Der Autor

Oliver Pötzsch – Foto © Frank Bauer / www.frankbauer.com

Oliver Pötzsch, Jahrgang 1970, arbeitete nach dem Studium zunächst als Journalist und Filmautor beim Bayerischen Rundfunk. Heute lebt er als Autor mit seiner Familie in München. Seine historischen Romane haben ihn weit über die Grenzen Deutschlands bekannt gemacht: Die Bände der »Henkerstochter«-Serie sind internationale Bestseller und wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt.

Oliver Pötzsch

Die Henkerstochter und der Fluch der Pest

Historischer Roman

Ullstein

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Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch
1. Auflage Juni 2020
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2020
Alle Rechte vorbehalten.
Umschlaggestaltung: zero-media. net, München
Titelabbildungen: akg-images / Guercino, eigentl. Giovanni Francesco Barbieri. 1591–1666; zugeschrieben. »Der ungläubige Thomas«, um 1620. (Öl auf Leinwand, 120 × 143 cm.) Rom, Pinacoteca Vaticana. (Mann); akg-images / André Held, Feti, Domenico, 1588/89–1623. »Die Melancholie«, um 1618–1623. (Öl auf Leinwand, 172,5 × 128,2 cm.) Paris, Musée du Louvre (Frau); © The Picture Art Collection / Alamy Stock Foto (Stadt); © Lisa Kim / Alamy Stock Foto (Pestmaske)
Karte von Kaufbeuren: © Peter Palm,Berlin
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ISBN 978-3-8437-2236-0

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Widmung

Für meinen Vater Peter, meine Brüder Florian und Marian, meinen Patensohn Aliahmad und alle anderen Ärztinnen und Ärzte, Pfleger und Pflegerinnen, die jeden Tag dafür sorgen, dass es dem einen oder anderen Menschen ein wenig besser geht. Wir Schriftsteller schreiben nur darüber …



Dramatis Personae

Die Familie Kuisl

Jakob Kuisl, Schongauer Scharfrichter

Magdalena Fronwieser (geborene Kuisl), Jakobs ältere Tochter

Simon Fronwieser, Münchner Arzt

Barbara Weisheitinger (geborene Kuisl), Jakobs jüngere Tochter

Valentin Weisheitinger, Münchner Stadtmusikant

Georg Kuisl, Jakobs Sohn

Peter und Paul, Söhne von Magdalena und Simon

Sophia, ihre Tochter


Personen in Schongau und München

Johann Lechner, Schongauer Stadtschreiber

Jakob Schreevogl, Schongauer Patrizier und Freund der Kuisls

Martha Stechlin, Hebamme

Mathias und Josef, Schongauer Stadtwachen

Crescentia Laubinger, Tochter des Peitinger Baders

Der Oberst, unbekannter Auftragsmörder

Kronprinz Max Emanuel, zukünftiger bayerischer Kurfürst


Kaufbeuren

Johann Rehlinger, Kaufbeurer Bürgermeister

Martin Eden, Sohn des verstorbenen Stadtphysikus Hermann Eden

Conrad Näher, Kaufbeurer Scharfrichter

Raffael, Henkersgeselle

Gottlieb Bärwein, Spitalmeister im Kaufbeurer Spital

Hans Kohler, Apotheker

Leonhart Schropp, Chirurgus

Pater Damian, Seelvater des Spitals

Thomas Widmann, Superior der Kaufbeurer Jesuiten

Tobias Hörmann von und zu Gutenberg, Baron und Kaufbeurer Patrizier

Xaver Klingensteiner, Kemnater Scharfrichter

Der Rattenfänger von Hameln

(alte deutsche Sage, erzählt nach den Brüdern Grimm)

Vor vielen Jahren ließ sich zu Hameln ein wunderlicher Mann sehen. Er hatte einen Rock von vielfarbigem, buntem Tuch an und gab sich als Rattenfänger aus, indem er versprach, gegen ein gewisses Geld die Stadt von allen Mäusen und Ratten zu befreien. Die Bürger wurden mit ihm einig und versprachen ihm einen bestimmten Lohn. Da zog der Rattenfänger ein Pfeifchen heraus und pfiff, und alsbald kamen die Ratten und Mäuse aus allen Häusern hervorgekrochen und sammelten sich um ihn herum. Als der Mann nun meinte, sie wären vollzählig, ging er hinaus, und der ganze Haufen folgte ihm, und so führte er sie an die Weser; dort schürzte er seine Kleider und trat in das Wasser, worauf ihm all die Tiere folgten und hineinstürzend ertranken.

Nachdem die Bürger aber von ihrer Plage befreit waren, reute sie der versprochene Lohn, und sie verweigerten ihn dem Manne unter allerlei Ausflüchten, sodass er zornig und erbittert wegging. Im Sommer aber erschien er wieder, jetzt in Gestalt eines Jägers, erschrecklichen Angesichts, mit einem roten, wunderlichen Hut, und ließ seine Pfeife in den Gassen hören. Alsbald kamen diesmal nicht Ratten und Mäuse, sondern Kinder, Knaben und Mägdlein in großer Anzahl gelaufen. Der ganze Schwarm folgte ihm nach, und er führte sie hinaus in einen Berg, wo er mit ihnen verschwand. Die Eltern liefen vor alle Tore und suchten mit betrübtem Herzen ihre Kinder; die Mütter erhoben ein jämmerliches Schreien und Weinen. Von Stund an wurden Boten zu Wasser und Land an alle Orte herumgeschickt, zu erkundigen, ob man die Kinder gesehen, aber alles war vergeblich.

Es waren im Ganzen hundertunddreißig verloren.

Prolog

Im Allgäu, Anno Domini 1679


Der Tod kündigte sich an mit leisem Fiepen.

Cornelius van Leyden dachte zunächst an Kinderstimmen, an entferntes Jammern und Wimmern, doch dann ähnelte es eher einem Kichern. Ja, da kicherte jemand! Erschrocken öffnete van Leyden die Augen, er spürte das Blut im Kopf rauschen. Um ihn herum war nichts als Schwärze. War er etwa erblindet? Er versuchte, sich aufzurichten, doch offenbar war er nicht nur blind, sondern auch gelähmt. Wie sonst ließ es sich erklären, dass er sich überhaupt nicht rühren konnte? Oder war er bereits tot, war das hier die Hölle?

Nachdem er sich eine Weile prüfend hin und her geschoben hatte, kam Cornelius van Leyden zu dem Schluss, dass er weder gelähmt noch in der Hölle war, sondern mit Bändern gefesselt, dicken Lederriemen, die über Brustkorb, Arme, Bauch und Beine liefen. Wie ein Paket verschnürt lag er auf einer Art Bett in einem stockdunklen Raum, vermutlich einem Kerker. Ein Umstand, der ihn eher erleichterte als ängstigte.

Es war nicht das erste Mal, dass Cornelius van Leyden gefesselt in einem Verlies lag. Als lang gedienter Söldner aus den Niederlanden hatte er für so viele Herren gekämpft, dass er sie nicht mehr zählen konnte. Der letzte war der französische König Ludwig XIV. im Holländischen Krieg gewesen, doch davor war van Leyden auch für die andere Seite in die Schlacht gezogen. Er hatte geplündert, gebrandschatzt, vergewaltigt und gemordet, immer mit dem Segen des jeweiligen Herrschers und manchmal auch dem der Kirche. Sein Gewissen war rein, er war ein Hund des Krieges. Schon drei Mal war er dem Teufel gerade noch von der Schippe gesprungen. Zweimal hatte er im letzten Moment aus dem Verlies fliehen können: Kameraden hatten ein Loch in die Mauer gesprengt, während draußen schon das Schafott für ihn aufgebaut wurde. Einmal war beim Hängen das Seil gerissen, und der Feldwebel hatte ihn daraufhin begnadigt. Weder Kerker noch der Teufel konnten einen van Leyden schrecken. Er hatte sieben Leben wie eine Katze, und, verdammt noch mal, er würde auch aus diesem Loch lebend herauskommen!

Wenn nur mein Kopf nicht so dröhnen würde …

Sein Schädel pochte, als würde jemand mit einem Streitkolben darauf herumhauen. Das lag vermutlich an dem vielen Wein, den er gestern in dieser Kaufbeurer Spelunke gesoffen hatte. Mit ein paar anderen Söldnern aus Flandern hatte er auf ihren allerneuesten Herrn angestoßen, diesen jungen bayerischen Kronprinzen, dem noch der Flaum auf den Lippen wuchs. Und doch würde er schon bald Kurfürst sein und damit einer der mächtigsten Herrscher des Reichs. Sie hatten ihren Sold verprasst, dann waren die Huren an den Tisch gekommen und ein paar andere Kerle, an die er sich nicht mehr erinnern konnte. Sie hatten ihm mehr Wein gegeben, und dann noch mehr …

Und so war er hier gelandet.

Cornelius van Leyden ahnte, was geschehen war. Er war einer Bande von Drückern in die Hände gefallen, hundsgemeinen Bastarden, die einen abfüllten und dann mit einer Unterschrift für den Kriegsdienst verdingten. Vermutlich hatte er gestern auf irgendeinem Fetzen Papier sein Kreuz gemacht, sodass er nun einem anderen Fürsten dienen musste. Nun ja, sie würden ihn hier unten ein wenig schmoren und seinen Kater auskurieren lassen. Und dann bekam er eine neue Söldnertracht, pfiff ein neues Lied und marschierte unter einer neuen Flagge.

»Heda!«, schrie er in die Dunkelheit. »Lasst mich raus, ihr Saukerle! Oder bringt mir wenigstens noch was zum Saufen! Hört ihr?«

Erst jetzt fiel van Leyden etwas auf, das er wegen der heftigen Kopfschmerzen bislang nicht bemerkt hatte. Als er die Stirn bewegte, war da etwas …

Etwas um seinen Kopf.

Er schüttelte sich, und es rasselte. Van Leyden erstarrte. Was er für einen Lederriemen um seinen Hals gehalten hatte, war in Wirklichkeit ein Eisenring. Er gehörte zu einem seltsamen Gebilde, das seinen Kopf umschloss.

Einem Käfig wie ein Vogelzwinger.

»Verflucht … Was … was soll das?«

Van Leyden schüttelte und drehte sich, worauf der Eisenring schmerzhaft an seinem Hals schabte. Sein Kopf war tatsächlich in einen Käfig gesperrt! Nun hatten sich seine Augen auch ein wenig an die Dunkelheit gewöhnt. Er starrte durch das dünne Gitter hinaus in einen Raum, dessen Wände aus grob geschichteten großen Quadern bestanden. Wenn er seinen eingezwängten Kopf ein wenig drehte, sah er am Boden winzige Punkte, die hin- und herhuschten.

Wieder erklang dieses Fiepen, jenes seltsame Kichern, das er zuvor schon gehört hatte.

Und nun wusste er auch, woher es stammte.

Es war das Fiepen von Ratten, Dutzende von ihnen, die über den Boden flitzten und ihn mit ihren Äuglein hungrig anstarrten, als wäre er ein großer appetitlicher Schinken.

Die Biester wurden nun immer frecher. Sie kletterten an den Pfosten seiner Bettstatt empor, liefen ihm über Beine und Brust. Ihre kleinen Füße tappten über den Käfig, der van Leydens Kopf umschloss, ihre langen, glatten Schwänze kitzelten ihn an der Nase. Schmerz durchzuckte ihn, als eine Ratte ihm in den Finger biss. Eine andere knabberte an seinen Stiefeln.

»Holt mich hier raus, ihr Teufel!«, schrie van Leyden in der Hoffnung, dass ihn irgendjemand hörte. »Das ist kein Spaß mehr!«

Plötzlich ertönte unmittelbar hinter ihm ein Geräusch. Etwas knarrte und quietschte, und ein Lichtschein fiel in die Kammer. So schnell, wie sie gekommen waren, huschten die Ratten in ihre Löcher zurück. In dem schwachen Licht sah van Leyden nun über sich in etwa drei Schritt Höhe ein riesiges Gitter, das als eine Art Zwischendecke diente. Wo zur Hölle war er hier nur?

Schritte hallten über den Steinboden.

»Na endlich«, keuchte van Leyden erleichtert. »Macht mich los, bevor mich die Biester noch bei lebendigem Leib auffressen. Und nehmt mir diese komische Maske ab. Was … was soll dieser Unsinn überhaupt? Wenn ihr mich erschrecken wollt, dann lasst euch sagen, dass ein van Leyden weder den Teufel noch die Hölle fürchtet!«

Die Gestalt, die nun direkt hinter ihm stand, gab keine Antwort. Etwas rüttelte an seinem Kopf, und van Leyden hoffte schon, man würde den lästigen Käfig nun endlich entfernen. Aber das war nicht der Fall, im Gegenteil.

Der Mann hinter ihm schien etwas daran festzuschrauben.

»He, was machst du da?«, rief van Leyden. »Zum Teufel, was … was ist das?«

An dem Gewicht, das nun auf seinem Kopf lastete, spürte van Leyden, dass der Mann offenbar eine weitere Apparatur am Scheitelpunkt des Käfigs angebracht hatte. Etwas quietschte, als würden Schrauben und Muttern gedreht, ein hässliches, nervtötendes Schaben. Doch ein anderes Geräusch erschreckte van Leyden viel, viel mehr.

Es war das erneute Quieken von Ratten, das jetzt viel näher klang.

Direkt über seinem Kopf.

Ein letztes Rucken und Rasseln, als würde eine Klappe hochgezogen.

Ein Trippeln und Trappeln wie von Hunderten kleiner Pfoten.

Und dann ergoss sich eine Flut von Ratten in den maskenartigen Zwinger um seinen Kopf, sie huschten durch van Leydens Haare, knabberten an seinen Ohren, verbissen sich in seiner Nase, zerfleischten seine Lippen … Cornelius van Leyden fluchte, kreischte, bat und flehte, während ihm die Ratten bei lebendigem Leib die Haut vom Gesicht rissen.

Jetzt war er sich sicher, dass sie kicherten.