cover.jpg

 

Rhenna Morgan

Haven Brotherhood 6: Down and Dirty

 

Aus dem Amerikanischen ins Deutsche übertragen von Julia Weisenberger

 

© 2019 bei Rhenna Morgan

© 2020 der deutschsprachigen Ausgabe und Übersetzung by Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels

www.plaisirdamour.de

info@plaisirdamourbooks.com

© Covergestaltung: Mia Schulte/Sabrina Dahlenburg

© Coverfoto: Shutterstock.com

ISBN Print: 978-3-86495-483-2

ISBN eBook: 978-3-86495-484-9

 

Dieses Werk wurde im Auftrag von Harlequin Books S.A. vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

 

Die Personen und die Handlung des Romans sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

Dieser Roman darf weder auszugsweise noch vollständig per E-Mail, Fotokopie, Fax oder jegliches andere Kommunikationsmittel ohne die ausdrückliche Genehmigung des Verlages oder der Autorin weitergegeben werden.

Inhalt

 

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Epilog

Danksagung

Autorin

 

 

Widmung

 

Für Joe Crivelli – meinen besten Freund, meinen Ritter, meinen Partner, mein Herz. Sämtliche starken, rücksichtsvollen und liebevollen Helden, die ich mir jemals vorgestellt oder über die ich geschrieben habe – du übertriffst sie alle. Jede Sekunde, die ich warten musste, bis ich dich gefunden habe, war es wert.

 

 

Kapitel 1

 

Klingelnde Ohren, ein rauer Hals und schmerzende Füße. Jedes Vergnügen hat seinen Preis. Eine Konsequenz, die man tragen muss, wenn der Genuss vorüber ist. Aber für Lizzy war dieser Preis es nicht nur wert, sondern notwendig. Besonders da der Großteil dessen, was sie dazu benutzte, um ihre Rechnungen zu bezahlen, daher stammte, dass sie sich dem überließ, was sie am allermeisten auf dieser Welt liebte.

Nichts war besser, als ihre Musik live mit der Menge zu teilen. Gar nichts. Es lag eine Verbindung darin. Eine ursprüngliche Energie, angetrieben von den Gefühlen um sie herum, die ihr Inneres flutete und den ganzen Alltag dämpfte. Alles, was noch übrig war, war reine Seligkeit. Eine unbeschreibliche Lebendigkeit, die mit fantastischem Sex vergleichbar war – nur ohne die Verwundbarkeit und das Risiko, dass einem das Herz gebrochen wurde.

Von ihrem letzten Set high, ging sie direkt von der Bühne in den schäbigen rechteckigen Lagerraum, der auch als Backstageraum für die Künstler in der Bar diente. Ihre Bandmitglieder waren ihr dicht auf den Fersen.

„Lizzy, Baby! Das war verdammt genial!“ Tonys Lob echote von den einstmals weißen Wänden, die jetzt dank zu vieler Jahre, in denen hier geraucht worden war, fleckig waren. Er war über ein Meter achtzig groß, hatte etwas längeres, dunkelblondes Haar, träumerisch dreinblickende blaue Augen und ein verruchtes Lächeln. Mit dieser Kombination zog er weibliche Musikliebhaberinnen allein mit dem Krümmen eines Zeigefingers an. Wie der Kerl auf das massive Schlagzeug, das er für jede Show aufbaute, einprügeln und fünf Stunden später immer noch so viel Energie haben konnte, wusste sie nicht, aber es würde weitere gute zwei Stunden dauern, bis er wieder runterkommen würde.

Sie schnappte sich ihren Gitarrenkoffer von dem groben Holzregal, legte ihn auf das Ledersofa aus zweiter oder dritter Hand und öffnete ihn. „Der Schuppen hier ist eine ziemliche Spelunke, aber er zieht ein verdammt gutes Publikum an.“

„Es ist nicht die Bar, die das Publikum anzieht“, sagte Skeet, der Lizzys Beispiel folgte und seine Fender-Telecaster-Gitarre verstaute. Seine Ausstrahlung war das komplette Gegenteil von Tonys. Er war eher eine Mischung aus Biker-trifft-Cowboy vor allem in Kombination mit der dazu passenden rauen Marlboro-Stimme. Er hielt inne, bevor er die schwarz-weiße Schönheit in ihren mit Plüsch gefütterten Koffer legte, und warf ihr einen Blick über die Schulter zu. „Sondern du.“

„Mann, wenn du weiter so einen Scheiß von dir gibst, wird sie sich wieder von uns zurückziehen.“ Dewayne – oder Phat D, wie ein Reporter ihn kürzlich bezeichnet hatte –, der Pragmatiker unter ihnen, stellte seinen Rickenbacker-Bass auf sein Gestell, das er in der Ecke hatte stehen lassen, und ließ sich mit einem Seufzer in den übergroßen schwarzen Sessel in der Ecke fallen. „Sie weiß, was sie kann. Wenn sie bereit ist, etwas zu tun, tut sie es auch.“

„Red keinen Scheiß, Skeet“, sagte Tony. „Mach unsere Begeisterung nicht kaputt.“

„Das mache ich nicht. Ich will nur meinen Standpunkt verdeutlichen.“

Besagter Standpunkt war, dass es an der Zeit war, an die besseren Gigs in Dallas zu kommen. Natürlich brauchte man dafür Kontakte, und Öffentlichkeitsarbeit war nicht gerade Lizzys Stärke.

Genau genommen waren Menschen ganz allgemein nicht ihre Stärke. „Es besteht kein Grund dazu, ihn deutlich zu machen. Ich bleibe nicht absichtlich in solchen Bars. Sobald ich bei diesen besseren Veranstaltungsorten auch nur einen Fuß in die Tür bekomme, schlage ich zu.“

„Drei Promoter haben dich angesprochen in genauso vielen Wochen“, erwiderte Skeet. „Wenn du einen Fuß in die Tür bekommen willst, musst du auch mit ihnen reden.“

„Und ich habe dir gesagt: Rex und ich kümmern uns darum.“

„Rex ist ein guter Kerl und ein verdammt toller Kumpel, aber er ist weder ein Promoter noch ein Manager. Er ist ein Schweißer und Künstler.“

„Er ist auch vertrauenswürdig und zieht uns nicht über den Tisch.“

„Skeet.“ D war nicht der Charismatischste in der Gruppe, aber wenn er diese leise, grollende Stimme benutzte, hielten die Leute die Klappe und hörten zu. „Lass es sein.“

„Stimmungskiller“, fügte Tony hinzu.

Lizzy grinste und holte ihr Handy aus ihrer Handtasche. Trotz der ganzen Kommentare von Skeet wusste sie, dass er es gut meinte und die gleichen Dinge wollte wie sie. Verdammt, sie wollte sie vermutlich dreißig Mal dringender. Während der Rest der Jungs andere Jobs hatte, die dabei halfen, die Rechnungen zu zahlen, inspirierte ihre Kassierertätigkeit beim ortsansässigen Aldi sie nicht besonders. „Es wird weitaus mehr brauchen als Skeets Drängen, bessere Auftritte zu organisieren, um heute Abend meine Begeisterung zu dämpfen.“

Sie sah auf ihr Handy und die ungelesene Nachricht, die auf ihrem Sperrbildschirm zu lesen war.

 

Rex: Muss Überstunden machen. Ich versuche, es zu schaffen, aber falls nicht, musst du mit Arschloch Vic selbst klarkommen.

 

Okay, das war ein Stimmungskiller.

Sie entsperrte ihr Handy und öffnete ihre Nachrichtenapp.

Nein. Es blieb immer noch dieselbe beschissene Nachricht.

„Was?“ Tony, der immer noch seine Drumsticks hielt, kam näher und verrenkte sich den Kopf, um auf ihr Handy blicken zu können.

Lizzy schaltete das Handy aus, drehte ihm den Rücken zu und warf es zurück in ihre Handtasche, bevor er den Text lesen konnte. Das Einzige, was schlimmer wäre, als wenn Lizzy sich um Arschloch Vic – auch bekannt als Barbesitzer – kümmern musste, wäre, Skeet, Tony oder D zu schicken, um ihr Geld abzuholen. Gott wusste, dass sie das ein- oder zweimal probiert hatten und danach nie weitere Auftritte hatten buchen können. „Nichts. Ich muss mich nur um etwas kümmern.“ Sie bemühte sich um einen neutralen Gesichtsausdruck und drehte sich zu ihnen um. „Ich rechne mal mit Vic ab.“

D kicherte, streckte seine langen Beine in den Stiefeln vor sich aus und überkreuzte sie an den Knöcheln. „Ich schätze, das erklärt den Blick.“

„Welchen Blick?“ Sie sah zu Tony, dann zu Skeet. „Ich habe keinen Blick.“

„Oh doch, hast du“, sagte Tony. „Als ob du einen Furz unterdrücken und dem nächsten Menschen an die Gurgel gehen würdest, der dich davon abhält, irgendwo hinzukommen, wo du allein bist und ihn rauslassen kannst.“

„Du hast ein echt beschissenes Pokerface, Püppchen.“ Skeet zündete eine Zigarette an, die er im Gebäude gar nicht hätte rauchen dürfen, und atmete, begleitet von einem leisen Lachen, eine riesige Wolke aus. „Siehst du langsam ein, wieso es praktisch wäre, jemanden mit einem Händchen für zwischenmenschliche Beziehungen zu haben?“

„Ich sehe langsam ein, dass derjenige, dem ich heute Abend an die Gurgel gehen muss, du bist.“ Sie versuchte, wie die starke Frau zu klingen, die sie auf der Bühne darstellte, aber ihr Mundwinkel hob sich zu einem Lächeln, das sie nicht unterdrücken konnte. Sie ging an ihm vorbei und boxte ihm mit einer gleichermaßen lahmen Erwiderung gegen die Schulter. „Wenn ich in einer Viertelstunde nicht wieder hier bin, überprüft mal, ob ich wegen versuchten Mordes von der Polizei abgeholt worden bin.“

Ungefähr drei Schritte hinter dem Türrahmen wurde ihr Gelächter von dem Chaos der Menge, die noch hier war, und dem üblichen Rausschmeißer „Sweet Home Alabama“ übertönt. Was Bars betraf, war The Crow nicht die übelste, in der Lizzy gespielt hatte. Das ebenerdige Gebäude war frei stehend und groß genug, um eine ordentliche Menge an Leuten anzuziehen – was notwendig war, wenn ein Großteil der Gage aus einem Anteil des Eintrittsgeldes bestand. Außerdem gingen die Türsteher hier nicht dazwischen, außer mehr als zwei Paar Fäuste waren beteiligt, und man wollte den Innenbereich nicht sehen, wenn die Lichter angingen. Die verschrammten Tische und Flecken auf dem Boden, die von der Neonreklame für Biersorten beleuchtet wurden, reichten vollkommen, vielen Dank.

Lizzy wich einer Gruppe von drei Frauen aus, die einen einzelnen Mann umzingelt hatten, der von seinem Flügelmann ungeschützt zurückgelassen worden war, und stolperte fast auf den zehn Zentimeter hohen Absätzen ihrer Stiefel.

An einem der vielen schwarzen Pubtische befand sich ein Mann, der die Vorhersagbarkeit des restlichen Raumes komplett auf den Kopf stellte. Er hatte die Füße leicht gespreizt, was locker und zugleich selbstbewusst wirkte, und trug eine gut geschnittene Hose und ein gebügeltes weißes Hemd, dessen Ärmel er hochgerollt hatte, wodurch seine muskulösen Unterarme sichtbar wurden. Er sah aus, als ob er gerade endlosen Verhandlungen in einem Besprechungszimmer entflohen wäre. Bei seiner Größe und der Breite seiner Schultern war alles, was er trug, vermutlich maßgeschneidert. Aber während seine Kleidung das komplette Gegenteil von dem war, was alle anderen hier anhatten, folgten sein langes rostbraunes Haar und der Bart nicht der Vorschrift, wie ein Geschäftsmann auszusehen hatte, und seine scharfen Gesichtszüge sprachen von einer Lebenserfahrung, die er sich auf die härteste Weise überhaupt hatte aneignen müssen.

Ein mächtiger Mann. Jemand, der mit nur einem Blick Aufmerksamkeit verlangen konnte.

Und jedes bisschen seiner Aufmerksamkeit war auf sie gerichtet.

Ein ganz neues Kribbeln machte sich in ihr breit, und ihre Schritte wurden langsamer. Ihre Hüften schwangen mit einer sexuellen Bewusstheit, die sie seit Jahren nicht mehr empfunden hatte, während sie sich durch die Menge zwischen ihr und der Bar voranarbeitete.

„Heute sind nicht viele Leute da.“ Vics raue und zugleich nörgelnde Stimme riss ihren Fokus gerade noch rechtzeitig von dem Fremden los, damit sie nicht in einen Tisch lief, der ihr direkt im Weg stand. Es dauerte eine Sekunde, ihn hinter der Bar auszumachen, halb verborgen in den Schatten in einer Ecke, sodass er die Zwanziger abzählen konnte. „Hat auch nicht geholfen, dass du mit dem letzten Set zu spät angefangen hast. Wir haben fünf große Tische verloren, während wir darauf gewartet haben, dass du und deine Jungs wieder an die Arbeit gehen.“

Nicht viele Leute. Ja, klar. Jeder einzelne Tisch war voll gewesen bis zu ihrem letzten Lied, und die Kellnerinnen waren die ganze Zeit unterwegs gewesen, seit Lizzy ihren Verstärker eingeschaltet hatte. Allerdings war Vic ein mieser Drecksack erster Güte und tat immer so, als ob die komplette verdammte Welt es auf ihn abgesehen hätte, während es in Wahrheit so war, dass er es darauf abgesehen hatte, jeden anderen aufs Kreuz zu legen.

Sie schob den unglaublich heißen Kerl aus ihrem Kopf und legte den Rest der Entfernung mit einem Schritt zurück, der hoffentlich entspannt aussah. „Das Einzige, was du heute Abend verloren hast, waren ungefähr hundert Mäuse in Fireball-Whiskeylikören.“

Vic hielt beim Zählen inne und beäugte sie mit einer erhobenen Augenbraue.

Einen Augenblick lang überlegte Lizzy, sich wie Rex auf einen Barhocker zu setzen, um zu zeigen, dass sie bereit war für eine Unterhaltung, aber dann erinnerte sie sich an Skeets Kommentar bezüglich ihres beschissenen Pokerface und verwarf die Idee wieder. „Oh, komm schon. Du hast jeder Frau, die mehr als fünf Minuten mit dir gesprochen hat, einen Drink ausgegeben.“

Vic und sein zerbrechliches Ego. Ihm dabei zuzusehen, wie er seine Brust wie ein wütender Pavian vorstreckte und schnaufend und prustend nach einer guten Erwiderung suchte, war äußerst unterhaltsam. „Frauen hier zu behalten, ist zuträglich fürs Geschäft. Wenn meine Band die Leute nicht fesseln kann, tue ich, was notwendig ist.“

„Mann, du kannst viel über heute Abend sagen, aber dass wir die Leute nicht hätten fesseln können, gehört nicht dazu. Jeder Tisch war besetzt, bis weit nachdem wir von der Bühne gegangen sind.“

Vic grunzte und warf einen unordentlichen Haufen Zwanziger vor sie auf die Bar. „Hier ist dein Geld.“

Der zu flache Stapel zerknitterter Scheine wirkte lächerlich auf der schwarzen Theke. „Das ist das Grundgehalt. Dazu kommen noch dreißig Prozent vom Eintritt.“

„Dreißig Prozent vom Eintritt, wenn das Haus voll ist. Voll bedeutet, dass die Leute hierbleiben und nicht aufstehen und gehen, bevor der Abend vorbei ist. Wenn ich mich auf Fireballs verlassen muss, um das zu erreichen, was du und deine Band nicht schaffen, ist der Deal nichtig.“

Genau das war der Grund, weshalb sie es hasste, mit Arschloch Vic Geschäfte zu machen. Oder mit Menschen allgemein. Rex hätte sein zerbrechliches männliches Ego nicht angekratzt. Verdammt, sogar das kleine Mädchen, das mit der alleinerziehenden Mutter neben Lizzy wohnte, hätte das besser gehandhabt. „Das ist Bullshit, und das weißt du. Bei unseren Buchungen hatten wir nie so eine Klausel drin, und selbst wenn … Die Leute sind geblieben.“

„Nennst du mich jetzt einen Aufreißer und einen Lügner?“

Fuck.

Lizzy zwang sich, nicht herumzuzappeln, und biss die Zähne zusammen, um sich eine gute, altmodische Anweisung zu verkneifen, wohin das Arschloch sich seine Anschuldigungen stecken konnte. Rückblickend wäre vielleicht Skeet doch die bessere Wahl gewesen, das Geld abzuholen, denn sie dachte gerade darüber nach, dass es sehr unterhaltsam sein könnte, jemandem an die Gurgel zu gehen. Und das, obwohl sie noch nie in ihrem Leben gewalttätig geworden war.

Sie hatte keine Ahnung, wie sie sich aus diesem selbst gegrabenen Loch wieder retten konnte, ohne eine weitere Bar zu verlieren, in der sie spielen konnten. Sie öffnete den Mund, um mit der Schadensbegrenzung zu beginnen, erstarrte aber, weil sich eine kribbelnde Vorahnung in ihr breitmachte. Hinter ihr.

„Um Viertel vor eins hat Ihr Mann an der Tür immer noch Köpfe gezählt, die hinein und hinaus gegangen sind.“ Die tiefe maskuline Stimme mit dem Hauch eines schottischen Akzents erregte einen Augenblick lang ihre Aufmerksamkeit, bevor der kräftig gebaute GQ-Mann, den sie auf ihrem Weg durch den Raum beäugt hatte, neben ihr auftauchte. Er stellte sein leeres Whiskyglas auf die Theke. Obwohl er Vic ein freundliches Lächeln zuwarf und seine Haltung äußerlich entspannt wirkte, strahlte seine Gegenwart eine gewisse Härte aus. Eine tödliche Herausforderung, die durch seine lockere Fassade kaum verborgen wurde. Als er wieder das Wort ergriff, war sein Tonfall genauso selbstsicher und ruhig wie zuvor, aber die Warnung darin war nicht zu überhören. „Es gibt keinen Grund, das zu tun, außer man macht sich Sorgen, es könnten zu viele Leute reinkommen, nicht wahr?“

„Wer zum Teufel sind Sie?“ Typisch Vicente. Keine Ahnung und einfach unhöflich.

Der mysteriöse Mann hatte sich, ohne sich vorzustellen, in ihre Angelegenheiten eingemischt, aber sie musste zugeben, dass sie sich bereits Ähnliches gedacht hatte. Bevor sie das jedoch sagen konnte, schob der Fremde sein Glas ein wenig dichter an Vic heran, holte ein Geldbündel aus der Hosentasche und zog ein paar Hunderter heraus.

„Ich bin derjenige, der dafür sorgt, dass Sie sich an den Deal halten, den Sie bei der Buchung gemacht haben. Das Grundgehalt ist üblicherweise fünfhundert Dollar plus dreißig Prozent vom Einlass.“

Diesmal wäre es Lizzy gewesen, die sich mit einem „Was zum Teufel?“ eingemischt hätte, aber bevor sie genügend Luft geholt hatte, um die Frage zu stellen, hatte ihr mysteriöser und wirklich harter Kerl und Helfer den Kopf gedreht und ihr einen Blick zugeworfen, der ihr die Worte im Hals stecken bleiben ließ.

Genau genommen war es kein schlimmer Blick. Ja, darin lag eine ganze Menge Befehlsgewohnheit, aber er war auch beruhigend. Ein unausgesprochenes Versprechen, dass sie für ihr Vertrauen Schutz und Belohnung erwarten könnte.

Verdammt. Dadurch löste sich der Knoten der Anspannung, der ihr Inneres gequält hatte, weit genug, dass sie zum ersten Mal, seit sie Rex’ Nachricht gelesen hatte, einen tiefen Atemzug machen konnte.

Der Mund des Fremden deutete ein Lächeln an. Eine subtile Anerkennung ihrer Antwort und der Zustimmung. Und … wow. Dadurch wollte sie fast noch mehr herumstolzieren, wie wenn sie auf der Bühne stand.

Es war verrückt. Vollkommen irrsinnig und verrückt. Weshalb sie ihm schon beinahe aus Prinzip sagen wollte, wohin er sich verziehen solle.

Aber bevor sie das tun konnte, sah er wieder zu Vic und warf sein Geld auf den Tresen. „Das hier begleicht meine Rechnung.“ Er nickte in Richtung der Kellnerin, die gerade ein paar Männern hinterhereilte, die vermutlich ihre eigene Zeche prellen wollten. „Sie weiß schon, welche es ist.“ Er hielt lang genug inne, um den Kopf etwas zu neigen. „Und werden Sie jetzt das Richtige tun und Elizabeth das bezahlen, was sie wert ist? Oder wollen Sie sie nie wieder buchen und sich damit selbst die Leute entgehen lassen, die sie jedes Mal, wenn sie hier gespielt haben, angelockt haben?“

Was. Zum. Teufel. Noch. Eins.

Wer war dieser Kerl, und woher wusste er, wie gut sie hier angekommen waren? Ganz zu schweigen davon, dass niemand sie Elizabeth nannte. Nicht mal ihre Eltern, und die waren es gewesen, die diesen verdammten Namen ausgesucht hatten, was nur zeigte, wie schlecht er zu ihr passte. Sie räusperte sich und richtete sich so gerade wie möglich auf, bereit, die Kontrolle wieder zu übernehmen. Mit ihren knapp über eins siebzig und den zehn Zentimeter hohen Stiefeln, die ihr bis zu den Oberschenkeln reichten, wären die meisten schon allein wegen ihrer Größe etwas vor ihr zurückgewichen.

Aber dieser Kerl? Er war immer noch fünf bis zehn Zentimeter größer als sie und kam ihr stattdessen ein wenig näher. Als ob sie sich nur deshalb bewegt hätte, weil sie sich unbehaglich fühlte, und er bereit wäre, zwischen sie und Vic zu treten.

„Bezahlen Sie die Lady. Es gibt keinen Grund, das hier auszudehnen, wenn Sie wissen, dass das der richtige Schritt ist. Falls nicht, berauben Sie sich nicht nur einer guten Band, sondern andere werden herausfinden, was Sie getan haben, und es sich zweimal überlegen, bevor sie hier spielen.“

Vics Gesichtsfarbe wechselte zu einem intensiven Rot, das nicht mal das schummrige Licht verbergen konnte, und er machte eines dieser missmutigen Geräusche, die ein Fiesling von sich gab, wenn er sich in eine Ecke gedrängt sah. Er starrte Lizzy an. „Ein Ratschlag von mir. Dein neuer Kerl hier hat den Grips eines Schlägers. Falls du weiter Auftritte haben willst, nimm wieder Rex als Mittelsmann. Mit diesem Arschloch hier wird keiner Geschäfte machen wollen.“ Er öffnete die Kasse, schnappte sich einen Stapel vorgezählter Scheine und warf ihn neben den ersten Stapel, den sie immer noch nicht angerührt hatte. „Elfhundert. Dein Anteil vom Eintrittsgeld.“ Er sah zurück zu dem Mann neben ihr, dann erneut zu Lizzy. „Lass mich wissen, was du mit diesem Arschloch vorhast, und ich gebe dir Bescheid, ob dein Auftritt im Juli noch geplant ist.“

Damit schlug er die Kasse wieder zu und marschierte davon.

Lizzy sah ihm nach.

Und wartete.

Und versuchte heldenhaft, die Mischung aus Wut, Bewunderung und echter Angst, die sich in ihr aufbaute, nicht auf den scheinbar unbeeindruckten Mann neben ihr überschwappen zu lassen. Sie schaffte es, bis Vic und sein flacher Arsch im hinteren Büro verschwanden. Es war ein Wunder, dass ihre ersten Worte überraschend zurückhaltend waren. „Sagen Sie mir bitte, dass Sie ein Freund von Rex sind und kein Fremder, der nicht nur seine Nase in meine Angelegenheiten gesteckt hat, sondern genügend Ahnung von meinen Engagements hat, dass es mir wirklich unangenehm ist.“

Diesmal war das Lächeln, das er ihr zuwarf, nicht nur eine Andeutung, sondern der Übermut, der sich in der Wölbung seiner vollen Lippen verbarg, war so stark, dass er selbst die hart gesottenste Frau wie ein kleines Mädchen kichern lassen würde. „Ich kenne niemanden namens Rex, Mädel, daher müssen wir wohl Tür Nummer zwei nehmen. Aber an deiner Stelle würde ich mir über die Tatsache, dass ich weiß, wie viel Gage du für euren Auftritt bekommen hast, keine grauen Haare wachsen lassen. Vic ist nicht gerade für seine Kreativität bekannt. Jede Band, die diese Bezeichnung verdient, erhält denselben Deal.“

„Und Sie wissen über Bands und ihre aktuellen Vergütungen Bescheid, weil …?“

„Weil Musik mein Metier ist und ich Barbesitzer kenne.“ Er stellte sich ihr direkt gegenüber und streckte die Hand aus. „Axel McKee.“

Verdammt, die Stimme dieses Mannes war eine Waffe. Intensiv, tief und umso betörender wegen seines Akzents. Aber das war nichts im Vergleich zu seiner Präsenz. Oder zu der reinen, maskulinen Energie, die er ausstrahlte, und der überraschenden Konzentration in seinen strahlend grünen Augen.

Er hielt ihr weiterhin die Hand entgegen und wartete geduldig darauf, dass sie sein Angebot annahm.

Es war, als ob sie an einer Wegkreuzung stünde und ihre Entscheidung ihre Zukunft beeinflussen würde. Woher sie das wusste, war ihr nicht klar, aber sie spürte es bis tief in ihre Knochen. Intuitiv wurde ihr die Bedeutsamkeit der Situation bewusst, so wie ein Beutetier ein Raubtier erkannte, von welchem es als Ziel auserkoren worden war.

Und dennoch … Statt wegzulaufen, hob sie ihre Hand und drückte ihre Handfläche gegen seine.

Oh. Verdammter. Mist.

Ein Schaudern, das sie beim besten Willen nicht hätte unterdrücken können, erfasste sie, und ihr Atem stockte so subtil wie der einer Frau, die zum ersten Mal die Lippen eines Mannes auf ihrem Nacken spürte.

Seine Finger schlossen sich um ihre. Es war ein eindeutiger Beweis, dass er ihre Reaktion gefühlt und bemerkt hatte, was ihr schon an sich hätte peinlich sein müssen. Stattdessen empfand sie die stärkere Verbindung wie einen Anker während eines Tornados.

„Lizzy Hemming.“ Das Zittern in ihrer Stimme und die daraus resultierende sexy Rauheit weckten ihren ausgeprägten Selbsterhaltungstrieb und sie entzog ihm ungelenk und abrupt ihre Hand. „Aber das wissen Sie ja scheinbar schon.“

„Jeder in dieser Bar kennt deinen Namen.“

„Korrekt, allerdings sah sich keiner von ihnen dazu inspiriert, herüberzukommen und das Einkommen meiner Band zu riskieren.“

Sein Lächeln war wirklich tödlich. Prompt und voller Schalk. „Vic ist ein Idiot, aber auch nicht vollkommen dumm. Sein Anteil am Eintrittsgeld hat dank dir allein eine Woche Lohn für die Hälfte seiner Angestellten abgedeckt. Und da er seine Barkeeper dahingehend trainiert hat, dass sie den Leuten bei den Drinks weniger einschenken, es aber sehr viele Gäste waren, hast du für tiefschwarze Zahlen für den Rest des Monats gesorgt. Das Letzte, was passieren wird, ist, dass du einen Gig hier verlierst.“ Er neigte den Kopf, genauso wie er es bei Vic getan hatte, allerdings lag diesmal nichts Gefährliches in seinem Blick. „Okay, falls du so weit bist, Auftritte wie diesen hier nicht länger anzunehmen, wird das hier eine ganz andere Unterhaltung.“

Alles in ihr, das aus früheren Erfahrungen gelernt hatte, ließ ihre Alarmglocken schrillen, und zwar so laut, dass sie fast zusammenzuckte. Was Einführungen betraf, war das eine sehr geschmeidige, aber sie hatte auf die harte Tour erfahren müssen, was es einem einbrachte, wenn man Süßholzrasplern zuhörte. Besonders den heiß aussehenden. „Woher genau kennen Sie Vic, obwohl er Sie nicht kennt? Und was meinen Sie damit, Sie würden sich mit Musik auskennen?“

„Ich kenne Vic, weil er – egal, ob er ein schlechter Geschäftsmann ist oder nicht – gute Bands bucht, und ich habe es mir auf die Fahnen geschrieben, gute Musik in und um Texas im Auge zu behalten. Ich kenne mich mit Musik aus, weil ich sie liebe. Schon mein ganzes Leben lang.“

„Weshalb haben Sie es sich auf die Fahnen geschrieben?“

Sein Gesichtsausdruck änderte sich, und er strahlte eine Gerissenheit aus, die ihr das Gefühl vermittelte, er hätte ganz einfach all ihre Schilde überwunden und die Frau dahinter betrachtet. „Du bist eine Frau, die sehr vorsichtig ist, Elizabeth. Warum?“

„Niemand nennt mich Elizabeth. Das passt nicht. Hat es auch nie.“

Ein Blick. Skrupellose Entschlossenheit blitzte in seinen Augen auf und seine Lippen wirkten kompromisslos streng. „Der Name passt perfekt. Du hast nur Angst, ihn zu benutzen.“ Er erwiderte ihren Blick einen Augenblick länger, wie um sicherzustellen, dass sie seine Worte deutlich gehört hatte, dann sprach er weiter. „Vic ist bekannt für das, was er gerade mit dir abgezogen hat. Als ich mitgekriegt habe, wie er es heute Abend versucht hat und wie frustriert deine Stimme klang, bin ich eingeschritten, weil mich Tyrannen verdammt sauer machen.“

„Ich hätte das schon hinbekommen.“

„Klar, hättest du. Aber du hasst es, so was zu tun. Das wusste ich in dem Moment, in dem du aufgehört hast, mich anzusehen, und deine Aufmerksamkeit ihm zugewandt hast. Außerdem hättest du mir damit die Gelegenheit genommen, ihm ordentlich eins reinzuwürgen.“

Er schob eine Hand in die Tasche und zog ein schmales Etui aus schickem hellbraunen Leder hervor, aus dem er eine Visitenkarte nahm. „Ich bin Geschäftsmann. Ich habe die Finger in mehr Bereichen, als ich manchmal selbst zählen kann, aber der, der mich am meisten interessiert, ist die Musik, weil ich sie liebe. Ich habe dir und deiner Band eine Weile zugesehen und finde, dass du ein unglaubliches Talent besitzt. Der Trick ist, das Beste daraus zu machen, indem man die Sachen, die du gut kannst, maximiert und sich sonst mit Menschen umgibt, die sich um die Dinge kümmern, die du nicht kannst.“ Er reichte ihr die Karte, und sein Blick war so kraftvoll, dass ihr schon das Atmen schwerzufallen schien. „Denk darüber nach. Wenn du dich entscheidest, die Zugbrücke weit genug zu senken, um zu reden, kannst du mich hierüber erreichen.“

Mit einem Grinsen, das fast selbstgefällig war, neigte er das Kinn und ging mit derselben Selbstsicherheit in Richtung Ausgang, die er von der Sekunde an ausgestrahlt hatte, in der sie ihn gesehen hatte.

Was war denn das gerade gewesen?

Der Gedanke kreiste in ihrem Kopf, angetrieben von einer frustrierenden Mischung aus Verlangen, Wertschätzung und Wut, die überhaupt keinen Sinn ergab. Vermutlich hätte sie ewig dort gestanden, wenn der Klang von Schritten hinter ihr und Rex’ Raucherstimme sie nicht aus ihrer Trance gerissen hätte. „Hey, Kleine. Wer war das?“

Sie stellte sich dem Freund, den sie schon fast ihr ganzes Leben lang hatte, und versuchte nicht einmal, ihren vermutlich dümmlichen Gesichtsausdruck zu verbergen. Rex mit seinem grauen Haar, das ihm bis unters Kinn reichte, dem verblassten Nirvana-T-Shirt und den noch abgetrageneren Jeans war der vollkommene Gegensatz zu dem Mann, der gerade weggegangen war. Viel unverfälschter als GQ. Aber allein ein Blick auf seine müde Miene half ihr dabei, wieder in die Realität zurückzufinden und tief einatmen zu können.

Sie sah auf die Karte, die sie fest zwischen den Fingern hielt, und dann zurück zur Tür. „Ich habe keine Ahnung. Aber du kannst deinen Arsch drauf verwetten, dass ich es herausfinden werde.“

Kapitel 2

 

Der Juni war erst zwei Tage alt und die Hitze war bereits intensiv genug, dass die vierspurige, viel befahrene Straße vor dem Crossroads schimmerte, als ob sie feucht wäre. Das war nicht gerade überraschend für Dallas, Texas. Was überraschend war, war, dass Axel einen Großteil des Samstagnachmittags damit verbracht hatte, aus dem Fenster zu starren und diese bescheuerten Details wahrzunehmen. Zu grübeln war nicht seine Art, aber in der letzten Woche war er in einen höllischen Strudel geraten und hatte versucht herauszufinden, ob es Zeit war, tiefer zu graben oder die Sache auf sich beruhen zu lassen.

Er drehte sich in seinem riesigen Ledersessel zurück zu seinem Tisch und konzentrierte sich wieder auf die Arbeitspläne seiner Angestellten für den restlichen Juni. Dass er mit logistischen Überlegungen so spät dran war, war ebenfalls außergewöhnlich für ihn, und dass er sie so lange aufgeschoben hatte, zeigte nur, wie sehr seine erste Begegnung mit Lizzy Hemming ihm das Hirn vernebelt hatte.

Schritte erklangen im langen Konferenzraum, der sein und Jace’ Büro im zweiten Stock des Crossroads miteinander verband. Schwer und entschlossen und nur gedämpft vom dicken schwarzen Teppich im Zimmer. Jace tauchte ungefähr zwei Sekunden später im Türrahmen auf. „Sicher, dass du heute Nacht klarkommst?“

Der Drang, zu knurren, statt eine zivilisierte Antwort zu geben, war verdammt verführerisch, und jedem anderen gegenüber hätte er es in seiner aktuellen Stimmung automatisch getan, aber da Jace seine Scheiße ertragen hatte, seit sie beide fünf Jahre alt gewesen waren, zügelte er sich.

Oder zumindest versuchte er es.

„Warum zum Teufel sollte ich nicht?“

Jace legte den Unterarm gegen den Türpfosten und grinste, als ob Axel gerade einen lächerlich einfallsreichen Witz gerissen hätte. „Ich schätze, das große Fenster neben deinem Tisch spiegelt nicht besonders gut. Sonst würdest du denselben rotgesichtigen Oger sehen, mit dem der Rest von uns sich arrangieren musste.“ Er hielt lang genug inne, um den Zahnstocher in seinem Mundwinkel einmal mit der Zunge zu drehen. „Wirst du irgendwann mal darüber sprechen, was bei dir für Verstopfung sorgt, oder ignorieren wir weiterhin den angepissten Elefanten im Raum?“

„Ich mische mich nicht in deinen Scheiß ein, Bruder. Misch du dich nicht in meinen ein.“

„Nicht einmischen, ja klar! Wenn es dir in den Kram passt, steckst du deine Nase schneller in jedermanns Angelegenheiten als unsere beiden neugierigen Mütter zusammen.“ Er stieß sich vom Türrahmen ab und ging zu einem der zwei Ledersessel für Gäste, die sich vor seinem Tisch befanden, als ob er nicht gerade den Fehdehandschuh geworfen hätte. Anders als einem Großteil der Leute, die heute Abend durch die Eingangstür des Clubs hereinkommen würden, war es Jace scheißegal, ob seine Kleidung andere beeindruckte oder was andere von ihm dachten. Abgetragene T-Shirts, Jeans und Stiefel passten zu neunundneunzig Komma neun Prozent der Zeit perfekt zu seiner Stimmung, und heute war keine Ausnahme. Dass er sein dunkles Haar zum ersten Mal seit Wochen zu einem niedrigen Pferdeschwanz zusammengebunden hatte, hatte mehr damit zu tun, dass draußen heftiger Wind herrschte, als mit Stil.

Jace ließ sich in einen der Sessel fallen, die Knie gespreizt und die Ellbogen auf die Armlehnen gelegt, sodass er ein Gefühl von „Schluss mit dem Scheiß“ vermittelte. „Du hast gesagt, du seist letztes Wochenende auf Talentsuche gewesen.“

„Ja, und?“

Jace sah ihn einen Moment lang an. Es war eine dieser vorsichtigen Taxierungen, die normalerweise bedeuteten, dass er sich auf die Schlagader stürzen würde. „Ich habe zufällig gesehen, dass Lizzy Hemming im Crow gespielt hat. Deine beschissene Stimmung hat ungefähr drei Tage später eingesetzt.“

Verdammt, er wünschte, sie hätte da eingesetzt. In Wahrheit war er bereits unglaublich angefressen gewesen, bevor er es auch nur zu seinem Shelby auf dem Parkplatz geschafft hatte. Er hatte es gerade noch hingekriegt, die Wut zu drosseln – bis ganze zweiundsiebzig Stunden ohne einen Anruf von Lizzy vergangen waren und ihm die Realität bewusst geworden war. „Hast du mal wieder Dr. Phil gesehen?“

Typisch Jace. Statt anzubeißen und gutmütige Beschimpfungen auszutauschen, wie es der Rest seiner Brüder tun würde, grinste er nur und betrachtete die fehlende Antwort als Zeichen dafür, dass er einen Volltreffer gelandet hatte. „Also bist du hin, um sie dir anzusehen.“

„Ja, ich habe sie gesehen.“

„Und?“

Und er hatte die ganze verdammte Sache falsch angefangen. Ein weiterer Punkt auf der wachsenden Liste von Verhaltensweisen, die ungewöhnlich für ihn waren. Musiker liebten ihn normalerweise. Männer, Frauen – es war vollkommen egal. Innerhalb von dreißig Sekunden konnte er fast immer eine vernünftige Verbindung zu jedem von ihnen aufbauen, sodass sie kurz darauf auf einer von seinen oder Jace’ Veranstaltungen spielten. Er konnte sich auch nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal so vorschnell gewesen war. „Kennst du diese Scheiße, für die Vicente bekannt ist? Dieses Manöver von wegen Wenn das Haus nicht voll ist, gibt es keinen Anteil, das er bei ein paar der Bands abgezogen hat, die bei ihm aufgetreten sind?“

Jace’ Augen weiteten sich. „Macht er immer noch diesen Bullshit?“

Axel neigte das Kinn. „Er hat es bei Lizzy versucht, dabei war der Laden gerammelt voll.“

Dieselbe instinktive Wut, die Axel am letzten Wochenende empfunden hatte, hatte scheinbar Jace erfasst, denn auf seiner Miene zeigte sich tiefer Zorn. „Ich vermute, du bist dazwischengegangen?“

„Ich werde diesem Arschloch nicht erlauben, einen vollkommen Fremden aufs Kreuz zu legen, geschweige denn ein Talent, das ich monatelang im Blick hatte. Natürlich bin ich dazwischen.“

„Und?“

Und er hatte sich verrechnet. Er hatte sich so sehr in seinem Wunsch verheddert, Vics Schwanz in dessen Rachen zu stopfen, dass er vollkommen vergessen hatte, zu überlegen, was Lizzy von so einer Aktion halten könnte. „Sie hat den Anteil erhalten, den sie verdient, aber deshalb stand unsere erste Begegnung unter einem schlechten Stern. Ich habe ihr meine Nummer gegeben und seither keinen verdammten Pieps gehört.“

Dass Jace nicht direkt antwortete, war genauso unangenehm wie die Vorstellung, seine Eier in einem Schraubstock zerquetscht zu bekommen. Als er endlich etwas sagte, stieg das Gefühl des Eierquetsch-Unbehagens auf ein ganz neues Level an.

„Warum siehst du dir dieses Mädchen an?“

Mädchen?

Axel mochte ja nicht sämtliche Einzelheiten von Elizabeth Hemmings Lebensgeschichte kennen, er hatte jedoch den Eindruck, dass die Bezeichnung Mädchen am schlechtesten zu ihr passte. Weiblich, ja. Frau, definitiv. Aber Mädchen?

Auf keinen Fall.

Er vermutete sowieso, dass sie mit der Präsenz und Geisteshaltung einer Amazone geboren worden war. Gott wusste, dass ihr Körper inzwischen dazu passte, und das machte ihn verdammt an.

Er schob die Antwort, die sich beim Gedanken an Lizzy immer freikämpfen wollte, irgendwohin, wo Jace sie hoffentlich nicht sehen konnte, und hielt sich an die Fakten. „Sie hat eine großartige Stimme. Bei den tiefen Tönen ist sie reiner Samt, bei den höheren ein regelrechtes Kraftpaket. Ihr Können als Songwriterin ist überragend und ihre Präsenz auf der Bühne ist elektrisierend. Ein zukünftiger Rockstar. Die Menge liegt ihr zu Füßen.“

Jace grinste, als ob Axel ihm sein Ass gezeigt hätte. „Ich habe nicht nach ihren Fähigkeiten gefragt, Bruder. Ich habe gefragt, warum du sie dir ansiehst.“

„Und das habe ich dir gesagt. Sie besitzt Talent.“

Diesmal stieß Jace ein Kichern aus, neigte den Kopf und schüttelte ihn. „Ich glaube, du verstehst nicht, worum es geht.“

„Dann werde verdammt noch mal deutlicher.“

Jace hob den Kopf und senkte die Stimme. „Du siehst dir niemanden an. Wenn du eine Band siehst, die du engagieren willst, engagierst du sie. Wenn du ein Geschäft siehst, das du aufbauen willst, baust du es auf. Unser ganzes verdammtes Leben lang hast du das identifiziert, was du willst, und dann die Magie gewirkt.“ Er beugte sich vor, legte die Ellbogen auf die Knie und bannte Axel mit einem intensiven Blick. „Was du nicht tust, ist zuzusehen und nichts zu tun. Also drücke ich es mal anders aus. Du willst diese Frau. Du kannst gerne behaupten, dass es sich um eine rein geschäftliche Sache handelt, aber das ist Bullshit, und das wissen wir beide. Sie hat also nicht angerufen. Hör auf, rumzuspinnen, und tu, was du am besten kannst. Wirke die Magie.“

Er wollte es. Dringend. Mehr, als er sogar Jace gegenüber zuzugeben wagte. Versagen war nichts, wovor er sich in anderen Situationen in seinem Leben gefürchtet hatte, doch aus irgendeinem Grund erfüllte ihn unglaubliche Angst, er könnte bei Lizzy privat oder beruflich versagen. „Da ist ihre Vergangenheit. Keine Ahnung, was genau, aber sie hat so viele Wände um sich herum aufgebaut wie all unsere Brüder zusammen.“ Er hielt einen Herzschlag lang inne und zwang dann den Rest heraus. „Ich weiß nicht, ob ich die Mittel besitze, um sie einzureißen.“

Der Laut aus Jace’ Mund, als er sich aufrichtete und gegen den Sitz lehnte, war teils Schnauben und teils Amüsement. „Du denkst zu viel. Vor ein paar Wochen hast du gesagt, dass sie keinen Manager hat, und du hast vergessen, dass ich ein paar Bilder dieser Frau gesehen habe. Bei ihrem Aussehen und ohne jemanden, der ihr den Rücken frei hält, ist es schwer, zu wissen, wem man vertrauen kann und wem nicht. Besonders bei Kerlen wie Vic. Da muss sie ihre Schutzwälle immer oben haben.“

„Was das Manager-Ding betrifft, bin ich mir nicht mehr so sicher. Vic hat einen Typen namens Rex erwähnt, während wir uns verbal die Köpfe eingeschlagen haben, also liege ich vielleicht falsch.“

„Herrgott noch mal, du bist das Sinnbild von Untergang und Elend.“ Jace seufzte. „Wen interessiert, wer dieser Rex ist? Du organisierst ein paar der besten Veranstaltungen, für die man in Texas engagiert werden kann. Das allein ist schon ein Grund, die Konkurrenz aus dem Weg zu räumen.“ Er verengte die Augen. „Ich schätze, du hast ihr nicht gesagt, für welche Art Auftritt du sie engagieren willst?“

„Du weißt doch, wie sich die Leute verhalten, wenn sie herausfinden, dass ich für das Green und das Crossroads verantwortlich bin.“

„Ja, sie setzen sich hin und fragen, wo sie unterschreiben sollen.“

Und das war das Problem. „Wenn sie mit mir arbeitet, will ich nicht, dass der einzige Grund dafür ist, dass ich ihren Terminplan füllen kann.“

„Warum? Was sonst solltest du tun?“

Axels Brust fühlte sich eng an. Hoffnungen und Träume, die er schon vor Jahren unterdrückt hatte, schienen sich dort zu sammeln. Allein die Worte laut auszusprechen, war eine Herausforderung. „Wenn ich sage, dass diese Frau Talent besitzt, meine ich, dass sie gesegnet ist. Das ganze Paket.“

„Ja, das habe ich schon verstanden.“ Jace hielt inne, dann ließ er eine vertraute Stichelei hören. „Genau wie du.“

Das war er gewesen. Früher einmal. Aber Träume veränderten sich und mit den Veränderungen kamen neue Ideen. Neue Risiken. „Der Zug ist schon vor langer Zeit abgefahren, und das wissen wir beide.“

Er erwiderte Jace’ Blick. Bis jetzt hatte er seine Pläne für sich behalten, weil er zu vorsichtig war, um seinen Ideen zu rasch Leben einzuhauchen. Aber das hier war Jace. Sein Bruder auf alle Arten, die zählten. Er holte tief Luft und legte los. „Was das betrifft, für sie ist der Zug noch nicht abgefahren.“

Jace blieb mucksmäuschenstill. Nicht einmal ein Muskel oder ein Zucken verriet, was er dachte. „Was bedeutet das?“

Axel zuckte zusammen und hoffte, er könnte damit die Bedeutung dessen runterspielen, was er vorhatte. „Das bedeutet, dass ich zu alt bin, um einem Traum nachzujagen, aber ich habe verdammt noch mal die Grundlagen gelernt. Wenn ich nicht haben kann, was ich früher wollte, finde ich, dass das nächstbeste ist, dass ich es für jemand anderen wahr werden lasse.“

Scheinbar misslang ihm sein Versuch, es runterzuspielen, vollkommen, weil Verstehen Jace’ passiven Gesichtsausdruck innerhalb von Sekunden zu ehrlichem Schock veränderte. „Du willst sie launchen.“

Launchen schien ein bisschen zu wenig zu sein. Vielleicht hätte das Wort vor acht Tagen gepasst, aber jetzt, da er sie getroffen hatte – jetzt, da er ihre Reserviertheit gefühlt und das Leid in ihren verblüffend blauen Augen gesehen hatte –, wollte er ihr die Welt auf einem Silbertablett überreichen. Was überhaupt keinen Sinn ergab, da sie noch nicht mal daran interessiert zu sein schien, zu reden. „Warum nicht? Ich habe die Mittel, das Wissen und die Verbindungen dafür.“

Jace hob die Hände in gespielter Ergebenheit. „Hey, ich sage ja gar nichts. Wenn wir deinen Arsch nicht wieder vor Zuschauer bekommen, können wir genauso gut deinen Schützling nehmen.“

„Also, na ja … Ich muss zuerst rausfinden, wer dieser Rex ist.“

„Frag Knox. Verdammt, was das angeht, frag Darya. Sie wird richtig happy sein, dir dabei zu helfen, eine Frau an Land zu ziehen.“

Axel sah ihn böse an. „Hör auf. Darum handelt es sich hierbei nicht. Und selbst wenn doch, es wäre viel zu früh, die Familie hier mit reinzuziehen.“

Jace kicherte und warf ihm wieder dieses verflucht selbstzufriedene Grinsen zu. „Klar. Das ist ein Deal wie jeder andere. Schon verstanden.“ Er erhob sich und ging zurück Richtung Konferenzzimmer. „Erzähl dir das einfach weiter, und sag mir dann, wie gut es geklappt hat.“

Die Stichelei weckte eine Erinnerung in ihm. Die Worte waren nicht dieselben, aber die Botschaft war fast die gleiche wie die, die er vor weniger als vier Jahren Jace mitgegeben hatte. Eine verdammt gute Idee, wie er die Sache mit Lizzy wieder hinbiegen könnte, folgte auf dem Fuß. „Warte mal.“

Jace hielt im Türrahmen inne und drehte sich so weit, dass er Axel über die Schulter hinweg ansehen konnte.

„Ich sagte, es sei zu früh, um den Rest der Familie mit hineinzuziehen“, stellte Axel klar. „Ich habe nichts davon gesagt, dass ich nicht deinen aufgeblasenen Arsch gebrauchen kann.“

Jace hob eine Augenbraue auf die herrische Art, die er benutzte, um jeden einzuschüchtern, und wartete wortlos.

„Erinnerst du dich an den Kniff, den du mich hast anwenden lassen, damit du eine Chance bei Vivienne bekommst, als ihr euch das erste Mal getroffen habt?“

Jace stellte sich ihm direkt, und ein wenig Vorsicht war in seiner Miene zu erkennen. „Ja, und?“

Diesmal war es Axel, der grinste. „Zahltag, Bruder.“

Kapitel 3

 

Was das Reich der Livemusik in Dallas/Fort Worth betraf, war das Crossroads bloß einen Tick entfernt von spitzenmäßig. Nicht spitzenmäßig im Sinne von großen Arenen, aber nur einen Steinwurf weit weg von den Casinoauftritten, die neuere und ältere Lieblinge der Plattenfirmen hinlegten. Es war auch ziemlich protzig und für jedes Publikum geeignet.

Lizzy hielt sich an ihr Ritual, das sie immer vor den Shows durchführte, ging durch den farbenprächtigen Haupteingang und nahm alles in sich auf. Kobaltblaue Neonröhren erhoben sich aus riesigen rechteckigen Pflanzgefäßen, die ihr bis zur Taille reichten. Die roten und goldenen Ledersofas schienen – wie die Kronleuchter mit wasserfallartigen Kristallen und die dicken schwarzen Marmorsäulen – passend für einen zeitgenössischen König zu sein.

Und das war nur der Anfang. Von hier aus verzweigte sich das Gebäude in weitere Zimmer, die jedermann etwas zu bieten hatten. Zu ihrer Rechten lag ein Bereich mit Techno und allem, was Hipster und Geeks liebten, zu ihrer Linken ein dunklerer Pubbereich für die, die es lieber lockerer und gemütlicher hatten. Aber direkt vor ihr war das Heiligtum. Eine riesige Halle, die gleichzeitig als Tanzclub und ausgeklügelter Livekonzert-Saal eingesetzt werden konnte.

Alles in allem: Es war großartig.

Oder, wie Tony gesagt hatte, als sie heute Nachmittag hereingekommen waren – das hier war voll der Hammer.

Die Frage war, wie zum Teufel sie es geschafft hatte, in letzter Minute einen Auftritt hier zu ergattern.

Nein, das war nicht die Frage. Nicht wirklich. Axel McKee war das Wie. Sie hatte jedes Fitzelchen Information über ihn, das öffentlich zugänglich war, recherchiert und gewusst, dass er Mitbesitzer des Crossroads war, lange bevor sie die Anfrage erhalten hatte, aufzutreten. Die richtige Frage lautete, warum am anderen Ende der Leitung Jace Kennedy gewesen war statt des gut aussehenden Schotten. Kein einziger Artikel über Axel, den sie gelesen hatte, hatte nahegelegt, dass er mehr als ein Clubbesitzer und begeisterter Musikliebhaber war, aber so, wie er sich im Crow vorgestellt hatte, war sie sich sicher gewesen, er wäre ein Veranstalter. Oder – ihre persönliche Bezeichnung für so jemanden – die Geißel der Menschheit.

„Ich würde ja fragen, ob du nach jemandem suchst, aber ich wette, du bist nur auf deiner üblichen Routinerunde vor dem Auftritt unterwegs.“ Trotz der Menge um sie herum und der Musik, die vorn aus den Lautsprechern hallte, hätte sie Jace’ Stimme genauso sicher identifizieren können wie eine Harley, die hinter ihr heranfuhr.

Sie drehte sich zu ihm um. „War das so offensichtlich?“

Er warf ihr ein breites Grinsen zu und kam weiter auf sie zu. „Ich mache das schon eine ganze Weile. Ich kenne den Gesichtsausdruck eines Musikers, der versucht, ein Gespür für sein Publikum zu bekommen.“ Er stoppte eine Armlänge von ihr entfernt. „Haben es sich deine Jungs gemütlich gemacht und sind sie bereit, loszulegen?“

Gemütlich gemacht war noch harmlos ausgedrückt. Sie waren eher bereit, einzuziehen und Wurzeln zu schlagen. „Willst du mich veräppeln? Ich werde sie gewaltsam aus der Garderobe rausziehen müssen, wenn der Abend vorbei ist. Sie sind an düster und schmuddelig gewöhnt. Das da hinten ähnelt mehr einem Wellnessempfangsbereich ohne Schlummerlicht.“

Jace nickte und besah den Eingang mit einem abschätzenden Blick. „Das Publikum ist gut. Wenn du irgendwas brauchst, winke einfach einem der Mädels und sag ihm, es solle mich suchen.“

Oh, sie brauchte etwas. Besonders Antworten.

Oder nicht?

Manchmal warfen Antworten zu viel Licht auf eine Situation. Sie zwangen einen, sich Dingen zu stellen, die man besser in Ruhe ließ. Oder, in diesem Fall, sie zogen Leute dichter heran, die man besser auf Abstand hielt.

Ihre Gedanken mussten sich auf ihrem Gesicht gezeigt haben, denn Jace’ Blick wurde schärfer. „Stimmt etwas nicht?“

Fragen?

Oder nicht fragen?

Weggehen oder sich darauf stürzen?

Ihr gesunder Menschenverstand sagte ihr, sie solle die Klappe halten und ihren Hintern zurück zu den Jungs schaffen, damit sie die erste Runde spielen konnten, aber ihre Dummheit gewann. „Dir gehört gemeinsam mit Axel McKee dieser Club.“

Ja. Da war es. Selbst wenn er versuchte, es zu leugnen, konnte sie die Bestätigung an der Maske ablesen, die sich rasch über seine Mimik legte. „Ist das ein Problem?“

„Nein. Kein Problem. Er hat sich mir ungefähr eine Woche, bevor du angerufen hast, im Crow vorgestellt.“

„Und?“ In dem einfachen Wort schwang eine gewisse Schärfe mit. Herausforderung und Warnung in einem.

Sie könnte schlicht mit einem Achselzucken darüber hinweggehen. So tun, als ob es keine große Sache wäre, und zurückkehren zu ihren Jungs in ihrem Paradies, das sie vor dem Auftritt gefunden hatten.

Oder sie konnte ein Risiko eingehen.

Willst du dich dein ganzes Leben lang hinter deiner Vergangenheit verstecken? Ruf den Kerl doch endlich an! Carpe diem! Erobere die Welt!

Das war ein unablässiges Mantra von Rex gewesen seit dem Tag, an dem er Axel aus dem Crow hatte gehen sehen. Jetzt, wo sie hier stand – die Energie um sie herum fühlte und durch die Herausforderung in Jace’ Gesichtsausdruck aufgeheizt war –, fragte sie sich, ob Rex nicht recht hatte.

Sie wandte ihre Aufmerksamkeit einer Gruppe von aufgebrezelten Frauen zu und hoffte, dass sie dadurch davon ablenkte, wie wichtig ihr die Erwiderung auf ihren nächsten Satz war. „Ich bin nur neugierig, weshalb du mich angerufen hast, statt er.“

Schweigen.

Es dauerte so lang, dass sie nicht anders konnte, als ihn wieder anzusehen. Sie hätte es nicht einmal dann gekonnt, wenn es ihr jemand mit einer Waffe an der Schläfe verboten hätte.

Selbst nachdem sie seinen Blick erwiderte, hielt er für zwei schmerzhafte Herzschläge lang den Mund. „Und was wäre passiert, wenn mein Bruder derjenige gewesen wäre, der angerufen hätte?“

„Dein Bruder?“ Ihre Worte kamen im Tonfall von Auf-keinen-verdammten-Fall, aber hey … das war auch auf keinen verdammten Fall richtig. Ja, sie besaßen beide eine gewisse Härte, die auf Lebenserfahrungen außerhalb der Norm deuteten, doch dort endeten die Gemeinsamkeiten schon.

„Es war eine gemeinsame Entscheidung vor mehr Jahren, als ich mir noch die Mühe mache, sie zu zählen. Er hat mir, seit ich fünf Jahre alt war, den Rücken frei gehalten, und es gibt keinen besseren Mann auf diesem Planeten.“ Er neigte den Kopf. „Also frage ich erneut: Wenn er angerufen hätte, hättest du den Auftritt gemacht?“

„Vermutlich nicht.“ Sosehr es auch schmerzte, dies zuzugeben, es war die Wahrheit. Und die Tatsache, dass Axel das gewusst hatte, machte ihr noch viel mehr Angst. „Er hat sich in meine Angelegenheiten eingemischt, ohne etwas über mich oder die Lage zu wissen, in der ich mich befunden habe.“

„Und dennoch hat er in deinem besten Interesse gehandelt.“ Er hielt inne und hob das Kinn in Richtung der vielen Leute, die immer noch durch den Eingang kamen. „Zweimal.“

Seine Offenheit traf sie mit der Subtilität eines rechten Hakens, aber sie weigerte sich, nachzugeben. „Willst du mir damit sagen, du hättest es toll gefunden, wenn ein Fremder seine Nase in deine Angelegenheiten steckt, ohne dass du etwas über ihn weißt? Dass du nicht vorsichtig wärst nach der ganzen Sache?“„“