bett und gab Karl die Hand.

„Also, wenn ich dich so sehe, glaube ich nicht, dass du krank warst.“

„Ja, manchmal staune ich schon, wie der Organismus sich selbst regeneriert. Ich habe einige Infusionen bekommen und dem Doktor versprochen weniger zu trinken.“

Karl glaubte nicht daran, aber das wollte er ihm nicht sagen, warum auch.

„Es wäre schön, wenn du es schaffen würdest.“

Er sah sich um.

„Was für ein unfreundlicher Raum, gab es denn nichts Anderes?“

„Ich soll morgen entlassen werden und bin heilfroh. Die regelmäßigen Mahlzeiten vermisse ich jetzt schon.“

Er sagte das mit Bedauern und schaute betrübt in die Runde.

„Ach Otto, es gibt doch bessere Wohneinrichtungen von Wohlfahrtsverbänden, die mit der Stadt nichts zu tun haben.“

„Ja, du sagst mir nichts Neues. Ich habe es versucht, doch der Alkohol stand mir immer im Weg. Die strenge Hausordnung und die beschissene Bevormundung wäre der Preis für geregelte Mahlzeiten. Mein Geld vom Sozi müsste ich auch abgeben und für ein bescheidenes Taschengeld eintauschen. Eine kleine Rücklage würde man mir lassen, der Rest in die große Wundertüte. Nein, lass man. Wer Geld hat muss zahlen, wer nichts hat lebt von der Gemeinschaft.“

Oft waren es Landstreicher, die ein oder zwei Tage bleiben durften, auf Kosten der Allgemeinheit.

Karl mochte diesen kleinen Mann, der ihn immer Bruder nannte und der in seiner Hilfslosigkeit und Vereinsamung mit Sarkasmus und Spott seine Wunden verbarg. Zurück ins Heim wollte Karl nicht mehr. Wenn Otto entlassen sei, wollten sie sich im Park treffen.

„Wir sehen uns morgen!“ und Karl ging.

Draußen auf den Stufen blieb er stehen, nutzte seine Hand als Sonnenblende, um nach Lena zu schauen. Er freute sich auf ein Wiedersehen und war ganz aufgeregt. Er wunderte sich über den Zustand. Da war sie! Sie saß wieder unter dem großen Baum auf der weißen Bank. Ihr Haar flatterte im Wind, in Gedanken versunken schaute sie den Kindern zu. Sie sah Karl kommen und wollte aufstehen, doch er setzte sich umgehend zu ihr.

„Ich habe mir heute in Ihrem Büro einen Schlafsack geholt, ein junger Mann sagte Sie seien krankgeschrieben. Ich hatte Sorge, dass Sie nicht kommen würden.“

„Ja, der ewige Stress, mein Arzt meinte, ich brauche dringend Ruhe. Das tägliche Elend nimmt einen schon mit.“

„Ist das nicht ein Fass ohne Boden?“

Karl schaute sie bei der Frage von der Seite an und merkte wie gut es ihm tat, mit dem Mädchen zu reden. Sie zupfte an ihrer Bluse herum und sagte: „Klar ist das ein Fass ohne Boden, aber wir können diese Menschen nicht im Regen stehen lassen. Es müsste sich grundlegend was ändern. Es gibt keine Interessenvertreter und solange das so ist, wird sich kaum etwas ändern.“

Karl meinte: „Ich wusste gar nicht, dass es so was in Deutschland gibt. Waren Sie schon mal in diesem Männerheim?“

Sie schüttelte den Kopf und warf einem Kind den Ball zu, der auf sie zugerollt war. Die Kleine klatschte in die Hände und freute sich.