Die Autorin

Penny Reid – Foto © Korie Hayes

Penny Reid ist USA Today Bestseller-Autorin der Winston-Brothers-Serie und der Knitting-in-the-city-Serie. Früher hat sie als Biochemikerin hauptsächlich Anträge für Stipendien geschrieben, heute schreibt sie nur noch Bücher. Sie ist Vollzeitmutter von drei Fasterwachsenen, Ehefrau, Strickfan, Bastelqueen und Wortninja.

Das Buch

Niemand verdient ein Happy End so sehr wie der zweit-älteste Winston und Claire McClure (Scarlet St. Claire). Eine grausame Wendung des Schicksals riss die beiden vor fast zwanzig Jahren auseinander. Geheimnisse und Bitterkeit trennte die beiden seither voneinander.

Aber so langsam ist es genug mit der Einsamkeit und der Dickköpfigekeit. Das finden alle. Besonders Billy Winstons Familie. Und es ist endlich Zeit zu handeln.
Durch das wohlgemeinte Einmischen treffen die beiden verkannten Geliebten sich in den Hügeln der Toskana, in den Katakomben Roms und auf den Kanälen Venedigs immer wieder. Billy und Claire sind den Verkupplungsversuchen der anderen Winstons hilflos ausgeliefert.

Bleibt nur die Frage, ob die beiden sich dadurch tatsächlich näher kommen, oder sich endgültig voneinander verabschieden?



Von Penny Reid sind bei Forever erschienen:
In der Winston-Brothers-Reihe:
Wherever you go
Whatever it takes
Whatever you need
Whatever you want
Whenever you fall
When it counts
When it's real

Penny Reid

Winston Brothers

When it's real

Aus dem Amerikanischen
von Uta Hege

Forever by Ullstein
forever.ullstein.de

Deutsche Erstausgabe bei Forever
Forever ist ein Verlag
der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin April2020 (1)

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2020
Copyright © Beard Necessities 2019 by Penny Reid
Titel der amerikanischen Originalausgabe: Beard Necessities (Penny Reid 2019)
Umschlaggestaltung: zero-media.net, München
Titelabbildung: © FinePic®
Autorenfoto: © privat
E-Book powered by pepyrus.com

ISBN 978-3-95818-462-6


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Prolog


Cletus

»Hat vielleicht irgendjemand Lust, mir zu erzählen, worum es geht?«

Ich tätschelte meinem jüngsten Bruder aufmunternd die auf der Decke seines Krankenbetts liegende Hand und sah verstohlen auf die Uhr. Wo steckte Jethro nur? Er hätte längst schon da sein sollen.

»Du wirst alles erfahren, Roscoe. Keine Angst«, versicherte ich ihm. Dem armen Jungen hatten sie den Bart abrasiert, und er sah deshalb trotz seiner sechsundzwanzig Jahre plötzlich wieder wie ein kleiner Junge aus.

Er hätte mir erlauben sollen, ein Muster in die Stoppeln zu rasieren, das hätte sicher Eindruck auf das Pflegepersonal gemacht. Dann eben nächstes Mal. Wenn Roscoe schläft.

»Schieß endlich los, Cletus«, schnauzte Duane, einer der Zwillinge und Nummer sechs unserer Familie, mich an. Der andere Zwilling, Beau, war vor ihm auf die Welt gekommen, und deshalb die Nummer fünf. Duane war immer schon der Knurrige gewesen, das war einfach seine Rolle. »Ich muss schließlich ein Flugzeug kriegen, wenn ich rechtzeitig nach Hause kommen will.«

»Wir wissen alle, dass dein Baby morgen kommen soll, Duane«, gab ich in ruhigem Ton zurück. »Wenn alle hier sind, fangen wir sofort an.«

Ich tauschte einen schnellen Blick mit Beau, der mir mal wieder keine große Hilfe war. Er schien sich köstlich über die Nervosität, die in der Stimme seines Zwillingsbruders schwang, zu amüsieren.

Außer mir wusste nur Beau, weshalb dieses besondere Treffen von mir einberufen worden war. Da ich einen Komplizen brauchte, hatte ich ihn letzte Woche eingeweiht. Vielleicht kam es überraschend, aber meine Sippe erkannte meine Genialität nicht immer an, obwohl ihnen bewusst sein sollte, dass die Pläne, die ich bisher ausgeklügelt hatte, ausnahmslos genial gewesen waren.

Vor allem war Beau bei allen beliebt und bot sich schon aus diesem Grund einfach als Mitverschwörer an.

Auch wenn Duane naturgemäß ein Griesgram war, war er in diesem Fall aus gutem Grund so reizbar und nervös. Seine Partnerin auf Reisen, in Ehe und Leben, Jessica James-Winston, war hochschwanger und bekäme jeden Augenblick ihr erstes Kind. Als Elefantenweibchen hätte sie noch fünfundvierzig Wochen Zeit gehabt, aber sie war nun einmal keine Elefantenkuh, sondern die Tochter unseres Sheriffs und wirklich nett, auch wenn sie mitunter ziemlich frech werden konnte. Duane war einzig deshalb hier bei uns, weil Roscoe fast gestorben wäre. (Aber keine Panik! Er ist längst über den Berg.)

Und Jessica wartete in Gesellschaft ihrer Eltern in Italien auf die Ankunft ihres oder ihrer Erstgeborenen.

»Hey, Duane.«

»Ja?«

»Wie soll das Baby heißen?«

Ashley, Nummer vier und das einzige Mädchen der Familie, bedachte mich mit einem bösen Blick: »Cletus Byron Winston, das hast du Duane schon hundertmal gefragt. Hör endlich auf und lass ihn, wenn er es noch nicht verraten will.«

Wir sahen uns an und zogen gleichzeitig die Brauen hoch. Wir waren ungefähr im selben Alter, denn sie war kaum ein Jahr, nachdem der Welt das Glück meiner Geburt zuteil geworden war, geboren worden. Das hieß, ich war die Nummer drei. Was, wie wir alle wissen, eine Glückszahl ist.

»Da bin ich!«

Wir fuhren alle gleichzeitig herum, als Jethro in der Tür erschien.

»Entschuldigt die Verspätung«, bat er uns und fuhr sich mit den Händen durch das wild zerzauste Har. »Ich musste mich noch umziehen. Andy hatte Durchfall und –«

Ich hob die Hand und hielt die Nummer eins von uns Geschwistern davon ab, sich in einer ausführlichen Beschreibung der Verdauung seines zweitgeborenen Sohnes zu ergehen.

»Ich glaube nicht, dass einem von uns irgendetwas fehlt, wenn du uns nicht ausführlicher erzählt, weshalb der Durchfall deines Sohnes schuld an deinem verspäteten Erscheinen ist.«

Er verschränkte seufzend seine Arme vor der Brust und bedachte mich mit einem, wie er sicher hoffte, missbilligenden Blick. Im Grunde aber schaffte er es nicht einmal die Stirn zu runzeln, wenn er wirklich sauer war.

»Moment. Was ist mit Billy? Wo ist Billy?«, sprach Duane uns auf den Einzigen der Winstonschen Geschwister, der bei der Versammlung fehlte, an. Er kratzte seinen sorgfältig gestutzten roten Bart und blickte zwischen mir und Jethro hin und her.

Jetzt oder nie.

Ich machte einen Schritt nach vorn und alle wandten sich mir zu. Obwohl ich mit knapp ein Metern achtzig der mit Abstand Kleinste von uns Brüdern war, besaß ich aber die größte Präsenz in einem Raum, wenn ich es wollte.

»Gut, dass du fragst, Duane. Jethro.« Ich wies auf die Tür, durch die er kurz zuvor getreten war. »Kannst du die bitte zumachen? Die Informationen, die ihr gleich bekommt, sind sehr sensibel, deshalb wäre es mir lieb, wenn davon nichts nach außen dringt.«

Ashley sah mich aus zusammengekniffenen blauen Augen an, trat neben Roscoes Bett und fuhr ihm mit den Fingern durch das dunkle Haar. »Moment. Sensibel? Es ist doch wohl nichts, was Roscoe aufregt, oder?«

»Nein, Ash. Es ist nichts, was Roscoe aufregt«, sagte ich, dann aber lenkte ich den Blick auf eine Stelle über ihrem Kopf und schränkte ein: »Zumindest glaube ich das nicht.«

»Cletus«, mischte Beau sich wie aufs Stichwort ein. Seine Augen blitzten und auf seinen Lippen lag ein amüsiertes Lächeln, was bei ihm jedoch nicht weiter ungewöhnlich war. »Soll ich anfangen?«

Jetzt waren die anderen noch verwirrter als zuvor, was ich als höchst befriedigend empfand. Ich liebte, wenn die Dinge eine überraschende Wendung nahmen – auf der Tanzfläche und im Plot.

»Schieß los.« Mit einer ausladenden Geste überließ ich ihm die Bühne und trat wieder einen Schritt zurück.

Während der Probe hatten wir beschlossen, dass es besser wäre, wenn er mich zu Anfang meiner Rede unterbrach und ich ihn weitersprechen ließ. Denn wie bereits erwähnt, war Beau der ganz besondere Liebling sämtlicher Geschwister, während ich mit meinen Plänen oft auf Ablehnung bei ihnen stieß. Auch wenn ihr Misstrauen völlig unbegründet war.

Beau stieß sich von der Wand des Krankenzimmers ab und setzte ein noch breiteres, aber gleichzeitig auch nachdenkliches Lächeln auf. »Cletus und ich haben euch Billys wegen hergebeten. Mir ist klar, wir haben das Thema letzte Woche bereits angeschnitten, kurz, bevor die Paytons kamen, aber ich denke, dass wir uns zusammensetzen und uns überlegen müssen, wie in dieser Angelegenheit am besten vorzugehen ist. Wir brauchen einen Plan.«

»Was für einen Plan?«, mischte sich Roscoe ein.

»Nun, wir machen uns Sorgen um ihn«, erkläre Beau und legte eine Pause ein, damit die anderen die Gelegenheit bekamen, ihn zu fragen, was der Grund für unsere Sorge war. Doch keiner von den anderen wirkte sonderlich verwirrt.

Stattdessen griff sich Ashley an die Stirn und stellte fest: »Ich kann einfach nicht glauben, dass er das tatsächlich macht. Ich kann nicht glauben, dass er sich das noch mal antut, denn das erste Mal war schließlich schlimm genug.«

Sie sprach davon, dass Billy, unsere Nummer zwei, zum zweiten Mal freiwillig Knochenmark für unseren widerwärtigen Vater Darrell Winston spenden wollte. Als wir davon erfahren hatten, waren wir geschockt gewesen, doch vor allem zutiefst bestürzt. Einmal hatte Billy diese Prozedur schon hinter sich gebracht, und jetzt hatte er einen Termin für eine zweite Spende ausgemacht, denn ohne frisches und gesundes Knochenmark hätte der Alte keine Chance.

»Du weißt, warum er sich dazu entschlossen hat.« Roscoe legte eine Hand auf Ashleys Arm und lenkte dadurch ihren Blick auf sich.

Sie lachte leise auf. »Ehrlich gesagt nein, das weiß ich nicht. Oder auf jeden Fall verstehe ich es nicht. Ich kann es einfach nicht verstehen. Es kann ja wohl beim besten Willen niemand sagen, dass er Darrell irgendetwas schuldig ist.«

»Aber wenn Darrell stirbt, kann er nicht mehr gegen Razor Dennings aussagen. Und ohne seine Aussage wird Razor nur wegen versuchten Mordes an Simone und Roscoe vor Gericht gestellt«, erklärte Jethro und klang beinah so frustriert wie ich selber wegen dieser ganzen Sache war.

»Ich kann ihn verstehen.« Jetzt stieß auch Duane sich von der Wand des Krankenzimmers ab. »Ich hasse es, aber ich kann verstehen, warum Billy das macht. Schließlich hat Razor vierundzwanzig Menschen umgebracht, und wenn Darrell stirbt, bevor er ihn belasten kann, wird den Familien dieser Menschen nie Gerechtigkeit zuteil.«

Ash verschränkte ihre Arme vor der Brust und ihre Miene zeigte, dass sie spinnewütend war. »Aber wann wird es jemals enden? Hm? Wann wird Billy jemals aufhören, das Opferlamm für die Familie und für den gesamten Ort zu spielen? Er ist krank, total erschöpft, und hat, verdammt noch mal, viel mehr als jeder von uns anderen aufgegeben, und zwar ein ums andere Mal. Wir können nicht erwarten, dass er weiter jede Last, die uns befällt, auf seine Schultern lädt.«

»Das sehe ich genauso«, pflichtete ihr Roscoe leise bei und machte seine Augen zu.

»Regt das Gespräch dich auf, Roscoe?«, fragte ich schnell und sah ihn forschend an. »Ist das zu viel für dich? Sollen wir aufhören?«

»Nein. Es geht mir gut«, versicherte er mir, obwohl er seine Augen weiterhin geschlossen hielt. »Ich bin froh, dass wir darüber reden, weil ich Ashleys Meinung bin. Billy hat was Besseres verdient.«

»Er sollte nicht sein Knochenmark für einen Typen spenden sollen, der ihn als zwölfjähriges Kind krankenhausreif geschlagen hat, ihn später fast umgebracht hätte und wiederholt auf unsere Momma losgegangen ist«, ereiferte sich Ash und stieß mit ihrem Zeigefinger einem unsichtbaren Gegner in die Brust. Ich fand es echt beeindruckend, dass ihre Stimme niemals lauter wurde, als es sich für den Besuch in einem Krankenhaus gehörte, aber trotzdem derart wütend klang. »Er hat sich um uns gekümmert, auf uns aufgepasst und uns beschützt. Er hat verdient, dass er jetzt endlich einmal selber glücklich ist.«

»Das hast du gut gesagt, Ashley.« Abermals machte ich einen Schritt nach vorn, weil ich jetzt wieder an der Reihe war. »Das hast du gut gesagt. Und das ist eine gute Einleitung zu dem, worum’s bei diesem Treffen geht. Es ist höchste Zeit, uns über Claire zu unterhalten.«

»Also geht es nicht um Billy?«, wandte Jethro sich an Beau.

»Doch, es geht um Billy«, antwortete der und fügte sanft hinzu: »Aber es geht gleichzeitig um Claire.«

Jethro richtete sich kerzengerade auf und starrte ihn mit großen Augen an. »Was?«

»Jawohl, es geht um Billy und um Claire«, erklärte ich mit lauter Stimme, weil er sich genauso auf mich konzentrieren sollte wie die anderen. »Das ist die sensible Information, von der ich sprach, und ich nehme an, dass dir das nicht gefallen wird.«

Jethro und auch alle anderen außer Roscoe, der die Augen immer noch geschlossen hatte, blickten erst zu mir, danach zu Beau und dann wieder zu mir.

»Jetzt kommen wir zu dem, weshalb wir hier versammelt sind.« Ich machte eine Pause, um den Augenblick ein wenig auszudehnen, wobei ich nicht hätte sagen können, ob ich eher versuchte, Zeit zu schinden, oder den Moment genoss.

Über zwei Jahrzehnte hatten Jet und Billy sich nicht riechen können, und obwohl seit ein paar Jahren, erst um unserer Momma und danach um Roscoes, Beaus, Duanes, Ashs und meinetwillen ein fragiler Waffenstillstand zwischen ihnen herrschte, hatten sie es nie geschafft, tatsächlich Frieden mit dem jeweils anderen zu schließen – und vielleicht noch nicht mal mit sich selbst. Ich hatte keine Ahnung, ob sich die Beziehung meiner beiden großen Brüder jemals wirklich kitten lassen würde. Das würde nur die Zeit zeigen.

Aber zurück zu meiner Pause, mit der ich versuchte, Zeit zu schinden, die ich aber gleichzeitig genoss. Ich hatte einerseits Gewissensbisse, weil ich Jethro offenbaren müsste, dass Claires große Liebe immer Billy und niemals ihr (heldenhafter, verstorbener) Ehemann und Jethros bester Freund gewesen war. Doch andererseits fand ich es wunderbar, dass ich es war, von dem er diese Nachricht überbracht bekam.

Verstehen Sie mich nicht falsch. Sein Kumpel Ben McClure war ein echt netter Kerl, aber blind wie ein Pirat mit zwei Augenklappen. Er war bestimmt nicht bösartig gewesen, aber ignorant und arrogant und furchtbar selbstgerecht.

Erfüllt von Reue und Genuss zugleich fuhr ich fort. »Es ist ganz einfach so: bevor wir alle wussten, dass Christine die Zwillinge geboren hat und Claire deshalb die Halbschwester der beiden ist, noch vor Beginn ihrer steilen Gesangskarriere, vor Bens Tod, vor ihrer und Bens Rückkehr in die Stadt, vor ihrer Heirat, noch bevor sie Claire und nicht mehr Scarlet hieß und überstürzt von hier geflüchtet ist, vor allen diesen Dingen haben Claire und Billy sich geliebt, auch wenn das niemand mitbekommen hat.«

Ein kollektiver Schock ergriff den Raum. Selbst Roscoe rang nach Luft und riss die Augen wieder auf. Mit Ausnahme von Beau und meiner Wenigkeit rangen sämtliche Geschwister kurz nach Luft und starrten uns entgeistert an. Beau hatte letzte Woche auch nicht anders reagiert, als ich mit ihm gesprochen hatte, doch inzwischen freute er sich ebenso wie ich.

Jethros Schock jedoch war nur von kurzer Dauer und er fauchte zornig: »Was zum –«

»Warte, Jethro, warte. Mir ist klar, dass du Probleme hast zu akzeptieren, dass Ben und Claire niemals das Traumpaar waren, als das du sie gesehen hast, denn schließlich hast du selbst und hat auch Claire ihn jahrelang beinah als Heiligen verehrt – aber wenn’s sein muss, kann ich dir beweisen, dass es tatsächlich so war. Es ist so wahr wie ich hier vor dir stehe. Vor achtzehn Jahren haben Claire und Billy sich verliebt und meiner Meinung nach hat diese Liebe niemals aufgehört.«

Ich hatte doch gesagt, dass Jethro es nicht schaffte, einen böse anzusehen, doch zu meiner Überraschung machte er mit einem Mal ein geradezu erschreckend grimmiges Gesicht.

»Das ist doch einfach lächerlich. Ich habe sie einmal danach gefragt, und da hat sie gesagt, es wäre nichts und zwischen ihnen wäre nie etwas passiert. Scarlet – ich meine, Claire – sie war mit Ben zusammen. Immer schon. Wann hätte also jemals etwas zwischen ihr und Billy laufen sollen?«

»Es war so, und wie ich schon sagte, kann ich es beweisen. Zwischen unserem Country-Musik-Star, den wir einmal als Scarlet kannten, und dem guten Billy lief auf alle Fälle was, und wenn ich mich nicht irre, lieben sie sich immer noch.«

Jethro stemmte seine Hände in die Hüften. »Warum tust du das? Billy und ich haben endlich einen Punkt erreicht, an dem wir nicht mehr ständig streiten, wenn wir irgendwo im selben Zimmer sind. Wenn stimmt, was du behauptest, und Claire Billy hätte haben wollen, warum hat sie dann Ben geheiratet? Das hätte sie niemals getan, und Ben hätte sie andersrum niemals geheiratet, wenn sie einen anderen hätte haben wollen. Er wollte immer, dass sie glücklich war, sonst nichts.«

Ich öffnete den Mund, um ihm zu offenbaren, dass Ben McClure zu blöd gewesen war, um zu erkennen, was Claire glücklich machte, und vor allem viel zu eingenommen von sich selbst, um zu verstehen, dass ihre Vorstellung vom Glück sich vielleicht von der seinen unterschied.

Bevor ich jedoch etwas sagen konnte, legte Beau die Hand auf Jethros Schulter und sah ihn mit einem mitfühlenden Lächeln an. »Wir sehen die Toten nie als vollständige, dreidimensionale Menschen, die bestimmte Stärken und bestimmte Schwächen hatten, Jet. Im Rückblick sehen wir sie entweder als Heilige oder als Sünder. Das verstehe ich. Und ich verstehe auch, dass Ben für dich ein Heiliger gewesen ist.«

Schluckend wandte Jethro sich wieder an mich. »Du irrst dich. Claire hat Ben geliebt. Ich war dabei, als sie von seinem Tod erfahren hat. Sie war vollkommen fertig.«

Ich schob meine Hände in die Taschen meines Overalls und nickte ernst. »Vielleicht hat sie den Mann auf eine Art geliebt, aber ich irre mich ganz sicher nicht. Sie hat Billy vor Ben geliebt, hat ihn geliebt, als Ben gestorben ist, und liebt ihn immer noch. Das solltest du akzeptieren, denn du weißt, ich habe immer recht. Wobei es darum hier nicht geht.«

Mein Bruder schüttelte den Kopf und stieß ein hart klingendes Lachen aus.

Uns blieb nicht ewig Zeit, um ihn zu überzeugen, also kam ich direkt auf den Punkt. »Auch wenn du das vielleicht nicht glaubst, geht’s hier auch nicht um Ben. Er war als Mensch okay und war dein Freund, und mir ist klar, dass du ihn immer noch vermisst, aber Billy ist am Leben und dein Bruder. Und genau wie Claire hat er verdient, dass er nach all den Jahren endlich einmal glücklich ist. Aber diese beiden Idioten sind viel zu stur und nobel, um den Berg aus Reue und Geheimnissen zu überwinden, den sie zwischen sich errichtet haben, und als Menschen, die sie beide lieben, ist es jetzt an uns, das Wunder zu bewirken, dass aus ihnen endlich etwas wird.«

Jethro biss sich auf die Lippe und bedachte mich mit einem durchdringenden Blick. Das hieß, er glaubte mir noch immer nicht.

Ohne den Blick von ihm zu lösen, seufzte ich und forderte den Miesepeter unter meinen Brüdern auf: »Duane. Erzähl uns von der Hütte, die Billy und du auf dem hochgelegenen, flachen Stückchen Land im Wald errichtet habt.«

Jethro blinzelte und riss den Kopf zurück.

»Tja, äh, die war unser Geheimnis. Davon hätte niemand etwas wissen sollen. Wir haben das Ding ein paar Sommer vor Mommas Tod gebaut. Die Stelle wurde vorher offenbar als Zeltplatz oder so benutzt.«

»Und bitte klär uns auf, Duane. Was hat dir Billy über diesen Ort erzählt?«, fragte ich ihn, sah aber weiter Jethro an.

»Billy hat gesagt, dass ihm die Stelle heilig ist. Sie wäre, äh, ein Ort, an den er sich zurückzieht, wenn er sich an eine Zeit und einen Menschen, den er liebt und der ihm fehlt, erinnern will.«

Natürlich war mir klar, dass Jethro diese Stelle kannte. Schließlich hatte er die junge Scarlet (alias Claire) dorthin geführt, damit sie wenigstens vorübergehend vor ihrem Vater Razor und vor ihrer Mutter, die sie hasste und sich nie um sie gekümmert hatte, sicher war.

Was Jethro allerdings nicht mitbekommen hatte, war, dass Billy Scarlet dort gefunden hatte. Oder eher, dass die zwei sich dort gefunden hatten und sehr nahgekommen waren.

Mein großer Bruder runzelte nicht mehr die Stirn. Sein steinerner Gesichtsausdruck bekam den ersten Riss und die Verwirrung war ihm deutlich anzusehen. Jet hatte Scarlet vor fast zwanzig Jahren geholfen und auf diese Weise unabsichtlich dazu beigetragen, dass Billy und sie zusammengekommen waren.

Ich nutzte Jets Verwirrung aus und ließ die nächste Bombe platzen. »Hast du dich nie gefragt, warum Billy so kurz nach ihrem Verschwinden plötzlich derart übel zugerichtet war? Warum die Iron Wraiths ihn ausgerechnet an den Abend beinah totgeschlagen hätten, an dem Scarlet abgehauen ist? Und kam dir niemals der Gedanke, dass es seltsam ist, dass Razor Dennings seine Tochter einfach ziehen lassen hat und weder er noch Darrell noch ein anderes Mitglied des Motorradclubs es auf sie abgesehen hatte, als sie dann mit achtzehn wiederkam? Was glaubst du wohl, woran das lag?«

Jethros riss die Augen auf und öffnete den Mund. »Willst du damit – warte. Sie war damals schon mit Ben verlobt. Ich dachte, dass die Wraiths Scarlet in Ruhe lassen würden, weil sie Bens Verlobte war. Das hat sie mir auf jeden Fall erzählt. Meinst du, dass –«

»Genau«, bestätigte ich ihm und brach mit diesen beiden Silben ein Versprechen, das seit achtzehn Jahren von mir gehalten worden war. Ich hatte es gehalten, weil mich Billy inständig darum gebeten hatte, doch jetzt war der Augenblick gekommen, in dem ich mein Versprechen brechen musste, um dafür zu sorgen, dass es doch noch eine Chance für ihn und Scarlet gab. »Er hat den Sündenbock für sie gespielt und sich dafür bestrafen lassen, dass sie abgehauen ist. Deshalb haben die Iron Wraiths ihn damals beinah umgebracht. Ben hatte nichts mit Scarlets Sicherheit zu tun. Er hat ihr zwar bei seiner Tante und bei seinem Onkel eine Unterkunft besorgt, aber genauso hätte sie nach Kalifornien fahren können, wo Mrs McIntyres Nichte sie genau wie Carla hätte bei sich wohnen lassen wollen. Das heißt, sie hätte Ben gar nicht gebraucht.«

Jethro sah zu Boden, denn er musste diese Infos erst einmal verdauen.

Ash hatte bei meinen Worten eine Hand vor ihren Mund geworfen und mein jüngster Bruder sagte: »Ihr habt mir erzählt, dass Billy einen Autounfall hatte. Ihr habt nie gesagt, dass Billy von den Wraiths verprügelt worden ist.«

»Und uns habt ihr dasselbe Märchen aufgetischt«, knurrte Duane und warf mir einen seiner bösen Blicke zu.

»Duane Faulkner, guck mich nicht so an. Sie haben schließlich auch meinen Hund getötet, Lea, weißt du noch? Und es war Momma, die entschieden hat, euch anderen nichts davon zu sagen, und in meinem damaligen Zustand hätte ich ihr schwerlich widersprechen können oder wollen. Vor allem wusste Momma nicht, warum die Wraiths auf Billy losgegangen sind. Das wussten nur Billy, Ben und ich.«

»Moment. Ben wusste es?«, stieß Jethro krächzend aus und ihm war deutlich anzusehen, wie unglücklich er über diese Nachricht war. »Ben hat gewusst, dass Billy sich an Scarlets Stelle von den Wraiths bestrafen lassen hat? Er hat es die ganze Zeit gewusst?«

Ich nickte nur, weil es im Augenblick um etwas völlig anderes ging. »Da Sheriff James Billy nicht dazu bringen konnte, ihm zu sagen, wer ihn derart zugerichtet hatte, hat die Polizei weder bestätigt noch bestritten, dass es keine Prügelei, sondern ein Autounfall war. Und deshalb sage ich euch jetzt, wie’s wirklich war.«

»Das mit deinem Hund tut mir sehr leid, Cletus. Lea war ein wirklich süßes Mädchen«, lenkte Ashleys sanfte Stimme meinen Blick auf ihr Gesicht und ich entdeckte, dass in ihren blauen Augen Tränen aufgestiegen waren. »Aber ich wusste schon die ganze Zeit, dass es kein Autounfall war, weil es kein Auto dazu gab. Ich dachte mir, dass es die Kumpels unseres Vaters waren, vor allem, weil Billy sie danach noch mehr gehasst hat als zuvor. Er hat die Iron Wraiths nie so gehasst wie als er aus der Rehaklinik kam. Vorher hat er eher so getan, als gäbe es sie nicht. Aber dass er sich für Claire verprügeln lassen hat, wusste ich nicht.«

»Weiß sie es?«, wollte Jethro wissen und klang dabei nicht mehr wütend, sondern schuldbewusst.

Ich stieß ein irritiertes Knurren aus, denn schließlich hatte ich all diese Dinge nicht erzählt, damit sich Jethro schuldig fühlte, weil er damals selber ein Rekrut der Iron Wraiths gewesen war. Er hatte nichts damit zu tun gehabt, dass Billy von den Kerlen kurz vor Ende seiner Highschool-Zeit fast totgeschlagen worden war, aber wahrscheinlich schämte er sich trotzdem erneut für die damalige Mitgliedschaft in diesem teuflischen Verein.

Natürlich war mir klar, dass es nicht leicht für ihn gewesen war, dem Club und unserem alten Herrn den Rücken zuzuwenden und als der verlorene Sohn zu unserer Familie zurückzukehren. Die Linie zwischen Schmach und Demut verläuft fließend und ich wusste aus Erfahrung, dass die Bitte um Vergebung alles andere als einfach und wie groß der Schmerz war, wenn man Gnade suchte und nicht fand. Um zuzugeben, dass man falsch gelegen hatte und dann Tag für Tag daran zu arbeiten, die alten Fehler wiedergutzumachen, brauchte man Beharrlichkeit, Charakterstärke und vor allem großen Mut.

Aber ich liebte beide meine großen Brüder und ich respektierte Billy, weil er immer auf dem rechten Weg geblieben ist, und Jethro, weil er unter größter Anstrengung dorthin zurückgefunden hat.

»Cletus?«, hakte Jethro noch mal nach. »Weiß Claire, was er für sie getan hat?«

»Nein. Das weiß sie nicht. Er wollte nicht, dass sie etwas davon erfährt.«

»Und warum nicht?«, donnerte Duane. »Was zur Hölle stimmt nicht mit dem Kerl? Er hätte es ihr sofort sagen sollen. Ihretwegen konnte er dann nicht mehr Football spielen und nicht aufs College gehen und hat auch sonst alles verloren.«

»Nicht alles«, korrigierte ich. »Er hat noch alle seine Zähne, oder nicht? Den Wert von Zähnen sollte niemand unterschätzen. Und auch wenn er nicht gesagt hat, warum Claire nichts davon wissen sollte, habe ich eine Vermutung«, sagte ich und schob die Daumen in die Schlaufen meines Overalls. »Bald wird sie es wissen, weil ich es ihr sagen werde. Aber vorher brauchen wir noch einen Plan.«

»Wir sollen dir helfen, einen Plan zu machen?«, fragte Roscoe und ich musste lächeln, als ich das verschmitzte Blitzen in den Augen meines kleinen Bruders sah.

»Im Grunde sollen wir ihm nur helfen, das zu tun, was er schon ausbaldowert hat«, erklärte Beau.

»Verstehe.« Ashley unterzog mich einer Musterung, doch ihre Miene drückte keinen Argwohn, sondern ehrliches Interesse aus. Was ich als gutes Zeichen nahm. »Dann raus damit. Was hast du vor?«

»Bevor ich es euch sage, muss ich wissen, dass ihr alle mitmacht.« Ich bedachte Jet mit einem vielsagenden Blick. »Es wird nämlich nur funktionieren, wenn ihr mich alle unterstützt. Jeder Einzelne von euch und eure jeweils besseren Hälften kriegen eine ganz bestimmte Rolle zugewiesen, was bedeutet, dass die ganze Sippe mitziehen muss.«

Jethro sah mir ins Gesicht und drehte seine leeren Hände um. »Auch wenn du das vielleicht nicht glaubst, möchte ich einfach, dass die beiden glücklich sind. Sie sind die besten Menschen, die ich kenne, und wenn es sie glücklich macht, wenn sie zusammen sind …« Er atmete tief durch, zuckte mit den Achseln, und fügte hinzu: » … bin ich auf jeden Fall dabei.«

»Okay. Dann wäre das geklärt.« Duane trat auf mich zu und fragte, plötzlich nicht mehr mürrisch, sondern neugierig: »Was hast du vor?«

Ich musste einfach grinsen, während ich erklärte: »Du kennst doch das alte Sprichwort, dass man zwar ein Pferd zum Wasser führen, es dort aber nicht zum Trinken zwingen kann? Das stimmt. Man kann es nicht zum Trinken zwingen, außer, wenn man ihm ein Kilo Salz zu fressen gibt oder …« Mein Grinsen dehnte sich noch etwas aus. » … indem man es ersäuft.«