Stumbling into Love

Image

 

Aurora Rose Reynolds

 

© Die Originalausgabe wurde 2018 unter dem

Titel STUBLING INTO LOVE von Aurora Rose Reynolds veröffentlicht. Diese Ausgabe wird im Rahmen einer Lizenzvereinbarung ermöglicht, die von Amazon Publishing, www.apub.com, in Zusammenarbeit mit der Agentur Hoffmann stammt.

 

© 2020 Romance Edition Verlagsgesellschaft mbH

8712 Niklasdorf, Austria

 

Aus dem Amerikanischen von Friederike Bruhn

 

Covergestaltung: © Sturmmöwen

Titelabbildung: © Sara Eirew

Korrektorat: Romance Edition

 

ISBN-Taschenbuch: 978-3-903278-43-1

ISBN-EPUB: 978-3-903278-44-8

 

www.romance-edition.com

Selma & Sejla

 

Möge euch beiden Mädchen die wunderschönste Art

von Liebe begegnen, die es gibt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1. Kapitel

 

Versetzt

Mac

 

Ich sehe mich in der Bar um und atme einmal tief ein. Es sind viele Menschen hier. Die meisten von ihnen sind hergekommen, um sich noch einen Drink zu genehmigen, bevor sie nach einem langen Tag im Büro nach Hause fahren – Männer, die noch immer in ihren Anzügen stecken, Frauen in Röcken und mit hohen Absätzen, deren Haare perfekt gestylt sind. Das ist nicht der Ort, wo ich mich normalerweise aufhalte. An den Wänden der Bar hängen keine Fernseher, auf denen das Spiel gezeigt wird, und die Männer trinken auch kein Bier und unterhalten sich dabei zu laut miteinander. Das Ambiente ist zu elegant. Schwarz-Weiß-Fotografien zeigen Manhattan vor Jahren, als die Stadt nicht mehr als ein paar Blocks umfasste. Die dunklen Holztische sind nicht zerkratzt oder abgenutzt. Die Lederstühle blättern nicht ab und fallen auch nicht beinahe auseinander; vielmehr sehen sie alle neu aus. Alles an diesem Ort schreit Erstklassigkeit.

Als ich einen Lufthauch von der Tür her spüre, drehe ich mich um und stoße einen enttäuschten Seufzer aus, als ich eine hübsche Frau hereinkommen sehe, gefolgt von einem gutaussehenden Mann. Ich nehme mein Handy vom Tresen der Bar und überprüfe meine Textnachrichten, um sicherzustellen, dass ich mir weder die Uhrzeit noch das Datum falsch gemerkt habe und mich am richtigen Treffpunkt befinde. Als ich mich davon überzeugt habe, dass ich genau dort bin, wo ich sein sollte, schließe ich peinlich berührt meine Hand fester um mein Handy.

Der Typ, mit dem ich mich in diesem Lokal auf einen Drink treffen sollte, ist inzwischen dreißig Minuten zu spät. Er hat weder angerufen noch auf die Nachricht geantwortet, die ich ihm vor über fünfzehn Minuten geschickt habe. Also wurde ich offiziell versetzt. Ich lasse mein Mobiltelefon in meine Handtasche fallen und kippe meinen Lemon-Drop-Martini hinunter. Als der saure Geschmack meine Zunge flutet und sich der Wodka einen Weg meine Kehle nach unten brennt, verziehe ich das Gesicht.

»Möchten Sie noch einen?«, fragt die Barkeeperin und sieht mich aus ihren braunen Augen an.

Ich sollte Nein sagen und einfach nach Hause gehen, aber mir ist klar, dass meine Schwester Libby enttäuscht sein wird, wenn ich nach nicht mal einer Stunde wieder zurückkomme. Ich möchte nicht unbedingt Mitleid in ihren Augen aufblitzen sehen, wenn ich ihr erzähle, dass Chris nicht aufgetaucht ist. Sie war über das Date viel aufgeregter als ich, insbesondere nach meiner selbst verschuldeten Abstinenzphase.

»Klar«, bestätige ich der Barkeeperin lächelnd. Ohne ein weiteres Wort nimmt sie das leere Glas und trägt es hinüber zum anderen Ende des Tresens. Während ich darauf warte, dass sie mit einem neuen Drink zurückkommt, erregt das Spiegelbild mir gegenüber meine Aufmerksamkeit. Obwohl ich weiß, dass es sich bei der Frau darin um mich handelt, starre ich sie dennoch ungläubig an. Als ich Libby erzählt habe, heute Abend auf ein Date zu gehen, bestand sie darauf, mein Make-up und meine Haare zu machen. Ich wollte einen guten Eindruck hinterlassen, daher habe ich mich nicht wie sonst dagegen gewehrt. Mein erstes Date seit zwei Jahren sollte gut laufen. Allerdings sehe ich wie eine Fremde aus. Meine Haare, die ich normalerweise zu einem Pferdeschwanz zurückbinde, fallen in schönen roten Locken um mein Gesicht. Mein Augen-Make-up, das sonst nur aus Mascara besteht, ist heute verführerisch und sexy und verleiht mir einen geheimnisvollen Look. Meine Lippen, die eigentlich nur Lippenpflegestifte kennen, wirken dank der pinken Farbe voll und voluminös.

Was würde Edward denken, könnte er mich gerade so sehen?

Mit einem tiefen Seufzer schiebe ich diesen Gedanken beiseite, verärgert über mich selbst, dass ich überhaupt über ihn nachgrüble. Ich bin mit Edward befreundet, seit wir uns vor zwei Jahren bei einem Baseballspiel kennengelernt haben. Dank unserer gemeinsamen Liebe für die Mets und Bier haben wir uns sofort super verstanden. Er war lustig und nett, und ich konnte mit ihm über alles reden. Ich bin seit dem ersten Tag in ihn verknallt – und habe vergeblich gehofft, er könne in mir mehr als nur eine Freundin sehen.

Bis vor wenigen Wochen dachte ich noch, mein Plan würde aufgehen, doch dann stellte er mir aus heiterem Himmel seine Freundin vor, mit der er angeblich bereits seit vielen Jahren zusammen sei. In diesem Moment wurde mir klar, dass die Verbindung, von der ich dachte, wir hätten sie, allein in meinem Kopf bestand, und ich zwei Jahre meines Lebens damit verbracht hatte, darauf zu warten, dass er in mir mehr sieht als nur einen Kumpel, mit dem man mal nett ein Bier trinken gehen kann. Das ist auch der Grund, warum ich an einem Freitagabend alleine in einer Bar sitze. Alles nur, um zu beweisen, dass ich über meine Schwärmerei für Edward hinweg bin. Nun, das und weil ich gesehen habe, wie glücklich meine Schwester Fawn mit ihrem neuen Freund ist. Ich wollte herausfinden, ob ich eine solche Verbindung auch für mich finden kann. Daher ist das alles eigentlich Fawns Schuld. Wäre sie nicht so glücklich, hätte ich wahrscheinlich nicht zum erstbesten Mann Ja gesagt, der mit mir ausgehen wollte.

Kopfschüttelnd denke ich an die Zeit, als Fawn versucht hat, meinen besten Freund, Tex, dazu zu bringen, mich nach einem Date zu fragen. Er ist nicht nur verheiratet, sondern auch sehr glücklich – und das mit meiner Freundin Elizabeth. Das war vielleicht peinlich – aber nichts im Vergleich dazu, versetzt worden zu sein.

»Soll ich Ihnen die Drinks auf einem Bierdeckel vermerken?« Die Barkeeperin reißt mich aus meinen Gedanken, indem sie eine Serviette vor mich legt, und mein Getränk vor mir auf dem Tresen abstellt.

»Nein danke.« Ich schüttle den Kopf und reiche ihr den Fünfzig-Dollar-Schein, den ich aus meinem Portemonnaie geholt habe.

»Sind Sie sich sicher?«

»Ja, vielen Dank.« Ich lächle, und sie erwidert die Geste, während sie mir galant den Fünfziger aus der Hand nimmt.

Ich greife nach meinem neuen Glas und nippe daran, ehe ich wieder zur Tür sehe, als erneut kühle Abendluft hereinweht. Enttäuschung macht sich in mir breit, denn es handelt sich noch immer nicht um mein Date – allerdings verschwindet dieses Gefühl rasch wieder, als ich den Mann in Augenschein nehme, der stattdessen die Bar betritt. Mein Körper beginnt plötzlich, von Kopf bis Fuß zu prickeln.

Der Typ sieht gut aus.

Nein, nicht einfach nur gut. Dieses Wort wird ihm nicht gerecht. Er ist umwerfend. Aber nicht auf eine modelmäßige Weise. Dafür wirkt er zu kantig. Er sieht aus, als hätte er kürzlich einige Zeit in der Sonne verbracht; sein dunkles Haar ist leicht gewellt und die Strähnen, die ihm bis in den Nacken fallen, betonen seinen markanten Kiefer und seine vollen Lippen. Von meiner Position aus kann ich seine Augenfarbe nicht genau erkennen, aber selbst aus dieser Entfernung wirken sie leuchtend hell, weil sie von dunklen Wimpern umrahmt werden.

Ich lasse meinen Blick weiter nach unten wandern und betrachte seine breiten Schultern, die von einem karierten Hemd und einer Lederjacke verhüllt werden, und seine schmalen Hüften, die in einer eng anliegenden Jeans stecken. Als ich ihm wieder in die Augen sehe, bemerke ich, dass er mich mit einem verlangenden Blick mustert. Unruhig rutsche ich auf meinem Suhl hin und her, und stelle mir vor, wie es wäre, mit meinen Fingern durch sein Haar zu fahren, während er mich küsst. Blinzelnd wische ich diesen Gedanken fort und senke den Blick auf meinen Drink. Ich nehme das Glas und leere es in einem Zug. Dann hüpfe ich vom Barhocker, wobei ich mich an der Kante des Tresens festhalte, weil ich mich in den High Heels, zu denen mich Libby genötigt hat, etwas unsicher auf den Beinen fühle. Mörderschuhe, die mich auf dem Weg zur Bar zweimal fast umgebracht hätten.

Ich mache die Barkeeperin auf mich aufmerksam und deute in den Gang zu den Toiletten, um ihr zu signalisieren, dass ich nicht einfach abhaue. Sie nickt. Ich bahne mir einen Weg durch die Menge, gehe einen langen Korridor entlang und reihe mich in die Warteschlange hinter zwei Blondinen ein, die mich anlächeln, ehe sie ihre Unterhaltung fortsetzen.

»Also, hast du endlich den Lippenstift getestet, den ich dir zugeschickt habe?«, fragt eine der beiden, während ich zum wiederholten Mal mein Handy nach entgangenen Anrufen oder neuen Nachrichten checke, was allerdings nicht der Fall ist.

Dämliche Männer.

»Ich habe ganz vergessen, es dir zu erzählen!« Die andere lacht. »Ich habe ihn getestet und du hattest recht! Die Farbe hat sogar noch nach dem vierzigminütigen Blowjob gehalten, den ich Charles gegeben habe.«

Vierzigminütiger Blowjob? Allein bei dem Gedanken muss ich mir den Kiefer reiben.

»Ich habe dir ja gesagt, dass das Ding megatoll ist«, entgegnet die erste, als sich die Tür zur Damentoilette öffnet und eine Frau herauskommt.

»Und du hattest so was von recht«, stimmt die andere zu. Dann verschwinden die beiden in der Damentoilette und die Tür fällt hinter ihnen ins Schloss.

Da ich weiß, dass Libby Make-up liebt, sende ich ihr grinsend eine Textnachricht:

 

Ich:       

Ich habe gerade gehört, wie zwei Frauen über einen Lippenstift gesprochen haben, der sich nicht mal löst, wenn man jemandem einen bläst. Ich denke, du solltest diesen Lippenstift ausprobieren.

 

Keine zwei Sekunden später vibriert mein Handy.

 

Libby:       

Ähmmm ... Danke ... Schätze ich mal?

 

Ich:       

Es war tatsächlich ein vierzigminütiger Blowjob.

 

Libby:       

Ein vierzigminütiger Blowjob ist viel beeindruckender als ein Lippenstift, der nicht abgeht.

 

Ich kichere und lasse mein Handy wieder in meine Tasche gleiten, als sich die Tür öffnet und die Frauen lachend herauskommen.

Nachdem ich auf der Toilette war, kehre ich zurück zur Bar, wo ich abrupt stehen bleibe, als mir jemand hart genug auf den Po haut, dass es wehtut. »Was zur Hölle ...?« Ich will mich umdrehen, gerate dabei aber ins Wanken, sodass ich direkt gegen eine warme Brust stolpere, die nach Leder und Minze riecht.

»Hey, alles in Ordnung?« Große Hände umfassen meine Taille, und ich blinzle hoch zu meinem Retter – der sich ausgerechnet als jener Mann entpuppt, der mir vorhin aufgefallen ist. Er schlingt einen Arm um mich und zieht mich eng an seinen harten Oberkörper, was meinen ganzen Körper zum Leben erweckt. »Ist mit dir alles okay?«

»Wie bitte?«, frage ich, noch immer völlig perplex von diesem Summen in meinem Inneren.

Er zieht mich noch näher zu sich heran, bis sein Gesicht meinem ganz nahe ist. »Ist mit dir alles okay?«

Ich sehe, wie er die Lippen bewegt, aber ich brauche ein paar Sekunden, bis mir klar wird, was er gefragt hat. Alles, worauf ich mich konzentrieren kann, scheint das angenehm verwirrende Gefühl zu sein, an seine harte Brust gedrückt zu werden. »Ich ...« Um das Verlangen, das mich mit einem Mal überwältigt, loszuwerden, schüttle ich den Kopf. »Ja ... Tut mir leid. Danke.«

»Gut.« Lächelnd lässt er mich los.

Kurz frage ich mich, ob es bereits zu spät ist, meine Aussage zurückzunehmen, damit er mich noch ein wenig länger festhält, doch stattdessen wird mir klar, dass dieser Mann auf emotionaler Ebene gefährlich ist, und ich trete den Rückzug an. »Danke«, wiederhole ich.

Er sieht mich erheitert an.

Ich mache auf dem Absatz kehrt, eile zu meinem Platz zurück und danke dem Himmel, als ich heilen Fußes dort ankomme. Meinen Hintern zurück auf den Barhocker schiebend – der zum Glück noch frei ist –winke ich die Kellnerin heran. Sobald sie zu mir blickt, zeige ich auf mein leeres Glas, und sie deutet an, meine Bitte verstanden zu haben.

»Hättest du etwas dagegen, wenn ich mich zu dir setze?« Ich muss nicht aufsehen, um zu wissen, wer mir diese Frage stellt. Mein Körper reagiert auf ihn auf die gleiche Weise wie ein paar Sekunden zuvor. Eine Gänsehaut breitet sich auf meiner Haut aus und ein wohliger Schauer läuft mir über den Rücken. Der Typ, der plötzlich zum Gegenstand all meiner Fantasien geworden ist, rutscht auf den leeren Hocker neben mir.

»Nur zu.« Ich zucke mit den Schultern und versuche, möglichst gelassen und gleichgültig zu wirken.

Er schenkt mir ein Lächeln. »Wesley«, stellt er sich vor und kommt näher, während sich meine Atmung mit einem Mal ganz seltsam beschleunigt.

»Wie bitte?«

Sein Grinsen offenbart gerade, weiße Zähne. Ich hätte bis jetzt nie gedacht, dass Zähne attraktiv sein könnten, aber seine sind es.

»Ich heiße Wesley. Und du bist ...?« Er streckt mir seine Hand entgegen, was einen Schwarm Schmetterlinge dazu auffordert, in meinem Magen zu tanzen. Belämmert betrachte ich seine Hand, ehe ich mich wieder auf seine Augen konzentriere. Sie sind blau, aber nicht irgendein Blau. Sie erinnern mich an den Strand auf Long Island in der Nähe des Hauses meiner Eltern, wo ich den größten Teil meiner Kindheit verbracht habe.

»Ich bin ... ähm ... Mac ... Mackenzie«, stottere ich und lege meine Hand in seine viel größere.

Er wirkt amüsiert. »Schön, dich kennenzulernen, Mackenzie.«

»Ähm ... ja. Gleichfalls.« Wir sehen uns an, und ich spüre, wie er mit dem Daumen über die Stelle an meinem Handgelenk fährt, an der mein Puls wie wild schlägt.

»Hier ist Ihr Wechselgeld und ein neuer Drink«, sagt die Barkeeperin und unterbricht damit den Moment zwischen uns.

Ich entziehe Wesley meine Hand und wende mich ab, als die Barkeeperin das Restgeld über den Tresen auf mich zuschiebt und einen weiteren Lemon Drop vor mir abstellt.

»Danke.« Mich räuspernd versuche ich, mich wieder unter Kontrolle zu bekommen. Das stellt sich jedoch als unmöglich heraus, da ich Wesleys Blick noch immer auf mir fühlen kann – ebenso seine weit gespreizten Beine, die meine zu beiden Seiten umschließen.

»Was möchten Sie trinken?«, fragt ihn die Barkeeperin.

Um meine Hände zu beschäftigen und mir nicht versehentlich Luft zuzufächeln, greife ich nach meinem Getränk.

»Bud, in der Flasche«, antwortet er, dann spüre ich plötzlich, wie er seine Hand auf meinen unteren Rücken legt, wo sie sich durch mein Oberteil in meine Haut zu brennen scheint.

Ich bemühe mich, ihn nicht anzusehen.

Einen Moment später beugt sich die Barkeeperin über den Tresen und stellt ihm eine Bierflasche vor die Nase, nachdem sie diese geöffnet hat. »Möchten Sie, dass ich es auf einem Bierdeckel anschreibe?«, fragt sie.

Im Spiegel uns gegenüber beobachte ich, wie er nickt und ihr eine Kreditkarte reicht. Sie legt sie hinter der Bar neben die Kasse, bevor sie sich wieder um die anderen Gäste kümmert.

»Also, was bringt dich heute Abend hierher?«

Ich wende mich Wesley zu und überlege, ob ich lügen soll. Dann frage ich mich, warum zum Teufel ich darüber nachdenke, da er mich ohnehin nicht kennt. Es würde keinen Sinn machen, ihm nicht die Wahrheit zu sagen. »Ich sollte hier jemanden auf einen Drink treffen, aber er hat mich versetzt.«

»Jemand hat dich versetzt?«, fragt er und klingt ehrlich entsetzt.

Meine Mundwinkel zucken, dann muss ich lachen. »Ja.«

»Was für ein Idiot.« Wesley schüttelt den Kopf und lässt seinen Blick über meinen Körper wandern. Dann nimmt er einen Schluck von seinem Bier, und mein Magen beginnt erneut, vor Aufregung zu flattern.

»Warum bist du hier?«, frage ich nach einem Moment, da ich die Stille füllen muss, die zwischen uns entstanden ist.

»Ich brauchte ein Bier.« Er nickt der Flasche in seiner Hand zu. »Es war ein langer Tag.«

»Arbeit?«, hake ich nach.

Er nickt und seine Augen füllen sich mit etwas, das ich nicht entziffern kann, mir aber zugleich nicht gefällt. Es macht mich unruhig und weckt in mir das Bedürfnis, ihn zu beschützen.

»Tut mir leid«, sage ich leise und bekämpfe den Drang, ihn zu berühren.

»Nein, das muss es nicht. Ich trinke ein kaltes Bier und unterhalte mich mit einer schönen Frau. Mein Tag wird gerade um einiges besser.«

Das Wort schön verursacht mir ein wenig Schuldgefühle. Er hat keine Ahnung, dass die Frau neben ihm nicht die ist, für die er sie hält. Üblicherweise sehe ich nicht so aus und trinke auch keine Martinis. Er hat keinen Schimmer, dass ich lieber Bier trinke und niemals Make-up trage, es sei denn, ich muss. Selbst die Klamotten gehören nicht mir. Es sind Libbys. Mein Schrank besteht hauptsächlich aus T-Shirts und Jeans. Ich möchte ihm all das erzählen, tue es aber nicht. Stattdessen entscheide ich mich, noch eine Weile vorzugeben, jemand anderes zu sein, eine Frau, an der ein Mann wie Wesley interessiert wäre.

 

 

Zwei Stunden später, als ich neben Wesley auf den Rücksitz eines Taxis rutsche, frage ich mich, was zum Teufel ich hier eigentlich mache.

Ich hatte bisher nur zwei Liebhaber in meinem Leben – beides langjährige Freunde, mit denen ich erst Monate nach Beginn der Beziehung geschlafen habe. One-Night-Stands sind nicht mein Ding. Zumindest hatte ich noch nie einen. Als Wesley mich jedoch fragte, ob ich mit ihm die Bar verlassen möchte, stimmte ich zu. Etwas in mir wusste sofort, dass ich es für den Rest meines Lebens bereuen würde, würde ich mich anders entscheiden.

Die Tür schlägt zu und ich höre, wie Wesley dem Fahrer seine Adresse nennt. Plötzlich bin ich mir meiner Entscheidung nicht mehr sicher.

»Hey.« Seine Stimme gleitet über mich hinweg, während er seine Hand mein Bein entlang nach oben bewegt, bis zu der Stelle, an der sich meine Oberschenkel berühren. Mein Puls beschleunigt sich und glühend heißes Verlangen schießt durch mich hindurch. Die gleiche Lust, die ich den ganzen Abend über bereits gespürt habe. Als sich unsere Blicke treffen, erkenne ich, dass dieselbe Lust in seinen Augen lodert. Ich befeuchte meine plötzlich trockenen Lippen und lenke damit seinen Blick auf meinen Mund. Keuchend stoße ich die Luft aus, als er sich vorbeugt.

Die erste Berührung unserer Lippen ist sanft und forschend – ein Vorgeschmack auf das, was kommen wird. Ich lecke über seine Unterlippe und spüre, wie seine Brust an meiner vibriert. Ich wimmere, als er den Kuss vertieft und seine Zunge in meinen Mund schiebt, um mit meiner zu spielen. Zugleich greift er in mein Haar und packt meinen Hinterkopf, was einen Blitz des Verlangens durch meinen Körper jagt.

Keuchend ziehe ich mich zurück, als das Taxi zum Stillstand kommt und Wesley den Fahrer bezahlt. Er reicht mir seine Hand, und ich erlaube ihm, mir beim Aussteigen behilflich zu sein. Nachdem er die Tür des Wagens zugeworfen hat, gehen wir Hand in Hand den Bürgersteig hinunter zu einer Treppe, die zur untersten Ebene eines Stadthauses führt.

Wesley schließt die Tür auf und überlässt mir den Vortritt. »Bist du dir sicher?«, fragt er, nachdem er mich an der Taille aufgehalten und an sich gezogen hat. Er ist meinem Gesicht ganz nah. So nah, dass ich seinen warmen Atem spüre, der meine Lippen streift.

Mein bereits donnernder Puls beschleunigt sich abermals. »Ja«, flüstere ich, ohne über meine Antwort nachdenken zu müssen. Ich hebe meine zitternden Hände und fahre mit den Fingern durch sein Haar. Es ist genauso weich und dicht, wie ich es mir vorgestellt habe. Dann ziehe ich ihn zu mir.

»Fuck«, stöhnt er und erobert meine Lippen in einem Kuss, während seine Hände meinen Rücken hinunter zu meinem Po gleiten. Er packt zu und hebt mich hoch, als würde ich überhaupt nichts wiegen. Ich schlinge meine Beine um seine Hüften und stöhne in seinen Mund. Er bugsiert uns in sein Zimmer und tritt die Tür hinter uns zu.


Image

 

 

Als ich blinzelnd meine Augen aufmache, begrüßt mich das Licht des frühen Morgens durch die teilweise geöffneten Jalousien neben dem Bett. Mir ist sofort klar, dass ich nicht zu Hause bin. Dann nehme ich das schwere Gewicht von Wesleys Arm über meiner nackten Taille wahr. Ich atme leise ein und stoße langsam den Atem wieder aus, während ich mich umsehe. Das Zimmer ist klein – gerade groß genug für das Queensize-Bett, auf dem ich liege, und der Kommode in der Ecke. Es gibt keine Vorhänge vor den Fenstern oder Bilder an den Wänden, die mir etwas über den Mann verraten, mit dem ich die Nacht verbracht habe. Der Mann, der mich die ganze Nacht gehalten hat, der Mann, der noch immer eng an mich geschmiegt neben mir liegt.

Besorgt kaue ich auf meiner Unterlippe herum und überlege, was ich jetzt, wo ich wach bin, tun soll. Die Vorstellung, Wesley beim Aufwachen gegenübertreten zu müssen, lässt Panik in meinem Inneren hochkochen. Aus Gesprächen mit Freunden weiß ich, dass der Morgen danach für beide Seiten immer unangenehm ist, und ich möchte uns diese Erfahrung ersparen. Daher denke ich, dass es besser ist, wenn ich jetzt gehe, also winde ich mich vorsichtig aus seinen Armen. Was sich allerdings als nicht so einfach herausstellt, da sein Griff um mich immer fester zu werden scheint, je mehr ich mich daraus befreien will. Schließlich schaffe ich es aber doch und stehe leise auf. Dann suche ich in den über den Boden verstreuten Klamotten nach meinen Sachen, bis ich fündig werde. Sobald ich sie aufgehoben habe, gehe ich zur Schlafzimmertür. Mit der Hand am Türknauf halte ich noch einmal inne und schaue zurück zum Bett. Ich lasse meinen Blick über Wesleys dunkles Haar, sein im Schlaf entspanntes Gesicht und seinen großen, starken Körper wandern, und ein unangenehmes Gefühl rumort plötzlich in meinem Magen. Es ist, als würde mir meine Seele sagen, dass ich eine Idiotin bin, weil ich einfach abhaue, ohne herauszufinden, was passieren wird, wenn ich bleibe.

Ich schüttle diese Emotion ab, öffne vorsichtig die Tür und trete hinaus in sein Wohnzimmer Schrägstrich seine Küche. Dort ziehe ich mich schnellstmöglich an, ehe ich mir meine Tasche über die Schulter werfe. Ich knabbere an meiner Unterlippe herum und frage mich, ob ich ihm eine Nachricht hinterlassen soll. Angesichts der Lächerlichkeit dieses Gedankens schließe ich für einen Moment die Augen. Was würde ich überhaupt schreiben? Danke für die letzte Nacht? Es hat Spaß gemacht? Ja, wir hatten Spaß, aber Wesley hatte mit der Mackenzie Spaß, die sich sexy kleidet, Make-up trägt und Martinis trinkt. Er war nicht mit meinem wahren Ich zusammen. Mit dem Wildfang Mac, die lieber ein Bier trinkt als Martinis und immer mit Jungs rumhängt.

Meine Augen brennen schmerzhaft bei dieser Erkenntnis. Ich mag Wesley, aber er hat keine Ahnung, wer ich wirklich bin. Ich bezweifle, dass er die echte Mac mögen würde.

Als ich seine Wohnung verlasse, halte ich oben an der Treppe auf dem Bürgersteig inne und schaue in beide Richtungen. Ich bin nicht weit von der U-Bahn entfernt, also mache ich mich auf den Weg zur Station am Ende des Blocks, statt mir ein Taxi zu rufen, wie ich es ursprünglich geplant hatte. Ich swipe mit meiner MetroCard über den Scanner und gehe die Treppe hinunter zum nahezu menschenleeren Bahnsteig.

Da es Samstag ist, kann es eine Weile dauern, bis meine Bahn kommt. Ich setze mich auf eine der Bänke an der Wand und stöbere in meiner Tasche nach meinem Handy, finde es aber nicht. Die Zähne zusammenbeißend schließe ich die Augen.

Bei Wesley hatte ich mein Handy definitiv noch, weil ich Libby eine Textnachricht geschickt habe, um sie wissen zu lassen, dass sie sich keine Sorgen um mich machen soll. Ich habe diese Nachricht in Wesleys Bett getippt, während er versucht hat, mich mit Mund und Händen abzulenken, was ihm zwei Sekunden, nachdem ich auf Senden gedrückt hatte, auch gelang.

Stöhnend vergrabe ich mein Gesicht in den Händen. Ich habe es bei ihm vergessen.

»Was jetzt?«, frage ich mich laut.

Ich kann nicht zurückgehen und an seine Tür klopfen. Ich würde wie eine komplette Idiotin aussehen, wenn ich das täte.

Was würde ich sagen? Hallo! Ich habe mich gerade aus deinem Bett und deiner Wohnung geschlichen, aber ich bin zurückgekommen, weil ich glaube, dass ich mein Handy bei dir vergessen habe. Kann ich reinkommen und danach suchen?

»Google ist die Antwort.« Ich nehme meine Hände von meinem Gesicht, lehne mich zurück und sehe den Mann an, der vor mir steht. Sein weißes Haar ist ein wildes Durcheinander und ragt in alle Richtungen, sein Gesicht ist blass und seine Kleidung ist schmutzig und zerrissen. »Google ist immer die Antwort. Folgen Sie Google.«

Er kommt noch ein Stück näher und dreht seinen Kopf hin und her. Seine Pupillen sind geweitet und sein Puls pocht heftig unter der Haut an seinem Hals. Sofort ist mir klar, dass er high ist. Was bedeutet, dass er labil ist. Mein Dad hat mir immer eingetrichtert, ich solle niemals Angst zeigen, niemals jemanden glauben lassen, er könne mich einschüchtern. Diese Worte habe ich mir zu Herzen genommen. Ich recke das Kinn, und er bleibt stehen, doch ich entspanne mich nicht. Keinesfalls darf ich unachtsam werden. Ich schiebe meine Hand in die Tasche meines Mantels, lege meine Finger fest um mein Pfefferspray, und stehe auf.

Er bewegt sich nicht, sein Blick bleibt jedoch auf mich gerichtet, als ich langsam vor ihm zurückweiche und mich neben ein junges Paar stelle, das gerade miteinander rummacht. Daneben sitzt ein älterer Herr, der Zeitung liest. Als ich das Geräusch der Bahn höre, die durch den Tunnel rast, seufze ich erleichtert auf. Es ist die Bahn, die ich nehmen muss. Sobald sie anhält und sich die Türen öffnen, steige ich in ein überfülltes Abteil und setze mich auf einen Platz gegenüber der Türen. Dann beobachte ich, wie sie sich schließen, und die Bahn anfährt.

Etwas Schwarzes erregt meine Aufmerksamkeit, und ich drehe mich zur Seite. Als ich Wesley erblicke, weiten sich meine Augen. Er trägt eine graue Jogginghose, einen schwarzen Hoodie sowie Turnschuhe – und er rennt den Bahnsteig entlang hinter meinem Waggon her. Ohne nachzudenken, stehe ich auf. Sein enttäuschter Blick trifft meinen, kurz bevor wir in den Tunnel fahren und er aus meinem Sichtfeld verschwindet.

Ich nehme wieder Platz, senke die Lider, lehne meinen Kopf zurück und positioniere meine Handtasche vor meinem Bauch. Gleichzeitig versuche ich, die Welle von Übelkeit zu stoppen, die mich überrollt.

Er ist mir nachgelaufen.

Ich habe keine Ahnung, woher er wusste, dass ich die Bahn nehmen würde.

Aber er ist mir nachgelaufen. Oder zumindest glaube ich das.

Stirnrunzelnd spüre ich, wie mir schwer ums Herz wird, als mir der Gedanke kommt, dass er wahrscheinlich mein Handy gefunden und nur versucht hat, mich einzuholen, damit er es mir zurückgeben kann. Die Augen wieder öffnend, atme ich einmal tief ein und aus. Ich muss herausfinden, wie ich mein Mobiltelefon zurückbekomme. Es wird unangenehmer sein, als mit ihm aufzuwachen, aber ich kann es mir nicht leisten, ein neues zu kaufen.

Sobald ich meine Haltestelle erreicht habe, eile ich die Stufen ins Freie hinauf und gehe die restlichen drei Blocks zu Fuß nach Hause. Libby und ich teilen uns eine Wohnung mit einem Schlafzimmer im zweiten Stock eines Dreifamilienhauses. Das Haus ist ein traditioneller New-Yorker-Sandsteinbau mit einer breiten Veranda davor. Im Sommer sitze ich morgens gern dort und schaue den Kindern in der Nachbarschaft beim Spielen zu, während ich meinen Kaffee trinke.

Ich habe die Wohnung gekauft, als ich nach New York gezogen bin. Es war das Einzige, was ich jemals hatte, das nur mir gehörte, das Erste, was ich nicht mit meinen Schwestern teilen musste. Nun, bis Fawn in die Stadt kam, um aufs College zu gehen. Libby stieß kurz darauf ebenfalls zu uns. Zum Glück lebt Fawn inzwischen nicht mehr bei uns. Ich liebe meine Schwestern, aber als wir drei uns den wenigen Platz teilen mussten, haben wir uns oft gestritten.

Im Foyer mache ich bei den Postfächern Halt und ziehe eine Handvoll Briefe aus meinem, wobei es sich größtenteils um Werbemüll handelt. Im Augenwinkel sehe ich, wie Miss Ina ihre Wohnungstür einen Zentimeter öffnet, um zu erspähen, wer sich im Flur aufhält. Ich bin nett und lächle sie an, was ich jedoch sofort wieder bereue, denn sie missversteht meine Geste als Einladung, die Tür vollständig zu öffnen.

Miss Ina ist achtzig Jahre alt. Eine kleine, alte Frau mit einem Buckel, der sie noch kleiner erscheinen lässt, als sie ohnehin schon ist. Ihr weißes Haar sieht aus wie eine große, aufgetürmte Wolke und ihre Haut ist praktisch bereits durchsichtig. Ihre braunen Augen hingegen sind so dunkel, dass sie fast schwarz wirken. Ich schwöre, wenn sie dich ansieht, ist es, als würde sie dir direkt in die Seele blicken und diese nach all den Fehlern, die du in deinem Leben begangen hast, durchleuchten. Sie ist über alles, was in diesem Haus passiert, informiert. Sie weiß alles über jeden – manchmal noch, bevor derjenige selbst weiß, was bei ihm los ist.

»Wir müssen reden«, sagt sie ihre Gehhilfe vor sich herschiebend, als sie in den Eingangsbereich hinaustritt.

»Wie kann ich Ihnen helfen, Miss Ina?«, frage ich und beobachte, wie sie näher humpelt und mit quietschender Gehhilfe auf mich zuschleicht.

»Ich kann nicht schlafen, wenn es da oben so laut ist.«

»Miss Ina, wir haben darüber gesprochen. Das Haus ist alt. Es ist nicht schallisoliert. Libby und ich versuchen beide, leise zu sein, aber Sie können nicht erwarten, dass wir die ganze Zeit auf Zehenspitzen herumlaufen«, entgegne ich so nett wie möglich.

Sie schnaubt. Dabei tut sie mir sogar leid. Ich weiß genau, was sie durchmacht, da über uns eine Familie mit drei kleinen Kindern lebt. Wir können alles hören, was sich oben tut – und ich meine damit wirklich alles – von den Kindern, die mit Autos auf dem Boden spielen bis zu Mrs und Mr Kinds Bett, das nachts gegen die Wand schlägt, während sie an einem vierten Baby basteln.

»Ich brauche meine Ruhe. Ihr Mädchen müsst rücksichtsvoller gegenüber euren Nachbarn sein«, verlangt sie.

Ich seufze. Ich habe diese Sache oft genug mit ihr durchgekaut, um zu wissen, dass sie nicht ohne meine Einwilligung aufgeben wird, auch wenn ich ihr diese eigentlich gar nicht gebe. »Wir werden uns bemühen, leiser zu sein.«

Ihre Antwort besteht aus einem weiteren Schnauben. Ich versuche erst gar nicht, sie zufriedenstellen zu wollen, weil es unmöglich ist. Stattdessen stecke ich meine Post in meine Tasche, mache einen Bogen um Ina und ihre Gehhilfe herum, und gehe zur Treppe.

»Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag, Miss Ina!«, rufe ich über meine Schulter hinweg, sobald ich die Hälfte der Treppe erklommen habe. Sie antwortet nicht – was ich auch nicht erwartet hätte.

Ich schließe die Tür zu meiner Wohnung auf, die beim Aufdrücken laut knarrt. Nach dem Eintreten schließe ich sie hinter mir. Okay, ich knalle sie eher ein wenig ins Schloss, damit sie zugeht – und um Ina zu ärgern. Dann entledige ich mich meiner Handtasche sowie meiner Jacke und lege beides auf die Couch. Als Nächstes ziehe ich meine Stiefel aus und lasse sie neben mir auf den Boden fallen.

Die Wohnung ist klein, nur knapp vierzig Quadratmeter. Das Wohnzimmer erstreckt sich gleich hinter der Eingangstür und ist kaum groß genug für die Couch, die unter der Durchreiche zur Küche steht. Der Fernseher befindet sich direkt gegenüber. Die Küche ist ebenfalls winzig, was für Libby und mich allerdings kein Problem darstellt, da keine von uns kochen kann. Die Wohnung mag vielleicht nicht fabelhaft ausgestattet sein, aber das Badezimmer ist fantastisch – oder besser gesagt, meine Badewanne ist es. Die alte Klauenfußwanne ist der einzige Grund, warum ich noch nicht ausgezogen bin.

Da Libby noch bei der Arbeit ist, ziehe ich mich auf dem Weg ins Badezimmer aus. Ich liebe es, ein Bad zu nehmen, das ist genau das, was ich jetzt brauche, um mich nach der Aufregung des Morgens zu entspannen. Ich fülle die Wanne bis zum Rand, schütte eine Handvoll Badesalz ins Wasser und lasse mich hineinsinken. Nach einer Stunde Einweichen trockne ich mich ab und ziehe eine Jogginghose sowie ein T-Shirt an, ehe ich mich mit einer Schüssel Cheerios auf die Couch vor den Fernseher setze. Ich sage mir, dass ich erst nach dem Wochenende darüber nachgrübeln werde, wie ich mein Handy zurückbekomme, mache mir aber dennoch Gedanken.

Und wenn ich mir gerade keine Sorgen wegen des Handys mache, verbringe ich jeden Moment damit, an Wesley zu denken.

2. Kapitel

 

Das war so was von nicht Teil des Plans

 

Mac

 

In den letzten Tagen habe ich über hundert verschiedene Möglichkeiten nachgedacht, wie ich mein Handy von Wesley zurückbekommen kann, ohne ihm tatsächlich von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten zu müssen. Mein erster Gedanke war, bei ihm einzubrechen und es zu stehlen, aber ich glaube nicht, dass das gut gehen würde – ihm wäre klar, dass ich es war, wenn nur mein Handy fehlen würde. Ich habe auch darüber nachgedacht, meine Schwestern zu bitten, mir zu helfen, indem sie sich als Kabelmonteure verkleiden, aber sie würden zu viele Fragen stellen, also habe ich diesen Einfall sofort wieder verworfen. Bis heute Morgen war ich ratlos, doch dann ist mir eine Idee gekommen – eine lahme Idee, aber immerhin eine brauchbare.

Nachdem ich mich fertig gemacht und meine Wohnung verlassen habe, lege ich noch einige Zwischenstopps ein, bevor ich in die U-Bahn steige, die mich zu Wesleys Appartement bringt. Als ich die Stufen erreiche, die zu seiner Wohnung führen, schaue ich mich noch einmal um und stelle sicher, dass die Luft rein ist, bevor ich zu seiner Tür hinuntergehe. Ich lege meine Handtasche auf der untersten Stufe ab und hole die vorbereitete Notiz heraus, dazu den vorfrankierten Umschlag, den ich vorhin gekauft habe, sowie durchsichtiges Klebeband. Ich wickle einen Teil davon ab, drücke es auf den Umschlag und klebe die Notiz an die Tür. Erst dann wird mir klar, dass ich keine Schere habe und meine Zähne benutzen muss, um das Klebeband von der Rolle abzureißen. Um zu Werke zu gehen, stelle ich mich auf die Zehenspitzen. Dennoch komme ich mit dem Mund nicht ran. Als ich den Umschlag vorsichtig wieder von der Tür löse, fällt mir das Klebeband aus der Hand und landet auf dem Boden, ehe es davonrollt.

»Verdammt noch mal!«, zische ich, als ich es erwische und sich die Rolle dabei um meine Hand wickelt. Ich reiße den Umschlag von der Tür, dann versuche ich, mich aus dem Durcheinander aus Klebeband zu befreien. Bei dem widerlichen Geräusch, das es dabei macht, zucke ich zusammen.

»Brauchst du Hilfe?«

»Scheiße!«, schreie ich und drehe mich ruckartig um.

Als ich aufblicke, sehe ich in Wesleys Augen. Er ist noch umwerfender als in meiner Erinnerung. Allerdings wirkt er auch ein wenig verärgert, so wie er die Arme vor seiner breiten Brust verschränkt und mich aus seinen blauen Augen anstarrt.

»Du bist hier ...«, sage ich wie eine Idiotin und spüre, wie ich rot werde.

»Ich lebe hier.« Er deutet mit dem Kinn auf die Tür. »Was machst du hier?«

»Ich ... Ich war einfach in der Gegend«, lüge ich, während ich das abgelöste Klebeband zusammenknülle.

Er sieht hinunter auf die Rolle in meinen Händen. »Was hast du da gerade gemacht?«

»Ich ...« Ich verstumme, als sein Blick auf den Boden fällt und er sich bückt, um die Notiz aufzuheben, die ich ihm hinterlassen wollte.

 

Wesley, es tut mir leid, dass ich dich nicht angetroffen habe. Ich glaube, ich habe mein Handy vergessen, als wir neulich bei dir waren. Kannst du es in den beigefügten Umschlag legen und es in den nächsten Briefkasten werfen?

Danke, Mackenzie

 

Er liest die Nachricht laut vor, ehe er den Blick hebt und nach meinem sucht. Meine Wangen, die bereits rot waren, brennen jetzt noch viel schlimmer. »Hast du geklingelt?«, fragt er.

Ich sehe die Tür hinter mir an, dann wieder zu ihm. »Klingel?«

»Die Türklingel – hast du sie betätigt?«

»Ähm ...«

»Sie ist mit meinem Handy verbunden, das sich meldet, wenn jemand vor meiner Haustür steht.«

»Vielleicht ist sie kaputt?«, lautet meine schwache Ausrede, während ich den Kopf schief lege und hoffe, dass ich unschuldig wirke.

Wesley nimmt zwei Treppenstufen nach unten, drückt auf die Klingel und sofort meldet sich sein Handy.

Verdammt.

»Scheint mir nicht kaputt zu sein.« Er dreht sich zu mir um, und sein muskulöser Körper macht den kleinen Mauerzwischenraum, in dem wir uns befinden, gefühlt noch viel kleiner.

Da ich weiß, dass ich keine weitere Ausrede habe, halte ich einfach den Mund. Unfreiwillig reiße ich die Augen auf, als er den ohnehin schon geringen Abstand zwischen uns überbrückt, ohne je meinen Blick loszulassen. »Wesley ...«, hauche ich, als sein vertrauter Geruch meine Lunge füllt. Seine Wärme scheint mich einzuhüllen, obwohl er mich gar nicht berührt.

»Du hast dich neulich einfach davongeschlichen. Warum?«, will er leise wissen, dennoch kann ich die Verärgerung und den Frust in seiner Stimme und in seiner Miene erkennen.

Ich werde ihm keine ehrliche Antwort geben, denn ihm zu sagen, warum ich wirklich einen solchen Abgang hingelegt habe, wäre lächerlich, jetzt, wo ich vor ihm stehe. »Ich ... Scheiße.« Er fährt sich unwirsch mit der Hand durchs Haar. »Ich kann nicht glauben, dass du einfach ohne ein Wort abgehauen bist.«

Ich senke kurz die Lider und öffne meinen Mund, um etwas zu sagen, irgendetwas.

Bevor ich das jedoch tun kann, schneidet er mir mit einem Kopfschütteln und einem scharfen Ist auch egal das Wort ab. Er dreht mir den Rücken zu, öffnet die Tür und geht in seine Wohnung.

Ich schlucke gegen das Knäuel an Emotionen an, das in meinem Inneren tobt, während ich in der offenen Tür stehe und überlege, was ich als Nächstes tun soll. Tief luftholend, schiebe ich den Klebebandball in meine Tasche und hänge sie mir über die Schulter, bevor ich ihm folge. Ich habe mich das letzte Mal, als ich bei Wesley war, nicht wirklich umgesehen. Als ich nun sein Zuhause betrachte, wird mir klar, dass ich nicht viel verpasst habe. Die Küche ist klein, mit nur einem runden Tisch und zwei Stühlen. Im Wohnzimmer steht eine Reihe von Kisten an der Wand, zudem befinden sich eine ausladende, bequem aussehende graue Couch sowie ein großer Fernseher darin, der auf einem schlichten schwarzen Standfuß steht. Nirgendwo entdecke ich etwas Persönliches – keine Bilder oder irgendetwas anderes, um den Raum heimelig zu machen. Ich frage mich, ob all diese Dinge in den Kisten sind, die noch ausgepackt werden müssen.

»Hier«, grollt Wesley und hält mir mein Handy entgegen.

Ich greife danach und schiebe es in die Tasche meiner Jacke, während ich seinem Blick ausweiche. »Danke.«

»Sicher.«

»Es tut mir leid ...«

»Ich will es nicht hören«, unterbricht er mich, bevor ich weiterreden kann.

Ich bekämpfe den Drang, zusammenzuzucken.

»Ich will nicht hören, was auch immer für eine Bullshit-Entschuldigung du mir auftischen willst.«

»Wie bitte?« Ich hebe den Kopf, um ihn anzusehen.

»Du hast mich schon verstanden.« Wesley hält meinem Blick stand.

Ich verenge die Augen und er tut es mir gleich.

»Du hast dein Handy wieder. Deshalb bist du doch hergekommen, nicht wahr? Warum stehst du also noch hier?«

»Wow.« Kopfschüttelnd wende ich den Blick ab. »Du bist ein echtes Arschloch.«

»Ach, auf einmal? Neulich Nacht konntest du nicht genug von mir bekommen, Baby. Wenn ich mich richtig erinnere, hast du mich sogar mehrmals angebettelt, es dir zu besorgen«, entgegnet er schroff.

Wütend funkle ich ihn an. »Du Mistkerl!«, zische ich und will ihm eine Ohrfeige verpassen.

Er fängt meine Hand jedoch ab, bevor ich mein Ziel erreichen kann. Ich will es erneut versuchen, aber er fängt auch meine zweite Hand und zieht beide über meinen Kopf. Schwer keuchend starre ich ihn an. Er starrt zurück.

»Was jetzt?«, fragt er.

Ich mache das Einzige, was mir sinnvoll erscheint. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und drücke meinen Mund auf seinen. Halb erwarte ich, dass mein Handeln ihn aus dem Gleichgewicht bringt – und ihm möglicherweise einen Dämpfer verpasst –, aber das geschieht nicht. Stattdessen übernimmt er die Führung, und seine Zunge gleitet zwischen meine geöffneten Lippen. Ich wehre mich nicht gegen den Kuss. Genau wie beim letzten Mal stelle ich fest, dass ich das hier mehr will als alles andere.

Ich will ihn.

Wesley lässt eine meiner Hände los, legt seinen Arm um meine Taille und zieht mich an sich. Mit den Lippen wandert er über meinen Kiefer bis zu meinem Hals. Als er sanft zubeißt, zieht sich alles in meinem Inneren zusammen. Ich spüre die Erregung tief in meinem Bauch, zerre an seinem Hemd, bis ich es aus seiner Jeans befreit habe, und fahre mit meiner Hand über seine Bauchmuskeln, bevor ich meine Nägel weiter nach unten wandern lasse.

»Wesley ...«, wimmere ich, als er mit seiner Zunge eine feuchte Spur meinen Hals entlangzieht.

Dann spüre ich seinen Atem, der über meine Ohrmuschel streicht. »Sag mir, dass du das willst.« Er drückt seine Erektion gegen meinen Bauch und lässt mich wissen, dass er bereit ist, zu wiederholen, was neulich Nacht zwischen uns passiert ist. »Sag mir, dass du mich willst.«

»Ich will dich«, stöhne ich, als sein Mund meinen wieder einfängt.

Grob packt er meine Kleidung, und ich zahle es ihm mit gleicher Münze heim. Als ich höre, wie meine Jacke und mein Oberteil auf den Boden fallen, zerre ich sein Hemd über seinen Kopf und fasse dann zum Knopf seiner Jeans. Wesley dirigiert uns rückwärts in Richtung seines Schlafzimmers, wo er sich von mir löst, ehe er seine Hose über die Hüften zieht. »Zieh deine Schuhe aus.«