Goethes Urfaust | Büchners Woyzeck

ergänzt durch das Buch von Doktor Faustus aus dem Jahre 1589

Die Bearbeitung entstand 1970

Uraufführung im Schauspielhaus Zürich am 22. Oktober 1970

 

Wenn der Vorhang aufgeht, ist die Spielfläche auf dem Gerüst leer. Die acht Studenten sitzen hinter dem Gerüst auf zwei Bänken. Sie erheben sich und bauen aus den Elementen, die hinter dem Podium stehen, Fausts Studierstube auf. Links der Seziertisch, der mit Mephistopheles als Leiche von links hinaufgetragen wird. Sein Gesicht ist unter einem Handtuch verborgen. Unter dem Tisch ein Eimer und ein Sezierglas mit Spiritus. Am Tischrand eine Sezierschere. Rechts Fausts Schreibpult, ein einfacher kleiner Tisch; davor ein Stuhl. Auf dem Tisch ein Tintenfaß mit Gänsefeder und ein Buch. Unter dem Buch der Pakt auf Pergament. Zwischen Seziertisch und Pult eine Schultafel, die Schreibfläche drehbar. Links an der Tafel hängt eine Sezierschürze. Nach dem Aufbau kehren die Studenten an ihre Plätze zurück.

Mephistopheles erinnert sich

Mephistopheles, verkleidet als Kadaver, erhebt sich vom Seziertisch. Er reibt die Beine gegeneinander, streckt sich, setzt sich auf und wirft das Handtuch zur Seite.

MEPHISTOPHELES

Doktor Faust ist eines Bauern Sohn gewest, zu Rod bei Jena, Weimarischer Herrschaft zuständig, geboren im Jahr 1491. Er steht auf, geht nach vorne. Seine Eltern waren gottselige und christliche Leute und sein Vetter, der ein wohlvermögender Bürger zu Wittenberg war, hat Doktor Faust aufgezogen und gehalten wie sein Kind, ließ ihn auch in die Schule gehen und Theologie studieren. Er setzt sich vorne an den Rand des Gerüsts. Er hatte einen gar gelernigen und geschwinden Kopf, und ist in seinem Examen so weit gekommen, daß er sechzehn Magistern im Verhöre, Fragen und Geschicklichkeit obgelegen ist, also daß er bald hernach Doktor Theologiae geworden ist. Daneben aber hat er auch einen unsinnigen und hoffärtigen Kopf gehabt, wie man ihn denn allezeit den Spekulierer genannt hat, weil er Tag und Nacht studierte und sich alsbald keinen Theologen mehr nennen lassen wollte, sondern ein – Er steht auf, geht zum Tisch rechts. – Weltmensch ward, sich Doktor der Medizin, Astrolog und – Er hebt das Buch  – Mathematikus nannte, mit fahrenden Schülern, Vaganten, Tataren und Wahrsagern verkehrte und die Heilige Schrift hinter die Tür und unter die Bank gelegt und ruch- und gottlos gelebt hat.

Er schüttelt das Kissen, setzt sich auf den Seziertisch, legt sich nieder, indem er die linke Hand nach unten hängen läßt; nickt dem Publikum zu, bevor er sich das Handtuch über das Gesicht zieht und reglos liegen bleibt.