Ferdinand Gregorovius

Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter

Vom V. bis zum XVI. Jahrhundert

 

Impressum

Texte: Ferdinand Gregorovius
Umschlag:  Gunter Pirntke

Verlag: Brokatbook Verlag Dresden Gunter Pirntke


Gunter Pirntke

Altenberger Straße 47

01277 Dresden

brokatbook@aol.com


Inhalt

Erstes Buch: Vom Beginn des V. Jahrhunderts bis zum Untergange des westlichen Reichs im Jahre 476

Zweites Buch: Von Beginn der Herrschaft des Königs Odoaker bis zur Einrichtung des Exarchats in Ravenna im Jahre 568

Drittes Buch: Vom Beginn der Regierung der Exarchen bis auf den Anfang des VIII. Jahrhunderts

Viertes Buch: Vom Pontifikat Gregors II. im Jahre 715 bis auf die Kaiserkrönung Karls im Jahre 800

Fünftes Buch: Die Stadt Rom in der Epoche der Karolinger bis zum Jahre 900

Sechstes Buch: Geschichte der Stadt Rom im X. Jahrhundert

Siebentes Buch: Geschichte der Stadt Rom im XI. Jahrhundert

Achtes Buch: Geschichte der Stadt Rom im XII. Jahrhundert

Neuntes Buch: Geschichte der Stadt Rom im XIII. Jahrhundert von der Regierung Innozenz' III. bis zum Jahre 1260

Zehntes Buch: Geschichte der Stadt Rom vom Jahre 1260–1305

Elftes Buch: Geschichte der Stadt Rom im XIV. Jahrhundert vom Jahre 1305 bis 1354

Zwölftes Buch: Geschichte der Stadt Rom vom Jahre 1355–1420

Dreizehntes Buch: Geschichte der Stadt Rom im XV. Jahrhundert

Vierzehntes Buch: Geschichte der Stadt Rom in den ersten drei Dezennien des XVI. Jahrhunderts

 

Erstes Buch: Vom Beginn des V. Jahrhunderts bis zum Untergange des westlichen Reichs im Jahre 476

Erstes Kapitel

1. Plan dieses Werks. Begriff der Stadt Rom im Altertum und im Mittelalter.

Diese Bücher enthalten den ersten Versuch einer umfassenden Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, welche als ein in sich selbst Bestehendes außerhalb der Geschichte des Papsttums und des Reichs noch nicht vorhanden ist. Die Römer, deren besondere Aufgabe es sein mußte, sie zu schreiben, sind durch viele Ursachen davon zurückgehalten worden. Sie haben nur schätzbare Beiträge und Materialien für ein solches Nationalwerk zusammengebracht. Wird man es deshalb vermessen nennen, wenn ein Nichtrömer, ein Deutscher, sich an dies schwierige Unternehmen wagt? Ich fürchte es nicht; nicht allein weil die Wissenschaft ein freies Gebiet ist, sondern auch weil nächst den Römern und Italienern kein anderes Volk einen näheren und gleich nationalen Bezug auf die Geschichte Roms im Mittelalter hat als das deutsche. Denn seit den Goten Theoderichs, welche zuerst Rom beherrscht und mit Ehrfurcht aufrecht gehalten haben, seit den Franken Pippins und Karls, welche diese Stadt aus der Gewalt der Langobarden und Byzantiner befreiten und wieder aufrichteten, hat Deutschland in langen Jahrhunderten durch das germanisch-römische Reich ein außerordentliches Verhältnis zu Rom gehabt. Rom ist ein unverlöschlicher Ruhmestitel für die deutsche Nation, die mittelalterliche Geschichte der Stadt ein unzertrennlicher Bestandteil der Geschichte Deutschlands selbst geworden.

Als ich den Gedanken dieses Werkes faßte, wurde mein Plan dieser: aus allem vorhandenen und mir zugänglichen historischen Material und mit Hilfe langjähriger Kenntnis der Monumente und Lokale die Stadtgeschichte darzustellen, von dem ersten Falle des kaiserlichen Rom unter die Gewalt der Westgoten Alarichs im Jahr 410 bis auf den letzten Fall der päpstlichen Stadt im Jahre 1527 unter die Gewalt des Kriegsvolks Karls V. im Beginne der Reformation, durch welche die alte Verbindung Deutschlands mit Rom zerrissen wurde.

In diesem großen Zeitraume von mehr als elf Jahrhunderten wird Rom für den Geschichtschreiber der feste Standpunkt und die hohe Warte bleiben, von der aus er die Bewegung der mittelalterlichen Welt beobachten darf, soweit sie von dieser Stadt Impulse empfängt oder in lebendigem Bezuge zu ihr steht. Denn Rom hat zwei Naturen, eine munizipale und eine kosmopolitische, und beide sind nicht völlig voneinander trennbar. So war es im Altertum, so blieb es auch im Mittelalter.

Drei Städte glänzen überhaupt in der Geschichte der Menschheit durch die allgemeine Bedeutung, welche sie für dieselbe haben: Jerusalem, Athen und Rom. Alle drei sind im Prozeß des Weltlebens mit- und durcheinander wirkende Faktoren der menschlichen Kultur. Jerusalem, die Hauptstadt des machtlosen Judenvolkes, war der Mittelpunkt jener rätselhaften Theokratie, aus welcher das Christentum hervorging, demnach die Metropole der Weltreligion. Sie erhielt noch lange nach ihrem Falle ein zweites geschichtliches Dasein, neben und in bezug auf Rom. Die Römer hatten sie in alten Zeiten zerstört, ihr Volk war in der Welt zerstreut, ihre Heiligkeit auf das christliche Rom übergegangen; da tauchte sie im XI. Säkulum wieder empor, und wurde in der Periode der Kreuzzüge das Pilgerziel der Christen und der Gegenstand des großen Völkerkampfes zwischen Europa und Asien. Sie sank sodann mit jenen Ideen, für welche sie das Symbol gewesen war, in Geschichtslosigkeit zurück.

Neben der Stadt des einen Gottes der Menschheit glänzt das polytheistische Athen auf einem andern Gipfel des geschichtlichen Lebens als erster Mittelpunkt des abendländischen Geistes, seiner Wissenschaft, Philosophie und schönen Ideale. Dann steigt die große Roma auf, die Gesetzgeberin der politischen Welt. Athen und Rom aber sind miteinander unzertrennlich verbunden. Sie entsprechen einander wie Geist und Wille, wie Gedanke und Tat. Sie sind die klassischen Formen der Welt. Die Ideenmacht Athens erregt die begeisterte Liebe, die tatengroße Herrlichkeit Roms die ehrfürchtige Bewunderung des Menschengeschlechts. Alle schöpferische Arbeit des Denkens und der Phantasie sammelte sich in der Hauptstadt des hellenischen Geistes, und diese kleine Republik der Pallas Athene übte eine ideale Herrschaft über die Menschheit aus, welche in der gesamten Bildung der Völker noch fortdauert und ewig dauern wird.

Die Weltmonarchie Roms dagegen, eine einzige unwiederholbare Tatsache der Geschichte, ruht auf ganz andern Grundlagen. Wer das Wesen dieser wunderbaren Stadt nur äußerlich auffaßt, urteilt, daß sie mit kriegerischer Kraft ohnegleichen und mit nicht minderem politischem Genie die Welt sich unterworfen und die Blüte edlerer Nationen geraubt oder zerstört habe. Im Gegensatz zu dem freien Geiste des Hellenentums sieht er nur Knechtschaft und Despotie. Er entdeckt in Rom Armut an schöpferischen Kulturideen; er sieht nur große politische Triebe der Eroberung, große Bedürfnisse des praktischen Verstandes und den bewunderungswürdigen Riesenbau des Staats, des Rechts und der bürgerlichen Gesetze. Was sich in die höchsten Sphären des Denkens erhebt, findet er in Rom entweder nicht entwickelt oder nur aus der Fremde eingeführt. Selbst die Fülle edler Kunstwerke, die Rom verschönerten, erscheint ihm nur als die Beute der Tyrannei, hinter deren Siegeswagen die gefangenen Musen einhergehen, gezwungen, der prosaischen Königin der Welt zu dienen.

Diese Wahrheit ist unleugbar, jedoch sie ist nicht alles. Die Entstehung Roms aus einem in die Mythe verhüllten Keim, das Wachsen, endlich die Monarchie dieser einen Stadt wird stets als das tiefste Mysterium des Weltlebens erscheinen, neben der Entstehung und Herrschaft des Christentums. Und diese Religion, in dem national abgeschlossenen Jerusalem entsprungen, aber durch ihr Prinzip weltbürgerlich, zog in die Welthauptstadt Rom ein wie in ihren von der Geschichte ihr zubereiteten Sitz, um dann aus den Ruinen der politischen Monarchie die Riesengestalt der Kirche, das ist der moralischen Monarchie, hervorzutreiben. Die dämonische Kraft, welche der einen Stadt die Herrschaft über so viele durch Sprache, Sitten und Geist verschiedene Nationen erwarb, kann nicht erklärt werden; nur ihre Entwicklung läßt sich in einer langen Kette von Tatsachen verfolgen, während das innerste Gesetz dieser Welttatsache selbst, welche Rom heißt, für uns unergründbar bleibt.

Die Welt wurde nicht von jener athenäischen Akropolis aus durch die bildende Gewalt des Geistes erobert und regiert, sondern von dem völkerverschlingenden Jupiter des Kapitols unter Blutströmen bezwungen. Die romulische Stadt am Tiber erbte die Schätze und die Arbeit von drei Weltteilen, in deren Mitte sie im schönsten Lande der Erde gebaut war. Sie erzeugte aus ihrem eigenen Genie weder Religion noch Wissenschaft; sie nahm solche in sich auf, aber sie war im höchsten Grade geschickt, eine Weltzivilisation auszubreiten, dem Weltgeist das Wort und die Form zu geben.

Die kosmopolitische Macht tritt mit Rom auf. Sie wird ein System, welches alles in der Alten Welt bisher Entwickelte und Gestaltete in eine soziale Gesamtordnung zusammenfaßt, die beschränkten Grenzen der Nationalität aufhebt und die Völker als Glieder einer großen Staatsfamilie unter gleicher Regierung vereinigt. Dies römische Prinzip ist, als auf die Menschheit bezogen, über die Individualität des schönen Hellenentums erhaben. Es ist mit einem Wort die Idee des »Imperium« oder des Reichs, welche in Rom zur Weltform wird. Sie hat das Abendland, als ein ihm gehöriges Prinzip, bis auf unsere Zeiten herab beherrscht. Ihrer Macht und Dauer kam nur die Schöpfung der Kirche gleich, und auch diese war in ihrer sichtbaren Gestalt nur die religiöse Form derselben antiken Reichsidee.

Das Imperium erscheint geschichtlich nicht vor den Römern. Jedoch der Grundsatz, daß auch die moralische Welt eine gesetzliche Einheit (Monarchie) sei, war schon im monotheistischen Judentum enthalten. Im »auserwählten« Volke Israel und in seinen Propheten liegt das erste Bewußtsein einer weltbürgerlichen Mission; so daß der kosmopolitische Gedanke des Christentums dort seinen Ursprung nehmen mußte.

Bei den Hellenen findet sich keine religiöse Idee dieser Art. Das Reich der Griechen beruht in der allseitigen Bildung des freien, die Welt durchdringenden Geistes. Der Kosmos des Geistes wird durch sie geschaffen, doch politisch nur in einem zerstreuten Kolonialsystem dargestellt, während der hellenische Staat Individualstaat oder Konföderation ist. Außerhalb Hellas stehen verachtete Barbaren, wie außerhalb des mosaischen Gottesstaats die verachteten Heiden. Selbst für Aristoteles waren die Nichtgriechen rechtlos und von Natur zur Dienstbarkeit bestimmt. Wenn aber Alexander, welcher im Widerspruch zur griechischen Ansicht die Idee eines hellenischen, auch die Barbaren umfassenden Weltreichs verwirklichen wollte, seine Richtung nach dem Abendlande genommen hätte, so würde in bezug auf die politische Weltordnung kaum ein anderes Resultat entstanden sein, als es im gräzisierten Orient der Fall war. Denn nach dem Tode jenes großen Kosmopoliten zerfiel auch das von ihm gestiftete hellenistische Universalreich.

Erst Rom führte aus, was Hellas zum Glück für die volle Entwicklung seines eigenen Geistes nicht ausgeführt hatte; es faßte die gesamte antike Zivilisation in einen allgemeinen Organismus zusammen, in das »Reich«. Das Reich ist die damalige Kulturwelt, für welche Hellas die humane Bildung geschaffen hatte, Rom die bürgerlichen Gesetze schuf und das Judentum die allgemeine Religion erzeugte. Virgil hat das hohe Bewußtsein von der weltbürgerlichen, moralischen Mission der Römer in den unsterblichen Versen ausgesprochen:

Tu regere imperio populos, Romane, memento:
Hae tibi erunt artes, pacisque imponere morem,
Parcere subiectis, et debellare superbos.

Dieser großartige Spruch, welcher die Natur und die Aufgabe Roms vollkommen ausdrückt, prägte sich tief in die Menschheit ein; ein Abglanz von ihm ist der mittelalterliche Kaiserspruch »Roma Caput Mundi Regit Orbis Frena Rotundi«. Seit Augustus stand der Glaube fest, daß die Römer das zur Weltherrschaft (Monarchie) auserwählte Volk seien, daß der Römerstaat der Weltstaat sei, wie bei den Juden der Glaube feststand, daß ihr Staat der Gottesstaat und ihre Religion die Weltreligion sei.

Die Scheidewand, welche ehedem das nationale Hellas und seine größten Denker zwischen Griechen und Barbaren, und welche Israel zwischen sich und den Heiden gezogen hatten, fiel in dem weltbürgerlichen Reich der Römer, worin alle Bildungsformen Aufnahme, alle Religionen Kultusfreiheit und alle Völker das Bürgerrecht erhielten. So wurde die Einheit der gebildeten Menschheit als die »Römische Republik« dargestellt, deren erwähltes Oberhaupt der Kaiser und deren Hauptstadt die »ewige Roma« war, das Wunderwerk der bewohnten Erde, das Erzeugnis und Denkmal der Weltgeschichte.

Die majestätische Stadt wuchs, alterte und sank mit dem Römischen Reich, und die Auflösung beider ist ein ebenso merkwürdiger Prozeß, als es ihr Wachstum gewesen war. Denn die Zeit hatte eine nicht mindere Anstrengung nötig, diesen Riesenbau von Gesetzen und Rechten, von staatlichen Ordnungen, von Überlieferungen und Denkmälern der Jahrhunderte zu zerbrechen, als sie gebraucht hatte, ihn aufzurichten. Es gibt in der Geschichte der Menschheit kein tragisches Schauspiel, welches dem Falle und endlich der Vernichtung des großen Rom gleichkäme. Sieben Jahre vor dem Einbruch der Westgoten stand der letzte Poet der Römer auf dem Palatin; er betrachtete von dort das noch unbesiegte Rom und pries voll Begeisterung die unsagbare Pracht der greisen Kaiserstadt, ihre goldbedeckten Tempel, ihre Triumphbogen, Säulen und Standbilder und die ungeheuren Gebäude, in deren riesigen Unterlagen menschliche Kunst die Natur zusammengehäuft habe. Kaum 200 Jahre nach Claudian stand der Bischof Gregor auf der Kanzel des St. Peter, und er verglich in seiner schwermütigen Predigt die einst unermeßliche Stadt einem zerschlagenen irdischen Gefäß und das einst weltbeherrschende Römervolk einem Aar, der entfiedert, altersschwach und sterbend am Tiberstrande dasitze. Acht Jahrhunderte nach Gregorius stand Poggio Bracciolini auf den Ruinen des Kapitols; er sah vom alten Rom nichts mehr als Reste zertrümmerter Tempel, niedergeschmetterte Architrave, zerspaltene Bogen und Scherben der Herrlichkeit des Forum, wo nun Vieh weidete. Er schrieb sein Buch von den »Wechselfällen des Glücks«, denen alles Große auf Erden erliegen muß. Derselbe Anblick begeisterte 300 Jahre später den Engländer Gibbon zu dem Plan, die Geschichte des Unterganges der Stadt Rom zu schreiben, die er jedoch in sein unsterbliches Werk vorn Sinken und Fallen des Römischen Reichs verwandelte. Ich bin in Wahrheit weit davon entfernt, weil ich diese Geschichte schreibe, mich neben solche Männer zu stellen, dennoch will ich es sagen, daß ich mich vollkommen in ihrem Falle befunden habe. Vom Anblick Roms ergriffen, beschloß ich, den Untergang dieser Stadt darzustellen, aber ihn selbst begleitet auf eine in der Geschichte unwiederholte Weise der Wiederaufgang zu neuer weltbeherrschender Macht. Nur Rom allein durfte sich unter allen Städten der Welt mit dem göttlichen Titel der »Ewigen« schmücken, und die Prophezeiung des Dichters »Imperium sine fine dedi« wurde zur Wirklichkeit.

Das Römische Reich, vom Alter entnervt, wurde durch den Völkersturm der kraftvollen Germanen zerstört. Die Stadt der Cäsaren fiel sodann in sich selbst zusammen, nachdem der Römerstaat und der antike Kultus erstorben waren. Die christliche Religion zertrümmerte und verwandelte die heidnische Stadt der alten Römer, aber sie hob wie aus den Katakomben, ihrem unterirdischen Arsenal, ein neues Rom empor. Auch dies hüllte sich in Mythen. Denn wie Romulus und Remus die Gründer des antiken Rom gewesen waren, so wurden jetzt zwei heilige Apostel, Petrus und Paulus, die legendären Schöpfer des neuen Rom. Auch dieses wuchs langsam und unter schrecklichen Metamorphosen, bis es nach einem Prozeß, welcher in der Geschichte nicht seinesgleichen hat, nochmals zum Haupte der Welt wurde. Weil nun Rom in der großen Periode der Menschheit, die man das Mittelalter nennt, deren allgemeine Form war, wie es einst die Form des Altertums gewesen ist, so ist es aller Mühe wert, den Elementen nachzuforschen, die sich wiederum in dieser einen Stadt versammelten, um ihr nach dem tiefsten Sturze zum zweitenmal die Monarchie zu geben. Diese Wiedergeburt ist indes kein so schwieriges Rätsel, als es die Entstehung der antiken Römerherrschaft war; denn sie erklärt sich vollkommen aus jener im Abendlande fest gewordenen Reichsidee, welche sich mit dem Christentum verband und die römische Kirche erschuf.

Daß die christliche Religion in derselben Stunde entstand, in welcher das Cäsarenreich gestiftet wurde, ist eins von den geschichtlichen Ereignissen, die man providentiell zu nennen pflegt. Sie durchdrang das antike Reich und verschmolz mit ihm, weil ihr weltbürgerliches Prinzip der Weltmonarchie entsprach. Dies erkannte Constantin. Die neue Kirche fügte sich in die politische Verwaltung des Reiches ein, indem sie über seine Provinzen, gemäß der constantinischen Diözesanverfassung, ein Netz von Bistümern und Sprengeln zog. Sie war in ihrer äußeren Gestalt eine lateinische Schöpfung und hatte das Reich zu ihrer Voraussetzung. Sie entwickelte sich allmählich zu einer geistlichen Macht, blieb aber vom Reich umschlossen und in ihm aufgehoben, so lange, als dieses Bestand hatte. Der allgemeine Kaiser war seit Constantin auch das Haupt der allgemeinen (katholischen) Reichskirche in welcher noch kein einzelner Bischof den Vorrang hatte, während ihr zugleich die ökumenischen Konzile unter kaiserlicher Autorität die Einheit gaben.

Als sodann die Germanen das westliche Imperium vernichtet hatten, trat die römische Kirche, eine noch rein geistige Natur und daher von der Zerstörung durch die Barbaren unberührbar, als die allgemeine Autorität des Abendlandes aus ihrer Hülle hervor. Sie nahm im Westen die Stelle der Reichsgewalt ein, deren Prinzip sie wie ein Gesetz in ihrer Bundeslade bewahrte. Sie rettete den Latinismus und die antike Zivilisation, welche auf sie übergegangen war oder deren Reste sie doch in Verwahrung nahm. Sie stand als das alleinige Bollwerk da, an welchem sich die wogende Völkerflut der Barbaren brach. Daß sie schon ein unerschütterlicher Organismus war, während das antike Reich zerfiel, ist eine der größten Tatsachen der Geschichte überhaupt; denn auf diesem festen Grundstein der Kirche wurde das gesamte Leben Europas neu gegründet.

Die Kirche also, aus der Verbindung des Christentums mit dem Römerreich entstanden, zog aus diesem das System ihrer Zentralisation und den Schatz antiker Sprache und Bildung, aber die absterbenden alten Völker allein konnten ihr nicht den lebendigen Stoff für die Entwicklung darbieten, vielmehr gerade sie waren es, welche das Christentum entstellten und mit dem antiken Heidentum durchdrangen. Sie verband sich durch geschichtliche Verhältnisse – und dies ist ihre zweite welthistorische Epoche – mit dem jungen Germanentum. Die deutschen Urvölker besaßen nur Naturreligionen, die der christlichen Religion keinen Widerstand leisteten, wie das in tausendjähriger Herrschaft, in Literatur und Kunst, in Kultus und Staat fest gegründete Heidentum der klassischen Nationen. Sie waren meist schon Christen, als sie das römische Abendland in Besitz nahmen. Indem sie das Reich tatsächlich zerstörten, beugten sie sich doch voll Ehrfurcht vor der römischen Kirche wie vor dem römischen Reichsideal, denn dessen Überlieferung war das politische Dogma der Welt geworden. Die Kirche selbst, durch ihr Prinzip die Hüterin des Einheitsgedankens der Menschheit oder der christlichen Republik, pflanzte ihnen diese lateinische Idee ein: sie suchte sie zu romanisieren. Der kirchliche Glaube der Germanen, ihr Priestertum, die Sprache und Form des Kultus, Feste, Apostel und Heilige, alles dies war römisch oder auf den Mittelpunkt Rom bezogen. So konnte es endlich geschehen, daß die Germanen, die Beherrscher der lateinischen Stämme, mit denen sie selbst auf altklassischem Boden sich vermischt hatten, das einst von ihnen zerstörte Reich wiederherstellten. Dies aber war wesentlich das Werk der römischen Kirche. Sie forderte das Reich, ihre eigene Voraussetzung, mit Notwendigkeit als die völkerrechtliche Form und die Bestätigung der Weltreligion zurück.

Für diese große Wirkung, die Verbindung der antiken mit der neuen, der lateinischen mit der germanischen Welt, war die Fortdauer der Stadt Rom eine Grundbedingung. Rom ragte nach dem Zusammensturze des westlichen Reichs aus der allgemeinen Sintflut der Barbarei in Wahrheit als ein Ararat der menschlichen Zivilisation hervor. Die uralte Hauptstadt der Welt blieb oder wurde der moralische Mittelpunkt für das sich neu bildende Abendland. Aber nachdem die Macht des politischen Imperium von ihr gewichen war, hätte sie eine solche Stellung nicht mehr einnehmen können, wenn nicht die Bischöfe, die ihren Sitz in ihr genommen hatten, der Stadtkirche Roms den Primat über alle andern Episkopate errungen hätten. Sie erlangten das Hohepriestertum in der Christenheit. Sie machten Rom zu dem Delphi oder Jerusalem des neuen Völkerbundes, und sie verbanden die antik imperiale Idee der Weltstadt mit dem jüdischen Begriff der Gottesstadt. Die Oberhoheit, welche sie mit römischer Konsequenz beanspruchten, konnte sich nicht in der unpolitischen Lehre des Heilandes, noch in der Tatsache der ursprünglichen Gleichheit aller Apostel, aller Priester und Gemeinden, noch auch im Alter des römischen Bistums begründen, denn die Kirchen zu Jerusalem, Ephesus, Korinth und Antiochia waren älter als jene Roms. Aber den Ansprüchen der römischen Kirche gab die alte Tradition von der Stiftung des Bistums Rom durch Petrus bald eine siegreiche Kraft; und dieser Apostel galt schon im ersten Jahrhundert als das Haupt der Kirche und der unmittelbare Lehnsträger und Vikar Christi selbst. Denn zu ihm hatte der Heiland gesagt: »Du bist Petrus, und auf diesen Fels will ich meine Kirche bauen.« Dieses Wort, welches sich nur bei einem der vier Evangelisten findet, ist der Fundamentalspruch des herrschenden Papsttums. Man liest es noch heute in riesigen Lettern auf dem Fries der hohen Kuppel des St.-Peter-Doms. Es war für die Kirche der Römer, was für ihr Reich jener Spruch Virgils gewesen war.

Nicht die zweifelhafte, weil urkundlich unerweisbare Stiftung der römischen Kirche durch Petrus, sondern die Folgerung ihrer Oberhoheit aus jener Tradition wurde vom eifersüchtigen Orient bestritten. Im Okzident ward sie mit der Zeit fest wie ein Glaubensartikel, und die Bischöfe Roms nannten sich die Nachfolger Petri, die Statthalter Christi und deshalb die Häupter der katholischen Kirche. Wenn nun die Macht einer übrigens ehrwürdigen, auf dem Glauben von Jahrhunderten ruhenden Überlieferung wunderbar erscheint, so erwäge man, daß in jeder Gestalt gewinnenden Religion Traditionen und Legenden den Grund für praktische Wirkungen bilden. Sobald sie die Welt anerkannt hat, werden sie in ihr zu Tatsachen. Außerdem würde dieselbe Sage für jede andere Stadt kraftlos geblieben sein. Weder die Heiligkeit Jerusalems, wo Christus lehrte und starb, noch die unbezweifelbare Stiftung der Gemeinde Antiochias durch Petrus gaben diesen Städten das Recht des Anspruchs auf den kirchlichen Vorrang. Aber die Bischöfe im Lateran, welche die politische Bedeutung der Hauptstadt Konstantinopel nicht als maßgebend für die Stellung des dortigen Patriarchen anerkannten, ergriffen mit Erfolg die Ansprüche, welche die alte Welthauptstadt auf die Ehrfurcht und den Gehorsam der Völker machte. Der Nimbus der Ewigen Roma fiel auf ihr priesterliches Haupt zurück. Sie waren die Erben des Geistes, der Disziplin und der politischen Triebe der alten Römer, und obwohl das Reich zerfallen war, bestand doch dessen große, wenn auch entseelte Maschinerie. Die Länder trugen noch die tiefen Geleise der Regierung und Verwaltung Roms, und so begann die Herrschaft der kirchlichen Stadt sich bald durch jene Kanäle, welche das heidnische Rom gezogen hatte, in die Provinzen zu ergießen.

Die römische Kirche verwandelte den Imperialismus, in welchem sie selbst als eine hierarchische Schöpfung entstanden war, allmählich in das Papsttum. Die Verfassung des Reichs wurde in ein kirchliches System übertragen, dessen Mittelpunkt der Papst war. Diesen geistlichen Wahlmonarchen, bei welchem wie bei den Imperatoren Stamm und Nation gleichgültig waren, umgab der alte Reichssenat in der Gestalt von Kardinälen und Bischöfen, aber das konstitutionelle Prinzip, welches die Cäsaren nicht gekannt hatten, wurde auf Grund des demokratischen Prinzips der Gleichheit aller Priester in den Konzilien und Synoden eingeführt, wozu die Provinzen nach dem allgemeinen Senatshause, dem römischen Lateran, ihre Abgeordneten schickten. Die Statthalter dieser kirchlichen Provinzen waren die vom Papst geweihten oder beaufsichtigten Bischöfe; die Klöster in allen Ländern glichen den alten Römerkolonien; sie waren Burgen oder Stationen der geistlichen Herrschaft Roms wie der Kultur, und nachdem die heidnischen oder ketzerischen Barbaren in Britannien und Deutschland, in Gallien und Spanien durch die unblutigen Waffen Roms bezwungen worden waren, gebot die ewige Stadt wiederum in dem schönsten Teile der antiken Welt und schrieb ihm Gesetze vor. Wie man auch die neue Zentralisation betrachten mag, die von Rom ausging, sie wurde auf dem geschichtlichen Bedürfnis der Menschen gegründet. Auch war der Primat Roms für rohe und gesetzlose Jahrhunderte notwendig, weil er die Einheit des Christentums erhielt. Denn ohne die absolute Kirche, ohne den Römergeist der Bischöfe, welche jede rebellische Neigung der Provinzen, von der orthodoxen Lehre abzufallen, mit der Kraft des Scipio und des Marius unterdrückten, würde jenes in hundert Religionen und Ausgeburten nationaler Phantasie zerfallen sein. Jedoch, die Schicksale Roms und der Welt wiederholten sich zweimal; und es waren endlich wiederum die Germanen, welche tausend Jahre nach dem Falle des alten Römerreichs die Universalherrschaft auch des zweiten Rom zerstörten und die Freiheit des Glaubens und Wissens durch eine große, die Menschheit umgestaltende Revolution eroberten.

Die Ehrfurcht der Völker des Mittelalters vor der Stadt Rom war unbegrenzt. In ihr als in der großen Bundeslade antiker wie christlichen Bildung sahen sie die Gesetze, die Urkunden, die Symbole des Christentums versammelt; sie sahen in der Stadt der Märtyrer und der Apostelfürsten die Schatzkammer aller übernatürlichen Gnaden. Hier war der Mittelpunkt der göttlichen Verwaltung des Menschengeschlechts, hier thronte der hohe Priester des neuen Bundes, welcher Christus auf Erden zu vertreten behauptete. Alle oberste geistliche wie weltliche Macht empfing in Rom ihre Weihe; die Quellen der priesterlichen, der lösenden und bindenden Gewalt, die kaiserlichen oder oberrichterlichen Majestät, endlich der Kultur schienen auf den Hügeln Roms zu entspringen, gleich den Strömen des Paradieses, welche in die vier Weltgegenden befruchtend sich ergießen. Alle Anstalten der Völkerzucht waren ursprünglich von dieser einen Stadt ausgegangen, die Bistümer, die Klöster, die Missionen, die Schulen, die Bibliotheken waren Kolonien Roms. Ihre Mönche und Priester waren, wie ehemals Konsuln und Prätoren, in die Provinzen gezogen und hatten sie zum Glauben an die geistliche Macht Roms bekehrt. Die Überreste römischer Märtyrer wurden über Meer und Land geführt und als heilige Reliquien unter die fernsten Altäre Britanniens und Germaniens andachtsvoll versenkt. Die Sprache des Kultus wie der Schule unter den Barbaren stammte aus Rom; die heilige wie die profane Literatur, die Musik, die Mathematik, die Grammatik, die Kunst zu bauen und zu malen kamen aus Rom. Die Menschen an den dunkelsten Grenzen des Westens und Nordens wußten alle von Rom, und wenn sie den Namen dieser Stadt hörten, welcher schon seit so vielen Jahrhunderten die Welt in Aufregung versetzte, so erfaßte sie mystische Sehnsucht nach ihr, und ihre verzückte Phantasie malte sich im Bilde der ewigen Stadt ein Eden aus, wo die Pforten des Himmels sich öffneten oder schlossen. Es gab im Mittelalter eine lange Zeit, in welcher Rom die Gesetzgeberin, Lehrerin und Mutter der Völker war, um welche, ihre Kinder, sie einen dreifachen Ring der Einheit legte, der geistlichen in dem Papsttum, der weltlichen in dem Kaisertum, dessen Krone die deutschen Könige im Dom St. Peters zu empfangen kamen, und der Kultur im allgemeinen als des Erbes, welches die alten Römer der Welt zurückgelassen hatten.

Dies sei genug, die Gipfel zu bezeichnen, auf denen Rom im Mittelalter als herrschendes Prinzip der christlichen Völkergemeinde stand. Vor dieser weltgeschichtlichen Aufgabe, welche die Stadt zum zweiten Male überkam, mildern sieh die Schrecken langer Jahrhunderte, aus denen sich die Menschheit mühevoll emporarbeitete, um sich durch die Macht des Wissens von der Zucht Roms zu befreien, als sie dafür herangereift war. Die Sünden der alten Völkerdespotin wurden durch den großen Gedanken des Weltbürgertums aufgewogen, durch welchen Rom Europa dem Chaos der Barbarei entrissen und zu einer gemeinsamen Freiheit und Bildung befähigt hat.

2. Allgemeine Ansicht der Stadt Rom in der letzten Kaiserzeit.

Nachdem wir versucht haben, den Begriff Roms im Altertum und Mittelalter auszudrücken, wollen wir ein Bild der kaiserlichen Stadt, wie sie kurz vor der westgotischen Eroberung sich darstellte, in den wesentlichen Zügen entwerfen. Denn dies ist des Mittelalters wegen notwendig.

Während der Republik war Rom durch wenige Monumente der Religion und des Staats in anspruchsloser Majestät wie durch die Tugenden seiner großen Bürger geziert; erst als die Freiheit unterging, begann mit dem inneren Verfall der äußere Glanz. Augustus übernahm die Stadt als ein eng zusammengebautes Chaos von Häusern und Straßen, welche einige Hügel und deren Täler bedeckten. Er ordnete sie durch die Einteilung in 14 Regionen und schmückte sie im Verein mit Agrippa durch solche Bauten, daß er sich rühmen konnte, er habe eine Stadt aus Ziegelstein vorgefunden und lasse sie aus Marmor zurück. Rom wuchs seitdem fortdauernd während der ersten dreihundert Jahre kaiserlicher Herrschaft und füllte sich mit Tempeln, Portiken, Bädern, Palästen, Lustanlagen jeder Art und mit einer so großen Menge von Standbildern, daß es ein zweites marmornes Volk in sich zu fassen schien. Zur Zeit des Honorius breitete sich die Stadt auf demselben Gebiet wie heute aus, umgeben von fast denselben heutigen Mauerlinien. Der Tiberstrom durchfloß sie zweimal gebogen, so daß auf seiner linken lateinischen Seite dreizehn Stadtviertel, auf seiner rechten tuszischen der vierzehnte Teil, Vatikan, Janiculus und Transtiberim lagen. Die eigentliche Stadt erhob sich im Norden, Osten und Süden auf acht Hügeln, welche ihre Marmortempel, Burgen und Paläste, ihre Gärten und Villen dem Blicke herrlich darboten, auf dem Hügel der Gärten, dem Quirinal, Viminal, Esquilin, Coelius, die alle durch eine breite Wurzel zusammenhängend gegen die Mitte der Stadt verlaufen und Täler bilden, und endlich auf den vereinzelten, von alters her bewohnten Höhen Aventin, Palatin und Kapitol. Am Tiber dehnte sich eine breite Tiefebene aus, die von der mit Triumphbogen geschmückten Via Flaminia und ihrer Fortsetzung, der Via Lata, durchschnitten war. Hier standen viele Prachtgebäude der Kaiser, aber dem Volk diente diese Ebene, deren Hauptteil das Marsfeld hieß, mehr zur Lust als zur Wohnung, während sich im päpstlichen Rom, nachdem einige der alten Hügel verlassen waren, die eigentliche Stadtbevölkerung gerade dort zusammengedrängt hat.

Organisch hatte sich die Stadt von einem Mittelpunkte aus entwickelt. Dieses Zentrum war schon zur Zeit der Republik das Forum und das über ihm aufsteigende Kapitol. Wenn man um beide her eine unregelmäßige Linie zieht, welche den Palatin umkreisend den Zölischen, Esquilinischen und Quirinalischen Hügel streift, so umschließt man ein nicht zu ausgedehntes Gebiet auf der linken Tiberseite, in welchem sich während der Republik wie der Kaiserherrschaft das Herz Roms befand. Denn die genannten Hügel neigen sich von verschiedenen Richtungen her gegen das Forum. Dies Forum selbst war einst die Residenz des freien Volks, Sitz des republikanischen Staatslebens, und über ihm das Kapitol, die Burg der Stadt und die Wohnung ihrer Götter und Gesetze. Auch das öffentliche Vergnügen hatte in der Nachbarschaft sein geheiligtes Lokal, denn der Circus Maximus, Inbegriff der feierlichsten Spiele, lag unter dem Palatin; und so waren das Forum, das Kapitol, die Rennbahn die drei großen Charaktere der Stadt während der Republik.

Die Kaiser fügten jenen ein viertes Monument hinzu, ihre eigene Residenz, die palatinische Cäsarenburg. Obwohl Augustus und seine Nachfolger die alten Staatsheiligtümer des Kapitols erhielten und verschönerten, so erschufen sie doch daselbst nur wenige neue Werke; sie schmückten das Kapitol mit Statuen und umkränzten seinen Fuß gegen das Forum hin mit Standbildern, Säulen und Triumphbogen. Das Forum gestalteten sie durch Prachtbauten völlig um; da es unter dem Kaiserreich seine bürgerliche Bedeutung verlor, blieb es nur, als öffentlicher Platz des Volks, das durch die Tradition geheiligte Monument der republikanischen Vergangenheit, während die Cäsaren ihm andere prachtvoll ausgestattete Plätze an die Seite stellten. Dies waren die Kaiserfora des Caesar, Augustus, Nerva und Domitian und endlich das Forum Trajans. In ihm erreichte die kaiserliche Stadt den Gipfel ihrer Pracht, denn Rom hat nichts Vollkommeneres hervorgebracht. Trajan, in welchem überhaupt das Cäsarenreich gipfelte, vollendete auch den Circus Maximus, und ihm nahe hatten Vespasian und Titus ein riesiges Amphitheater aufgeräumt, jenes Colosseum, das ausdrucksvollste Monument der weltbezwingenden, kriegerischen und grausamen Natur des Römervolks. Wenn man auf der Via Sacra, durch den Titusbogen, am Palatin vorbei, durch das Forum des Volks, am Kapitol vorüber durch die zusammenhängenden Kaiserfora schritt, so überblickte man die architektonischen Hauptgestalten Roms in einer gedrängten und die Betrachtung fast erdrückenden Fülle. Seitdem Hadrian noch den größten Tempel der Stadt, der Venus und Roma, an der Via Sacra errichtet hatte, war im Herzen des alten Rom kaum ein Platz mehr für Bauten übrig; es starrte dort alles in dichten Massen von Tempeln, Basiliken und Arkaden, von Triumphbogen und Ehrenbildern, und über dieses Labyrinth von Gebäuden erhob sich hier das Flavische Amphitheater, dort die Kaiserburg, weiter das Kapitol, und in größerer Entfernung ein zweites Kapitol, der Tempel des Quirinus auf dem Quirinal.

Aus diesem Hauptgebiet heraus wuchs das kaiserliche Rom nordöstlich und südlich über die langen Hügel, nordwestlich über die Flußebene und in das vatikanische und transtiberinische Viertel jenseits des Stroms hinein. Die Hügel, zum Teil schon während der Republik stark angebaut, wie der Aventin, boten der Baulust seit Augustus einen großen Raum dar; der Esquilin, Viminal und Quirinal wurden mit palastreichen Straßen, mit Kunstgärten, Speisemärkten und Thermen bedeckt. Aus der Tiefe, die sich längs des Flusses vom Kapitol forterstreckte, stiegen neue Schöpfungen empor; so das Theater des Marcellus, der Flaminische Circus, das Theater des Pompejus mit seinen großen, mannigfaltigen Anlagen, das erhabene Pantheon des Agrippa mit seinen Thermen, die Prachtbauten der Antonine mit der Säule Marc Aurels, das Stadium Domitians und endlich ein hohes, bergähnliches, mit Bäumen geschmücktes Grab, die Residenz der toten Kaiser, das Mausoleum des Augustus. Ihm entsprach auf der andern Seite des Tiber das zweite Grabmal der Cäsaren, das Wunderwerk Hadrians; es leitete zu dem vatikanischen Gebiet mit seinen Gärten und endlich zu dem weniger schönen Viertel Transtiberim, über welchem die alte Burg des Janiculus sich erhob.

Dies große, in Stein und Metall kunstvoll dargestellte Relief der Weltgeschichte umschloß als Gürtel eine solcher Majestät würdige Mauer. Sie war das Werk Aurelians. Nachdem die Häusermenge längst über den Servischen Wall hinausgedrungen war, setzte dieser Kaiser ihrem Wachstum durch die Ummauerung Roms eine Grenze, indem er zugleich der Stadt eine Schutzwehr gegen die näher und näher dringenden Barbaren gab. Diesen berühmten Mauern Aurelians verdankte Rom noch lange nach dem Fall des Reichs, in schrecklichen Jahrhunderten, seine Fortdauer. Ohne sie würde die Geschichte der Kirche und des Papsttums eine weit andere Gestalt erhalten haben, als sie dieselbe erhalten hat. Nur einen Teil von Transtiberim und das vatikanische Gebiet hatte Aurelian nicht in die Mauern hineingezogen; sonst umgaben sie, durch runde oder viereckige Türme bewehrt, die ganze Stadt mit feierlichem und kriegerischem Ernst, und sie verschönerten, wie Claudian sich ausdrückt, ihr ehrwürdiges Antlitz. Ihre düstern, grauen Massen, im Lauf der Zeiten so oft bestürmt, zerbrochen und erneuert, doch im wesentlichen in denselben Kreislinien fortlaufend, erfüllen uns noch heute mit Ehrfurcht und Bewunderung; die Jahrhunderte haben darauf Namen von Konsuln, Kaisern und Päpsten und tausend Erinnerungen aufgezeichnet. Arcadius und Honorius hatten, aus Furcht vor den Goten, die Mauern Aurelians im Jahre 402 wiederhergestellt, und sieben Jahre später fand die Berechnung eines Geometers, daß ihr Umkreis 21 römische Meilen betrug.

Sechzehn Haupttore führten aus ihnen in das freie Feld. Achtundzwanzig große, mit Basaltpolygonen gepflasterte Heerstraßen (außer den kleineren Verbindungswegen) zogen aus Rom den Provinzen zu. Zu ihren Seiten wurden sie von Grabmälern begleitet, welche in vierfacher Gestalt als Tempel, Rundtürme, Pyramiden, hohe Sarkophage sich erhoben. Die Campagna, eine bald grüne, bald sonnverbrannte Ebene, umgab die Stadt als ein Gefilde von so majestätischer Erhabenheit, daß ihr nichts auf Erden vergleichbar ist. Auf ihr standen unzählige Monumente, Grabmäler, Tempel, Kapellen, Landhäuser von Kaisern und Senatoren, und es durchzogen sie – ein Anblick von hinreißender Größe, wie man noch heute aus den Trümmern begreift – die kunstvollen Aquädukte, welche zum Teil in meilenlangen Linien der Stadt zustrebten. Auf ihren mächtigen Bogen führten sie gefangene Flüsse in die Mauern Roms, um das Volk aus zahllosen, mit Erz und Marmor geschmückten Brunnen zu tränken, die Naumachien, die Gärten, Villen und Teiche zu versorgen und endlich den üppigen Thermen zuzuströmen.

So war die Stadt am Anfange des IV. Jahrhunderts auf dem Gipfel ihrer äußeren Vollendung; als sie sodann die Grenze erreicht hatte, wo Stillstand und Alter beginnen, blieb sie fast zwei Jahrhunderte hindurch in einem wegen ihrer Größe langen und kaum merklichen Übergange zum Verfall. Dieser begann mit Constantin und tatsächlich mit der Erbauung der neuen Hauptstadt am Bosporus, welche der Kaiser ausschmückte und bevölkerte, indem er Rom plünderte und sowohl vieler Kunstwerke als vieler Patrizierfamilien beraubte. Das zur öffentlichen Religion erklärte Christentum führte zugleich den Zerfall der heidnischen Pracht Roms herbei, und wie die monumentale Geschichte der Stadt mit dem Triumphbogen Constantins beschlossen wird, so leitete auch die Geschichte ihres Ruins der Bau der Basilika St. Peters ein, welche aus dem Material des zerstörten Circus des Caligula und wahrscheinlich auch anderer Monumente entstand. Aber so prachtvoll war dies von den Cäsaren verlassene, vom Christentum hier und da angebrochene Rom noch zur Zeit des Kaisers Gratian um 384, daß der Rhetor Themistius ausrief: »Die herrliche und berühmte Roma ist unermeßlich und ein über jedes Wort erhabenes Meer von Schönheit.« Ihren Glanz und die Fülle ihrer Denkmäler priesen noch Ammianus Marcellinus, Claudian, Rutilius und Olympiodor mit hoher Begeisterung.

Nach dem System des Augustus blieb Rom noch jahrhundertelang in vierzehn bürgerliche Regionen mit ihren Straßenvierteln oder Vici, ihren Viertelsmagistraten und Wächterkohorten eingeteilt. Sie waren folgende: I. Porta Capena, II. Coelimontium, III. Isis und Serapis, IV. Templum Pacis, V. Esquiliae, VI. Alta Semita, VII. Via Lata, VIII. Forum Romanum Magnum, IX. Circus Flaminius, X. Palatium, XI. Circus Maximus, XII. Piscina Publica, XIII. Aventinus, XIV. Transtiberim. Dies sind die Namen, welche, wie es scheint, nicht dem amtlichen, sondern dem volkstümlichen Gebrauch entlehnt, durch die sogenannte Notitia und das Curiosum Urbis überliefert worden sind, zwei topographische, aus den Urkunden der Stadtpräfektur gezogene Verzeichnisse der Zeit Constantins und der späteren des Honorius oder Theodosius des Jüngeren. Diese Register umfassen, wenn auch nicht vollständig, die Bauwerke der vierzehn Regionen; am Schluß ist ihnen eine kurze Übersicht der Bibliotheken, Obelisken, Brücken, Berge, Felder, Fora, Basiliken, Thermen, Wasserleitungen und Wege, und überhaupt eine kurze städtische Statistik beigefügt. Ihre Angaben, obwohl manchmal dunkel und zweifelhaft, sind von unschätzbarem Wert als die einzigen authentischen Quellen, die uns für die Gestalt Roms im IV. und V. Jahrhundert dienen. Ihnen mag der Leser hier in Kürze folgen, damit er sich der bedeutendsten Lokale und Monumente in jeder Epoche des Mittelalters bewußt bleibe.

3. Die vierzehn Regionen der Stadt.

Die erste Region Porta Capena erstreckte sich über das alte Servische Tor entweder bis an die Aurelianische Mauer oder noch jenseits der Porta Appia, heute San Sebastiano. Von der Appischen und Lateinischen Straße durchschnitten, zog sie sich stadtwärts bis gegen den Coelius hin. Es lag in ihr das berühmte Tal der Egeria mit ihrem Haine und einem Heiligtum der Camenen und der gefeierte Tempel des Mars, in dessen Nähe der Bach Almo, welchen die Verzeichnisse besonders hervorheben, die Erinnerungen an den Dienst der Kybele bewahrte. Drei Triumphbogen erhoben sich über die Via Appia, diesseits der Mauer, dem Drusus, Verus und Trajan geweiht. Ein Bogen steht, halb zerstört, noch heute vor der Porta S. Sebastiano. Er diente zu einer Wasserleitung und wird irrig für den Drususbogen gehalten. Jenseits der Stadtmauer gelangte man nach dem Circus des Maxentius und dem Grabe der Caecilia Metella. Diese beiden Bauwerke standen zur Zeit des Honorius unversehrt, der Circus, der letzte Prachtbau dieser Art, wahrscheinlich nicht mehr im Gebrauch, das Grabmal noch vollständig mit seinen Quadern bekleidet und seinem Friese geschmückt und von jener Zeit noch weit entfernt, die es zu einer Burg umgestaltete. In diesem Bezirk ruhten nebeneinander die Toten des heidnischen und des christlichen Rom, denn mitten unter den Gräbern der Via Appia befand sich der Eingang zum Coemeterium des heiligen Calixt, wo in drei- bis fünffachen Stockwerken unter der Erde das Christentum lange Zeit Rom unterwühlt hatte, bis die Edikte Constantins die im geheimen vollendete Gestalt der Kirche aus den finstern Märtyrergrüften an das Tageslicht riefen. Und schon im VI. Jahrhundert hieß die Örtlichkeit an der Via Appia: ad Catacumbas. Auch die zahlreichen Hebräer Roms hatten einen ihrer unterirdischen Kirchhöfe an derselben Straße, in der unmittelbaren Nähe der christlichen Katakomben. Die Notitia führt endlich in derselben Region noch die Thermen des Severus und Commodus und das rätselhafte Mutatorium Caesaris auf.

Coelimontium war die zweite Region. Sie umfaßte den ganzen Zölischen Hügel. Die Notitia nennt daselbst den Tempel des Claudius, das Macellum Magnum, den großen Verkaufsmarkt, die Station der fünften Wächterkohorte, die Castra peregrina, ein Lager für Fremdsoldaten späterer Zeit, das Caput Africae, eine Straße, welche mehrmals noch im spätesten Mittelalter genannt wird.

Das Amphitheater des Titus, damals noch nicht Colisaeus genannt, wird in der dritten Region Isis und Serapis vermerkt. Der Kaiser Philippus hatte in ihm das tausendjährige Bestehen Roms durch die glänzendsten Säkularspiele gefeiert, nachdem es kurz zuvor durch Alexander Severus hergestellt worden war. Noch im Gebrauch zur Zeit des Honorius, stand dieser Wunderbau unversehrt, mit allen seinen Pfeilern und dem Schmuck der Bildsäulen und mit allen seinen Sitzplätzen, deren unsre Verzeichnisse 87 000 zählen. Die dortige Region behielt von ihrem ansehnlichsten Tempel den Namen Isis und Serapis. Doch von ihm selbst blieb so wenig eine Spur übrig; als von der Moneta, dem kaiserlichen Münzgebäude in diesem Viertel, oder vom Ludus Magnus und Dacicus, Gymnasien der Gladiatoren, oder vom Lager der Flottensoldaten aus Misenum (Castra Misenatium), und vom Porticus der Livia. Nur die Thermen des Titus und Trajan, welche das Verzeichnis aufführt, kennen wir noch aus ihren Ruinen. Es ist ungewiß, ob diese prächtigen Bäder, welche Titus über einem Teile des goldenen Hauses Neros gebaut und dann Trajan fortgesetzt hatte, zur Zeit des Honorius noch in Gebrauch waren, da man vielmehr die Thermen des Diokletian, Constantin und Caracalla zu besuchen pflegte. Indes konnte sich der Römer noch in den glänzenden Prachträumen ergehen, er konnte die Gruppe des Laokoon an ihrem ursprünglichen Platze noch bewundern und sich an den zarten Malereien ergötzen, welche den düstern Ernst der hochgewölbten Korridore und Säle mit einem Schimmer heiterer Dichtung milderten.

An das Amphitheater grenzte die vierte Region, die sich gegen das römische Forum und hinter diesem bis zu den Kaiserfora und über die Straße Subura zu den Carinen emporzog. Ihren Namen führte sie erst von der Via Sacra, dann vom Tempel des Friedens; aber die Verzeichnisse nennen diesen berühmten Bau Vespasians nicht mehr, weil er schon im Jahre 240 durch den Blitz verbrannte und als Ruine stehen blieb. Nahe vor dem Amphitheater erhob sich noch der Springbrunnen Domitians, die Meta Sudans, dessen gemauerter Kern in Kegelgestalt noch heute aufrecht steht; es stand noch der berühmte Koloß des Zenodorus, einst dem Nero geweiht, dann von Hadrian unterhalb seines großen Doppeltempels der Roma und Venus aufgestellt. Und dieser Prachtbau war mit seinen gewaltigen korinthischen Säulenstellungen und seinem vergoldeten Dache noch immer eine der schönsten Zierden Roms. Überhaupt zeichneten die vierte Region viele großartige Gebäude aus, welche sich an der Via Sacra aufreihten, wo die von Maxentius erbaute, aber von Constantin eingeweihte Basilica Nova, deren mächtige Ruinen lange Zeit fälschlich als Reste des Friedenstempels galten, vor allen andern in frischem Glanze prangte. Die Verzeichnisse nennen den Tempel des Jupiter Stator, den Tempel der Faustina, die Basilika des Paulus, das Forum Transitorium, von dem der schöne Rest einer der Minerva geweihten Halle noch steht; ferner den Tempel der Tellus, die Straße Subura, selbst noch das Tigillum Sororium, jenes auf dem Vicus Cyprius befindliche Mal der Erinnerung an Horatius und die von ihm getötete Schwester, welches die Römer auch noch damals voll Pietät bewahrten, wie das heilige Haus des Romulus auf dem Palatin und das fabelhafte Schiff des Aeneas am aventinischen Flußufer.

Mit der fünften Region betreten wir den Esquilinischen Hügel und einen Teil des Viminalis. Es werden hier genannt: der Lacus Orphei, ein mit der Statue des Orpheus geschmückter Wasserbehälter; das Macellum Livianum, der von Augustus angelegte große Speisemarkt für die Bedürfnisse des Volks; das Nymphaeum des Alexander, eine von Alexander Severus errichtete Prachtfassade eines großen Brunnens; ferner die Station der zweiten Wächterkohorte, die Gärten des Pallas, des bekannten Freigelassenen des Claudius; der Sullanische Tempel des Herkules; das Amphitheatrum Castrense; der Campus Viminalis; der Tempel der Minerva Medica und ein Heiligtum der Isis Patricia. Dies muß auf der schönsten Straße des Viertels gestanden haben, dem Vicus Patricius, wo auch die Thermen des Novatus lagen, welche in der Geschichte der ersten Jahrhunderte des christlichen Rom genannt werden. Die ganze Gegend des Esquilin, des Viminal und eines Teil des Quirinal war meist von ärmeren Volksklassen bewohnt, für welche die Kaiser noch in den späteren Jahrhunderten durch Anlage von Thermen sorgten. Die Verzeichnisse bemerken nicht die Bäder der Olympias auf dem Viminal über der Subura; aber die Martyrologien verlegen in sie den Tod des heiligen Laurentius. Die Tradition behauptet, daß auf ihrer Stelle die Kirche S. Lorenzo in Panisperna errichtet worden sei.